12Rs89/25g – OLG Linz Entscheidung
Kopf
Das Oberlandesgericht Linz hat als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durc h die Senatspräsidentin Dr. Barbara Jäger als Vorsitzende, Dr. Dieter Weiß und Mag. Nikolaus Steininger, LL.M. als weitere Richter sowie die fachkundigen Laienrichter KR Josefine Deiser (Kreis der Arbeitgeber) und Sascha Gruber (Kreis der Arbeitnehmer) in der Sozialrechtssache der klagenden Partei A* , geboren am **, **, **, vertreten durch die Korn Gärtner Rechtsanwälte OG in Salzburg, gegen die beklagte Partei Pensionsversicherungsanstalt , 1021 Wien, Friedrich-Hillegeist-Straße 1, vertreten durch ihren Angestellten Mag. B*, Landesstelle **, wegen Weitergewährung von Rehabilitationsgeld über die Berufung der klagenden Partei gegen das Urteil des Landesgerichts Salzburg als Arbeits- und Sozialgericht vom 18. Juni 2025, Cgs1*-11, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:
Spruch
Der Berufung wird nicht Folge gegeben.
Die klagende Partei hat die Kosten des Berufungsverfahrens selbst zu tragen.
Die ordentliche Revision ist nicht zulässig.
Text
Entscheidungsgründe:
Mit Bescheid vom 12. November 2019 hat die Beklagte den Antrag der Klägerin vom 23. Juli 2019 auf Gewährung einer Invaliditätspension abgelehnt, jedoch ausgesprochen, ab 1. August 2019 bestehe für die weitere Dauer der vorübergehenden Invalidität Anspruch auf Rehabilitationsgeld aus der Krankenversicherung.
Mit Bescheid vom 6. November 2024 hat sie das (weitere) Vorliegen vorübergehender Invalidität sowie die Zweckmäßigkeit medizinischer Maßnahmen der Rehabilitation verneint und das Rehabilitationsgeld mit 31. Dezember 2024 entzogen.
Dagegen richtet sich die rechtzeitig eingebrachte Klage mit dem Begehren auf Feststellung des Anspruchs auf Maßnahmen der medizinischen Rehabilitation und Rehabilitationsgeld im gesetzlichen Ausmaß dem Grunde nach über den 31. Dezember 2024 hinaus, in eventu des Anspruchs auf Maßnahmen der beruflichen Rehabilitation, und dem Vorbringen, ihr Gesundheitszustand habe sich nicht kalkülsrelevant verbessert.
Mit dem angefochtenen Urteil hat das Erstgericht die Klage abgewiesen. Der Entscheidung liegt – zusammengefasst – folgender Sachverhalt zugrunde:
Die Klägerin hat den Beruf der Restaurantfachfrau erlernt und war in den letzten 15 Jahren vor dem 1. August 2019 insgesamt 63 Monate sozialversicherungspflichtig erwerbstätig.
Im Zeitpunkt der Zuerkennung des Rehabilitationsgelds konnte sie aufgrund ihres Gesundheitszustands zwar leichte und mittelschwere Tätigkeiten im Gehen, Stehen und Sitzen verrichten; aufgrund weiterer Einschränkungen reichte ihr Leistungskalkül aber für Tätigkeiten am allgemeinen Arbeitsmarkt nicht aus; eine Besserung war nicht ausgeschlossen.
Seit 31. Dezember 2024 kann sie leichte und – kurzfristig in maximal 10 % der Arbeitszeit – mittelschwere Tätigkeiten im Gehen, Stehen und Sitzen verrichten, wobei weitere Einschränkungen bestehen. Insbesondere sind Tätigkeiten ausgeschlossen, die über ein normales Arbeitstempo hinausgehen oder eine vermehrte Konzentrations-, Auffassungs-, Durchsetzungs- oder Entscheidungsfähigkeit oder Eigeninitiative bzw vermehrten Kundenkontakt erfordern.
Das tägliche Arbeitspensum darf vier, das wöchentliche 20 Stunden nicht überschreiten.
Auch bei Einhaltung dieser Einschränkungen sind Krankenstände im Ausmaß von drei bis vier Wochen pro Jahr regelmäßig auf Dauer zu erwarten.
Gegenüber dem Gewährungsgutachten ist eine leichte Besserung der bestehenden Krankheitsschwankungen aufgrund der bipolaren affektiven Störung eingetreten. Derartige massive Einbrüche mit schweren depressiven Phasen, wie sie früher beschrieben worden sind, sind nicht mehr aufgetreten. Manische Bestimmungen gab es ebenso keine mehr. Zusammenfassend ist daher eine Stabilisierung in den letzten Jahren auf niedrigem Niveau eingetreten.
Der Klägerin sind leichte Büroarbeiten, die Tätigkeit einer Sachbearbeiterin sowie Tätigkeiten in Archiv, Statistik oder Registratur in Teilzeit zumutbar. Diese sind körperlich leicht und mit dem eingeschränkten Leistungskalkül der Klägerin wieder vereinbar. Es existiert ein ausreichender Arbeitsmarkt von 100 Stellen österreichweit in den genannten Verweisungstätigkeiten, die mit dem eingeschränkten Leistungskalkül der Klägerin noch vereinbar sind.
In rechtlicher Beurteilung des Sachverhalts ist das Erstgericht zum Ergebnis gelangt, die Klägerin sei nicht mehr invalid.
Gegen dieses Urteil richtet sich die Berufung der Klägerin aus den Berufungsgründen der unrichtigen Tatsachenfeststellung aufgrund unrichtiger Beweiswürdigung und der unrichtigen rechtlichen Beurteilung mit dem auf Klagsstattgabe gerichteten Abänderungsantrag; hilfsweise wird ein Aufhebungs- und Zurückverweisungsantrag gestellt.
Die Beklagte beantragt in ihrer Berufungsbeantwortung, der Berufung nicht Folge zu geben.
Die gemäß § 480 Abs 1 ZPO in nichtöffentlicher Sitzung zu behandelnde Berufung ist nicht berechtigt .
Rechtliche Beurteilung
1 Im Berufungsverfahren ist unstrittig, dass die Klägerin keinen Berufsschutz genießt und das festgestellte Leistungskalkül für Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt ausreicht.
2 In der Tatsachenrüge bekämpft die Klägerin die kursiv dargestellten Feststellungen und kritisiert dabei die Übernahme des neurologisch-psychiatrischen Gutachtens, weil dieses „an zahlreichen Stellen nicht nachvollzogen werden“ könne. Dabei äußert sie im Kern zwei Kritikpunkte: Der Sachverständige habe (a) Befunde nicht vollständig wiedergegeben bzw „einfach ignoriert“ und (b) Probanden verwechselt.
Beides trifft nur bei oberflächlicher Betrachtung des Gutachtens prima facie zu, sodass ein Antrag der Klägerin auf Erörterung des Gutachtens oder eine amtswegige Erörterung nahe gelegen wäre. Beides ist jedoch – bei verständiger näherer Betrachtung – zu Recht unterblieben, weil die offenkundigen Unrichtigkeiten ohne weiteres behebbar sind:
2.1 Auch wenn der zum Sachverständigen mitgebrachte Befund des behandelnden Facharzts für Psychiatrie vom 16. Mai 2025 dem Gericht nicht vorgelegt wurde, liegt doch nahe, dass es sich beim inkriminierten Verweis auf den Vorbefund „vom Oktober 2024“ (ON 6 S 17) um einen Schreibfehler handelt und sich dieser inhaltlich auf den im Gutachten ausführlich wiedergegeben Befundbericht vom 29. August 2024 bezieht (Blg ./7, ON 6 S 7-9).
2.2 In diesem wird zwar tatsächlich angeführt, es sei „im Rahmen von manischen Episoden zu Überziehungen ihres Kontorahmens“ gekommen. Diese Aussage bezieht sich jedoch – wie schon aus ihrer systematischen Einordnung nicht in den psychopathologischen Befund, sondern in die einleitenden Bemerkungen abzuleiten ist, in denen auch von „depressiven und hypomanen Episoden“ „im Verlauf des vergangenen Jahres mit Rehageldbezug“ berichtet wird –offenkundig auf die Situation vor dem Datum des Befundberichts und damit vor dem bekämpften Bescheid.
Dass nunmehr keine manischen Verstimmungen mehr auftreten, ergibt sich aus den Angaben der Klägerin in der Anamnese durch den neurologisch-psychiatrischen Sachverständigen (ON 6 S 17: „Gebessert hat sich von der Manie jetzt, dass ich eine Ruhe habe“).
Das steht durchaus im Einklang mit dem Befundbericht vom 29. August 2024: Danach hat (bereits) die Depotmedikation mit Abilify Maintena bzw Xeplion „über Monate zu weniger schweren manischen Auslenkungen“ geführt; zum aktuellen Zustand verweist der Facharzt (nur) auf ADS – also eine Aufmerksamkeitsstörung – sowie auf das Erreichen der „Belastungsgrenzen mit wiederholtem depressivem Erleben“ (Blg ./7); dass weiterhin manische Phasen auftreten würden, ist dem Befundbericht nicht zu entnehmen.
Dieser Befundbericht wird auch im „anstaltsinternen Gutachten“ wörtlich wiedergegeben (Blg ./6 S 3-6); eine (eigenständige) Festlegung, es komme aktuell zu manischen Auslenkungen, ist diesem Gutachten jedoch – entgegen dem Vorbringen der Klägerin – nicht zu entnehmen.
2.3 Auch der Zitierung des „Gewährungsgutachtens Cgs2*“ bei der Beantwortung der Zusatzfrage nach einer „wesentlichen Besserung“ liegt ein offenkundiges Versehen zugrunde, das offenbar von der Klägerin selbst im erstinstanzlichen Verfahren ebenfalls noch als lässlich qualifiziert wurde, hätte sie doch sonst die Erörterung des Gutachtens beantragt.
Im Zeitpunkt der Gewährung des Rehabilitationsgelds wurde zwar durchwegs eine mittelgradige depressive Episode diagnostiziert (vgl ärztliches Gesamtgutachten Blg ./10 S 4; chefärztliche Stellungnahme Blg ./9; Nachweis über psychotherapeutische Einzelgespräche Blg ./11). Dass in der Vergangenheit auch schwere depressive Episoden aufgetreten sind, ergibt sich jedoch aus dem Arztbrief und dem Befundbericht des behandelnden Facharzts vom 3. Oktober 2019 bzw 29. August 2024 (Blg ./13, Blg ./7 S 3 jeweils: „Bei Erstkontakt zeigte sich eine schwere depressive Symptomatik. Im weiteren Verlauf kam es zu wiederholten schweren und anhaltenden Depressionen“) ebenso wie aus den Angaben der Klägerin in den Anamnesen durch die Fachärztin für Psychiatrie im Zuerkennungsverfahren und den neurologisch-psychiatrischen Sachverständigen (Blg ./6 S 2: „Krankheitsbeginn, Erstdiagnose 2017, war damals depressiv, ist nur noch gelegen, hat nichts mehr tun können“; ON 6 S 15: „Stimmungsschwankungen habe ich immer noch, schwere depressive Einbrüche gab es keine mehr“).
2.4 Insgesamt gelingt es der Klägerin damit nicht, eine vom Berufungsgericht aufzugreifende fehlerhafte Beweiswürdigung aufzuzeigen. Das Erstgericht hat vielmehr zu Recht das neurologisch-psychiatrische Gutachten seinen Feststellungen zugrunde gelegt.
3 In der Rechtsrüge geht die Klägerin davon aus, das Erstgericht habe keine Feststellungen zur zumutbaren Tagesarbeitszeit oder prognostizierten Krankenständen im Gewährungszeitpunkt getroffen.
Auch dies scheint zwar (nur) prima facie zuzutreffen. Die Klägerin übergeht jedoch die unbekämpft gebliebene Feststellung, dass sie im Gewährungszeitpunkt „auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt nicht einsetzbar“ war (Urteil S 2), was bedeutet, dass sie keine Arbeit verrichten konnte; eine Feststellung zur zumutbaren Tagesarbeitszeit und zu den erwartbaren Krankenständen ist daher obsolet.
Zumal die Klägerin aufgrund des festgestellten Leistungskalküls ab dem Entziehungszeitpunkt nicht (mehr) vom allgemeinen Arbeitsmarkt ausgeschlossen, sondern vielmehr – wenn auch mit Einschränkungen – einsetzbar ist, wurde vom Erstgericht eine relevante Änderung des Leistungskalküls zu Recht bejaht.
4 Der Berufung musste daher insgesamt der Erfolg versagt bleiben.
5Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 77 Abs 1 Z 2 lit b ASGG. Umstände, die einen Kostenzuspruch im Berufungsverfahren nach Billigkeit trotz Unterliegens rechtfertigen könnten, wurden nicht geltend gemacht und ergeben sich auch nicht aus der Aktenlage.
6Die ordentliche Revision ist im Sinne des § 502 Abs 1 ZPO nicht zulässig, weil keine in ihrer Bedeutung über den Einzelfall hinausgehende Rechtsfrage zu lösen war.