JudikaturOGH

6Ob134/23h – OGH Entscheidung

Entscheidung
19. Juli 2023

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Hon.-Prof. Dr. Gitschthaler als Vorsitzenden sowie die Hofrätinnen und Hofräte Dr. Nowotny, Dr. Faber, Mag. Pertmayr und MMag. Sloboda als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Mag. M*, vertreten durch Lansky, Ganzger Partner Rechtsanwälte GmbH in Wien, gegen die beklagte Partei M* Ltd vormals F* Limited, *, vertreten durch 1. Schönherr Rechtsanwälte GmbH in Wien, 2. Knötzl Haugeneder Netal Rechtsanwälte GmbH in Wien, wegen Feststellung, Unterlassung und Vertragsabschluss, im Verfahren über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom 7. Dezember 2020, GZ 11 R 153/20f, 11 R 154/20b-99, womit das Urteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien vom 30. Juni 2020, GZ 3 Cg 52/14k-91, bestätigt wurde, den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Das beim Europäischen Gerichtshof zu C-446/21 anhängige Vorabentscheidungsersuchen vom 23. Juni 2021 wird hinsichtlich der Fragen 1. und 3. zurückgezogen.

Text

Begründung:

[1]Der Oberste Gerichtshof legte mit Beschluss vom 23. 6. 2023, 6 Ob 56/21k, dem Gerichtshof der Europäischen Union (zu dessen Zahl C-446/21) gemäß Art 267 AEUV vier Fragen zur Vorabentscheidung vor. Der Gerichtshof der Europäischen Union hat darüber noch nicht entschieden.

[2] Mit Schreiben vom 7. 7. 2023 übermittelte der Gerichtshof der Europäischen Union dem Obersten Gerichtshof sein in einem Vorabentscheidungsersuchen des Oberlandesgerichts Düsseldorf ergangenes Urteil vom 4. 7. 2023 in der Rechtssache C-252/21 mit ähnlichem Gegenstand und ersuchte um Mitteilung, ob im Hinblick auf dieses Urteil das vom Obersten Gerichtshof gestellte Vorabentscheidungsersuchen noch – ganz oder teilweise – aufrechterhalten wird. Bejahendenfalls mögen die Gründe hierfür angegeben werden.

[3] 1. Der Oberste Gerichtshof erachtet durch das Urteil des Gerichtshofs der Europäischen Union vom 4. 7. 2023 in der Rechtssache C-252/21 seine Fragen 1. und 3. für beantwortet, weshalb insoweit das Vorabentscheidungsersuchen zurückzuziehen war.

[4] 2. Dies trifft jedoch auf die Fragen 2. und 4. aus folgenden Gründen nicht zu:

[5] 2.1. Zu Frage 2.:

Frage 2. lautet:

„Ist Art 5 Abs 1 lit c DSGVO (Datenminimierung) dahin auszulegen, dass alle personenbezogenen Daten, über die eine Plattform wie im Ausgangsverfahren verfügt (insbesondere durch den Betroffenen oder durch Dritte auf und außerhalb der Plattform), ohne Einschränkung nach Zeit oder Art der Daten für Zwecke der zielgerichteten Werbung aggregiert, analysiert und verarbeitet werden können?“

Rechtliche Beurteilung

[6] Eine hierzu vergleichbare Vorlagefrage hat das Oberlandesgericht Düsseldorf nicht formuliert.

[7] Der Gerichtshof der Europäischen Union hat in seinem Urteil zwar zumindest festgehalten, dass die Voraussetzung der Erforderlichkeit der Datenverarbeitung gemeinsam mit dem sogenannten Grundsatz der „Datenminimierung“ zu prüfen ist, der in Art 5 Abs 1 lit c DSGVO verankert ist und verlangt, dass personenbezogene Daten „dem Zweck angemessen und erheblich sowie auf das für die Zwecke der Verarbeitung notwendige Maß beschränkt“ sind (Rn 109). Hierdurch wurde somit ein Konnex zwischen Datenminimierungsgrundsatz und Erforderlichkeit der Datenverarbeitung iSd Art 6 Abs 1 lit b DSGVO hergestellt.

[8] Der Gerichtshof der Europäischen Union hat sich aber nicht ausdrücklich zur gegenständlich gefragten Einschränkung insbesondere nach Zeit oder Art der Daten geäußert.

[9] Zu dieser Klarstellung wird das Vorabentscheidungsersuchen zu Frage 2. aufrecht erhalten.

[10] 2.2. Zu Frage 4.:

Frage 4. lautet:

„Ist Art 5 Abs 1 lit b iVm Art 9 Abs 2 lit e DSGVO dahin auszulegen, dass eine Äußerung über die eigene sexuelle Orientierung für die Zwecke einer Podiumsdiskussion die Verarbeitung von anderen Daten zur sexuellen Orientierung für Zwecke der Aggregation und Analyse von Daten zum Zwecke der personalisierten Werbung erlaubt?“

[11] Das Oberlandesgericht Düsseldorf formulierte in diesem Zusammenhang die Frage 2.b):

„Stellt der Aufruf dieser Webseiten und Apps und/oder die Tätigung von Eingaben und/oder die Betätigung der in diese Webseiten oder Apps eingebundenen Schaltflächen ('soziale Plug-ins' wie 'Gefällt mir', 'Teilen' oder 'Facebook Log-in' oder 'Account Kit') eines Anbieters wie Meta Platforms Ireland ein offensichtliches Öffentlichmachen der Daten über den Aufruf als solchen und/oder die Eingaben durch den Nutzer im Sinne des Art. 9 Abs. 2 Buchst. e DSGVO dar?“

[12] Dazu antwortete der Gerichtshof der Europäischen Union:

„Art. 9 Abs. 2 Buchst. e der Verordnung 2016/679 ist dahin auszulegen, dass ein Nutzer eines sozialen Online-Netzwerks, wenn er Websites oder Apps mit Bezug zu einer oder mehreren der in Art. 9 Abs. 1 dieser Verordnung genannten Kategorien aufruft, die diesen Aufruf betreffenden Daten, die der Betreiber dieses sozialen Online-Netzwerks über Cookies oder ähnliche Speichertechnologien erhebt, nicht im Sinne der erstgenannten Bestimmung offensichtlich öffentlich macht.

Gibt ein solcher Nutzer Daten auf solchen Websites oder in solchen Apps ein oder betätigt er darin eingebundene Schaltflächen – wie etwa 'Gefällt mir' oder 'Teilen' oder Schaltflächen, die es dem Nutzer ermöglichen, sich auf diesen Websites oder in diesen Apps unter Verwendung der Anmeldedaten, die mit seinem Konto als Nutzer des sozialen Netzwerks, seiner Telefonnummer oder seiner E Mail-Adresse verknüpft sind, zu identifizieren –, so macht er die eingegebenen oder sich aus der Betätigung dieser Schaltflächen ergebenden Daten nur dann im Sinne von Art. 9 Abs. 2 Buchst. e der Verordnung 2016/679 offensichtlich öffentlich, wenn er zuvor, gegebenenfalls durch in voller Kenntnis der Sachlage vorgenommene individuelle Einstellungen, explizit seine Entscheidung zum Ausdruck gebracht hat, die ihn betreffenden Daten einer unbegrenzten Zahl von Personen öffentlich zugänglich zu machen.“

[13] Zwar gibt der Gerichtshof der Europäischen Union hier Auskunft zur Begrifflichkeit des „offensichtlich Öffentlichmachens“, die behandelte Fallkonstellation unterscheidet sich aber insofern von jener des Obersten Gerichtshofs, als die dort untersuchten Handlungen den Aufruf von Websites oder Apps bzw die Betätigung darin eingebundener Schaltflächen betreffen, während gegenständlich eine Äußerung über die eigene sexuelle Orientierung für die Zwecke einer Podiumsdiskussion in Rede steht. Obwohl auch hier ein restriktives Verständnis des Ausnahmetatbestands naheliegt, ist diese Vorlagefrage anhand der Entscheidung C-252/21 noch nicht abschließend beantwortet.

[14] Die Frage 4. wird daher aufrecht erhalten.