JudikaturDSB

2021-0.643.804 – Datenschutzbehörde Entscheidung

Entscheidung
Zivilrecht
09. Juni 2022

Text

GZ: 2021-0.643.804 vom 9. Juni 2022 (Verfahrenszahl: DSB-D124.4055)

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BESCHEID

SPRUCH

Die Datenschutzbehörde entscheidet über die Datenschutzbeschwerde von Veronika A*** (Beschwerdeführerin), vertreten durch Dr. Johanna S***, Rechtsanwältin in **** G***stadt, B***gasse *3, vom 5. Mai 2021, ergänzt am 28. Mai 2021, gegen das Bezirksgericht N*** (Beschwerdegegner) wegen behaupteter Verletzung im Recht auf Geheimhaltung wie folgt:

- Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen .

Rechtsgrundlagen : Art. 51 Abs. 1, Art. 55, Art. 57 Abs. 1 lit. f sowie Art. 77 Abs. 1 der Verordnung (EU) 2016/679 (Datenschutz-Grundverordnung, im Folgenden: DSGVO), ABl. Nr. L 119 vom 4.5.2016 S. 1; §§ 1 Abs. 1 und Abs. 2, 18 Abs. 1 sowie 24 Abs. 1 und Abs. 5 des Datenschutzgesetzes (DSG), BGBl. I Nr. 165/1999 idgF; §§ 1, 7, 33 Abs. 1 lit. b, 87 sowie 94 Abs. 1 des Allgemeinen Grundbuchsgesetzes 1955 (GBG), BGBl. Nr. 39/1955 idgF.

BEGRÜNDUNG

A. Vorbringen der Parteien und Verfahrensgang

1. Mit Eingabe vom 5. Mai 2021, ergänzt am 28. Mai 2021, behauptete die Beschwerdeführerin durch ihre rechtsfreundliche Vertretung eine Verletzung im Recht auf Geheimhaltung und brachte zusammengefasst wie folgt vor:

Die Beschwerdeführerin sei am 16. November 2020 im Verfahren 25 C 45/20t geschieden worden. Teil des Scheidungsverfahrens sei der Abschluss einer „Scheidungsfolgenvereinbarung“ gewesen, in welchem die Aufteilung gemeinsamer Liegenschaften vereinbart worden sei. Das Verfahren sei beim Beschwerdegegner geführt worden. Dieser habe in weiterer Folge als zuständiges Gericht die Eintragung der Scheidungsfolgenvereinbarung (samt Aufsandungserklärungen) zur TZ 481/2021 ins Grundbuch (Urkundensammlung) vorgenommen, mit welcher Drittwirkung erlangt worden sei. Diese Eintragung habe die Möglichkeit der öffentlichen Einsichtnahme bewirkt, da gemäß § 7 Abs. 2 GBG jedermann in das Grundbuch Einsicht nehmen und Auszüge anfertigen lassen könne. Im gegebenen Fall seien weit über die notwendige Ersichtlichmachung sachenrechtlicher Berechtigungen reichende sensible Daten veröffentlicht worden. Konkret seien dies das Grundbuch nicht betreffende Vereinbarungen über sonstige Vermögenswerte, die weder Drittwirkung entfalten können, noch aus sonstigen Gründen der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden dürfen. Es handle sich um einen Eingriff in die Privatsphäre der Familie. Der (sachliche) Anwendungsbereich der DSGVO sei eröffnet, da insbesondere sowohl der Begriff „Verarbeitung“ als auch der Begriff „personenbezogene Daten“ iSv. Art. 4 DSGVO erfüllt seien. Es liege für die gegenständliche Verarbeitung kein Rechtfertigungsgrund iSv. Art. 6 Abs. 1 DSGVO vor. Zum Vergleich werde auf das Verlassenschaftsverfahren hingewiesen, in welchem gerade nicht das gesamte Ergebnis bzw. die „Schlussentscheidung“ des Verfahrens der Öffentlichkeit preisgegeben werde. Es ergehe überdies die Anregung, die Datenschutzbehörde möge dem Verfassungsgerichtshof die Bestimmung des § 7 Abs. 2 GBG zur verfassungsmäßigen Prüfung vorlegen. Zum Beweis legte die Beschwerdeführerin einen Auszug aus dem Hauptbuch des Grundbuches vom 28. Mai 2021 sowie eine Kopie der Vergleichsausfertigung, datiert mit 19. November 2020, vor.

2. Mit Erledigung vom 2. Juni 2021 forderte die Datenschutzbehörde den Beschwerdegegner zur Stellungnahme auf.

3. Mit Eingabe vom 14. Juni 2021 führte der Beschwerdegegner wie folgt aus:

Gemäß den Bestimmungen des § 3 Abs. 1 lit. b (offenbar gemeint: § 33 Abs. 1 lit. b GBG) seien Einverleibungen ins Grundbuch aufgrund von vor Gericht abgeschlossenen Vergleichen möglich. Die Beschwerdeführerin habe mittels „ERV-Antrag“ durch ihren Rechtsvertreter die Einverleibung des Eigentumsrechts begehrt, wobei in diesem Zusammenhang als Urkunde u.a. der Scheidungsvergleich (Scheidungsfolgenvereinbarung) vom 19. November 2020 zur Gänze beigefügt gewesen sei. Der Antrag sei in weiterer Folge bewilligt und der Scheidungsvergleich im von der Beschwerdeführerin übermittelten (vollen) Umfang in der Urkundensammlung abgespeichert worden. Aufgabe des Beschwerdegegners sei es, die vorgelegten Urkunden zur Gänze in die Urkundensammlung aufzunehmen, nicht hingegen, Eingaben nach eigenem Ermessen datenschutzrechtlich zu überprüfen und rechtsbegründende Urkunden möglicherweise entsprechend zu kürzen.

4. Mit Erledigung vom 24. August 2021 gewährte die Datenschutzbehörde der Beschwerdeführerin Parteiengehör.

5. Mit Eingabe vom 14. September 2021 brachte die Beschwerdeführerin vor, dass dem Beschwerdegegner insofern zugestimmt werde, als dass § 7 GBG keine datenschutzrechtliche Prüfung vorgelegter Urkunden durch das zuständige Gericht ermögliche. Jedoch werde festgehalten, dass auch der einbringenden Partei keine Kürzung nach eigenem Ermessen ermöglicht werde. Der Gesetzgeber habe es an dieser Stelle verabsäumt, dem Gericht oder der Partei Beschränkungen aufzuerlegen bzw. Einschränkungen zu ermöglichen. Es werde daher nochmals angeregt, dem Verfassungsgerichtshof diese Bestimmung zur Prüfung vorzulegen.

B. Beschwerdegegenstand

Beschwerdegegenstand ist die Frage, ob der Beschwerdegegner die Beschwerdeführerin dadurch im Recht auf Geheimhaltung verletzt hat, indem er einen (gerichtlichen) Scheidungsfolgenvergleich in die Urkundensammlung des Grundbuches vollumfänglich aufgenommen und somit Daten der Beschwerdeführerin der Öffentlichkeit zugänglich gemacht hat.

C. Sachverhaltsfeststellungen

1. Die Beschwerdeführerin wurde mit 16. November 2020 im Verfahren zur GZ: 25 C 45/20t rechtswirksam geschieden. Teil dieses Verfahrens war der Abschluss eines gerichtlichen Scheidungsfolgenvergleiches, datiert mit 19. November 2020, im Rahmen dessen die Aufteilung von Liegenschaften zwischen der Beschwerdeführerin und ihrem Ex-Ehegatten vereinbart wurde. Weiters sind diesem Vergleich Informationen über Ehegattenunterhalt (konkret: Verzicht), wechselseitige Ausgleichszahlungen, Aufteilungsvereinbarungen betreffend bewegliches Vermögen (Bilder, Fahrzeuge), Urkunden und Versicherungen sowie Regelungen betreffend weitere (gerichtliche) Verfahren zu entnehmen.

2. Mit Antrag vom 21. Jänner 2021 begehrte die Beschwerdeführerin durch ihre rechtsfreundliche Vertretung bei dem Beschwerdegegner, bei welchem es sich um das zuständige Grundbuchsgericht handelt, mittels Antrag im Wege des Elektronischen Rechtsverkehrs (ERV) die Eintragung der unter Punkt C.1. genannten Vereinbarung, welche ohne umfangmäßige oder inhaltliche Einschränkung vorgelegt worden ist.

3. In weiterer Folge wurde dem unter Punkt C.2. genannten Antrag seitens des Beschwerdegegners entsprochen und wurden die vorgelegten Unterlagen, insbesondere der unter Punkt C.1. genannte Scheidungsfolgenvergleich, vollumfänglich in die Urkundensammlung des Grundbuches aufgenommen.

Beweiswürdigung : Die getroffenen Feststellungen beruhen auf übereinstimmendem Vorbringen des Beschwerdegegners und der Beschwerdeführerin sowie auf den von Letzterer vorgelegten, unbedenklichen Unterlagen.

D. In rechtlicher Hinsicht folgt daraus:

Wie den Feststellungen zu entnehmen ist, handelt es sich bei dem verfahrensgegenständlichen Beschwerdegegner um ein (für Grundbuchssachen zuständiges) Gericht.

Gemäß Art. 55 Abs. 3 DSGVO sind die Aufsichtsbehörden nicht für die Aufsicht über die von Gerichten im Rahmen ihrer justiziellen Tätigkeit vorgenommenen Verarbeitungen zuständig, wobei ErwGr. 20 der DSGVO hierzu ausführt, dass dies der Unabhängigkeit der Justiz bei der Ausübung ihrer gerichtlichen Aufgaben einschließlich ihrer Beschlussfassung dienen soll.

Zwar ist dem Wortlaut der DSGVO selbst nicht ausdrücklich zu entnehmen, welche Tätigkeit eines Gerichts konkret „justiziell“ ist. In diesem Zusammenhang ist jedoch auf die Rsp. des EuGH zu Art. 267 AEUV zu verweisen, wonach nicht jedwede gerichtliche Tätigkeit zur Vorlage von Vorabentscheidungsersuchen ermächtigt. So hat der EuGH bspw. die Vorabentscheidungsersuchen zweier österreichischer Landesgerichte in deren Eigenschaft als Firmenbuchgerichte mit der Begründung zurückgewiesen, dass diese Gerichte über keinen Rechtsstreit zu entscheiden hätten, sondern als das Handelsregister führende Behörden tätig wurden (vgl. dazu den Beschluss vom 22. Jänner 2002, C-447/00, sowie das Urteil vom 15. Jänner 2002, C-182/00).

Dies kann sinngemäß auf den gegenständlichen Fall angewendet werden, da ein Grundbuchsgericht ebenso wenig über einen Rechtstreit zu entscheiden hat, sondern gleichermaßen (lediglich) ein öffentliches Verzeichnis – zur Eintragung und Ersichtlichmachung dinglicher Rechte – führt. Folglich handelt es sich in solchen Fällen iSd. Rsp des EuGH um keine „Rechtsprechungstätigkeit“ (vgl. auch Kodek in Kodek , Grundbuchsrecht 2 § 75 GBG Rz. 4 unter Verweis auf die Rsp. des EuGH).

Im Übrigen ist noch darauf hinzuweisen, dass auch das kürzlich ergangene Urteil des EuGH vom 24. März 2022, Rechtssache C‑245/20, im Rahmen dessen sich dieser mit dem Begriff „justiziellen Tätigkeit“ auseinandersetzte – aufgrund der (weiterhin vorliegenden) mangelnden Verbindung zu einer „justiziellen Tätigkeit“ und damit gänzlich anders gelagerten Ausgangslage – keine die herrschende Spruchpraxis der Datenschutzbehörde (vgl. etwa den Bescheid der Datenschutzbehörde vom 22. Jänner 2019, GZ: DSB-D123.848/0001-DSB/2019) modellierenden Auswirkungen hat.

In einem ersten Schritt ist daher festzuhalten, dass im vorliegenden Fall die Zuständigkeit der Datenschutzbehörde zur Behandlung der Beschwerde gegeben ist.

Gemäß § 1 Abs. 1 DSG hat jedermann, insbesondere auch im Hinblick auf die Achtung seines Privat- und Familienlebens, Anspruch auf Geheimhaltung der ihn betreffenden personenbezogenen Daten, soweit ein schutzwürdiges Interesse daran besteht.

Eingriffe einer staatlichen Behörde sind nur auf Grund von Gesetzen zulässig (§ 1 Abs. 2 DSG). Dies verpflichtet nicht allein die Verwaltung, sondern auch Organe der Rechtsprechung und Gesetzgebung ( Bresich/Dopplinger/Dörnhöfer/Kunnert/Riedl , DSG (2018) § 1 Rz. 11).

Der Beschwerdeführerin ist insoweit zuzustimmen, dass das Grundbuch gemäß § 7 GBG öffentlich ist und daher – grundsätzlich – jedermann Einsicht nehmen kann. Davon ist laut § 1 GBG auch die Urkundensammlung mitumfasst (vgl. auch Höller in Kodek , Grundbuchsrecht 2 § 7 GBG Rz. 5).

Insofern ist der Schutzbereich des § 1 DSG, sowie – aufgrund der automatisierte Verarbeitung – auch der sachliche Anwendungsbereich der DSGVO eröffnet.

Einverleibungen können laut § 33 Abs. 1 lit. b GBG u.a. – wie gegenständlich – aufgrund von Gerichten aufgenommenen (exekutionsfähigen) Vergleichen vorgenommen werden.

Die Urkunden, auf Grund derer eine Eintragung erfolgen soll, sind gemäß § 87 Abs. 1 GBG im Original beizulegen. Bei gerichtlichen Vergleichen ist diese Anforderung durch die Vorlage einer Vergleichsausfertigung erfüllt ( Kodek in Kodek , Grundbuchsrecht 2 § 87 GBG Rz. 10).

Der diesbezügliche Prüfungsumfang des zuständigen Gerichts (konkret: des Beschwerdegegners) ergibt sich aus § 94 GBG, wobei weder allgemeine berechtigte Interessen Dritter, noch datenschutzrechtliche Erwägungen Teil des Prüfungsmaßstabes sind.

Insofern war bzw. wäre eine bloß teilweise Aufnahme des Scheidungsfolgenvergleiches, wie von der Beschwerdeführerin vorgebracht, gesetzlich nicht vorgesehen und dem Beschwerdegegner daher auch nicht möglich gewesen.

Ferner ist festzuhalten, dass die Beschwerdeführerin – wie festgestellt – den Scheidungsfolgenvergleich ohnedies in seiner Gesamtheit vorgelegt hat.

Davon abgesehen, wäre die Vorlage einer gekürzten Form nur in den gesetzlich ausdrücklich vorgesehenen Ausnahmefällen (§ 146 Abs. 1 GeO, § 79 Abs. 5 GOG oder § 417 ZPO) möglich, wobei dies von der Beschwerdeführerin zu keinem Zeitpunkt behauptet wurde.

Der OGH hat in diesem Zusammenhang ausgesprochen, dass – abgesehen von den oben genannten Fällen – der Inhalt des Scheidungsvergleichs zur Gänze wiedergegeben werden muss und die Vorlage einer Teilausfertigung eines Scheidungsvergleichs § 87 Abs. 1 GBG widerspricht (OGH 25.1.2016, 5 Ob 250/15y). Anders gelagert wäre der Fall des „bloßen Durchstreichens“ (OGH 5 Ob 250/15y, NZ 2016/117 (342) unter Verweis auf OGH 5 Ob 182/98w).

Ob und allenfalls in welchem Umfang die genannten Bestimmungen im Einklang mit dem Grundrecht auf Datenschutz oder unionsrechtlichen Vorgaben stehen, ist von der Prüfungskompetenz der Datenschutzbehörde hingegen nicht umfasst . Eine derartige Prüfungskompetenz obliegt alleine dem Verfassungsgerichtshof nach Art. 140 B-VG bzw. dem EuGH nach Art. 267 AEUV, wobei deren Anrufung durch die Datenschutzbehörde entgegen der Meinung der Beschwerdeführerin mangels entsprechender Rechtsgrundlage nicht in Betracht kommt.

Da die verfahrensgegenständliche Veröffentlichung der personenbezogenen Daten der Beschwerdeführerin durch den Beschwerdegegner somit gesetzlich gedeckt ist, war die Beschwerde im Ergebnis abzuweisen.

Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.

[Hinweis Bearbeiter/in: Zur aktuellen Rechtslage im Hinblick auf die Möglichkeit der (datenschutzkonformen) Teilausfertigung eines Scheidungs(folgen)vergleichs als Grundlage von Grundbuchsgesuchen, siehe:

- EGMR 06.04.2021, Appl 5434/17

- OGH 30.03.2022, 8 Ob 3/22g, Zak 2022/308 S 174 – Zak 2022,174 = jusIT 2022/65 S 159 (Thiele) – jusIT 2022,159 (Thiele) = ÖJZ 2023/135 S 823 - ÖJZ 2023,823 = ZöR 2023,729]

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