JudikaturOGH

8Ob117/76 – OGH Entscheidung

Entscheidung
29. September 1976

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Hager als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Fedra, Dr. Benisch, Dr. Thoma und Dr. Kralik als Richter in der Rechtssache der klagenden Partei G*, Landwirt, *, vertreten durch Dr. Erich Sieder, Rechtsanwalt in Enns, wider die beklagte Partei J*, Bindermeister, *, vertreten durch Dr. Ernst Üblacker-Risenfels, Rechtsanwalt in Amstetten, wegen S 5.000,- s.A. infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Kreisgerichtes St. Pölten als Berufungsgerichtes vom 28. April 1976, GZ. R 90/76 13, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Bezirksgerichtes St. Peter in der Au vom 22. Jänner 1976, GZ. C 188/75 5, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit S 1.029,12 bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens (darin die Umsatzsteuer von S 69,12 und die Barauslagen von S 96, ) binnen 14 Tagen bei Exekution zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Am 22. September 1974 gegen 19 Uhr kam es auf der Landeshauptstraße 85 zwischen W* und S* bei Straßenkilometer 7,2 zu einem Zusammenstoß zwischen dem plötzlich nach links abbiegenden PKW des Klägers und dem im Überholen begriffenen PKW des Beklagten.

Der Kläger begehrt Ersatz eines Schadens von S 5.000, das ist ein Viertel seines Fahrzeugschadens von S 20.000,. Er habe infolge eines Schlaganfalles plötzlich anhalten müssen. Den Beklagten treffe ein Mitverschulden zu einem Viertel und er hafte auch nach dem EKHG, da er bei gehöriger Aufmerksamkeit noch rechtzeitig hätte anhalten können.

Der Beklagte behauptet Alleinverschulden des Klägers, weil dieser nach links abgebogen sei, als er bereits überholt habe und sein Fahrzeug nicht mehr habe rechtzeitig anhalten können.

Das Erstgericht gab der Klage statt.

Das Berufungsgericht änderte das Urteil des Erstgerichtes im Sinne der Abweisung der Klage ab.

Gegen dieses Urteil richtet sich die Revision des Klägers aus dem Anfechtungsgrund des § 503 Z. 4 ZPO mit den Anträgen, das angefochtene Urteil im Sinne der Wiederherstellung des Urteiles des Erstgerichtes abzuändern oder es aufzuheben und die Sache an eines der Untergerichte zurückzuverweisen.

Der Beklagte stellt den Antrag, der Revision nicht Folge zu geben.

Die Untergerichte gingen von folgendem Sachverhalt aus:

Die Landeshauptstraße 85 verläuft in Fahrtrichtung der beteiligten Fahrzeuge im Bereich der Unfallstelle in einer langgezogenen und übersichtlichen Rechtskurve. Sie ist 8,1 m breit. Auf Höhe der Unfallstelle zweigt nach links eine Gemeindestraße und etwa 25 30 m nach der Unfallstelle nach rechts ebenfalls eine Gemeindestraße ab. Der Beklagte fuhr mit Fernlicht und einer Geschwindigkeit von etwa 80 km/h von W* nach S*. Auf eine Entfernung von etwa 80 m bemerkte er den ganz am rechten Fahrbahnrand fahrenden PKW des Klägers. Er konnte zunächst nicht zweifelsfrei erkennen, ob dieser PKW in Bewegung war, und hielt ein Stehen dieses Fahrzeuges für möglich. Erst im Verlaufe der weiteren Annäherung bemerkte er, daß der PKW in Bewegung war, worauf er durch Auf- und Abblenden des Fernlichtes blinkte und zum Überholen ansetzte, da kein Gegenverkehr herrschte. Der Beklagte hätte den PKW des Klägers mit einem Abstand von rund 2 m überholt, wenn dieser am rechten Fahrbahnrand weitergefahren wäre. Als sich der Beklagte dem PKW des Klägers auf 25 - 30 m näherte, bog der Kläger mit einer Geschwindigkeit von 15 - 20 km/h plötzlich ohne Anzeige einer Fahrtrichtungsänderung im engen Bogen nach links zur Fahrbahnmitte ab. Der Beklagte bremste sofort, konnte aber den Zusammenstoß mit dem PKW des Klägers noch im Bereich der Kreuzung der Landeshauptstraße mit der nach links abzweigenden Gemeindestraße nicht mehr verhindern. Er stieß frontal gegen die linke Hinterseite des PKWs des Klägers, der im Kollisionszeitpunkt einen Winkel von 70 - 90° zur Fahrbahnlängsachse einnahm. Der PKW des Klägers kam nach der Kollision über die linke Straßenbegrenzung von der Fahrbahn der Landeshauptstraße ab. Er benötigte nur rund 1 - 1,5 Sekunden, um aus seiner ursprünglichen Fahrposition nahe dem rechten Fahrbahnrand in die Kollisionsstellung zu gelangen. Der Bremsweg des PKW des Beklagten betrug bei einer mittleren Bremsverzögerung von 6m/sec 2 40 m, der Anhalteweg bei 1 Sekunde Reaktionszeit 54,4 m und die Anhaltezeit 4,35 Sekunden. Die Ursache für das plötzliche Abkommen des PKWs des Klägers nach links lag darin, daß der Kläger plötzlich einen Schlaganfall mit nachfolgender linksseitiger Körperlähmung erlitt, und dadurch die Herrschaft über sein Fahrzeug verlor.

Zur Rechtsfrage führte das Erstgericht aus, es könne dem Beklagten zwar nicht angelastet werden, daß er zu spät auf das Linksabkommen des PKWs des Klägers reagiert habe. Denn er habe sofort gebremst. Es treffe ihn aber deshalb ein Mitverschulden, weil er im Bereich der Einmündung der Gemeindestraße überholt und damit gegen das Überholverbot des § 16 Abs. 2 lit. c StVO verstoßen habe, da die Landeshauptstraße keine Vorrangstraße sei. Es sei auch der Rechtswidrigkeitszusammenhang gegeben, weil das genannte Überholverbot den Zweck verfolge, Unfälle zwischen abbiegenden und überholenden mehrspurigen Fahrzeugen zu verhindern. Für die Frage der Ursache und des Rechtswidrigkeitszusammenhanges sei es unerheblich, aus welchem Grunde der Kläger nach links abgebogen sei.

Das Berufungsgericht verneinte ein Verschulden des Beklagten. Das Überholverbot des § 16 Abs. 2 lit. c StVO diene nicht der Sicherheit des Verkehrs im Allgemeinen und jedenfalls nicht dem Schutz eines Verkehrsteilnehmers, der in der gleichen Richtung wie das überholende Fahrzeug fährt und plötzlich vorschriftswidrig nach links abbiege. Der Rechtswidrigkeitszusammenhang zwischen der Übertretung des Überholverbotes durch den Beklagten und dem eingetretenen Schaden sei daher nicht gegeben. Ein sonstiges Fehlverhalten, insbesondere eine verspätete Reaktion könne dem Beklagten nicht angelastet werden. Der Beklagte sei sich überdies nicht bewußt gewesen, daß er auf einer Kreuzung überhole, weil ihm nicht bekannt und für ihn auch nicht rechtzeitig erkennbar gewesen sei, daß die Straßenerweiterung an der Unfallstelle in eine abzweigende Gemeindestraße übergehe. Das plötzliche Abkommen des PKWs des Klägers habe für den Beklagten ein unabwendbares Ereignis dargestellt. Er habe auch jede nach den Umständen gebotene Sorgfalt angewendet. Der Schaden sei durch ein in der Sphäre des Klägers liegendes, wenn von ihm auch nicht verschuldetes Ereignis und damit durch die überwiegende gewöhnliche bzw. außergewöhnliche Betriebsgefahr seines Fahrzeuges verursacht worden. Der Ersatzanspruch des Klägers bestehe daher weder nach den Vorschriften des bürgerlichen Rechtes noch nach § 11 Abs. 1 EKHG zu Recht.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist nicht gerechtfertigt.

Der Kläger bekämpft die Auffassung des Berufungsgerichtes, dem Beklagten sei ein Verschulden an dem Unfall aus der Übertretung der Vorschrift des § 16 Abs. 2 lit. c StVO nicht anzulasten. Der Gesetzgeber habe durch dieses Überholverbot auch Verkehrsteilnehmer schützen wollen, die an einer Kreuzung nach links abbiegen.

Nach der Rechtsprechung dient die Vorschrift des § 16 Abs. 2 lit. c StVO jedenfalls nicht dem Schutz eines Verkehrsteilnehmers, der in dieselbe Richtung wie das überholende Fahrzeug fährt und plötzlich nach links abbiegt (2 Ob 302/74; 8 Ob 282/75). Zutreffend hat daher das Berufungsgericht im konkreten Fall den spezifischen Rechtswidrigkeitszusammenhang zwischen der Übertretung des Überholverbotes nach dieser Gesetzesstelle durch den Beklagten und dem eingetretenen Schaden verneint. Es ist daher für die Beurteilung eines Verschuldens des Beklagten in dieser Richtung auch unerheblich, ob dem Beklagten als Ortskundigen diese Kreuzung bekannt war.

Es kann dem Kläger auch nicht beigepflichtet werden, soweit er geltend macht, für den Beklagten sei auf Grund der langsamen Fahrweise des Fahrzeuges des Klägers eine unklare Verkehrssituation gegeben gewesen, der er durch Verminderung der Geschwindigkeit und durch Kontaktaufnahme hätte Rechnung tragen müssen. Nach den Feststellungen fuhr der Kläger ganz am rechten Fahrbahnrand und betätigte auch nicht den linken Blinker, sodaß der Beklagte die langsame Fahrweise des Klägers (15 - 20 km/h) nicht in bedenklichem Sinne auslegen mußte. Langsames Fahren am rechten Fahrbahnrand läßt vielmehr auf die bewußte Wahl einer geringen Geschwindigkeit oder auf ein bevorstehendes Anhalten schließen. Im übrigen hat der Beklagte ohnehin durch Blinkzeichen den bevorstehenden Überholvorgang angezeigt (§ 22 Abs. 1 letzter Satz StVO und § 15 Abs. 3 StVO), die allerdings im Hinblick auf die Ursache für das plötzliche Abbiegen des Fahrzeuges des Klägers ohne Wirkung bleiben mußten.

Das Berufungsgericht hat auch zutreffend die Haftung des Beklagten nach dem EKHG verneint. Nach § 9 Abs. 2 EKHG gilt ein Ereignis insbesondere dann als unabwendbar, wenn es auf das Verhalten des Geschädigten, eines nicht beim Betrieb tätigen Dritten oder eines Tieres zurückzuführen ist, sowohl der Halter als auch die mit Willen des Halters beim Betrieb tätigen Personen jede nach den Umständen des Falles gebotene Sorgfalt beobachtet haben und der Unfall nicht unmittelbar auf die durch das Verhalten eines nicht beim Betrieb tätigen Dritten oder eines Tieres ausgelöste außergewöhnliche Betriebsgefahr zurückzuführen ist. Im vorliegenden Falle war die Ursache für das Schadensereignis auf ein Verhalten des geschädigten Klägers, nämlich auf seinen Schlaganfall und die dadurch eingetretene Lähmung, zurückzuführen, das objektiv mangelhaft war und eine Gefährdung herbeiführte. Das im § 9 Abs. 2 EKHG erwähnte „Verhalten des Geschädigten“ darf nicht mit Verschulden gleichgesetzt werden. Das Gesetz spricht bloß vom „Verhalten“, sodaß auch ein schuldloses Handeln den Tatbestand erfüllt (vgl. Koziol, Haftpflichtrecht II, 466). Der Beklagte hat nach Wahrnehmung des plötzlichen Abbiegens des PKWs des Klägers sofort gebremst, konnte aber den Zusammenstoß wegen der geringen Entfernung von nur 25 - 30 m nicht mehr verhindern. Er hat damit auch jede nach den Umständen erforderliche Sorgfalt beobachtet, sodaß ihm auch kein Sorgfaltsverstoß im Sinne des § 9 Abs. 2 EKHG vorzuwerfen ist. Auch der Ausschluß des Haftungsbefreiungsgrundes bei Verursachung des Unfalles durch Auslösung einer außergewöhnlichen Betriebsgefahr im Sinne des § 9 Abs. 2 letzter Halbsatz EKHG tritt nur bei einem durch einen außenstehenden Dritten oder ein Tier verursachten Unfall ein. Bei dem durch das Verhalten des Geschädigten herbeigeführten unabwendbaren Ereignis ist der Halter stets von der Haftung befreit (vgl. Koziol aaO II, 457, Edelbacher ÖJZ 1959 Seite 316).

Der Revision war daher ein Erfolg zu versagen.

Die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens beruht auf den §§ 41 und 50 ZPO.