15Os62/25v – OGH Entscheidung
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat am 16. Juli 2025 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Mag. Lendl als Vorsitzenden, die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Michel-Kwapinski und Dr. Sadoghi sowie die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Mag. Riffel und Dr. Farkas in Gegenwart der Schriftführerin Mag. Artner in der Strafsache gegen * W* wegen der Verbrechen der Aufforderung zu nationalsozialistischer Wiederbetätigung nach § 3d Abs 1 VerbotsG und weiterer strafbarer Handlungen, AZ 17 Hv 3/25t des Landesgerichts Feldkirch, über die von der Generalprokuratur gegen einen Vorgang in diesem Verfahren erhobene Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes und die Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichts Feldkirch als Geschworenengericht vom 29. April 2025, GZ 17 Hv 3/25t-76, sowie dessen Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Anmeldung der Nichtigkeitsbeschwerde und der Berufung gegen das genannte Urteil nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters der Generalprokuratur, Generalanwalt Mag. Kranz, und der Verteidigerin Mag. Leitner zu Recht erkannt:
Spruch
Im Verfahren AZ 17 Hv 3/25t des Landesgerichts Feldkirch verletzt die Zulassung einer zur Verteidigung des Angeklagten nicht befugten Person in der – somit ohne Verteidiger (§ 48 Abs 1 Z 5 StPO) durchgeführten – Hauptverhandlung am 29. April 2025 vor dem Geschworenengericht § 61 Abs 1 Z 4 StPO.
Das Urteil des Landesgerichts Feldkirch als Geschworenengericht vom selben Tag, GZ 17 Hv 3/25t-76, wird aufgehoben und die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung an dieses Gericht verwiesen.
Mit seinem Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand und seiner Nichtigkeitsbeschwerde wird der Angeklagte auf diese Entscheidung verwiesen.
Text
Gründe:
[1]Mit auf dem Wahrspruch der Geschworenen beruhenden, unbekämpft gebliebenem Urteil des Landesgerichts Feldkirch als Geschworenengericht vom 29. April 2025, GZ 17 Hv 3/25t-76, wurde * W* der Verbrechen der Aufforderung zu nationalsozialistischer Wiederbetätigung nach § 3d Abs 1 VerbotsG (A./) und der Verbrechen der nationalsozialistischen Wiederbetätigung nach § 3g Abs 1 und Abs 2 VerbotsG (B./a./) sowie nach § 3g Abs 1 VerbotsG (B./b./) schuldig erkannt und zu einer Freiheitsstrafe verurteilt.
[2] In der der Urteilsfällung vorausgegangenen Hauptverhandlung am 29. April 2025 war nach dem Inhalt des darüber aufgenommenen Protokolls „RAA Dr. * Y* (große LU)“ für den als Verfahrenshilfeverteidiger bestellten (ON 25) RA Dr. * T*, Rechtsanwalt in D*, eingeschritten (ON 75, 2).
[3]Aufgrund der Umbestellung des Verfahrenshilfeverteidigers mit Bescheid der V* Rechtsanwaltskammer vom 20. Mai 2025 wurde bekannt, dass „Dr. * Y* […] zum Zeitpunkt der Verrichtung der Hauptverhandlung vom 29.04.2025 weder eingetragener Rechtsanwalt noch eingetragener Rechtsanwaltsanwärter“ war und „zu diesem Zeitpunkt auch nicht über eine Legitimationsurkunde gemäß § 15 RAO (weder über eine kleine noch über eine große Legitimationsurkunde)“ verfügte (ON 84.2, 2; siehe auch ON 96.5).
[4] Anlässlich des Einlangens dieses Bescheids hielt der Vorsitzende in einem Aktenvermerk vom 21. Mai 2025 F olgendes fest:
„Der Verfahrenshilfeverteidiger Dr. T* wurde am 18.03.2025 nachweislich zur Hauptverhandlung geladen. Wenige Tage vor der Hauptverhandlung erschien bei mir Dr. * Y* und kündigte mir an, dass er als Konzipient von Dr. T* die Hauptverhandlung verrichten werde. Im Zuge dieses Gesprächs fragte ich unter anderem, ob er über eine große LU verfüge, was er bejahte“ (ON 87).
[5]Eine Überprüfung der Legitimation des Dr. * Y* als Verteidiger (§ 48 Abs 1 Z 5 StPO) durch Einsichtnahme in eine Legitimationsurkunde ist nach der Aktenlage unterblieben.
Rechtliche Beurteilung
[6] Wie die Generalprokuratur in ihrer zur Wahrung des Gesetzes ergriffenen Nichtigkeitsbeschwerde zutreffend aufzeigt, steht der Vorgang der Zulassung einer zur Verteidigung des Angeklagten nicht befugten Person in der Hauptverhandlung am 29. April 2025 vor dem Geschworenengericht mit dem Gesetz nicht in Einklang:
[7]Gemäß § 61 Abs 1 Z 4 StPO muss der Angeklagte in der Hauptverhandlung vor dem Landesgericht als Geschworenengericht durch einen Verteidiger vertreten sein.
[8]Verteidiger ist eine zur Ausübung der Rechtsanwaltschaft, eine sonst gesetzlich zur Vertretung im Strafverfahren berechtigte oder eine Person, die an einer inländischen Universität die Lehrbefugnis für Strafrecht und Strafprozessrecht erworben hat, sobald sie der Beschuldigte als Rechtsbeistand bevollmächtigt hat, und eine Person, die dem Beschuldigten nach den Bestimmungen der StPO als Rechtsbeistand bestellt wurde (§ 48 Abs 1 Z 5 StPO).
[9]§ 15 Abs 1 RAO bestimmt, dass sich der Rechtsanwalt, wenn seine Beiziehung gesetzlich vorgeschrieben ist, vor allen Gerichten und Behörden auch durch einen bei ihm in Verwendung stehenden substitutionsberechtigten Rechtsanwaltsanwärter unter seiner Verantwortung vertreten lassen kann. § 15 Abs 2 RAO erklärt jeden Rechtsanwaltsanwärter, der die Rechtsanwaltsprüfung mit Erfolg abgelegt hat, für substitutionsberechtigt, darüber hinaus jene, denen vom Ausschuss der Rechtsanwaltskammer dieses Erfordernis nachgesehen wurde.
[10]Andere Rechtsanwaltsanwärter, auf die diese Voraussetzungen nicht zutreffen und die mithin nicht substitutionsberechtigt sind, sind gemäß § 15 Abs 3 RAO lediglich in jenen Fällen vertretungsbefugt, in welchen die Beiziehung eines Rechtsanwalts gesetzlich nicht vorgeschrieben ist.
[11]Gemäß § 15 Abs 4 RAO ist die Substitutionsbefugnis (§ 15 Abs 2 RAO) aus einer vom Ausschuss der Rechtsanwaltskammer auszustellenden sogenannten großen Legitimationsurkunde, und die Vertretungsbefugnis nach § 15 Abs 3 RAO aus einer sogenannten kleinen Legitimationsurkunde ersichtlich. Daraus folgt, dass die jeweilige Vertretungsbefugnis eines für einen Rechtsanwalt einschreitenden Rechtsanwaltsanwärters jederzeit durch Einsichtnahme in eine von diesem vorzuweisende entsprechende Legitimationsurkunde überprüft werden kann.
[12]Aus der gesetzlichen Anordnung der notwendigen Verteidigung im Fall des § 61 Abs 1 Z 4 StPO als Prozessvoraussetzung folgt die Verpflichtung des Gerichts zur Überprüfung der erforderlichen Verteidigerlegitimation des jeweils einschreitenden Vertreters (vgl auch § 58 Abs 2 StPO; RIS-Justiz RS0097281 [T1]).
[13]Dieser Verpflichtung ist der Vorsitzende durch die wenige Tage vor der Hauptverhandlung erfolgte (bloße) Nachfrage, ob der (ihm ausgehend von der Aktenlage auch nicht von Vertretungstätigkeiten in anderen Strafverfahren bekannte) als Konzipient des Verfahrenshilfeverteidigers auftretende Dr. * Y* „über eine große LU verfüge“, ohne spätestens nach Beginn der Hauptverhandlung (§ 304 StPO) dessen Legitimation zum Einschreiten als Verteidiger durch Einsichtnahme in eine entsprechende Legitimationsurkunde zu überprüfen, fallbezogen nicht nachgekommen (vgl zu einer solchen Einsichtnahme als adäquate Überprüfungsmaßnahme Kirchbacher, StPO 15 § 281 Rz 28/1).
[14]Durch die solcherart erfolgte Zulassung einer zur Verteidigung des Angeklagten nicht (gemäß § 15 Abs 2 RAO) befugten Person in der somit ohne Verteidiger (§ 48 Abs 1 Z 5 StPO) durchgeführten Hauptverhandlung vor dem Geschworenengericht wurde daher § 61 Abs 1 Z 4 StPO verletzt (14 Os 124/15i, 12 Os 94/18t).
[15]Da ein aus der aufgezeigten Gesetzesverletzung resultierender Nachteil für den Verurteilten nicht ausgeschlossen werden kann, sah sich der Oberste Gerichtshof veranlasst, deren Feststellung auf die im Spruch ersichtliche Weise mit konkreter Wirkung zu verknüpfen (§ 292 letzter Satz StPO; RIS-Justiz RS0097281).
[16] Mit seinem Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Anmeldung der Nichtigkeitsbeschwerde und der Berufung gegen das Urteil des Landesgerichts Feldkirch als Geschworenengericht vom 29. April 2025, GZ 17 Hv 3/25t-76, war der Verurteilte ebenso auf die Erledigung der Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes zu verweisen wie mit seiner Nichtigkeitsbeschwerde (ON 102).