55Cg46/24m – Handelsgericht Wien Entscheidung
Kopf
Das Handelsgericht Wien fasst durch seinen Richter Andreas Pablik in folgender
den
BESCHLUSS
Spruch
I.Dem Gerichtshof der Europäischen Union werden gemäß Art. 267 AEUV folgende Fragen mit dem Ersuchen um Vorabentscheidung vorgelegt:
1. Sind Art. 1 Abs 1 und 2 iVm Art. 45 Abs 1 lit. a, 46 und 52 der Verordnung (EU) Nr. 1215/2012 dahin auszulegen, dass diese Bestimmungen einer nationalen Rechtsvorschrift entgegenstehen, die gestützt auf einen im nationalen Recht gesetzlich festgelegten entsprechenden Grundsatz der öffentlichen Ordnung die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen von Gerichten anderer Mitgliedstaaten für sämtliche Verfahren gegen Lizenzinhaber und gegenwärtige und frühere Führungskräfte und Schlüsselpersonen eines Lizenzinhabers wegen Angelegenheiten im Zusammenhang mit der Erbringung einer Spieldienstleistung ausschließt, wenn eine solche Klage die Rechtmäßigkeit der Erbringung von Spieldienstleistungen in oder von Malta aus aufgrund einer von der Behörde erteilten Lizenz oder die Rechtmäßigkeit einer rechtlichen oder natürlichen Verpflichtung, die sich aus der Erbringung solcher Spieldienstleistungen ergibt, beeinträchtigt oder untergräbt und sich auf eine zugelassene Tätigkeit bezieht, die im Sinne dieses nationalen Gesetzes und anderer nationaler anwendbarer Regulierungsinstrumente rechtmäßig ist?
2. Sind Art. 45 Abs 1 und Art. 46 der Verordnung (EU) Nr. 1215/2012 dahin auszulegen, dass diese Bestimmungen einer nationalen Rechtsvorschrift entgegenstehen, die unabhängig von einer entsprechenden Antragstellung beim anerkennenden Gericht / Exekutionsgericht und einer Ausnutzung aller Rechtsbehelfe im Mitgliedsstaat des Erstgerichts durch den Verpflichteten und ohne Prüfung durch das anerkennende Gericht/Vollstreckungsgericht eine Anerkennung (Art. 45 EuGVVO) und Vollstreckung (Art. 46 EuGVVO) von Entscheidungen von Gerichten anderer Mitgliedstaaten ausschließt für sämtliche Verfahren gegen Lizenzinhaber und gegenwärtige und frühere Führungskräfte und Schlüsselpersonen eines Lizenzinhabers wegen Angelegenheiten im Zusammenhang mit der Erbringung einer Spieldienstleistung, wenn eine solche Klage die Rechtmäßigkeit der Erbringung von Spieldienstleistungen in oder von Malta aus aufgrund einer von der Behörde erteilten Lizenz oder die Rechtmäßigkeit einer rechtlichen oder natürlichen Verpflichtung, die sich aus der Erbringung solcher Spieldienstleistungen ergibt, beeinträchtigt oder untergräbt und sich auf eine zugelassene Tätigkeit bezieht, die im Sinne dieses nationalen Gesetzes und anderer anwendbarer nationaler Regulierungsinstrumente rechtmäßig ist?
3.a. Sind Art. 45 Abs 1 lit a und Art. 46 der Verordnung (EU) Nr. 1215/2012 dahin auszulegen, dass diese Bestimmungen einer nationalen Rechtsvorschrift entgegenstehen, die eine ordre public-Widrigkeit der Anerkennung und Vollstreckung von gerichtlichen Entscheidungen mit dem ausschließlichen Zweck anordnet, im Rahmen der nationalen verfassungsrechtlich vorgesehenen Förderung der privaten Wirtschaft durch den Staat Online-Glücksspiellizenzinhaber vor der Anerkennung und Vollstreckung gegen diese ergangener Gerichtsentscheidungen anderer Mitgliedsstaaten zu schützen?
3.b. Sind Art. 45 Abs. 1 lit a und Art. 46 der Verordnung (EU) Nr. 1215/2012 dahin auszulegen, dass sie einer Verweigerung der Anerkennung und Vollstreckung durch das angerufene Gericht im Vollstreckungsstaat aus Gründen der öffentlichen Ordnung entgegenstehen, wenn diese Weigerung ausschließlich darauf gestützt wird, dass es den wirtschaftlichen und finanziellen Interessen des ersuchenden Mitgliedstaates widerspreche, ein derartiges Urteil anzuerkennen, da Glücksspielanbieter einen wesentlichen Beitrag zur Volkswirtschaft und den Einnahmen dieses Mitgliedsstaates bringen?
4. Ist Art. 52 der Verordnung (EU) Nr. 1215/2012 dahin auszulegen, dass diese Bestimmung einer nationalen Rechtsvorschrift entgegensteht, die eine Anerkennung und/oder Vollstreckung einer Entscheidung eines Gerichtes eines anderen Mitgliedsstaates in Verfahren gegen Lizenzinhaber und gegenwärtige und frühere Führungskräfte und Schlüsselpersonen eines Lizenzinhabers wegen Angelegenheiten im Zusammenhang mit der Erbringung einer Spieldienstleistung deshalb ausschließt, weil die Tätigkeit des Glücksspielanbieters beurteilt nach maltesischem Recht zulässig wäre?
5. Ist Art. 48 der Verordnung (EU) Nr. 1215/2012 dahin auszulegen, dass die darin normierte Verpflichtung zur unverzüglichen Entscheidung verletzt wird, wenn innerhalb von sechs Monaten noch keine erstinstanzliche Entscheidung über den Antrag auf Anerkennung vorliegt, ohne dass dies auf Umstände oder Verzögerungen der Parteien oder Dritter im einzelnen Anerkennungsverfahren zurückzuführen ist.
II. Das Verfahren wird bis zum Einlagen der Vorabentscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union ausgesetzt.
Begründung:
Text
1. Sachverhalt:
1.1. Tätigkeit der Klägerin:
Die Klägerin ist eine Prozessfinanzierungsgesellschaft und finanziert Rechtsstreitigkeiten von österreichischen und deutschen Verbrauchern (Spielerinnen und Spieler) gegen Online-Glücksspielanbieter, die ohne nationale Lizenzen Glücksspiel illegal anbieten. Dabei werden erfolgreich Spielverluste bereicherungsrechtlich und auch gestützt auf deliktischen Schadenersatz zurückgefordert.
In Deutschland und Österreich bieten maltesische Unternehmen Glücksspiele über das Internet an und nutzen prominente Werbebilder, um das Angebot am Markt bekannt zu machen. Die Unternehmen richten ihren Geschäftsbetrieb dabei explizit auf den deutschsprachigen Markt aus und berufen sich dabei (in den Verfahren erfolglos) auf eine Lizenz der maltesischen Glücksspielbehörde Malta Gaming Authority. Eine gültige Konzession nach § 14 österr. Glücksspielgesetz (GSpG) haben diese maltesischen Unternehmen nicht. In Deutschland werden erst seit 2021 zunehmend Lizenzen beantragt und ausgestellt, die davor abgehaltenen Glücksspiele bleiben aber rechtswidrig wegen des Anbietens ohne Lizenz und daher Gegenstand solcher Verfahren.
Die Klägerin hat durch ihre Kundinnen und Kunden zahlreiche Urteile gegen maltesische Glücksspielanbieter erwirkt und versucht diese im Einklang mit Art. 39 der Verordnung (EU) Nr. 1215/2012 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12. Dezember 2012 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in
Zivil- und Handelssachen (im Weiteren auch kurz EuGVVO) in Malta zu vollstrecken.
1.2. Maltesische Gesetzgebung („Bill 55“):
Am 12. Juni 2023 hat der maltesische Gesetzgeber ein Gesetz verabschiedet, wonach die Anerkennung und Vollstreckung sämtlicher ausländischer Urteile gegen maltesische Online-Glücksspielanbieter grundsätzlich verweigert werden sollen. Durch das Änderungsgesetz Nr. 55 („Bill 55“, siehe https://parlament.mt/en/14th-leg/bills/bill-055-gaming-amendment-bill/) zum maltesischen Glücksspielrecht (Gaming Act), wurde Kapitel 583 des Gaming Acts um folgenden Artikel 56A ergänzt:
Die Gesetzesbegründung lautet dabei wie folgt:
Art. 18 der maltesischen Verfassung lautet:
1.3. Beauftragung der Beklagten, Gutachtensergebnis:
Um die sich aus dieser Gesetzesänderung ergebenden möglichen Risiken für ihr Geschäftsmodell bewerten zu können, insbesondere die Anerkennung und Vollstreckbarkeit der erwirkten österreichischen und deutschen Urteile in den von ihr finanzierten Verfahren in Malta, beauftragte die Klägerin die Beklagte mit der Erstellung eines entsprechenden Rechtsgutachtens. Das Gutachten dieser Rechtsanwaltsgesellschaft mit Sitz in Deutschland sollte als Grundlage für die Klägerin dienen, über ihr weiteres geschäftliches Vorgehen zu entscheiden.
Die Beklagte kam (unter Zuhilfenahme von maltesischen Rechtsexperten) in ihrem Gutachten vom 5.7.2023 zu folgenden gutachterlichen Schlüssen:
1. Art. 56A des maltesischen Gaming Acts verstoße eindeutig und ohne jeden Zweifel gegen Unionsrecht. Es sei deshalb denkunmöglich, dass diese Bestimmung in den maltesischen Exekutionsverfahren Anwendung finden werde und Exekutionsverfahren in Malta dadurch verzögert werden.
2. Maltesische Exekutionsverfahren werden aufgrund Art. 48 EuGVVO („ Das Gericht entscheidet unverzüglich über den Antrag auf Versagung der Vollstreckung “) erstinstanzlich innerhalb von maximal sechs Monaten abgeschlossen.
Die Vollstreckbarkeit der Urteile in Malta ist Grundvoraussetzung für das Geschäftsmodell der Klägerin, der zeitliche Horizont ist für die Bewertung des Geschäftsmodells der Klägerin enorm wichtig ist, um einen ausreichenden Cashflow zu haben. Im Vertrauen auf dieses Rechtsgutachten setzte die Klägerin daher ihr Geschäftsmodell weiter um und finanzierte fortlaufend Forderungen von Spielern in Österreich und Deutschland, wobei sie mit beträchtlichen Summen für die Pauschalgebühren und Anwaltshonorare in Vorleistung ging.
1.4. Rechtsprechung in Malta:
Entgegen den gutachterlichen Schlüssen der Beklagten wird Art. 56A des maltesischen Gaming Acts von der maltesischen Rspr vorbehaltlos angewendet. Auf die EuGVVO gestützte Anträge auf Anerkennung der österreichischen und deutschen Entscheidungen und deren Exekution in den von der Klägerin finanzierten Verfahren werden gestützt auf diese Bestimmung abgewiesen. Exemplarisch wurde im Verfahren 1070/2023 des Qorti Civili Prim`awla am 19.7.2023 die Exekutionsführung mit folgender Begründung abgelehnt:
„Nach Prüfung des Antrags und der Notiz vom 18. Juli 2023 sowie der Feststellung, dass die Beklagtengesellschaft in Malta registriert ist und mit der Lizenz der maltesischen Regulierungsbehörde mit der Nummer MGA/B2C/398/2017 tätig ist, und unter Berücksichtigung von Artikel 56A des Kapitels 583 der Gesetze von Malta, der wie folgt lautet:
"Ungeachtet jeder Bestimmung des Gesetzbuchs für Organisation und Zivilverfahren und anderer Gesetze gilt als Grundsatz der öffentlichen Ordnung:
(a) Keine Klage kann gegen einen Lizenznehmer und/oder gegen Offiziere und/oder relevante Personen, gegenwärtige oder ehemalige, eines Lizenznehmers in Bezug auf Angelegenheiten im Zusammenhang mit der Bereitstellung von Glücksspielservices oder gegen einen Spieler, der solche Glücksspielservices in Anspruch nimmt, eingeleitet werden, wenn diese Klage:
Nachdem festgestellt wurde, dass gemäß Artikel 56A des Kapitels 583 der Gesetze von Malta, sobald die Beklagtengesellschaft in die Kategorie der in Absatz (a) des betreffenden Artikels genannten Personen fällt, ein Gericht keine Zuständigkeit hat, ausländische Urteile und/oder Entscheidungen in Bezug auf eine in Absatz (a) genannte Klageart in Malta anzuerkennen und/oder durchzusetzen, wird der Antrag abgelehnt“
Diese Entscheidung ging der Klägerin am 1.8.2023 zu.
Soweit ersichtlich, liegen keine Entscheidungen maltesischer Gericht vor, in denen die Gültigkeit des Art. 56A Gaming Acts angezweifelt oder dessen Europarechtskonformität in Frage gestellt wird.
Weiters werden in den anderen von der Klägerin finanzierten Verfahren in Malta anhängige Exekutionsverfahren auf Anerkennung und Vollstreckung österreichischer und deutscher Gerichtsentscheidungen in Verfahren von Spielern gegen maltesische Glücksspielunternehmen mit identem Sachverhalt nicht innerhalb von sechs Monaten entschieden, erstinstanzliche Entscheidungen liegen auch zwei Jahre nach Antragstellung nicht vor.
2. Anträge und Vorbringen der Parteien:
2.1. Die Klägerin fordert aufgrund des obigen außer Streit stehenden Sachverhalts von der Beklagten die Rückzahlung des für das unrichtige Rechtsgutachten der Beklagten geleisteten Honorars von EUR 5.000,-- und die Feststellung der Haftung der Beklagten für sämtliche künftige Schäden der Klägerin, die ihr aus der Prozessfinanzierung von Gerichtsverfahren in Österreich und Deutschland zwischen dem 5.7.2023 (Gutachtenserstellung) und 1.8.2023 (Kenntnisnahme der oben zitierten maltesischen Entscheidung) von österreichischen und deutschen Teilnehmern von illegalen Onlineglücksspielen gegen maltesische Onlineglücksspielanbieter resultieren. Ein darüber hinaus erhobenes, auf Unlauteren Wettbewerb gegründetes Unterlassungsbegehren ist nicht mehr verfahrensgegenständlich.
2.2. Die Beklagte stellte das gesamte Klagsvorbringen außer Streit, bestreitet aber das Bestehen von Ansprüchen gegen sie. Die rechtlichen Schlüsse in ihrem Gutachten seien richtig, insbesondere, dass das maltesische Gesetz der EuGVVO widerspreche, weil es ein gesamtes Rechtsgebiet durch ein nationales Gesetz vom Anwendungsbereich der EuGVVO ausnehme, die Beurteilung eines ordre public-Verstoßes durch den Gesetzgeber generell und nicht durch ein Gericht auf Antrag im Einzelfall erfolge und die vom maltesischem Gesetz festgelegte ordre-public-Widrigkeit im Übrigen auch der Rspr des EuGH widerspreche. Die Beklagte habe die Unionsrechtswidrigkeit daher richtig erkannt und dargestellt und davon ausgehen dürfen, dass die maltesischen Gerichte sich entsprechend an das geltende Unionsrecht halten und dessen Anwendungsvorrang berücksichtigen. Sie hafte daher nicht für die unvorhersehbare europarechtswidrige Judikatur der maltesischen Gerichte.
3. Nationale Vorschriften:
Die Haftung des Sachverständigen für einen Ratschlag regeln die §§ 1299 und 1300 Allgemeines Bürgerliches Gesetzbuch (ABGB):
§ 1299. Wer sich zu einem Amte, zu einer Kunst, zu einem Gewerbe oder Handwerke öffentlich bekennet; oder wer ohne Noth freywillig ein Geschäft übernimmt, dessen Ausführung eigene Kunstkenntnisse, oder einen nicht gewöhnlichen Fleiß erfordert, gibt dadurch zu erkennen, daß er sich den nothwendigen Fleiß und die erforderlichen, nicht gewöhnlichen Kenntnisse zutraue; er muß daher den Mangel derselben vertreten. Hat aber derjenige, welcher ihm das Geschäft überließ, die Unerfahrenheit desselben gewußt; oder, bey gewöhnlicher Aufmerksamkeit wissen können; so fällt zugleich dem Letzteren ein Versehen zur Last.
§ 1300. Ein Sachverständiger ist auch dann verantwortlich, wenn er gegen Belohnung in Angelegenheiten seiner Kunst oder Wissenschaft aus Versehen einen nachtheiligen Rath ertheilet. Außer diesem Falle haftet ein Rathgeber nur für den Schaden, welchen er wissentlich durch Ertheilung des Rathes dem Anderen verursachet hat.
Die von der Beklagten begutachteten Bestimmungen des maltesischen Rechts wurden bereits weiter oben zitiert.
Entscheidungswesentlich ist für den gegenständlichen Rechtsstreit ist, ob die Beklagte in ihrem Gutachten schuldhaft die sich aus dem Zusammenspiel von maltesischen nationalen Recht und Europarecht ergebende Rechtslage falsch dargestellt und dabei die EuGVVO falsch ausgelegt hat.
4. Bisheriges Verfahren
4.1. Nach Schriftsatzwechsel und Abhaltung einer vorbereitenden Tagsatzung war obiger Sachverhalt geklärt, sodass als einzige maßgebliche Rechtsfrage die Richtigkeit bzw. Vertretbarkeit der zitierten Rechtsansicht der Beklagten in ihrem Gutachten und damit deren Auslegung der EuGVVO zu klären bleibt. Das Gericht teilt dabei die rechtlichen Erwägungen und Ausführungen der Beklagten zur Gänze. Im Lichte der davon offenkundig abweichenden Beurteilung der maltesischen Rechtsprechung kann aber nicht von einer acte clair- (bzw unter Berücksichtigung der bereits bestehenden Rspr des EuGH auch acte éclairé-)Situation ausgegangen werden. Das Gericht schloss sich daher der übereinstimmenden Ansicht und Antragstellung der Parteien an, ein Vorabentscheidungsersuchen zur Auslegung der Bestimmungen der EuGVVO durch den allein dazu befugten EuGH zu stellen, dem folgende Erwägungen zu Grunde liegen:
Rechtliche Beurteilung
5. Erwägungen zur Vorlage
Das Gericht geht – unvorgreiflich der allein maßgeblichen Auslegung des EuGH – unter Berücksichtigung des Art. 1 und des Kapitels III der EuGVVO, insbesondere der Art. 36, 39, 45, 46, 47 und 52 davon aus, dass
- die Regelungen der EuGVVO zur Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen aus anderen Mitgliedstaaten grundsätzlich auf sämtliche Zivil- und Handelssachen anwendbar sind (Art 1 EuGVVO), soweit keine Bereichsausnahme nach Art. 1 Abs. 2 vorliegt,
- in diesen Verfahren ergangenen Entscheidungen in allen Mitgliedstaaten anerkannt (Art. 36) und vollstreckt werden (Art. 39),
- die Gründe für die Versagung der Anerkennung (Unterabschnitt 1) und Vollstreckung (Unterabschnitt 2) abschließend in Abschnitt 3 des Kapitels III EuGVVO geregelt werden, wonach (neben hier nicht relevanten anderen Fällen)
- die Anerkennung und Vollstreckung einer Entscheidung auf Antrag durch das befasste Gericht verweigert werden kann, wenn die Anerkennung der öffentlichen Ordnung des ersuchten Staates offensichtlich widersprechen würde (ordre public, Art. 45 Abs. 1 lit. a, Art. 46), jedenfalls aber
- die Entscheidung im ersuchten Mitgliedstaat nicht inhaltlich nachgeprüft werden kann (Art. 52).
Weiters erachtet das Gericht es für selbstverständlich, dass diese Regelungen Anwendungsvorrang vor jeglichem nationalen Recht inkludierend Verfassungsrecht haben.
Art. 56A maltesischer Gaming Act sieht als Grundsatz der öffentlichen Ordnung vor, dass die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Verfahren gegen maltesische Glücksspielanbieter im Zusammenhang mit der Erbringung von Glücksspiel zu verweigern ist, wenn die Rechtmäßigkeit der Erbringung von Spieldienstleistungen in oder von Malta aus aufgrund einer von der (dortigen nationalen) Behörde erteilten Lizenz oder die Rechtmäßigkeit einer rechtlichen oder natürlichen Verpflichtung, die sich aus der Erbringung solcher Spieldienstleistungen ergibt, beeinträchtigt oder untergräbt und sich auf eine zugelassene Tätigkeit bezieht, die im Sinne des Gesetzes und anderer anwendbarer Regulierungsinstrumente rechtmäßig ist. Im Ergebnis wird ex lege der gesamte zivilrechtliche Glücksspielbereich als ordre public-widrig dem System der wechselseitigen Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen der Mitgliedstaaten entzogen und durch nationales Recht der Kanon der Bereichsausnahmen der EuGVVO durch eine generelle ordre public-Normierung erweitert, wenn diese Entscheidungen nicht dem maltesischen Recht entsprechen.
5.1. Zu Frage 1:
Für das vorlegende Gericht ist fraglich, ob die vom Unionsgesetzgeber für sämtliche Zivil- und Handelssachen vorgesehene wechselseitige Anerkennung und Vollstreckbarkeit von Entscheidungen der Mitgliedstaaten samt Ausnahme konkreter Bereiche in Art. 1 EuGVVO und allfälliger gerichtlicher Prüfung im Einzelfall nicht einer nationalen Regelung grundsätzlich entgegenstehen müsste, die im Ergebnis ein gesamtes Rechtsgebiet einer Inhaltskontrolle nach maltesischem Recht unterzieht und sodann dem Anwendungsbereich der EuGVVO entzieht.
5.2. Zu Frage 2:
Art. 45 und 46 EuGVVO setzen eine entsprechende Antragstellung auf Versagung der Anerkennung bzw. Vollstreckung voraus. Durch Art. 56 Gaming Act wird das in der EuGVVO festgelegte Verfahren erweitert um eine amtswegige Versagung aus ordre public-Gründen aus wirtschaftlichen Interessen, die zugleich nicht auf die entsprechenden Vorgaben des EuGH Bedacht nimmt, dass im Rahmen der Prüfung des Art. 45 Abs. 1 lit. a auch zu untersuchen sei, ob der Vollstreckungsschuldner (die Beklagte) im Mitgliedstaat des Prozessgerichts alle Rechtsbehelfe ausgeschöpft habe, die dazu geeignet sind, einen Verstoß gegen den ordre public-Einwand des Vollstreckungsstaats zu verhindern (vgl zuletzt etwa Rs. C-681/13 – Diageo Brands (ECLI:EU:C:2015:471)). Ob die Art. 45 und 46 eine derartige pauschale weitreichende Regelung des Art. 56A Gaming Act zulässt, scheint dem Gericht fragwürdig.
5.3. Zu Frage 3a:
In der Entscheidung des EuGH Rs. C-7/98 – Krombach/Bamberski (ECLI:EU:C:2000:164) wurde der Begriff der Öffentlichen Ordnung (ordre public) durch den Europäischen Gerichtshof so ausgelegt, dass darunter die in einer zweitstaatlichen Rechtsordnung als wesentlich geltenden Rechtsnormen oder die dort als grundlegend anerkannten Rechte verstanden werden. Auch stellte der Europäische Gerichtshof in diesem Urteil bereits fest, dass er den Inhalt der Öffentlichen Ordnung eines Mitgliedstaats nicht definieren, gleichwohl aber über die Grenzen wachen darf, innerhalb derer sich der Anerkennungs-/Vollstreckungsstaat auf diesen Begriff stützt. Das vorlegende Gericht hat Zweifel daran, dass der maltesische Gesetzgeber sich bei der Verabschiedung von Art. 56A Gaming Act als Anerkennungs-/Vollstreckungshindernis gem. Art. 45 Abs. 1 lit. a EuGVVO innerhalb der vom EuGH als zulässig angesehenen Grenzen bewegt. So wird das Gesetz damit begründet, dass die Niederlassung von Glücksspielanbietern in Malta gefördert werden soll, was wiederum auf Art. 18 der maltesischen Verfassung gestützt wird, wonach der Staat das privatwirtschaftliche Unternehmertum fördert. Maltesische Gerichte wiederum gehen von einem Anwendungsvorrang des maltesischen Verfassungsrechts vor dem Europarecht aus. Nun ist es sicher im Interesse eines jeden Staates, eine funktionierende Wirtschaft zu haben und dafür besonders Branchen zu fördern, die einen großen Anteil am Bruttoinlandsprodukt aufweisen und zudem eine Vielzahl an Arbeitsplätzen schafft, sowie nicht unbeachtliche Steuereinnahmen für den Staat generiert. Jedoch ist aus Sicht des Gerichts fraglich, ob solche rein wirtschaftliche Überlegungen als europarechtlich anerkannte Grundlage eines Grundsatzes der Öffentlichen Ordnung angesehen werden können, insbesondere, wenn es sich dabei um Branchen handelt, deren unternehmerische Tätigkeit in anderen Mitgliedstaaten anerkanntermaßen ein zivilrechtlich schädliches Handeln darstellt, dessen Ahndung jedoch aufgrund eines dafür maßgeblich geschaffenen Gesetzes unterbunden wird (vgl. Quarch/von Randow, VuR 2024, 3, 10 f.).
Das Gericht bezweifelt auch die Europarechtskonformität eines nationalen Gesetzes, durch das ein Mitgliedstaat die bei ihm ansässigen Unternehmen derart in seine Öffentliche Ordnung integrieren kann, dass diese selbst bei rechtswidrigen Tätigkeiten in anderen Mitgliedstaaten und europarechtskonformer Verurteilungen in diesen Staaten im Sinne der nationalen Rechtsnormen geschützt werden. Dass Art. 56A Gaming Act nicht nur die Anerkennung und Vollstreckbarkeit gerichtlicher Entscheidungen aus anderen Mitgliedstaaten untersagt, sondern auch die Klagsführung von Unionsbürgerinnen und -bürgern in Malta selbst ausschließt, darf dabei nicht unerwähnt bleiben.
Die Zweifel des Gerichts stützen sich auch auf die Entscheidung C-302/13 – FlyLAL-Lithuanian Airlines des EuGH (ECLI:EU:C:2014:2319), wonach rein wirtschaftliche Interessen bei der Definition der Öffentlichen Ordnung eines Staates keine Rolle spielen dürfen - auch dann nicht, wenn der Staat durch die Anerkennung/Vollstreckung von Entscheidungen einen Schaden zu erleiden droht.
5.4. Zu Frage 3b:
Die dargelegten Bedenken bleiben auch im Falle einer Unanwendbarkeit des Art. 56A Gaming Act (und damit über die Frage 3a hinaus) bestehen, sodass auch die Frage zu klären ist, ob Art. 45 Abs 1 lit a EuGVVO (iVm Art 46 EuGVVO hinsichtlich Vollstreckung) grundsätzlich, auch ohne ergänzende nationale Bestimmungen, dahingehend ausgelegt werden kann, dass bereits schlichte wirtschaftliche Interessen eines Mitgliedsstaates die Annahme einer ordre-public-Widrigkeit begründen kann, sofern die entsprechende Branche, die damit ausgenommen wird, einen wesentlichen Wirtschaftsfaktor für den jeweiligen Mitgliedsstaat darstellt, in dessen Hoheitsgebiet um Anerkennung und Vollstreckung ersucht wird.
5.5. Zu Frage 4:
Wie bereits zu Frage 1 dargelegt hat das Gericht Zweifel, dass Art. 52 EuGVVO mit Art 56A Gaming Act vereinbar ist, soweit nach dieser Bestimmung für die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen aus anderen Mitgliedstaaten die Rechtmäßigkeit der den Entscheidungen zu Grunde liegenden Handlungen der Verpflichteten nach maltesischem Recht zu beurteilen ist und somit letztlich eine Gesetzeskonformität nach nationalem Recht zusätzliche Voraussetzung für eine Anerkennung oder Vollstreckung wird. Eine vom Gericht angenommene Interpretation des Art. 52 EuGVVO schließt eine derartige Nachprüfung nach nationalem Recht aber gerade aus.
5.6. Zu Frage 5:
Eine verbindliche Auslegung des Begriffs „unverzüglich“ obliegt dem allein dazu befugten EuGH, das Gericht hegt aber wie die Beklagte in ihrem Gutachten jedenfalls Bedenken, dass bei einer Verfahrensdauer von über sechs Monaten ohne erstinstanzliche Entscheidung in einer Vielzahl von inhaltlich ähnlichen Verfahren bei dem überschaubaren, in Art. 45 und 46 EuGVVO vorgesehenen Prüfungsumfang nicht mehr von einer unverzüglichen Entscheidung ausgegangen werden kann. Letztlich höhlt eine Nichtentscheidung über die beantragten Anerkennungen und Vollstreckungen den gemeinsamen Rechtsraum ebenso aus wie eine ausdrückliche Versagung. Dem entgegenzuwirken ist aus Sicht des vorlegenden Gerichts Grundlage des Art. 52 EuGVVO, der so verstanden ebenso nationalen Regelungen entgegenstehen müsste, die auch ohne bewusste Nichterledigung aufgrund der im nationalen Recht vorgesehenen zusätzlichen umfangreichen Prüfungen zu unzumutbaren Verfahrensdauern führt. Ob und inwieweit die von den Parteien übereinstimmend vorgebrachte Dauer und Nichterledigung erstinstanzlicher Verfahren bei der Erledigung der in Malta gestellten Anträge auf Anerkennung und Vollstreckung von über zwei Jahren auf Art. 56A Gaming Act zurückzuführen sind oder auf sonstige Umstände, ist nicht bekannt.
6. Aussetzung
Bis zum Einlangen der Vorabentscheidung ist das Verfahren gemäß § 90a Abs 1 GOG auszusetzen.