W246 2288314-1/16E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Dr. Heinz VERDINO über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , StA. Syrien, vertreten durch die BBU GmbH, gegen Spruchpunkt I. des Bescheides des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 13.02.2024, Zl. 1319246400/222495151, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung zu Recht:
A) Die Beschwerde wird gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG iVm § 3 Abs. 1 AsylG 2005 als unbegründet abgewiesen.
B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Entscheidungsgründe:
I. Verfahrensgang:
1. Der Beschwerdeführer reiste illegal nach Österreich ein und stellte am 10.08.2022 den gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz.
2. Am 12.08.2022 fand vor einem Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes die niederschriftliche Erstbefragung des Beschwerdeführers statt. Dabei gab er an, dass er in Syrien zum Wehrdienst des syrischen Regimes einberufen worden sei. Er wolle keine Waffe tragen, niemanden töten und nicht selbst getötet werden. Bei einer Rückkehr nach Syrien fürchte er den Tod.
3. Am 07.02.2024 erfolgte die niederschriftliche Einvernahme des Beschwerdeführers vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (in der Folge: die Behörde).
Dabei führte er zunächst an, dass er in Syrien in der Nähe der Stadt XXXX im Ort XXXX “ geboren und aufgewachsen sei, wo er bis zu seiner Ausreise aus Syrien im Jahr 2022 gelebt habe. Zu seinen Ausreisegründen gab der Beschwerdeführer an, dass die seinen Herkunftsort kontrollierenden Kurden seinen sich damals im wehrpflichtigen Alter befindenden Bruder entgegen seinem Willen rekrutieren hätten wollen, weshalb sie zur Familie des Beschwerdeführers nach Hause gekommen seien. Der Beschwerdeführer habe versucht, die Rekrutierung seines Bruders zu verhindern, woraufhin er und sein Bruder von den Kurden festgenommen worden seien. Der Beschwerdeführer sei daraufhin 35 Tage lang eingesperrt und danach wieder freigelassen worden. Sein Bruder habe ca. zwei bis drei Monate bei den kurdischen Streitkräften dienen müssen und sei danach von diesen desertiert. In der Folge sei der Beschwerdeführer gemeinsam mit seinem Bruder aus Syrien geflüchtet, wo er bei einer Rückkehr aus den angeführten Gründen Bedrohungen seitens der Kurden fürchten würde. Zudem drohe dem Beschwerdeführer bei einer Rückkehr nach Syrien die Rekrutierung zum Grundwehrdienst der syrischen Armee des syrischen Regimes.
Der Beschwerdeführer legte in seiner Einvernahme mehrere Unterlagen (wie v.a. Auszüge aus dem syrischen Melderegister betreffend ihn und seine Familienangehörigen, Geburtsurkunden betreffend seine Kinder und ein Urteil über die Anerkennung der Ehe mit seiner Ehefrau) vor.
4. Die Behörde wies den Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz mit dem im Spruch genannten Bescheid bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten in Spruchpunkt I. gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 ab. Gleichzeitig erkannte die Behörde ihm gemäß § 8 Abs. 1 leg.cit. den Status des subsidiär Schutzberechtigten zu (Spruchpunkt II.) und erteilte ihm gemäß § 8 Abs. 4 leg.cit. eine befristete Aufenthaltsberechtigung für die Dauer eines Jahres (Spruchpunkt III.).
Dabei hielt die Behörde zur mit Spruchpunkt I. des Bescheides erfolgten Abweisung des Antrags auf Zuerkennung des Status des Asylberechtigten fest, dass die Herkunftsregion des Beschwerdeführers im DAANES-Gebiet liege und von den Kurden kontrolliert werde, weshalb mangels Zugriffsmöglichkeit des syrischen Regimes auf diese nicht mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit von einer Rekrutierung des Beschwerdeführers zum Grundwehrdienst in der syrischen Armee des syrischen Regimes auszugehen sei. Weiters bestehe schon deshalb keine Gefahr, dass der Beschwerdeführer im DAANES-Gebiet zum Wehrdienst bei den kurdischen Streitkräften eingezogen werde, weil er das wehrpflichtige Alter bereits überschritten habe. Im Ergebnis habe der Beschwerdeführer somit in seiner Herkunftsregion in Syrien bestehende Verfolgungshandlungen gegen seine Person aus asylrelevanten Gründen nicht glaubhaft machen können, weshalb sein Antrag insoweit abzuweisen sei.
5. Der Beschwerdeführer erhob gegen Spruchpunkt I. dieses Bescheides im Wege seiner Rechtsvertreterin fristgerecht Beschwerde, in der er den im Bescheid getroffenen Ausführungen entgegentrat und die Durchführung einer mündlichen Verhandlung beantragte.
6. Die Behörde legte dem Bundesverwaltungsgericht mit Schreiben vom 07.03.2024 die Beschwerde samt dem erstinstanzlichen Verwaltungsakt vor.
7. Mit Ladungen vom 14.11.2024 beraumte das Bundesverwaltungsgericht eine mündliche Verhandlung für den 19.12.2024 an. Dabei führte das Bundesverwaltungsgericht das Länderinformationsblatt der Staatendokumentation zu Syrien vom 27.03.2024 (Version 11), den Themenbericht der Staatendokumentation vom 25.10.2023 zu Grenzübergängen in Syrien und die Anfragebeantwortung von ACCORD vom 06.09.2023 u.a. zu Konsequenzen bei Verweigerung des Dienstes in den Selbstverteidigungskräften [a-12188] in das Verfahren ein und gab den Parteien Gelegenheit, dazu bis zur oder spätestens in der mündlichen Verhandlung Stellung zu nehmen.
8. Das Bundesverwaltungsgericht führte mit Schreiben vom 04.12.2024 zusätzlich die Kurzinformation der Staatendokumentation zu Syrien vom 03.12.2024 (Sicherheitslage im Dezember 2024 – „HTS nimmt Städte in Nordsyrien ein“) in das Verfahren ein.
9. Mit Schreiben vom 10.12.2024 beraumte das Bundesverwaltungsgericht die für 19.12.2024 anberaumte mündliche Verhandlung wieder ab.
10. Mit Ladungen vom 23.04.2025 beraumte das Bundesverwaltungsgericht eine mündliche Verhandlung für den 25.06.2025 an.
11. Mit Schreiben vom 12.05.2025 führte das Bundesverwaltungsgericht das aktuelle Länderinformationsblatt der Staatendokumentation zu Syrien vom 08.05.2025 (Version 12) in das Verfahren ein und gab den Parteien Gelegenheit, dazu bis zur oder spätestens in der mündlichen Verhandlung Stellung zu nehmen.
12. In der Folge führte das Bundesverwaltungsgericht mit Schreiben vom 03.06.2025 zusätzlich die Anfragebeantwortung von ACCORD vom 21.03.2025 zur Rekrutierungspraxis der Übergangsregierung und zur Rekrutierungen durch bewaffnete Gruppen [a-12592-v2] in das Verfahren ein und gab den Parteien Gelegenheit, dazu bis zur oder spätestens in der mündlichen Verhandlung Stellung zu nehmen.
13. Der Beschwerdeführer nahm zu den in das Verfahren eingeführten Länderberichten mit Schreiben vom 18.06.2025 im Wege seiner Rechtsvertreterin Stellung.
14. Das Bundesverwaltungsgericht führte am 25.06.2025 in Anwesenheit der Rechtsvertreterin des Beschwerdeführers eine öffentliche mündliche Verhandlung durch, in der er im Beisein einer Dolmetscherin für die Sprache Arabisch ausführlich zu seinen Fluchtgründen befragt wurde. In der Verhandlung führte das Bundesverwaltungsgericht die EUAA-Country Focus von März 2025 und die EUAA-Country Guidance von Juni 2025 in das Verfahren ein.
15. Mit Schreiben vom 25.06.2025 übermittelte das Bundesverwaltungsgericht der Behörde das Verhandlungsprotokoll vom 25.06.2025.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen:
1.1. Zu der Person des Beschwerdeführers, seinen persönlichen Umständen in Syrien, seiner Ausreise aus Syrien und seiner Einreise nach Österreich sowie seinen Fluchtgründen:
1.1.1. Der Beschwerdeführer ist am XXXX geboren und somit aktuell 30 Jahre alt. Er ist Staatsangehöriger von Syrien, Angehöriger der Volksgruppe der Araber und sunnitischer Muslim.
1.1.2. Er ist in Syrien im Ort XXXX geboren und aufgewachsen, wo er bis zu seiner Ausreise aus Syrien durchgehend gelebt hat. Das den Ort XXXX , der südöstlich der Stadt XXXX im im Gouvernement Aleppo liegt, umschließende Gebiet befindet sich im von der Syrian National Army (SNA) kontrollierten Gebiet.
Die Ehefrau und die Kinder des Beschwerdeführers (zwei Söhne und eine Tochter) befinden sich mit seiner Mutter in XXXX . Der Vater und die vier Brüder des Beschwerdeführers sind in Saudi-Arabien und seine zwei Schwestern aktuell in Syrien aufhältig.
1.1.3. Der Beschwerdeführer reiste im Jahr 2021 / 2022 aus Syrien aus und im August 2022 nach Österreich ein.
1.1.4. Er ist bei einer Rückkehr nach Syrien nicht der Gefahr ausgesetzt, vom (nunmehr gestürzten) Assad-Regime zu einem Wehrdienst einberufen und (zwangsweise) eingezogen zu werden sowie aufgrund eines Entziehens vom Wehrdienst von diesem physische bzw. psychische Gewalt zu erfahren.
Der Beschwerdeführer ist bei einer Rückkehr nach Syrien nicht der Gefahr ausgesetzt, seitens der neuen syrischen Regierung zur Ableistung eines Wehrdienstes einberufen und (zwangsweise) eingezogen zu werden. Weiters ist er bei einer Rückkehr nach Syrien nicht der Gefahr physischer bzw. psychischer Gewalt seitens der neuen syrischen Regierung ausgesetzt. Der Beschwerdeführer hat keine eigene verinnerlichte oppositionelle Haltung gegenüber der neuen syrischen Regierung.
Weiters ist der Beschwerdeführer bei einer Rückkehr nach Syrien auch nicht der Gefahr ausgesetzt, seitens der SNA zu einem Wehrdienst einberufen und (zwangsweise) eingezogen zu werden sowie durch diese physische bzw. psychische Gewalt zu erfahren.
Schließlich ist der Beschwerdeführer bei einer Rückkehr nach Syrien nicht der Gefahr ausgesetzt, zum Wehrdienst in den kurdischen Streitkräften („Selbstverteidigungspflicht“ innerhalb der SDF) einberufen und (zwangsweise) eingezogen zu werden, der im Jahr XXXX geborene Beschwerdeführer ist im DAANES-Gebiet nicht zur Ableistung eines Wehrdienstes in den kurdischen Streitkräften verpflichtet; er hat keine eigene verinnerlichte oppositionelle Haltung gegenüber den kurdischen Behörden bzw. Streitkräften im DAANES-Gebiet. Weiters ist der Beschwerdeführer bei einer Rückkehr nach Syrien in seiner Herkunftsregion auch nicht der Gefahr physischer bzw. psychischer Gewalt seitens der kurdischen Behörden bzw. Streitkräfte aufgrund seiner Volksgruppenzugehörigkeit ausgesetzt. Der Beschwerdeführer ist bei einer Rückkehr nach Syrien in seiner Herkunftsregion nicht der Gefahr physischer bzw. psychischer Gewalt seitens der kurdischen Streitkräfte aufgrund eines Versuchs der Verhinderung der Zwangsrekrutierung seines Bruders und einer daraufhin erfolgten Inhaftierung seiner Person bzw. aufgrund von Demonstrationsteilnahmen gegen den Wehrdienst der kurdischen Streitkräfte ausgesetzt.
1.2. Zur maßgeblichen Situation in Syrien:
1.2.1. Auszug aus dem Länderinformationsblatt der Staatendokumentation vom 08.05.2025 (Version 12):
Politische Lage - Entwicklungen seit dem Sturz des Assad-Regimes (seit 8.12.2024)
Am 8.12.2024 erklärten die Oppositionskräfte in Syrien die 24-jährige Herrschaft von Präsident Bashar al-Assad für beendet. Zuvor waren Kämpfer in die Hauptstadt eingedrungen, nachdem Oppositionsgruppierungen am 27.11.2024 eine Offensive gegen das Regime gestartet und innerhalb weniger Tage die Städte Aleppo, Hama und große Teile des Südens eingenommen hatten. Al-Assad war aus Damaskus geflohen (AJ 8.12.2024). Ihm und seiner Familie wurde Asyl in Russland gewährt (VB Moskau 10.12.2024). Er hatte das Land seit 2000 regiert, nachdem er die Macht von seinem Vater Hafez al-Assad übernommen hatte, der zuvor 29 Jahre regiert hatte (BBC 8.12.2024a). Er kam mit der Baath-Partei an die Macht, die in Syrien seit den 1960er-Jahren Regierungspartei war (NTV 9.12.2024). Bashar al-Assad hatte friedliche Proteste gegen sein Regime im Jahr 2011 gewaltsam unterdrückt, was zu einem Bürgerkrieg führte. Mehr als eine halbe Million Menschen wurden getötet, sechs Millionen weitere wurden zu Flüchtlingen (BBC 8.12.2024a). Die Offensive gegen al-Assad wurde von der Hay'at Tahrir ash-Sham (HTS) angeführt (BBC 9.12.2024). Die HTS wurde ursprünglich 2012 unter dem Namen Jabhat an-Nusra (an-Nusra Front) gegründet, änderte ihren Namen aber 2016 nach dem Abbruch der Verbindungen zur al-Qaida in Hay'at Tahrir ash-Sham. Sie festigte ihre Macht in den Provinzen Idlib und Aleppo, wo sie ihre Rivalen, darunter Zellen von al-Qaida und des Islamischen Staates (IS), zerschlug. Sie setzte die sogenannte Syrische Heilsregierung (Syrian Salvation Government - SSG) ein, um das Gebiet nach islamischem Recht zu verwalten (BBC 9.12.2024). Die HTS wurde durch die von der Türkei unterstützte Syrische Nationale Armee (Syrian National Army - SNA), lokale Kämpfer im Süden und andere Gruppierungen unterstützt (Al-Monitor 8.12.2024). Auch andere Rebellengruppierungen erhoben sich (BBC 8.12.2024b), etwa solche im Norden, Kurdenmilizen im Nordosten, sowie Zellen der Terrormiliz IS (Tagesschau 8.12.2024). Im Süden trugen verschiedene bewaffnete Gruppierungen dazu bei, die Regierungstruppen aus dem Gebiet zu vertreiben. Lokale Milizen nahmen den größten Teil der Provinz Dara'a sowie die überwiegend drusische Provinz Suweida ein (Al-Monitor 8.12.2024). Die Abteilung für Militärische Operationen (Department for Military Operations - DMO) dem auch die HTS angehört, kontrollierte mit Stand 11.12.2024 70 % des syrischen Territoriums (Arabiya 11.12.2024).
In der ersten Woche nach der Flucht al-Assads aus dem Land gelang es Syrien, ein vollständiges Chaos, zivile Gewalt und den Zusammenbruch des Staates abzuwenden (MEI 19.12.2024). Ehemalige Regimeoffiziere sollen viele Regierungsgebäude niedergebrannt haben, um Beweise für ihre Verbrechen zu verstecken, nachdem sie nach dem Sturz des Regimes von Präsident Bashar al-Assad aus dem Innenministerium geflohen waren (Araby 16.12.2024). Die neuen de-facto-Führer Syriens bemühten sich um Sicherheit, Stabilität und Kontinuität. Obwohl es Berichte über Plünderungen in der Zentralbank und über Menschen gab, die den persönlichen Wohnsitz al-Assads und die Botschaft des Iran, seines Hauptunterstützers, durchwühlten, standen am 9.12.2024 Rebellenkämpfer vor Regierungsgebäuden in der gesamten Hauptstadt Wache. Die neuen Behörden verbreiteten auch Bilder von Sicherheitspersonal, das durch die Straßen von Damaskus patrouillierte, in den sozialen Medien (NYT 12.12.2024).
Der HTS-Anführer Mohammed al-Joulani, der mittlerweile anstelle seines Kampfnamens seinen bürgerlichen Namen Ahmad ash-Shara' verwendet (Nashra 8.12.2024), traf sich am 9.12.2024 mit dem ehemaligen Ministerpräsidenten und Vizepräsidenten von al-Assad, um die Modalitäten für eine Machtübergabe zu besprechen (DW 10.12.2024). Bis zu ihrer Übergabe blieben die staatlichen Einrichtungen Syriens unter seiner Aufsicht (REU 8.12.2024). Die Macht des Assad-Regimes wurde auf ein Übergangsgremium übertragen, das vom Premierminister der SSG, Mohammed al-Bashir, geleitet wurde (MEI 9.12.2024). Al-Bashir kündigte am ersten Tag seiner Ernennung an, dass die Prioritäten seiner Regierung folgende seien: Gewährleistung von Sicherheit, Bereitstellung von Dienstleistungen und Aufrechterhaltung der staatlichen Institutionen. (AJ 27.1.2025a). Am 29.1.2025 wurde de-facto-Herrscher Ahmed ash-Shara' zum Übergangspräsidenten ernannt (Standard 29.1.2025).
Die Regierung hat keinen Zeitplan für die Durchführung von Wahlen festgelegt. Ash-Shara' stellte am 16.12.2024 fest, dass Syrien nicht bereit für Wahlen sei. Die Amtszeit der Übergangsregierung wurde bis März 2025 festgesetzt (ISW 16.12.2024). Am 29.3.2025 ernannte der Präsident die neue syrische Regierung. Diese besteht aus Technokraten, ethnischen Minderheiten und mehreren engen Vertrauten ash-Shara's. Fast die Hälfte der Ernannten steht in keiner Verbindung zur HTS. Unter den Ernannten ist eine Frau, ein Angehöriger der drusischen Minderheit, ein Kurde und ein Alawit (FT 30.3.2025). Das einzige weibliche Kabinettsmitglied ist katholische Christin (VN 1.4.2025). Keiner davon erhielt ein wichtiges Ressort. Syrien-Experte Fabrice Balanche erklärte, dass wichtige Ressorts an „ehemalige Mitstreiter vergeben wurden, die bereits Teil der Syrischen Heilsregierung in der Provinz Idlib“ im Nordwesten Syriens waren (AlMon 30.3.2025). Der Verteidigungsminister und der Außenminister der Übergangsregierung behielten ihre Ämter. Innenminister Khattab war zuvor Leiter des Geheimdienstes (Independent 29.3.2025). Auch Außenminister ash-Shaibani behielt sein Amt (AlMon 30.3.2025). Mehrere der neuen Minister waren unter dem Assad-Regime tätig. Zu den ehemaligen Assad-Beamten gehören Yarab Badr, der neue Verkehrsminister, und Nidal ash-Sha'r, der zum Wirtschaftsminister ernannt wurde (NYT 30.3.2025). Die Mitglieder sind für fünf Jahre bestellt (FT 30.3.2025). Das Kabinett hat keinen Premierminister, da gemäß der vorläufigen Verfassung die Regierung einen Generalsekretär haben wird (Independent 29.3.2025). Ein neues Gremium, das Ende März per Dekret bekannt gegeben wurde, das Generalsekretariat für politische Angelegenheiten, gewährte ash-Shara's Stellvertreter, Außenminister ash-Shaibani, weitreichende Befugnisse über die Führung von Ministerien und Regierungsbehörden – ähnlich der Rolle eines Premierministers (FT 30.3.2025).
Die Kurden im Nordosten Syriens stellen sich gegen die neu vorgestellte syrische Regierung. Das Kabinett spiegele nicht die Vielfalt des Landes wider, teilte die Demokratische Autonome Verwaltung Nord- und Ostsyriens (DAANES) mit. Man sehe sich daher nicht an die Entscheidungen der neuen Regierung gebunden (Zeit Online 30.3.2025; vgl. Standard 30.3.2025; K24 30.3.2025). Obwohl der neuen Regierung mit Bildungsminister Mohammad Turko ein Kurde angehört, sind keine Vertreter der DAANES ins neue Kabinett berufen worden (MEE 30.3.2025). Einige Kritiker weisen auf die Diskrepanz zwischen ash-Shara's Rhetorik bei Treffen mit internationalen Vertretern und dem vermeintlichen Fehlen eines integrativen Diskurses mit einheimischen Akteuren hin (Etana 10.1.2025). In den ersten fünfzig Tagen der neuen Regierung wurden in den Regierungsinstitutionen eine Reihe von Ernennungen vorgenommen, darunter neben den Ministern auch die meisten Gouverneure und Direktoren der wichtigsten Regierungsbehörden und Abteilungen, die eine hoheitliche Dimension haben, wie der Geheimdienst, die Zentralbank und der Kassationshof (AJ 27.1.2025a). Die Problematik besteht darin, dass der Kreis der Entscheidungsträger – zumindest derzeit - ein besonders kleiner, ausschließlich aus engsten Vertrauten aus Idlib bestehender ist, d. h. ein in sich geschlossener Kreis. Hinzu kommen bereits interne Unstimmigkeiten: So mancher militärischen Gruppierung und manchem Weggefährten aus Idlib geht der moderate Zugang der Übergangsbehörden bereits zu weit. War man in den ersten euphorischen Wochen nach der Machtübernahme noch zuversichtlich-optimistisch bzw. vielmehr überzeugt, die Erfahrungen aus dem Modell Idlib auf das ganze Land übertragen zu können (die Argumentation dabei: Idlib als erfolgreicher Mikrokosmos Gesamtsyriens, da ja bewaffnete Gruppen aus dem ganzen Land nach Idlib transferiert worden waren), so hat 50 Tage nach dem Fall des Regimes Assad die Realität die neuen Machthaber eingeholt. Das katastrophale administrative Erbe, die schlechte Wirtschaftslage, die schiere Größe und Vielfalt des Landes, sowie der Mangel an allem, auch an eigenem Fachwissen und Erfahrung. Die Verwaltung eines Stadtstaates (Idlib) hat eine ganz andere Dimension als die eines komlpexen, zerstörten Landes (SYRDiplQ1 5.2.2025).
Am 13.3.2025 unterzeichnete ash-Shara' die angekündigte Verfassungserklärung (NYT 14.3.2025). Das vorläufige Dokument besteht aus vier Kapiteln und 53 Artikeln (AlHurra 14.3.2025). Es sieht eine fünfjährige Übergangsphase vor (BBC 14.3.2025). Nach dieser Übergangsphase soll eine dauerhafte Verfassung verabschiedet und Wahlen für den Präsidenten abgehalten werden (NYT 14.3.2025). Die Erklärung legt fest, dass der syrische Präsident Muslim sein muss, wie es schon in der vorherigen Verfassung geschrieben stand. Anders als in der Verfassung von 2012, schreibt diese Verfassungserklärung die islamische Rechtslegung als wichtigste Quelle der Gesetzgebung fest. Daneben werden die Gewaltenteilung und die Unabhängigkeit der Justiz verankert sowie die Rechte der Frauen garantiert (BBC 14.3.2025). Der Präsident ist jedoch allein für die Ernennung der Richter des neuen Verfassungsgerichts Syriens verantwortlich. Die Richter müssen unparteiisch sein (NYT 14.3.2025). Für die Rechenschaftspflicht des Präsidenten wird in der Verfassung keine Möglichkeit eingeräumt. Der Erklärung zufolge wird ash-Shara' neben dem Präsidenten der Republik die folgenden Ämter bekleiden: Premierminister, Oberbefehlshaber der Armee und der Streitkräfte und Vorsitzender des Nationalen Sicherheitsrates. In Artikel 41 räumt die Verfassungserklärung dem Präsidenten die Möglichkeit ein, mit Zustimmung des Nationalen Sicherheitsrates, dessen Mitglieder er selbst auswählt, den Ausnahmezustand auszurufen (AlHurra 14.3.2025). Der neu gebildete Nationale Sicherheitsrat setzt sich aus Shara'-Getreuen zusammen, darunter Verteidigungsminister Murhaf Abu Qasra, Innenminister Ali Keddah, Außenminister As'ad ash-Shaibani und Geheimdienstchef Anas Khattab (ISW 13.3.2025). Der Meinung des Syrienexperten Fabrice Balanche nach ist der Nationale Sicherheitsrat „die eigentliche Regierung“ (AlMon 30.3.2025). Die Erklärung garantiert Meinungs-, Ausdrucks-, Informations-, Veröffentlichungs- und Pressefreiheit. Allerdings können alle Rechte, einschließlich der Religionsfreiheit, eingeschränkt werden, wenn sie unter anderem als Verstoß gegen die nationale Sicherheit oder die öffentliche Ordnung angesehen werden. Die Verpflichtung zur Gewährleistung der Meinungs-, Ausdrucks-, Informations-, Veröffentlichungs- und Pressefreiheit ist mit einigen Ausnahmen verbunden, darunter die Verherrlichung des Assad-Regimes (NYT 14.3.2025). Auch die Symbole des Assad-Regimes sind unter Strafe gestellt sowie seine Verbrechen zu leugnen, zu loben, zu rechtfertigen oder zu verharmlosen (AlHurra 14.3.2025). Die Verfassungserklärung garantiert Frauen das Recht auf Bildung und Arbeit und fügt hinzu, dass sie volle soziale, wirtschaftliche und politische Rechte haben werden (NYT 14.3.2025). Aussagen eines Mitglieds des Ausschusses für die Verfassungserklärung zufolge werde eine neue Volksversammlung die volle Verantwortung für die Gesetzgebung tragen. Zwei Drittel ihrer Mitglieder würden von einem vom Präsidenten ausgewählten Ausschuss ernannt, ein Drittel vom Präsidenten selbst. Außerdem werde ein Ausschuss gebildet, der eine neue dauerhafte Verfassung ausarbeiten solle (BBC 14.3.2025). Diese temporäre Verfassung konzentriert viel Macht in den Händen des Präsidenten. So werden dem Präsidenten die Exekutivgewalt und die Befugnis, den Ausnahmezustand zu erklären, gewährt (NYT 14.3.2025). Das Parlament ist nicht befugt, den Präsidenten anzuklagen, Minister zu ernennen oder zu entlassen oder die Exekutive zu kontrollieren (HRW 25.3.2025). Immerhin spricht die Verfassungserklärung dem Präsidenten die Befugnis ab, allgemeine Amnestiegesetze zu erlassen, die al-Assad zuvor für sich monopolisiert hatte (AlHurra 14.3.2025). In der Verfassung ist Syrien als „arabische“ Republik definiert mit Arabisch als einziger Amtssprache (LSE 28.3.2025). Sie löste innerhalb Syriens viele Diskussionen aus. Umstritten sind insbesondere jene Passagen, die dem Präsidenten ein Machtmonopol einräumen (AlHurra 14.3.2025). Der Syrische Demokratische Rat, der politische Arm der kurdisch geführten Kräfte, die den Nordosten Syriens kontrollieren, erklärte, das neue Dokument sei „eine neue Form des Autoritarismus“ und kritisierte die seiner Meinung nach unkontrollierten Exekutivbefugnisse (NYT 14.3.2025). Das International Centre for Dialogue Initiatives schreibt, dass diese Reformen einseitig von einem ebenfalls vom Präsidenten ernannten Verfassungsausschuss ausgearbeitet wurden, der dann behauptete, ihre Legitimität stamme aus einem Dialogprozess. Die sogenannte Nationale Dialogkonferenz wurde so zu einem politischen Deckmantel für vorab festgelegte Verfassungsänderungen, die unter dem Deckmantel der Reform die autoritäre Herrschaft festigten (ICDI 4.4.2025). Trotz der weitverbreiteten Kritik an der aktuellen Verfassung ist keine kurzfristige Überarbeitung vorgesehen. Die vorliegende Fassung ist das Ergebnis eines beschleunigten Verfahrens, das unmittelbar nach der Nationalen Dialogkonferenz im Februar 2025 in Gang gesetzt wurde. Ein siebenköpfiges Gremium erarbeitete die Verfassung in kürzester Zeit und wird in ihrer aktuellen Form noch nicht ihren Ansprüchen für einen pluralistischen, freien und gerechten Staat gerecht (AdRev 3.4.2025).
Während ash-Shara' ein gewisses Maß an Pragmatismus gezeigt hat, insbesondere im Umgang mit lokalen Gemeinschaften, sind die Strukturen der Übergangsregierung nach wie vor zentralisiert und hierarchisch, wobei die Macht in einem kleinen Führungskreis konzentriert ist. Dies schränkt die Möglichkeiten für eine integrative Entscheidungsfindung ein und verstärkt die Wahrnehmung der Ausgrenzung von Minderheiten und Frauen (AC 20.12.2024). HTS hat in Idlib einerseits bemerkenswerte Zugeständnisse an die lokale Bevölkerung gemacht. So erlaubte sie beispielsweise Christen, Gottesdienste abzuhalten und Frauen, Universitäten zu besuchen und Autos zu fahren – Maßnahmen, die angesichts der radikalen dschihadistischen Vergangenheit der Gruppe bemerkenswert sind. Darüber hinaus hat HTS Zivilisten in seine Regierungsverwaltung integriert und einen technokratischen Regierungsstil eingeführt, selbst in sensiblen ideologischen Bereichen wie Bildung und Religion, in denen die Gruppe ursprünglich ausschließlich eigenes Personal ernennen wollte. Andererseits ist die mangelnde Bereitschaft, politische Opposition zuzulassen, nach wie vor besorgniserregend. In Idlib hat HTS nach und nach die Macht monopolisiert und agierte praktisch als Einparteienstaat. Politische Opposition und zivilgesellschaftlicher Aktivismus wurden unterdrückt (DIIS 16.12.2024). Zu den ersten Entscheidungen der Übergangsregierung unter al-Bashir gehörten die Entsendung von Polizeikräften in Großstädte und das Verbot von Rauchen und Alkoholkonsum (MAITIC 17.12.2024). Der HTS wurden unter anderem von Human Rights Watch, immer wieder schwere Menschenrechtsverletzungen gegen Oppositionelle, Frauen und religiöse Minderheiten vorgeworfen. Es kam auch zu groß angelegten Protesten gegen die HTS und ihren Anführer, ash-Shara' (Rosa Lux 17.12.2024). Laut Terrorismusexperte Peter Neumann haben die Kämpfer der HTS für ein islamistisches Regime gekämpft. Er hält es für möglich, dass es zu einer Opposition in der eigenen Bewegung kommen könnte (Spiegel 11.12.2024). Auch Terrorismusexperte Hans-Jakob Schindler spricht von Videos von Personen aus dem Umfeld der HTS, die ein Kalifat aufbauen wollen (WiWo 9.12.2024). Alberto M. Fernandez, Vizepräsident des Middle East Media Research Institutes, wiederum sieht nicht so sehr die Gefahr, dass Syrien nun ein islamischer Staat sein wird, sondern dass es ein gescheiterter Staat sein wird. Die Gefahr besteht eher darin, dass die Anarchie die Oberhand gewinnt und nicht das Scharia-Recht. Dennoch sehen auch sie, al-Shara', seine Organisation die HTS und viele ihrer Verbündeten als Hardcore-Islamisten. Der beste Vergleich sind nicht der Islamische Staat (IS) und al-Qaida, sondern die Taliban und die Hamas, politische Projekte, die sowohl islamistisch als auch nationalistisch sind (MEMRI 9.12.2024). Etwa 70 % der syrischen Bevölkerung sind sunnitische Muslime, darunter auch Kurden, die etwa 10 % der Bevölkerung ausmachen. Die arabischen Sunniten sind sich jedoch in ihren Zielen nicht einig, und viele wünschen sich für die Zukunft Syriens keinen islamischen Staat (SWI 13.2.2025). [Informationen zu ethnischen und religiösen Minderheiten finden sich im Kapitel Ethnische und religiöse Minderheiten - Entwicklungen seit dem Sturz des Assad-Regimes (seit 8.12.2024).]
Ash-Shara's Regierung kontrolliert begrenzte Teile Syriens, darunter die meisten westlichen Städte und Teile des ländlichen Raums (TWI 28.2.2025). Nordostsyrien wird von einer Kombination aus den kurdisch geführten Syrischen Demokratischen Kräften (Syrian Democratic Focres - SDF) und arabischen Stammeskräften regiert (MEI 19.12.2024). Die SDF führen Gespräche mit ash-Shara', bleiben aber vorsichtig, was seine Absichten angeht (TWI 28.2.2025). Nord-Aleppo wird von der von der Türkei unterstützten Syrischen Übergangsregierung kontrolliert (MEI 19.12.2024). Die von der Türkei unterstützten Rebellengruppierungen innerhalb der SNA kontrollieren Teile Nordsyriens nahe der türkischen Grenze, darunter 'Afrin, Suluk und Ra's al-'Ain. Diese Gebiete hat die SNA 2018 und 2019 von den kurdisch geführten Syrischen Demokratischen Kräften (Syrian Democratic Forces - SDF) erobert (Al-Monitor 8.12.2024). Am 29.1.2025 zwang die Türkei den Anführer dieser Gruppe, Sayf Abu Bakr, nach Damaskus zu reisen und dem neuen Präsidenten persönlich zu gratulieren, aber dies ist das einzige Zugeständnis, das er ash-Shara' bisher gemacht hat. Die beiden Anführer haben eine lange Geschichte gegenseitiger Feindseligkeit, insbesondere da viele Kämpfer der Syrischen Nationalarmee Veteranen des blutigen Krieges sind, den HTS 2017–2020 um die Kontrolle über die Provinz Idlib führte (TWI 28.2.2025). Südsyrien wird von einer halbunabhängigen Struktur in Suweida zusammen mit ehemaligen Oppositionsgruppen in Dara'a kontrolliert (MEI 19.12.2024). Im Euphrat-Tal ist die Loyalität der sunnitischen Stämme gegenüber HTS weniger sicher, während in Dara'a die vom ehemaligen Rebellen Ahmad al-'Awda und anderen südlichen Fraktionen kontrollierten Truppen sich der Integration in die neue syrische Armee widersetzen (TWI 28.2.2025). Anfang Jänner 2025 hinderten lokale Gruppierungen, die in der Provinz Suweida operieren, einen Militärkonvoi der DMO an der Einfahrt in die südsyrische Provinz. Quellen erklärten gegenüber Al Jazeera, dass die Entscheidung auf Anweisung des geistlichen Oberhaupts der monotheistischen Gemeinschaft der Drusen, Hikmat al-Hijri, getroffen wurde, der betonte, dass keine militärische Präsenz von außerhalb der Provinz erlaubt sei. Die Quellen erklärten, dass der Militärkonvoi in die mehrheitlich drusische Provinz Suweida kam, ohne sich vorher mit den lokalen Gruppierungen in der Provinz abzustimmen (AJ 1.1.2025a). Etana zufolge soll die HTS zunehmend versucht haben, ihre Macht und militärische Reichweite in der gesamten Provinz Dara'a und im weiteren Süden Syriens auszunutzen, was zu Spannungen mit Ahmad al-'Awda führte. In intensiven Verhandlungen im Gebäude des Gouvernements Dara'a wurde die Auflösung sowohl des 5. Korps als auch der Gruppen von Ahmad al-'Awda (die einst die 8. Brigade des 5. Korps bildeten) sowie anderer ehemaliger Oppositionsgruppen aus der Stadt Dara'a und at-Tafas angestrebt. Während HTS die Integration aller ehemaligen Oppositionsgruppen unter einem neuen Verteidigungsministerium nach al-Assad anstrebt, wuchs der Druck auf al-'Awda, der sich unter den bisherigen Bedingungen gegen die Auflösung gewehrt hatte (Etana 17.1.2025). Am 13.4.2025 gab die Gruppierung dem politischen und militärischen Druck schließlich nach und ihre Auflösung bekannt. Die Waffen werden an die Regierung übergeben (National 14.4.2025), schwere Waffen wurden von den Sicherheitskräften der Regierung beschlagnahmt (Etana 16.4.2025). Ash-Shara's politisches Projekt eines zentralisierten Syriens steht im Widerspruch zur aktuellen Realität vor Ort. Er glaubt, dass der Föderalismus die „Nation“ spalten könnte – eine Auffassung, die zum Teil auf der antiisraelischen Stimmung in der syrischen Bevölkerung beruht (TWI 28.2.2025).
Politische Lage in den Gebieten unter der Kontrolle der kurdisch dominierten SDF – Demokratische Autonome Administration von Nord- und Ostsyrien (DAANES)
Die Autonome Administration von Nord- und Ostsyrien (AANES), die von den Kurden häufig als Rojava oder „Westkurdistan“ bezeichnet wird, wurde auf der dritten Konferenz des Syrischen Demokratischen Rates (Syrian Democratic Council - SDC) am 16.7.2018 in 'Ain 'Issa gegründet. Vor der AANES hieß das lokale System Demokratische Föderation Nordsyrien (Democratic Federation of Northern Syria - DFNS), dessen Name 2016 übernommen wurde. Der Generalrat der Autonomen Verwaltung Nord- und Ostsyriens (AANES) verabschiedete am 13.12.2023 einen Gesellschaftsvertrag, in dem die AANES in Demokratische Autonome Verwaltung Nord- und Ostsyriens (DAANES) umbenannt wurde. Der Gesellschaftsvertrag gilt als de-facto-Verfassung. Im Zuge dieses Vertrags wurden die Verwaltungsgebiete zu einer einzigen Region unter dem Namen Nord- und Ostsyrien zusammengefasst (K24 13.12.2023). Die DAANES ist eine von Kurden angeführte, aber multiethnische Koalition, die sich in den letzten zehn Jahren eine relative Autonomie vom Assad-Regime bewahrt hat. Ihr mächtiger militärischer Flügel, die Syrischen Demokratischen Kräfte (Syrian Democratic Forces - SDF), diente auf ihrem Höhepunkt als wichtiges Bollwerk gegen den Islamischen Staat (IS) und profitiert nach wie vor von der anhaltenden amerikanischen Unterstützung in der Region (MEPC 2025). Die SDF sind die militärische Kraft für die Demokratische Autonome Administration von Nord- und Ostsyrien. Die Volksverteidigungseinheiten (Yekîneyên Parastina Gel - YPG) sind die dominierende Kraft innerhalb der SDF, obwohl es auch Kämpfer aus arabischen, christlichen und anderen Gemeinschaften gibt. Die SDF kontrollieren große Teile Nord- und Nordostsyriens, darunter die Städte ar-Raqqa, al-Hasaka, die Verwaltungshauptstadt Qamishli und Teile der Provinz Deir ez-Zour. Die Türkei betrachtet die SDF als den syrischen Ableger der verbotenen Arbeiterpartei Kurdistans (Partiya Karkerên Kurdistanê - PKK), was die SDF jedoch bestreiten (Al-Monitor 8.12.2024). Die SDF kontrollieren ein Gebiet von mehr als 35.000 Quadratkilometern, was bedeutet, dass sie etwa 18,92 % des syrischen Territoriums kontrollieren (AJ 29.1.2025). Obwohl die DAANES international nicht anerkannt ist, unterhält sie eine enge Arbeitsbeziehung zu den USA, welche die SDF seit Beginn des Krieges gegen den IS unterstützen (K24 13.12.2023; vgl. AJ 29.1.2025).
Der politische Flügel der SDF, der Syrische Demokratische Rat (Syrian Democratic Council - SDC), beglückwünschte das syrische Volk am 8.12.2024 zum Ende des Assad-Regimes und versprach, mit verschiedenen Gruppen im Land zusammenzuarbeiten. In einer Erklärung heißt es: Wir werden mit allen nationalen, kulturellen und gesellschaftlichen Kräften Syriens zusammenarbeiten, indem wir uns am nationalen Dialog beteiligen und unsere Verantwortung wahrnehmen, um ein neues Syrien zu schaffen, das alle seine Bürger einschließt (Al-Monitor 8.12.2024). Nach dem Sturz al-Assads hissten die SDF als Geste gegenüber der neuen Regierung in Damaskus die Revolutions- und Unabhängigkeitsflagge der Rebellengruppen auf ihren Einrichtungen, was von Washington begrüßt wurde (AJ 9.1.2025a). Am 29.12.2024 erklärte ash-Shara' gegenüber dem Fernsehsender Al Arabiya, dass die SDF in die neue nationale Armee integriert werden sollten. Waffen dürfen nur in den Händen des Staates sein. Wer bewaffnet und qualifiziert ist, um dem Verteidigungsministerium beizutreten, ist bei uns willkommen, sagte er (AJ 31.12.2024a). Laut dem Vizepräsidenten des Middle East Media Research Institutes zeigen sich die Kurden pragmatisch und werden versuchen, eine Vereinbarung mit den Machthabern zu treffen, die ein gewisses Maß an lokaler Autonomie bewahrt. Zu viel Autonomie wird Ankara verärgern, zu wenig Autonomie wird das Land gespalten halten (MEMRI 9.12.2024). Seit Dezember 2024 verhandelt die SDF mit der Übergangsregierung in Damaskus über ein mögliches Abkommen, das ihre Eingliederung in ein geeintes Syrien vorsieht (FP 20.2.2025). Ahmad ash-Shara' hat sich am 30.12.2024 mit einer Delegation der SDF, getroffen, um eine Grundlage für einen zukünftigen Dialog zu schaffen. Die Atmosphäre war positiv (Sky News 31.12.2024a). Ein syrischer Politiker sagte, dass die Verhandlungen mit der YPG [gemeint sind vermutlich die SDF; die Quelle ist türkisch Anm.] komplex bleiben, weil die Gruppierung auf Autonomie und mehr Kontrolle über rohstoffreiche Gebiete bestehe (TR-Today 8.1.2025). Umgekehrt soll laut einem Journalisten der türkischen Tageszeitung Hürriyet SDF-Kommandeur Mazloum 'Abdi bei seinem Treffen mit ash-Shara' angeboten haben, eine kurdische Fraktion in der syrischen Armee zu schaffen und das syrische Öl gleichmäßig zu teilen, was aber ash-Shara's Regierung ablehnte und betonte, dass es keine andere Lösung als die Übergabe von Waffen gäbe (Akhbar 9.1.2025). 'Abdi bot an, die Ölvorkommen in den von ihm kontrollierten Gebieten an die Zentralverwaltung zu übergeben, vorausgesetzt, der Reichtum wird gerecht auf alle syrischen Provinzen verteilt (Sharq 14.1.2025). Der syrische Verteidigungsminister sagte, dass sie [gemeint sind hier vermutlich die syrischen Behörden Anm.] kein Öl wollen, sondern die Institutionen und die Grenzen (Barrons 22.1.2025). Am 9.1.2025 berichtete Al Jazeera, dass 'Abdi sich mit der neuen syrischen Regierung geeinigt hätte, jegliche Teilungsprojekte, die die Einheit des Landes bedrohen, abzulehnen. (AJ 9.1.2025a; vgl. Arabiya 9.1.2025). 'Abdi sagte am 14.1.2025, dass seine Forderungen nach einer dezentralisierten Verwaltung für die von ihm kontrollierten Gebiete im Nordosten Syriens nicht im Widerspruch zur Einheit des Landes stünden und dass er dies als die beste Option für die syrische Realität betrachte, wobei er darauf hinwies, dass er diese Forderungen der neuen syrischen Regierung bei früheren Konsultationen vorgelegt habe. Die Forderung einer dezentralisierten Verwaltung Nord- und Ostsyriens ist die Hauptforderung der SDF. 'Abdi wies darauf hin, dass es sich bei der von ihm geforderten Dezentralisierung um eine „geografische Dezentralisierung und nicht um eine Dezentralisierung auf nationaler Ebene“ handele und erklärte, dass sie kein eigenes Parlament und keine eigene Regierung fordern (Sharq 14.1.2025). Am 27.1.2025 sagten Quellen, die der neuen Regierung nahestehen, dass diese den SDF ein Angebot gemacht habe, das die Anerkennung der kulturellen Rechte der Kurden und deren Aufnahme in die nächste Verfassung sowie die Öffnung des Weges für Kurden, um in die Sicherheits- und Militäreinrichtungen aufgenommen zu werden, beinhaltet. Die Quellen bestätigten, dass das Angebot auch ein dezentralisiertes Verwaltungssystem umfasst, das den lokalen Räten weitreichende Befugnisse zur Verwaltung der Angelegenheiten der Provinzen einräumt. Denselben Quellen zufolge lehnten die SDF das Angebot jedoch ab und bestanden auf ihren eigenen Bedingungen, zu denen gehören: Beitritt zur syrischen Armee als integrierte Einheit, Beibehaltung ihrer derzeitigen militärischen Einsatzgebiete, Erhalt eines Anteils an den Einnahmen aus den Ölfeldern und -quellen. Die SDF begründen ihre Position mit der Furcht vor einem möglichen türkischen Angriff auf ihre Gebiete und der fehlenden Integration der Gruppierungen der Syrischen Nationalen Armee (Syrian National Army - SNA) in das syrische Verteidigungsministerium. Die syrische Regierung lehnt ihrerseits die Vorschläge der SDF ab und betont, dass sie die Existenz von Blöcken innerhalb der Armee ablehnt und nicht bereit ist, das Öl-Dossier als politische Verhandlungskarte zu nutzen (AJ 27.1.2025b). In einem grundlegenden Wandel gegenüber der Ära al-Assad hat die Übergangsregierung in Damaskus den Kurden Syriens gleiche Rechte versprochen und angekündigt, Kurdisch zur zweiten Landessprache zu machen. Vertretern der SDF und der autonomen Verwaltung würden außerdem Sitze und Mitgliedschaft in allen Übergangsbehörden Syriens garantiert, darunter ein temporäres Parlament und ein Verfassungsausschuss. Die Einnahmen aus dem syrischen Öl-, Gas- und Agrarsektor würden anteilig in den Nordosten investiert werden. Nach wochenlangen Gesprächen hat die SDF einen Großteil des Abkommens grundsätzlich akzeptiert, wie ein Treffen zwischen der SDF und ihrem politischen Flügel und ihren Regierungsorganen am 17.2.2025 erneut bestätigte. Doch während die Organisation insgeheim schon seit Wochen akzeptiert hat, dass ihre Streitkräfte eines Tages aufgelöst und in die neuen Streitkräfte Syriens integriert werden, besteht das Haupthindernis bei den Gesprächen darin, wie dies geschehen soll. SDF-Anführer 'Abdi hat sich zwar mit allen anderen bewaffneten Gruppierungen in Syrien auf eine mögliche Auflösung geeinigt, fordert jedoch, dass das SDF-Personal ein eigenständiger Block innerhalb der neuen Streitkräfte Syriens bleibt und nur an seinen derzeitigen Standorten im Nordosten stationiert bleibt (FP 20.2.2025). Laut einem Mitglied des politischen Flügels der SDF, dem Demokratischen Rat Syriens (Meclîsa Sûriya Demokratîk - MSD), hat die autonome Verwaltung im Nordosten des Landes einen positiven Schritt unternommen, indem sie sich darauf vorbereitet, Grenzübergänge und offizielle Stellen an den syrischen Staat zu übergeben. Die syrische Übergangsregierung hat noch keine Vorstellung davon, wie die Verwaltung dieser Einrichtungen in Ostsyrien aufgenommen werden soll, daher müssen im Dialog zwischen der syrischen Regierung und der Autonomieverwaltung Ausschüsse auf Bildungs-, Verwaltungs- und Wirtschaftsebene gebildet werden (AJ 22.2.2025).
Am 10.3.2025 unterzeichneten der Anführer der kurdisch dominierten SDF Mazloum 'Abdi und Übergangspräsident Ahmad ash-Shara' ein Abkommen über die Integration der SDF in die staatlichen Institutionen Syriens. Das Abkommen sieht die Gewährleistung der Rechte aller Syrer auf Vertretung und Beteiligung, einen Waffenstillstand in allen syrischen Gebieten und die Integration aller zivilen und militärischen Institutionen im Nordosten Syriens vor. Das Abkommen sieht auch vor, dass die SDF den syrischen Staat bei der Bekämpfung von Assads Überbleibseln und Drohungen unterstützen und Aufrufe zur Teilung, Hassreden und Versuche, Zwietracht zu säen, zurückweisen werden (Arabiya 11.3.2025). Das Abkommen besteht aus acht Klauseln. Gemeinsame Ausschüsse sollen daran arbeiten, die Umsetzung des Abkommens bis Ende des Jahres abzuschließen (AJ 11.3.2025). Das Abkommen sieht vor, das DAANES-Gebiet unter die volle Kontrolle der syrischen Zentralregierung bringen (AJ 10.3.2025b). Es beinhaltet die Integration der zivilen und militärischen Einrichtungen im Nordosten Syriens in die syrische Staatsverwaltung, einschließlich der Grenzposten, des Flughafens [in Qamishli, Anm.] und der Öl- und Gasfelder, die von den SDF im Nordosten Syriens kontrolliert werden (FR24 10.3.2025). Kurz nach Bekanntgabe der Vereinbarung sagten Quellen gegenüber Al Jazeera, dass sich ein Konvoi des syrischen Verteidigungsministeriums in Abstimmung mit den SDF nach al-Hasaka begeben wird und dass die Kräfte des Verteidigungsministeriums die Gefängnisse von den SDF übernehmen werden (AJ 11.3.2025). Das Wall Street Journal zitierte US-Beamte mit der Aussage, dass US-Militärpersonal zwischen den SDF und den sogenannten Rebellengruppen vermittelt habe. Die Beamten sagten, die Vermittlung schließe auch Gruppierungen ein, die von der Türkei seit dem Sturz des gestürzten Präsidenten Bashar al-Assad unterstützt werden (AJ 11.3.2025). Das Abkommen könnte den Konflikt der SDF mit der benachbarten Türkei und den von der Türkei unterstützten ehemaligen syrischen Rebellengruppen, die mit der Regierung verbündet sind und versuchen, die SDF aus Gebieten nahe der Grenze zu vertreiben, entschärfen (BBC 11.3.2025). Das Abkommen macht keine Angaben darüber, wie die militärischen Einheiten der SDF in das syrische Verteidigungsministerium integriert werden sollen, was bisher ein wesentlicher Knackpunkt in den Gesprächen war. Die Vereinbarung bezieht sich weder auf die Übergabe von Waffen noch auf die Auflösung der von der YPG dominierten militärischen Formation (AJ 11.3.2025). Die Vereinbarung enthält die Bestätigung, dass das kurdische Volk ein integraler Bestandteil Syriens ist und ein Recht auf Staatsbürgerschaft und garantierte verfassungsmäßige Rechte hat (AJ 10.3.2025b), einschließlich der Verwendung und des Unterrichts ihrer Sprache, die unter Assad jahrzehntelang verboten waren (Sky News 10.3.2025). Die Vereinbarung beinhaltet die Gewährleistung der Rechte aller Syrer auf Repräsentation und Beteiligung am politischen Prozess und an allen staatlichen Institutionen, unabhängig von ihrer religiösen und ethnischen Zugehörigkeit (Arabiya 10.3.2025; vgl.AJ 10.3.2025a).
Kurdisch geführte Truppen haben den Zusammenbruch der syrischen Armee genutzt, um die vollständige Kontrolle über die wichtigste Stadt, Deir ez-Zour, zu übernehmen (BBC 8.12.2024b). Diese wurde ihnen von den Rebellengruppierungen kurz darauf wieder abgenommen (Al-Monitor 8.12.2024). Kräfte der SNA wiederum haben die Situation genützt, um Territorium in Manbij von den SDF zu erobern (TWI 9.12.2024). Die SDF kontrollieren nun 20 % des syrischen Territoriums (Arabiya 11.12.2024). Am 6.2.2025 sind Streitkräfte des syrischen Ministeriums für Allgemeine Sicherheit in die nordwestsyrische Stadt 'Afrin einmarschiert. 'Afrin wird seit 2018 von verschiedenen bewaffneten Gruppierungen der von der Türkei unterstützten SNA besetzt gehalten. Mit dem Einmarsch in 'Afrin setzt die neue syrische Regierung ihre Kontrolle über Teile des Landes durch. 'Afrin ist ein historisch kurdisches Gebiet in Syrien, und der Machtwechsel wurde von den kurdischen Medien aufmerksam verfolgt (LWJ 6.2.2025).
Sicherheitslage in den Gebieten unter der Kontrolle der kurdisch dominierten SDF - Demokratische Autonome Administration von Nord- und Ostsyrien (DAANES)
Die von der Türkei unterstützten syrischen Gruppierungen starteten im November eine Offensive gegen die SDF und vertrieben sie trotz der Bemühungen der USA, einen Waffenstillstand zu vermitteln, aus mehreren Gebieten im Norden (Arabiya 26.2.2025). Sie eroberten strategische Orte in der Umgebung von Manbij und Tall Rif'at. Die Kämpfe intensivierten sich in der Nähe des Tishrin-Staudamms am Euphrat in der Region Manbij im Osten Aleppos, der für die von den SDF kontrollierten Gebiete nach wie vor eine wichtige Wasser- und Stromquelle darstellt. Die Türkei hat Berichten zufolge Luftangriffe in der Region durchgeführt, was Bedenken hinsichtlich möglicher Schäden am Damm aufkommen lässt. Darüber hinaus wurden auch mehrere Orte in der Region Kobane und im Osten Aleppos angegriffen (SCR 30.1.2025). Washington vermittelte Anfang Dezember, nachdem die Kämpfe ausgebrochen waren, einen ersten Waffenstillstand. Dennoch kam es weiterhin zu Kampfhandlungen zwischen den beiden Parteien (Sky News 31.12.2024b). Auf mehreren Achsen im östlichen Aleppo und im Nordosten Syriens kam es zu einer Reihe von gegenseitigen Angriffen zwischen den SDF einerseits und den türkischen Streitkräften und pro-türkischen Gruppierungen andererseits. In der Nähe des Tishrin-Damms beschossen die türkischen Streitkräfte Stellungen der SDF intensiv mit Artillerie, während gleichzeitig ein Drohnenangriff auf Stellungen der SDF stattfindet, was zu Zusammenstößen zwischen beiden Seiten führte (SOHR 26.2.2025). Der Tishrin-Staudamm am Euphrat in Syrien ist zu einem zentralen Konfliktpunkt in der Zeit nach Assad geworden. Seit dem Sturz des Regimes von Diktator Bashar al-Assad am 8.12.2024 wird der Damm von den SDF und der SNA umkämpft (LWJ 26.1.2025). Trotz heftiger Kämpfe über mehrere Wochen hinweg hatte sich die lokale Konfliktkarte rund um den Tishrin-Staudamm nicht verändert. An den Frontlinien zwischen der von der Türkei unterstützten SNA und den SDF kam es auf beiden Seiten des Euphrat in der Nähe des Tishrin-Staudamms und der Qara-Qozak-Brücke zu anhaltenden, heftigen Gefechten (Etana 22.2.2025). Diese sollen dem Direktor der Syrischen Beobachtungsstelle für Menschenrechte zufolge Mitte April 2025 eingestellt worden sein (SOHR 15.4.2025), nachdem die SDF sich aus dem Gebiet zurückgezogen haben. Die Kontrolle über den Staudamm soll die syrische Regierung übernehmen (ISW 16.4.2025). Anfang Februar kam es mehrmals zu tödlichen Anschlägen mit Autobomben in Gebieten, die von Türkei-nahen Milizen kontrolliert werden (Tagesspiegel 3.2.2025). Die türkischen Streitkräfte setzen ihre Operationen in Syrien unter dem Vorwand fort, die türkische Grenze zu Syrien zu sichern, der Kurdischen Arbeiterpartei (Partiya Karkerên Kurdistanê - PKK) entgegenzuwirken und Vereinbarungen zu garantieren (SOHR 9.1.2025). Am 27.2.2025 rief Abdullah Öcalan, der in der Türkei inhaftierte Anführer der PKK, dazu auf, die Waffen niederzulegen und die PKK aufzulösen (ANF 27.2.2025). In einer mit Spannung erwarteten Erklärung, von der sich viele erhoffen, dass sie den Weg für ein Ende des seit mehr als vier Jahrzehnten andauernden Konflikts zwischen der Türkei und den Kurden ebnet, forderte der inhaftierte Kurdenführer Abdullah Öcalan seine Anhänger auf, die Waffen niederzulegen und die Rebellenorganisation aufzulösen. Mazloum 'Abdi, Anführer der SDF, stellte klar, dass dieser Aufruf nur für die PKK gelte und nichts mit Syrien zu tun habe (AlMon 27.2.2025; vgl. AlHurra 27.2.2025). Er sagte, dass seine Kämpfer die Waffen nicht niederlegen werden (VOA 27.2.2025). Die Meinungsverschiedenheiten in Bezug auf Syrien waren ein wesentliches Hindernis bei den Friedensgesprächen zwischen Ankara und Öcalan, weil die Türkei darauf bestand, dass sie den Nordosten Syriens einschließen, wo türkische Streitkräfte und verbündete sunnitische Fraktionen seit neun Jahren einen erbitterten Feldzug führen, um die selbsternannte Demokratische Autonome Administration Nord- und Ostsyriens (DAANES) wegen ihrer Verbindungen zur PKK zu zerstören. Doch Ankara scheint ihre Haltung etwas abgemildert zu haben, da mehrere arabische Nationen dem wachsenden Einfluss der Türkei in Syrien entgegenwirken (AlMon 27.2.2025). In Washington besteht die Hoffnung, dass die Entscheidung Öcalans die Spannungen mit Ankara abbauen und die Bemühungen zur Bekämpfung der Überreste der Terrorgruppe Islamischer Staat (IS) erleichtern könnte. Die SDF schloss sich dem Optimismus Washingtons an (VOA 27.2.2025). 'Abdi stellte fest, dass es mit dem Frieden zwischen der PKK und der Türkei, keinen Grund und keine Entschuldigung mehr für die Türkei gäbe, Nordsyrien mehr unter dem Vorwand der PKK anzugreifen (VOA 27.2.2025; vgl. AlHurra 27.2.2025). Der syrischen Beobachtungsstelle für Menschenrechte (SOHR) zufolge sind die Entwicklungen im Jahr 2024 ein unwiderlegbarer Beweis dafür, dass die türkische Intervention in Syrien eine Hauptursache für Blutvergießen ist. Seit Anfang 2024 hat SOHR den Tod von 88 syrischen Zivilisten dokumentiert: 17 Kinder, sechs Frauen und 65 junge und erwachsene Männer, die durch Schüsse türkischer Grenzsoldaten (Jandarma) und Luft- und Bodenangriffe türkischer Streitkräfte, darunter Luftangriffe von Kampfflugzeugen und Drohnen, getötet wurden (SOHR 9.1.2025). Zusammenstöße zwischen der SNA und der SDF sind nichts Neues, ebenso wenig wie Kämpfe zwischen der Türkei und der SDF. Ankara hat in den letzten zehn Jahren mehrere Operationen in Syrien gestartet, darunter die Operationen Euphrates Shield (2016), Olive Branch (2018) und Peace Spring (2019), die alle darauf abzielten, die SDF oder die Volksverteidigungseinheiten (YPG), die größte Fraktion innerhalb der SDF, zu bekämpfen. Vor dem Sturz des Assad-Regimes, der Ende November mit einer Offensive der HTS in der Nähe von Aleppo begann, waren die Fronten in Syrien zwischen den SDF und SNA mehrere Jahre lang unverändert geblieben. Der Zusammenbruch des Regimes führte jedoch zu raschen Veränderungen (LWJ 26.1.2025).
Sicherheitsbehörden - Entwicklungen seit dem Sturz des Assad-Regimes (seit 8.12.2024)
Der Interimsregierung unter der Führung der Hay'at Tahrir ash-Sham (HTS) fehlt es an ausreichendem Personal, um das ganze Land zu verwalten und die Posten zu bemannen. Es werden entweder andere Gruppierungen mit an Bord geholt werden müssen, oder möglicherweise auch ehemalige Soldaten (PBS 16.12.2024). Die einzigen Ordnungskräfte sind diejenigen Gruppierungen, die aus Idlib mitgekommen sind und die sich – personell überlastet – um ein Minimum an Ordnung in den Städten bemühen (SYRDiplQ1 5.2.2025). Associated Press berichtete am 16.12.2024, dass Polizeikräfte des Assad-Regimes verschwunden sind und an ihre Stelle Polizeikräfte der Syrischen Heilsregierung (Syrian Salvation Gouvernements - SSG) - der von der HTS geführten Regierung, die bis zum Sturz al-Assads in Idlib regierte - getreten waren. Sie bearbeiten Fälle von kleineren Diebstählen und Straßenkrawalle (AP 15.12.2024b). Die Polizisten der SSG sollen 4.000 Mann stark sein, wobei die Hälfte davon weiterhin in Idlib operiere, während die andere Hälfte in Damaskus und anderen Teilen Syriens für Ordnung sorgen. Obwohl manche von ihnen religiöse Symbole tragen, ließen sie andersgläubige Minderheiten weitgehend in Ruhe (AP 15.12.2024b). Die Kräfte, die Syriens neuem Machthaber zur Verfügung stehen, sind unzureichend. Die 30.000 Mann starke HTS ist nun über das ganze Land verteilt (Economist 5.3.2025). In Damaskus ist in den wichtigsten Bereichen nur Militärpersonal der HTS zu sehen, das ein Gefühl der Sicherheit vermittelt und versucht, den Verkehr zu regeln – allerdings mit begrenztem Erfolg. Dies ist nicht nur eine Folge der begrenzten Kapazitäten der HTS, die nun an ihre Grenzen stoßen, da sie ein ganzes Land und nicht nur einen Teil einer Provinz verwalten müssen. Es ist auch ein Symptom für den abrupten Zusammenbruch der traditionellen Sicherheitsstrukturen. In den meisten Städten wurden in den ersten Tagen nach dem Zusammenbruch des Assad-Regimes Polizeistationen und Gerichte geschlossen, und Diebstähle – sowohl von Autos als auch von Häusern – nahmen aufgrund des Mangels an neu ausgebildeten Polizisten zu (AGSIW 4.3.2025). Während des Umsturzes am 8.12.2024 wurden die meisten Polizeistationen in Damaskus von Plünderern verwüstet, wobei Ausrüstung und Unterlagen geplündert oder zerstört wurden. Die Polizei gab an, dass die Hälfte der etwa 20 Polizeistationen inzwischen wiedereröffnet wurde, aber sie jeweils nur mit zehn Beamten besetzt sind, die größtenteils aus Idlib kommen. Zuvor waren es 100 bis 150 Mann (REU 23.1.2025). In Damaskus und anderen Orten kam es häufig zu Gewaltausbrüchen, weil Polizei und Armee nicht über genügend Personal verfügen, um die Ordnung aufrechtzuerhalten. Die Straßen sind oft mit Müll übersät, und anstelle der Polizei regeln Teenager den Verkehr (FT 25.3.2025). HTS hat sich auf ihre eigenen Einheiten und die ihrer engen Verbündeten verlassen, um die vier von Minderheiten dominierten Gouvernements zu sichern. Zu diesen gehören vor allem die Einheiten der Allgemeinen Sicherheit (auch: General Security) des Innenministeriums der ehemaligen syrischen Heilsregierung (Syrian Salvation Government - SSG). Diese Kräfte sind im Wesentlichen schwer bewaffnete Polizisten, die eingesprungen sind, um Unterstützung zu leisten, während neue lokale Polizeikräfte noch aufgebaut werden. Die Abteilung für militärische Operationen hat auch Einheiten im ganzen Land eingesetzt, um die überlastete Allgemeine Sicherheit zu unterstützen und weitere Sicherheitslücken zu schließen. DMO-Einheiten führen gezielte Razzien gegen bewaffnete Zellen durch, halfen anfangs bei der Überwachung von Städten und besetzten zeitweise Kontrollpunkte. Ende Dezember 2024 wurden viele Einheiten aus den Küstenstädten abgezogen und auf Kontrollpunkte und Stützpunkte beschränkt, wo sie durch wachsende lokale Polizeikräfte ersetzt wurden. Am problematischsten waren die ausländischen Kämpfergruppen innerhalb der Eliteeinheit Rote Brigaden von DMO und HTS, die viele der Razzien der neuen Regierung anführt (MEI 21.1.2025). Die Sicherheitskräfte des alten Regimes wurden aufgelöst. Frühere Versprechen, die Polizei auf ihre Posten zurückzurufen, wurden nicht eingehalten. Die Menschen wurden aufgefordert, sich erneut auf ihre Stellen zu bewerben, aber das Verfahren ist undurchsichtig und soll Alawiten abschrecken. Ash-Shara' hat sich größtenteils an die Sicherheitskräfte seiner Verwaltung in Idlib gewandt, um den Personalmangel auszugleichen. Erfahrene Offiziere des alten Regimes sind jetzt Taxifahrer. In diesem Vakuum stellen die örtlichen Gemeinden ihre eigenen Bürgerwehren zusammen (Economist 5.3.2025).
Die bewaffnete Landschaft Syriens besteht aus einem komplexen Geflecht von über 60 Fraktionen, von denen jede ihre eigene Geschichte, ihre eigenen Loyalitäten und ihre eigene Agenda hat. Mehr als die Hälfte sind der Syrischen Nationalen Armee (Syrian National Army - SNA) angeschlossen. Andere Fraktionen agieren unabhängig oder innerhalb kleinerer Allianzen, mit Ideologien, die von säkular bis islamistisch reichen, und Finanzierungsquellen, die verschiedene regionale und internationale Akteure umfassen. Dieses Flickwerk an Macht stellt ein erhebliches Hindernis für die Schaffung einer einheitlichen nationalen Armee dar (DNewsEgy 3.2.2025). Obwohl die Kämpfer nominell unter der Schirmherrschaft der neuen syrischen Regierung stehen, gibt es nach wie vor Milizen, von denen einige in Menschenrechtsverletzungen verwickelt waren und relativ undiszipliniert sind (Guardian 9.3.2025). Die Kernkräfte der Gruppierung, die die neue Regierung anführt, HTS, sind bekanntermaßen weitaus disziplinierter als andere Akteure, was auf jahrelanger Beobachtung ihrer Aktivitäten in der Provinz Idlib und während des Sturzes von al-Assad beruht. Dennoch waren auch einige HTS-Kräfte an den Massakern im März 2025 in der syrischen Küstenregion beteiligt. Darüber hinaus trägt die neue Regierung weiterhin die Verantwortung für alle Tötungen, die von Gruppen unter ihrem formellen Kommando, einschließlich der SNA, begangen wurden. Ihre Unfähigkeit, diese Verbrechen zu verhindern, verdeutlicht, dass sie über Gebiete und Fraktionen außerhalb ihrer traditionellen Basis nach wie vor nur begrenzt befehligen und kontrollieren kann. Nachdem Berichte über Massaker aufgetaucht waren, gab das Innenministerium eine doppelte Erklärung ab, in der es die Zivilbevölkerung aufforderte, sich nicht einzumischen und die Reaktion der Regierung zu überlassen, und allen regierungsfreundlichen Kräften befahl, sich an die Verfahren zu halten, die während der Offensive zum Sturz des Assad-Regimes angewendet wurden, nämlich keine Zivilisten ins Visier zu nehmen. Zu diesem Zeitpunkt waren jedoch bereits zahlreiche Morde verübt worden, und die Erklärung enthielt keinen Hinweis auf den notwendigen Prozess der Rechenschaftspflicht, der auf solche Vorfälle folgen muss, um weitere Vergeltungsmaßnahmen und Gräueltaten zu verhindern (TWI 10.3.2025). In den Reihen der neuen syrischen Armee finden sich auch islamistische Kämpfer aus anderen arabischen Staaten, Zentralasien und dem Kaukasus (Standard 9.3.2025). Es gibt große Probleme bei der Integration der Gruppierungen, die bereits unter dem Verteidigungsministerium zusammengelegt wurden. Zu nennen ist hier der Top-Down-Ansatz, bei dem die Priorität auf Loyalität statt auf Leistung gelegt wird. Es gelingt nicht die ideologischen und klassenbasierten Unterschiede zwischen – und innerhalb – der Gruppierungen, die jetzt unter dem Kommando ash-Shara's stehen, abzumildern (NLM 25.2.2025).
Syrische Nationale Armee (Syrian National Army - SNA)
Mehr als die Hälfte der über 60 in Syrien bestehenden bewaffneten Gruppierungen gehört zur von der Türkei unterstützten Syrian National Army. Ihre Stärke beträgt mindestens 80.000 Mann und ihre Hauptaufgabe ist die Bekämpfung der kurdisch geführten Syrischen Demokratischen Kräfte (Syrian Democratic Forces - SDF) (DNewsEgy 3.2.2025). Die Jabhat ash-Shamiya, die Bewegung Nour ad-Din-Zenki, die islamische Bewegung Ahrar ash-Sham im nördlichen Umland von Aleppo und die Gruppe ash-Shahba beteiligten sich an den Vorbereitungen für die Operation "Abschreckung der Aggression" im Sommer 2024, während die übrigen Fraktionen auf direkte Anweisungen aus Ankara warteten, wie die Nationale Befreiungsfront in Idlib, die Tausende von Kämpfern aus allen Untergruppierungen der Abteilung für militärische Operationen zur Verfügung stellte (Quds 11.1.2025). Sie könnte ca. 50.000 Kämpfer umfassen. Die SNA steht grundsätzlich in Konkurrenz mit der HTS. Ihre Anführer haben erklärt, dass sie schwere Waffen abgeben würde im Gegenzug für hohe Funktionen in der neuen syrischen Armee. Ihre Kleinfeuerwaffen werden sie behalten. Manche Anführer möchten ihr Einkommen, das sie durch Schmuggel über die türkisch-syrische Grenze erhalten, nicht aufgeben (Economist 14.1.2025). Im Widerspruch dazu wird die HTS von der von Ankara unterstützten Nationalen Befreiungsfront (National Liberation Front - NLF) unterstützt, die von Oberst Fadlallah al-Hajji angeführt wird, dem militärischen Befehlshaber der Faylaq ash-Sham und gleichzeitig stellvertretenden Verteidigungsminister in der Übergangsregierung (Quds 11.1.2025). Die NLF schloss sich im Oktober 2019 der SNA an (MEE 7.12.2024).
Die Suleiman Shah Division (auch: al-Amshat) wird von Mohammad Hussein al-Jassim, bekannt als Abu Amsha, angeführt, einer umstrittenen Figur, die sich schweren Vorwürfen von Menschenrechtsverletzungen ausgesetzt sieht. Seine Truppen haben ihren Sitz in Sheikh al-Hadid in 'Afrin und erstrecken sich auf Teile des nördlichen Landesteils von Aleppo. Die Hamza-Division (auch: Hamzat) kontrolliert al-Bab, Jarablus und 'Afrin und steht unter dem Kommando von Saif Bolad (Abu Bakr), einem prominenten Führer der von der Türkei unterstützten SNA. Im Jahr 2023 verhängte das US-Finanzministerium direkte Sanktionen gegen die beiden Fraktionen und beschuldigte sie, in den von ihnen kontrollierten Gebieten „Kriegsverbrechen und weitverbreitete Menschenrechtsverletzungen“ zu begehen. Menschenrechtsberichten zufolge waren diese von der Türkei unterstützten Gruppierungen an „systematischen ethnischen Säuberungsaktionen“ und groß angelegten „Massakern“ gegen Zivilisten in Banias, Tartus und Latakia beteiligt, bei denen Hunderte von Menschen, darunter auch Frauen und Kinder, getötet wurden (LebDeb 10.3.2025).
Die syrischen Sicherheitskräfte forderten Anfang März 2025 nach Zusammenstößen mit Anhängern des Assad-Regimes eine allgemeine Mobilisierung über die bereits in der Küstenregion stationierten Einheiten hinaus an. Drei von den USA sanktionierte Milizen der von der Türkei unterstützten SNA folgten diesem Aufruf: Jaish ash-Sharqiya, Sultan Suleiman Shah und die Hamza-Division. Sie wurden zuvor wegen Menschenrechtsverletzungen an Kurden im Nordwesten Syriens angeklagt. An den Kämpfen waren auch ausländische Dschihad-Kämpfer der von den USA benannten Gruppe Ansar al-Tawhid und lokale syrische Zivilisten beteiligt, die die Kriegsverbrechen des Regimes rächen wollten. Die meisten lokalen Berichte deuten darauf hin, dass die überwiegende Zahl der von Regierungstruppen verursachten zivilen Todesfälle Anfang März 2025 in der Küstenregion von einer Mischung aus SNA-Fraktionen, ausländischen Kämpfern und zufälligen Zivilisten begangen wurde (TWI 10.3.2025).
Alle Gruppierungen der Syrischen Nationalen Armee sind an der Operation "Morgenröte der Freiheit" gegen die Syrischen Demokratischen Kräfte (Syrian Democratic Forces - SDF) beteiligt (Quds 11.1.2025).
Fahim 'Issa, einer der prominentesten Militärkommandeure in Nordsyrien, sagte, dass die Fraktionen der SNA derzeit nicht bereit sind, sich zusammenzuschließen, weil sie sich in den Kämpfen gegen die SDF mit türkischer Unterstützung engagieren, was im Gegensatz zu ash-Shara's Ansatz steht, die Angelegenheit mit den kurdischen Kämpfern zu regeln (Quds 11.1.2025).
Die Motivationen der Kämpfer in der SNA sind alles andere als einheitlich. In Interviews wurden drei Hauptmotive im gesamten Korps der SNA hervorgehoben: Erstens sind die Kämpfer von Loyalität und Stammesverbundenheit angetrieben und verlassen sich auf verwandtschaftliche Bindungen und das Vertrauen in die lokale Führung. Zweitens werden sie eher durch wirtschaftliche Faktoren motiviert, wobei viele von ihnen im Schmuggel und in der Kontrolle des lokalen Marktes tätig sind. Drittens sind einige Kämpfer, insbesondere an der Levante-Front, ideologisch motiviert und vertreten revolutionäre Ideale und umfassendere Visionen des gesellschaftlichen Wandels (NLM 25.2.2025).
Wehr- und Reservedienst - Entwicklungen seit dem Sturz des Assad-Regimes (seit 8.12.2024)
Nach dem Umsturz in Syrien hat die von Islamisten angeführte Rebellenallianz eine Generalamnestie für alle Wehrpflichtigen verkündet. Ihnen werde Sicherheit garantiert und jegliche Übergriffe auf sie seien untersagt, teilte die Allianz auf Telegram mit (Presse 9.12.2024). HTS-Anführer ash-Shara' kündigte in einem Facebook-Post an, dass die Wehrpflicht der Armee abgeschafft wird, außer für einige Spezialeinheiten und "für kurze Zeiträume". Des Weiteren kündigte er an, dass alle Gruppierungen aufgelöst werden sollen und über Waffen nur mehr der Staat verfügen soll (CNBC Ara 15.12.2024a; vgl. MEMRI 16.12.2024). Unklar ist, wie eine Freiwilligenarmee finanziert werden soll (ISW 16.12.2024). Auch die Auflösung der Sicherheitskräfte kündigte ash-Shara' an (REU 11.12.2024a). In einem Interview am 10.2.2025 wiederholte ash-Shara', dass er sich für eine freiwillige Rekrutierung entschieden habe und gegen eine Wehrpflicht. Bereits Tausende von Freiwilligen hätten sich der neuen Armee angeschlossen (Arabiya 10.2.2025a; vgl. AJ 10.2.2025a). Wehrpflichtigen der Syrischen Arabischen Armee (Syrian Arab Army - SAA) wurde eine Amnestie gewährt (REU 11.12.2024b).
Der Übergangspräsident Ahmed ash-Shara' hat die Vision einer neuen „Nationalen Armee“ geäußert, die alle ehemaligen Oppositionsgruppen einbezieht. Diese Vision beinhaltet einen Prozess der Entwaffnung, Demobilisierung und Wiedereingliederung, bei dem Hay'at Tahrir ash-Sham (HTS) angeblich die Führung übernehmen soll (DNewsEgy 3.2.2025). Der syrische Verteidigungsminister Abu Qasra kündigte am 6.1.2025 den Beginn von Sitzungen mit militärischen Gruppierungen an, um Schritte zu deren Integration in das Verteidigungsministerium zu entwickeln (Arabiya 6.1.2025b). Hochrangige Beamte des neuen Regimes führten Gespräche über die Eingliederung von Milizen in das Verteidigungsministerium und die Umstrukturierung der syrischen Armee mit Vertretern unterschiedlicher bewaffneter Gruppierungen, wie Fraktionen der von der Türkei unterstützten Syrischen Nationalen Armee (Syrian National Army - SNA) (MAITIC 9.1.2025). Die Behörden gaben Vereinbarungen mit bewaffneten Rebellengruppen bekannt, diese aufzulösen und in die vereinte syrische Nationalarmee zu integrieren (UNSC 7.1.2025). Die einzige Möglichkeit, eine kohärente militärische Institution aufzubauen, besteht laut Abu Qasra darin, die Gruppierungen vollständig in das Verteidigungsministerium unter einer einheitlichen Struktur zu integrieren. Die Grundlage für diese Institution muss die Rechtsstaatlichkeit sein (Al Majalla 24.1.2025). Es bleibt abzuwarten, wie die neue Armee Syriens aussehen wird und ob sie auf einer anderen Struktur als die Armee des Assad-Regimes basieren wird. Dazu gehören Fragen in Bezug auf Brigaden, Divisionen und kleine Formationen sowie Fragen in Bezug auf die Art der Bewaffnung, ihre Form und die Art der Mission. (AlHurra 12.2.2025).
Die Umstrukturierung des syrischen Militärs hat gerade erst begonnen. Der neue de-facto-Führer hat versprochen, die neue Armee in eine professionelle, auf Freiwilligen basierende Truppe umzuwandeln, um die Professionalität in den Reihen zu fördern und sich von der Wehrpflichtpolitik zu entfernen, die das zusammengebrochene Assad-Regime charakterisierte (TR-Today 8.1.2025). Medienberichten zufolge wurden mehrere ausländische islamistische Kämpfer in hohe militärische Positionen berufen. Ash-Shara' hatte Berichten zufolge außerdem vorgeschlagen, ausländischen Kämpfern und ihren Familien aufgrund ihrer Rolle im Kampf gegen al-Assad die Staatsbürgerschaft zu verleihen (UNSC 7.1.2025).
Syrische Medien berichten, dass die neue Regierung aktiv Personen für die Armee und die Polizei rekrutiert. Damit soll der dringende Bedarf an Kräften gedeckt werden. Neue Soldaten, Unteroffiziere und Offiziere werden Berichten zufolge durch intensive Programme rekrutiert, die von den traditionellen akademischen und Ausbildungsstandards abweichen. Der Prozess der Vorbereitung von Militär- und Sicherheitskadern wird beschleunigt, um den Bedürfnissen des neuen Staates gerecht zu werden (SCI o.D.). Am 10.2.2025 gab Übergangspräsident ash-Shara' an, dass sich Tausende von Freiwilligen der neuen Armee angeschlossen haben (Arabiya 10.2.2025a). Viele junge Männer ließen sich einem Bericht des syrischen Fernsehsenders Syria TV zufolge für die neue Armee rekrutieren. Insbesondere seien junge Männer in Idlib in dieser Hinsicht engagiert. Die Rekrutierungsabteilung der neuen syrischen Verwaltung in der Provinz Deir ez-Zour gab bekannt, dass wenige Wochen nach der Übernahme der Kontrolle über die Provinz durch den Staat etwa 1.200 neue Rekruten in ihre Reihen aufgenommen wurden. In den den ländlichen Gebieten von Damaskus treten junge Männer vor allem der Kriminalpolizei bei (Syria TV 21.2.2025). Die Rekrutierungsabteilung von Aleppo teilte am 12.2.2025 mit, dass bis zum 15.2.2025 eine Rekrutierung in die Reihen des Verteidigungsministeriums läuft. Dort ist die Aufnahmebedingung für junge Männer, dass sie zwischen 18 und 22 Jahre alt, ledig und frei von chronischen Krankheiten und Verletzungen sein müssen (Enab 12.2.2025). Das syrische Verteidigungsministerium hat am 17.3.2025 mehrere Rekrutierungszentren im Gouvernement Dara'a in Südsyrien eröffnet (NPA 17.3.2025). Das Innenministerium hat seitdem Rekrutierungszentren in allen von der Regierung kontrollierten Gebieten eröffnet (ISW 16.4.2025). Berichten zufolge verlangt die neue Regierung von neuen Rekruten eine 21-tägige Scharia-Ausbildung (FDD 28.1.2025).
Ende Februar 2025 verbreiteten Facebook-Seiten die Behauptung, die Allgemeine Sicherheit habe in Jableh, Banyas und Qardaha Checkpoints eingerichtet, um jeden zu verhaften, der eine Siedlungskarte besitzt. Die Seiten behaupten, dass die Allgemeine Sicherheit die Verhafteten nach Südsyrien verlegt, wo es zu einer Eskalation durch die israelische Besatzung kommt. Die syrische Regierung dementierte die Durchführung von Rekrutierungskampagnen in den Provinzen Latakia und Tartus. Die Rekrutierung basiere weiterhin auf Freiwilligkeit (Syria TV 26.2.2025).
Wehr- und Reservedienst in den Gebieten unter der Kontrolle der kurdisch dominierten SDF - Demokratische Autonome Administration von Nord- und Ostsyrien (DAANES)
Der Gesellschaftsvertrag von 2023 regelt in der Demokratischen Autonomen Administration von Nord- und Ostsyrien (DAANES) in Abschnitt 5 die Selbstverteidigungspflicht. Artikel 111 besagt, dass Selbstverteidigung eine Garantie und Fortsetzung des Lebens, und basierend auf dem Recht und der Pflicht ist, die Existenz zu verteidigen. Sie erfordert die Einrichtung eines Selbstschutzsystems, das auf dem Bewusstsein der legitimen Selbstverteidigung und der organisierten demokratischen Gesellschaft in Nord- und Ostsyrien beruht. Einerseits gibt es die Community Protection Forces, die für den Schutz Nord- und Ostsyriens und die Gewährleistung des Schutzes von Leben und Eigentum der Bürger vor allen Angriffen und Besatzungen verantwortlich sind. Die Community Protection Forces werden unter Beteiligung aller Bürger organisiert. Selbstverteidigung ist ein Recht und eine Pflicht für jeden Bürger. Es ist die Pflicht organisierter ethnischer und religiöser Gruppen, sich wirksam am Selbstverteidigungssystem zu beteiligen, angefangen bei Stadtvierteln, Dörfern, Städten und allen Wohneinheiten. Anderseits erwähnt Artikel 111 auch die Syrischen Demokratischen Kräfte (Syrian Democratic Forces - SDF). Sie sind die legitimen Verteidigungskräfte in der Demokratischen Autonomen Verwaltung Nord- und Ostsyriens. Sie nehmen den freiwilligen Beitritt der Söhne und Töchter des Volkes und die Pflicht zur Selbstverteidigung an. Ihre Aktivitäten werden vom Demokratischen Volksrat und der Verteidigungskommission überwacht. Sie organisieren sich autonom innerhalb des Demokratischen Konföderalen Systems Nord- und Ostsyrien und haben die Aufgabe, die DAANES und alle syrischen Gebiete zu verteidigen und sie vor jeglichen potenziellen Angriffen oder Gefahren von außen zu schützen (RIC 14.12.2023). Laut Gesetz Nr. 1 zur Selbstverteidigung gelten Männer mit Vollendung des 18. Lebensjahres als wehrpflichtig und müssen den Selbstverteidigungsdienst bis zum vierzigsten Lebensjahr vollendet haben (Artikel 13). Wehrpflichtig ist jeder männliche Bewohner der Region Nord- und Ostsyrien, der das gesetzliche Alter für die Ausübung des Selbstverteidigungsdienstes erreicht hat, bzw. jeder, der seit mehr als drei Jahren dauerhaft in Nord- und Ostsyrien ansässig ist und die syrische Staatsangehörigkeit besitzt (Artikel 1) (AANES-GC 22.2.2024). Zwei Quellen, die vom Danish Immigration Service (DIS) befragt wurden, äußerten jedoch Zweifel an der konsequenten Einberufung von Personen von außerhalb der DAANES in allen Regionen (DIS 6.2024). Frauen in den von der Autonomen Verwaltung kontrollierten Gebieten können freiwillig Wehrdienst leisten (Enab 22.2.2024). Wladimir van Wilgenburg, Journalist und Autor, und ein Experte für syrische Kurden haben noch von keinem Fall gehört, in dem Frauen zwangsweise zur Selbstverteidigung eingezogen wurden (DIS 6.2024).
Das sogenannte Verteidigungsbüro des Exekutivrats der „Demokratischen Autonomen Verwaltung von Nord- und Ostsyrien“ hat die für die Wehrpflicht erforderlichen Geburtsjahrgänge festgelegt, während die Verhaftungskampagnen gegen junge Menschen für die Einberufung in die Reihen der SDF weitergehen. Die Erklärung wurde vom Verteidigungsbüro der Autonomen Verwaltung an alle Verteidigungsbüros in der Region verteilt. Darin steht, dass wer zwischen dem 1.1.1998 und dem 31.12.2005 für den Dienst der Selbstverteidigung wehrpflichtig ist (Shaam 10.1.2024). Bereits vier Tage nach dem Erlass der Richtlinien, in der die Geburtsjahrgänge für die Selbstverteidigungspflicht bekannt gemacht wurden, nahmen die SDF eine Rekrutierungskampagne in al-Hasaka im Juni 2024 wieder auf, nachdem sie im Monat zuvor, am 8.5.2024 die Rekrutierungsprozesse eingestellt hatten (Enab 27.6.2024a). Anfang Juli 2024 wurden beispielsweise 240 Personen in den Provinzen Deir ez-Zour, al-Hasaka und ar-Raqqa gefangen genommen, um sie für den Militärdienst zu rekrutieren (SO 2.7.2024). Die Dienstzeit im Selbstverteidigungsdienst beträgt laut Artikel 2 des Gesetzes Nr. 1 über die Selbstverteidigungspflicht zwölf volle Monate beginnend mit dem Datum der Einschreibung des Wehrpflichtigen (AANES-GC 22.2.2024).
2014 wurde die Zwangsrekrutierung von den Volksschutzeinheiten (Yekîneyên Parastina Gel - YPG), einer militärischen Säule der SDF, im Anschluss an das Dohuk-Abkommen, bei dem sich die kurdischen Parteien in der irakischen Stadt Dohuk getroffen hatten, um eine Einigung über die Verwaltung der Region zu erzielen, eingeführt (Enab 22.2.2024).
Araber und Kurden werden laut von ACCORD befragten Experten vor dem Gesetz gleichbehandelt. Fabrice Balanche erklärt jedoch, dass mehr Flexibilität gegenüber Arabern gezeigt werden würde, um einen Aufstand zu vermeiden. Arabische Stammesführer hätten lokal die Macht und würden für bestimmte junge Araber Ausnahmen und Aufschiebungen erwirken. Einem Syrienexperten zufolge seien die speziellen Konsequenzen für Araber von Region zu Region unterschiedlich. Nicht alle von den SDF kontrollierten Gebiete stünden unter derselben Art von Kontrolle. In den vornehmlich arabisch besiedelten Stammesregionen von Deir ez-Zour hätten die SDF beispielsweise nicht die Kapazität, eine direkte Rekrutierung wie in der Provinz al-Hasaka durchzusetzen. Anders als Balanche meint Muhsen Al-Mustafa, Forscher am Omran Center for Strategic Studies, dass arabische Wehrdienstverweigerer bei der Festnahme anders behandelt werden und Beleidigungen und Gewalt ausgesetzt sein könnten (ACCORD 6.9.2023). Quellen des Danish Immigration Service (DIS) zufolge ist DAANES bei der Umsetzung des Gesetzes zur Selbstverteidigung in Gebieten mit überwiegend arabischer Bevölkerung vorsichtig. Ebenso werden Christen in der Praxis nicht der gleichen Durchsetzung des Gesetzes zur Selbstverteidigung unterworfen wie Kurden, so eine weitere Quelle. Daher nehmen christliche Jugendliche in der Regel nicht an der Selbstverteidigungspflicht teil, sondern treten stattdessen für drei Jahre der christlichen Polizeitruppe Sutoro bei. Dieser Dienst befreit sie von der Selbstverteidigungspflicht (DIS 6.2024).
Mehrere Quellen des DIS, darunter ein ehemaliger Rekrut, der seine Wehrpflicht vor zwei Jahren erfüllt hat, berichteten, dass der Selbstverteidigungsdienst mit einem grundlegenden theoretischen und praktischen militärischen Ausbildungsprogramm beginnt. Während des theoretischen Teils erhalten die Wehrpflichtigen Unterricht in allgemeiner Geschichte der Nationalen Streitkräfte sowie in Kultur und Ethik. Sie erhalten auch eine theoretische Einführung in militärische Themen, einschließlich militärischer Begriffe und Waffen. Im praktischen Teil des Ausbildungsprogramms absolvieren die Wehrpflichtigen ein körperliches Training und eine Waffenausbildung. Während der ersten Phase der Grundausbildung haben die Wehrpflichtigen keinen einzigen Tag frei. Nach Abschluss ihrer Ausbildung haben sie acht bis zehn Tage frei, bevor sie in ihren jeweiligen Einheiten und Aufgabenbereichen eingesetzt werden. Anschließend haben die Wehrpflichtigen für den Rest ihres Dienstes alle zehn Tage einen Tag frei. Nach der Ausbildungszeit, die bis zu zwei Monate dauert, werden die Wehrpflichtigen verschiedenen Aufgaben in unterschiedlichen Zentren oder Einheiten zugewiesen, wo sie für den Rest ihres Dienstes tätig sind. Die Ausbildung oder Qualifikationen der Wehrpflichtigen werden bei der Zuweisung ihrer Aufgaben oft berücksichtigt. So werden beispielsweise diejenigen mit einem besseren Bildungshintergrund und besseren Fähigkeiten Aufgaben in Büros oder Einrichtungen zugewiesen, die von ihren Fähigkeiten profitieren könnten. Wehrpflichtige mit niedrigem oder ohne Bildungshintergrund werden oft für Aufgaben im Zusammenhang mit der Bewachung oder dem Schutz öffentlicher Gebäude eingesetzt. Im Allgemeinen werden die Wehrpflichtigen nicht in Kampfsituationen eingesetzt. Es gab jedoch Fälle, in denen die Wehrpflichtigen in Kampfsituationen verwickelt waren, z. B. während der Schlacht um Afrin im Jahr 2018, bei schweren Kämpfen in Deir ez-Zour im Sommer 2023, bei den Kämpfen in Tell Abyad und bei Angriffen des Islamischen Staats (IS) auf das Gefängnis von al-Hasaka (2022), das hauptsächlich von Wehrpflichtigen bewacht wurde (DIS 6.2024).
Wehrpflichtverweigerer und Deserteure
Gemäß Artikel 15 des Gesetzes Nr. 1. über die Selbstverteidigungspflicht wird jeder säumige Soldat, der eingezogen wird, bestraft, indem er einen Monat auf das Ende seiner Dienstzeit angerechnet bekommt (AANES-GC 22.2.2024). Dass die Bestrafung mit einem zusätzlichen Monat auch in der Praxis so gehandhabt wird, bestätigten die von der Danish Immigration Service befragten Quellen. Die Namen der Wehrdienstverweigerer werden veröffentlicht und an Checkpoints weitergegeben. Dort wird nach ihnen gesucht, nicht aber in ihren Wohnhäusern (DIS 6.2024). Diejenigen, die auf frischer Tat beim illegalen Überschreiten der Grenze ertappt werden, werden direkt in das Ausbildungszentrum gebracht, um ihre Pflicht zur Selbstverteidigung zu erfüllen, besagt Artikel 28 im Gesetz Nr. 1 zur Selbstverteidigungspflicht (AANES-GC 22.2.2024). Gemäß Quellen des Danish Immigration Service (DIS) werden Wehrdienstverweigerer, wenn sie an Checkpoints aufgegriffen werden, vorübergehend festgenommen und zur Ableistung ihres Dienstes geschickt. Die Familie des Betroffenen wird über seine Festnahme und Einberufung informiert. Den Quellen des DIS waren keine Fälle von Gewalt oder Misshandlung von Wehrdienstverweigerern oder Deserteuren bekannt, die an Kontrollpunkten gefasst wurden. Das Leben ist für diejenigen, die sich der Selbstverteidigungspflicht in den Nationalen Sicherheitskräften entziehen, eine Herausforderung, da viele junge Männer Kontrollpunkte meiden und auf Fluchtmöglichkeiten warten. Quellen berichteten von Entflohenen, die sich jahrelang versteckt hielten. In arabisch dominierten Gebieten kann die Flucht länger andauern, da die Behörden vorsichtig vorgehen, um keine Spannungen zu provozieren, indem sie diejenigen suchen und verhaften, die ihrer Pflicht nicht nachgekommen sind (DIS 6.2024). Al-Mustafa, Forscher am Omran Center for Strategic Studies, schreibt in einer E-Mail an ACCORD vom September 2023, dass alle Wehrdienstverweigerer unter die Bestimmungen des Gesetzes zur Selbstverteidigungspflicht fallen würden und dem Gesetz entsprechend behandelt würden. Die Assayish würden den Wohnort von zum Dienst gesuchten Personen durchsuchen, an Checkpoints Rekrutierungslisten überprüfen und die Gesuchten verhaften. Nach dem Gesetz werde jede Person, die dem Dienst fernbleiben, verhaftet und mit einer Verlängerung des Dienstes um einen Monat bestraft. Ein von ACCORD kontaktierter Syrienexperte gibt in einer E-Mail-Auskunft vom August 2023 an, dass die Konsequenzen bei Verweigerung des Dienstes in den Selbstverteidigungskräften vom Profil des Wehrpflichtigen und der Region, aus der er stamme, abhingen. Je strenger die kurdische Kontrolle, desto höher sei die Wahrscheinlichkeit, dass Rekruten nicht das Risiko eingehen würden, offen Einwände gegen den Selbstverteidigungsdienst zu zeigen. In al-Hasaka beispielsweise könnten Personen im dienstfähigen Alter verhaftet und zum Dienst gezwungen werden (ACCORD 6.9.2023).
Die SDF definieren einen Deserteur im Selbstverteidigungsgesetz als einen Kämpfer, der nach seinem Eintritt 15 aufeinanderfolgende Tage des Dienstes versäumt hat, während die volle Dienstzeit zwölf Monate beträgt (Enab 22.2.2024). Laut zwei vom DIS befragten Quellen werden Deserteure zwar nicht zusätzlich bestraft, aber es werden Ermittlungen zu ihren Motiven für die Desertion durchgeführt. Deserteure entscheiden sich oft dafür, die Region aus Angst vor möglichen Konsequenzen zu verlassen, obwohl die Einzelheiten dieser Konsequenzen unklar bleiben. Sowohl für Wehrdienstverweigerer als auch für Deserteure werden regelmäßig Amnestien angekündigt, vorausgesetzt, sie melden sich zum Wehrdienst und leisten ihn ab. Die jüngste Amnestie wurde Anfang Mai 2024 erlassen. Junge Menschen kommen ihren Verpflichtungen zur Selbstverteidigung in der Regel umgehend nach, wenn in der DAANES eine stabile Sicherheitslage herrscht, während sie sich bei anhaltenden externen Sicherheitsbedrohungen aktiv um eine Dienstverweigerung bemühen können (DIS 6.2024).
Familienangehörige von Wehrdienstverweigerern und Deserteuren werden nicht bestraft. Den Quellen des DIS waren keine Fälle bekannt, in denen Familienmitglieder von Wehrdienstverweigerern und Deserteuren aufgrund der Wehrdienstverweigerung oder Desertion ihrer Verwandten Schikanen oder anderen Verstößen ausgesetzt waren, selbst in Fällen, in denen der Wehrdienstverweigerer an einem Checkpoint festgenommen wurden (DIS 6.2024).
Allgemeine Menschenrechtslage - Entwicklungen seit dem Sturz des Assad Regimes (seit 8.12.2024)
Human Rights Watch konstatiert, dass nicht-staatliche bewaffnete Gruppierungen in Syrien, darunter Hay'at Tahrir ash-Sham (HTS) und Gruppierungen der Syrischen Nationalarmee (Syrian National Army - SNA), die am 27.11.2024 die Offensive starteten, die nach zwölf Tagen die syrische Regierung stürzte, im Jahr 2024 für Menschenrechtsverletzungen und Kriegsverbrechen verantwortlich waren (HRW 16.1.2025). Die Syrische Beobachtungsstelle für Menschenrechte (SOHR) befürchtet eine Rückkehr zu einer "dunklen Ära", weil die Verhaftungen und Hinrichtungen angesichts der sich verschlechternden Sicherheitslage zunehmen (SOHR 2.2.2025). Das Syrian Network for Human Rights (SNHR) dokumentierte im Jänner 2025 129 Fälle von willkürlichen Verhaftungen durch die Übergangsregierung (SNHR 4.2.2025b) und im Februar 2025 21 Fälle (SNHR 3.3.2025).
Der Übergang von dem Regime unter Bashar al-Assad zur Interimsregierung unter der Führung der Hay'at Tahrir ash-Sham (HTS) soll relativ reibungslos verlaufen sein. Berichte über Vergeltungsmaßnahmen, Rachemorde und religiös motivierte Gewalttaten waren minimal. Plünderungen und Zerstörungen konnten schnell unter Kontrolle gebracht werden, die aufständischen Kämpfer wurden diszipliniert (AP 15.12.2024b). Es gab keine größeren Massaker oder Rachekampagnen (DW 12.12.2024).
Seit die Rebellengruppierungen am 5.12.2024 die Kontrolle über das Gouvernement Hama übernommen haben, hat das Syrian Network for Human Rights (SNHR) eine Reihe von Verstößen dokumentiert, darunter außergerichtliche Tötungen, Zerstörung von Häusern und Angriffe auf öffentliches und privates Eigentum (SNHR 19.12.2024). Mitte Jänner 2025 nahm die Welle von Selbstjustiz-Angriffen auf ehemalige Mitarbeiter des Regimes zu. Menschen wurden zu Opfern von Attentaten und Ausschreitungen des Mobs. Während einige der Betroffenen Personen sind, deren Beteiligung an den Misshandlungen der Zivilbevölkerung durch das Regime nach 2011 gut dokumentiert ist, waren an anderen Vorfällen kürzlich versöhnte ehemalige Mitglieder des Regimes, Wehrpflichtige mit niedrigem Rang und scheinbar zufällig ausgewählte junge Männer aus der Gemeinschaft der Alawiten betroffen (Etana 17.1.2025). Es werden Rachemorde durch bewaffnete Gruppierungen durchgeführt, von denen einige behaupten, dass diese mit der Abteilung für militärische Operationen verbunden wären. Sie zielen aus politischen bzw. konfessionellen Motiven auf Zivilisten ab (SOHR 26.1.2025). Die Provinzen Hama und Homs waren von diesen Entwicklungen am stärksten betroffen, da sie zum Schauplatz häufiger Konfrontationen wurden. In den Küstengebieten wie Latakia und Tartus kam es zu einer Verschlechterung der Sicherheitslage und zu einer Zunahme an Morden und Hinrichtungen [Diese Provinzen stellten das Kernland des Assad-Regimes dar und wurden in den Bürgerkriegsjahren weitgehend von Kampfhandlungen verschont. Anm.]. Am 11.1.2025 zählte die Syrische Beobachtungsstelle für Menschenrechte (SOHR) seit 8.12.2024 80 Fälle von Tötungen, darunter Hinrichtungen vor Ort, bei denen 157 Menschen getötet wurden, unter den Getöteten waren Frauen und Kinder (SOHR 11.1.2025). Insbesondere in den Regionen Hama und Homs, sowie in den Küstengebieten Latakia und Tartus kam es zu willkürlichen Tötungen und Hinrichtungen vor Ort (SOHR 3.1.2025). Nach Berichten von lokalen Aktivisten und Augenzeugen war die Gruppierung Ansar at-Tawhid an einem großen Teil dieser Verstöße beteiligt, zusätzlich zu anderen Gruppierungen, die nicht genau identifiziert werden konnten (SNHR 19.12.2024). Mindestens 124 Menschen wurden bei einer Reihe von gewalttätigen Zwischenfällen zwischen 8.12.2024 und 8.1.2025 getötet, darunter bei Racheakten, Vandalismus, Morden und Hinrichtungen in den Provinzen Homs und Hama sowie in den syrischen Küstenstädten. Berichten zufolge wurde ein erheblicher Teil der Gewalt durch die Verbreitung von Videos mit Falschmeldungen in den sozialen Medien ausgelöst, deren Ziel es war, die sektiererischen Spannungen zu verschärfen (MAITIC 9.1.2025). Wegen eines unbestätigten Angriffs auf einen alawitischen Schrein wurde im Dezember 2024 eine Welle von Protesten unter der alawitischen Gemeinschaft in Homs, Latakia, Tartus und Teilen von Damaskus ausgelöst. Die Proteste führten zu Militäroperationen des neuen syrischen Sicherheitsapparats, um ehemalige Kämpfer des Regimes zu vertreiben (AlMon 11.1.2025). Dem Middle East Institute zufolge ist eines der dringendsten Probleme nicht sektiererisch motivierte Angriffe, sondern vielmehr der undurchsichtige Prozess der gezielten Verfolgung von Männern, die in den Streitkräften des Regimes gedient haben. Im Allgemeinen richten sich die Übergriffe der Sicherheitskräfte gegen Männer, von denen angenommen wird, dass sie Verbrechen begangen haben (unabhängig davon, ob dies bewiesen ist oder nicht), und nicht gegen irgendwelche Alawiten, denen die Soldaten zufällig begegnen. Die Fälle, die die größte Angst geschürt haben, sind die Entführungen und Hinrichtungen von ehemaligen Mitgliedern des Regimes (MEI 21.1.2025). France 24 zufolge zeigen Berichte und Videos in den sozialen Medien in Syrien, dass Vergeltungsmorde begonnen haben (FR24 13.12.2024). Es kursierten Bilder von Regierungsbeamten des ehemaligen Regimes, die unter Gewaltanwendung durch die Straßen geschleift wurden (PBS 16.12.2024). Seit der Machtübernahme durch die neue Regierung haben die Sicherheitsbehörden eine Reihe von Sicherheitskampagnen durchgeführt, die darauf abzielen, die „Überbleibsel des früheren Regimes“ zu verfolgen. Hunderte von Menschen, die ihren Status bei den neuen Behörden nicht geregelt haben, wurden verhaftet. Anwohner und Organisationen haben von Misshandlungen berichtet, darunter die Beschlagnahmung von Häusern und Hinrichtungen vor Ort (AAA 2.2.2025). Bei einer Sicherheitskampagne in Homs gegen Regimeunterstützer im Jänner 2025 kam es zur Festnahme einer Reihe von Männern, darunter auch Zivilisten, denen Verstöße im Zusammenhang mit der inoffiziellen Beschlagnahme von Fahrzeugen nachgewiesen wurden. Die meisten Elemente der Abteilung für Militärische Operationen waren diszipliniert, mit Ausnahme einiger von offizieller Seite als Einzelfälle bezeichneten Vorfällen, wie das Zerbrechen von Musikinstrumenten und Wasserpfeifen sowie von Flaschen mit alkoholischen Getränken und die Beschädigung des Inhalts einiger Häuser. Einige Häftlinge wurden zu erniedrigenden Handlungen gezwungen, wie dem Imitieren von Tiergeräuschen, und sie wurden beleidigt und mit sektiererischen Phrasen beschimpft (Enab 6.1.2025). Auch in Damaskus kam es am 8.1.2025 zu Razzien durch die neuen Sicherheitsbehörden. Sie folgten auf eine dreiwöchige Kampagne im alawitischen Kernland an der Küste (National 8.1.2025). Die Civil Peace Group, eine zivilgesellschaftliche Gruppe, stellte den Tod von zehn Personen, die bei Sicherheitskampagnen und Razzien festgenommen worden waren, in den Gefängnissen der Abteilung für Militärische Operationen im Zeitraum vom 28.1 bis 1.2.2025 in verschiedenen Teilen von Homs fest (AAA 2.2.2025). Lokale bewaffnete Gruppen, die unter dem Kommando der Abteilung für Militärische Operationen operieren, führten Racheaktionen, schwere Übergriffe und willkürliche Verhaftungen durch, wobei sie Dutzende von Menschen ins Visier nahmen, sie demütigten und erniedrigten sowie religiöse Symbole angriffen (SOHR 28.1.2025). Die neue Regierung reagierte auf die Vorwürfe von Menschenrechtsaktivisten mit Festnahmen von Dutzenden Mitgliedern örtlicher bewaffneter Gruppen, die unter der Kontrolle der neuen Machthaber stünden, wegen ihrer Beteiligung an den "Sicherheitseinsätzen" in der Region Homs (Spiegel 27.1.2025). Zuvor hatten die neuen Machthaber Mitglieder einer "kriminellen Gruppe" beschuldigt, sich während eines Sicherheitseinsatzes als "Angehörige der Sicherheitsdienste" ausgegeben zu haben (Zeit Online 27.1.2025). Ein Überfall auf eine syrische Sicherheitspatrouille durch militante Anhänger des gestürzten Staatschefs Bashar al-Assad eskalierte am 6.3.2025 zu Zusammenstößen, bei denen innerhalb von vier Tagen mehr als 1.000 Menschen getötet wurden (SOHR 10.3.2025a). Bewaffnete Männer, die der syrischen Regierung treu ergeben sind, führten Hinrichtungen vor Ort durch und sprachen von einer Säuberung des Landes, wie Augenzeugen und Videos belegen. Sie lieferten ein grausames Bild eines harten Vorgehens gegen die Überreste des ehemaligen Assad-Regimes, das in gemeinschaftliche Morde ausartete (CNN 9.3.2025). Menschenrechtsberichten zufolge waren von der Türkei unterstützte Gruppierungen an „systematischen ethnischen Säuberungsaktionen“ und groß angelegten „Massakern“ gegen Zivilisten in Baniyas, Tartus und Latakia beteiligt, bei denen Hunderte von Menschen, darunter auch Frauen und Kinder, getötet wurden (LebDeb 10.3.2025). Mitglieder des Verteidigungsministeriums und die sie unterstützenden Kräfte haben Kriegsverbrechen und Menschenrechtsverletzungen begangen, ohne dass sie rechtliche Konsequenzen fürchten müssen. Insgesamt wurden 1.093 Todesopfer verzeichnet (SOHR 11.3.2025). Dem Leiter der Syrischen Beobachtungsstelle für Menschenrechte zufolge wurden 745 alawitische Zivilisten aus konfessionellen Gründen getötet, wobei er betonte, dass sie nicht an den Kämpfen beteiligt waren oder mit dem Regime in Verbindung standen (Sky News 9.3.2025a). Des Weiteren gibt er an, dass in einigen Gebieten Zivilisten abgeschlachtet wurden, während andere durch Erschießungskommandos hingerichtet wurden (AlHurra 9.3.2025), wie in den Stadtvierteln Baniyas und al-Qusour im Gouvernement Tartus, wo 92 Bürger durch ein Erschießungskommando des Ministeriums für Verteidigung und innere Sicherheit hingerichtet wurden (SOHR 10.3.2025e). Die meisten der von Regierungstruppen getöteten Zivilisten waren Alawiten, aber auch einige Christen wurden als tot bestätigt. Unter den getöteten Aufständischen des ehemaligen Regimes befanden sich Sunniten, Alawiten und Christen (TWI 10.3.2025). In den Städten im Gebiet zwischen Baniyas und Qadmous kam es zu Massentötungen, darunter auch von Kindern und älteren Menschen (AlHurra 9.3.2025). Zehntausende Häuser wurden laut Aussage des Leiters der Syrischen Beobachtungsstelle für Menschenrechte (SOHR) geplündert und niedergebrannt (Sky News 9.3.2025a). Der UN-Sondergesandte Geir Pedersen sprach über Berichte von Menschen, die im Kreuzfeuer getötet wurden, und schwere Misshandlungen in der Haft. Pedersen prangerte Entführungen, Plünderungen, Beschlagnahmungen von Eigentum und Zwangsräumungen von Familien aus staatlichen Wohnungen an. Er forderte alle bewaffneten Akteure dazu auf, diese Art von Aktionen zu stoppen, ihre Zusicherungen mit konkreten Maßnahmen zu untermauern, und an einem umfassenden Rahmen für eine Übergangsjustiz zu arbeiten (AJ 13.2.2025b).
Der Exekutivdirektor der Organisation Christians for Democracy, stimmt der Rechtfertigung der neuen syrischen Regierung zu, dass das, was geschieht, nicht die Politik der Übergangsregierung widerspiegelt. Er hat die Verstöße in zwei Kategorien eingeteilt: Verbrechen und Übergriffe, die von Einzelpersonen mit der Absicht begangen werden, sich an bestimmten Personen oder an denen, die mit dem früheren Regime kollaboriert haben, zu rächen, und Übergriffe, die von einigen extremistischen Gruppierungen begangen werden, die mit der von der neuen Regierung in Damaskus beschlossenen Politik nicht einverstanden sind. Die Übergangsregierung zieht diejenigen zur Rechenschaft, die nachweislich an Übergriffen gegen Zivilisten beteiligt waren (SOHR 2.2.2025).
Die syrische Übergangsregierung unter ash-Shara' hat zugesagt, dass die Verantwortlichen für Gewalttaten gegen Syrer durch das gestürzte Assad-Regime zur Rechenschaft gezogen werden. Der Weg dorthin ist jedoch schwierig, da die Zahl der Opfer nicht genau bekannt ist und die Täter noch nicht identifiziert werden konnten (BBC 13.12.2024). Die HTS möchte die an staatlicher Folter beteiligten Ex-Offiziere auflisten und sie als Kriegsverbrecher zur Rechenschaft ziehen. Dafür setzte sie sogar eine Belohnung aus, für Informationen über ranghohe Offiziere von Armee und Sicherheitsbehörden, die an Kriegsverbrechen beteiligt waren (FAZ 10.12.2024).
Die von der Türkei unterstützten Gruppierungen plünderten nach der Eroberung von Manbij das Eigentum von kurdischen Bürgern und führten identitätsbezogene Tötungen durch. Sie führten Racheaktionen durch, brannten Häuser nieder und demütigten Kurden (SOHR 9.12.2024; vgl. ISW 16.12.2024). Eine Mitarbeiterin von Human Rights Watch erklärte, dass die Syrische Nationale Armee (Syrian National Army - SNA) und die türkischen Streitkräfte ein klares und beunruhigendes Muster rechtswidriger Angriffe auf Zivilisten und zivile Objekte gezeigt haben und diese sogar zu feiern scheinen. Die türkischen Streitkräfte und die SNA haben eine schlechte Menschenrechtsbilanz in den von der Türkei besetzten Gebieten Nordsyriens. Human Rights Watch hat festgestellt, dass SNA-Gruppierungen und andere Gruppierungen, darunter Mitglieder der türkischen Streitkräfte und Geheimdienste, Menschen, darunter auch Kinder, entführt, rechtswidrig festgenommen und inhaftiert haben, sexuelle Gewalt und Folter mit geringer Rechenschaftspflicht begangen haben und sich an Plünderungen, Diebstahl von Land und Wohnraum sowie Erpressung beteiligt haben (HRW 30.1.2025). In den letzten Jahren sollen SNA-Kämpfer schwere Menschenrechtsverletzungen gegen kurdische Gemeinden in 'Afrin und im Umland von Aleppo begangen haben. Sie wurden beschuldigt, willkürliche Verhaftungen, Inhaftierungen ohne Kontakt zur Außenwelt, Entführungen und Folter begangen zu haben. Während der Offensive "Abschreckung der Aggression" hat HTS mehrere Kämpfer von SNA-Gruppen nördlich von Aleppo im Stadtviertel Sheikh Maqsoud festgenommen und sie beschuldigt, kurdische Zivilisten ausgeraubt und verletzt zu haben, so ein Experte (MEE 7.12.2024). Die United Nations Independent International Commission of Inquiry on the Syrian Arab Republic berichtete weiterhin von Verhaftungen, Gewalt und finanzieller Erpressung durch die Militärpolizei der Syrischen Nationalarmee (SNA) und bestimmter Gruppierungen, insbesondere der Sultan-Suleiman-Shah Division und der Sultan-Murad-Division (UNHRC 12.8.2024). SNHR dokumentierte im Jänner 2025 41 Fälle von willkürlichen Verhaftungen durch Gruppierungen der SNA (SNHR 4.2.2025b) und im Februar 2025 34 Fälle, darunter eine Frau (SNHR 3.3.2025). Menschenrechtsberichten zufolge waren es auch zwei von der Türkei unterstütze Gruppierungen, die Anfang März 2025 an „systematischen ethnischen Säuberungsaktionen“ und groß angelegten „Massakern“ gegen Zivilisten in Banyas, Tartus und Latakia beteiligt waren, bei denen Hunderte von Menschen, darunter auch Frauen und Kinder, getötet wurden (LebDeb 10.3.2025).
Allgemeine Menschenrechtslage (Stand August 2024)
Gebiete unter der Kontrolle der Syrian National Army (SNA)
Berichten von Human Rights Watch zufolge wurden in Nordsyrien von den von der Türkei unterstützten Gruppierungen, der Syrischen Nationalen Armee (Syrian National Army - SNA), zahlreiche Menschenrechtsverletzungen begangen, darunter Entführungen, willkürliche Verhaftungen, unrechtmäßige Inhaftierungen, sexuelle Gewalt und Folter. Betroffen waren auch Kinder (HRW 29.2.2024). Amnesty International berichtete außerdem von Schüssen auf Zivilisten, die das kurdische Neujahr Newroz gefeiert hatten durch Angehörige der SNA (AI 24.4.2024). Berichten zufolge konzentrierten sich die Übergriffe bewaffneter syrischer Oppositionsgruppen, die von der Türkei in der nördlichen Region des Landes unterstützt wurden, auf kurdische und jesidische Einwohner und andere Zivilisten und umfassten: Tötungen; Entführungen und Verschwinden von Zivilisten; körperliche Misshandlung, einschließlich sexueller Gewalt; Zwangsvertreibung aus Häusern; Plünderungen und Beschlagnahme von Privateigentum; Überführung inhaftierter Zivilisten über die Grenze in die Türkei; Rekrutierung oder Einsatz von Kindersoldaten; Plünderungen und Schändung religiöser Stätten (USDOS 22.4.2024).
Die Independent International Commission of Inquiry on the Syrian Arab Republic (COI) berichtete, dass Gruppierungen der SNA routinemäßig einen Teil der Olivenernte der Bauern beschlagnahmten und sie damit ihrer Haupteinnahmequelle beraubten (UNGA 9.2.2024). Nach der Machtübernahme in Manbij sollen die von der Türkei unterstützten SNA privates Eigentum, wie Fahrzeuge und Gebäude beschlagnahmt haben, sowie öffentliche Infrastruktur, wie Teile des Stromnetzes (ISW 16.12.2024).
Laut Amnesty International verhinderten die SNA, dass Hilfslieferungen Personen, im Gouvernement Aleppo, die vom Erdbeben 2023 betroffen waren, erreichen konnten, indem sie beispielsweise in die Luft schossen, um die Menschenmenge vor den Lieferwagen mit Hilfspaketen zu zerstreuen, und leiteten die Hilfslieferungen an Angehörige der bewaffneten Gruppierungen um (AI 24.4.2024).
Nichtregierungsorganisationen berichten von Menschenrechtsverletzungen in der Provinz 'Afrin, darunter fortgesetzte Verletzungen des Rechts auf körperliche Unversehrtheit von Zivilisten in der Region durch willkürliche Inhaftierung und Folter, Entführungen zur Erpressung von Lösegeld, Zwangsheirat und geschlechtsspezifische Gewalt sowie die Rekrutierung von Kindern durch die bewaffneten Gruppierungen, Diskriminierung bei der Verteilung von Hilfsgütern, die Islamisierung und Turkisierung von 'Afrin und die wiederholten Angriffe auf kulturelle Feste wie Newroz. Darüber hinaus zeigten sie demografische Verschiebungen durch Zwangsmigration, die Zerstörung von Gräbern und historischen Stätten, illegale archäologische Ausgrabungen, die absichtliche Zerstörung von Olivenbäumen, das Abbrennen von Feldern und Verstöße gegen die Wohn-, Land- und Eigentumsrechte in der Region auf (CCR/YASA 5.2024).
Oppositionelle Regierungsstellen, darunter das "Verteidigungsministerium" und die Militärjustizabteilung der Syrischen Übergangsregierung (Syrian Interim Government - SIG) gingen einigen Vorwürfen über Misshandlungen durch die von der Türkei unterstützten bewaffneten syrischen Oppositionsgruppen nach, aus denen die SNA bestand, und führten einige Gerichtsverfahren durch, aber im Laufe des Jahres lagen keine Informationen über ihre Schlussfolgerungen vor (USDOS 22.4.2024). Die SNA informierte die COI, mutmaßliche Verstöße und Missbräuche zu untersuchen und die Verantwortlichen zur Rechenschaft zu ziehen, sowie gegen SNA-Mitglieder wegen sexueller Gewalt zu ermitteln, dennoch dokumentierte die COI mehrere Fälle von Inhaftierungen durch die Militärpolizei und bewaffnete Gruppierungen der SNA und vereinzelte Fälle von sexueller und geschlechtsspezifischer Gewalt durch SNA-Mitglieder (UNGA 9.2.2024). Die Vereinigten Staaten von Amerika belegten zwei Gruppierungen, die zur SNA gehören, mit Sanktionen aufgrund von schweren Menschenrechtsverletzungen, die diese in Nordsyrien begangen haben sollen. Zu den Menschenrechtsverletzungen gehören Entführungen, schwere körperliche Misshandlungen und Vergewaltigungen. Die betroffenen Gruppierungen sind die Suleiman-Shah-Brigade und die Hamza-Division (USDOS 17.8.2023).
Ethnische und religiöse Minderheiten - Entwicklungen seit dem Sturz des Assad-Regimes (seit 8.12.2024)
Die sunnitischen Muslime machen die Mehrheit der Bevölkerung des Landes aus. Obwohl die offiziellen Bevölkerungsstatistiken keine Angaben zu Religion oder ethnischer Zugehörigkeit enthalten, sind laut dem Bericht des US-Außenministeriums über Religionsfreiheit aus dem Jahr 2022 74 % der Bevölkerung Sunniten, mit einer vielfältigen ethnischen Mischung aus mehrheitlich Arabern, Kurden, Tscherkessen, Tschetschenen und einigen Turkmenen. Sunniten sind in den meisten syrischen Städten und Dörfern vertreten, mit bemerkenswerten Konzentrationen in Damaskus, Aleppo und Homs. Neben den Sunniten gibt es weitere islamische Gruppen, darunter Alawiten, Ismailiten und andere schiitische Sekten, die nach Schätzungen des US-Außenministeriums zusammen 13 % der Bevölkerung ausmachen. Die Vielfalt Syriens beschränkt sich nicht auf die konfessionelle Dimension, sondern erstreckt sich auf zahlreiche ethnische Gruppen wie Kurden, Armenier, Turkmenen, Tscherkessen und andere. Araber sind die überwältigende Mehrheit in Syrien, gefolgt von Kurden (BBC 12.12.2024). Die Übergangsregierung in Syrien will sich nach Aussagen ihres Außenministers ash-Shaybani für die Inklusion aller Bevölkerungsgruppen im Land einsetzen. Niemand sollte aufgrund seiner Herkunft, seines sozialen oder religiösen Hintergrunds oder einer Zugehörigkeit zu bestimmten Bevölkerungsgruppen bestraft werden, sagte er beim Weltwirtschaftsforum in Davos (Zeit Online 23.1.2025). Demografische Daten für Syrien sind unzuverlässig, und die derzeitigen Standorte von Minderheitengemeinschaften sind aufgrund der erheblichen Umwälzungen, die das Land unter der Herrschaft von Bashar al-Assad erlebte, ähnlich schwer zu ermitteln (MRG 1.2025).
Bewegungsfreiheit - Entwicklungen seit dem Sturz des Assad-Regimes (seit 8.12.2024)
Grenzübergänge
Am 16.12.2024 kündigte die Hay'at Tahrir ash-Sham (HTS) an, alle Grenzübergänge zu den Nachbarländern auf syrischer Seite zu schließen, bis es ihnen gelungen sei, eine Art Organisation aufzubauen, um die Grenzen wieder zu besetzen und um wieder über Visastempel zu verfügen (PBS 16.12.2024). Mit Stand 1.2.2025 gibt es elf aktive Grenzübergänge, die der Generalbehörde für Land- und Seegrenzen gehören (Rudaw 1.2.2025). Der Direktor für lokale und internationale Beziehungen bei der Generalbehörde für Land- und Seegrenzen, erklärte gegenüber Al Jazeera, dass die Grenzübergänge seit der Befreiung Syriens vom gestürzten Regime nicht nur Syrer empfangen, die ihr Land besuchen wollen, ob als Einwohner oder Besucher, sondern auch arabische und ausländische „Brüder und Freunde“, die Syrien nach der Befreiung besuchen wollen. Die Grenzübergänge seien stark belastet worden, sagte er. Die meistbenützten Übergänge sind: Jdaydat Yabous/ Masna' zum Libanon, an dem in den letzten zwei Monaten mehr als 630.000 Bürger ein- und ausgereist sind, Nassib/ al-Jaber zu Jordanien, der mehr als 175.000 Bürger empfangen hat, davon 110.000 bei der Einreise und 65.000 bei der Ausreise, Bab al-Hawa/ Reyhanlı zur Türkei, wo mehr als 75.000 Bürger empfangen wurden, darunter 63.000 Ankünfte und 12.000 Ausreisen, al-Bu Kamal/ al-Qa'im zum Irak, der etwa 5.500 Bürger aufnahm. Daneben gab es Einreisen von Zehntausenden an den übrigen Grenzübergängen zur Türkei, wie Kassab/ Yayladağı, al-Hamam/ Hatay Hammami, Bab as-Salama/ Öncüpınar und Jarabulus/ Karkamış (AJ 13.2.2025a).
1.2.2. Auszug aus dem Länderinformationsblatt der Staatendokumentation vom 27.03.2024 (Version 11):
Wehr- und Reservedienst und Rekrutierungen
Nicht-staatliche bewaffnete Gruppierungen (regierungsfreundlich und regierungsfeindlich)
Anders als die Regierung und die Syrian Democratic Forces (SDF), erlegen bewaffnete oppositionelle Gruppen wie die SNA (Syrian National Army) und HTS (Hay’at Tahrir ash-Sham) Zivilisten in von ihnen kontrollierten Gebieten keine Wehrdienstpflicht auf (NMFA 5.2022; vgl. DIS 12.2022). Quellen des niederländischen Außenministeriums berichten, dass es keine Zwangsrekrutierungen durch die SNA und die HTS gibt (NMFA 8.2023). In den von den beiden Gruppierungen kontrollierten Gebieten in Nordsyrien herrscht kein Mangel an Männern, die bereit sind, sich ihnen anzuschließen. Wirtschaftliche Anreize sind der Hauptgrund, den Einheiten der SNA oder HTS beizutreten. Die islamische Ideologie der HTS ist ein weiterer Anreiz für junge Männer, sich dieser Gruppe anzuschließen. Im Jahr 2022 erwähnt der Danish Immigration Service (DIS) Berichte über Zwangsrekrutierungen der beiden Gruppierungen unter bestimmten Umständen im Verlauf des Konfliktes. Während weder die SNA noch HTS institutionalisierte Rekrutierungsverfahren anwenden, weist die Rekrutierungspraxis der HTS einen höheren Organisationsgrad auf als die SNA (DIS 12.2022). Im Mai 2021 kündigte HTS an, künftig in ldlib Freiwilligenmeldungen anzuerkennen, um scheinbar Vorarbeit für den Aufbau einer „regulären Armee“ zu leisten. Der Grund dieses Schrittes dürfte aber eher darin gelegen sein, dass man in weiterer Zukunft mit einer regelrechten „HTS-Wehrpflicht“ in ldlib liebäugelte, damit dem „Staatsvolk“ von ldlib eine „staatliche“ Legitimation der Gruppierung präsentiert werden könnte (BMLV 12.10.2022). Die HTS rekrutiert auch gezielt Kinder, bildet sie religiös und militärisch aus und sendet sie an die Front (SNHR 20.11.2023).
Demokratische Selbstverwaltung für Nord- und Ostsyrien
Wehrpflichtgesetz der „Demokratischen Selbstverwaltung für Nord- und Ostsyrien“
Auch aus den nicht vom Regime kontrollierten Gebieten Syriens gibt es Berichte über Zwangsrekrutierungen. Im Nordosten des Landes hat die von der kurdischen Partei PYD [Partiya Yekîtiya Demokrat, Partei der Demokratischen Union] dominierte "Demokratische Selbstverwaltung für Nord- und Ostsyrien" [Autonomous Administration of North and East Syria, AANES] 2014 ein Wehrpflichtgesetz verabschiedet, welches vorsah, dass jede Familie einen "Freiwilligen" im Alter zwischen 18 und 40 Jahren stellen muss, der für den Zeitraum von sechs Monaten bis zu einem Jahr in den YPG [Yekîneyên Parastina Gel, Volksverteidigungseinheiten] dient (AA 2.2.2024). Im Juni 2019 ratifizierte die AANES ein Gesetz zur "Selbstverteidigungspflicht", das den verpflichtenden Militärdienst regelt, den Männer über 18 Jahre im Gebiet der AANES ableisten müssen (EB 15.8.2022; vgl. DIS 6.2022). Am 4.9.2021 wurde das Dekret Nr. 3 erlassen, welches die Selbstverteidigungspflicht auf Männer beschränkt, die 1998 oder später geboren wurden und ihr 18. Lebensjahr erreicht haben. Gleichzeitig wurden die Jahrgänge 1990 bis 1997 von der Selbstverteidigungspflicht befreit (ANHA, 4.9.2021). Der Altersrahmen für den Einzug zum Wehrdienst ist nun in allen betreffenden Gebieten derselbe, während er zuvor je nach Gebiet variierte. So kam es in der Vergangenheit zu Verwirrung, wer wehrpflichtig war (DIS 6.2022). Mit Stand September 2023 war das Dekret noch immer in Kraft (ACCORD 7.9.2023).
Die Wehrpflicht gilt in allen Gebieten unter der Kontrolle der AANES, auch wenn es Gebiete gibt, in denen die Wehrpflicht nach Protesten zeitweise ausgesetzt wurde. Es ist unklar, ob die Wehrpflicht auch für Personen aus Afrin gilt, das sich nicht mehr unter der Kontrolle der "Selbstverwaltung" befindet. Vom Danish Immigration Service (DIS) befragte Quellen machten hierzu unterschiedliche Angaben. Die Wehrpflicht gilt nicht für Personen, die in anderen Gebieten als den AANES wohnen oder aus diesen stammen. Sollten diese Personen jedoch seit mehr als fünf Jahren in den AANES wohnen, würde das Gesetz auch für sie gelten. Wenn jemand in seinem Ausweis als aus Hasakah stammend eingetragen ist, aber sein ganzes Leben lang z.B. in Damaskus gelebt hat, würde er von der "Selbsverwaltung" als aus den AANES stammend betrachtet werden und er müsste die "Selbstverteidigungspflicht" erfüllen. Alle ethnischen Gruppen und auch staatenlose Kurden (Ajanib und Maktoumin) sind zum Wehrdienst verpflichtet. Araber wurden ursprünglich nicht zur "Selbstverteidigungspflicht" eingezogen, dies hat sich allerdings seit 2020 nach und nach geändert (DIS 6.2022; vgl. NMFA 8.2023).
Ursprünglich betrug die Länge des Wehrdiensts sechs Monate, sie wurde aber im Jänner 2016 auf neun Monate verlängert (DIS 6.2022). Artikel zwei des Gesetzes über die "Selbstverteidigungspflicht" vom Juni 2019 sieht eine Dauer von zwölf Monaten vor (RIC 10.6.2020). Aktuell beträgt die Dauer ein Jahr und im Allgemeinen werden die Männer nach einem Jahr aus dem Dienst entlassen. In Situationen höherer Gewalt kann die Dauer des Wehrdiensts verlängert werden, was je nach Gebiet entschieden wird. Beispielsweise wurde der Wehrdienst 2018 aufgrund der Lage in Baghouz um einen Monat verlängert. In Afrin wurde der Wehrdienst zu drei Gelegenheiten in den Jahren 2016 und 2017 um je zwei Monate ausgeweitet. Die Vertretung der "Selbstverwaltung" gab ebenfalls an, dass der Wehrdienst in manchen Fällen um einige Monate verlängert wurde. Wehrdienstverweigerer können zudem mit der Ableistung eines zusätzlichen Wehrdienstmonats bestraft werden (DIS 6.2022).
Nach dem abgeleisteten Wehrdienst gehören die Absolventen zur Reserve und können im Fall "höherer Gewalt" einberufen werden. Diese Entscheidung trifft der Militärrat des jeweiligen Gebiets. Derartige Einberufungen waren den vom DIS befragten Quellen nicht bekannt (DIS 6.2022).
Einsatzgebiet von Wehrpflichtigen
Die Selbstverteidigungseinheiten [Hêzên Xweparastinê, HXP] sind eine von den SDF separate Streitkraft, die vom Demokratischen Rat Syriens (Syrian Democratic Council, SDC) verwaltet wird und über eigene Militärkommandanten verfügt. Die SDF weisen den HXP allerdings Aufgaben zu und bestimmen, wo diese eingesetzt werden sollen. Die HXP gelten als Hilfseinheit der SDF. In den HXP dienen Wehrpflichtige wie auch Freiwillige, wobei die Wehrpflichtigen ein symbolisches Gehalt erhalten. Die Rekrutierung von Männern und Frauen in die SDF erfolgt dagegen freiwillig (DIS 6.2022).
Die Einsätze der Rekruten im Rahmen der "Selbsverteidigungspflicht" erfolgen normalerweise in Bereichen wie Nachschub oder Objektschutz (z.B. Bewachung von Gefängnissen wie auch jenes in al-Hasakah, wo es im Jänner 2022 zu dem Befreiungsversuch des sogenannten Islamischen Staats (IS) mit Kampfhandlungen kam). Eine Versetzung an die Front erfolgt fallweise auf eigenen Wunsch, ansonsten werden die Rekruten bei Konfliktbedarf an die Front verlegt, wie z. B. bei den Kämpfen gegen den IS 2016 und 2017 in Raqqa (DIS 6.2022).
Rekrutierungspraxis
Die Aufrufe für die "Selbstverteidigungspflicht" erfolgen jährlich durch die Medien, wo verkündet wird, welche Altersgruppe von Männern eingezogen wird. Es gibt keine individuellen Verständigungen an die Wehrpflichtigen an ihrem Wohnsitz. Die Wehrpflichtigen erhalten dann beim "Büro für Selbstverteidigungspflicht" ein Buch, in welchem ihr Status bezüglich Ableistung des Wehrdiensts dokumentiert wird - z. B. die erfolgte Ableistung oder Ausnahme von der Ableistung. Es ist das einzige Dokument, das im Zusammenhang mit der Selbstverteidigungspflicht ausgestellt wird (DIS 6.2022). Das Wehrpflichtgesetz von 2014 wird laut verschiedenen Menschenrechtsorganisationen mit Gewalt durchgesetzt. Berichten zufolge kommt es auch zu Zwangsrekrutierungen von Jungen und Mädchen (AA 2.2.2024).
Wehrdienstverweigerung und Desertion
Es kommt zu Überprüfungen von möglichen Wehrpflichtigen an Checkpoints und auch zu Ausforschungen (ÖB Damaskus 12.2022). Die Selbstverwaltung informiert einen sich dem Wehrdienst Entziehenden zweimal bezüglich der Einberufungspflicht durch ein Schreiben an seinen Wohnsitz, und wenn er sich nicht zur Ableistung einfindet, sucht ihn die "Militärpolizei" unter seiner Adresse. Die meisten sich der "Wehrpflicht" entziehenden Männer werden jedoch an Checkpoints ausfindig gemacht (DIS 6.2022).
Die Sanktionen für die Wehrdienstverweigerung ähneln denen im von der Regierung kontrollierten Teil (ÖB Damaskus 12.2022). Laut verschiedener Menschenrechtsorganisationen wird das "Selbstverteidigungspflichtgesetz" auch mit Gewalt durchgesetzt (AA 2.2.2024), während der DIS nur davon berichtet, dass Wehrpflichtige, welche versuchen, dem Militärdienst zu entgehen, laut Gesetz durch die Verlängerung der "Wehrpflicht" um einen Monat bestraft würden - zwei Quellen zufolge auch in Verbindung mit vorhergehender Haft "für eine Zeitspanne". Dabei soll es sich oft um ein bis zwei Wochen handeln, um einen Einsatzort für die Betreffenden zu finden (DIS 6.2022). Ähnliches berichteten ein von ACCORD befragter Experte, demzufolge alle Wehrdienstverweigerer nach dem Gesetz der Selbstverteidigungspflicht gleichbehandelt würden. Die kurdischen Sicherheitsbehörden namens Assayish würden den Wohnort der für die Wehrpflicht gesuchten Personen durchsuchen, an Checkpoints Rekrutierungslisten überprüfen und die Gesuchten verhaften. Nach dem Gesetz werde jede Person, die dem Dienst fernbleibe, verhaftet und mit einer Verlängerung des Dienstes um einen Monat bestraft (ACCORD 6.9.2023). Die ÖB Damaskus erwähnt auch Haftstrafen zusätzlich zur [Anm.: nicht näher spezifizierten] Verlängerung des Wehrdiensts. Hingegen dürften die Autonomiebehörden eine Verweigerung nicht als Ausdruck einer bestimmten politischen Gesinnung sehen (ÖB Damaskus 12.2022). Einem von ACCORD befragten Syrienexperten zufolge hängen die Konsequenzen für die Wehrdienstverweigerung vom Profil des Wehrpflichtigen ab sowie von der Region, aus der er stammt. In al-Hasakah beispielsweise könnten Personen im wehrpflichtigen Alter zwangsrekrutiert und zum Dienst gezwungen werden. Insbesondere bei der Handhabung des Gesetzes zur Selbstverteidigungspflicht gegenüber Arabern in der AANES gehen die Meinungen der Experten auseinander. Grundsätzlich gilt die Pflicht für Araber gleichermaßen, aber einem Experten zufolge könne die Behandlung je nach Region und Zugriffsmöglichkeit der SDF variieren und wäre aufgrund der starken Stammespositionen oft weniger harsch als gegenüber Kurden. Ein anderer Experte wiederum berichtet von Beleidigungen und Gewalt gegenüber arabischen Wehrdienstverweigerern (ACCORD 6.9.2023).
Bei Deserteuren hängen die Konsequenzen abseits von einer Zurücksendung zur Einheit und einer eventuellen Haft von ein bis zwei Monaten von den näheren Umständen und eventuellem Schaden ab. Dann könnte es zu einem Prozess vor einem Kriegsgericht kommen (DIS 6.2022).
Eine Möglichkeit zur Verweigerung des Wehrdienstes aus Gewissensgründen besteht nicht (DIS 6.2022; vgl. EB 12.7.2019).
Aufschub des Wehrdienstes
Das Gesetz enthält Bestimmungen, die es Personen, die zur Ableistung der "Selbstverteidigungspflicht" verpflichtet sind, ermöglichen, ihren Dienst aufzuschieben oder von der Pflicht zu befreien, je nach den individuellen Umständen. Manche Ausnahmen vom "Wehrdienst" sind temporär und kostenpflichtig. Frühere Befreiungen für Mitarbeiter des Gesundheitsbereichs und von NGOs sowie von Lehrern gelten nicht mehr (DIS 6.2022). Es wurden auch mehrere Fälle von willkürlichen Verhaftungen zum Zwecke der Rekrutierung dokumentiert, obwohl die Wehrpflicht aufgrund der Ausbildung aufgeschoben wurde oder einige Jugendliche aus medizinischen oder anderen Gründen vom Wehrdienst befreit wurden (EB 12.7.2019). Im Ausland (Ausnahme: Türkei und Irak) lebende, unter die "Selbstverteidigungspflicht" fallende Männer können gegen eine Befreiungsgebühr für kurzfristige Besuche zurückkehren, ohne den "Wehrdienst" antreten zu müssen, wobei zusätzliche Bedingungen eine Rolle spielen, ob dies möglich ist (DIS 6.2022).
Proteste gegen die "Selbstverteidigungspflicht"
Im Jahr 2021 hat die Wehrpflicht besonders in den östlichen ländlichen Gouvernements Deir ez-Zour und Raqqa Proteste ausgelöst. Lehrer haben sich besonders gegen die Einberufungskampagnen der SDF gewehrt. Proteste im Mai 2021 richteten sich außerdem gegen die unzureichende Bereitstellung von Dienstleistungen und die Korruption oder Unfähigkeit der autonomen Verwaltungseinheiten. Sechs bis acht Menschen wurden am 1.6.2021 in Manbij (Menbij) bei einem Protest getötet, dessen Auslöser eine Reihe von Razzien der SDF auf der Suche nach wehrpflichtigen Männern war. Am 2.6.2021 einigten sich die SDF, der Militärrat von Manbij und der Zivilrat von Manbij mit Stammesvertretern und lokalen Persönlichkeiten auf eine deeskalierende Vereinbarung, die vorsieht, die Rekrutierungskampagne einzustellen, während der Proteste festgenommene Personen freizulassen und eine Untersuchungskommission zu bilden, um diejenigen, die auf Demonstranten geschossen hatten, zur Rechenschaft zu ziehen (COAR 7.6.2021). Diese Einigung resultierte nach einer Rekrutierungspause in der Herabsetzung des Alterskriteriums auf 18 bis 24 Jahre, was später auf die anderen Gebiete ausgeweitet wurde (DIS 6.2022). Im Sommer 2023 kam es in Manbij zu Protesten gegen die SDF insbesondere aufgrund von Kampagnen zur Zwangsrekrutierung junger Männer in der Stadt und Umgebung (SO 20.7.2023).
1.2.3. Auszug aus der ACCORD-Anfragebeantwortung zu Syrien vom 21.03.2025 [a-12592-v2] („Rekrutierungspraxis der Übergangsregierung, Rekrutierungen durch andere bewaffnete Gruppen [z.B. Yekîneyên Parastina Gel, YPG]; Zwangsrekrutierungen“):
„Rekrutierungspraxis der Übergangsregierung; Zwangsrekrutierungen
Mehrere Quellen berichten im Februar 2025, dass der Präsident der syrischen Übergangsregierung, Ahmed Al-Scharaa, erklärt habe, dass er die Wehrdienstpflicht abgeschafft habe und stattdessen auf freiwillige Rekrutierung setze (Enab Baladi, 12. Februar 2025; France 24, 10. Februar2025; siehe auch Markaz Al-Jazeera l-il-Dirasat, 30. Jänner 2025; FDD,28. Jänner 2025). Anfang Februar 2025 wurde berichtet, dass sich Scharaa zufolge tausende Freiwillige der neuen Armee anschließen würden (France 24, 10. Februar 2025; Enab Baladi, 12. Februar 2025). Dem Online-Begleittext eines Videobeitrags des schwedischen Fernsehprogramms Svt nyheter von Jänner 2025 zufolge hätte die Hayat Tahrir Al-Scham (HTS) aktiv mit intensiven Rekrutierungen für die Reihen der Polizei und des Militärs begonnen (Svt nyheter, 18. Jänner 2025). In einem undatierten arabischsprachigen Artikel bezieht sich das Swedish Center for Information (SCI) auf den genannten Videobeitrag. Laut dem SCI-Artikelwürden Berichten zufolge Soldaten, Unteroffiziere und Offiziere mittels intensiver Programme rekrutiert, die von traditionellen akademischen Standards und Trainingsstandards abweichen würden. Dies habe den Zweck, die Ausbildung der Militär- und Sicherheitskräfte zu beschleunigen, um den Bedarf des neuen Staates zu decken (SCI, ohne Datum).
In einem arabischsprachigen Artikel von Februar 2025 berichtet Enab Baladi, die Rekrutierungsabteilung in Aleppo habe verkündet, dass die Anmeldungen für eine Militärausbildung begonnen hätten. Die Bedingungen für den Eintritt in die Reihen des Verteidigungsministeriums der Übergangsregierung seien festgelegt worden. Interessierte könnten sich bis 15. Februar 2025 in der Rekrutierungsabteilung in Aleppo im Viertel Al-Furqan anmelden. Voraussetzung sei, dass Bewerber ledig, zwischen 18 und 22 Jahre alt seien, keine chronischen Erkrankungen hätten und nicht verletzt seien. Für eine Anmeldung seien zwei Fotos, eine Kopie des Personalausweises sowie, sofern vorhanden, eine Kopie des Nachweises über einen akademischen Abschluss vorzulegen (Enab Baladi,12. Februar 2025). Ähnliche Informationen finden sich in den nachfolgendbeschriebenen zwei Facebook-Beiträgen. In einem arabischsprachigen Facebook-Beitrag vom 12. Februar 2025 auf der Facebook-Seite ‚Al Arabiya Syria‘ wird berichtet, dass das Gouvernement Aleppo verkündet habe, dass die Anmeldungen für die Aufnahme in die Reihender Armee eröffnet seien. Die Anmeldungen würden im Offiziersclub im Viertel Al-Furqan entgegengenommen. Bewerber hätten ledig sowie zwischen 18 und 22 Jahre alt und gesund zu sein (Al Arabiya Syria,12. Februar 2025). Auf der Facebook-Seite „Nachrichten des freien Syrien“ (‚Achbar Suriya al-Hurra‘) findet sich ein Beitrag vom 6. Februar 2025, der eine Rekrutierungsanzeige der Rekrutierungsabteilung in Idlib veröffentlicht. Die Anmeldung zur Teilnahme am Militärkurs für jene, die unter dem Verteidigungsministerium dienen möchten, sei eröffnet. Interessierten sei es möglich, sich zwischen dem 9. Februar 2025 und dem 15. Februar 2025 in der Rekrutierungsabteilung in Idlib anzumelden. Bewerber hätten ledig und zwischen 18 und 22 Jahre alt zu sein. Sie dürften nicht chronisch krank oder verletzt sein. Vorzulegen seien ein Foto, eine Kopie des Personalausweises und eine Kopie des akademischen Nachweises, wenn vorhanden (Nachrichten des freien Syrien, 6. Februar 2025).
Syria TV, ein syrischer Fernsehsender mit Sitz in Istanbul, der im Besitzeines katarischen Mediennetzwerks ist und sich in Opposition zur Assad-Regierung positioniert hatte, berichtet in einem arabischsprachigen Artikel vom Februar 2025, dass sich der Rekrutierungsprozess für die neuen syrischen Militär- und Sicherheitsinstitutionen, wie die Polizei sowie Kriminal- und Geheimdienste, von Gouvernement zu Gouvernement unterscheide. Am 10. Jänner 2025 habe das Innenministerium der Übergangsregierung verkündet, dass Anmeldungen zum Eintritt in die Polizeiakademie begonnen hätten. Die Kurse, die einen Eintritt in die Reihen der Polizei und Dienste der öffentlichen Sicherheit ermöglichen sollen, hätten in fast allen Gouvernements, insbesondere in Damaskus, Rif Dimaschq, Homs, Tartus, Idlib, Sweida und Deir ez-Zor begonnen. Dem Artikel zufolge sei Idlib in dieser Hinsicht am aktivsten, gefolgt von Deir ez-Zor und Teilen von Rif Dimaschq, während der Rekrutierungsprozess in den Küstenregionen sowie in Homs eher verhalten verlaufe. Bewerber hätten zwischen 20 und 30 Jahre alt zu sein, einen Sekundarschulabschluss oder einen entsprechenden Abschlussvorzuweisen, die vorgeschriebenen Kurse absolviert zu haben, unbescholten sowie gesund und von guter Statur zu sein. Sie hätten zudem körperlich fit zu sein und müssten mindestens 168 cm groß sein. Einem für den Artikel interviewten 27-jährigen Mann zufolge stelle der freiwillige Beitritt zum Polizei- oder Geheimdienstapparat für ihn eine gute Beschäftigungsmöglichkeit dar. Das Gehalt betrage mindestens 200 US-Dollar, während ein Arbeiter in Idlib täglich nicht mehr als umgerechnet drei US-Dollar verdiene. Der Mann aus Süd-Idlib habe auf Facebook eine Rekrutierungsanzeige gesehen und sich daraufhin beeilt, sich zu bewerben. Er habe erklärt, dass für die Bewerbung ein Formular mit persönlichen Daten auszufüllen sei. Das Formular gebe an, dass Bewerber nicht älter als 30 Jahre sein dürften. Man dürfe im Formular angeben, ob man in die Reihen des Geheimdienstes oder der Polizei, darunter die Kriminalpolizei, die Verkehrspolizei und die Moralpolizei, aufgenommen werden wolle. Die Moralpolizei sei eine Abteilung, die in Idlib vor dem Sturz der Assad-Regierung hätte gegründet werden sollen, aber trotz der Verabschiedung eines Gesetzes mit dem Titel ‚Öffentliche Moral‘, auf Eis gelegt worden sei (Syria TV, 21. Februar 2025).
In einem Artikel vom 19. Februar 2025 berichtet The National von einem Funktionär der HTS, der im Damaszener Außenbezirk Ost-Ghuta junge Männer rekrutieren solle. Die HTS benötige dem Artikel zufolge so viele Männer wie möglich, insbesondere für entlegenere Gegenden. An einemöffentlichen Platz im Vorort Ain Tarma habe der Funktionär ein kommunales Gebäude betreten und einen Zuständigen dort gefragt, ob er Personen kenne, die geeignet seien, der HTS beizutreten. Er habe eine Telefonnummer hinterlegt und sei zu einer ehemaligen Regierungskaserne weitergegangen, die sich auf dem Gebiet befinde, wo neue HTS-Rekruten ein dreiwöchiges Training absolvieren sollen. Dem Funktionär zufolge hätten sich seit dem Fall der Assad-Regierung tausende der HTS angeschlossen. Hunderte weitere würden bald in den Kasernen in Ost-Ghuta erwartet (The National, 19. Februar 2025).
Laut einem Artikel der Foundation for Defense of Democracies (FDD) von Jänner 2025 behaupte die syrische Übergangsregierung zwar, sich für religiöse Toleranz einzusetzen. Gleichzeitig werde die von der Regierung bevorzugte sunnitisch-islamische Glaubensströmung der Rekrutierung und der Ausbildung neuer Sicherheitskräfte zugrunde gelegt. Berichten zufolge würden neue Rekruten eine 21-tägige Scharia-Ausbildung durchlaufen (FDD, 28. Jänner 2025). In einem Artikel von Jänner 2025 berichtet Reuters von der Rekrutierung von Polizisten durch die Übergangsregierung. Polizisten, die aus der ehemals HTS-regierten Enklave in Idlib nach Damaskus gebracht worden seien, würden Bewerbernach ihrem Glauben befragen. Die Ausbildung von Polizisten dauere zehn Tage und der Fokus liege Ausbildnern und Absolventen zufolge auf dem Umgang mit Waffen und der Vermittlung von islamischem Recht. Dem Leiter der Polizei in Aleppo zufolge sei geplant, die Ausbildung auf neun Monate auszuweiten, wenn sich die Sicherheitslage gebessert habe. Ihm zufolge würden den Polizeirekruten die Prinzipien der islamischen Rechtsprechung, die Biographie des Propheten Mohammed und Verhaltensregeln gelehrt. Die Bewerbungsformulare würden Reuters zufolge einen Abschnitt „Glaube, Orientierung und Standpunkte“ enthalten, in welchem Bewerber nach ihrer „Bezugsautorität“ (‚referential authority‘) befragt würden. Drei anonymen HTS-Beamten zufolge diene die Frage dazu, Bewerber zu identifizieren, die einer genaueren Prüfung unterzogen werden müssen, insbesondere Alawiten, die derselben Glaubensströmung wie die Assad-Familie angehören würden und möglicherweise Verbindungen zur Assad-Regierung gehabt hätten (Reuters, 23. Jänner 2025).
Dem von Reuters befragten Wissenschaftler Aron Lund zufolge fänden viele Syrer·innen die religiöse Komponente bei der Rekrutierung von Polizisten bedenklich. Das betreffe nicht nur Minderheiten wie Christ·innen, Alawit·innen und Druz·innen, sondern auch urbane, säkulare sunnitische Muslim·innen. Das Innenministerium der Übergangsregierung, welches für Polizeiangelegenheiten zuständig sei, habe Reuters Fragen zum religiösen Fokus bei der Rekrutierung und Ausbildung von Polizisten nicht beantwortet. Mehreren von Reuters interviewten führenden Polizeioffizieren zufolge diene dieser nicht dazu, der Allgemeinbevölkerung religiöse Inhalte aufzuzwingen, sondern dazu, Rekruten ethisches Verhalten zu vermitteln. Sieben Polizeioffiziere, die Polizeistationen verwalten oder im Rekrutierungsprozess involviert seien, hätten ausgesagt, dass die Polizei mehr Mitarbeiter benötige und Bewerbungen von Personen jeder Glaubensrichtung willkommen seien (Reuters, 23. Jänner 2025).
Einem Polizei-Ausbildner an einer Polizeiakademie in Damaskus zufolge hätten sich über 200.000 Personen gemeldet, die Teil des neuen Polizeidienstes werden wollen. Alle fünf von Reuters interviewten hochrangingen Offiziere seien davon ausgegangen, dass sich die Personalausstattung vor dem Hintergrund der Ausweitung von Rekrutierung und Training im Jahr 2025 verbessern werde. Die Anmeldung von Polizisten, die vor dem Sturz der Assad-Regierung zu den Rebellen übergelaufen seien, werde laut von Reuters befragten führenden Polizeioffizieren begrüßt (Reuters, 23. Jänner 2025; siehe auch Enab Baladi, 12. Februar 2025). Diejenigen, die nicht übergelaufen seien, hätten einen „Aussöhnungsprozess“ zu durchlaufen. Im Zuge dessen hätten sie ein Dokument zu unterzeichnen, worin sie den Regierungswechselanerkennen würden, und sie hätten ihre Waffe abzugeben. Es sei noch unklar, ob sie dem neuen Polizeidienst beitreten dürften (Reuters,23. Jänner 2025).
In einem Artikel von Ende Februar 2025 berichtet Syria TV von Gerüchten, denen zufolge die Übergangsregierung in den Gouvernements Tartus und Latakia Männer zum Militärdienst rekrutiert und zwangsverpflichtet hätte. Auf Facebook-Seiten, die der Quelle zufolge von Medienfachleutenbetrieben würden, die der Assad-Regierung naheständen, sei berichtet worden, dass Sicherheitskräfte in den Städten Dschableh, Baniyas und Qardaha Checkpoints aufgestellt und Personen mit Statusregelungsausweisen („Bidaqat Taswiya“) festgenommen hätten. Offizielle Quellen des Gouvernements Tartus hätten den Verantwortlichen der Rekrutierungsabteilung der Stadt Baniyas zitiert, der diese Gerüchtevehement abgestritten habe. Er habe darauf hingewiesen, dass der Militärdienst nunmehr auf Freiwilligkeit aufbaue und dazu aufgerufen, offizielle Quellen für Informationen zu konsultieren (Syria TV, 26. Februar 2025).
Rekrutierungen durch andere bewaffnete Gruppen; Zwangsrekrutierungen
SDF und SDF-nahe Kräfte
Mitte März 2025 berichten Quellen von einer zwischen Ahmad Scharaa und Mazloum Abdi, dem Leiter der SDF, getroffenen Einigung, die Ende2025 umgesetzt werden solle (DW, 11. März 2025; CNN, 11. März 2025; The Guardian, 10. März 2025). Die Vereinbarung sehe vor, alle „zivilen und militärischen Einrichtungen“ in Nordost-Syrien der Verwaltung des syrischen Staates zu unterstellen (DW, 11. März 2025, siehe auch The Guardian, 10. März 2025). Der von CNN dazu interviewten Wissenschaftlerin am Center for Strategic and International Studies Natasha Hall zufolge sei zu dem Zeitpunkt unklar, wie die Integrierung der SDF in die Institutionen des syrischen Staates aussehen werde. Zum Zeitpunkt der Berichterstattung sei es der SDF erlaubt, ihre Struktur und ihre Waffen zu behalten (CNN, 11. März 2025).
In einem arabischsprachigen Artikel von März 2025 von Al Jazeera wird ein Mann zitiert, der an den zu der Zeit bestehenden Protesten in Deir ez-Zor teilgenommen habe. Er habe unter anderem darauf hingewiesen, dass SDF-Kräfte Verhaftungskampagnen in den von der SDF kontrollierten Gebieten durchgeführt hätten, in deren Rahmen Dutzende junge Männerunter dem Vorwurf der Gruppe Islamischer Staat (IS) beitreten zu wollen, verhaftet und zwangsrekrutiert worden seien (Al Jazeera, 8. März 2025). In einem arabischsprachigen Artikel von Jänner 2025 zitiert Al Jazeera den Wissenschaftler Amir Al-Mithqal, dem zufolge die Demokratischen Kräfte Syriens (Syrian Democratic Forces, SDF) aufgrund eines Mangels an kurdischen Kräften ethnische Araber zwangsrekrutiert hätten (Al Jazeera, 29. Jänner 2025). Ende Jänner 2025 berichtet Syria TV, dass seit dem Sturz der Assad-Regierung über 5.000 Männer die SDF verlassen hätten, indem sie übergelaufen oder geflohen seien. Einer der SDF nahestehenden Quelle zufolge bestehe ein Mangel an Kräften in den Reihen der SDF und diese sei nicht imstande neue Rekrutierungskampagnen in der Region zu starten. Es würden nur begrenzt Rekrutierungsoperationen durchgeführt, und zwar hauptsächlich im Gouvernement Hasaka. Der Quelle zufolge prüfe die SDF sämtliche Optionen, um ihre Militär- und Sicherheitskräfte zu stärken, unter anderem durch den Aufbau neuer Kräfte. Mitte Jänner habe die SDF die Demobilisierung von Wehrpflichtigen, die ihre Wehrpflicht bereits abgeleistet hätten, aufgrund des bedeutenden Anstiegs an Desertionen und Überläufen in ihren Kreisen gestoppt. Die SDF sehe für jeden Mann, der das Alter von 18 Jahren erreicht habe und zwischen 1998 und 2006 geboren sei, eine einjährige Wehrpflicht vor. Ein von der SDF zwangsrekrutierter Mann habe Syria TV erzählt, dass er seinen Wehrdienst vor zwei Monaten erfüllt habe und die SDF sich ohne Angabe von Gründen weigern würde, ihn aus der Pflicht zu entlassen. Davon seien hunderte andere Personen betroffen (Syria TV, 31. Jänner 2025).
Mehrere Quellen berichten im Februar 2025 von der Entführung eines Minderjährigen durch SDF-nahe Kräfte im Viertel Scheich Maqsoud in Aleppo zum Zweck der Zwangsrekrutierung. Er sei den Quellen zufolge von der Revolutionären Jugend entführt worden. (REBAZ, 21. Februar 2025; Basnews, 22. Februar 2025; @HalabTodayTV, 28. Februar 2025). Einem Artikel von Basnews von Februar 2025 zufolge sei der Minderjährige zum Zweck der Zwangsrekrutierung durch die Volksverteidigungseinheiten (YPG) von der Revolutionären Jugendentführt worden. Zudem sei zuvor ein Minderjähriger in der Stadt Kobane von der Revolutionären Jugend entführt worden (Basnews, 22. Februar2025). Ende Februar 2025 berichtet das syrische Netzwerk für Menschenrechte namens RASD Syria von der Entführung eines 12-jährigen Mädchens, ebenfalls aus dem Viertel Scheich Maqsud. Das Mädchen sei Mitte Februar von der SDF nahestehenden Kräften entführt und in ein Kinderrekrutierungslager gebracht worden. Obwohl die Eltern das Mädchen gesucht hätten, hätten sie es nicht finden können. Der Quelle zufolge würden SDF-Kräfte weiterhin Kinder festnehmen und sie unter Zwang in Kinderrekrutierungslagern festhalten. Diese und andere Übertretungen hätten in der Zeit, die der Berichterstattung vorangegangen sei, zugenommen. Auch Entführungen und Rekrutierungen von Kindern durch die der SDF nahestehenden Revolutionären Jugend hätten zugenommen (RASD Syria, 27. Februar2025).
[…]“
2. Beweiswürdigung:
2.1. Zu den Feststellungen zu der Person des Beschwerdeführers, seinen persönlichen Umständen in Syrien, seiner Ausreise aus Syrien und seiner Einreise nach Österreich sowie seinen Fluchtgründen (Pkt. II.1.1.):
2.1.1. Die Feststellungen zum Alter sowie zur Staats-, Volksgruppen- und Religionszugehörigkeit des Beschwerdeführers gründen sich auf seine im Verfahren diesbezüglich getätigten Angaben (s. Aktenseiten [in der Folge: AS] 11, 13 und 76 des erstinstanzlichen Verwaltungsaktes sowie S. 5 des Verhandlungsprotokolls) und auf die von ihm vorgelegten Unterlagen (vgl. oben unter Pkt. I.3.).
2.1.2.1. Die oben getroffenen Feststellungen zum Geburts- und Aufenthaltsort des Beschwerdeführers in Syrien (Pkt. II.1.1.2.) folgen aus seinen dahingehend glaubhaften Angaben in der Einvernahme vor der Behörde (s. etwa AS 79) und der Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht (vgl. S. 6 des Verhandlungsprotokolls), welche mit dem von ihm vorgelegten Unterlagen im Einklang stehen (s. die auf AS 117 einliegende Übersetzung des vorgelegten Urteils über die Anerkennung der Ehe mit seiner Ehefrau samt Anführung seines Geburtsortes).
Dass sich das den Ort XXXX umschließende Gebiet aktuell im von der SNA kontrollierten Gebiet befindet, ergibt sich aus der Nachschau auf den Karten der Homepages https://syria.liveuamap.com und https://cartercenter.org (14.08.2025) in Verbindung mit dem in das Verfahren eingeführten Länderinformationsblatt der Staatendokumentation vom 08.05.2025, wonach die SNA im November 2024 eine Offensive gegen die SDF startete und Territorium in der Umgebung von XXXX eroberte (s. oben unter Pkt. II.1.2.1. und v.a. auch die Karte zu den Kontrollverhältnissen in Syrien von Ende Februar 2025 auf S. 12 dieses Länderinformationsblatts; vgl. dazu auch die Ausführungen des Beschwerdeführers auf S. 2 seiner Stellungnahme vom 18.06.2025, wonach sein Herkunftsort derzeit unter der Kontrolle der SNA stehe).
2.1.2.2. Die getroffenen Feststellungen zu den Familienangehörigen des Beschwerdeführers ergeben sich aus seinen dahingehenden Angaben im Verfahren (vgl. insbesondere S. 6 f. des Verhandlungsprotokolls und zudem weiters AS 15 und 76 f.).
2.1.3. Die Feststellungen zu seiner Ausreise aus Syrien und seiner Einreise nach Österreich (Pkt. II.1.1.3.) folgen aus seinen dahingehenden Angaben im Verfahren (s. AS 17, 81 und 502 sowie S. 6 des Verhandlungsprotokolls).
2.1.4.1. Dass der Beschwerdeführer bei einer Rückkehr nach Syrien keinen Gefahren seitens des Assad-Regimes ausgesetzt ist, ergibt sich v.a. aus dem in das Verfahren eingeführten Länderinformationsblatt der Staatendokumentation vom 08.05.2025, wonach das Assad-Regime am 08.12.2024 gestürzt wurde und die Sicherheitskräfte, die syrische Armee und die Geheimdienste des Assad-Regimes aufgelöst wurden (s. Pkt. II.1.2.1.; vgl. dazu auch S. 7 des Verhandlungsprotokolls).
2.1.4.2.1. Die Feststellung, dass der Beschwerdeführer bei einer Rückkehr nach Syrien nicht der Gefahr ausgesetzt ist, von der neuen syrischen Regierung zur Ableistung eines Wehrdienstes einberufen und (zwangsweise) eingezogen zu werden, folgt aus dem in das Verfahren eingeführten Länderinformationsblatt der Staatendokumentation vom 08.05.2025. Demnach kündigte Übergangspräsident ash-Shara' an, die neue syrische Armee in eine professionelle, auf Freiwilligen basierende Truppe umzuwandeln, um die Professionalität in den Reihen zu fördern und sich von der Wehrpflichtpolitik zu entfernen, die das zusammengebrochene Assad-Regime charakterisierte. Dafür sollen alle ehemaligen Oppositionsgruppen in einem Prozess der Entwaffnung, Demobilisierung und Wiedereingliederung zur Zusammenstellung einer neuen „Nationalen Armee“ miteinbezogen werden. Die neue syrische Regierung rekrutiert aktiv Personen für die neue syrische Armee und Polizei, wobei sich bereits tausende junge Männer freiwillig den neuen Sicherheits- und Militärkräften angeschlossen haben (vgl. oben unter Pkt. II.1.2.1.). In diesem Zusammenhang ist seitens des Bundesverwaltungsgerichtes darauf hinzuweisen, dass die Gruppierung Hay'at Tahrir ash-Sham (HTS), deren Anführer ash-Shara' nun Übergangspräsident ist und deren Mitglieder viele wichtige neue Staatsämter übernommen haben, bereits vor dem Sturz des Assad-Regimes in den von ihr früher kontrollierten Gebieten Nordwest-Syriens Zivilisten keine Pflicht zur Ableistung eines Militärdienstes auferlegten (Pkt. II.1.2.2.). Im Verfahren sind auch ansonsten keine Hinweise dafür hervorgekommen, dass der Beschwerdeführer bei einer Rückkehr nach Syrien aktuell der Gefahr einer Einberufung bzw. (zwangsweisen) Einziehung zu einem – wie auch immer ausgestalteten – Wehrdienst seitens der neuen syrischen Regierung ausgesetzt ist (s. die Ausführungen des Beschwerdeführers auf S. 11 des Verhandlungsprotokolls, wonach es „jetzt noch nicht so sein“ möge, er sich aber sicher sei, „dass in Zukunft auch die HTS und die SNA einen Pflichtwehrdienst einführen werden.“).
2.1.4.2.2. Die Feststellung, dass der Beschwerdeführer bei einer Rückkehr nach Syrien nicht der Gefahr physischer bzw. psychischer Gewalt seitens der neuen syrischen Regierung ausgesetzt ist, ergibt sich aus folgenden Überlegungen:
Aus dem in das Verfahren eingeführten Länderinformationsblatt der Staatendokumentation vom 08.05.2025 geht allgemein hervor, dass der Übergang vom Assad-Regime zur neuen syrischen Regierung unter der Führung der HTS relativ reibungslos verlaufen sein soll. Berichte über Vergeltungsmaßnahmen, Rachemorde und religiös motivierte Gewalttaten waren minimal. Plünderungen und Zerstörungen konnten schnell unter Kontrolle gebracht werden, die aufständischen Kämpfer wurden diszipliniert. Es gab keine größeren Massaker oder Rachekampagnen. Demgegenüber sind Verstöße durch verschiedene Rebellengruppierungen dokumentiert, darunter außergerichtliche Tötungen, Zerstörungen von Häusern und Angriffe auf öffentliches und privates Eigentum, welche sich u.a. gegen Anhänger des gestürzten Regimes, Wehrpflichtige auch mit niedrigem Rang und scheinbar zufällig ausgewählte junge Männer aus der Gemeinschaft der Alawiten richteten. Hauptbetroffen waren die Gouvernements Hama und Homs sowie die als Kernland des Assad-Regimes geltenden, alawitisch-geprägten Gouvernements Latakia und Tartus. Die neue syrische Regierung reagierte auf die Vorwürfe von Menschenrechtsaktivisten mit Festnahmen von dutzenden Mitgliedern örtlicher bewaffneter Gruppen, die unter der Kontrolle der neuen Machthaber standen, wegen ihrer Beteiligung an den „Sicherheitseinsätzen“ im Gouvernement Homs (vgl. oben unter Pkt. II.1.2.1.).
Im Hinblick darauf ist aus Sicht des Bundesverwaltungsgerichtes nicht davon auszugehen, dass der Beschwerdeführer bei einer Rückkehr nach Syrien der Gefahr von Gewalt seitens der neuen syrischen Regierung ausgesetzt ist. Dazu wird zwar nicht verkannt, dass, wie soeben dargestellt, bewaffnete Gruppierungen, welcher der neuen syrischen Regierung nahestehen, für Gewalthandlungen gegenüber verschiedenen Personengruppen, wie etwa Alawiten, Anhängern des gestürzten Assad-Regimes oder Wehrpflichtigen auch mit niedrigem Rang, verantwortlich waren. Im durchgeführten Verfahren sind für das Bundesverwaltungsgericht jedoch keine Anhaltspunkte dafür hervorgekommen, dass konkret dem Beschwerdeführer, der als Araber und sunnitischer Muslim sowohl in ethnischer, als auch in konfessioneller Hinsicht der Mehrheit der syrischen Bevölkerung angehört und der aus dem Gouvernement Aleppo stammt, aufgrund in seiner Person gelegenen Umständen gezielt Gewalt seitens der neuen syrischen Regierung bzw. der ihr unterstellten bewaffneten Gruppierungen drohen würde. Sonstige, in der Person des Beschwerdeführers gelegene Eigenschaften oder ihn betreffende Umstände, die auf eine erhöhte Gefährdung seiner Person durch die neue syrische Regierung hinweisen könnten, sind im Verfahren nicht hervorgekommen. Soweit der Beschwerdeführer auf S. 4 der Stellungnahme vom 18.06.2025 allgemein ausführt, die HTS sei in der Vergangenheit brutal gegen Andersdenkende vorgegangen und für Hinrichtungen, Tötungen und willkürliche Verhaftungen verantwortlich gewesen, vermochte er den soeben getroffenen Ausführungen zu den angeführten Länderfeststellungen nicht substantiiert entgegenzutreten und eine konkrete aktuelle Gefährdung seiner Person durch die neue syrische Regierung nicht glaubhaft zu machen.
2.1.4.2.3. Der Beschwerdeführer konnte mit seinem im Verfahren getätigten Vorbringen für das Bundesverwaltungsgericht auch keine eigene oppositionelle Haltung gegenüber der neuen syrischen Regierung glaubhaft machen. So traf er dazu lediglich allgemeine Ausführungen zu der in Syrien vorliegenden unsicheren Lage aufgrund interner Konflikte verschiedener Parteien (Kurden, Alawiten, Drusen, neue syrische Regierung) und des nicht gewährleisteten Schutzes vor Kriminellen (vgl. S. 11 des Verhandlungsprotokolls), woraus für den erkennenden Richter aufgrund seines persönlichen Eindrucks nicht in glaubhafter Weise eine hinreichend verinnerlichte oppositionelle Haltung konkret gegenüber der neuen syrischen Regierung abgeleitet werden kann.
2.1.4.3.1. Dass der Beschwerdeführer bei einer Rückkehr nach Syrien nicht der Gefahr einer Rekrutierung durch Gruppierungen der SNA ausgesetzt ist, ergibt sich aus den in das Verfahren eingeführten Länderberichten und dabei insbesondere aus den Länderinformationsblättern der Staatendokumentation vom 08.05.2025 und 27.03.2024. Daraus geht allgemein hervor, dass mehr als die Hälfte der über 60 in Syrien bestehenden bewaffneten Gruppierungen zur von der Türkei unterstützten SNA gehören. Ihre Stärke beträgt mindestens 80.000 Mann und ihre Hauptaufgabe ist die Bekämpfung der kurdisch-geführten Syrischen Demokratischen Kräfte (SDF). Die von der neuen syrischen Regierung vorangetriebene Eingliederung aller ehemaligen oppositionellen Gruppen in eine neue syrische Armee ist zwar noch nicht abgeschlossen, Gespräche hochrangiger Beamter mit Fraktionen der SNA finden aber statt (s. oben Pkt. II.1.2.1.). Anhaltspunkte, wonach die Gruppierungen der SNA seit dem Sturz des Assad-Regimes Zwangsrekrutierungen von Zivilisten durchführen würden, sind den in das Verfahren eingeführten Länderberichten nicht zu entnehmen. In diesem Zusammenhang ist seitens des Bundesverwaltungsgerichtes darauf hinzuweisen, dass die SNA in von ihr kontrollierten Gebieten Zivilisten bereits vor dem Sturz des Assad-Regimes keine Wehrdienstpflicht auferlegte, dies insbesondere deshalb, weil kein Mangel an Männern herrschte, die bereit waren, sich ihr anzuschließen (vgl. oben unter Pkt. II.1.2.2.). Eine Änderung dieser auf freiwilligen Meldungen beruhenden Rekrutierungspraxis der SNA kann den verfügbaren Länderberichten nicht entnommen werden (s. auch hierzu die bereits unter Pkt. II.2.1.4.2.1. wiedergegebenen Ausführungen des Beschwerdeführers auf S. 11 des Verhandlungsprotokolls).
2.1.4.3.2. Die Feststellung, dass der Beschwerdeführer bei einer Rückkehr nach Syrien nicht der Gefahr physischer bzw. psychischer Gewalt seitens Gruppierungen der SNA ausgesetzt ist, ergibt sich aus folgenden Überlegungen:
Aus dem in das Verfahren eingeführten Länderinformationsblatt der Staatendokumentation vom 08.05.2025 geht hervor, dass in den von der SNA kontrollierten Gebieten eine prekäre Menschenrechtslage herrscht. Demnach wurden in Nordsyrien von den von der Türkei unterstützten Gruppierungen der SNA zahlreiche Menschenrechtsverletzungen begangen (darunter Entführungen, willkürliche Verhaftungen, unrechtmäßige Inhaftierungen, sexuelle Gewalt und Folter), welche sich auf kurdische und jesidische Einwohner und andere Zivilisten konzentrierten. Die von der Türkei unterstützten Gruppierungen der SNA plünderten nach der Eroberung von Manbij das Eigentum von kurdischen Bürgern, führten identitätsbezogene Tötungen und Racheaktionen durch, brannten Häuser nieder und demütigten Kurden. In den letzten Jahren sollen SNA-Kämpfer auch schwere Menschenrechtsverletzungen gegen Einwohner kurdischer Gemeinden in Afrin und im Umland von Aleppo begangen haben (vgl. Pkt. II.1.2.1.).
Aus Sicht des Bundesverwaltungsgerichtes ist im Hinblick auf diese Länderberichte nicht davon auszugehen, dass der Beschwerdeführer bei einer Rückkehr nach Syrien gezielt der Gefahr physischer bzw. psychischer Gewalt seitens Gruppierungen der SNA ausgesetzt ist. Dabei wird zwar nicht verkannt, dass der SNA zuordenbare Gruppierungen, wie soeben dargelegt, für umfangreiche Gewalthandlungen gegenüber verschiedenen Personengruppen verantwortlich waren, dies auch im Zuge der Eroberung der Herkunftsregion des Beschwerdeführers nach dem Sturz des Assad-Regimes. Nach den angeführten Länderberichten richteten sich diese Angriffe jedoch im überwiegenden Ausmaß gegen Angehörige der kurdischen Volksgruppe in Syrien und gegen andere ethnische und konfessionelle Minderheiten. Wie oben unter Pkt. II.2.1.4.2.2. bereits ausgeführt, gehört der Beschwerdeführer als Araber und sunnitischer Muslim der überwiegenden Mehrheit der syrischen Bevölkerung an. Anhaltspunkte, wonach der Beschwerdeführer aufgrund von in seiner Person gelegenen Umständen gezielt Gewalt seitens Gruppierungen der SNA erfahren würde, sind im Hinblick darauf im Verfahren nicht hervorgekommen und wurden von ihm auch nicht vorgebracht.
2.1.4.4.1. Dass der Beschwerdeführer bei einer Rückkehr nach Syrien nicht der Gefahr ausgesetzt ist, zum Wehrdienst in den kurdischen Streitkräften („Selbstverteidigungspflicht“ innerhalb der SDF) einberufen und (zwangsweise) eingezogen zu werden, ergibt sich bereits aus dem Umstand, dass die Herkunftsregion des Beschwerdeführers unter Kontrolle der SNA steht und er diese auch ohne Kontakt mit den kurdischen Behörden bzw. Streitkräften erreichen kann. Aus der Nachschau auf den Karten der Homepages https://syria.liveuamap.com und https://cartercenter.org (14.08.2025) geht in Verbindung mit den getroffenen Länderfeststellungen eindeutig hervor, dass die Herkunftsregion des Beschwerdeführers im von der SNA kontrollierten Gebiet liegt und dieses u.a. mittels Einreise über einen von der neuen syrischen Regierung kontrollierten Grenzübergang erreicht werden kann (vgl. dazu oben unter Pkt. II.1.2.1. und II.2.1.2.1.), ohne das DAANES-Gebiet unter Kontrolle der kurdischen Behörden bzw. Streitkräfte durchqueren zu müssen.
Selbst bei – hypothetischer – Annahme einer bestehenden Zugriffsmöglichkeit der kurdischen Behörden bzw. Streitkräfte auf die Herkunftsregion des Beschwerdeführers (s. die diesbezüglichen Ausführungen des Beschwerdeführers zur geografischen Nähe seines Herkunftsortes zum DAANES-Gebiet auf S. 2 der Stellungnahme vom 18.06.2025 und auf S. 6 des Verhandlungsprotokolls) ist darauf hinzuweisen, dass der im Jahr XXXX geborene Beschwerdeführer nach der im DAANES-Gebiet geltenden Rechtslage nicht zur Ableistung eines Wehrdienstes bei den kurdischen Streitkräften („Selbstverteidigungspflicht“ innerhalb der SDF) verpflichtet ist. Dies ergibt sich eindeutig aus den in das Verfahren eingeführten Länderberichten, nach welchen dieser Wehrdienst – nach wie vor – auf männliche syrische Staatsangehörige aus dem DAANES-Gebiet beschränkt ist, die im Jahr 1998 oder später geboren wurden und ihr 18. Lebensjahr bereits erreicht haben (Pkt. II.1.2.1. und 1.2.2.; vgl. dazu auch Pkt. II.1.2.3.). Aus den in das Verfahren eingeführten Länderberichten ergeben sich entgegen dem Vorbringen des Beschwerdeführers in der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht (s. S. 10 des Verhandlungsprotokolls; vgl. aber auch AS 83) keine – systematisch erfolgenden – Einberufungen und – systematisch erfolgenden – (zwangsweisen) Einziehungen von Personen durch kurdische Streitkräfte im DAANES-Gebiet bzw. in der Nähe des DAANES-Gebietes, welche, wie der Beschwerdeführer, die gesetzliche Altersgrenze zur Ableistung des Wehrdienstes bereits überschritten haben (s. hierzu zudem auch die sogleich unter Pkt. II.2.1.4.4.3. getroffenen Ausführungen).
Der Beschwerdeführer konnte nach Ansicht des Bundesverwaltungsgerichtes mit seinen im Verfahren getätigten Ausführungen entgegen den Ausführungen in der Stellungnahme vom 18.06.2025 auch keine eigene verinnerlichte oppositionelle Haltung gegenüber den kurdischen Behörden bzw. Streitkräften im DAANES-Gebiet glaubhaft machen: In der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht gab er dazu lediglich vage und allgemein gehalten an, dass er eine Rekrutierung zum Wehrdienst seitens der Kurden ablehnen würde, weil er keine Waffen tragen, nicht kämpfen und nicht zur Tötung anderer Menschen gezwungen werden wolle (s. S. 10 des Verhandlungsprotokolls). Mit diesem – nicht näher ausgeführten – Vorbringen vermochte der Beschwerdeführer für den erkennenden Richter nicht den Eindruck einer in seiner Person gelegenen, hinreichend verinnerlichten oppositionellen Haltung gegenüber den das DAANES-Gebiet kontrollierenden kurdischen Behörden und Streitkräften zu vermitteln, wofür im Verfahren auch ansonsten keine Hinweise hervorgekommen sind (s. dazu zudem auch die sogleich unter Pkt. II.2.1.4.4.3. getroffenen Ausführungen).
2.1.4.4.2. Zu der oben getroffenen Feststellung, wonach der Beschwerdeführer bei einer Rückkehr nach Syrien in seiner Herkunftsregion nicht der Gefahr von Gewalt seitens kurdischer Behörden bzw. Streitkräfte aufgrund seiner Volksgruppenzugehörigkeit ausgesetzt ist, ist abermals festzuhalten, dass die Herkunftsregion des Beschwerdeführers unter Kontrolle der SNA steht und er diese auch ohne Kontakt mit den kurdischen Behörden bzw. Streitkräften erreichen kann (s. bereits oben unter Pkt. II.2.1.4.4.1.). Zudem ist hierzu auszuführen, dass der Beschwerdeführer zu einer dahingehenden Gefährdung im Verfahren kein substantiiertes Vorbringen erstattete und sich aus den in das Verfahren eingeführten Länderberichten auch ansonsten keine konkreten Anhaltspunkte für eine derartige Gefährdung seiner Person ergeben. Vor diesem Hintergrund ist aus Sicht des Bundesverwaltungsgerichtes nicht davon auszugehen, dass der Beschwerdeführer in Syrien in seiner Herkunftsregion aufgrund seiner Volksgruppenzugehörigkeit Gewalt seitens kurdischer Behörden bzw. Streitkräfte ausgesetzt ist, womit die o.a. Feststellung getroffen werden konnte.
2.1.4.4.3. Die Feststellung, dass der Beschwerdeführer bei einer Rückkehr nach Syrien in seiner Herkunftsregion nicht der Gefahr physischer bzw. psychischer Gewalt seitens der kurdischen Streitkräfte aufgrund eines Versuchs der Verhinderung der Zwangsrekrutierung seines Bruders und einer daraufhin erfolgten Inhaftierung seiner Person bzw. aufgrund von Demonstrationsteilnahmen gegen den Wehrdienst der kurdischen Streitkräfte ausgesetzt ist, ergibt sich aus folgenden Überlegungen:
Der Beschwerdeführer gab in seiner Einvernahme vor der Behörde als Grund für seine Ausreise aus Syrien noch an, dass er im Jahr 2022 vor seiner Ausreise aus Syrien versucht habe, die Zwangsrekrutierung seines Bruders durch die kurdischen Streitkräfte zu verhindern, woraufhin er für einen Zeitraum von 35 Tagen inhaftiert und dann wieder freigelassen worden sei (s. AS 75 und 81); eine mögliche Bedrohung seitens der Kurden aufgrund von in Syrien erfolgten Demonstrationsteilnahmen erwähnte der Beschwerdeführer in seiner Einvernahme vor der Behörde (wie auch in seiner Erstbefragung) nicht (vgl. hierzu auch AS 84: „F: Sie werden nochmals auf das Neuerungsverbot im Beschwerdeverfahren aufmerksam gemacht. Ich frage Sie daher jetzt nochmals, ob Sie noch etwas Asylrelevantes angeben möchten, was Ihnen wichtig erscheint, ich jedoch nicht gefragt habe? A: Nein, ich habe alles erzählt. Ich habe keine weiteren Gründe mehr vorzubringen.“; s. dazu auch die Angaben des Beschwerdeführers auf S. 5 des Verhandlungsprotokolls, wonach ihm das Protokoll der Einvernahme vor der Behörde rückübersetzt worden sei und er den dortigen Dolmetscher verstanden habe). Demgegenüber führte der Beschwerdeführer in seiner Beschwerde erstmals aus, dass er zu Beginn des Jahres 2021 an Demonstrationen gegen die „Selbstverteidigungspflicht“ der kurdischen Streitkräfte teilgenommen habe, woraufhin er mit seinem Bruder inhaftiert worden, nach Bezahlung eines Bestechungsgeldes wieder freigekommen und in der Folge im Juni 2021 aus Syrien ausgereist sei (AS 502); dass diese Inhaftierung des Beschwerdeführers aufgrund des Versuchs einer Verhinderung einer gegenüber seinem Bruder vorgenommenen Zwangsrekrutierung erfolgt sei, führte der Beschwerdeführer in seiner Beschwerde nicht an. Es wird dazu seitens des Bundesverwaltungsgerichtes zwar nicht übersehen, dass der Beschwerdeführer in der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht nach entsprechenden Vorhalten und Fragen durch den erkennenden Richter die aufgezeigten Widersprüche bzw. Ungereimtheiten / die aufgezeigte Steigerung in seinen Ausführungen zu korrigieren bzw. aufzuklären versuchte (vgl. S. 6 und 8 des Verhandlungsprotokolls: „R: Wann genau und mit wem haben Sie Syrien verlassen? BF: Ich habe Syrien am 01.06.2022 alleine verlassen und begab mich in die Türkei. R: Ich frage Sie das vor dem Hintergrund, dass in Ihrer Beschwerde festgehalten ist, dass Sie Syrien im Juni 2021 verlassen hätten. BF: Ich glaube, das ist ein Tippfehler. Ich habe Syrien am 01.06.2022 verlassen […] R: In der Einvernahme vor dem BFA gaben Sie an, die Kurden wären zu Ihnen nach Hause gekommen, um Ihren Bruder zu rekrutieren und hätten dann auch Sie festgenommen [AS 75]. In Ihrer Beschwerde bringen Sie vor, 2021 an Demonstrationen gegen den kurdischen Selbstverteidigungsdienst teilgenommen und daraufhin verhaftet worden zu sein. Geht es dabei um zwei verschiedene Verhaftungen seitens der Kurden oder meinen Sie damit ein und dieselbe? BF: Ich wurde nur einmal verhaftet, das war im Januar oder Februar 2022, nicht im Jahr 2021. […] R: Warum wären Sie vor den Kurden aus diesem Grund in Gefahr? BF: Ich habe nach wie vor Probleme mit den Kurden. Nicht nur habe ich damals an Demonstrationen gegen die Kurden teilgenommen. Ich habe auch meinen Bruder gehindert, sich ihnen anzuschließen, als sie ihn rekrutieren wollten. Auch ich habe es abgelehnt, mich ihnen anzuschließen. Mein Bruder und ich kamen beide ins Gefängnis und es gelang uns nur durch die Bezahlung von Bestechungsgeld, wieder freizukommen.“). Diese Ausführungen sind nach Ansicht des Bundesverwaltungsgerichtes jedoch als Schutzbehauptungen zu beurteilen, die an den aufgezeigten zeitlichen und inhaltlichen Widersprüchen bzw. Ungereimtheiten / der aufgezeigten Steigerung in seinen Angaben, die als Indiz für ein insgesamt dahingehend nicht glaubhaftes Vorbringen zu werten sind, nichts zu ändern vermögen.
Weiters gab der Beschwerdeführer in der mündlichen Verhandlung zum Zeitpunkt seiner Verhaftung durch die Kurden zunächst noch an, im Jänner oder Februar 2022 verhaftet worden zu sein (s. S. 7 des Verhandlungsprotokolls), wohingegen er im Widerspruch dazu unmittelbar danach ausführte, im April oder Mai 2022 verhaftet worden zu sein (vgl. S. 8 des Verhandlungsprotokolls). Zudem führte der Beschwerdeführer in der mündlichen Verhandlung auch aus, nach seiner Freilassung aus dem Gefängnis lediglich ca. fünf Tage in Syrien aufhältig gewesen und danach ausgereist zu sein (S. 9 des Verhandlungsprotokolls), was im Hinblick auf das von ihm angeführte Ausreisedatum („01.06.2022“ – s. S. 6 des Verhandlungsprotokolls) mit den angeführten Zeitpunkten seiner Freilassung teilweise (konkret jedenfalls betreffend die Monate Jänner, Februar und April 2022) nicht in Einklang zu bringen ist. Aus Sicht des Bundesverwaltungsgerichtes sind auch diese zeitlichen Ungereimtheiten in seinen Angaben als Indiz für die insgesamt nicht vorliegende Glaubhaftigkeit seiner dahingehenden Angaben zu werten (vgl. dazu auch die am Ende der Verhandlung seitens der Dolmetscherin gegenüber dem Beschwerdeführer erfolgte Rückübersetzung des Verhandlungsprotokolls und vorgenommene Durchsicht des Verhandlungsprotokolls durch seine Rechtsvertreterin, nach welchen jeweils keine Einwendungen erhoben wurden – S. 12 des Verhandlungsprotokolls).
Es wird seitens des Bundesverwaltungsgerichtes zwar nicht übersehen, dass der Beschwerdeführer in der in der mündlichen Verhandlung erfolgten Befragung relativ ausführliche Angaben zu den von ihm behaupteten Vorfällen geben konnte (s. S. 7 ff. des Verhandlungsprotokolls). Das Bundesverwaltungsgericht geht aufgrund der aufgezeigten Widersprüche bzw. Ungereimtheiten / Steigerung in seinen Angaben jedoch davon aus, dass das Vorbringen des Beschwerdeführers betreffend einen Versuch der Verhinderung einer Zwangsrekrutierung seines Bruders und einer daraufhin erfolgten Inhaftierung seiner Person und betreffend Demonstrationsteilnahmen gegen den Wehrdienst der kurdischen Streitkräfte – unabhängig von der Frage der bestehenden Zugriffsmöglichkeiten der kurdischen Streitkräfte auf die Herkunftsregion des Beschwerdeführers – nicht glaubhaft ist.
2.2. Zu den Feststellungen zur Situation im Herkunftsstaat (Pkt. II.1.2.):
Die Feststellungen zur maßgeblichen Situation im Herkunftsstaat des Beschwerdeführers stützen sich auf die zitierten Länderberichte. Da diese Länderberichte auf einer Vielzahl verschiedener, voneinander unabhängiger Quellen von regierungsoffiziellen und nicht-regierungsoffiziellen Stellen beruhen und dennoch ein in den Kernaussagen übereinstimmendes Gesamtbild ohne wesentliche Widersprüche darbieten, besteht im vorliegenden Verfahren für das Bundesverwaltungsgericht kein Anlass, an der Richtigkeit der getroffenen Feststellungen zu zweifeln. Insoweit diesen Feststellungen Länderberichte älteren Datums zugrunde liegen, ist auszuführen, dass sich seither die darin angeführten Umstände unter Berücksichtigung der dem Bundesverwaltungsgericht von Amts wegen vorliegenden Länderberichte aktuelleren Datums für die Beurteilung im vorliegenden Verfahren nicht entscheidungswesentlich geändert haben.
Mit Schreiben vom 12.05.2025 führte das Bundesverwaltungsgericht das unter Pkt. II.1.2.1. auszugsweise wiedergegebene aktuelle Länderinformationsblatt der Staatendokumentation zu Syrien vom 08.05.2025 (Version 12) in das Verfahren ein. Mit der Ladung zur zunächst für den 19.12.2024 anberaumten mündlichen Verhandlung (Schreiben des Bundesverwaltungsgerichtes vom 14.11.2024) wurde das unter Pkt. II.1.2.2. auszugsweise wiedergegebene Länderinformationsblatt der Staatendokumentation zu Syrien vom 27.03.2024 (Version 11) in das Verfahren eingeführt. Mit Schreiben vom 03.06.2025 führte das Bundesverwaltungsgericht die unter Pkt. II.1.2.3. teilweise angeführte Anfragebeantwortung von ACCORD vom 21.03.2025 zur Rekrutierungspraxis der Übergangsregierung und zur Rekrutierungen durch bewaffnete Gruppen [a-12592-v2] in das Verfahren ein. Der Beschwerdeführer nahm mit Schreiben vom 18.06.2025 zu den in das Verfahren eingeführten Länderberichten Stellung, womit er diesen, nach Ansicht des Bundesverwaltungsgerichtes unbedenklichen Länderberichten, nicht substantiiert entgegentrat.
3. Rechtliche Beurteilung:
Gemäß § 7 Abs. 1 Z 1 BFA-VG, BGBl. I Nr. 87/2012 idF BGBl. I Nr. 134/2024, (in der Folge: BFA-VG) entscheidet das Bundesverwaltungsgericht über Beschwerden gegen Entscheidungen (Bescheide) des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl.
Gemäß § 6 BVwGG, BGBl. I Nr. 10/2013 idF BGBl. I Nr. 77/2023, entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist. Da weder im BFA-VG noch im AsylG 2005, BGBl. I Nr. 100/2005 idF BGBl. I Nr. 17/2025, (in der Folge: AsylG 2005) eine Senatsentscheidung vorgesehen ist, ist in der vorliegenden Rechtsache durch einen Einzelrichter zu entscheiden.
Zu A) Abweisung der – zulässigen – Beschwerde:
3.1. Gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 ist einem Fremden, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, soweit dieser Antrag nicht bereits gemäß den §§ 4, 4a oder 5 leg.cit. zurückzuweisen ist, der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft ist, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung iSd Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK droht (vgl. auch die Verfolgungsdefinition in § 2 Abs. 1 Z 11 AsylG 2005, die auf Art. 9 der Statusrichtlinie verweist). Flüchtling iSd Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK ist, wer sich aus der begründeten Furcht vor Verfolgung wegen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Überzeugung außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen; oder wer staatenlos ist, sich außerhalb des Landes seines gewöhnlichen Aufenthaltes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, in dieses Land zurückzukehren.
Zentraler Aspekt des Flüchtlingsbegriffs ist die wohlbegründete Furcht vor Verfolgung. Eine wohlbegründete Furcht vor Verfolgung liegt dann vor, wenn sie im Lichte der speziellen Situation des Asylwerbers unter Berücksichtigung der Verhältnisse im Verfolgerstaat objektiv nachvollziehbar ist. Es kommt nicht darauf an, ob sich eine bestimmte Person in einer konkreten Situation tatsächlich fürchtet, sondern ob sich eine mit Vernunft begabte Person in dieser Situation aus Konventionsgründen fürchten würde (vgl. VwGH 05.09.2016, Ra 2016/19/0074 u.v.a.). Verlangt wird eine „Verfolgungsgefahr“, wobei unter Verfolgung ein Eingriff von erheblicher Intensität in die vom Staat zu schützende Sphäre des Einzelnen zu verstehen ist, welcher geeignet ist, die Unzumutbarkeit der Inanspruchnahme des Schutzes des Heimatstaates bzw. der Rückkehr in das Land des vorigen Aufenthaltes zu begründen. Die Verfolgungsgefahr muss ihre Ursache in den in der GFK genannten Gründen haben und muss ihrerseits Ursache dafür sein, dass sich die betreffende Person außerhalb ihres Heimatlandes bzw. des Landes ihres vorigen Aufenthaltes befindet. Die Verfolgungsgefahr muss dem Heimatstaat bzw. dem Staat des letzten gewöhnlichen Aufenthaltes zurechenbar sein. Zurechenbarkeit bedeutet nicht nur ein Verursachen, sondern bezeichnet eine Verantwortlichkeit in Bezug auf die bestehende Verfolgungsgefahr (vgl. VwGH 10.06.1998, 96/20/0287). Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes kommt einer von Privatpersonen bzw. privaten Gruppierungen ausgehenden, auf einem Konventionsgrund beruhenden Verfolgung Asylrelevanz zu, wenn der Staat nicht gewillt oder nicht in der Lage ist, diese Verfolgungshandlungen hintan zu halten (VwGH 24.02.2015, Ra 2014/18/0063); auch eine auf keinem Konventionsgrund beruhende Verfolgung durch Private hat aber asylrelevanten Charakter, wenn der Heimatstaat des Betroffenen aus den in Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK genannten Gründen nicht bereit ist, Schutz zu gewähren (vgl. VwGH 28.01.2015, Ra 2014/18/0112 mwN). Eine von dritter Seite ausgehende Verfolgung kann nur dann zur Asylgewährung führen, wenn sie von staatlichen Stellen infolge nicht ausreichenden Funktionierens der Staatsgewalt nicht abgewandt werden kann (vgl. VwGH 22.03.2000, 99/01/0256 mwN). Die Voraussetzung der „wohlbegründeten Furcht“ vor Verfolgung wird in der Regel aber nur erfüllt, wenn zwischen den Umständen, die als Grund für die Ausreise angegeben werden, und der Ausreise selbst ein zeitlicher Zusammenhang besteht (vgl. VwGH 17.03.2009, 2007/19/0459). Relevant kann nur eine aktuelle Verfolgungsgefahr sein; sie muss bei Bescheiderlassung vorliegen, auf diesen Zeitpunkt hat die der Asylentscheidung immanente Prognose abzustellen, ob der Asylwerber mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit Verfolgung aus den in Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK genannten Gründen zu befürchten habe (vgl. u.a. VwGH 29.02.2024, Ra 2023/18/0298; 20.06.2007, 2006/19/0265 mwN).
3.2. Vor diesem Hintergrund ist für das vorliegende Verfahren Folgendes auszuführen:
Wie bereits in der Beweiswürdigung dargestellt, ist der Beschwerdeführer bei einer Rückkehr nach Syrien dort keiner Gefahr einer Verfolgung seitens des (nunmehr gestürzten) Assad-Regimes ausgesetzt (vgl. dazu oben unter Pkt. II.2.1.4.1.). Weiters droht dem Beschwerdeführer bei einer Rückkehr nach Syrien dort nicht mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit die Gefahr, seitens der neuen syrischen Regierung zur Ableistung eines Wehrdienstes einberufen und (zwangsweise) eingezogen zu werden bzw. physischer oder psychischer Gewalt ausgesetzt zu sein (Pkt. II.2.1.4.2.). Zudem droht dem Beschwerdeführer bei einer Rückkehr nach Syrien in seiner Herkunftsregion nicht mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit die Gefahr, seitens der SNA zu einem Wehrdienst einberufen und (zwangsweise) eingezogen zu werden bzw. durch diese physische bzw. psychische Gewalt zu erfahren (Pkt. II.2.1.4.3.). Schließlich würde dem Beschwerdeführer bei einer Rückkehr in Syrien nicht mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit Verfolgung seitens der das DAANES-Gebiet kontrollierenden kurdischen Behörden bzw. Streitkräfte drohen (s. Pkt. II.2.1.4.4.). Das vom Beschwerdeführer dazu getätigte Vorbringen ist nicht glaubhaft und steht mit den oben getroffenen Länderfeststellungen nicht im Einklang. Dem Beschwerdeführer ist es somit entgegen den Ausführungen in der Beschwerde und in seiner Stellungnahme nicht gelungen, mit seinem dahingehenden Vorbringen eine konkret und gezielt gegen seine Person gerichtete aktuelle Verfolgung maßgeblicher Intensität, welche ihre Ursache in einem der in der GFK genannten Gründe hätte, glaubhaft zu machen. Sohin kann nicht erkannt werden, dass dem Beschwerdeführer aus diesen von ihm ins Treffen geführten Gründen im Herkunftsstaat eine asylrelevante Verfolgung droht.
Soweit der Beschwerdeführer in seiner Beschwerde u.a. auf die UNHCR-Erwägungen zu Syrien von März 2021 (nunmehr ersetzt durch die UNHCR-Position zur Rückkehr nach Syrien vom 16.12.2024) und die EUAA-Country Guidance von Februar 2023 (s. dazu die aktuellen EUAA-Berichte zu Syrien: EUAA-Country Guidances von April und Juni 2025 sowie EUAA-Country Focus von Juli 2025) Bezug nimmt, ist seitens des Bundesverwaltungsgerichtes darauf hinzuweisen, dass die Erfüllung eines derartigen Risikoprofils noch nicht per se zum Vorliegen einer asylrelevanten Verfolgung im Herkunftsstaat führt, zumal in jedem konkreten Verfahren diesbezüglich eine Einzelfallprüfung vorzunehmen ist (vgl. dazu etwa VwGH 29.02.2024, Ra 2024/18/0043). Wie oben im Detail ausgeführt, ist es dem Beschwerdeführer im vorliegenden Verfahren nicht gelungen, eine individuelle Verfolgung seiner Person aus in der GFK genannten Gründen glaubhaft zu machen, woran die Erfüllung bestimmter Risikoprofile durch seine Person nichts zu ändern vermag (vgl. zur Notwendigkeit der besonderen Beachtung von UNHCR-Richtlinien z.B. VwGH 11.02.2021, Ra 2021/20/0026; 27.05.2019, Ra 2019/14/0153; 13.12.2018, Ra 2018/18/0533; 10.12.2014, Ra 2014/18/0103, sowie VfGH 24.09.2018, E 761/2018; s. dazu auch Art. 10 Abs. 3 lit. b) der Verfahrens-Richtlinie 2013/32/EU).
3.3. Die Beschwerde gegen Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides ist daher gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG iVm § 3 Abs. 1 AsylG 2005 abzuweisen.
Zu B) Unzulässigkeit der Revision:
Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer solchen Rechtsprechung; des Weiteren ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Das Bundesverwaltungsgericht konnte sich bei allen erheblichen Rechtsfragen auf eine ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes bzw. auf eine ohnehin klare Rechtslage stützen. Die maßgebliche Rechtsprechung wurde bei den Erwägungen zu den einzelnen Spruchpunkten zu Spruchteil A) wiedergegeben. Insoweit die in der rechtlichen Beurteilung angeführte Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes zu früheren Rechtslagen ergangen ist, ist diese nach Ansicht des Bundesverwaltungsgerichtes auf die inhaltlich meist völlig gleichlautenden Bestimmungen der nunmehr geltenden Rechtslage unverändert übertragbar.
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