11Bs220/25b – OLG Innsbruck Entscheidung
Kopf
Das Oberlandesgericht Innsbruck hat durch den Senatspräsidenten Mag. Dampf als Vorsitzenden sowie die Richterinnen Mag. a Hagen und Mag. a Obwieser als weitere Mitglieder des Senats in der Strafvollzugssache des A*wegen bedingter Entlassung nach § 46 Abs 1 und 5 StGB iVm § 152 Abs 1 Z 1 StVG über die Beschwerde des Strafgefangenen gegen den Beschluss des Landesgerichts Innsbruck als Vollzugsgericht vom 22.7.2025, GZ **-9, in nichtöffentlicher Sitzung beschlossen:
Spruch
Der Beschwerde wird n i c h t Folge gegeben.
Gegen diese Entscheidung steht ein weiterer Rechtszug n i c h tzu (§ 17 Abs 1 Z 3 StVG iVm § 89 Abs 6 StPO).
Text
BEGRÜNDUNG:
A* verbüßt derzeit in der Justizanstalt Innsbruck die über ihn im Verfahren ** des Landesgerichts Salzburg wegen des Verbrechens der Vergewaltigung nach § 201 Abs 1 StGB und weiterer strafbarer Handlungen verhängte Freiheitsstrafe von 3 Jahren. Im Anschluss daran wird die im Verfahren ** des Landesgerichts Salzburg wegen des Vergehens der Nötigung nach §§ 15, 105 Abs 1 StGB verhängte Freiheitsstrafe von 4 Monaten vollzogen werden. Das urteilsmäßige Strafende dieses Strafenblocks (§ 46 Abs 5 StGB) fällt auf den 18.5.2027. Die zeitlichen Voraussetzungen für eine bedingte Entlassung nach Verbüßung der Hälfte der Freiheitsstrafen werden am 18.9.2025 erfüllt sein (vgl IVV-Auszug, Strafregisterauskunft sowie Urteilsausfertigung zu ** und ** jeweils des Landesgerichts Salzburg).
Im Zuge amtswegiger Prüfung (§ 152 Abs 1 Z 1 StVG) beantragte der Strafgefangene seine bedingte Entlassung zum Hälftestichtag sowie eine persönliche Anhörung durch das Vollzugsgericht. Begründend brachte er vor, dass der bisherige Strafvollzug „klaglos und einsichtsreich“ verlaufen sei. Er sei seit über 11 Monaten als Vorarbeiter in der Landwirtschaft tätig und pflege durchgehend familiäre Kontakte. Darüber hinaus habe er eine mehr als 7-monatige Therapie erfolgreich absolviert, die er auch weiterhin in Anspruch nehmen werde. Im Falle einer Entlassung sei für seinen Lebensunterhalt und eine dauerhafte Wohnsitzmöglichkeit gesorgt (ON 2.3).
Die Anstaltsleitung der Justizanstalt Innsbruck bescheinigt dem im Erstvollzug befindlichen Strafgefangenen unter Hinweis auf zwei abgeschlossene Ordnungswidrigkeiten (Status: Einstellung sowie Status: nicht mehr zu verfolgen) ein sehr gutes Anstalts- und Sozialverhalten und eine ebensolche Arbeitsleistung. Aufgrund der Stellungnahme des Psychologischen Dienstes bestünden jedoch Bedenken gegen eine bedingte Entlassung zum Hälftestichtag (ON 2.2).
Aus der Stellungnahme des Psychologischen Dienstes ergibt sich, dass der Strafgefangene seit November 2024 wöchentliche psychotherapeutische Unterstützung erhalte. Diese Behandlung müsse in jedem Fall in Freiheit fortgesetzt werden. Notwendig sei zudem ein solider Empfangsraum und ein protektives Umfeld. Der Strafgefangene könne seinen Angaben zufolge zwar bei seinen Eltern wohnen, es sei aber weder eine Arbeitsplatzzusage noch ein verfügbarer Psychotherapeut vorhanden. Obwohl er auf einem guten Weg zu sehen sei, seien konkret notwendige Entlassungsvorbereitungen noch nicht umgesetzt, weshalb eine bedingte Entlassung zum Hälftestichtag noch nicht befürwortet werden könne (ON 2.5).
Der Äußerung der Begutachtungs- und Evaluationsstelle für Gewalt- und Sexualstraftäter (BEST) vom 8.6.2025 lässt sich entnehmen, dass beim Strafgefangenen ein überdurchschnittliches Risiko für die Begehung eines neuerlichen Sexualdelikts vorliege. Das Risiko für allgemeine Gewaltdelinquenz sei unterdurchschnittlich. In der vollzugsinternen Begutachtung seien individuelle Risikomerkmale in Form eines sexuell devianten Musters sowie im Persönlichkeitsbereich identifiziert worden. In der Regel gehe eine bedingte Entlassung mit passenden Weisungen bzw Anordnungen von Bewährungshilfe nicht mit einer schlechteren Prognose einher als eine Entlassung mit Strafende. Sollte der Strafgefangene nicht bedingt entlassen werden, könne die weitere Zeit in Haft für eine mögliche Festigung seiner Persönlichkeit und zur weiteren Bearbeitung der Auffälligkeiten im sexuellen Bereich genützt werden, somit auch die (Compliance-)Prognose für eine allfällige spätere bedingte Entlassung verbessert werden (ON 2.6).
Die Staatsanwaltschaft sprach sich in ihrer Stellungnahme aus spezial- und generalpräventiven Gründen gegen eine bedingte Entlassung aus (ON 6).
Mit dem angefochtenen Beschluss lehnte das Vollzugsgericht nach persönlicher Anhörung des Strafgefangenen (ON 8) die bedingte Entlassung zum Hälftestichtag aus generalpräventiven Gründen ab, da das Verbrechen der Vergewaltigung die von § 46 Abs 2 StGB angezogene Schwere der Tat verwirkliche.
Dagegen erhob der Strafgefangene unmittelbar nach Verkündung des Beschlusses und Rechtsmittelbelehrung Beschwerde, die er entgegen seiner Ankündigung nicht schriftlich ausführte (ON 8, 2).
Rechtliche Beurteilung
Der Beschwerde, zu der sich die Oberstaatsanwaltschaft einer Stellungnahme enthielt, kommt keine Berechtigung zu.
§ 46 Abs 1 StGB schreibt die bedingte Entlassung frühestens nach der Hälfte vor, sobald unter Berücksichtigung der Wirkung von Maßnahmen gemäß §§ 50 bis 52 StGB (Anm: Weisungen, Bewährungshilfe) anzunehmen ist, dass der Verurteilte durch die bedingte Entlassung nicht weniger als durch die weitere Verbüßung der Strafe von der Begehung strafbarer Handlungen abgehalten wird. Diese Prognose künftigen Verhaltens erfordert eine Gesamtwürdigung aller dafür maßgeblichen Umstände, so insbesondere der Art der Tat(en), des privaten Umfelds des Verurteilten, seines Vorlebens und seiner Aussichten auf ein redliches Fortkommen in Freiheit ( Jerabek/Ropper in WK 2StGB § 46 Rz 15/1). Dabei ist gemäß § 46 Abs 4 StGB auf den Umstand Bedacht zu nehmen, inwieweit durch den bisherigen Vollzug der Strafe, insbesondere auch durch eine während des Vollzugs begonnene freiwillige Behandlung im Sinne von § 51 Abs 3 StGB, die der Verurteilte in Freiheit fortzusetzen bereit ist, eine Änderung der Verhältnisse, unter denen die Tat(en) begangen wurde(n), eingetreten ist, oder durch Maßnahmen gemäß §§ 50 bis 52 StGB erreicht werden kann. Ist die Annahme berechtigt, dass der Verurteilte durch die bedingte Entlassung - allenfalls unter Berücksichtigung der Wirkung von Maßnahmen gemäß §§ 50 bis 52 StGB - nicht weniger als durch die weitere Verbüßung der Strafe von der Begehung strafbarer Handlungen abgehalten wird, so ist im Regelfall (vgl aber § 46 Abs 2 StGB) der Rest der Strafe bedingt nachzusehen ( Jerabek/Ropper aaO Rz 15).
Hat ein Verurteilter die Hälfte, aber noch nicht zwei Drittel einer Freiheitsstrafe verbüßt, so ist er gemäß § 46 Abs 2 StGB trotz Vorliegens der Voraussetzungen nach § 46 Abs 1 StGB solange nicht bedingt zu entlassen, als es im Hinblick auf die Schwere der Tat(en) ausnahmsweise des weiteren Vollzugs der Strafe bedarf, um der Begehung strafbarer Handlungen durch andere entgegenzuwirken. Gewichtige Umstände, welche sich aus Sicht der Allgemeinheit von den regelmäßig vorkommenden Begleiterscheinungen strafbaren Verhaltens auffallend abheben, müssen ein Absehen von der vorzeitigen Entlassung unumgänglich erscheinen lassen. Dabei ist nicht nur der bloße Abschreckungseffekt bei potentiellen Tätern, sondern (iS positiver Generalprävention) auch das Interesse an der Festigung genereller Normtreue in der Bevölkerung zu beachten. Diese Aspekte generalpräventiver Natur müssen aus der Schwere der Tat(en) ableitbar sein; liegen sie vor, sind sie gleichrangig mit den Erfordernissen der Spezialprävention zu berücksichtigen. Eine aus spezialpräventiver Sicht durchaus zulässige bedingte Entlassung kann demnach auch allein wegen eines in der Schwere der Tat(en) gelegenen (besonderen) generalpräventiven Grunds verweigert werden ( Jerabek/Ropper aaO Rz 16).
Die dem Strafvollzug zugrundeliegenden Verurteilungen des Beschwerdeführers erfolgten wegen jeweils eines Verbrechens der Vergewaltigung nach § 201 Abs 1 StGB und der schweren Nötigung nach §§ 15, 105 Abs 1, 106 Abs 1 Z 1 sechster Fall und Z 3 zweiter Fall StGB, mehrerer Vergehen der pornographischen Darstellung Minderjähriger nach § 207a Abs 3 erster Satz zweiter Fall StGB und nach § 207a Abs 1 Z 2 StGB und eines Vergehens der Datenverarbeitung in Gewinn- oder Schädigungsabsicht nach § 63 DSG sowie des Vergehens der Nötigung nach §§ 15, 105 Abs 1 StGB.
Indem das Erstgericht bei der Prüfung der Generalprävention alleinig auf die rechtlichen Kategorien (= strafbaren Handlungen) abstellte, verfehlte es den im konkreten Tatgeschehen gelegenen Bezugspunkt des § 46 Abs 2 StGB. Es gibt keine strafbare Handlung und keine Kategorie von strafbaren Handlungen, bei denen die bedingte Entlassung grundsätzlich ausgeschlossen wäre ( Tipold in Leukauf/Steininger, StGB 4 § 46 Rz 8 mwN; Michel-Kwapinski/Oshidari, StGB 15 § 46 Rz 2). Vielmehr müssen generalpräventive Erwägungen aus der Schwere der Tat abgeleitet werden. Fallaktuell stehen generalpräventive Gründe einer bedingten Entlassung nach Verbüßung der Hälfte der Freiheitsstrafen mit Blick auf das jeweilige innerhalb des Deliktsspektrums gelegene Tatgeschehen aber nicht entgegen.
Angesichts der Stellungnahme des Psychologischen Dienstes (ON 2.5) in Zusammenschau mit der Äußerung der BEST (ON 2.6) stehen einer bedingten Entlassung aber spezialpräventive Überlegungen entgegen. Positiv zu vermerken ist zwar der bisherige Strafvollzug ohne Ordnungswidrigkeiten sowie die wöchentlichen Einzeltherapien seit 20.11.2024 (ON 2.4) als auch die Möglichkeit der Wohnsitznahme bei den Eltern. Allerdings mangelt es neben einer konkreten Arbeitsplatzzusage vor allem an einer wegen des überdurchschnittlichen Risikos für die Begehung eines neuerlichen Sexualdelikts gesicherten, notwendig weiterzuführenden Psychotherapie, so dass die von § 46 Abs 1 StGB geforderte Legalprognose, wonach der Beschwerdeführer durch die bedingte Entlassung schon zum Hälftestichtag nicht weniger als durch die weitere Verbüßung der Strafen von der Begehung strafbaren Handlungen abgehalten wird, selbst unter Berücksichtigung der Wirkung von (weiteren) Maßnahmen gemäß §§ 50 bis 52 StGB, derzeit noch nicht zu rechtfertigen ist.
Die Beschwerde musste daher erfolglos bleiben.