JudikaturOGH

10ObS80/25z – OGH Entscheidung

Entscheidung
16. September 2025

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten Dr. Hargassner als Vorsitzenden und den Vizepräsidenten Hon. Prof. PD Dr. Rassi und den Hofrat Dr. Annerl sowie die fachkundigen Laienrichter Mag. Wolfgang Schrottmeyer und Mag. Arno Sauberer (beide aus dem Kreis der Arbeitgeber) in der Sozialrechtssache der klagenden Partei M*, vertreten durch Prutsch Lang Damitner, Rechtsanwälte in Graz, gegen die beklagte Partei Sozialversicherungsanstalt der Selbständigen, 1051 Wien, Wiedner Hauptstraße 84–86, wegen Witwenrente, über die außerordentliche Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Graz als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 11. Juni 2025, GZ 7 Rs 34/25m 33, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

Text

Begründung:

[1]Gegenstand des Verfahrens ist die Frage, zu welchem Zeitpunkt die Witwenrente nach § 51 Abs 4 BSVG anfiel.

[2]Die Klägerin ist Witwe nach ihrem am 14. 4. 2012 aufgrund eines Arbeitsunfalls verstorbenen Ehegatten, der damals in der Unfallversicherung (auch) nach dem BSVG pflichtversichert war.

[3] Die unehelichen Kinder des Verstorbenen stellten (durch ihren jeweiligen gesetzlichen Vertreter) am 3. und am 4. 5. 2012 Anträge auf Waisenpension bei anderen Versicherungsträgern, in denen auf einen Arbeitsunfall als Todesursache hingewiesen wurde.

[4] Die Klägerin ging am 22. 6. 2013 neuerlich eine Ehe ein, die am 9. 8. 2017 aufgelöst wurde.

[5] Die Klägerin stellte vor dem 6. 4. 2023 keinen Antrag auf Witwenrente und sie gab auch keine Unfallmeldung gegenüber einem Versicherungsträger ab. Am 6. 4. 2023 stellte sie (unter anderem) einen Antrag auf Witwenrente bei der Allgemeinen Unfallversicherungsanstalt, woraufhin der Akt letztlich an die beklagte Sozialversicherungsanstalt der Selbständigen abgetreten wurde, die das weitere Verfahren führte.

[6] Mit dem angefochtenen Bescheid erkannte die Beklagte der Klägerin nach dem Tod ihres (damaligen) Ehegatten eine Witwenrente im Ausmaß von 20 % der Bemessungsgrundlage (erst) ab 6. 4. 2023 zu.

[7] Die Vorinstanzen wiesen das auf Zahlung einer Witwenrente in gesetzlicher Höhe ab 14. 4. 2012 gerichtete Klagebegehren ab. Die innerhalb von zwei Jahren nach dem Tod des Ehegatten der Klägerin von den unehelichen Kindern bei anderen Versicherungsträgern gestellten Anträge auf Waisenpension seien nicht als Unfallmeldung anzusehen. Ein neu oder erst wieder entstandener Anspruch bilde außerdem keine Grundlage für eine rückwirkende Gewährung. Der angefochtene Bescheid habe somit der Sach- und Rechtslage entsprochen.

Rechtliche Beurteilung

[8] Die außerordentliche Revisionder Klägerin ist mangels Aufzeigens einer Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung im Sinn des § 502 Abs 1 ZPO nicht zulässig.

[9] 1.Nach der Grundregel des § 51 Abs 1 BSVG fallen Leistungen aus der Unfallversicherung mit dem Entstehen des Anspruchs an, die Witwenrente daher grundsätzlich bereits mit de m Tod des Versicherten. Dies gilt nach § 51 Abs 4 Satz 1 BSVG (e contrario) aber nur, wenn innerhalb von zwei Jahren entweder ein Antrag gestellt oder der Anspruch von Amts wegen festgestellt wurde. Beides ist unstrittig nicht der Fall, sodass die Witwenrente nach § 51 Abs 4 Satz 1 BSVG jedenfalls nicht mit dem Tod des (damaligen) Ehegatten der Klägerin angefallen sein kann. Soweit die Klägerin in der Revision von einem Anfall der Witwenrente mit diesem Zeitpunkt ausgeht, legt sie nicht offen, auf welche Rechtsgrundlage dies gestützt werden könnte.

[10] 2.Wurde innerhalb von zwei Jahren weder ein Antrag gestellt noch der Anspruch von Amts wegen festgestellt, hängt der Anfall nach § 51 Abs 4 Satz 1 BSVG davon ab, wie es zur Feststellung des Anspruchs kam. Wurde das Verfahren, das zur Feststellung des Anspruchs führte, aufgrund eines Antrags eingeleitet, fällt die Leistung mit de m Tag der Antragstellung a n. Wurde das Verfahren amtswegig eingeleitet, fällt die Leistung mit dem Tag der Einleitung des Verfahrens an. Das Verfahren, das zur Feststellung des Anspruchs der Klägerin führte, wurde nach dem festgestellten Sachverhalt allerdings – etwas anderes behauptet die Klägerin nicht – erst aufgrund der Antragstellung am 6. 4. 2023 eingeleitet. Mit diesem Zeitpunkt wurde der Klägerin der Anspruch auf Witwenrente zuerkannt (§ 71 Abs 2 ASGG).

[11] 3.Die Klägerin leitet einen früheren Anfall der Witwenrente aus § 51 Abs 4 Satz 2 BSVG ab. Danach gilt der Zeitpunkt des Einlangens einer Unfallmeldung als Tag der Einleitung des Verfahrens, wenn die Unfallmeldung innerhalb von zwei Jahren nach dem Eintritt des Versicherungsfalls erstattet wird und dem Versicherten zum Zeitpunkt der späteren Antragstellung oder Einleitung des Verfahrens noch ein Anspruch auf Rentenleistungen zusteht.

[12] 3.1.Diese Fiktion (der Einleitung des Verfahrens zum Zeitpunkt des Einlangens einer Unfallmeldung) setzt nach dem klaren Gesetzeswortlaut voraus, dass dem Versicherten zum Zeitpunkt der späteren Antragstellung oder Einleitung des Verfahrens „noch“ ein Anspruch auf Rentenleistungen zusteht. Dieses „noch“ ist nach der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs (zur Parallelbestimmung des § 86 Abs 4 Satz 2 ASVG) im Sinn von „noch immer“ zu verstehen. Es muss daher ein ununterbrochen aufrechter Anspruch vorliegen; ein erst neu oder wiederum entstandener Rentenanspruch bildet keine Grundlage für eine rückwirkende Gewährung ( RS0118069 [T1]).

[13] 3.2.Von dieser (auf § 51 Abs 4 Satz 2 BSVG zu übertragenden) Rechtsprechung weicht die Beurteilung der Vorinstanzen nicht ab. Die Witwenrente gebührt nur bis zur Wiederverheiratung (§ 149o Abs 1 BSVG) und lebt bei Auflösung der neuen Ehe auf Antrag wieder auf (§ 149p Abs 2 BSVG). Für die Frage, ob noch ein Anspruch auf Rentenleistung zusteht, ist – entgegen der Behauptung der Klägerin – nicht auf den Zeitpunkt des Einlangens der Unfallmeldung abzustellen, sondern nach dem klaren Gesetzeswortlaut auf den Zeitpunkt der späteren Antragstellung oder Einleitung des Verfahrens. Zu diesen Zeitpunkten war der Anspruch der Klägerin nach der Auflösung der neuerlichen Ehe wiederum entstanden, was einem rückwirkenden Anfall mit dem Einlangen einer Unfallmeldung entgegen steht. Das von der Klägerin in der außerordentlichen Revision behauptete Fehlverhalten eines Versicherungsträgers, dass trotz Unfallmeldung kein Verfahren zur Feststellung des Anspruchs eingeleitet worden sei, ändert daran nichts ( 10 ObS 154/16v ErwGr 2.4).

[14] 3.3. Auf die in der Revision weiters thematisierte Frage, ob die festgestellten Waisenpensionsanträge – entgegen der Rechtsansicht der Vorinstanzen – als Unfallmeldung anzusehen sind, kommt es nicht entscheidend an, sodass darauf nicht einzugehen ist.