10Bs78/25h – OLG Graz Entscheidung
Kopf
Das Oberlandesgericht Graz hat durch die Richter Dr. Sutter (Vorsitz), Mag. aTröster und Mag. Wieland in der Strafvollzugssache des A* wegen nachträglichen Aufschubs des Strafvollzugs nach § 133 Abs 2 StVG über die Beschwerde des Strafgefangenen gegen den Beschluss des Landesgerichts für Strafsachen Graz vom 7. März 2025, GZ **- 14, in nichtöffentlicher Sitzung den
BESCHLUSS
gefasst:
Spruch
Der Beschwerde wird nicht Folge gegeben.
Gegen diese Entscheidung steht ein weiterer Rechtszug nicht zu.
BEGRÜNDUNG:
Text
Der am ** geborene, österreichische Staatsbürger, A* verbüßt derzeit in der Justizanstalt Graz-Karlau in der Außenstelle ** (ON 3,2) Freiheitsstrafen in der Gesamtdauer von sechs (6) Jahren und drei (3) Monaten, wobei zu den zu Grunde liegenden Verurteilungen, dem bisherigen Vollzugsverlauf samt den bisherigen Entscheidungen des Vollzugs- und Beschwerdegerichts auf die vollständige Darstellung im angefochtenem Beschluss (Seite 1ff) verwiesen wird (zur Zulässigkeit: RIS-Justiz RS0124017 [T3]).
Mit Eingabe vom 10. Dezember 2024 (ON 2) beantragte der Strafgefangene den nachträglichen Aufschub des Strafvollzugs nach § 133 Abs 2 StVG unter Vorlage diverser ärztlicher Befunde mit der wesentlichen Begründung, er habe im Zuge seiner Haft einen Arbeitsunfall erlitten, wobei ihm von Seiten der Ärzte nach Durchführung der notwendigen Operationen am Knie, eine Rehabilitationsbehandlung in ** empfohlen worden sei, welche in Haft nicht durchgeführt werden könne.
Mit dem angefochtenen Beschluss lehnte das Landesgericht für Strafsachen Graz als Vollzugsgericht nach Beischaffung der Vollzugsinformation (ON 3), der aktuellen Strafregisterauskunft und der VJ-Namensabfrage (ON 4 und 5), der ärztlichen Unterlagen (ON 8.2, ON 8.3, ON 8.5 und ON 9) sowie Einholung eines Sachverständigengutachtens (ON 11), der Stellungnahme der Staatsanwaltschaft (ON 1.5) und der Justizanstalt Graz-Karlau (ON 8.6) mit den darin enthaltenen Äußerungen der Anstaltsärzte (ON 7.2 und ON 8.7), den Antrag der Strafgefangenen nach Einräumung einer Äußerungsfrist zum Gutachten (ON 1.4 und ON 13), ab (ON 14).
Rechtliche Beurteilung
Dagegen richtet sich die (rechtzeitig) erhobene Beschwerde des A* (ON 16), die erfolglos bleibt.
Die Oberstaatsanwaltschaft äußerte sich inhaltlich nicht.
Das Erstgericht hat im bekämpften Beschluss (ON 14,2ff) sowohl die Sachlage in Bezug auf den Antrag auf (nachträglichen) Strafaufschub aktenkonform festgestellt als auch die anzuwendende gesetzliche Bestimmungen (§ 133 StVG) zutreffend dargelegt, sodass zur Vermeidung von Wiederholungen darauf verwiesen wird (abermals RIS-Justiz RS0124017 [T3]).
Ein nachträglicher Aufschub des Strafvollzugs gemäß § 133 Abs 1 StVG kommt dann in Betracht, wenn sich nachträglich herausstellt, dass die Einleitung des Strafvollzugs wegen Vollzugsuntauglichkeit aufzuschieben gewesen wäre und die dafür maßgebenden Umstände fortbestehen, wobei § 5 StVG dem Sinne nach anzuwenden ist.
Ebenso ist vorzugehen, wenn ein Strafgefangener während der Haft schwer erkrankt, einen Unfall mit schweren Folgen erleidet oder in einen sonstigen schweren körperlichen oder geistigen Schwächezustand verfällt und anzunehmen ist, dass sein Zustand mit naher Lebensgefahr verbunden ist oder für immer oder für lange Zeit fortbestehen wird (Abs 2 leg cit). Diese Bestimmung knüpft sohin an jene Fälle an, in denen ein Strafgefangener nach Antritt der Freiheitsstrafe infolge Erkrankung, Unfall oder eines sonstigen körperlichen oder geistigen Verfalls in einen solch gravierenden Zustand gerät, der Anlass für einen Strafaufschub nach § 5 Abs 1 StVG geboten hätte. Hinzuzutreten hat, dass der Zustand des Strafgefangenen mit naher Lebensgefahr verbunden ist oder wahrscheinlich für immer oder für lange Zeit fortbestehen wird.
Obgleich das Gesetz im § 133 Abs 2 StVG den Ausdruck der Vollzugsuntauglichkeit meidet, zeigen die Materialien, dass der Gesetzgeber die Begriffe der schweren Erkrankung, des Unfalls mit schweren Folgen oder des sonstigen Schwächezustands gleichbedeutend mit Vollzugsuntauglichkeit verstanden hat (siehe OLG Graz, 8 Bs 108/16t und 9 Bs 477/15p, so auch OLG Wien, 23 Bs 315/20x und OLG Linz, 7 Bs 79/16s). Nahe Lebensgefahr bedeutet die Wahrscheinlichkeit des baldigen Todes. Unter langer Zeit ist ein Zeitraum von mehr als einem Jahr zu verstehen ( Pieber , WK 2StVG § 133 Rz 6; Drexler/Weger, StVG 5 § 133 Rz 3). Der Gesetzgeber wollte schwer erkrankten Strafgefangenen mit nur noch kurzer Lebenserwartung und Schwerstbehinderten ein menschenwürdiges Leben und gegebenenfalls eine Vorbereitung auf den Tod außerhalb des Strafvollzugs ermöglichen ( Pieber , aaO Rz 6; siehe auch OLG Wien, 18 Bs 248/20g).
Vollzugstauglichkeit ist hingegen dann gegeben, wenn die Möglichkeit besteht, den Verurteilten von der Außenwelt abzuschließen, ihn sonstigen Beschränkungen der Lebensführung zu unterwerfen und ihn erzieherisch zu beeinflussen. So kommt es bei Beurteilung der Vollzugstauglichkeit nicht auf die Schwere der Krankheit allein an, sondern auf die Vereinbarkeit mit den Grundsätzen des Strafvollzuges (§ 20 StVG). Vollzugs un tauglichkeit ist vielmehr erst dann der Fall, wenn der Strafgefangene aufgrund geistigen oder körperlichen Leidens einschließlich Invalidität in einem Zustand ist, der ihn für eine nachhaltige erzieherische Beeinflussung untauglich macht. Dieser Zustand kann vorübergehender oder dauernder Natur sein. Jedenfalls müssen manifeste Krankheitsformen vorliegen. Auf die Schwere der Krankheit kommt es nicht an, jedoch ist davon auszugehen, dass je schwerer die Krankheit ist, desto weniger dem Erziehungsauftrag nachgekommen werden kann ( Drexler/Weger , aaO § 5 Rz 4 mwN).
Der Strafgefangene bekommt in der Justizanstalt die Möglichkeit zur Teilnahme an einer Physiotherapie (ON 7.2,1; ON 8.7,1; ON 8.6,3), die auch für den OP-Erfolg nach wie vor dringend als notwendig erachtet wird (ON 8.6,3). Aus dem Befund des Sachverständigen (ON 11,4) ergibt sich, dass sich der Zustand des rechten Kniegelenks durch die Therapie deutlich verbessert hat, sodass im Wesentlichen ein altersgemäßer unkomplikativer Heilungsverlauf vorliegt, wobei sowohl die erhobene Bewegungseinschränkung, als auch die messbare Atrophie der Oberschenkel- und Unterschenkelmuskulatur der Komplexität des Eingriffs entspricht (ON 11,7). Nach dem Sachverständigengutachten ist der Strafgefangene grundsätzlich in der Lage in Haft auf Grund der vielfachen Anleitungen im Rahmen diverser physiotherapeutischen Einzelbehandlungen selbständig Übungen durchzuführen, die auch in Österreich zur Verfügung stehenden Strafvollzugseinrichtungen gewährt werden können. Dies ist aus gutachterlicher Sicht auch ohne Gefahr für das Leben bzw. die Gesundheit des Strafgefangenen durchführbar (ON 11,7).
Ausgehend von diesem Gutachten hat das Erstgericht, welches den Gesundheitszustand des Strafgefangenen sorgfältig erhoben hat, die Rechtsfrage (siehe dazu Pieber, aaO § 5 Rz 12) des Nichtvorliegens der Vollzugsuntauglichkeit entgegen der Beschwerdebehauptungen rechtsrichtig gelöst. Basierend auf dem Gutachten ergeben sich keine Anhaltspunkte dafür, dass dieser grundsätzlich im Zuge einer Physiotherapie zu behandelnde Gesundheitszustand, der keine Vollzugsuntauglichkeit begründet, nunmehr mit naher Lebensgefahr (im Sinn der Wahrscheinlichkeit des baldigen Todes) verbunden wäre oder sich deutlich verschlechtern und wahrscheinlich für immer oder für lange Zeit fortbestehen würde, wodurch ein dem Wesen der Freiheitsstrafe (§ 20 StVG) entsprechender Strafvollzug nicht durchführbar wäre. Dass eine – allerdings noch gar nicht bewilligte (zu diesem Erfordernis siehe aber OLG Linz, 9 Bs 90/22g mwN) – stationäre Rehabilitation im Rehabilitationszentrum ** sinnvoll wäre und diese möglicherweise sogar eine Verbesserung des Zustandsbildes bewirken könnte, bringt der Sachverständige (siehe auch ON 9,1) deutlich zum Ausdruck (ON 11,7). Dies ändert aber nichts daran, dass medizinisch begründete Anhaltspunkte, die demgegenüber im Gesetzessinn auf eine aktuelle Vollzugsuntauglichkeit des Beschwerdeführers schließen ließen, bislang nicht hervorgekommen sind. Ob künftig Rehabilitationsmaßnahmen außerhalb der Vollzugsanstalt erforderlich sein werden, ist zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht zu prüfen (OLG Graz, 10 Bs 179/11s; OLG Linz, 8 Bs 180/21h und 8 Bs 86/13y). Demgemäß erübrigt sich eine, im Übrigen auch nicht innerhalb der Äußerungsmöglichkeit begehrte, Gutachtensergänzung. Die mit dem Aspekt auf eine Herstellung der Arbeitsfähigkeit argumentierenden Ausführungen in der Beschwerde dringen ebenfalls nicht durch. Der Frage der Arbeitsfähigkeit oder Arbeitsunfähigkeit eines Verurteilten (siehe hier ON 9) kommt bei der Beurteilung seiner Vollzugstauglichkeit unter dem Gesichtspunkt der Erreichung der Strafzwecke keine dominierende Bedeutung zu (RIS-Justiz RS0087420; OLG Graz, 9 Bs 320/22k, 9 Bs 68/19x, 8 Bs 225/17z). Erforderlich für eine Vollzugsuntauglichkeit ist – wie bereits ausgeführt – vielmehr, dass der Verurteilte für eine erzieherische Einflussnahme aufgrund seines geistigen oder körperlichen Leidens ungeeignet ist, was im gegenständlichen Fall auf Grund der vorliegenden Unterlagen nicht indiziert ist.
Da grundsätzlich davon auszugehen ist, dass die Vollzugsbehörden für eine ausreichende ärztliche Versorgung während eines Strafvollzugs nach den einschlägigen Gesetzesstellen vorgesorgt haben (§ 66 ff StVG), ist der Antrag auf Gewährung eines nachträglichen Strafaufschubs wegen Vollzugsuntauglichkeit zu Recht der Abweisung verfallen. Sollte es zu einer Verschlechterung der Beschwerden kommen, die eine Vollzugsuntauglichkeit begründen, steht unter diesem Gesichtspunkt einer neuerlichen Antragstellung die nunmehr entschiedene Rechtsache nicht im Weg (siehe dazu Nimmervoll , Zur Rechtskraft von Beschlüssen und der Umstandsklausel, JSt 2017, 599 [601] mwN).
Der Ausschluss eines weiteren Rechtszugs stützt sich auf § 89 Abs 6 StPO iVm § 17 Abs 1 Z 3 StVG.