9Bs169/25h – OLG Graz Entscheidung
Kopf
Das Oberlandesgericht Graz hat durch die Senatspräsidentin Mag a . Kohlroser (Vorsitz), den Richter Mag. Obmann, LL.M. und die Richterin Mag a . Berzkovics in der Strafsache gegen A*wegen des Vergehens der gefährlichen Drohung nach § 107 Abs 1 StGB über die Beschwerde des Verurteilten gegen den Beschluss des Landesgerichts Klagenfurt vom 15. Juli 2025, GZ B*-26, in nichtöffentlicher Sitzung den
BESCHLUSS
gefasst:
Spruch
Der Beschwerde wird Folge gegeben, der angefochtene Beschluss aufgehoben und der Antrag der Staatsanwaltschaft vom 14. Juli 2025, den mit Beschluss vom 7. Juli 2025 (ON 22) gewährten Aufschub des Strafvollzugs zu widerrufen, abgewiesen.
Gegen diese Entscheidung steht ein weiterer Rechtszug nicht zu (§ 7 Abs 2 StVG iVm § 89 Abs 6 StPO).
Text
BEGRÜNDUNG:
A* wurde mit Urteil des Landesgerichts Klagenfurt vom 15. Jänner 2025, GZ B*-10, des Vergehens der gefährlichen Drohung nach § 107 Abs 1 StGB schuldig erkannt und unter Bedachtnahme auf das Urteil des Bezirksgerichts Klagenfurt vom 18. Dezember 2024, AZ C*, zur Zusatzfreiheitsstrafe von fünf Monaten verurteilt.
Mit Beschluss vom 13. März 2025 (ON 17) wurde der Strafvollzug gemäß § 6 Abs 1 Z 2 (lit a) StVG zunächst bis 1. Juni 2025 aufgeschoben. Mit weiterem Beschluss vom 7. Juli 2025 (ON 22) wurde dem Verurteilten ein Aufschub bis 3. März 2026 gewährt. Diese Beschlüsse erwuchsen unbekämpft in Rechtskraft.
Nach Einlangen einer Mitteilung der Justizanstalt Klagenfurt, wonach der Verurteilte am 14. Juli 2025 eingeliefert worden sei, weil er eine vom Bezirksgericht verhängte Strafe zu verbüßen habe (AV in ON 22.1), beantragte die Staatsanwaltschaft den Strafaufschub zu widerrufen (ON 22.3).
Mit dem angefochtenen Beschluss sprach das Erstgericht nach Einholung einer aktuellen Strafregisterauskunft und einer Vollzugsinformation – jedoch ohne den Verurteilten zuvor zum Antrag der Staatsanwaltschaft zu hören und sohin ohne Gewährung des rechtliches Gehörs (vgl aber § 6 StPO) – aus, dass der Aufschub widerrufen werde und der Verurteilte die Freiheitsstrafe anzutreten habe.
Dagegen richtet sich die Beschwerde des Verurteilten, die auf die Aufhebung des Beschlusses abzielt (ON 27).
Rechtliche Beurteilung
Die Beschwerde ist berechtigt.
Ein nach § 6 StVG gewährter Aufschub des Strafvollzugs ist gemäß § 6 Abs 4 StVG zu widerrufen und die Freiheitsstrafe zu vollziehen, wenn der Verurteilte den Weisungen des Gerichts nicht nachkommt (1.), wenn er versucht, sich dem Strafvollzug durch Flucht zu entziehen oder begründete Besorgnis besteht, dass er es versuchen werde (2.), oder wenn dringender Verdacht besteht, dass er aufs neue eine gerichtlich strafbare Handlung begangen hat (3.).
Dem Verurteilten wurden weder Weisungen erteilt, noch bestehen Anhaltspunkte für einen Fluchtversuch oder Fluchtgefahr, sodass die Widerrufsgründe nach Z 1 und 2 des § 6 Abs 4 StVG von vornherein ausscheiden.
Der Widerrufsgrund nach Z 3 setzt voraus, dass „aufs neue“ (iSv neuerlich) eine strafbare Handlung begangen wurde, deren Tatzeitpunkt nach dem Urteilszeitpunkt liegt, sodass darauf nicht mehr gemäß §§ 31, 40 StGB hätte Bedacht genommen werden können ( Pieber, WK² StVG § 6 Rz 40). Auch dieser Widerrufsgrund ist nicht erfüllt, weil der Strafgefangene aktuell jene viermonatige Freiheitsstrafe verbüßt, die mit dem Urteil des Bezirksgerichts Klagenfurt vom 18. Dezember 2024, AZ C*, verhängt wurde, auf welches im gegenständlichen Verfahren bereits Bedacht genommen wurde (ON 24), und die Begehung neuerlicher strafbarer Handlungen nicht aktenkundig ist.
In der Rechtsprechung wird vereinzelt die Meinung vertreten, dass die in § 6 Abs 4 StVG taxativ aufgezählten Widerrufsgründe dahin zu ergänzen seien, dass eine neue Prüfung und Entscheidung auch im Fall einer wesentlichen Änderung der Entscheidungsgrundlage zulässig sei (so auch Pieber, WK² StVG § 6 Rz 36). Davon kann im vorliegenden Fall aber schon deshalb nicht die Rede sein, weil für das Erstgericht schon zum Zeitpunkt der Gewährung des Strafaufschubs klar ersichtlich war, dass der Strafgefangene die vom Bezirksgericht verhängte viermonatige Freiheitsstrafe noch zu verbüßen haben wird (vgl etwa die Strafregisterauskunft in ON 6), sodass sich die Umstände durch den zwischenzeitigen Antritt dieser Strafe nicht wesentlich geändert haben.
Aus diesem Grund ist der Beschwerde Folge zu geben, der erstinstanzliche Beschluss aufzuheben und der Widerrufsantrag der Staatsanwaltschaft abzuweisen.