23Ds12/23a – OGH Entscheidung
Kopf
Der Oberste Gerichtshof als Disziplinargericht für Rechtsanwälte und Rechtsanwaltsanwärter hat am 9. September 2024 durch die Senatspräsidentin des Obersten Gerichtshofs Mag. Hetlinger als Vorsitzende, den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Musger als weiteren Richter sowie die Rechtsanwälte Mag. Brunar und Mag. Stolz als Anwaltsrichter in Gegenwart der Schriftführerin Fleischhacker in der Disziplinarsache gegen *, Rechtsanwalt in *, wegen Disziplinarvergehen der Verletzung von Berufspflichten und der Beeinträchtigung der Ehre oder des Ansehens des Standes nach § 1 Abs 1 erster und zweiter Fall DSt über die Berufung des Beschuldigten gegen das Erkenntnis des Disziplinarrats der Rechtsanwaltskammer * vom 22. Februar 2023, GZ D 130/20, D 87/21 31, nach mündlicher Verhandlung in Anwesenheit der Vertreterin der Generalprokuratur, Generalanwältin Dr. Schreiber LL.M., des Kammeranwalts Dr. Meyenburg und des Beschuldigten zu Recht erkannt:
Spruch
In teilweiser Stattgebung der Berufung wird das angefochtene Erkenntnis, das im Übrigen unberührt bleibt, in der rechtlichen Beurteilung der den Schuldsprüchen zu 1./ und 2./ zugrunde liegenden Taten (jeweils auch) als Disziplinarvergehen der Beeinträchtigung von Ehre oder Ansehen des Standes nach § 1 Abs 1 zweiter Fall DSt ersatzlos und demgemäß auch im Strafausspruch aufgehoben und der Beschuldigte für die ihm weiterhin zur Last liegenden Disziplinarvergehen der Berufspflichtenverletzung nach § 1 Abs 1 erster Fall DSt zu einer Geldbuße von 2.000 Euro verurteilt.
Gemäß § 16 Abs 2 DSt wird der Vollzug der Disziplinarstrafe unter Setzung einer Probezeit von drei Jahren bedingt nachgesehen.
Im Übrigen wird der gegen den Ausspruch über die Schuld gerichteten Berufung nicht Folge gegeben. Mit seiner Berufung gegen den Ausspruch über die Strafe wird der Beschuldigte auf diese Entscheidung verwiesen.
Ihm fallen auch die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.
Text
Gründe:
[1] Mit dem angefochtenen Erkenntnis wurde – soweit hier wesentlich – Rechtsanwalt * je zweier Disziplinarvergehen der Verletzung von Berufspflichten und der Beeinträchtigung der Ehre oder des Ansehens des Standes nach § 1 Abs 1 erster und zweiter Fall DSt (iVm § 19 RL BA 2015) schuldig erkannt und nach § 16 Abs 1 (richtig:) Z 2 DSt zu einer unter Bestimmung einer dreijährigen Probezeit bedingt nachgesehenen (§ 16 Abs 2 letzter Satz DSt) Geldbuße von 2.500 Euro verurteilt.
[2] Nach dem Inhalt des Schuldspruchs hat er am 8. März 2021
1./ den Rechtsanwalt einer anderen Partei umgangen, indem er als Rechtsvertreter des * die zugrunde liegende Streitsache in einem Telefonat mit * unter Umgehung dessen Rechtsanwalts * besprach, und
2./ den Inhalt dieses Telefongesprächs in einem Schreiben an Rechtsanwalt * einseitig zu Gunsten seines eigenen Mandanten geschildert und wissentlich falsche Erklärungen getätigt, indem er Einsichtigkeit des * für die Forderungen des * behauptete.
Rechtliche Beurteilung
[3] Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die gegen die Aussprüche über die Schuld (zur Geltendmachung von Nichtigkeitsgründen in deren Rahmen siehe RIS Justiz RS0128656 [T1]) und die Strafe (§ 49 letzter Satz DSt) gerichtete Berufung des Disziplinarbeschuldigten.
[4] Einleitend ist zur – in der mündlichen Berufungsverhandlung wiederholten – schriftlichen Anregung einer Antragstellung iSd Art 89 Abs 2 B VG iVm Art 140 Abs 1 B VG betreffend die Wortfolge „die Rechtsanwälte oder Rechtsanwaltsanwärter sein müssen“ in § 51 Abs 1 zweiter Satz DSt auszuführen, dass dazu schon mit Blick auf die einschlägige Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofs zur Verfassungskonformität der Bestimmung des § 51 Abs 1 DSt keine Veranlassung bestand (VfGH B 1457/10 VfSlg 19.459). Gegenteiliges vermag der Beschuldigte nicht aufzuzeigen. § 51 Abs 1 DSt dient dem Schutz der Vertraulichkeit des Disziplinarverfahrens. Auch beigezogenen Vertrauenspersonen sind Mitteilungen über den Inhalt der Verhandlung untersagt, sofern diese nicht – über Antrag des Beschuldigten – öffentlich ist. Ein Verstoß gegen diese Verpflichtung kann nicht nur Strafbarkeit nach § 301 Abs 1 und Abs 2 zweiter Fall StGB begründen, sondern zudem ein Disziplinarvergehen nach § 79 DSt darstellen, dessen Schutzobjekt neben dem Disziplinarbeschuldigten selbst auch der Rechtsanwaltsstand in seiner Gesamtheit ist ( Engelhart/Hoffmann/Lehner/Rohregger/Vitek , RAO 11 § 32 DSt Rz 1, § 79 DSt Rz 1). Im Disziplinarverfahren gegen Rechtsanwälte und Rechtsanwaltsanwärter wird demnach die Vertraulichkeit durch dieses Verbot entsprechender Mitteilungen an die Öffentlichkeit besonders abgesichert. Nur Rechtsanwälte und Rechtsanwaltsanwärter unterliegen der Disziplinargerichtsbarkeit der Rechtsanwaltskammern. Dies trifft auf emeritierte Rechtsanwälte nicht zu, deren Berechtigung zur Ausübung der Rechtsanwaltschaft durch Verzicht erloschen ist (§ 34 Abs 1 Z 1, Abs 1 letzter Satz RAO; RIS Justiz RS0054824 und RS0072282). Eine vom Beschuldigten behauptete, dem Gleichheitsgrundsatz (Art 7 B VG; Art 2 StGG) widersprechende unsachliche Differenzierung im Verhältnis zu nicht dem Rechtsanwaltsstand angehörigen Personen ist daher nicht auszumachen.
[5] Der Berufung kommt teilweise Berechtigung zu.
[6] Nach den wesentlichen Feststellungen bestand zwischen * und dessen Sohn * seit dem Jahr 2020 eine Auseinandersetzung in Zusammenhang mit der Übergabe des Unternehmens des Erstgenannten an *, wobei insbesondere der Übergabezeitpunkt und eine mögliche Substanzbeteiligung des Übernehmers strittig waren. * wurde dabei durch den Beschuldigten, * durch Rechtsanwalt * vertreten.
[7] Am 8. März 2021 wandte sich * in dieser Angelegenheit telefonisch direkt an den Beschuldigten. Der Anruf wurde von dessen Kanzlei an seinen damals aktuellen Aufenthaltsort in * verbunden.
[8] * stellte sich dem Beschuldigten sofort als Vater von dessen Mandanten vor und bat um ein Gespräch, obwohl er anlässlich eines früheren Anrufs bei der vormaligen Rechtsvertreterin seines Sohnes von dieser darüber aufgeklärt worden war, dass Rechtsanwälten die Erörterung einer Streitsache mit einer anwaltlich vertretenen Gegenpartei unter Umgehung deren Vertreters nicht erlaubt ist.
[9] Der Beschuldigte ließ sich bewusst auf das Gespräch ein, das etwa sieben bis zehn Minuten dauerte. Im Rahmen des Telefonats zog er die Gesprächsführung an sich und besprach die Streitsache aktiv mit *. Er sicherte diesem zu, sich dafür einzusetzen, dass eine bereits vorbereitete Klage gegen ihn nicht eingebracht werde, und versuchte den gegnerischen Mandanten dazu zu bewegen, das Unternehmen an seinen Sohn zu übergeben und in Pension zu gehen. Dies wurde von * entschieden abgelehnt. Über eine Substanzbeteiligung, die „Aufteilung“ oder eine sonstige prozentuale Beteiligung wurde nicht gesprochen.
[10] Mit E Mail vom selben Tag setzte der Beschuldigte den Gegenanwalt * von diesem Telefonat in Kenntnis. Darin stellte er den Gesprächsinhalt jedoch einseitig zu Gunsten seines eigenen Mandanten dar und behauptete wahrheitswidrig, * habe sich in Bezug auf die Forderungen seines Sohnes *, insbesondere was dessen 40%ige Substanzbeteiligung beträfe, „einsichtig“ gezeigt.
[11] Der Beschuldigte war zu den Tatzeitpunkten in Kenntnis des anwaltlichen Berufs- und Standesrechts, somit der tragenden Grundprinzipien der Berufsausübung, welche sich in den RL BA 2015, der RAO und in § 1 DSt manifestieren. Er wusste, dass * anwaltlich vertreten war, dass eine Erörterung der Streitsache unter Umgehung des gegnerischen Rechtsanwalts gegen Standesrecht verstößt und dass die Darstellung des Telefonats gegenüber * nicht der Wahrheit entsprach. Er handelte in beiden Fällen zumindest bedingt vorsätzlich (ES 6 f, 9 f).
[12] Diese Feststellungen stützte der Disziplinarrat in objektiver Hinsicht im Wesentlichen auf die für glaubwürdig erachteten Angaben des * im Verein mit der im Tatsächlichen geständigen Verantwortung des Beschuldigten, dessen Schreiben an * vom 8. März 2021 (Beilage ./V 9) sowie eine Gegenüberstellung der bereits mehr als einjährigen Dauer der Auseinandersetzung zwischen Vater und Sohn und der Dauer des Telefonats (ES 8 f iVm ES 7). Die Feststellungen zur subjektiven Tatseite wurden – mit hinreichender Deutlichkeit – aus dem objektiven Tatgeschehen abgeleitet (ES 9 ff).
[13] Die Mängelrüge wendet Unvollständigkeit (§ 281 Abs 1 Z 5 zweiter Fall StPO) dieser Begründung zufolge unterbliebener Erörterung eines Teils der Aussage des Zeugen * sowie der Verantwortung des Beschuldigten ein.
[14] Dieser Nichtigkeitsgrund liegt vor, wenn bei der für die Feststellung entscheidender Tatsachen angestellten Beweiswürdigung erhebliche, in der Verhandlung vorgekommene (§ 13 Abs 3 zweiter Satz, § 258 Abs 1 StPO) Verfahrensergebnisse unberücksichtigt geblieben sind (RIS Justiz RS0098646). Entscheidend sind nur solche Tatsachen, die für die Lösung der Schuld- oder der Subsumtionsfrage von Bedeutung sein können (RIS Justiz RS0117264).
[15] Zur prozessordnungskonformen Geltendmachung von Unvollständigkeit muss die Rüge daher nicht nur in diesem Sinn erörterungsbedürftige Verfahrensergebnisse konkret bezeichnen, sondern diese auch in ihrem Sinnzusammenhang berücksichtigen. Sie darf sich nicht bloß auf einzelne Details daraus berufen (RIS Justiz RS0116504 [insbes T4]).
[16] Diesen Anforderungen wird die Berufung – auch unter dem Aspekt von Unvollständigkeit der Beurteilung der Überzeugungskraft von Personalbeweisen (RIS Justiz RS0119422) – nicht gerecht.
[17] Die zunächst als übergangen reklamierte – zudem sinnentstellend verkürzt wiedergegebene – Passage aus der Aussage des Zeugen *, er habe versucht, die Sache „so gut es geht“ aus seinem Gedächtnis zu löschen, er habe sie „eigentlich“ aus seinem Bewusstsein gelöscht, für ihn bliebe „nur der 22. März“ 2021 (der Tag der Zustellung der letztlich gegen ihn eingebrachten Klage), bezog sich nämlich bei gebotener – von der Berufung indes unterlassener – Gesamtbetrachtung unmissverständlich bloß auf Korrespondenz zwischen * und dem Beschuldigten und die schriftliche Geltendmachung der Forderungen des *. Erinnerungslücken betreffend das hier verfahrensgegenständliche Telefonat hat der Zeuge nicht behauptet, dessen Inhalt und Begleitumstände vielmehr im unmittelbaren Anschluss an die in der Berufung hervorgehobene Aussagepassage detailliert geschildert (zum Ganzen ON 30 S 4 f).
[18] Dass * um die standesrechtliche Problematik einer Kontaktaufnahme mit dem gegnerischen Anwalt ohne Einbeziehung des eigenen Rechtsvertreters wusste (ON 30 S 5 f), hielt der Disziplinarrat ohnehin für erwiesen (ES 6), womit der Einwand von Unvollständigkeit auch insoweit ins Leere geht. Im Übrigen bleibt unklar, inwiefern dieses Eingeständnis des Zeugen im Widerspruch zur Beurteilung seiner Angaben als glaubwürdig stehen sollte (vgl RIS Justiz RS0098646 [T8]).
[19] Mit der Verantwortung des Beschuldigten hat sich der Disziplinarrat hinwieder eingehend auseinandergesetzt und ist (auch) auf deren Basis davon ausgegangen, dass die Kontaktaufnahme nicht von ihm ausging, dass der Anruf ihn in „privater Atmosphäre“ kurz nach einem „Powernap“ erreichte und dass es sich nach seiner Einschätzung um ein Gespräch „zwischen Vätern bzw Wachauern“ handelte (ES 6 und 8). Aus welchen Gründen dem leugnenden Teil seiner Einlassung nicht gefolgt und insbesondere in Bezug auf den Inhalt des verfahrensgegenständlichen Telefonats die diesbezügliche Aussage des Zeugen * für glaubwürdiger erachtet wurde, wurde im Erkenntnis dargelegt (US 8 f). Zu einer gesonderten Erörterung von weiteren – oder gar sämtlichen vom Berufungswerber hervorgehobenen – Details der Verantwortung bestand schon aufgrund des Gebots zur gedrängten Darstellung der Entscheidungsgründe (§ 270 Abs 2 Z 5 StPO iVm § 77 Abs 3 DSt) unter dem Gesichtspunkt von Unvollständigkeit keine Veranlassung (RIS Justiz RS0098778, RS0106295).
[20] Davon abgesehen sind die angesprochenen Angaben des Beschuldigten zur „tatsächlichen Dimension des gegenständlichen Sachverhalts“, zur „menschlichen und standesrechtlichen Konflikt- und Ausnahmesituation“, in der er sich befunden haben will, sowie zu den „sonstigen Begleitumständen“ nicht erheblich für die Feststellungen zu entscheidenden Tatsachen.
[21] Indem der Berufungswerber ausführlich seine Gründe für die Führung des Telefonats mit * wiederholt, darauf verweist, dass er Rechtsanwalt * sofort im Nachhinein in Kenntnis gesetzt und nie die Absicht gehabt habe, diesen zu umgehen, und weiters betont, dass der Sachverhalt nach seinem Verständnis nicht von der „Richtlinienbestimmung“ umfasst sei (vgl ON 24 S 3 ff), zeigt er einen formalen Begründungsmangel, der – solcherart der Sache nach kritisierten – Feststellungen zur subjektiven Tatseite (ES 6, 9 f) nicht auf. Schließlich lässt das gesamte Vorbringen außer Acht, dass bereits fahrlässiges Handeln für disziplinäres Verhalten hinreicht und die objektive Sorgfaltswidrigkeit eines Verhaltens dessen subjektive Sorgfaltswidrigkeit indiziert ( Engelhart/Hoffmann/Lehner/Rohregger/Vitek , RAO 11 § 1 DSt Rz 7/1; Burgstaller/Schütz in WK² StGB § 6 Rz 90; RIS Justiz RS0088909).
[22] Die auf dem bisherigen Vorbringen aufbauende, auf Basis eigener Sachverhaltsannahmen und unter Verweis auf im Rechtsmittel wiedergegebene Entscheidungen des Obersten Gerichtshofs erneut aufgestellte Behauptung, der gegenständliche Sachverhalt falle nicht in den Anwendungsbereich des § 19 RL BA 2015, unterlässt jegliche Bezugnahme auf die Anfechtungskriterien einer Mängelrüge.
[23] Der – vor der Rechtsrüge zu behandelnden ( Ratz , WK StPO § 476 Rz 9) – Berufung wegen des Ausspruchs über die Schuld (im engeren Sinn; § 464 Z 2 erster Fall StPO) kommt gleichfalls keine Berechtigung zu.
[24] Der Disziplinarrat hat sämtliche für und wider den Beschuldigten sprechenden Verfahrensergebnisse, so auch dessen teilweise leugnende Verantwortung, einer nachvollziehbaren, widerspruchsfreien und der Lebenserfahrung entsprechenden Würdigung unterzogen (vgl dazu auch Engelhart/Hoffmann/Lehner/Rohregger/Vitek , RAO 11 § 49 DSt Rz 2) und mit schlüssiger Begründung – der sich der Oberste Gerichtshof im Rahmen der Prüfung der Beweise anschließt (vgl Ratz , WK StPO § 467 Rz 2) – dargelegt, wie er zu den entscheidungswesentlichen Sachverhaltsannahmen gelangte.
[25] Mit dem erneuten Hinweis auf die im Rahmen der Mängelrüge als übergangen reklamierten Passagen aus der Aussage des – im Rechtsmittel mehrfach als „notorischer und beratungsresistenter Provocateur“ von Rechtsanwälten bezeichneten – Zeugen *, der Wiederholung der – disziplinäres Fehlverhalten in Abrede stellenden – Verantwortung des Beschuldigten und daran anknüpfenden eigenen Beweiswerterwägungen gelingt es der Berufung nicht, Bedenken an dieser erstinstanzlichen Beweiswürdigung zu wecken und solcherart die getroffenen Feststellungen substantiiert in Frage zu stellen. Das trifft auch auf das in der mündlichen Berufungsverhandlung erstattete ergänzende Vorbringen zu, die Unglaubwürdigkeit der Aussage des Zeugen * ergebe sich zudem einerseits aus dessen Verhalten in der Disziplinarverhandlung, in welcher er die Beantwortung von Fragen des Beschuldigten verweigert und damit deutlich sein Desinteresse an der Aufklärung des Sachverhalts gezeigt habe (vgl dazu aber die ausführlichen Angaben des Zeugen ON 30 S 4 ff), sowie andererseits aus der Aussage seines eigenen Sohnes, wonach der Zeuge „manipulativ“ sei und „vergesse“ (vgl zu subjektiven Einschätzungen von Zeugen RIS Justiz RS0097545). Mit dem Hinweis auf den Zweifelsgrundsatz „in dubio pro reo“ werden den Überlegungen des Disziplinarrats ebenso keine stichhaltigen Argumente entgegengesetzt.
[26] Bleibt daher nur der Vollständigkeit halber anzumerken, dass der Berufungsbehauptung, vom gegnerischen Mandanten „überrumpelt“ worden zu sein und die Standeswidrigkeit des Gesprächs nicht erkannt zu haben, sowohl der festgestellte (vom Beschuldigten eingeräumte) Umstand, dass * seine Identität sofort bekannt gab, und die gleichfalls nicht bestrittene Dauer des Telefonats, als auch der Hinweis auf das Umgehungsverbot im – am selben Tag verfassten – Informationsschreiben des Beschuldigten an * (Beilage ./V 9) entgegenstehen.
[27] Die gleichfalls in der Berufungsverhandlung nachgetragene, den Schuldspruch zu 2./ betreffenden These, dieses Schreiben habe keine falschen Informationen, sondern vielmehr die subjektive Einschätzung des Beschuldigten enthalten, dass sich * hinsichtlich der Forderungen seines Sohnes einsichtig gezeigt habe, orientiert sich nicht am Inhalt des Schriftstücks, in welchem der Beschuldigte dem gegnerischen Anwalt ausdrücklich von der Erörterung einer Substanzbeteiligung in Höhe von 40 % berichtete, während dieses Thema – nach den nicht erfolgreich bestrittenen Feststellungen des Disziplinarrats – anlässlich des inkriminierten Telefonats überhaupt nicht angesprochen wurde (ES 7). Damit geht auch der in diesem Zusammenhang erhobene Einwand einer Verletzung von Art 10 MRK und – insoweit nicht nachvollziehbar – Art 13 MRK ins Leere (vgl im Übrigen RIS Justiz RS0100152).
[28] Der Beantwortung der Rechtsrüge (Z 9 lit a) ist Folgendes voranzustellen:
[29] Nach § 19 RL BA 2015 darf der Rechtsanwalt den Rechtsanwalt einer anderen Partei nicht umgehen. Die Bestimmung verbietet dem Anwalt jeglichen direkten Kontakt mit der anwaltlich vertretenen Gegenseite (in einer bestimmten Rechtssache oder einer damit konnexen Angelegenheit), sei es telefonisch, sei es in einer persönlichen Unterredung, sei es durch direktes Anschreiben ( Engelhart/Hoffmann/Lehner/Rohregger/Vitek , RAO 11 § 1 DSt Rz 71/2, § 19 RL BA 2015 Rz 4 f, 9 je mwN). Das Umgehungsverbot dient in erster Linie dem Schutz der anwaltlich vertretenen (meist rechtsunkundigen) Gegenpartei, die nicht ohne entsprechende Beratung durch den eigenen Rechtsanwalt den Argumenten des Gegenanwalts ausgeliefert sein soll; die Gegenpartei soll davor geschützt werden, vorschnell Erklärungen abzugeben, Informationen bekanntzugeben oder Vereinbarungen abzuschließen, ohne hinsichtlich deren Auswirkungen den eigenen Rechtsanwalt konsultiert zu haben (erneut Engelhart/Hoffmann/Lehner/ Rohregger/Vitek , RAO 11 § 19 RL BA 2015 Rz 4; RIS Justiz RS0055238, RS0072496). Darüber hinaus dient das Umgehungsverbot auch der Aufrechterhaltung korrekter kollegialer Beziehungen innerhalb der Anwaltschaft ( Engelhart/Hoffmann/Lehner/Rohregger/Vitek , RAO 11 § 1 DSt Rz 71/2; RIS Justiz RS0106284, RS0072496).
[30] Davon ausgehend ist dem Disziplinarrat bei der Beurteilung des dem Schuldspruch zu 1./ zugrunde liegenden Sachverhalts als Verstoß gegen § 19 RL BA 2015 kein Rechtsfehler unterlaufen. Denn nach den getroffenen Feststellungen hat der Beschuldigte die Streitsache mit der anwaltlich vertretenen Gegenpartei * in Kenntnis dessen aufrechten Vollmachtverhältnisses zu * nicht nur erörtert, sondern den Genannten sogar zu einer für seinen eigenen Mandanten günstigen Vorgangsweise zu bewegen versucht und sich solcherart keineswegs bloß „passiv“ verhalten, womit er genau das von der zitierten Bestimmung verpönte Verhalten gesetzt hat.
[31] Die im Rechtsmittel angesprochenen „Begleitumstände“, etwa dass der Beschuldigte das Gespräch ursprünglich nicht suchte, sondern aktiv von * kontaktiert wurde, dessen – von der Berufung im Übrigen auf Basis eigener Erwägungen unterstellte – Motive für den Anruf oder der mehrfach betonte Umstand, dass * ähnliches Verhalten bereits gegenüber der früheren Rechtsvertreterin seines Sohnes gesetzt hatte und daher in Kenntnis der damit verbundenen standesrechtlichen Problematik war, ändern daran schon deshalb nichts, weil sich das Umgehungsverbot bloß an Rechtsanwälte, nicht aber an dessen anwaltlich vertretene Gegenpartei richtet. Der in diesem Zusammenhang erhobene Einwand, * habe damit den „Schutzzweck des § 19 RL BA 2015 … bewusst aufgegeben“, vernachlässigt den oben dargestellten weiteren Normzweck in Bezug auf kollegialen Umgang mit Berufskollegen (vgl dazu auch RIS Justiz RS0072496 [T10 und T12], RS0055238 [T6]). In diesem Zusammengang ersetzt übrigens selbst die ausdrückliche Erklärung der anwaltlich vertretenen Gegenpartei, auf die Einbeziehung des eigenen Rechtsanwalts zu verzichten, dessen – für direkte Kontakte indes erforderliche – Zustimmung nicht ( Engelhart/Hoffmann/Lehner/Rohregger/Vitek , RAO 11 § 19 RL BA 2015 Rz 5; ebenso Feil/Wennig , Anwaltsrecht 8 [noch zu] § 18 RL BA 1977 Rz 3; 20 Ds 10/20z).
[32] Dass eine inhaltliche Erörterung der Streitsache mit der Gegenpartei ohne Beiziehung deren Rechtsanwalts keine Verletzung des Umgehungsverbots iSd § 19 RL BA 2015 darstellen sollte, kann auch dem vom Berufungswerber mehrfach zitierten Rechtssatz RIS Justiz RS0056068 nicht entnommen werden, zumal dieser bloß auf – hier nicht in Rede stehende – Fälle abstellt, in denen eine „Direktverständigung, allerdings unter gleichzeitiger Verständigung des Rechtsanwalts von dieser Vorgangsweise“, geboten sein kann.
[33] Gleiches gilt für die im Rahmen der Mängelrüge (der Sache nach Z 9 lit a) zitierten Entscheidungen des Obersten Gerichtshofs, denen – wie die Berufung einräumt – durchwegs nicht vergleichbare Sachverhalte zugrunde liegen. Die daran anknüpfende Behauptung des Berufungswerbers, das Fehlen von Rechtsprechung zu ähnlichen Fällen zeige, dass „der gegenständliche Sachverhalt vollkommen aus dem Rahmen“ falle und „nicht gesetzlich hinreichend geregelt“ sei, weshalb der Grundsatz „nullum crimen sine lege/lege stricta“ anzuwenden gewesen wäre, ist nicht nachvollziehbar und entzieht sich damit einer inhaltlichen Erwiderung.
[34] Dass § 19 RL BA 2015 gegen das verfassungsrechtliche Bestimmtheitsgebot verstoße und die den Rechtsanwalt treffenden Pflichten nicht ausreichend determiniert seien, trifft angesichts des klaren Wortlauts der Norm und der (teils schon) zur Vorgängerbestimmung des § 18 RL BA 1977 ergangenen Rechtsprechung (vgl erneut Engelhart/Hoffmann/Lehner/Rohregger/Vitek , RAO 11 § 19 RL BA 2015 Rz 4 ff mwN) nicht zu.
[35] Mit dem Hinweis auf vergebliche Versuche, während des anhängigen Disziplinarverfahrens vom Disziplinarrat Rechtsauskünfte im Zusammenhang mit der Bestimmung des § 19 RL BA 2015 zu erhalten, wird kein Nichtigkeitsgrund zur Darstellung gebracht.
[36] Zu 2./ ist der Berufung (nominell Z 9 lit a) zwar zuzugestehen, dass die auch insoweit erfolgte Bezugnahme auf § 19 RL BA 2015 durch den Disziplinarrat (ES 3) verfehlt ist. Allerdings legt § 10 Abs 2 RAO dem Rechtsanwalt ganz allgemein die Pflicht auf, durch Redlichkeit und Ehrenhaftigkeit in seinem Benehmen die Ehre und Würde des Standes zu wahren. Dieses Gebot umfasst auch die Verpflichtung, stets richtige und klare Angaben zu machen. Das in § 9 Abs 1 RAO normierte Gebot, die übernommenen Vertretungen dem Gesetz gemäß zu führen und die Rechte seiner Partei gegen jedermann mit Eifer, Treue und Gewissenhaftigkeit zu vertreten, lässt es gleichfalls nicht zu, dass er wissentlich unrichtige Behauptungen aufstellt, um sich oder seinem Klienten Vorteile zu verschaffen. Daraus folgt, dass der Rechtsanwalt stets mit besonderer Sorgfalt auf die Richtigkeit seiner Erklärungen zu achten hat, wobei bereits fahrlässig und umso mehr bewusst unrichtige Angaben die Berufspflicht verletzen ( Engelhart/Hoffmann/ Lehner/Rohregger/Vitek , RAO 11 § 10 RAO Rz 30, § 9 RAO Rz 9; RIS Justiz RS0120395, RS0036733). Demnach begründet die festgestellte bewusste („zumindest bedingt vorsätzliche“) Falschinformation des gegnerischen Anwalts über den Inhalt des mit dessen Mandanten geführten Gesprächs (ES 7, 9, 10 f) schon aufgrund des dadurch bewirkten Verstoßes gegen die genannten Bestimmungen Tatbestandsmäßigkeit nach § 1 Abs 1 DSt. Die Frage, ob das inkriminierte Verhalten auch gegen § 19 RL BA 2015 verstieß, betrifft damit keine entscheidende Tatsache.
[37] Die ein Vorgehen nach § 3 DSt anstrebende Rechtsrüge (Z 9 lit b) ist ebenfalls nicht im Recht. Denn selbst unter Berücksichtigung des Umstands, dass der hier verfahrensgegenständliche Kontakt mit der anwaltlich vertretenen Gegenpartei nicht vom Beschuldigten ausging, der Verstoß gegen das Umgehungsverbot vielmehr durch * provoziert wurde, stehen die – von der Berufung ignorierten (vgl aber RIS Justiz RS0099810) – Feststellungen zur aktiven Erörterung der Streitsache mit dem Genannten, zur versuchten Einflussnahme auf diesen sowie zur anschließenden Falschinformation des gegnerischen Anwalts der Annahme eines im Vergleich zu Durchschnittsfällen solcher Verstöße deutlich reduzierten Verschuldens (RIS Justiz RS0089974) entgegen.
[38] Insoweit war die Berufung daher – in Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokuratur – zu verwerfen.
[39] Zu Recht kritisiert demgegenüber die Subsumtionsrüge (Z 10) die rechtliche Unterstellung der Taten (auch) unter die Disziplinarvergehen der Beeinträchtigung von Ehre oder Ansehen des Standes nach § 1 Abs 1 zweiter Fall DSt:
[40] Eine Beeinträchtigung von Ehre oder Ansehen des Standes setzt voraus, dass das Fehlverhalten eine gewisse Publizitätswirkung entfaltet hat. Dies ist nach der Rechtsprechung dann der Fall, wenn die Tat einem größeren Personenkreis zur Kenntnis gelangte oder das Fehlverhalten so schwerwiegend war, dass selbst mit einer auf wenige Personen beschränkten Kenntnis die Gefahr der Beeinträchtigung verbunden ist (RIS Justiz RS0054876, RS0055086).
[41] Mit Blick auf die dargestellte Fallgestaltung ist das dem Beschuldigten angelastete Fehlverhalten nicht so schwerwiegend, dass dessen Wahrnehmung – nach den Sachverhaltsannahmen bloß – durch die an der Streitsache beteiligten Parteien und den betroffenen Berufskollegen (ES 6 f und 8 iVm ON 24 S 6 ff) genügt, um eine Beeinträchtigung von Ehre oder Ansehen des (gesamten) Standes zu begründen. Da nach den Feststellungen nicht indiziert ist, dass eine größere Anzahl von Personen in Kenntnis des verpönten Verhaltens gelangte, bedarf es – gleichfalls in Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokuratur – der ersatzlosen Aufhebung des angefochtenen Erkenntnisses in der Subsumtion der Taten auch unter die Disziplinarvergehen der Beeinträchtigung von Ehre oder Ansehen des Standes nach § 1 Abs 1 zweiter Fall DSt und demzufolge auch der Kassation des Strafausspruchs.
[42] Bei der demnach erforderlichen Neubemessung der Strafe war erschwerend das Zusammentreffen zweier Disziplinarvergehen, mildernd hingegen die Tatsache, dass der Beschuldigte bisher keine Disziplinarverurteilungen aufweist, sowie die unverhältnismäßig lange Verfahrensdauer von mehr als drei Jahren, die auch Zeiten behördlicher Inaktivität umfasst (Art 6 Abs 1 MRK, vgl § 34 Abs 2 StGB).
[43] Die weiteren in der Berufung ins Treffen geführten Umstände stellen keine Milderungsgründe dar.
[44] Im Rahmen allgemeiner Strafzumessungserwägungen war allerdings zu Gunsten des Beschuldigten zu berücksichtigen, dass die telefonische Kontaktaufnahme (mit dem Ziel der Besprechung der Streitsache) durch * im Wissen um die Unzulässigkeit eines derartigen Gesprächs erfolgte (ES 6, 8).
[45] Wenngleich die vom Disziplinarrat im untersten Bereich des Strafrahmens von bis zu 45.000 Euro (§ 16 Abs 1 Z 2 DSt) bemessene, zudem bedingt nachgesehene Geldbuße von 2.500 Euro dem Tatunrecht sowie der Täterschuld entspricht und den (mangels diesbezüglicher Angaben des Beschuldigten zutreffend zugrunde gelegten) durchschnittlichen Einkommens- und Vermögensverhältnissen eines Rechtsanwalts angemessen Rechnung trägt, war zum Ausgleich der langen Verfahrensdauer eine Reduktion der Geldbuße um 500 Euro (sohin auf 2.000 Euro) vorzunehmen (vgl RIS Justiz RS0114926). Die Gewährung bedingter Strafnachsicht gemäß § 43 Abs 1 StGB folgt bereits aus dem Verschlechterungsverbot (vgl Ratz , WK StPO § 290 Rz 43, 47 und 56). Die diesbezügliche Probezeit war erneut mit dem Höchstmaß von drei Jahren zu bestimmen, um beim Beschuldigten einen effektiven Anreiz zu künftigem Wohlverhalten zu erwirken.
[46] Ein schriftlicher Verweis (§ 16 Abs 1 Z 1 DSt) kommt schon deshalb nicht in Betracht, weil die dem Beschuldigten zur Last liegenden (vorsätzlich begangenen) Vergehen nicht bloß geringfügige Verfehlungen darstellen (vgl RIS Justiz RS0075487 [T1]) und die Verhängung einer Geldbuße auch aus spezial- und generalpräventiven Gründen geboten ist.
[47] Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 54 Abs 5 DSt.