JudikaturDSB

K121.553/0003-DSK/2010 – Datenschutzkommission Entscheidung

Entscheidung
20. Januar 2010

Text

[Anmerkung Bearbeiter: Namen (Firmen), (Internet )Adressen, Aktenzahlen (und dergleichen), Rechtsformen und Produktbezeichnungen etc. sowie deren Initialen und Abkürzungen können aus Anonymisierungsgründen abgekürzt und/oder verändert sein. Offenkundige Rechtschreib-, Grammatik- und Satzzeichenfehler wurden korrigiert.]

B E S C H E I D

Die Datenschutzkommission hat unter dem Vorsitz von Dr. SPENLING und in Anwesenheit der Mitglieder Mag. HUTTERER, Dr. KOTSCHY, Dr. ROSENMAYR-KLEMENZ, Mag. HEILEGGER und Dr. HEISSENBERGER sowie des Schriftführers Mag. SUDA in ihrer Sitzung vom 20. Jänner 2010 folgenden Beschluss gefasst:

S p r u c h

Über die Beschwerde des Ernest Henry K*** (Beschwerdeführer) aus B***, vertreten durch Dr. Arnold W***, Rechtsanwalt in **** B***, vom 15. August 2009 gegen die Bundespolizeidirektion Wien (Beschwerdegegnerin) wegen Verletzung im Recht auf Löschung in Folge Ablehnung des Löschungsbegehrens vom 20. Juli 2009 hinsichtlich der PAD-Daten und der Kopienakten der kriminalpolizeilichen Ermittlungsverfahren GZlen Y2/123*45/2007 und Y3/654*21/2009 wird entschieden:

Rechtsgrundlagen : §§ 6 Abs. 1 Z 5, 8 Abs. 4 Z 1 und 2, 27 Abs. 1 und 3 des Datenschutzgesetzes 2000 (DSG 2000), BGBl I Nr. 165/1999 idF BGBl I Nr. 2/2008 sowie 31 Abs. 2 des Datenschutzgesetzes 2000 (DSG 2000), BGBl I Nr. 165/1999 idgF, in Verbindung mit § 13 des Sicherheitspolizeigesetzes (SPG), BGBl. Nr. 566/1991 idgF.

B e g r ü n d u n g:

A. Vorbringen der Parteien

Der Beschwerdeführer behauptet in seiner mit 18. August 2009 datierenden und am 20. August 2009 bei der Datenschutzkommission eingegangenen Beschwerde eine Verletzung im Recht auf Löschung eigener Daten dadurch, dass die Beschwerdegegnerin mit Schreiben vom 30. Juli 2009, AZ:

D*/987*43/**/2009, sein Löschungsbegehren vom 20. Juli 2009 hinsichtlich der PAD-Daten (Daten der „Allgemeinen Protokolle“) und der Kopienakten der kriminalpolizeilichen Ermittlungsverfahren GZlen Y2/123*45/2007 und Y3/654*21/2009 abgelehnt habe (hinsichtlich der Daten des kriminalpolizeilichen Aktenindexes – KPA in der zentralen Informationssammlung der Sicherheitsbehörden wurde dem Löschungsbegehren jedoch offenkundig bereits vor Einbringung der Beschwerde entsprochen).

Gegen ihn sei von kriminalpolizeilichen Einheiten der Beschwerdegegnerin in den Jahren 2007 und 2009 wegen des Verdachts verschiedener Straftaten, darunter auch § 207b StGB (sexueller Missbrauch von Jugendlichen), ermittelt worden. Die Strafanzeigen seien jedoch teils von der Staatsanwaltschaft (rechtskräftig) zurückgelegt, teils die Verfahren, ebenfalls von der Staatsanwaltschaft Wien, eingestellt, teils die Vorwürfe nach einer Hauptverhandlung durch gerichtlichen Freispruch entkräftet worden. Die Daten, die für Zwecke der Ermittlungen nicht nur in Form von Papierakten, sondern auch automationsunterstützt (Allgemeine Protokolle – PAD-System) nach wie vor verarbeitet würden, beträfen einsichtigerweise daher hochsensible Daten aus seinem Sexualleben. Da die Ermittlungsverfahren abgeschlossen, die gegen ihn geführten Strafverfahren rechtskräftig beendet worden seien, sei der Verarbeitungszweck weggefallen und hätte seinem Löschungsbegehren vollinhaltlich entsprochen werden müssen.

Die Beschwerdegegnerin , von der Datenschutzkommission zur Stellungnahme aufgefordert, bestätigte in ihrer Stellungnahme vom 31. August 2009 das Sachverhaltsvorbringen des Beschwerdeführers, legte Kopien und Ausdrucke der entsprechenden Papierakten und PAD-Dokumentationen vor, und brachte vor, die Daten der „Allgemeinen Protokolle“ dienten einerseits der Auffindbarmachung des Kopienaktes (Protokollsystem), andererseits würde das System PAD auch eine automationsunterstützte Erstellung, Dokumentation und Versendung von Schriftstücken ermöglichen (teilweise elektronische Aktenführung und Aktenverwaltung), was u.a. Voraussetzung für die Zusammenarbeit und Kommunikation mit den in der StPO laut Strafprozessreform mit Leitungs- und Weisungsfunktionen ausgestatteten Staatsanwaltschaften sei. Derzeit sei jedoch keine vollständig automationsunterstützte Aktenführung möglich, und die vollständige Dokumentation eines kriminalpolizeilichen Ermittlungsverfahrens erfolge daher weiterhin in Form des so genannten Kopienaktes, eines Papieraktes. Rechtlich stütze sich diese Vorgehensweise auf die Ermächtigung gemäß § 13 Abs. 2 SPG. Die entsprechenden Daten hätten Dokumentationscharakter und seien als Dokumentation tatsächlichen kriminalpolizeilichen Handelns weder unrichtig noch entgegen den gesetzlichen Bestimmungen ermittelt worden. Auf sie werde die für den Papierakt geltende Skartierungsfrist von 10 Jahren angewandt. Das PAD diene auch keinem Evidenzzweck wie der KPA, das heißt der Verarbeitung von Daten betreffend frühere Verdachtsfälle und Verfahren, daher gehe der Vorwurf des Beschwerdeführers, die Datenverarbeitung gefährde sein Recht auf Geltung der Unschuldsvermutung, ins Leere. Für die Suche im PAD würden die in § 13 Abs. 2 SPG angeordneten Beschränkungen (keine Suche nur nach dem Namen und nach einem sensiblen Datum) gelten.

Hinsichtlich der Frage einer Löschung von Daten aus Papierakten verwies die Beschwerdegegnerin auf die Spruchpraxis der Datenschutzkommission und beider Höchstgerichte des öffentlichen Rechts, wonach sich das datenschutzrechtliche Löschungsrecht nicht auf Papierakten, die nicht die Eigenschaften einer manuellen Datei gemäß § 4 Z 6 DSG 2000 aufweisen würden, erstrecke.

Der Beschwerdeführer replizierte darauf in seiner Stellungnahme vom 16. September 2009, selbst nach den Ausführungen der Beschwerdegegnerin würden für den Dokumentationszweck nur die Protokolldaten („äußeren Verfahrensdaten“) benötigt, da eine vollständige Dokumentation ohnehin in Form des Kopienaktes vorhanden sei. Überdies sei das Verfahren im Gerichtsakt dokumentiert. Betreffend die Gefährdung der für ihn geltenden Unschuldsvermutung verwies der Beschwerdeführer auf die präventiven Aufgaben der Beschwerdegegnerin als Sicherheitsbehörde.

B. Beschwerdegegenstand

Auf Grund des Vorbringens des Beschwerdeführers ergibt sich, dass Beschwerdegegenstand die Frage ist, ob die Beschwerdegegnerin verpflichtet war, das Löschungsbegehren des Beschwerdeführers vom 20. Juli 2009 hinsichtlich der PAD-Daten (insbesondere Daten der „Allgemeinen Protokolle“) und der Kopienakten der kriminalpolizeilichen Ermittlungsverfahren GZlen Y2/123*45/2007 und Y3/654*21/2009 zu erfüllen.

C. Sachverhaltsfeststellungen

Ausgehend vom Beschwerdegegenstand wird der folgende Sachverhalt festgestellt:

Gegen den Beschwerdeführer wurde im Jahr 2007 (Strafanzeige vom 8. November 2007) zu Zl. Y2/123*45/2007, wegen Verdachts der Straftaten nach §§ 205 Abs. 1 und 207b Abs. 1, 2 und 3 StGB sowie §§ 27 Abs. 1 und Abs. 2 Z 1 SMG, und im Jahr 2009 (Anfalls-/Abschlussbericht vom 10. März 2009) zu Zl. Y3/654*21/2009 wegen Verdachts der Straftat nach § 207b StGB kriminalpolizeiliche Ermittlungsverfahren von der Beschwerdegegnerin als datenschutzrechtlicher Auftraggeberin unterstehender kriminalpolizeilicher Einheiten der Bundespolizei geführt. Hinsichtlich des ersten Ermittlungsverfahrens erfolgte bereits am 29. Mai 2008 eine Teileinstellung des Verfahrens durch die Staatsanwaltschaft Wien (Benachrichtigung, GZ: *3 St *34/08c-1) sowie hinsichtlich der restlichen Beschuldigungen ein Freispruch durch das Landesgericht für Strafsachen Wien mit Urteil vom 16. Oktober 2008, AZ: 2* Hv *45/08b. Hinsichtlich des zweiten Ermittlungsverfahrens wurde das Verfahren durch die Staatsanwaltschaft Wien am 15. April 2009 eingestellt (Benachrichtigung, GZ: *3 St 7**/09t-2).

Beweiswürdigung : Diese Feststellungen beruhen auf dem Inhalt der von der Beschwerdegegnerin als Beilagen zur Stellungnahme vom 31. August 2009 vorgelegten Aktenkopien (Anlage 1 bis 3), insbesondere den zitierten Aktenstücken und den Benachrichtigungen der Staatsanwaltschaft und des Landesgerichts für Strafsachen Wien.

Die Ergebnisse dieser Ermittlungsverfahren werden vollständig von der Beschwerdegegnerin in den Papierakten, genannt „Kopienakten“, mit den Zlen. Y2/123*45/2007 und Y3/654*21/2009 dokumentiert. Es handelt sich um herkömmliche Aktenkonvolute, bestehend aus Textdokumenten wie Berichte, Aktenvermerke, Niederschriften (über die Einvernahme von Beweispersonen) sowie Beilagen (Lichtbilder, Datenausdrucke, Fotokopien).

Beweiswürdigung: Diese Feststellungen beruhen auf dem Inhalt der von der Beschwerdegegnerin als Beilagen zur Stellungnahme vom 31. August 2009 vorgelegten Aktenkopien (Anlage 2).

Den Beschwerdeführer betreffende Daten werden weiters im System PAD („Allgemeine Protokolle der Bundespolizeidirektion Wien“) verwendet: einerseits in Form der protokollierten Daten der beiden durchgeführten Ermittlungsverfahren (Umfang laut Anlage 4 der Beilagen zur Stellungnahme der Beschwerdegegnerin vom 31. August 2009) zwecks Aktenverwaltung (Dokumentation der Eckdaten des Verfahrens), andererseits in Form elektronischer dokumentierter Aktenstücke, parallel und ergänzend zu den bestehenden Kopienakten (Umfang laut Anlage 3 der Beilagen zur Stellungnahme der Beschwerdegegnerin vom 31. August 2009).

Beweiswürdigung : Diese Feststellungen beruhen auf dem Inhalt der von der Beschwerdegegnerin als Beilagen zur Stellungnahme vom 31. August 2009 vorgelegten Ausdrucke (Anlage 3 und 4).

Der Beschwerdeführer richtete am 20. Juli 2009 ein Löschungsbegehren, sämtliche mit den sachgegenständlichen Ermittlungsverfahren (automations- oder nicht automationsunterstützt) verarbeiteten Daten, insbesondere im KPA, in den Allgemeinen Protokollen und in den entsprechenden Erhebungsakten zu löschen, an die Beschwerdegegnerin. Mit Schreiben vom 30. Juli 2009, AZ: D*/987*43/**/2009, teilte die Beschwerdegegnerin betreffend die Allgemeinen Protokolle (PAD) mit, dass diese Daten zur Wiederauffindung der Aktenkopie sowie zur Dokumentation behördlichen Handelns jedenfalls auf Dauer der Aufbewahrung der Aktenkopie noch benötigt und daher nicht gelöscht werden. Hinsichtlich der Erhebungsakten wurde mitgeteilt, dass diese nicht dem Löschungsrecht nach § 27 DSG 2000 unterliegen.

Beweiswürdigung : Diese Feststellungen beruhen auf dem Inhalt der vom Beschwerdeführer als Beilagen zur Beschwerde vom 15. August 2009 vorgelegten Kopien der zitierten Schreiben.

D. In rechtlicher Hinsicht folgt daraus :

1. anzuwendende Rechtsvorschriften

§ 6 Abs. 1 Z 5 DSG 2000 lautet unter der Überschrift „Grundsätze“:

§ 6 . (1) Daten dürfen nur

[...]

§ 8 Abs. 4 Z 1 und 2 DSG 2000 lautet unter der Überschrift „Schutzwürdige Geheimhaltungsinteressen bei Verwendung nichtsensibler Daten“:

„(4) Die Verwendung von Daten über gerichtlich oder verwaltungsbehördlich strafbare Handlungen oder Unterlassungen, insbesondere auch über den Verdacht der Begehung von Straftaten, sowie über strafrechtliche Verurteilungen oder vorbeugende Maßnahmen verstößt - unbeschadet der Bestimmungen des Abs. 2 - nur dann nicht gegen schutzwürdige Geheimhaltungsinteressen des Betroffenen, wenn

§ 27 Abs. 1 DSG 2000 lautet unter der Überschrift „Recht auf Richtigstellung oder Löschung“:

§ 27 . (1) Jeder Auftraggeber hat unrichtige oder entgegen den Bestimmungen dieses Bundesgesetzes verarbeitete Daten richtigzustellen oder zu löschen, und zwar

Der Pflicht zur Richtigstellung nach Z 1 unterliegen nur solche Daten, deren Richtigkeit für den Zweck der Datenanwendung von Bedeutung ist. Die Unvollständigkeit verwendeter Daten bewirkt nur dann einen Berichtigungsanspruch, wenn sich aus der Unvollständigkeit im Hinblick auf den Zweck der Datenanwendung die Unrichtigkeit der Gesamtinformation ergibt. Sobald Daten für den Zweck der Datenanwendung nicht mehr benötigt werden, gelten sie als unzulässig verarbeitete Daten und sind zu löschen, es sei denn, daß ihre Archivierung rechtlich zulässig ist und daß der Zugang zu diesen Daten besonders geschützt ist. Die Weiterverwendung von Daten für einen anderen Zweck ist nur zulässig, wenn eine Übermittlung der Daten für diesen Zweck zulässig ist; die Zulässigkeit der Weiterverwendung für wissenschaftliche oder statistische Zwecke ergibt sich aus den §§ 46 und 47.“

§ 31 Abs. 2 DSG 2000 idF BGBl. I Nr 133/2009 lautet unter der Überschrift „Beschwerde an die Datenschutzkommission“:

„(2) Die Datenschutzkommission erkennt weiters über Beschwerden von Personen oder Personengemeinschaften, die behaupten, in ihrem Recht auf Geheimhaltung (§ 1 Abs. 1) oder in ihrem Recht auf Richtigstellung oder auf Löschung (§§ 27 und 28) verletzt zu sein, sofern der Anspruch nicht nach § 32 Abs. 1 vor einem Gericht geltend zu machen ist oder sich gegen ein Organ im Dienste der Gesetzgebung oder der Gerichtsbarkeit richtet.“

§ 13 SPG idF BGBl. I Nr. 151/2004 lautet unter der Überschrift „Kanzleiordnung“:

§ 13 . (1) Die formale Behandlung der von den Sicherheitsdirektionen, den Bundespolizeidirektionen und den Polizeikommanden (§ 10) zu besorgenden Geschäfte ist vom Bundesminister für Inneres jeweils in einer einheitlichen Kanzleiordnung festzulegen. Für die Bundespolizeidirektion Wien können, soweit dies wegen der Größe dieser Behörde erforderlich ist, Abweichungen von der sonst für die Bundespolizeidirektionen geltenden Kanzleiordnung vorgesehen werden.

(2) Der Bundesminister für Inneres, die Sicherheitsdirektionen, Bundespolizeidirektionen und Polizeikommanden sind ermächtigt, sich bei der Wahrnehmung gesetzlich übertragener Aufgaben für die Dokumentation von Amtshandlungen und die Verwaltung von Dienststücken der automationsunterstützten Datenverarbeitung zu bedienen. Zu diesen Zwecken dürfen sie Daten über natürliche und juristische Personen sowie Sachen verwenden, auf die sich der zu protokollierende Vorgang bezieht, wie insbesondere Datum, Zeit und Ort, Fahrzeugdaten, Betreff und Aktenzeichen samt Bearbeitungs- und Ablagevermerken sowie Namen, Rolle des Betroffenen, Geschlecht, frühere Namen, Aliasdaten, Staatsangehörigkeit, Geburtsdatum, Geburtsort, Wohnanschrift und andere zur Erreichbarkeit des Menschen dienende Daten. Soweit es erforderlich ist, dürfen auch sensible Daten (§ 4 Z 2 DSG 2000) sowie Daten im Sinne des § 8 Abs. 4 DSG 2000 verwendet werden. Die Auswählbarkeit von Daten aus der Gesamtmenge der gespeicherten Daten nur nach dem Namen und nach sensiblen Daten darf nicht vorgesehen sein, vielmehr ist für die Auswahl ein auf den protokollierten Sachverhalt bezogenes weiteres Datum anzugeben.“

2. rechtliche Schlussfolgerungen

1) Die Frage, wann Daten des PAD (spätestens) zu löschen sind, stellt sich nach Meinung der Datenschutzkommission in identer Weise für die „äußeren“ Verfahrensdaten wie für die im PAD 2.0 auch enthaltenen elektronischen Textdokumente. Die folgenden Erwägungen beziehen sich daher gleichermaßen auf alle Eintragungen über den Beschwerdeführer im PAD-System der Beschwerdegegnerin.

2) Der Beschwerdeführer hat die Löschung aller Daten über die seinerzeit gegen ihn eingeleiteten kriminalpolizeilichen Ermittlungen mit der Begründung verlangt, dass diese nicht mehr benötigt würden, da sich seine Unschuld erwiesen habe (überdies sei das kriminalpolizeiliche Ermittlungsverfahren ohnehin im Kopienakt und im Gerichtsakt dokumentiert).

a) Zur Zulässigkeit der Speicherung von Verfahrensdaten nach Verfahrensbeendigung durch Einstellung/Freispruch:

Der Beschwerdeführer bestreitet, dass nach Einstellung kriminalpolizeilicher Ermittlungen die weitere Speicherung von Verfahrensdaten für ihren Ermittlungszweck erforderlich sei, da er unbescholten sei, und schließt daraus auf eine generelle Löschungsverpflichtung betreffend alle aktenmäßigen Aufzeichnungen samt Aktensuchbehelfen über diese Ermittlungen; dies umso mehr als aus der weiteren Datenspeicherung Gefahr für die Vermutung seiner Unschuld drohe.

Dazu kann auf die Entscheidung der Datenschutzkommission vom 21. Jänner 2009, GZ: K121.390/0001-DSK/2009, verwiesen werden.

Die Suche nach gesetzlichen Regelungen über die zulässige Dauer der Aktenspeicherung führt im vorliegenden Fall zunächst zur StPO, da die beschwerdegegenständlichen Daten für Zwecke der Kriminalpolizei ermittelt wurden: Die §§ 95 – 97 StPO bringen unter der Überschrift „Protokollierung“ Regelungen betreffend die Pflicht und Art und Weise der Dokumentation von „bedeutsamen Vorgängen“ im Verfahrensverlauf; darunter finden sich aber keine Anordnungen hinsichtlich der zulässigen Dauer der Aufbewahrung des Dokumentationsmaterials. Weiters enthält § 18 StPO unter der Überschrift „Kriminalpolizei“ in seinem Abs. 2 die Vorschrift, dass „die Kriminalpolizei den Sicherheitsbehörden (obliegt), deren Organisation und örtliche Zuständigkeit sich nach den Vorschriften des Sicherheitspolizeigesetzes über die Organisation der Sicherheitsverwaltung richtet“. Die „Organisation der Sicherheitsverwaltung“ ist im 2. Hauptstück des SPG (§§ 2 – 15c) geregelt. Dort finden sich in § 13 Regelungen über das Kanzleiwesen bei den Sicherheitsbehörden, Bundespolizeidirektionen und Polizeikommanden, die im Wege des § 18 StPO im vorliegenden Fall kriminalpolizeilicher Ermittlungen Anwendung zu finden haben. Hinsichtlich der erlaubten Dauer der Aufbewahrung von Daten in Akten und Kanzleisuchbehelfen enthält jedoch auch § 13 keine besondere Regelung.

Die §§ 51 ff des SPG (insbes. § 63 SPG) können im vorliegenden Fall keine Anwendung finden, da sie nur die Verwendung von Daten für sicherheitspolizeiliche Zwecke, nicht aber für kriminalpolizeiliche Zwecke betreffen.

Hinsichtlich des § 13 SPG vertritt der VfGH in nunmehr ständiger Judikatur (vgl. die Erk. B1158/03, B1590/03, B3517/05 u.a.m.) die Rechtsansicht, dass „die Verarbeitung personenbezogener Daten über Personen, auf die sich sicherheitspolizeiliche Maßnahmen beziehen, nicht dem inneren Dienst zugerechnet werden können, soweit damit deren Rechtsposition gestaltet wird. Es sind damit die Regelungen des Sicherheitspolizeigesetzes über das Verwenden personenbezogener Daten anzuwenden“. Im vorliegenden Fall handelt es sich zwar um kriminalpolizeiliche Daten, sodass das Sicherheitspolizeigesetz schon deshalb – mit Ausnahme der Bestimmungen über die Organisation und örtliche Zuständigkeit der Sicherheitsbehörden (vgl. § 18 Abs. 1 StPO) – nicht zur Anwendung kommen kann, doch ist aus dem Verbot der Zurechnung von Aufzeichnungen von personenbezogenen Daten über Außenstehende zum „inneren Dienst“ zu folgern, dass Regelungen im Bereich der Aktenverwaltung, die die Rechtssphäre von Außenstehenden berühren, nicht durch interne Weisung mit rechtlicher Außenwirkung getroffen werden können, sondern nur durch gesetzliche Anordnung. Skartier- oder Kanzleiordnungen mit dem Charakter interner Organisationsvorschriften kommen daher als relevante Regelungen über die zulässige Speicherdauer von Akten/Aktensuchbehelfen nicht in Betracht.

Somit kann nur auf die allgemeinen Grundsätze des § 6 Abs. 1 Z 5 DSG 2000 über die zulässige Speicherdauer von personenbezogenen Daten zurückgegriffen werden: Nach § 6 Abs. 1 Z 5 DSG 2000 dürfen „Daten nur solange in personenbezogener Form aufbewahrt werden, als dies für die Erreichung der Zwecke, für die sie ermittelt wurden, erforderlich ist; eine längere Aufbewahrungsdauer kann sich aus besonderen gesetzlichen, insbesondere archivrechtlichen Vorschriften ergeben“.

Die Datenschutzkommission ist der Ansicht, dass es im Sinne des § 6 Abs. 1 Z 5 DSG 2000 einer „besonderen gesetzlichen Vorschrift“ über die Aufbewahrungsdauer jedoch im vorliegenden Fall nicht bedarf, da schon „die Erreichung der Zwecke, für die (die Daten) ermittelt wurden“ eine Aufbewahrung der Verfahrensdokumentation über die Verfahrensdauer hinaus erfordert.

Entscheidend ist hiebei, dass auch Verfahren, die zur Einstellung oder zum Freispruch geführt haben, unter Umständen nach ihrem Abschluss wieder eröffnet werden können (vgl. insbes. das XX. Hauptstück der StPO „Von der Wiederaufnahme und der Erneuerung des Strafverfahrens sowie der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand“ und auch das 10. Hauptstück über die „Einstellung, Abbrechung und Fortführung des Ermittlungsverfahrens“). Schon dies setzt augenfällig voraus, dass eine Dokumentation über den bisherigen Verfahrensverlauf in jedem Fall auch nach dem Verfahrensabschluss noch vorhanden sein muss.

Auch würde die Behauptung des Beschwerdeführers, wonach das bloße Vorhandensein von Verfahrensdokumentation die Geltung der Unschuldsvermutung für ihn gefährde – konsequent durchdacht – dazu führen müssen, dass nicht nur die Akten über kriminalpolizeiliche Ermittlungen bei den Sicherheitsbehörden, sondern auch alle Akten nach Einstellungen oder Freisprüchen bei den Strafgerichten oder der Staatsanwaltschaft umgehend zu vernichten wären. Damit ginge aber auch jeder Nachweis eines erfolgten Freispruchs oder einer Verfahrenseinstellung durch die Anklagebehörde verloren. Diese Nachweisbarkeit der „Unschuld“ ist vom Zweck des Strafverfahrens mit umfasst, da hiebei ja nicht nur alles zu berücksichtigen ist, was die Schuld des Verdächtigen nachweisen könnte, sondern auch alles, was seine Unschuld beweist. Tatsache ist jedenfalls, dass eine Vorgangsweise, wonach etwa Gerichtsakten im Falle eines Freispruchs des Angeklagten sofort zu vernichten wären, der österreichischen Rechtspraxis völlig fremd ist.

Vielmehr ist es – ganz abgesehen von einer möglicherweise notwendigen neuerlichen Verfahrensdurchführung – für einen Rechtsstaat unerlässlich, dass Dokumentation über staatliches Handeln in Aktenform mindestens so lange vorhanden ist, als die unterschiedlichen, zur Prüfung der Rechtmäßigkeit außerhalb von Rechtsmittel- und fristgebundenen Beschwerdeverfahren berufenen Institutionen ihre Prüfkompetenz ausüben dürfen. Diese Aufbewahrung der Dokumentation über staatliches Handeln zum Zweck der Nachprüfbarkeit seiner Rechtmäßigkeit ist als vom „Zweck der Ermittlung“ mitgetragen anzusehen. Die Annahme einer Pflicht zur sofortigen Vernichtung der Verfahrensdokumentation nach Verfahrensbeendigung würde demgegenüber die Gefahr der Förderung von Rechtswillkür und Korruption in sich bergen, da Organwalter – und von ihnen begünstigte Außenstehende – die nachgängige Kontrolle von staatlichem Handeln auf seine Rechtmäßigkeit hin in weit geringerem Maße fürchten müssten als bisher. Gerade im Zusammenhang mit kriminalpolizeilichen Ermittlungen ist aber die nachgängige Überprüfbarkeit der Vorgangsweise der kriminalpolizeilichen Organwalter für die Effektivität eines Rechtsstaates von besonderer Bedeutung.

Dass eine Pflicht zur Aufbewahrung von Akten auch nach Verfahrensbeendigung in der österreichischen Rechtsordnung ganz generell als selbstverständliches Erfordernis in einem Rechtsstaat vorausgesetzt wird, ergibt sich im Übrigen auch aus zahlreichen gesetzlichen Bestimmungen. So wird etwa in den §§ 5 ff des Bundesarchivgesetzes, BGBl I Nr. 162/1999 idgF, auf die Skartierung von Akten ausdrücklich Bezug genommen, d. h. auf die Praxis, dass Akten während einer gewissen, mehrere Jahre dauernden „Skartierfrist“ jedenfalls aufzubewahren sind, und erst dann darüber entschieden wird, ob sie vernichtet oder infolge Archivwürdigkeit dem Staatsarchiv zur dauernden Aufbewahrung übergeben werden. Auch sämtliche gesetzlichen Vorschriften über die nachprüfende Kontrolle des Verwaltungshandelns außerhalb von Rechtsmittel- oder fristgebundenen Beschwerdeverfahren, wie etwa die Tätigkeit der Volksanwaltschaft oder des Rechnungshofs – aber auch der Datenschutzkommission –, setzen voraus, dass Verfahrensdokumentation auch nach Abschluss von Verwaltungsverfahren für einen bestimmten Zeitraum noch vorhanden ist.

b. Die vorstehenden Erwägungen über die Erforderlichkeit der Aufbewahrung von Verfahrensakten stehen nur scheinbar im Widerspruch zu dem Anliegen des Beschwerdeführers:

Die Behauptung des Beschwerdeführers, dass die Aufbewahrung der Verfahrensdokumentation nach Verfahrensbeendigung nicht mehr erforderlich sei, sobald sich die Unschuld eines Verdächtigen herausgestellt habe, wird von ihm vorrangig aus Sorge vor der Präjudizierung künftiger Meinungsbildung über seine Person durch allfälligen Rückgriff (von Polizeiorganen) auf die bereits bestehende Verfahrensdokumentation im Falle der Untersuchung später eingetretener, neuer Sachverhalte. Tatsächlich sind derartige Befürchtungen nicht gänzlich von der Hand zu weisen. Die besondere Eingriffsintensität einer derartigen Verwendung von Daten in die Grundrechtssphäre des Betroffenen, insbesondere in die durch Art. 8 EMRK geschützten Rechte, gebietet es, den „Zweck der Ermittlung“ nach § 6 Abs. 1 Z 5 DSG 2000 bei strafrelevanten Daten eng zu ziehen und daher das Erheben von Daten zur Aufklärung eines bestimmten strafrelevanten Sachverhalts nicht gleichzusetzen mit dem generellen Zweck der Aufklärung von strafrelevanten Sachverhalten schlechthin.

Das Anliegen des Beschwerdeführers betrifft daher im Kern die Weiterverwendung von Verfahrensdaten für einen neuen – vom ursprünglichen Ermittlungszweck verschiedenen –Zweck, nämlich die Aufklärung anderer strafrelevanter Sachverhalte: Was der Beschwerdeführer unterbinden will, ist die Heranziehung der Dokumentation über bestimmte frühere Ermittlungsergebnisse zur Informationsgewinnung im Hinblick auf spätere, neue Vorfälle, die denselben Beschuldigten betreffen – eine Verwendung, die im Folgenden als „Informationsrückgriff“ bezeichnet werden soll.

Dass es tatsächlich notwendig sein sollte, zur Vermeidung eines derartigen Informationsrückgriffs die Dokumentation der Verfahrensdaten nach Verfahrensbeendigung umgehend zu löschen und dabei in Kauf zu nehmen, dass dadurch die Möglichkeit einer Wiedereröffnung oder der nachprüfenden Kontrolle der Rechtmäßigkeit eines Verfahrens vereitelt wird, trifft nicht zu: Gerade seitdem das Handeln staatlicher Organe nahezu ausschließlich elektronisch dokumentiert wird, ist jeder Zugriff auf Verfahrensdokumentationsdaten kontrollierbar. Eine vom Gesetz nicht vorgesehene Weiterverwendung kann daher mit vernünftigem technischem und organisatorischem Aufwand unterbunden werden, sodass die Löschung generell nicht mehr als der einzige verlässliche Weg zur Vermeidung einer unerwünschten Weiterverwendung von Daten angesehen werden kann.

Das Vorbringen des Beschwerdeführers, dass eine missbräuchliche Verwendung der PAD-Daten (er erwähnt dabei die Möglichkeit, dass Polizeibeamte ohne dienstliche Veranlassung nach den zu bestimmten Personen gespeicherten Daten suchen könnten) nicht ausgeschlossen werden kann, zeigt zwar eine denkmögliche Gefährdung seines Grundrechts auf Geheimhaltung (§ 1 Abs. 1 DSG 2000) auf, vermag aber keinen Grund darzulegen, warum die Verarbeitung der Daten an sich unrechtmäßig und ein darauf gestützter Löschungsanspruch rechtmäßig sein sollte.

c. Im Übrigen hat auch der VfGH ausschließlich im Zusammenhang mit Verfahren betreffend den wegen Grundrechtswidrigkeit aufgehobenen § 209 StGB eine generelle Löschungsverpflichtung elektronischer Dokumentationsdaten ausgesprochen. Außerhalb des Problembereichs des aufgehobenen § 209 StGB hat der VfGH die Zulässigkeit der Aufbewahrung strafrelevanter Daten für Zwecke des späteren Informationsrückgriffs bei neuerlichen strafrechtlichen Ermittlungen nicht generell verneint, sondern jeweils an eine vorhergehende Prüfung im Einzelfall unter Vornahme einer Interessensabwägung gebunden (vgl. etwa VfSlg 16149).

Dass die bei der Beschwerdegegnerin noch vorhandene Dokumentation von der Beschwerdegegnerin für den Zweck des Rückgriffs auf kriminalpolizeiliche Vorinformation über den Beschwerdeführer tatsächlich verwendet worden wäre und dadurch der Beschwerdeführer in seinem Recht auf Geheimhaltung verletzt worden wäre, hat der Beschwerdeführer jedoch nicht behauptet. Die Frage, ob überhaupt und wenn ja, unter welchen Kautelen eine solche Weiterverwendung zulässig wäre, musste daher im vorliegenden Bescheid nicht abschließend beurteilt werden, weshalb wie im Spruch zu entscheiden war.

3) Löschung des Kopienaktes

Die Frage, ob herkömmliche Papierakten, die aus einem Konvolut nicht strukturierter schriftlicher Unterlagen bestehen und daher keine Dateiqualität aufweisen, dem datenschutzrechtlichen subjektiven Recht auf Löschung unterliegen (§§ 1 Abs. 3 Z 2, 27 DSG 2000), wurde inzwischen von beiden Gerichtshöfen des öffentlichen Rechts verneinend beantwortet. Laut Verwaltungsgerichtshof (Erkenntnis vom 21. Oktober 2004, Zl. 2004/06/0086) wie Verfassungsgerichtshof (Erkenntnis vom 15. Dezember 2005, Zl. B 1590/03) genügt ein Akt oder Aktenkonvolut bzw. ein nicht personenbezogen strukturierter Papierakt den gesetzlichen Anforderungen an eine Datei gemäß § 4 Z 6 DSG 2000 nicht. Es kann daher auf Grundlage datenschutzrechtlicher Bestimmungen, insbesondere des § 27 DSG 2000, keine „Löschung“ des Aktes oder darin enthaltener Angaben zu Personen verlangt werden.

Da die Sachverhaltsfeststellungen zu dem Schluss führen, dass die den Beschwerdeführer betreffenden vorhandenen Kopienakten keine vorgegebene inhaltliche Struktur aufweisen und daher keine „Dateien“ sind, kommt der Beschwerde in Bezug auf diese Kopienakten - bzw. „Erhebungsakten“, wie sie der Beschwerdeführer bezeichnet hat - keine Berechtigung zu.

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