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I403 2318242-1 – Bundesverwaltungsgericht Entscheidung

Entscheidung
03. September 2025

Spruch

I403 2318242-1/3E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin MMag. Birgit ERTL über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , XXXX , XXXX , vertreten durch die at reutte Steuerberatungs GmbH, Unterdorf 1, 6600 Lechaschau, gegen den Bescheid der Sozialversicherungsanstalt der Selbstständigen (SVS), Landesstelle XXXX vom 18.08.2025, Zl. XXXX , zu Recht:

A)

Die Beschwerde wird gemäß § 35 Abs. 5 GSVG als unbegründet abgewiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang:

XXXX (im Folgenden: Beschwerdeführerin) beantragte am 20.04.2024 bei der Sozialversicherungsanstalt der Selbstständigen (im Folgenden: SVS) eine Ratenzahlung des Beitragsrückstandes nach dem GSVG von 21.022,08 Euro. Mit Schreiben vom 23.04.2024 bewilligte die SVS die Ratenzahlung über 48 Monate in Höhe von 437,96 Euro monatlich. In dem Schreiben wurde darauf hingewiesen, dass dies nicht die weitere Berechnung von Verzugszinsen (zum damaligen Zeitpunkt in Höhe von 7,88%) unterbreche.

Am 29.04.2025 beantragte die Beschwerdeführerin im Wege ihrer steuerlichen Vertretung gemäß § 35 Abs. 5 GSVG die Nachsicht bzw. Herabsetzung der laufend vorgeschriebenen Verzugszinsen in Höhe von 7,88%. Mit Eingabe vom 10.06.2025 wurden verschiedene Unterlagen (Einkommenssteuerbescheid 2023, privater Darlehensvertrag, Rechnungen, etc.) vorgelegt.

Mit Schreiben der SVS vom 23.06.2025 wurde darüber informiert, dass dem Antrag auf Nachsicht bzw. Herabsetzung der laufend vorgeschriebenen Verzugszinsen nicht nachgekommen werden könne, woraufhin von der steuerlichen Vertretung der Beschwerdeführerin die Erlassung eines entsprechenden Bescheides beantragt wurde.

Mit Schreiben der SVS vom 21.07.2025 wurde mitgeteilt, dass Verzugszinsen herabgesetzt oder nachgesehen werden können, wenn durch die Einhebung in voller Höhe die wirtschaftlichen Verhältnisse des Beitragsschuldners gefährdet wären. Nachdem den von der Beschwerdeführerin übermittelten Unterlagen zu entnehmen sei, dass eine wirtschaftliche Gefährdung unabhängig von der Verpflichtung der Zahlung der Verzugszinsen gegeben sei, sei der Antrag abzuweisen. Die steuerliche Vertretung stellte neuerlich einen Antrag auf Erlassung eines entsprechenden Bescheides.

Mit Bescheid der SVS vom 18.08.2025 wurde der Antrag vom 29.04.2025 auf Nachsicht bzw. Herabsetzung der wegen rückständiger Sozialversicherungsbeiträge verhängten und laufend anfallenden Verzugszinsen gemäß § 35 Abs. 5 GSVG abgewiesen. Dies wurde im Wesentlichen damit begründet, dass eine Nachsicht oder Herabsetzung der Zinsen nach der Rechtsprechung nicht schon bei bloß angespannter wirtschaftlicher Lage des Unternehmens oder immer dann zulässig sei, wenn ein Unternehmen Verluste schreibe, sondern nur dann, wenn gerade durch die Einhebung der Verzugszinsen eine konkrete wirtschaftliche Gefährdung eintreten würde, die ansonsten nicht gegeben wäre. Dies darzulegen obliege im Verfahren dem Beitragsschuldner. Im gegenständlichen Fall stünden bei der Beschwerdeführerin monatliche Einnahmen in Höhe von maximal 1.470,10 Euro monatlichen Ausgaben in Höhe von mindestens 3.221,56 Euro gegenüber. Demgegenüber würden die bisher angelaufenen Verzugszinsen für die offenen Sozialversicherungsbeiträge nur 1.590,46 Euro betragen. Die wirtschaftlichen Verhältnisse der Beschwerdeführerin seien daher nicht durch die Einhebung der Verzugszinsen, sondern durch deren allgemeiner wirtschaftlicher Situation gefährdet.

Am 21.08.2025 wurde Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht erhoben und beantragt, den Bescheid aufzuheben, dem Ansuchen auf Nachsicht bzw. Herabsetzung der Verzugszinsen nachzukommen und eine mündliche Verhandlung durchzuführen. Aus den vorgelegten Unterlagen ergebe sich, dass die „ohnehin schon angespannte Situation“ durch jegliche zusätzliche finanzielle Verbindlichkeit oder Verlängerung von Zahlungsverpflichtungen „über Gebühr“ belastet würde. Somit könne aufgrund der hohen Verzugszinsen von über 7% von einer wirtschaftlichen Gefährdung der Gesamtverhältnisse ausgegangen werden. Nachdem die Beschwerdeführerin bisher ihren Verpflichtungen nachgekommen sei, könne von ihrer wirtschaftlichen Tragfähigkeit ausgegangen werden.

Beschwerde und Verwaltungsakt wurden dem Bundesverwaltungsgericht am 27.08.2025 vorgelegt.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

Die Beschwerdeführerin ist seit 01.03.2011 bei XXXX GmbH mit Sitz in XXXX und seit 01.07.2024 als geringfügig beschäftigte Angestellte bei XXXX GmbH mit Sitz in XXXX , Deutschland als Arbeitnehmerin gemeldet. Sie bezieht aus beiden Beschäftigungsverhältnissen zusammen monatliche Einkünfte in Höhe von 1.285,79 Euro. Zudem bezog sie im Jahr 2023 monatliche Einkünfte aus Gewerbebetrieb in Höhe von 184,31 Euro; die Einkünfte aus Gewerbebetrieb lagen im Jahr 2024 darunter.

Daraus ergibt sich, wie von der SVS im angefochtenen Bescheid festgestellt, ein maximales monatliches Einkommen in Höhe von 1.470,10 Euro.

Die monatlichen Ausgaben der Beschwerdeführerin belaufen sich auf mindestens 3.221,56 Euro.

Aufgrund eines entsprechenden Antrages der Beschwerdeführerin bewilligte die SVS mit Schreiben vom 23.04.2024 eine Ratenzahlung des Beitragsrückstandes nach dem GSVG in Höhe von 21.022,08 Euro; die Höhe der 48 monatlichen Raten beträgt 437,96 Euro zuzüglich Verzugszinsen.

Die offene Beitragsschuld bei der SVS beträgt laut Quartalsvorschreibung vom 26.07.2025 15.660,43 Euro, worin Verzugszinsen in Höhe von 1.590, 46 Euro enthalten sind.

2. Beweiswürdigung:

Der entscheidungsrelevante Sachverhalt ergibt sich aus dem Akteninhalt.

Die Beschäftigungsverhältnisse der Beschwerdeführerin ergeben sich aus einem aktuellen Auszug aus der Sozialversicherungsdatenbank. Die monatlichen Einkünfte ergeben sich aus den von der Beschwerdeführerin der SVS vorgelegten Unterlagen (Kontoauszug betreffend Lohn des Arbeitgebers XXXX GmbH von Februar bis Mai 2025; Lohn-/Gehaltsabrechnung des Arbeitgebers XXXX GmbH für April 2025; Einkommenssteuerbescheid 2023); dass die Einkünfte aus Gewerbebetrieb im Jahr 2024 geringer ausfallen werden, ergibt sich aus einem im Akt einliegenden E-Mail der damaligen steuerlichen Vertretung der Beschwerdeführerin (AS 12); zudem wurde der entsprechenden Feststellung im angefochtenen Bescheid auch nicht widersprochen, so dass die sich aus den selbständigen und unselbständigen Tätigkeiten ergebenden monatlichen Einkünfte als Maximaleinkommen anzusehen sind.

Die monatlichen Ausgaben der Beschwerdeführerin ergeben sich aus den von der steuerlichen Vertretung der Beschwerdeführerin mit E-Mail vom 10.06.2025 beschriebenen monatlichen Zahlungsverpflichtungen (Versicherung Kfz, Telefon und Internet, Strom, Miete und Betriebskosten, Ratenzahlung SVS, Bankkredit, durchschnittliche Lebenserhaltungskosten), von der SVS ergänzt um die monatliche Vorschreibung des Finanzamtes in Höhe von 41,67 Euro und den laufenden Sozialversicherungsbeiträgen in Höhe von 328,44 Euro monatlich. In dieser Berechnung wurde die Rückzahlung eines Privatkredites in Höhe von 2.400 Euro ebenso wenig berücksichtigt wie der ab Oktober 2025 in monatlichen Raten von 500 Euro zurückzuzahlende Privatkredit. Die von der SVS angegebenen monatlichen Ausgaben sind daher als Mindestausgaben anzusehen. Der entsprechenden Feststellung im angefochtenen Bescheid wurde nicht widersprochen.

Die Bewilligung der Ratenzahlung und deren Höhe ergibt sich aus dem im Akt einliegenden Schreiben der SVS vom 23.04.2024.

Die Höhe der Quartalsvorschreibung und der Verzugszinsen ergibt sich aus dem angefochtenem Bescheid und wurde mit der Beschwerde auch nicht bestritten.

3. Rechtliche Beurteilung:

Zu A) Abweisung der Beschwerde

Vorauszuschicken ist, dass die Verpflichtung, Verzugszinsen gemäß § 35 Abs. 5 GSVG zu entrichten, die gesetzliche Folge des Verzuges bei der Einzahlung der rückständigen und fälligen Beiträge ist. Das Institut der Verzugszinsen stellt somit ein wirtschaftliches Äquivalent für den Zinsverlust dar, den der Beitragsgläubiger durch die verspätete Zahlung fälliger Beiträge erleidet. Darüber hinaus gleichen die Verzugszinsen jenen Vorteil aus, den der später Zahlende aus dem Umstand zieht, dass ihm die Geldsumme länger zur Verfügung gestanden ist. Die Verzugszinsenregelung erfüllt in dieser Hinsicht auch eine Steuerungsfunktion, indem sie verhindern soll, dass der Unternehmer durch Nichtzahlung der Sozialversicherungsbeiträge einen günstigen Kredit erlangt (zur analogen Regelung des § 59 ASVG: Derntl, in Sonntag [Hg], ASVG11 [2020], § 59 ASVG Rz. 17 mH auf die Rsp des VfGH). Es geht also im Hinblick auf den Normzweck um den Schutz sowohl der Versichertengemeinschaft als auch der rechtstreuen Dienstgeber (zutreffend zur analogen Regelung des § 59 ASVG Resch, in Mosler/Müller/Pfeil, der SV-Komm, § 59 ASVG Rz. 12, Stand 01.03.2016, rdb.at).

Nach dem hier relevanten § 35 Abs. 5 GSVG kann der zur Entgegennahme der Zahlung berufene Versicherungsträger die Verzugszinsen herabsetzen oder nachsehen, wenn durch ihre Einhebung in voller Höhe die wirtschaftlichen Verhältnisse des Beitragsschuldners gefährdet wären.

Der Verzicht steht im pflichtgemäßen Ermessen des Versicherungsträgers (Resch, aaO Rz. 29). Nach dem – einschränkend zu interpretierenden (Resch, aaO Rz. 30) – Tatbestand ist für den Verzicht die wirtschaftliche Situation des konkreten Beitragsschuldners ausschlaggebend. Dabei setzt der Verzicht nach der stRsp des Verwaltungsgerichtshofs voraus, dass gerade durch die Einhebung der Verzugszinsen eine Gefährdung der wirtschaftlichen Verhältnisse eintreten würde, dh, dass eine solche Gefährdung nicht schon durch andere Umstände (wie zB die Einhebung der SV-Beiträge selbst) eingetreten ist. Eine Nachsicht oder Herabsetzung der Zinsen ist somit nicht schon bei bloß (anderweitig verursachter) angespannter wirtschaftlicher Lage des Unternehmens oder immer dann zulässig, wenn ein Unternehmen Verluste schreibt. Dies darzulegen obliegt im Verfahren dem Beitragsschuldner (VwGH 05.11.2003, 99/08/0004, mwN).

Beitragsschuldnerin ist vorliegend die Beschwerdeführerin. Die Voraussetzung, dass „gerade durch die Einhebung der Verzugszinsen eine konkrete wirtschaftliche Gefährdung eintreten würde, die ansonsten nicht gegeben wäre“, hat die SVS unter Hinweis darauf verneint, dass eine gefährdete wirtschaftliche Situation bereits aufgrund des Umstandes vorliege, dass die monatlichen Einnahmen deutlich geringer als die monatlichen Ausgaben seien und zudem Verbindlichkeiten in beachtlicher Höhe offen aushaften würden. Dem zugrundeliegenden Argument, nämlich, dass unabhängig von den Ratenzahlungen die Gefährdung der wirtschaftlichen Verhältnisse der Beschwerdeführerin gegeben ist, wurde im Verfahren, auch nicht mit dem Beschwerdeschriftsatz, substantiiert entgegengetreten. Soweit vorgebracht wurde, dass bereits durch den Umstand, dass die Beschwerdeführerin ihren Verpflichtungen zur Ratenzahlung bisher nachgekommen sei, ihre bisherige wirtschaftliche Tragfähigkeit als gegeben angesehen werden könne, reicht dies nicht aus, um aufzuzeigen, warum konkret (erst) durch die Einhebung der Verzugszinsen eine Gefährdung der wirtschaftlichen Verhältnisse der Beschwerdeführerin eintritt. Vielmehr ist deren wirtschaftliche Situation in ihrer Gesamtheit schon seit Jahren prekär, sodass eine Gefährdung der wirtschaftlichen Verhältnisse gerade nicht (erst) durch die Einhebung der Verzugszinsen eintritt. Dies zeigt sich auch darin, dass die Beschwerdeführerin ein Privatdarlehen zur Begleichung der Zahlungen an das Finanzamt aufnehmen musste, dessen Rückzahlung mit Oktober 2025 startet. Daraus ergibt sich, dass die in der Beschwerde behauptete „bisherige wirtschaftliche Tragfähigkeit“ gerade nicht gegeben ist.

Im Ergebnis ist daher der Ablehnung des Antrags, die Verzugszinsen gemäß § 35 Abs. 5 GSVG nachzusehen, im angefochtenen Bescheid nach Auffassung des erkennenden Gerichts nicht entgegenzutreten.

4. Zum Absehen von der mündlichen Verhandlung:

Gemäß § 24 Abs. 4 VwGVG konnte das Gericht von der Verhandlung absehen, weil der maßgebliche Sachverhalt ausreichend ermittelt ist und in der Beschwerde nicht bestritten wurde. Die Schriftsätze der Parteien und die Akten des Verfahrens lassen erkennen, dass die mündliche Erörterung eine weitere Klärung der Rechtssache nicht erwarten lässt, und dem auch Art 6 Abs. 1 EMRK nicht entgegensteht (vgl. die Entscheidung des EGMR vom 02.09.2004, 68.087/01 [Hofbauer/Österreich], wo der Gerichtshof unter Hinweis auf seine frühere Rechtsprechung dargelegt hat, dass die Anforderungen von Art 6 EMRK auch bei Unterbleiben einer mündlichen Verhandlung oder überhaupt jegliche Anhörung [im Originaltext „any hearing at all“] erfüllt sind, wenn das Verfahren ausschließlich rechtliche oder „technische“ Fragen betrifft und in diesem Zusammenhang auch auf das Bedürfnis der nationalen Behörden nach zweckmäßiger und wirtschaftlicher Vorgangsweise verwiesen hat, vgl. dazu auch das Erkenntnis des VwGH vom 29.04.2015, Zl. Ro 20015/08/0005 und zu einem ähnlich gelagerten Fall VwGH 08.05.2023, Ra 2023/08/0047).

Zu B) (Un)Zulässigkeit der Revision:

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung (vgl zu einem ähnlich gelagerten Fall VwGH 08.05.2023, Ra 2023/08/0047); weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.

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