1Ob174/24f – OGH Entscheidung
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Hofrat Mag. Dr. Wurdinger als Vorsitzenden sowie die Hofrätinnen und Hofräte Dr. Steger, Mag. Wessely Kristöfel, Dr. Parzmayr und Dr. Pfurtscheller als weitere Richterinnen und Richter in der Rechtssache der klagenden Partei C*, vertreten durch die Poduschka Partner Anwaltsgesellschaft mbH in Linz, gegen die beklagte Partei A* AG, *, Deutschland, vertreten durch die Pressl Endl Heinrich Bamberger Rechtsanwälte GmbH in Salzburg, wegen 6.300 EUR sA und Feststellung, über die Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Landesgerichts Linz als Berufungsgericht vom 16. Juli 2024, GZ 6 R 43/24v 22, mit dem das Urteil des Bezirksgerichts Traun vom 31. Jänner 2024, GZ 2 C 215/23z 17, teilweise abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Das Verfahren wird bis zur Entscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union (EuGH) über das Vorabentscheidungsersuchen vom 27. Oktober 2023 des Landgerichts Ravensburg (Deutschland), Rechtssache C 666/23, unterbrochen.
Nach Vorliegen der Vorabentscheidung wird das Verfahren von Amts wegen fortgesetzt.
Text
Begründung:
[1] Der Kläger erwarb am 9. 10. 2020 einen von der Beklagten hergestellten (gebrauchten) Audi A6 mit einem Dieselmotor der Abgasklasse Euro 5 um 21.000 EUR.
[2] I m Fahrzeug ist eine Regelung verbaut, bei der es nur bei höheren Umgebungstemperaturen als zirka 17 Grad Celsius zu keiner relevanten Veränderung der Ansteuerung des Abgasrückführventils (AGR) komm t. U nter diesem Wert findet eine Erhöhung der Schadstoffemissionen und damit eine Verringerung der Wirksamkeit des Emissionskontrollsystems statt.
[3] Es konnte nicht festgestellt werden, ob beim Fahrzeug ein Software-Update, durch das es zu einer erheblichen Reduktion des Stickoxid-Ausstoßes komm t , aufgespielt wurde.
[4] Der Kläger begehrte – gestützt auf das Vorliegen einer unzulässigen Abschalteinrichtung im Sinn von Art 5 Abs 2 der VO 715/2007/EG – von der Beklagten die Zahlung von 6.300 EUR sA (Minderwert von 30 %) und Feststellung.
[5] Die Beklagte wendete insbesondere ein, es liege keine unzulässige Abschalteinrichtung, jedenfalls aber kein Verschulden vor. Sollte das Thermofenster als unzulässige Abschalteinrichtung zu qualifizieren sein, läge ein entschuldbarer Rechtsirrtum vor, da diese Einrichtungen – wie auch die Taxischaltung und die Höhenabschaltung – bis heute von der zuständigen Behörde, dem Kraftfahrt Bundesamt (KBA), für zulässig erachtet würden.
[6] Das Erstgericht wies das Klagebegehren mangels unzulässiger Abschalteinrichtung ab.
[7] Das Berufungsgericht gab über Berufung des Klägers dem Klagebegehren mit einem Teilbetrag von 5.250 EUR sA statt (Minderwert von 25 % des Kaufpreises) und erklärte die ordentliche Revision für zulässig.
[8] Nach den Feststellungen liege eine temperaturabhängige Regelung eines Teils des Emissionskontrollsystems (AGR) vor, welche die Wirksamkeit des Emissionskontrollsystems verringere. Diese Regelung sei als unzulässige Abschalteinrichtung zu qualifizieren. Die Negativfeststellung zum Aufspielen des Software Updates gehe zu Lasten der Beklagten.
[9] Der festgestellte Sachverhalt lasse nicht erkennen, in Kenntnis welcher Fakten das KBA (rechtsirrig) welche vorhandene Einrichtung konkret gebilligt habe sowie ob und aufgrund welcher konkreten Umstände die Beklagte einem der Rechtsansicht des KBA entsprechenden Rechtsirrtum unterlegen sein soll. Auf das „Bewusstsein“ eines Gesetzesverstoßes komme es wegen der „Schutzgesetzverletzung und der diesbezüglich geltenden Beweislastumkehr auf Ebene der subjektiven Vorwerfbarkeit nicht an“.
[10] Die ordentliche Revision sei insbesondere zulässig, weil eine Klarstellung wünschenswert wäre, ob im Hinblick auf die Rechtsprechung zum Rechtsirrtum das „Bewusstsein“ der Herstellerin eines Fahrzeugs, dass die Abschalteinrichtung (Thermofenster) unzulässig sei, als Tatbestandsmerkmal für einen auf eine Schutzgesetzverletzung gestützten Zuspruch erforderlich sei.
[11] Gegen diese Entscheidung richtet sich die Revision der Beklagten , die eine (gänzliche) Abweisung des Klagebegehrens anstrebt.
Rechtliche Beurteilung
[12] Das Revisionsverfahren ist zu unterbrechen .
[13] 1. Im Verfahren 2 O 331/19 ua hat das Landgericht Ravensburg (Deutschland) am 27. 10. 2023 dem Gerichtshof der Europäischen Union (C 666/23) folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:
„ 1. Kann der Schadenersatzanspruch des Fahrzeugerwerbers gegen den Fahrzeughersteller wegen fahrlässigen Inverkehrbringens eines Fahrzeugs mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung im Sinne von Art. 5 Abs. 2 VO (EG) Nr. 715/2007 mit der Begründung verneint werden,
a) dass ein unvermeidbarer Verbotsirrtum des Herstellers vorliege?
wenn ja:
b) dass der Verbotsirrtum für den Hersteller unvermeidbar sei, da die für die EG Typgenehmigung oder für anschließende Maßnahmen zuständige Behörde die eingebaute Abschalteinrichtung tatsächlich genehmigt hat?
wenn ja:
c) dass der Verbotsirrtum für den Hersteller unvermeidbar sei, da die Rechtsauffassung des Fahrzeugherstellers von Art. 5 Abs. 2 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 bei entsprechender Nachfrage von der für die EG Typgenehmigung oder für anschließende Maßnahmen zuständigen Behörde bestätigt worden wäre (hypothetische Genehmigung)? “
[14] 2. Auch im vorliegenden Fall ist die Beantwortung dieser Vorlagefragen für die Entscheidung über die Revision der Beklagten von Relevanz.
[15] 3. Der Oberste Gerichtshof hat von einer allgemeinen Wirkung der Vorabentscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union auszugehen und diese auch für andere Fälle als den unmittelbaren Anlassfall anzuwenden. Aus prozessökonomischen Gründen ist das Verfahren daher zu unterbrechen (RS0110583).