Rückverweise
W246 2288993-1/11E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Dr. Heinz VERDINO über die Beschwerde des minderjährigen XXXX , geb. XXXX , StA. Syrien, gesetzlich vertreten durch den Magistrat der Stadt XXXX , gegen Spruchpunkt I. des Bescheides des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 16.02.2024, Zl. 1329855803/223307230, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung zu Recht:
A) Die Beschwerde wird gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG iVm § 3 Abs. 1 AsylG 2005 als unbegründet abgewiesen.
B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Entscheidungsgründe:
I. Verfahrensgang:
1. Der unbegleitete minderjährige Beschwerdeführer reiste illegal nach Österreich ein und stellte am 19.10.2022 den gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz.
2. Am 19.10.2022 fand vor einem Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes die niederschriftliche Erstbefragung des Beschwerdeführers statt. Dabei gab er an, dass er Syrien aufgrund des Krieges verlassen habe. Bei einer Rückkehr nach Syrien befürchte er, dort umgebracht zu werden.
3. Am 12.01.2024 erfolgte die niederschriftliche Einvernahme des Beschwerdeführers vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (in der Folge: die Behörde) in Anwesenheit seines gesetzlichen Vertreters.
Dabei führte er zunächst an, dass er in Syrien im Ort XXXX im Gouvernement XXXX aufgewachsen sei, wo er bis zu seiner gemeinsam mit seiner Familie erfolgten Ausreise aus Syrien im Jahr 2018 gelebt habe. Zu seinen Ausreisegründen aus Syrien gab der Beschwerdeführer an, dass er Syrien mit seiner Familie, konkret mit seiner Mutter und seinen zwei Schwestern, wegen des Krieges verlassen habe, in dem sein Vater ums Leben gekommen sei. Im Fall einer Rückkehr nach Syrien befürchte der Beschwerdeführer, dort vom syrischen Regime getötet zu werden. Der gesetzliche Vertreter des Beschwerdeführers führte am Ende der Einvernahme aus, die Mutter des Beschwerdeführers habe in einem mit ihr geführten Telefonat u.a. angegeben, dass der Vater des Beschwerdeführers in Syrien im Jahr 2012 bei einem Checkpoint vom syrischen Regime kontrolliert und verhaftet worden sei und dass die Familie seitdem nichts mehr von ihm gehört habe.
Der Beschwerdeführer legte in seiner Einvernahme u.a. einen syrischen Reisepass, eine Geburtsurkunde und einen Auszug aus dem syrischen Personenstandsregister jeweils betreffend seine Person vor.
4. Die Behörde wies den Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz mit dem im Spruch genannten Bescheid bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten in Spruchpunkt I. gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 ab. Gleichzeitig erkannte die Behörde ihm gemäß § 8 Abs. 1 leg.cit. den Status des subsidiär Schutzberechtigten zu (Spruchpunkt II.) und erteilte ihm gemäß § 8 Abs. 4 leg.cit. eine befristete Aufenthaltsberechtigung für die Dauer eines Jahres (Spruchpunkt III.).
Dabei hielt die Behörde zur mit Spruchpunkt I. des Bescheides erfolgten Abweisung des Antrags auf Zuerkennung des Status des Asylberechtigten fest, dass der Beschwerdeführer Syrien bereits im Alter von ca. sieben Jahren verlassen habe, womit eine ihm seitens des syrischen Regimes unterstellte oppositionelle Gesinnung aufgrund einer vor seiner Ausreise erfolgten Wehrdienstverweigerung gar nicht denkbar sei. Zudem habe der Beschwerdeführer im Verfahren nicht vorgebracht, dass seine Familienangehörigen in Syrien politisch exponiert gewesen seien und jemals Probleme mit dem syrischen Regime oder oppositionellen Gruppen gehabt hätten. Schließlich seien auch keine für den Beschwerdeführer bestehende Gefahren in Syrien aufgrund seiner ethnischen und religiösen Zugehörigkeit erkennbar, zumal er als Araber der Mehrheitsbevölkerung zuzuordnen sei. Der Beschwerdeführer habe somit keine Fluchtgründe iSd GFK glaubhaft machen können, weshalb sein Antrag insoweit abzuweisen sei.
5. Der Beschwerdeführer erhob gegen Spruchpunkt I. dieses Bescheides im Wege seines gesetzlichen Vertreters fristgerecht Beschwerde, in der er den im Bescheid getroffenen Ausführungen entgegentrat und die Durchführung einer mündlichen Verhandlung beantragte. Mit der Beschwerde brachte der Beschwerdeführer die UNHCR-Erwägungen zu Syrien von März 2021 und einen Online-Artikel der Homepage www.orf.at zu Rückkehrern in Syrien in Vorlage.
6. Die Behörde legte dem Bundesverwaltungsgericht mit Schreiben vom 22.03.2024 die Beschwerde samt dem erstinstanzlichen Verwaltungsakt vor.
7. Mit Schreiben vom 26.03.2025 beraumte das Bundesverwaltungsgericht eine öffentliche mündliche Verhandlung für den 15.04.2025 an.
8. Das Bundesverwaltungsgericht führte mit Schreiben vom 07.04.2025 die Anfragebeantwortung von ACCORD zur Zwangsrekrutierung Minderjähriger (Konzentration auf 14-16-jährige, regionale Unterschiede) [a-11806] vom 31.01.2022, die Anfragebeantwortung von ACCORD zur Rekrutierungspraxis der Übergangsregierung und zu Rekrutierungen durch andere bewaffnete Gruppen [a-12592] vom 17.03.2025, die Anfragebeantwortung von ACCORD zur Rekrutierungspraxis der Übergangsregierung und zu Rekrutierungen durch andere bewaffnete Gruppen [a-12592-v2] vom 21.03.2025, die Informationssammlung von ACCORD zu Entwicklungen rund um den Sturz von Präsident Assad (Stand 11.03.2025), die Kurzinformationen der Staatendokumentation vom 03.12. und 10.12.2024 zur Sicherheitslage in Syrien, das UNHCR-Statement zur Aussetzung von Asylanträgen von Syrerinnen und Syrern, das UNHCR-Regional-Flash-Update zu Syrien Nr. 18, die EUAA-Country Focus zu Syrien von März 2025 sowie den FFM-Report des Danish Immigration Service, Centre for Documentation and Counter Extremism, zu Military recruitment in North and East Syria von Juni 2014 in das Verfahren ein und gab den Parteien Gelegenheit, dazu bis zur oder spätestens in der mündlichen Verhandlung Stellung zu nehmen.
9. Am 15.04.2025 führte das Bundesverwaltungsgericht in Anwesenheit des gesetzlichen Vertreters des Beschwerdeführers eine öffentliche mündliche Verhandlung durch, in der er im Beisein einer Dolmetscherin für die Sprache Arabisch ausführlich zu seinen Ausreisegründen aus und seinen Rückkehrbefürchtungen in Syrien befragt wurde. Das Bundesverwaltungsgericht führte in der Verhandlung das Länderinformationsblatt der Staatendokumentation vom 27.03.2024 (Version 11) und sämtliche UNHCR-Regional-Flash-Updates zu Syrien nach dem Sturz des syrischen Regimes in das Verfahren ein (s. S. 8 des Verhandlungsprotokolls).
10. Mit Schreiben vom 15.04.2025 übermittelte das Bundesverwaltungsgericht der Behörde das Verhandlungsprotokoll vom 15.04.2025.
11. Mit Schreiben vom 12.05.2025 führte das Bundesverwaltungsgericht das aktuelle Länderinformationsblatt der Staatendokumentation zu Syrien vom 08.05.2025 (Version 12) in das Verfahren ein und gab den Parteien Gelegenheit, dazu innerhalb von zwei Wochen Stellung zu nehmen. Weiters hielt das Bundesverwaltungsgericht fest, dass die Durchführung einer mündlichen Verhandlung zur Erörterung dieses Länderinformationsblatts innerhalb der angeführten Frist zu beantragen sei, wenn dies als notwendig erachtet würde.
12. Der Beschwerdeführer gab mit Schreiben vom 13.05.2025 im Wege seines gesetzlichen Vertreters bekannt, dass auf die Abgabe einer diesbezüglichen Stellungnahme verzichtet werde.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen:
1.1. Zu der Person des Beschwerdeführers, seinen persönlichen Umständen in Syrien und in der Türkei, seiner Ausreise aus Syrien und seiner Einreise nach Österreich sowie seinen Fluchtgründen:
1.1.1. Der minderjährige Beschwerdeführer ist am XXXX geboren und somit aktuell XXXX Jahre und XXXX Monate alt. Er ist Staatsangehöriger von Syrien, Angehöriger der Volksgruppe der Araber und Muslim.
1.1.2. Der Beschwerdeführer ist im Ort XXXX im Gouvernement XXXX geboren und zunächst aufgewachsen, wo er ca. ein bis zwei Jahre die Schule besucht hat und bis zu seiner Ausreise aus Syrien durchgehend aufhältig war. Im Alter von ca. sechs Jahren verließ der Beschwerdeführer Syrien gemeinsam mit seinen Familienangehörigen und gelangte in die Türkei, wo er ca. vier Jahre die Schule besuchte. Der Ort XXXX liegt im von der neuen syrischen Regierung kontrollierten Gebiet.
Die Mutter und die zwei Schwestern des Beschwerdeführers leben aktuell in der Türkei, der Beschwerdeführer steht mit diesen Familienangehörigen in regelmäßigem Kontakt. Die Mutter des Beschwerdeführers steht mit der in Syrien aufhältigen Tante des Beschwerdeführers in Kontakt. Der Vater des Beschwerdeführers ist bereits seit längerer Zeit verschollen.
1.1.3. Der Beschwerdeführer reiste im Alter von ca. sechs Jahren gemeinsam mit seiner Mutter und seinen zwei Schwestern aus Syrien aus und gelangte in die Türkei, wo er bis zu seiner Weiterreise nach Österreich im Jahr 2022 durchgehend aufhältig war. Der Beschwerdeführer reiste im Oktober 2022 nach Österreich ein.
1.1.4. Er ist bei einer Rückkehr nach Syrien nicht der Gefahr ausgesetzt, vom (nunmehr gestürzten) Assad-Regime zu einem Grundwehrdienst einberufen und (zwangsweise) eingezogen zu werden bzw. aufgrund der Zugehörigkeit zu seiner Familie physische bzw. psychische Gewalt von diesem zu erfahren.
Der Beschwerdeführer ist bei einer Rückkehr nach Syrien nicht der Gefahr ausgesetzt, seitens der neuen syrischen Regierung bzw. mit dieser in Verbindung stehenden Gruppierungen zur Ableistung eines Wehrdienstes einberufen und (zwangsweise) eingezogen zu werden; er hat keine eigene verinnerlichte oppositionelle Haltung gegenüber der neuen syrischen Regierung. Der Beschwerdeführer ist bei einer Rückkehr nach Syrien nicht der Gefahr physischer bzw. psychischer Gewalt seitens der neuen syrischen Regierung ausgesetzt.
Schließlich ist der Beschwerdeführer bei einer Rückkehr nach Syrien nicht der Gefahr ausgesetzt, zum Wehrdienst bei den kurdischen Streitkräften („Selbstverteidigungspflicht“ innerhalb der SDF) einberufen und (zwangsweise) eingezogen zu werden. Der im Jahr XXXX geborene Beschwerdeführer ist im DAANES-Gebiet nicht zur Ableistung eines Wehrdienstes bei den kurdischen Streitkräften verpflichtet.
1.2. Zur maßgeblichen Situation in Syrien:
1.2.1. Auszug aus dem Länderinformationsblatt der Staatendokumentation vom 08.05.2025 (Version 12):
Politische Lage - Entwicklungen seit dem Sturz des Assad-Regimes (seit 8.12.2024)
Am 8.12.2024 erklärten die Oppositionskräfte in Syrien die 24-jährige Herrschaft von Präsident Bashar al-Assad für beendet. Zuvor waren Kämpfer in die Hauptstadt eingedrungen, nachdem Oppositionsgruppierungen am 27.11.2024 eine Offensive gegen das Regime gestartet und innerhalb weniger Tage die Städte Aleppo, Hama und große Teile des Südens eingenommen hatten. Al-Assad war aus Damaskus geflohen (AJ 8.12.2024). Ihm und seiner Familie wurde Asyl in Russland gewährt (VB Moskau 10.12.2024). Er hatte das Land seit 2000 regiert, nachdem er die Macht von seinem Vater Hafez al-Assad übernommen hatte, der zuvor 29 Jahre regiert hatte (BBC 8.12.2024a). Er kam mit der Baath-Partei an die Macht, die in Syrien seit den 1960er-Jahren Regierungspartei war (NTV 9.12.2024). Bashar al-Assad hatte friedliche Proteste gegen sein Regime im Jahr 2011 gewaltsam unterdrückt, was zu einem Bürgerkrieg führte. Mehr als eine halbe Million Menschen wurden getötet, sechs Millionen weitere wurden zu Flüchtlingen (BBC 8.12.2024a). Die Offensive gegen al-Assad wurde von der Hay'at Tahrir ash-Sham (HTS) angeführt (BBC 9.12.2024). Die HTS wurde ursprünglich 2012 unter dem Namen Jabhat an-Nusra (an-Nusra Front) gegründet, änderte ihren Namen aber 2016 nach dem Abbruch der Verbindungen zur al-Qaida in Hay'at Tahrir ash-Sham. Sie festigte ihre Macht in den Provinzen Idlib und Aleppo, wo sie ihre Rivalen, darunter Zellen von al-Qaida und des Islamischen Staates (IS), zerschlug. Sie setzte die sogenannte Syrische Heilsregierung (Syrian Salvation Government - SSG) ein, um das Gebiet nach islamischem Recht zu verwalten (BBC 9.12.2024). Die HTS wurde durch die von der Türkei unterstützte Syrische Nationale Armee (Syrian National Army - SNA), lokale Kämpfer im Süden und andere Gruppierungen unterstützt (Al-Monitor 8.12.2024). Auch andere Rebellengruppierungen erhoben sich (BBC 8.12.2024b), etwa solche im Norden, Kurdenmilizen im Nordosten, sowie Zellen der Terrormiliz IS (Tagesschau 8.12.2024). Im Süden trugen verschiedene bewaffnete Gruppierungen dazu bei, die Regierungstruppen aus dem Gebiet zu vertreiben. Lokale Milizen nahmen den größten Teil der Provinz Dara'a sowie die überwiegend drusische Provinz Suweida ein (Al-Monitor 8.12.2024). Die Abteilung für Militärische Operationen (Department for Military Operations - DMO) dem auch die HTS angehört, kontrollierte mit Stand 11.12.2024 70 % des syrischen Territoriums (Arabiya 11.12.2024).
In der ersten Woche nach der Flucht al-Assads aus dem Land gelang es Syrien, ein vollständiges Chaos, zivile Gewalt und den Zusammenbruch des Staates abzuwenden (MEI 19.12.2024). Ehemalige Regimeoffiziere sollen viele Regierungsgebäude niedergebrannt haben, um Beweise für ihre Verbrechen zu verstecken, nachdem sie nach dem Sturz des Regimes von Präsident Bashar al-Assad aus dem Innenministerium geflohen waren (Araby 16.12.2024). Die neuen de-facto-Führer Syriens bemühten sich um Sicherheit, Stabilität und Kontinuität. Obwohl es Berichte über Plünderungen in der Zentralbank und über Menschen gab, die den persönlichen Wohnsitz al-Assads und die Botschaft des Iran, seines Hauptunterstützers, durchwühlten, standen am 9.12.2024 Rebellenkämpfer vor Regierungsgebäuden in der gesamten Hauptstadt Wache. Die neuen Behörden verbreiteten auch Bilder von Sicherheitspersonal, das durch die Straßen von Damaskus patrouillierte, in den sozialen Medien (NYT 12.12.2024).
Der HTS-Anführer Mohammed al-Joulani, der mittlerweile anstelle seines Kampfnamens seinen bürgerlichen Namen Ahmad ash-Shara' verwendet (Nashra 8.12.2024), traf sich am 9.12.2024 mit dem ehemaligen Ministerpräsidenten und Vizepräsidenten von al-Assad, um die Modalitäten für eine Machtübergabe zu besprechen (DW 10.12.2024). Bis zu ihrer Übergabe blieben die staatlichen Einrichtungen Syriens unter seiner Aufsicht (REU 8.12.2024). Die Macht des Assad-Regimes wurde auf ein Übergangsgremium übertragen, das vom Premierminister der SSG, Mohammed al-Bashir, geleitet wurde (MEI 9.12.2024). Al-Bashir kündigte am ersten Tag seiner Ernennung an, dass die Prioritäten seiner Regierung folgende seien: Gewährleistung von Sicherheit, Bereitstellung von Dienstleistungen und Aufrechterhaltung der staatlichen Institutionen. (AJ 27.1.2025a). Am 29.1.2025 wurde de-facto-Herrscher Ahmed ash-Shara' zum Übergangspräsidenten ernannt (Standard 29.1.2025).
Die Regierung hat keinen Zeitplan für die Durchführung von Wahlen festgelegt. Ash-Shara' stellte am 16.12.2024 fest, dass Syrien nicht bereit für Wahlen sei. Die Amtszeit der Übergangsregierung wurde bis März 2025 festgesetzt (ISW 16.12.2024). Am 29.3.2025 ernannte der Präsident die neue syrische Regierung. Diese besteht aus Technokraten, ethnischen Minderheiten und mehreren engen Vertrauten ash-Shara's. Fast die Hälfte der Ernannten steht in keiner Verbindung zur HTS. Unter den Ernannten ist eine Frau, ein Angehöriger der drusischen Minderheit, ein Kurde und ein Alawit (FT 30.3.2025). Das einzige weibliche Kabinettsmitglied ist katholische Christin (VN 1.4.2025). Keiner davon erhielt ein wichtiges Ressort. Syrien-Experte Fabrice Balanche erklärte, dass wichtige Ressorts an „ehemalige Mitstreiter vergeben wurden, die bereits Teil der Syrischen Heilsregierung in der Provinz Idlib“ im Nordwesten Syriens waren (AlMon 30.3.2025). Der Verteidigungsminister und der Außenminister der Übergangsregierung behielten ihre Ämter. Innenminister Khattab war zuvor Leiter des Geheimdienstes (Independent 29.3.2025). Auch Außenminister ash-Shaibani behielt sein Amt (AlMon 30.3.2025). Mehrere der neuen Minister waren unter dem Assad-Regime tätig. Zu den ehemaligen Assad-Beamten gehören Yarab Badr, der neue Verkehrsminister, und Nidal ash-Sha'r, der zum Wirtschaftsminister ernannt wurde (NYT 30.3.2025). Die Mitglieder sind für fünf Jahre bestellt (FT 30.3.2025). Das Kabinett hat keinen Premierminister, da gemäß der vorläufigen Verfassung die Regierung einen Generalsekretär haben wird (Independent 29.3.2025). Ein neues Gremium, das Ende März per Dekret bekannt gegeben wurde, das Generalsekretariat für politische Angelegenheiten, gewährte ash-Shara's Stellvertreter, Außenminister ash-Shaibani, weitreichende Befugnisse über die Führung von Ministerien und Regierungsbehörden – ähnlich der Rolle eines Premierministers (FT 30.3.2025).
Die Kurden im Nordosten Syriens stellen sich gegen die neu vorgestellte syrische Regierung. Das Kabinett spiegele nicht die Vielfalt des Landes wider, teilte die Demokratische Autonome Verwaltung Nord- und Ostsyriens (DAANES) mit. Man sehe sich daher nicht an die Entscheidungen der neuen Regierung gebunden (Zeit Online 30.3.2025; vgl. Standard 30.3.2025; K24 30.3.2025). Obwohl der neuen Regierung mit Bildungsminister Mohammad Turko ein Kurde angehört, sind keine Vertreter der DAANES ins neue Kabinett berufen worden (MEE 30.3.2025). Einige Kritiker weisen auf die Diskrepanz zwischen ash-Shara's Rhetorik bei Treffen mit internationalen Vertretern und dem vermeintlichen Fehlen eines integrativen Diskurses mit einheimischen Akteuren hin (Etana 10.1.2025). In den ersten fünfzig Tagen der neuen Regierung wurden in den Regierungsinstitutionen eine Reihe von Ernennungen vorgenommen, darunter neben den Ministern auch die meisten Gouverneure und Direktoren der wichtigsten Regierungsbehörden und Abteilungen, die eine hoheitliche Dimension haben, wie der Geheimdienst, die Zentralbank und der Kassationshof (AJ 27.1.2025a). Die Problematik besteht darin, dass der Kreis der Entscheidungsträger – zumindest derzeit - ein besonders kleiner, ausschließlich aus engsten Vertrauten aus Idlib bestehender ist, d. h. ein in sich geschlossener Kreis. Hinzu kommen bereits interne Unstimmigkeiten: So mancher militärischen Gruppierung und manchem Weggefährten aus Idlib geht der moderate Zugang der Übergangsbehörden bereits zu weit. War man in den ersten euphorischen Wochen nach der Machtübernahme noch zuversichtlich-optimistisch bzw. vielmehr überzeugt, die Erfahrungen aus dem Modell Idlib auf das ganze Land übertragen zu können (die Argumentation dabei: Idlib als erfolgreicher Mikrokosmos Gesamtsyriens, da ja bewaffnete Gruppen aus dem ganzen Land nach Idlib transferiert worden waren), so hat 50 Tage nach dem Fall des Regimes Assad die Realität die neuen Machthaber eingeholt. Das katastrophale administrative Erbe, die schlechte Wirtschaftslage, die schiere Größe und Vielfalt des Landes, sowie der Mangel an allem, auch an eigenem Fachwissen und Erfahrung. Die Verwaltung eines Stadtstaates (Idlib) hat eine ganz andere Dimension als die eines komlpexen, zerstörten Landes (SYRDiplQ1 5.2.2025).
Am 13.3.2025 unterzeichnete ash-Shara' die angekündigte Verfassungserklärung (NYT 14.3.2025). Das vorläufige Dokument besteht aus vier Kapiteln und 53 Artikeln (AlHurra 14.3.2025). Es sieht eine fünfjährige Übergangsphase vor (BBC 14.3.2025). Nach dieser Übergangsphase soll eine dauerhafte Verfassung verabschiedet und Wahlen für den Präsidenten abgehalten werden (NYT 14.3.2025). Die Erklärung legt fest, dass der syrische Präsident Muslim sein muss, wie es schon in der vorherigen Verfassung geschrieben stand. Anders als in der Verfassung von 2012, schreibt diese Verfassungserklärung die islamische Rechtslegung als wichtigste Quelle der Gesetzgebung fest. Daneben werden die Gewaltenteilung und die Unabhängigkeit der Justiz verankert sowie die Rechte der Frauen garantiert (BBC 14.3.2025). Der Präsident ist jedoch allein für die Ernennung der Richter des neuen Verfassungsgerichts Syriens verantwortlich. Die Richter müssen unparteiisch sein (NYT 14.3.2025). Für die Rechenschaftspflicht des Präsidenten wird in der Verfassung keine Möglichkeit eingeräumt. Der Erklärung zufolge wird ash-Shara' neben dem Präsidenten der Republik die folgenden Ämter bekleiden: Premierminister, Oberbefehlshaber der Armee und der Streitkräfte und Vorsitzender des Nationalen Sicherheitsrates. In Artikel 41 räumt die Verfassungserklärung dem Präsidenten die Möglichkeit ein, mit Zustimmung des Nationalen Sicherheitsrates, dessen Mitglieder er selbst auswählt, den Ausnahmezustand auszurufen (AlHurra 14.3.2025). Der neu gebildete Nationale Sicherheitsrat setzt sich aus Shara'-Getreuen zusammen, darunter Verteidigungsminister Murhaf Abu Qasra, Innenminister Ali Keddah, Außenminister As'ad ash-Shaibani und Geheimdienstchef Anas Khattab (ISW 13.3.2025). Der Meinung des Syrienexperten Fabrice Balanche nach ist der Nationale Sicherheitsrat „die eigentliche Regierung“ (AlMon 30.3.2025). Die Erklärung garantiert Meinungs-, Ausdrucks-, Informations-, Veröffentlichungs- und Pressefreiheit. Allerdings können alle Rechte, einschließlich der Religionsfreiheit, eingeschränkt werden, wenn sie unter anderem als Verstoß gegen die nationale Sicherheit oder die öffentliche Ordnung angesehen werden. Die Verpflichtung zur Gewährleistung der Meinungs-, Ausdrucks-, Informations-, Veröffentlichungs- und Pressefreiheit ist mit einigen Ausnahmen verbunden, darunter die Verherrlichung des Assad-Regimes (NYT 14.3.2025). Auch die Symbole des Assad-Regimes sind unter Strafe gestellt sowie seine Verbrechen zu leugnen, zu loben, zu rechtfertigen oder zu verharmlosen (AlHurra 14.3.2025). Die Verfassungserklärung garantiert Frauen das Recht auf Bildung und Arbeit und fügt hinzu, dass sie volle soziale, wirtschaftliche und politische Rechte haben werden (NYT 14.3.2025). Aussagen eines Mitglieds des Ausschusses für die Verfassungserklärung zufolge werde eine neue Volksversammlung die volle Verantwortung für die Gesetzgebung tragen. Zwei Drittel ihrer Mitglieder würden von einem vom Präsidenten ausgewählten Ausschuss ernannt, ein Drittel vom Präsidenten selbst. Außerdem werde ein Ausschuss gebildet, der eine neue dauerhafte Verfassung ausarbeiten solle (BBC 14.3.2025). Diese temporäre Verfassung konzentriert viel Macht in den Händen des Präsidenten. So werden dem Präsidenten die Exekutivgewalt und die Befugnis, den Ausnahmezustand zu erklären, gewährt (NYT 14.3.2025). Das Parlament ist nicht befugt, den Präsidenten anzuklagen, Minister zu ernennen oder zu entlassen oder die Exekutive zu kontrollieren (HRW 25.3.2025). Immerhin spricht die Verfassungserklärung dem Präsidenten die Befugnis ab, allgemeine Amnestiegesetze zu erlassen, die al-Assad zuvor für sich monopolisiert hatte (AlHurra 14.3.2025). In der Verfassung ist Syrien als „arabische“ Republik definiert mit Arabisch als einziger Amtssprache (LSE 28.3.2025). Sie löste innerhalb Syriens viele Diskussionen aus. Umstritten sind insbesondere jene Passagen, die dem Präsidenten ein Machtmonopol einräumen (AlHurra 14.3.2025). Der Syrische Demokratische Rat, der politische Arm der kurdisch geführten Kräfte, die den Nordosten Syriens kontrollieren, erklärte, das neue Dokument sei „eine neue Form des Autoritarismus“ und kritisierte die seiner Meinung nach unkontrollierten Exekutivbefugnisse (NYT 14.3.2025). Das International Centre for Dialogue Initiatives schreibt, dass diese Reformen einseitig von einem ebenfalls vom Präsidenten ernannten Verfassungsausschuss ausgearbeitet wurden, der dann behauptete, ihre Legitimität stamme aus einem Dialogprozess. Die sogenannte Nationale Dialogkonferenz wurde so zu einem politischen Deckmantel für vorab festgelegte Verfassungsänderungen, die unter dem Deckmantel der Reform die autoritäre Herrschaft festigten (ICDI 4.4.2025). Trotz der weitverbreiteten Kritik an der aktuellen Verfassung ist keine kurzfristige Überarbeitung vorgesehen. Die vorliegende Fassung ist das Ergebnis eines beschleunigten Verfahrens, das unmittelbar nach der Nationalen Dialogkonferenz im Februar 2025 in Gang gesetzt wurde. Ein siebenköpfiges Gremium erarbeitete die Verfassung in kürzester Zeit und wird in ihrer aktuellen Form noch nicht ihren Ansprüchen für einen pluralistischen, freien und gerechten Staat gerecht (AdRev 3.4.2025).
Während ash-Shara' ein gewisses Maß an Pragmatismus gezeigt hat, insbesondere im Umgang mit lokalen Gemeinschaften, sind die Strukturen der Übergangsregierung nach wie vor zentralisiert und hierarchisch, wobei die Macht in einem kleinen Führungskreis konzentriert ist. Dies schränkt die Möglichkeiten für eine integrative Entscheidungsfindung ein und verstärkt die Wahrnehmung der Ausgrenzung von Minderheiten und Frauen (AC 20.12.2024). HTS hat in Idlib einerseits bemerkenswerte Zugeständnisse an die lokale Bevölkerung gemacht. So erlaubte sie beispielsweise Christen, Gottesdienste abzuhalten und Frauen, Universitäten zu besuchen und Autos zu fahren – Maßnahmen, die angesichts der radikalen dschihadistischen Vergangenheit der Gruppe bemerkenswert sind. Darüber hinaus hat HTS Zivilisten in seine Regierungsverwaltung integriert und einen technokratischen Regierungsstil eingeführt, selbst in sensiblen ideologischen Bereichen wie Bildung und Religion, in denen die Gruppe ursprünglich ausschließlich eigenes Personal ernennen wollte. Andererseits ist die mangelnde Bereitschaft, politische Opposition zuzulassen, nach wie vor besorgniserregend. In Idlib hat HTS nach und nach die Macht monopolisiert und agierte praktisch als Einparteienstaat. Politische Opposition und zivilgesellschaftlicher Aktivismus wurden unterdrückt (DIIS 16.12.2024). Zu den ersten Entscheidungen der Übergangsregierung unter al-Bashir gehörten die Entsendung von Polizeikräften in Großstädte und das Verbot von Rauchen und Alkoholkonsum (MAITIC 17.12.2024). Der HTS wurden unter anderem von Human Rights Watch, immer wieder schwere Menschenrechtsverletzungen gegen Oppositionelle, Frauen und religiöse Minderheiten vorgeworfen. Es kam auch zu groß angelegten Protesten gegen die HTS und ihren Anführer, ash-Shara' (Rosa Lux 17.12.2024). Laut Terrorismusexperte Peter Neumann haben die Kämpfer der HTS für ein islamistisches Regime gekämpft. Er hält es für möglich, dass es zu einer Opposition in der eigenen Bewegung kommen könnte (Spiegel 11.12.2024). Auch Terrorismusexperte Hans-Jakob Schindler spricht von Videos von Personen aus dem Umfeld der HTS, die ein Kalifat aufbauen wollen (WiWo 9.12.2024). Alberto M. Fernandez, Vizepräsident des Middle East Media Research Institutes, wiederum sieht nicht so sehr die Gefahr, dass Syrien nun ein islamischer Staat sein wird, sondern dass es ein gescheiterter Staat sein wird. Die Gefahr besteht eher darin, dass die Anarchie die Oberhand gewinnt und nicht das Scharia-Recht. Dennoch sehen auch sie, al-Shara', seine Organisation die HTS und viele ihrer Verbündeten als Hardcore-Islamisten. Der beste Vergleich sind nicht der Islamische Staat (IS) und al-Qaida, sondern die Taliban und die Hamas, politische Projekte, die sowohl islamistisch als auch nationalistisch sind (MEMRI 9.12.2024). Etwa 70 % der syrischen Bevölkerung sind sunnitische Muslime, darunter auch Kurden, die etwa 10 % der Bevölkerung ausmachen. Die arabischen Sunniten sind sich jedoch in ihren Zielen nicht einig, und viele wünschen sich für die Zukunft Syriens keinen islamischen Staat (SWI 13.2.2025). [Informationen zu ethnischen und religiösen Minderheiten finden sich im Kapitel Ethnische und religiöse Minderheiten - Entwicklungen seit dem Sturz des Assad-Regimes (seit 8.12.2024).]
Ash-Shara's Regierung kontrolliert begrenzte Teile Syriens, darunter die meisten westlichen Städte und Teile des ländlichen Raums (TWI 28.2.2025). Nordostsyrien wird von einer Kombination aus den kurdisch geführten Syrischen Demokratischen Kräften (Syrian Democratic Focres - SDF) und arabischen Stammeskräften regiert (MEI 19.12.2024). Die SDF führen Gespräche mit ash-Shara', bleiben aber vorsichtig, was seine Absichten angeht (TWI 28.2.2025). Nord-Aleppo wird von der von der Türkei unterstützten Syrischen Übergangsregierung kontrolliert (MEI 19.12.2024). Die von der Türkei unterstützten Rebellengruppierungen innerhalb der SNA kontrollieren Teile Nordsyriens nahe der türkischen Grenze, darunter 'Afrin, Suluk und Ra's al-'Ain. Diese Gebiete hat die SNA 2018 und 2019 von den kurdisch geführten Syrischen Demokratischen Kräften (Syrian Democratic Forces - SDF) erobert (Al-Monitor 8.12.2024). Am 29.1.2025 zwang die Türkei den Anführer dieser Gruppe, Sayf Abu Bakr, nach Damaskus zu reisen und dem neuen Präsidenten persönlich zu gratulieren, aber dies ist das einzige Zugeständnis, das er ash-Shara' bisher gemacht hat. Die beiden Anführer haben eine lange Geschichte gegenseitiger Feindseligkeit, insbesondere da viele Kämpfer der Syrischen Nationalarmee Veteranen des blutigen Krieges sind, den HTS 2017–2020 um die Kontrolle über die Provinz Idlib führte (TWI 28.2.2025). Südsyrien wird von einer halbunabhängigen Struktur in Suweida zusammen mit ehemaligen Oppositionsgruppen in Dara'a kontrolliert (MEI 19.12.2024). Im Euphrat-Tal ist die Loyalität der sunnitischen Stämme gegenüber HTS weniger sicher, während in Dara'a die vom ehemaligen Rebellen Ahmad al-'Awda und anderen südlichen Fraktionen kontrollierten Truppen sich der Integration in die neue syrische Armee widersetzen (TWI 28.2.2025). Anfang Jänner 2025 hinderten lokale Gruppierungen, die in der Provinz Suweida operieren, einen Militärkonvoi der DMO an der Einfahrt in die südsyrische Provinz. Quellen erklärten gegenüber Al Jazeera, dass die Entscheidung auf Anweisung des geistlichen Oberhaupts der monotheistischen Gemeinschaft der Drusen, Hikmat al-Hijri, getroffen wurde, der betonte, dass keine militärische Präsenz von außerhalb der Provinz erlaubt sei. Die Quellen erklärten, dass der Militärkonvoi in die mehrheitlich drusische Provinz Suweida kam, ohne sich vorher mit den lokalen Gruppierungen in der Provinz abzustimmen (AJ 1.1.2025a). Etana zufolge soll die HTS zunehmend versucht haben, ihre Macht und militärische Reichweite in der gesamten Provinz Dara'a und im weiteren Süden Syriens auszunutzen, was zu Spannungen mit Ahmad al-'Awda führte. In intensiven Verhandlungen im Gebäude des Gouvernements Dara'a wurde die Auflösung sowohl des 5. Korps als auch der Gruppen von Ahmad al-'Awda (die einst die 8. Brigade des 5. Korps bildeten) sowie anderer ehemaliger Oppositionsgruppen aus der Stadt Dara'a und at-Tafas angestrebt. Während HTS die Integration aller ehemaligen Oppositionsgruppen unter einem neuen Verteidigungsministerium nach al-Assad anstrebt, wuchs der Druck auf al-'Awda, der sich unter den bisherigen Bedingungen gegen die Auflösung gewehrt hatte (Etana 17.1.2025). Am 13.4.2025 gab die Gruppierung dem politischen und militärischen Druck schließlich nach und ihre Auflösung bekannt. Die Waffen werden an die Regierung übergeben (National 14.4.2025), schwere Waffen wurden von den Sicherheitskräften der Regierung beschlagnahmt (Etana 16.4.2025). Ash-Shara's politisches Projekt eines zentralisierten Syriens steht im Widerspruch zur aktuellen Realität vor Ort. Er glaubt, dass der Föderalismus die „Nation“ spalten könnte – eine Auffassung, die zum Teil auf der antiisraelischen Stimmung in der syrischen Bevölkerung beruht (TWI 28.2.2025).
Politische Lage in den Gebieten unter der Kontrolle der kurdisch dominierten SDF - Demokratische Autonome Administration von Nord- und Ostsyrien (DAANES)
Die Autonome Administration von Nord- und Ostsyrien (AANES), die von den Kurden häufig als Rojava oder „Westkurdistan“ bezeichnet wird, wurde auf der dritten Konferenz des Syrischen Demokratischen Rates (Syrian Democratic Council - SDC) am 16.7.2018 in 'Ain 'Issa gegründet. Vor der AANES hieß das lokale System Demokratische Föderation Nordsyrien (Democratic Federation of Northern Syria - DFNS), dessen Name 2016 übernommen wurde. Der Generalrat der Autonomen Verwaltung Nord- und Ostsyriens (AANES) verabschiedete am 13.12.2023 einen Gesellschaftsvertrag, in dem die AANES in Demokratische Autonome Verwaltung Nord- und Ostsyriens (DAANES) umbenannt wurde. Der Gesellschaftsvertrag gilt als de-facto-Verfassung. Im Zuge dieses Vertrags wurden die Verwaltungsgebiete zu einer einzigen Region unter dem Namen Nord- und Ostsyrien zusammengefasst (K24 13.12.2023). Die DAANES ist eine von Kurden angeführte, aber multiethnische Koalition, die sich in den letzten zehn Jahren eine relative Autonomie vom Assad-Regime bewahrt hat. Ihr mächtiger militärischer Flügel, die Syrischen Demokratischen Kräfte (Syrian Democratic Forces - SDF), diente auf ihrem Höhepunkt als wichtiges Bollwerk gegen den Islamischen Staat (IS) und profitiert nach wie vor von der anhaltenden amerikanischen Unterstützung in der Region (MEPC 2025). Die SDF sind die militärische Kraft für die Demokratische Autonome Administration von Nord- und Ostsyrien. Die Volksverteidigungseinheiten (Yekîneyên Parastina Gel - YPG) sind die dominierende Kraft innerhalb der SDF, obwohl es auch Kämpfer aus arabischen, christlichen und anderen Gemeinschaften gibt. Die SDF kontrollieren große Teile Nord- und Nordostsyriens, darunter die Städte ar-Raqqa, al-Hasaka, die Verwaltungshauptstadt Qamishli und Teile der Provinz Deir ez-Zour. Die Türkei betrachtet die SDF als den syrischen Ableger der verbotenen Arbeiterpartei Kurdistans (Partiya Karkerên Kurdistanê - PKK), was die SDF jedoch bestreiten (Al-Monitor 8.12.2024). Die SDF kontrollieren ein Gebiet von mehr als 35.000 Quadratkilometern, was bedeutet, dass sie etwa 18,92 % des syrischen Territoriums kontrollieren (AJ 29.1.2025). Obwohl die DAANES international nicht anerkannt ist, unterhält sie eine enge Arbeitsbeziehung zu den USA, welche die SDF seit Beginn des Krieges gegen den IS unterstützen (K24 13.12.2023; vgl. AJ 29.1.2025).
Am 10.3.2025 unterzeichneten der Anführer der kurdisch dominierten SDF Mazloum 'Abdi und Übergangspräsident Ahmad ash-Shara' ein Abkommen über die Integration der SDF in die staatlichen Institutionen Syriens. Das Abkommen sieht die Gewährleistung der Rechte aller Syrer auf Vertretung und Beteiligung, einen Waffenstillstand in allen syrischen Gebieten und die Integration aller zivilen und militärischen Institutionen im Nordosten Syriens vor. Das Abkommen sieht auch vor, dass die SDF den syrischen Staat bei der Bekämpfung von Assads Überbleibseln und Drohungen unterstützen und Aufrufe zur Teilung, Hassreden und Versuche, Zwietracht zu säen, zurückweisen werden (Arabiya 11.3.2025). Das Abkommen besteht aus acht Klauseln. Gemeinsame Ausschüsse sollen daran arbeiten, die Umsetzung des Abkommens bis Ende des Jahres abzuschließen (AJ 11.3.2025). Das Abkommen sieht vor, das DAANES-Gebiet unter die volle Kontrolle der syrischen Zentralregierung bringen (AJ 10.3.2025b). Es beinhaltet die Integration der zivilen und militärischen Einrichtungen im Nordosten Syriens in die syrische Staatsverwaltung, einschließlich der Grenzposten, des Flughafens [in Qamishli, Anm.] und der Öl- und Gasfelder, die von den SDF im Nordosten Syriens kontrolliert werden (FR24 10.3.2025). Kurz nach Bekanntgabe der Vereinbarung sagten Quellen gegenüber Al Jazeera, dass sich ein Konvoi des syrischen Verteidigungsministeriums in Abstimmung mit den SDF nach al-Hasaka begeben wird und dass die Kräfte des Verteidigungsministeriums die Gefängnisse von den SDF übernehmen werden (AJ 11.3.2025). Das Wall Street Journal zitierte US-Beamte mit der Aussage, dass US-Militärpersonal zwischen den SDF und den sogenannten Rebellengruppen vermittelt habe. Die Beamten sagten, die Vermittlung schließe auch Gruppierungen ein, die von der Türkei seit dem Sturz des gestürzten Präsidenten Bashar al-Assad unterstützt werden (AJ 11.3.2025). Das Abkommen könnte den Konflikt der SDF mit der benachbarten Türkei und den von der Türkei unterstützten ehemaligen syrischen Rebellengruppen, die mit der Regierung verbündet sind und versuchen, die SDF aus Gebieten nahe der Grenze zu vertreiben, entschärfen (BBC 11.3.2025). Das Abkommen macht keine Angaben darüber, wie die militärischen Einheiten der SDF in das syrische Verteidigungsministerium integriert werden sollen, was bisher ein wesentlicher Knackpunkt in den Gesprächen war. Die Vereinbarung bezieht sich weder auf die Übergabe von Waffen noch auf die Auflösung der von der YPG dominierten militärischen Formation (AJ 11.3.2025). Die Vereinbarung enthält die Bestätigung, dass das kurdische Volk ein integraler Bestandteil Syriens ist und ein Recht auf Staatsbürgerschaft und garantierte verfassungsmäßige Rechte hat (AJ 10.3.2025b), einschließlich der Verwendung und des Unterrichts ihrer Sprache, die unter Assad jahrzehntelang verboten waren (Sky News 10.3.2025). Die Vereinbarung beinhaltet die Gewährleistung der Rechte aller Syrer auf Repräsentation und Beteiligung am politischen Prozess und an allen staatlichen Institutionen, unabhängig von ihrer religiösen und ethnischen Zugehörigkeit (Arabiya 10.3.2025; vgl.AJ 10.3.2025a).
Das Abkommen hat bis Ende März nicht zu einer Beruhigung der Fronten geführt, obwohl eine Waffenruhe vorgesehen wäre. Die staatlichen Institutionen im Nordosten Syriens blieben ebenfalls unter der Schirmherrschaft der DAANES, auch was die Zahlung der Gehälter der Beschäftigten angeht (SYD 31.3.2025). Am 1.4.2025 erklärten die SDF, sich aus zwei historisch kurdischen Stadtvierteln in Aleppo zurückzuziehen. Lokale Quellen berichteten anschließend, dass sich die SDF am 2.4.2025 vom Tishrin-Damm und der Qara-Qozak-Brücke zurückgezogen haben, wo sie seit Dezember 2024 gegen SNA kämpften. Eine „Sonderverwaltung“, die möglicherweise aus Mitarbeitern des Damms besteht, wird die Kontrolle über das Gebiet um den Tishrin-Damm übernehmen. Den Mitarbeitern des Damms wurde gestattet, in dem Gebiet zu bleiben, damit das Elektrizitätswerk seinen regulären Betrieb fortsetzen kann. Eine Anti-SDF-Quelle behauptete außerdem, dass sich die SDF nach dem Verlassen des Tishrin-Staudamms und der Qara-Qozak-Brücke auch aus weiteren Ortschaften südlich des Staudamms entlang der Autobahn 4 zurückziehen würde. Syrische Quellen, darunter auch solche, die der Übergangsregierung nahestehen, behaupteten, der Rückzug der SDF sei das Ergebnis einer „vorläufigen Vereinbarung“ zur Schaffung einer entmilitarisierten Zone um häufig umkämpfte Gebiete (ISW 2.4.2025). Dem Direktor der Syrischen Beobachtungsstelle für Menschenrechte (Syrian Observatory for Human Rights - SOHR) zufolge haben die Kämpfe rund um den Tishrin-Staudamm mit Mitte April 2025 aufgehört (SOHR 15.4.2025). Die syrische Regierung und die SDF haben eine Vereinbarung über die Übergabe des strategisch wichtigen Tishrin-Staudamms von der Kontrolle der SDF an Damaskus getroffen. Lokale kurdische Medien und staatliche Medien in Damaskus berichteten über die Vereinbarung, die nach viermonatigen Kämpfen um den Staudamm zwischen der von der Türkei unterstützten SNA und den SDF zustande kam. Der Staudamm liegt am Euphrat und ist ein wichtiger strategischer und infrastruktureller Standort in Zentralsyrien. Er verbindet außerdem Gebiete, die von den SDF kontrolliert werden, mit jenen der SNA und den neuen Regierungstruppen Syriens (LWJ 15.4.2025). Der Direktor von SOHR gibt an, dass es eine gemeinsame Verwaltung zwischen der syrischen Regierung und der mehrheitlich kurdischen Selbstverwaltung geben wird (SOHR 15.4.2025). In Aleppo begannen Regierungstruppen gemeinsame Patrouillen mit SDF-Einheiten durchzuführen. Teile der SDF begannen, sich aus dem wichtigsten kurdischen Viertel der Stadt zurückzuziehen (National 13.4.2025). Eine Quelle aus Nordsyrien berichtete, dass der Tishrin-Damm am 15.4.2025 bereits unter der Kontrolle der syrischen Regierung stand. Die SDF hätten sich bereits aus Aleppo zurückgezogen, aber noch keine Verhandlungen mit der Übergangsregierung über die territoriale Neuaufteilung in den mehrheitlich arabischen Provinzen ar-Raqqa und Deir ez-Zour aufgenommen (ISW 16.4.2025).
Kurdisch geführte Truppen haben den Zusammenbruch der syrischen Armee genutzt, um die vollständige Kontrolle über die wichtigste Stadt, Deir ez-Zour, zu übernehmen (BBC 8.12.2024b). Diese wurde ihnen von den Rebellengruppierungen kurz darauf wieder abgenommen (Al-Monitor 8.12.2024). Kräfte der SNA wiederum haben die Situation genützt, um Territorium in Manbij von den SDF zu erobern (TWI 9.12.2024). Die SDF kontrollieren nun 20 % des syrischen Territoriums (Arabiya 11.12.2024). Am 6.2.2025 sind Streitkräfte des syrischen Ministeriums für Allgemeine Sicherheit in die nordwestsyrische Stadt 'Afrin einmarschiert. 'Afrin wird seit 2018 von verschiedenen bewaffneten Gruppierungen der von der Türkei unterstützten SNA besetzt gehalten. Mit dem Einmarsch in 'Afrin setzt die neue syrische Regierung ihre Kontrolle über Teile des Landes durch. 'Afrin ist ein historisch kurdisches Gebiet in Syrien, und der Machtwechsel wurde von den kurdischen Medien aufmerksam verfolgt (LWJ 6.2.2025).
Sicherheitslage - Entwicklungen seit dem Sturz des Assad-Regimes (seit 8.12.2024)
Trotz des Sturzes der 54-jährigen Diktatur der Familie al-Assad ist der Bürgerkrieg noch lange nicht vorbei (Leb24 13.2.2025). Trotz der Bemühungen der neuen syrischen Regierung bleibt die Sicherheitslage fragil, und die Zukunft Syriens ist von zahlreichen Unsicherheiten geprägt (VB Amman 9.2.2025). Der Hohe Flüchtlingskommissar der Vereinten Nationen, Grandi, beschreibt die Lage vor Ort als "fluid". Sie könne sich nach derzeitigem Stand in alle Richtungen entwickeln (ÖB Amman 6.2.2025). Die neue syrische Übergangsregierung ist nicht in der Lage, das gesamte syrische Staatsgebiet zu kontrollieren (AlHurra 6.2.2025a). Seit Jahresbeginn 2025 hat sich die Sicherheitslage in Syrien nach dem Sturz von Bashar al-Assad weiterhin als instabil erwiesen. Die neuen Machthaber, dominiert von islamistischen Gruppierungen, bemühen sich um die Etablierung von Ordnung und Sicherheit, stoßen jedoch auf erhebliche Herausforderungen (VB Amman 9.2.2025). Außenminister ash-Shaybani gibt Sicherheitsprobleme in Teilen Syriens zu, bezeichnete sie aber als Einzelvorfälle: Offenbar hat die Hay'at Tahrir ash-Sham (HTS), die offiziell aufgelöst wurde, Schwierigkeiten, ihre teils sehr radikalen islamistischen Untergruppen in den Griff zu bekommen. Zwischen Verfolgung von Regimestraftätern und Racheakten vor allem gegen die Volksgruppe der Alawiten, aus der die al-Assads stammen, ist nicht immer leicht zu unterscheiden (Standard 23.1.2025). Die Sicherheitskräfte der Übergangsregierung sind bei ihrem Versuch, das Land zu stabilisieren, mit zunehmenden Bedrohungen konfrontiert, darunter gewalttätige Überreste des Regimes, sektiererische Gewalt und Entführungen. Im Nordosten sind die Syrischen Demokratischen Kräfte (Syrian Democratic Forces - SDF) gezielten Angriffen von Zellen des Islamischen Staates (IS) und anhaltenden Feindseligkeiten mit der von der Türkei unterstützten Syrischen Nationalen Armee (Syrian National Army - SNA) ausgesetzt (Etana 22.2.2025). Die fragile Sicherheitslage bedroht weiterhin den politischen Fortschritt, warnte der Sondergesandte des Generalsekretärs der Vereinten Nationen für Syrien, Geir Pedersen, und verwies auf die anhaltenden Feindseligkeiten im Nordosten, einschließlich täglicher Zusammenstöße, Artilleriebeschuss und Luftangriffe, die Zivilisten und die Infrastruktur treffen (UN News 12.2.2025).
Sicherheitslage in den Gebieten unter der Kontrolle der kurdisch dominierten SDF - Demokratische Autonome Administration von Nord- und Ostsyrien (DAANES)
Die von der Türkei unterstützten syrischen Gruppierungen starteten im November eine Offensive gegen die SDF und vertrieben sie trotz der Bemühungen der USA, einen Waffenstillstand zu vermitteln, aus mehreren Gebieten im Norden (Arabiya 26.2.2025). Sie eroberten strategische Orte in der Umgebung von Manbij und Tall Rif'at. Die Kämpfe intensivierten sich in der Nähe des Tishrin-Staudamms am Euphrat in der Region Manbij im Osten Aleppos, der für die von den SDF kontrollierten Gebiete nach wie vor eine wichtige Wasser- und Stromquelle darstellt. Die Türkei hat Berichten zufolge Luftangriffe in der Region durchgeführt, was Bedenken hinsichtlich möglicher Schäden am Damm aufkommen lässt. Darüber hinaus wurden auch mehrere Orte in der Region Kobane und im Osten Aleppos angegriffen (SCR 30.1.2025). Washington vermittelte Anfang Dezember, nachdem die Kämpfe ausgebrochen waren, einen ersten Waffenstillstand. Dennoch kam es weiterhin zu Kampfhandlungen zwischen den beiden Parteien (Sky News 31.12.2024b). Auf mehreren Achsen im östlichen Aleppo und im Nordosten Syriens kam es zu einer Reihe von gegenseitigen Angriffen zwischen den SDF einerseits und den türkischen Streitkräften und pro-türkischen Gruppierungen andererseits. In der Nähe des Tishrin-Damms beschossen die türkischen Streitkräfte Stellungen der SDF intensiv mit Artillerie, während gleichzeitig ein Drohnenangriff auf Stellungen der SDF stattfindet, was zu Zusammenstößen zwischen beiden Seiten führte (SOHR 26.2.2025). Der Tishrin-Staudamm am Euphrat in Syrien ist zu einem zentralen Konfliktpunkt in der Zeit nach Assad geworden. Seit dem Sturz des Regimes von Diktator Bashar al-Assad am 8.12.2024 wird der Damm von den SDF und der SNA umkämpft (LWJ 26.1.2025). Trotz heftiger Kämpfe über mehrere Wochen hinweg hatte sich die lokale Konfliktkarte rund um den Tishrin-Staudamm nicht verändert. An den Frontlinien zwischen der von der Türkei unterstützten SNA und den SDF kam es auf beiden Seiten des Euphrat in der Nähe des Tishrin-Staudamms und der Qara-Qozak-Brücke zu anhaltenden, heftigen Gefechten (Etana 22.2.2025). Diese sollen dem Direktor der Syrischen Beobachtungsstelle für Menschenrechte zufolge Mitte April 2025 eingestellt worden sein (SOHR 15.4.2025), nachdem die SDF sich aus dem Gebiet zurückgezogen haben. Die Kontrolle über den Staudamm soll die syrische Regierung übernehmen (ISW 16.4.2025). Anfang Februar kam es mehrmals zu tödlichen Anschlägen mit Autobomben in Gebieten, die von Türkei-nahen Milizen kontrolliert werden (Tagesspiegel 3.2.2025). Die türkischen Streitkräfte setzen ihre Operationen in Syrien unter dem Vorwand fort, die türkische Grenze zu Syrien zu sichern, der Kurdischen Arbeiterpartei (Partiya Karkerên Kurdistanê - PKK) entgegenzuwirken und Vereinbarungen zu garantieren (SOHR 9.1.2025). Am 27.2.2025 rief Abdullah Öcalan, der in der Türkei inhaftierte Anführer der PKK, dazu auf, die Waffen niederzulegen und die PKK aufzulösen (ANF 27.2.2025). In einer mit Spannung erwarteten Erklärung, von der sich viele erhoffen, dass sie den Weg für ein Ende des seit mehr als vier Jahrzehnten andauernden Konflikts zwischen der Türkei und den Kurden ebnet, forderte der inhaftierte Kurdenführer Abdullah Öcalan seine Anhänger auf, die Waffen niederzulegen und die Rebellenorganisation aufzulösen. Mazloum 'Abdi, Anführer der SDF, stellte klar, dass dieser Aufruf nur für die PKK gelte und nichts mit Syrien zu tun habe (AlMon 27.2.2025; vgl. AlHurra 27.2.2025). Er sagte, dass seine Kämpfer die Waffen nicht niederlegen werden (VOA 27.2.2025). Die Meinungsverschiedenheiten in Bezug auf Syrien waren ein wesentliches Hindernis bei den Friedensgesprächen zwischen Ankara und Öcalan, weil die Türkei darauf bestand, dass sie den Nordosten Syriens einschließen, wo türkische Streitkräfte und verbündete sunnitische Fraktionen seit neun Jahren einen erbitterten Feldzug führen, um die selbsternannte Demokratische Autonome Administration Nord- und Ostsyriens (DAANES) wegen ihrer Verbindungen zur PKK zu zerstören. Doch Ankara scheint ihre Haltung etwas abgemildert zu haben, da mehrere arabische Nationen dem wachsenden Einfluss der Türkei in Syrien entgegenwirken (AlMon 27.2.2025). In Washington besteht die Hoffnung, dass die Entscheidung Öcalans die Spannungen mit Ankara abbauen und die Bemühungen zur Bekämpfung der Überreste der Terrorgruppe Islamischer Staat (IS) erleichtern könnte. Die SDF schloss sich dem Optimismus Washingtons an (VOA 27.2.2025). 'Abdi stellte fest, dass es mit dem Frieden zwischen der PKK und der Türkei, keinen Grund und keine Entschuldigung mehr für die Türkei gäbe, Nordsyrien mehr unter dem Vorwand der PKK anzugreifen (VOA 27.2.2025; vgl. AlHurra 27.2.2025). Der syrischen Beobachtungsstelle für Menschenrechte (SOHR) zufolge sind die Entwicklungen im Jahr 2024 ein unwiderlegbarer Beweis dafür, dass die türkische Intervention in Syrien eine Hauptursache für Blutvergießen ist. Seit Anfang 2024 hat SOHR den Tod von 88 syrischen Zivilisten dokumentiert: 17 Kinder, sechs Frauen und 65 junge und erwachsene Männer, die durch Schüsse türkischer Grenzsoldaten (Jandarma) und Luft- und Bodenangriffe türkischer Streitkräfte, darunter Luftangriffe von Kampfflugzeugen und Drohnen, getötet wurden (SOHR 9.1.2025). Zusammenstöße zwischen der SNA und der SDF sind nichts Neues, ebenso wenig wie Kämpfe zwischen der Türkei und der SDF. Ankara hat in den letzten zehn Jahren mehrere Operationen in Syrien gestartet, darunter die Operationen Euphrates Shield (2016), Olive Branch (2018) und Peace Spring (2019), die alle darauf abzielten, die SDF oder die Volksverteidigungseinheiten (YPG), die größte Fraktion innerhalb der SDF, zu bekämpfen. Vor dem Sturz des Assad-Regimes, der Ende November mit einer Offensive der HTS in der Nähe von Aleppo begann, waren die Fronten in Syrien zwischen den SDF und SNA mehrere Jahre lang unverändert geblieben. Der Zusammenbruch des Regimes führte jedoch zu raschen Veränderungen (LWJ 26.1.2025).
Sicherheitsbehörden - Entwicklungen seit dem Sturz des Assad-Regimes (seit 8.12.2024)
Der Interimsregierung unter der Führung der Hay'at Tahrir ash-Sham (HTS) fehlt es an ausreichendem Personal, um das ganze Land zu verwalten und die Posten zu bemannen. Es werden entweder andere Gruppierungen mit an Bord geholt werden müssen, oder möglicherweise auch ehemalige Soldaten (PBS 16.12.2024). Die einzigen Ordnungskräfte sind diejenigen Gruppierungen, die aus Idlib mitgekommen sind und die sich – personell überlastet – um ein Minimum an Ordnung in den Städten bemühen (SYRDiplQ1 5.2.2025). Associated Press berichtete am 16.12.2024, dass Polizeikräfte des Assad-Regimes verschwunden sind und an ihre Stelle Polizeikräfte der Syrischen Heilsregierung (Syrian Salvation Gouvernements - SSG) - der von der HTS geführten Regierung, die bis zum Sturz al-Assads in Idlib regierte - getreten waren. Sie bearbeiten Fälle von kleineren Diebstählen und Straßenkrawalle (AP 15.12.2024b). Die Polizisten der SSG sollen 4.000 Mann stark sein, wobei die Hälfte davon weiterhin in Idlib operiere, während die andere Hälfte in Damaskus und anderen Teilen Syriens für Ordnung sorgen. Obwohl manche von ihnen religiöse Symbole tragen, ließen sie andersgläubige Minderheiten weitgehend in Ruhe (AP 15.12.2024b). Die Kräfte, die Syriens neuem Machthaber zur Verfügung stehen, sind unzureichend. Die 30.000 Mann starke HTS ist nun über das ganze Land verteilt (Economist 5.3.2025). In Damaskus ist in den wichtigsten Bereichen nur Militärpersonal der HTS zu sehen, das ein Gefühl der Sicherheit vermittelt und versucht, den Verkehr zu regeln – allerdings mit begrenztem Erfolg. Dies ist nicht nur eine Folge der begrenzten Kapazitäten der HTS, die nun an ihre Grenzen stoßen, da sie ein ganzes Land und nicht nur einen Teil einer Provinz verwalten müssen. Es ist auch ein Symptom für den abrupten Zusammenbruch der traditionellen Sicherheitsstrukturen. In den meisten Städten wurden in den ersten Tagen nach dem Zusammenbruch des Assad-Regimes Polizeistationen und Gerichte geschlossen, und Diebstähle – sowohl von Autos als auch von Häusern – nahmen aufgrund des Mangels an neu ausgebildeten Polizisten zu (AGSIW 4.3.2025). Während des Umsturzes am 8.12.2024 wurden die meisten Polizeistationen in Damaskus von Plünderern verwüstet, wobei Ausrüstung und Unterlagen geplündert oder zerstört wurden. Die Polizei gab an, dass die Hälfte der etwa 20 Polizeistationen inzwischen wiedereröffnet wurde, aber sie jeweils nur mit zehn Beamten besetzt sind, die größtenteils aus Idlib kommen. Zuvor waren es 100 bis 150 Mann (REU 23.1.2025). In Damaskus und anderen Orten kam es häufig zu Gewaltausbrüchen, weil Polizei und Armee nicht über genügend Personal verfügen, um die Ordnung aufrechtzuerhalten. Die Straßen sind oft mit Müll übersät, und anstelle der Polizei regeln Teenager den Verkehr (FT 25.3.2025). HTS hat sich auf ihre eigenen Einheiten und die ihrer engen Verbündeten verlassen, um die vier von Minderheiten dominierten Gouvernements zu sichern. Zu diesen gehören vor allem die Einheiten der Allgemeinen Sicherheit (auch: General Security) des Innenministeriums der ehemaligen syrischen Heilsregierung (Syrian Salvation Government - SSG). Diese Kräfte sind im Wesentlichen schwer bewaffnete Polizisten, die eingesprungen sind, um Unterstützung zu leisten, während neue lokale Polizeikräfte noch aufgebaut werden. Die Abteilung für militärische Operationen hat auch Einheiten im ganzen Land eingesetzt, um die überlastete Allgemeine Sicherheit zu unterstützen und weitere Sicherheitslücken zu schließen. DMO-Einheiten führen gezielte Razzien gegen bewaffnete Zellen durch, halfen anfangs bei der Überwachung von Städten und besetzten zeitweise Kontrollpunkte. Ende Dezember 2024 wurden viele Einheiten aus den Küstenstädten abgezogen und auf Kontrollpunkte und Stützpunkte beschränkt, wo sie durch wachsende lokale Polizeikräfte ersetzt wurden. Am problematischsten waren die ausländischen Kämpfergruppen innerhalb der Eliteeinheit Rote Brigaden von DMO und HTS, die viele der Razzien der neuen Regierung anführt (MEI 21.1.2025). Die Sicherheitskräfte des alten Regimes wurden aufgelöst. Frühere Versprechen, die Polizei auf ihre Posten zurückzurufen, wurden nicht eingehalten. Die Menschen wurden aufgefordert, sich erneut auf ihre Stellen zu bewerben, aber das Verfahren ist undurchsichtig und soll Alawiten abschrecken. Ash-Shara' hat sich größtenteils an die Sicherheitskräfte seiner Verwaltung in Idlib gewandt, um den Personalmangel auszugleichen. Erfahrene Offiziere des alten Regimes sind jetzt Taxifahrer. In diesem Vakuum stellen die örtlichen Gemeinden ihre eigenen Bürgerwehren zusammen (Economist 5.3.2025).
Die bewaffnete Landschaft Syriens besteht aus einem komplexen Geflecht von über 60 Fraktionen, von denen jede ihre eigene Geschichte, ihre eigenen Loyalitäten und ihre eigene Agenda hat. Mehr als die Hälfte sind der Syrischen Nationalen Armee (Syrian National Army - SNA) angeschlossen. Andere Fraktionen agieren unabhängig oder innerhalb kleinerer Allianzen, mit Ideologien, die von säkular bis islamistisch reichen, und Finanzierungsquellen, die verschiedene regionale und internationale Akteure umfassen. Dieses Flickwerk an Macht stellt ein erhebliches Hindernis für die Schaffung einer einheitlichen nationalen Armee dar (DNewsEgy 3.2.2025). Obwohl die Kämpfer nominell unter der Schirmherrschaft der neuen syrischen Regierung stehen, gibt es nach wie vor Milizen, von denen einige in Menschenrechtsverletzungen verwickelt waren und relativ undiszipliniert sind (Guardian 9.3.2025). Die Kernkräfte der Gruppierung, die die neue Regierung anführt, HTS, sind bekanntermaßen weitaus disziplinierter als andere Akteure, was auf jahrelanger Beobachtung ihrer Aktivitäten in der Provinz Idlib und während des Sturzes von al-Assad beruht. Dennoch waren auch einige HTS-Kräfte an den Massakern im März 2025 in der syrischen Küstenregion beteiligt. Darüber hinaus trägt die neue Regierung weiterhin die Verantwortung für alle Tötungen, die von Gruppen unter ihrem formellen Kommando, einschließlich der SNA, begangen wurden. Ihre Unfähigkeit, diese Verbrechen zu verhindern, verdeutlicht, dass sie über Gebiete und Fraktionen außerhalb ihrer traditionellen Basis nach wie vor nur begrenzt befehligen und kontrollieren kann. Nachdem Berichte über Massaker aufgetaucht waren, gab das Innenministerium eine doppelte Erklärung ab, in der es die Zivilbevölkerung aufforderte, sich nicht einzumischen und die Reaktion der Regierung zu überlassen, und allen regierungsfreundlichen Kräften befahl, sich an die Verfahren zu halten, die während der Offensive zum Sturz des Assad-Regimes angewendet wurden, nämlich keine Zivilisten ins Visier zu nehmen. Zu diesem Zeitpunkt waren jedoch bereits zahlreiche Morde verübt worden, und die Erklärung enthielt keinen Hinweis auf den notwendigen Prozess der Rechenschaftspflicht, der auf solche Vorfälle folgen muss, um weitere Vergeltungsmaßnahmen und Gräueltaten zu verhindern (TWI 10.3.2025). In den Reihen der neuen syrischen Armee finden sich auch islamistische Kämpfer aus anderen arabischen Staaten, Zentralasien und dem Kaukasus (Standard 9.3.2025). Es gibt große Probleme bei der Integration der Gruppierungen, die bereits unter dem Verteidigungsministerium zusammengelegt wurden. Zu nennen ist hier der Top-Down-Ansatz, bei dem die Priorität auf Loyalität statt auf Leistung gelegt wird. Es gelingt nicht die ideologischen und klassenbasierten Unterschiede zwischen – und innerhalb – der Gruppierungen, die jetzt unter dem Kommando ash-Shara's stehen, abzumildern (NLM 25.2.2025).
Wehr- und Reservedienst - Entwicklungen seit dem Sturz des Assad-Regimes (seit 8.12.2024)
Nach dem Umsturz in Syrien hat die von Islamisten angeführte Rebellenallianz eine Generalamnestie für alle Wehrpflichtigen verkündet. Ihnen werde Sicherheit garantiert und jegliche Übergriffe auf sie seien untersagt, teilte die Allianz auf Telegram mit (Presse 9.12.2024). HTS-Anführer ash-Shara' kündigte in einem Facebook-Post an, dass die Wehrpflicht der Armee abgeschafft wird, außer für einige Spezialeinheiten und "für kurze Zeiträume". Des Weiteren kündigte er an, dass alle Gruppierungen aufgelöst werden sollen und über Waffen nur mehr der Staat verfügen soll (CNBC Ara 15.12.2024a; vgl. MEMRI 16.12.2024). Unklar ist, wie eine Freiwilligenarmee finanziert werden soll (ISW 16.12.2024). Auch die Auflösung der Sicherheitskräfte kündigte ash-Shara' an (REU 11.12.2024a). In einem Interview am 10.2.2025 wiederholte ash-Shara', dass er sich für eine freiwillige Rekrutierung entschieden habe und gegen eine Wehrpflicht. Bereits Tausende von Freiwilligen hätten sich der neuen Armee angeschlossen (Arabiya 10.2.2025a; vgl. AJ 10.2.2025a). Wehrpflichtigen der Syrischen Arabischen Armee (Syrian Arab Army - SAA) wurde eine Amnestie gewährt (REU 11.12.2024b).
Der Übergangspräsident Ahmed ash-Shara' hat die Vision einer neuen „Nationalen Armee“ geäußert, die alle ehemaligen Oppositionsgruppen einbezieht. Diese Vision beinhaltet einen Prozess der Entwaffnung, Demobilisierung und Wiedereingliederung, bei dem Hay'at Tahrir ash-Sham (HTS) angeblich die Führung übernehmen soll (DNewsEgy 3.2.2025). Der syrische Verteidigungsminister Abu Qasra kündigte am 6.1.2025 den Beginn von Sitzungen mit militärischen Gruppierungen an, um Schritte zu deren Integration in das Verteidigungsministerium zu entwickeln (Arabiya 6.1.2025b). Hochrangige Beamte des neuen Regimes führten Gespräche über die Eingliederung von Milizen in das Verteidigungsministerium und die Umstrukturierung der syrischen Armee mit Vertretern unterschiedlicher bewaffneter Gruppierungen, wie Fraktionen der von der Türkei unterstützten Syrischen Nationalen Armee (Syrian National Army - SNA) (MAITIC 9.1.2025). Die Behörden gaben Vereinbarungen mit bewaffneten Rebellengruppen bekannt, diese aufzulösen und in die vereinte syrische Nationalarmee zu integrieren (UNSC 7.1.2025). Die einzige Möglichkeit, eine kohärente militärische Institution aufzubauen, besteht laut Abu Qasra darin, die Gruppierungen vollständig in das Verteidigungsministerium unter einer einheitlichen Struktur zu integrieren. Die Grundlage für diese Institution muss die Rechtsstaatlichkeit sein (Al Majalla 24.1.2025). Es bleibt abzuwarten, wie die neue Armee Syriens aussehen wird und ob sie auf einer anderen Struktur als die Armee des Assad-Regimes basieren wird. Dazu gehören Fragen in Bezug auf Brigaden, Divisionen und kleine Formationen sowie Fragen in Bezug auf die Art der Bewaffnung, ihre Form und die Art der Mission. (AlHurra 12.2.2025).
Die Umstrukturierung des syrischen Militärs hat gerade erst begonnen. Der neue de-facto-Führer hat versprochen, die neue Armee in eine professionelle, auf Freiwilligen basierende Truppe umzuwandeln, um die Professionalität in den Reihen zu fördern und sich von der Wehrpflichtpolitik zu entfernen, die das zusammengebrochene Assad-Regime charakterisierte (TR-Today 8.1.2025). Medienberichten zufolge wurden mehrere ausländische islamistische Kämpfer in hohe militärische Positionen berufen. Ash-Shara' hatte Berichten zufolge außerdem vorgeschlagen, ausländischen Kämpfern und ihren Familien aufgrund ihrer Rolle im Kampf gegen al-Assad die Staatsbürgerschaft zu verleihen (UNSC 7.1.2025).
Syrische Medien berichten, dass die neue Regierung aktiv Personen für die Armee und die Polizei rekrutiert. Damit soll der dringende Bedarf an Kräften gedeckt werden. Neue Soldaten, Unteroffiziere und Offiziere werden Berichten zufolge durch intensive Programme rekrutiert, die von den traditionellen akademischen und Ausbildungsstandards abweichen. Der Prozess der Vorbereitung von Militär- und Sicherheitskadern wird beschleunigt, um den Bedürfnissen des neuen Staates gerecht zu werden (SCI o.D.). Am 10.2.2025 gab Übergangspräsident ash-Shara' an, dass sich Tausende von Freiwilligen der neuen Armee angeschlossen haben (Arabiya 10.2.2025a). Viele junge Männer ließen sich einem Bericht des syrischen Fernsehsenders Syria TV zufolge für die neue Armee rekrutieren. Insbesondere seien junge Männer in Idlib in dieser Hinsicht engagiert. Die Rekrutierungsabteilung der neuen syrischen Verwaltung in der Provinz Deir ez-Zour gab bekannt, dass wenige Wochen nach der Übernahme der Kontrolle über die Provinz durch den Staat etwa 1.200 neue Rekruten in ihre Reihen aufgenommen wurden. In den den ländlichen Gebieten von Damaskus treten junge Männer vor allem der Kriminalpolizei bei (Syria TV 21.2.2025). Die Rekrutierungsabteilung von Aleppo teilte am 12.2.2025 mit, dass bis zum 15.2.2025 eine Rekrutierung in die Reihen des Verteidigungsministeriums läuft. Dort ist die Aufnahmebedingung für junge Männer, dass sie zwischen 18 und 22 Jahre alt, ledig und frei von chronischen Krankheiten und Verletzungen sein müssen (Enab 12.2.2025). Das syrische Verteidigungsministerium hat am 17.3.2025 mehrere Rekrutierungszentren im Gouvernement Dara'a in Südsyrien eröffnet (NPA 17.3.2025). Das Innenministerium hat seitdem Rekrutierungszentren in allen von der Regierung kontrollierten Gebieten eröffnet (ISW 16.4.2025). Berichten zufolge verlangt die neue Regierung von neuen Rekruten eine 21-tägige Scharia-Ausbildung (FDD 28.1.2025).
Ende Februar 2025 verbreiteten Facebook-Seiten die Behauptung, die Allgemeine Sicherheit habe in Jableh, Banyas und Qardaha Checkpoints eingerichtet, um jeden zu verhaften, der eine Siedlungskarte besitzt. Die Seiten behaupten, dass die Allgemeine Sicherheit die Verhafteten nach Südsyrien verlegt, wo es zu einer Eskalation durch die israelische Besatzung kommt. Die syrische Regierung dementierte die Durchführung von Rekrutierungskampagnen in den Provinzen Latakia und Tartus. Die Rekrutierung basiere weiterhin auf Freiwilligkeit (Syria TV 26.2.2025).
Wehr- und Reservedienst in den Gebieten unter der Kontrolle der kurdisch dominierten SDF - Demokratische Autonome Administration von Nord- und Ostsyrien (DAANES)
Der Gesellschaftsvertrag von 2023 regelt in der Demokratischen Autonomen Administration von Nord- und Ostsyrien (DAANES) in Abschnitt 5 die Selbstverteidigungspflicht. Artikel 111 besagt, dass Selbstverteidigung eine Garantie und Fortsetzung des Lebens, und basierend auf dem Recht und der Pflicht ist, die Existenz zu verteidigen. Sie erfordert die Einrichtung eines Selbstschutzsystems, das auf dem Bewusstsein der legitimen Selbstverteidigung und der organisierten demokratischen Gesellschaft in Nord- und Ostsyrien beruht. Einerseits gibt es die Community Protection Forces, die für den Schutz Nord- und Ostsyriens und die Gewährleistung des Schutzes von Leben und Eigentum der Bürger vor allen Angriffen und Besatzungen verantwortlich sind. Die Community Protection Forces werden unter Beteiligung aller Bürger organisiert. Selbstverteidigung ist ein Recht und eine Pflicht für jeden Bürger. Es ist die Pflicht organisierter ethnischer und religiöser Gruppen, sich wirksam am Selbstverteidigungssystem zu beteiligen, angefangen bei Stadtvierteln, Dörfern, Städten und allen Wohneinheiten. Anderseits erwähnt Artikel 111 auch die Syrischen Demokratischen Kräfte (Syrian Democratic Forces - SDF). Sie sind die legitimen Verteidigungskräfte in der Demokratischen Autonomen Verwaltung Nord- und Ostsyriens. Sie nehmen den freiwilligen Beitritt der Söhne und Töchter des Volkes und die Pflicht zur Selbstverteidigung an. Ihre Aktivitäten werden vom Demokratischen Volksrat und der Verteidigungskommission überwacht. Sie organisieren sich autonom innerhalb des Demokratischen Konföderalen Systems Nord- und Ostsyrien und haben die Aufgabe, die DAANES und alle syrischen Gebiete zu verteidigen und sie vor jeglichen potenziellen Angriffen oder Gefahren von außen zu schützen (RIC 14.12.2023). Laut Gesetz Nr. 1 zur Selbstverteidigung gelten Männer mit Vollendung des 18. Lebensjahres als wehrpflichtig und müssen den Selbstverteidigungsdienst bis zum vierzigsten Lebensjahr vollendet haben (Artikel 13). Wehrpflichtig ist jeder männliche Bewohner der Region Nord- und Ostsyrien, der das gesetzliche Alter für die Ausübung des Selbstverteidigungsdienstes erreicht hat, bzw. jeder, der seit mehr als drei Jahren dauerhaft in Nord- und Ostsyrien ansässig ist und die syrische Staatsangehörigkeit besitzt (Artikel 1) (AANES-GC 22.2.2024). Zwei Quellen, die vom Danish Immigration Service (DIS) befragt wurden, äußerten jedoch Zweifel an der konsequenten Einberufung von Personen von außerhalb der DAANES in allen Regionen (DIS 6.2024). Frauen in den von der Autonomen Verwaltung kontrollierten Gebieten können freiwillig Wehrdienst leisten (Enab 22.2.2024). Wladimir van Wilgenburg, Journalist und Autor, und ein Experte für syrische Kurden haben noch von keinem Fall gehört, in dem Frauen zwangsweise zur Selbstverteidigung eingezogen wurden (DIS 6.2024).
Das sogenannte Verteidigungsbüro des Exekutivrats der „Demokratischen Autonomen Verwaltung von Nord- und Ostsyrien“ hat die für die Wehrpflicht erforderlichen Geburtsjahrgänge festgelegt, während die Verhaftungskampagnen gegen junge Menschen für die Einberufung in die Reihen der SDF weitergehen. Die Erklärung wurde vom Verteidigungsbüro der Autonomen Verwaltung an alle Verteidigungsbüros in der Region verteilt. Darin steht, dass wer zwischen dem 1.1.1998 und dem 31.12.2005 für den Dienst der Selbstverteidigung wehrpflichtig ist (Shaam 10.1.2024). Bereits vier Tage nach dem Erlass der Richtlinien, in der die Geburtsjahrgänge für die Selbstverteidigungspflicht bekannt gemacht wurden, nahmen die SDF eine Rekrutierungskampagne in al-Hasaka im Juni 2024 wieder auf, nachdem sie im Monat zuvor, am 8.5.2024 die Rekrutierungsprozesse eingestellt hatten (Enab 27.6.2024a). Anfang Juli 2024 wurden beispielsweise 240 Personen in den Provinzen Deir ez-Zour, al-Hasaka und ar-Raqqa gefangen genommen, um sie für den Militärdienst zu rekrutieren (SO 2.7.2024). Die Dienstzeit im Selbstverteidigungsdienst beträgt laut Artikel 2 des Gesetzes Nr. 1 über die Selbstverteidigungspflicht zwölf volle Monate beginnend mit dem Datum der Einschreibung des Wehrpflichtigen (AANES-GC 22.2.2024).
2014 wurde die Zwangsrekrutierung von den Volksschutzeinheiten (Yekîneyên Parastina Gel - YPG), einer militärischen Säule der SDF, im Anschluss an das Dohuk-Abkommen, bei dem sich die kurdischen Parteien in der irakischen Stadt Dohuk getroffen hatten, um eine Einigung über die Verwaltung der Region zu erzielen, eingeführt (Enab 22.2.2024).
Araber und Kurden werden laut von ACCORD befragten Experten vor dem Gesetz gleichbehandelt. Fabrice Balanche erklärt jedoch, dass mehr Flexibilität gegenüber Arabern gezeigt werden würde, um einen Aufstand zu vermeiden. Arabische Stammesführer hätten lokal die Macht und würden für bestimmte junge Araber Ausnahmen und Aufschiebungen erwirken. Einem Syrienexperten zufolge seien die speziellen Konsequenzen für Araber von Region zu Region unterschiedlich. Nicht alle von den SDF kontrollierten Gebiete stünden unter derselben Art von Kontrolle. In den vornehmlich arabisch besiedelten Stammesregionen von Deir ez-Zour hätten die SDF beispielsweise nicht die Kapazität, eine direkte Rekrutierung wie in der Provinz al-Hasaka durchzusetzen. Anders als Balanche meint Muhsen Al-Mustafa, Forscher am Omran Center for Strategic Studies, dass arabische Wehrdienstverweigerer bei der Festnahme anders behandelt werden und Beleidigungen und Gewalt ausgesetzt sein könnten (ACCORD 6.9.2023). Quellen des Danish Immigration Service (DIS) zufolge ist DAANES bei der Umsetzung des Gesetzes zur Selbstverteidigung in Gebieten mit überwiegend arabischer Bevölkerung vorsichtig. Ebenso werden Christen in der Praxis nicht der gleichen Durchsetzung des Gesetzes zur Selbstverteidigung unterworfen wie Kurden, so eine weitere Quelle. Daher nehmen christliche Jugendliche in der Regel nicht an der Selbstverteidigungspflicht teil, sondern treten stattdessen für drei Jahre der christlichen Polizeitruppe Sutoro bei. Dieser Dienst befreit sie von der Selbstverteidigungspflicht (DIS 6.2024).
Mehrere Quellen des DIS, darunter ein ehemaliger Rekrut, der seine Wehrpflicht vor zwei Jahren erfüllt hat, berichteten, dass der Selbstverteidigungsdienst mit einem grundlegenden theoretischen und praktischen militärischen Ausbildungsprogramm beginnt. Während des theoretischen Teils erhalten die Wehrpflichtigen Unterricht in allgemeiner Geschichte der Nationalen Streitkräfte sowie in Kultur und Ethik. Sie erhalten auch eine theoretische Einführung in militärische Themen, einschließlich militärischer Begriffe und Waffen. Im praktischen Teil des Ausbildungsprogramms absolvieren die Wehrpflichtigen ein körperliches Training und eine Waffenausbildung. Während der ersten Phase der Grundausbildung haben die Wehrpflichtigen keinen einzigen Tag frei. Nach Abschluss ihrer Ausbildung haben sie acht bis zehn Tage frei, bevor sie in ihren jeweiligen Einheiten und Aufgabenbereichen eingesetzt werden. Anschließend haben die Wehrpflichtigen für den Rest ihres Dienstes alle zehn Tage einen Tag frei. Nach der Ausbildungszeit, die bis zu zwei Monate dauert, werden die Wehrpflichtigen verschiedenen Aufgaben in unterschiedlichen Zentren oder Einheiten zugewiesen, wo sie für den Rest ihres Dienstes tätig sind. Die Ausbildung oder Qualifikationen der Wehrpflichtigen werden bei der Zuweisung ihrer Aufgaben oft berücksichtigt. So werden beispielsweise diejenigen mit einem besseren Bildungshintergrund und besseren Fähigkeiten Aufgaben in Büros oder Einrichtungen zugewiesen, die von ihren Fähigkeiten profitieren könnten. Wehrpflichtige mit niedrigem oder ohne Bildungshintergrund werden oft für Aufgaben im Zusammenhang mit der Bewachung oder dem Schutz öffentlicher Gebäude eingesetzt. Im Allgemeinen werden die Wehrpflichtigen nicht in Kampfsituationen eingesetzt. Es gab jedoch Fälle, in denen die Wehrpflichtigen in Kampfsituationen verwickelt waren, z. B. während der Schlacht um Afrin im Jahr 2018, bei schweren Kämpfen in Deir ez-Zour im Sommer 2023, bei den Kämpfen in Tell Abyad und bei Angriffen des Islamischen Staats (IS) auf das Gefängnis von al-Hasaka (2022), das hauptsächlich von Wehrpflichtigen bewacht wurde (DIS 6.2024).
Wehrpflichtverweigerer und Deserteure
Gemäß Artikel 15 des Gesetzes Nr. 1. über die Selbstverteidigungspflicht wird jeder säumige Soldat, der eingezogen wird, bestraft, indem er einen Monat auf das Ende seiner Dienstzeit angerechnet bekommt (AANES-GC 22.2.2024). Dass die Bestrafung mit einem zusätzlichen Monat auch in der Praxis so gehandhabt wird, bestätigten die von der Danish Immigration Service befragten Quellen. Die Namen der Wehrdienstverweigerer werden veröffentlicht und an Checkpoints weitergegeben. Dort wird nach ihnen gesucht, nicht aber in ihren Wohnhäusern (DIS 6.2024). Diejenigen, die auf frischer Tat beim illegalen Überschreiten der Grenze ertappt werden, werden direkt in das Ausbildungszentrum gebracht, um ihre Pflicht zur Selbstverteidigung zu erfüllen, besagt Artikel 28 im Gesetz Nr. 1 zur Selbstverteidigungspflicht (AANES-GC 22.2.2024). Gemäß Quellen des Danish Immigration Service (DIS) werden Wehrdienstverweigerer, wenn sie an Checkpoints aufgegriffen werden, vorübergehend festgenommen und zur Ableistung ihres Dienstes geschickt. Die Familie des Betroffenen wird über seine Festnahme und Einberufung informiert. Den Quellen des DIS waren keine Fälle von Gewalt oder Misshandlung von Wehrdienstverweigerern oder Deserteuren bekannt, die an Kontrollpunkten gefasst wurden. Das Leben ist für diejenigen, die sich der Selbstverteidigungspflicht in den Nationalen Sicherheitskräften entziehen, eine Herausforderung, da viele junge Männer Kontrollpunkte meiden und auf Fluchtmöglichkeiten warten. Quellen berichteten von Entflohenen, die sich jahrelang versteckt hielten. In arabisch dominierten Gebieten kann die Flucht länger andauern, da die Behörden vorsichtig vorgehen, um keine Spannungen zu provozieren, indem sie diejenigen suchen und verhaften, die ihrer Pflicht nicht nachgekommen sind (DIS 6.2024). Al-Mustafa, Forscher am Omran Center for Strategic Studies, schreibt in einer E-Mail an ACCORD vom September 2023, dass alle Wehrdienstverweigerer unter die Bestimmungen des Gesetzes zur Selbstverteidigungspflicht fallen würden und dem Gesetz entsprechend behandelt würden. Die Assayish würden den Wohnort von zum Dienst gesuchten Personen durchsuchen, an Checkpoints Rekrutierungslisten überprüfen und die Gesuchten verhaften. Nach dem Gesetz werde jede Person, die dem Dienst fernbleiben, verhaftet und mit einer Verlängerung des Dienstes um einen Monat bestraft. Ein von ACCORD kontaktierter Syrienexperte gibt in einer E-Mail-Auskunft vom August 2023 an, dass die Konsequenzen bei Verweigerung des Dienstes in den Selbstverteidigungskräften vom Profil des Wehrpflichtigen und der Region, aus der er stamme, abhingen. Je strenger die kurdische Kontrolle, desto höher sei die Wahrscheinlichkeit, dass Rekruten nicht das Risiko eingehen würden, offen Einwände gegen den Selbstverteidigungsdienst zu zeigen. In al-Hasaka beispielsweise könnten Personen im dienstfähigen Alter verhaftet und zum Dienst gezwungen werden (ACCORD 6.9.2023).
Die SDF definieren einen Deserteur im Selbstverteidigungsgesetz als einen Kämpfer, der nach seinem Eintritt 15 aufeinanderfolgende Tage des Dienstes versäumt hat, während die volle Dienstzeit zwölf Monate beträgt (Enab 22.2.2024). Laut zwei vom DIS befragten Quellen werden Deserteure zwar nicht zusätzlich bestraft, aber es werden Ermittlungen zu ihren Motiven für die Desertion durchgeführt. Deserteure entscheiden sich oft dafür, die Region aus Angst vor möglichen Konsequenzen zu verlassen, obwohl die Einzelheiten dieser Konsequenzen unklar bleiben. Sowohl für Wehrdienstverweigerer als auch für Deserteure werden regelmäßig Amnestien angekündigt, vorausgesetzt, sie melden sich zum Wehrdienst und leisten ihn ab. Die jüngste Amnestie wurde Anfang Mai 2024 erlassen. Junge Menschen kommen ihren Verpflichtungen zur Selbstverteidigung in der Regel umgehend nach, wenn in der DAANES eine stabile Sicherheitslage herrscht, während sie sich bei anhaltenden externen Sicherheitsbedrohungen aktiv um eine Dienstverweigerung bemühen können (DIS 6.2024).
Familienangehörige von Wehrdienstverweigerern und Deserteuren werden nicht bestraft. Den Quellen des DIS waren keine Fälle bekannt, in denen Familienmitglieder von Wehrdienstverweigerern und Deserteuren aufgrund der Wehrdienstverweigerung oder Desertion ihrer Verwandten Schikanen oder anderen Verstößen ausgesetzt waren, selbst in Fällen, in denen der Wehrdienstverweigerer an einem Checkpoint festgenommen wurden (DIS 6.2024).
Allgemeine Menschenrechtslage - Entwicklungen seit dem Sturz des Assad Regimes (seit 8.12.2024)
Human Rights Watch konstatiert, dass nicht-staatliche bewaffnete Gruppierungen in Syrien, darunter Hay'at Tahrir ash-Sham (HTS) und Gruppierungen der Syrischen Nationalarmee (Syrian National Army - SNA), die am 27.11.2024 die Offensive starteten, die nach zwölf Tagen die syrische Regierung stürzte, im Jahr 2024 für Menschenrechtsverletzungen und Kriegsverbrechen verantwortlich waren (HRW 16.1.2025). Die Syrische Beobachtungsstelle für Menschenrechte (SOHR) befürchtet eine Rückkehr zu einer "dunklen Ära", weil die Verhaftungen und Hinrichtungen angesichts der sich verschlechternden Sicherheitslage zunehmen (SOHR 2.2.2025). Das Syrian Network for Human Rights (SNHR) dokumentierte im Jänner 2025 129 Fälle von willkürlichen Verhaftungen durch die Übergangsregierung (SNHR 4.2.2025b) und im Februar 2025 21 Fälle (SNHR 3.3.2025).
Der Übergang von dem Regime unter Bashar al-Assad zur Interimsregierung unter der Führung der Hay'at Tahrir ash-Sham (HTS) soll relativ reibungslos verlaufen sein. Berichte über Vergeltungsmaßnahmen, Rachemorde und religiös motivierte Gewalttaten waren minimal. Plünderungen und Zerstörungen konnten schnell unter Kontrolle gebracht werden, die aufständischen Kämpfer wurden diszipliniert (AP 15.12.2024b). Es gab keine größeren Massaker oder Rachekampagnen (DW 12.12.2024).
Seit die Rebellengruppierungen am 5.12.2024 die Kontrolle über das Gouvernement Hama übernommen haben, hat das Syrian Network for Human Rights (SNHR) eine Reihe von Verstößen dokumentiert, darunter außergerichtliche Tötungen, Zerstörung von Häusern und Angriffe auf öffentliches und privates Eigentum (SNHR 19.12.2024). Mitte Jänner 2025 nahm die Welle von Selbstjustiz-Angriffen auf ehemalige Mitarbeiter des Regimes zu. Menschen wurden zu Opfern von Attentaten und Ausschreitungen des Mobs. Während einige der Betroffenen Personen sind, deren Beteiligung an den Misshandlungen der Zivilbevölkerung durch das Regime nach 2011 gut dokumentiert ist, waren an anderen Vorfällen kürzlich versöhnte ehemalige Mitglieder des Regimes, Wehrpflichtige mit niedrigem Rang und scheinbar zufällig ausgewählte junge Männer aus der Gemeinschaft der Alawiten betroffen (Etana 17.1.2025). Es werden Rachemorde durch bewaffnete Gruppierungen durchgeführt, von denen einige behaupten, dass diese mit der Abteilung für militärische Operationen verbunden wären. Sie zielen aus politischen bzw. konfessionellen Motiven auf Zivilisten ab (SOHR 26.1.2025). Die Provinzen Hama und Homs waren von diesen Entwicklungen am stärksten betroffen, da sie zum Schauplatz häufiger Konfrontationen wurden. In den Küstengebieten wie Latakia und Tartus kam es zu einer Verschlechterung der Sicherheitslage und zu einer Zunahme an Morden und Hinrichtungen [Diese Provinzen stellten das Kernland des Assad-Regimes dar und wurden in den Bürgerkriegsjahren weitgehend von Kampfhandlungen verschont. Anm.]. Am 11.1.2025 zählte die Syrische Beobachtungsstelle für Menschenrechte (SOHR) seit 8.12.2024 80 Fälle von Tötungen, darunter Hinrichtungen vor Ort, bei denen 157 Menschen getötet wurden, unter den Getöteten waren Frauen und Kinder (SOHR 11.1.2025). Insbesondere in den Regionen Hama und Homs, sowie in den Küstengebieten Latakia und Tartus kam es zu willkürlichen Tötungen und Hinrichtungen vor Ort (SOHR 3.1.2025). Nach Berichten von lokalen Aktivisten und Augenzeugen war die Gruppierung Ansar at-Tawhid an einem großen Teil dieser Verstöße beteiligt, zusätzlich zu anderen Gruppierungen, die nicht genau identifiziert werden konnten (SNHR 19.12.2024). Mindestens 124 Menschen wurden bei einer Reihe von gewalttätigen Zwischenfällen zwischen 8.12.2024 und 8.1.2025 getötet, darunter bei Racheakten, Vandalismus, Morden und Hinrichtungen in den Provinzen Homs und Hama sowie in den syrischen Küstenstädten. Berichten zufolge wurde ein erheblicher Teil der Gewalt durch die Verbreitung von Videos mit Falschmeldungen in den sozialen Medien ausgelöst, deren Ziel es war, die sektiererischen Spannungen zu verschärfen (MAITIC 9.1.2025). Wegen eines unbestätigten Angriffs auf einen alawitischen Schrein wurde im Dezember 2024 eine Welle von Protesten unter der alawitischen Gemeinschaft in Homs, Latakia, Tartus und Teilen von Damaskus ausgelöst. Die Proteste führten zu Militäroperationen des neuen syrischen Sicherheitsapparats, um ehemalige Kämpfer des Regimes zu vertreiben (AlMon 11.1.2025). Dem Middle East Institute zufolge ist eines der dringendsten Probleme nicht sektiererisch motivierte Angriffe, sondern vielmehr der undurchsichtige Prozess der gezielten Verfolgung von Männern, die in den Streitkräften des Regimes gedient haben. Im Allgemeinen richten sich die Übergriffe der Sicherheitskräfte gegen Männer, von denen angenommen wird, dass sie Verbrechen begangen haben (unabhängig davon, ob dies bewiesen ist oder nicht), und nicht gegen irgendwelche Alawiten, denen die Soldaten zufällig begegnen. Die Fälle, die die größte Angst geschürt haben, sind die Entführungen und Hinrichtungen von ehemaligen Mitgliedern des Regimes (MEI 21.1.2025). France 24 zufolge zeigen Berichte und Videos in den sozialen Medien in Syrien, dass Vergeltungsmorde begonnen haben (FR24 13.12.2024). Es kursierten Bilder von Regierungsbeamten des ehemaligen Regimes, die unter Gewaltanwendung durch die Straßen geschleift wurden (PBS 16.12.2024). Seit der Machtübernahme durch die neue Regierung haben die Sicherheitsbehörden eine Reihe von Sicherheitskampagnen durchgeführt, die darauf abzielen, die „Überbleibsel des früheren Regimes“ zu verfolgen. Hunderte von Menschen, die ihren Status bei den neuen Behörden nicht geregelt haben, wurden verhaftet. Anwohner und Organisationen haben von Misshandlungen berichtet, darunter die Beschlagnahmung von Häusern und Hinrichtungen vor Ort (AAA 2.2.2025). Bei einer Sicherheitskampagne in Homs gegen Regimeunterstützer im Jänner 2025 kam es zur Festnahme einer Reihe von Männern, darunter auch Zivilisten, denen Verstöße im Zusammenhang mit der inoffiziellen Beschlagnahme von Fahrzeugen nachgewiesen wurden. Die meisten Elemente der Abteilung für Militärische Operationen waren diszipliniert, mit Ausnahme einiger von offizieller Seite als Einzelfälle bezeichneten Vorfällen, wie das Zerbrechen von Musikinstrumenten und Wasserpfeifen sowie von Flaschen mit alkoholischen Getränken und die Beschädigung des Inhalts einiger Häuser. Einige Häftlinge wurden zu erniedrigenden Handlungen gezwungen, wie dem Imitieren von Tiergeräuschen, und sie wurden beleidigt und mit sektiererischen Phrasen beschimpft (Enab 6.1.2025). Auch in Damaskus kam es am 8.1.2025 zu Razzien durch die neuen Sicherheitsbehörden. Sie folgten auf eine dreiwöchige Kampagne im alawitischen Kernland an der Küste (National 8.1.2025). Die Civil Peace Group, eine zivilgesellschaftliche Gruppe, stellte den Tod von zehn Personen, die bei Sicherheitskampagnen und Razzien festgenommen worden waren, in den Gefängnissen der Abteilung für Militärische Operationen im Zeitraum vom 28.1 bis 1.2.2025 in verschiedenen Teilen von Homs fest (AAA 2.2.2025). Lokale bewaffnete Gruppen, die unter dem Kommando der Abteilung für Militärische Operationen operieren, führten Racheaktionen, schwere Übergriffe und willkürliche Verhaftungen durch, wobei sie Dutzende von Menschen ins Visier nahmen, sie demütigten und erniedrigten sowie religiöse Symbole angriffen (SOHR 28.1.2025). Die neue Regierung reagierte auf die Vorwürfe von Menschenrechtsaktivisten mit Festnahmen von Dutzenden Mitgliedern örtlicher bewaffneter Gruppen, die unter der Kontrolle der neuen Machthaber stünden, wegen ihrer Beteiligung an den "Sicherheitseinsätzen" in der Region Homs (Spiegel 27.1.2025). Zuvor hatten die neuen Machthaber Mitglieder einer "kriminellen Gruppe" beschuldigt, sich während eines Sicherheitseinsatzes als "Angehörige der Sicherheitsdienste" ausgegeben zu haben (Zeit Online 27.1.2025). Ein Überfall auf eine syrische Sicherheitspatrouille durch militante Anhänger des gestürzten Staatschefs Bashar al-Assad eskalierte am 6.3.2025 zu Zusammenstößen, bei denen innerhalb von vier Tagen mehr als 1.000 Menschen getötet wurden (SOHR 10.3.2025a). Bewaffnete Männer, die der syrischen Regierung treu ergeben sind, führten Hinrichtungen vor Ort durch und sprachen von einer Säuberung des Landes, wie Augenzeugen und Videos belegen. Sie lieferten ein grausames Bild eines harten Vorgehens gegen die Überreste des ehemaligen Assad-Regimes, das in gemeinschaftliche Morde ausartete (CNN 9.3.2025). Menschenrechtsberichten zufolge waren von der Türkei unterstützte Gruppierungen an „systematischen ethnischen Säuberungsaktionen“ und groß angelegten „Massakern“ gegen Zivilisten in Baniyas, Tartus und Latakia beteiligt, bei denen Hunderte von Menschen, darunter auch Frauen und Kinder, getötet wurden (LebDeb 10.3.2025). Mitglieder des Verteidigungsministeriums und die sie unterstützenden Kräfte haben Kriegsverbrechen und Menschenrechtsverletzungen begangen, ohne dass sie rechtliche Konsequenzen fürchten müssen. Insgesamt wurden 1.093 Todesopfer verzeichnet (SOHR 11.3.2025). Dem Leiter der Syrischen Beobachtungsstelle für Menschenrechte zufolge wurden 745 alawitische Zivilisten aus konfessionellen Gründen getötet, wobei er betonte, dass sie nicht an den Kämpfen beteiligt waren oder mit dem Regime in Verbindung standen (Sky News 9.3.2025a). Des Weiteren gibt er an, dass in einigen Gebieten Zivilisten abgeschlachtet wurden, während andere durch Erschießungskommandos hingerichtet wurden (AlHurra 9.3.2025), wie in den Stadtvierteln Baniyas und al-Qusour im Gouvernement Tartus, wo 92 Bürger durch ein Erschießungskommando des Ministeriums für Verteidigung und innere Sicherheit hingerichtet wurden (SOHR 10.3.2025e). Die meisten der von Regierungstruppen getöteten Zivilisten waren Alawiten, aber auch einige Christen wurden als tot bestätigt. Unter den getöteten Aufständischen des ehemaligen Regimes befanden sich Sunniten, Alawiten und Christen (TWI 10.3.2025). In den Städten im Gebiet zwischen Baniyas und Qadmous kam es zu Massentötungen, darunter auch von Kindern und älteren Menschen (AlHurra 9.3.2025). Zehntausende Häuser wurden laut Aussage des Leiters der Syrischen Beobachtungsstelle für Menschenrechte (SOHR) geplündert und niedergebrannt (Sky News 9.3.2025a). Der UN-Sondergesandte Geir Pedersen sprach über Berichte von Menschen, die im Kreuzfeuer getötet wurden, und schwere Misshandlungen in der Haft. Pedersen prangerte Entführungen, Plünderungen, Beschlagnahmungen von Eigentum und Zwangsräumungen von Familien aus staatlichen Wohnungen an. Er forderte alle bewaffneten Akteure dazu auf, diese Art von Aktionen zu stoppen, ihre Zusicherungen mit konkreten Maßnahmen zu untermauern, und an einem umfassenden Rahmen für eine Übergangsjustiz zu arbeiten (AJ 13.2.2025b).
Der Exekutivdirektor der Organisation Christians for Democracy, stimmt der Rechtfertigung der neuen syrischen Regierung zu, dass das, was geschieht, nicht die Politik der Übergangsregierung widerspiegelt. Er hat die Verstöße in zwei Kategorien eingeteilt: Verbrechen und Übergriffe, die von Einzelpersonen mit der Absicht begangen werden, sich an bestimmten Personen oder an denen, die mit dem früheren Regime kollaboriert haben, zu rächen, und Übergriffe, die von einigen extremistischen Gruppierungen begangen werden, die mit der von der neuen Regierung in Damaskus beschlossenen Politik nicht einverstanden sind. Die Übergangsregierung zieht diejenigen zur Rechenschaft, die nachweislich an Übergriffen gegen Zivilisten beteiligt waren (SOHR 2.2.2025).
Die syrische Übergangsregierung unter ash-Shara' hat zugesagt, dass die Verantwortlichen für Gewalttaten gegen Syrer durch das gestürzte Assad-Regime zur Rechenschaft gezogen werden. Der Weg dorthin ist jedoch schwierig, da die Zahl der Opfer nicht genau bekannt ist und die Täter noch nicht identifiziert werden konnten (BBC 13.12.2024). Die HTS möchte die an staatlicher Folter beteiligten Ex-Offiziere auflisten und sie als Kriegsverbrecher zur Rechenschaft ziehen. Dafür setzte sie sogar eine Belohnung aus, für Informationen über ranghohe Offiziere von Armee und Sicherheitsbehörden, die an Kriegsverbrechen beteiligt waren (FAZ 10.12.2024).
Die von der Türkei unterstützten Gruppierungen plünderten nach der Eroberung von Manbij das Eigentum von kurdischen Bürgern und führten identitätsbezogene Tötungen durch. Sie führten Racheaktionen durch, brannten Häuser nieder und demütigten Kurden (SOHR 9.12.2024; vgl. ISW 16.12.2024). Eine Mitarbeiterin von Human Rights Watch erklärte, dass die Syrische Nationale Armee (Syrian National Army - SNA) und die türkischen Streitkräfte ein klares und beunruhigendes Muster rechtswidriger Angriffe auf Zivilisten und zivile Objekte gezeigt haben und diese sogar zu feiern scheinen. Die türkischen Streitkräfte und die SNA haben eine schlechte Menschenrechtsbilanz in den von der Türkei besetzten Gebieten Nordsyriens. Human Rights Watch hat festgestellt, dass SNA-Gruppierungen und andere Gruppierungen, darunter Mitglieder der türkischen Streitkräfte und Geheimdienste, Menschen, darunter auch Kinder, entführt, rechtswidrig festgenommen und inhaftiert haben, sexuelle Gewalt und Folter mit geringer Rechenschaftspflicht begangen haben und sich an Plünderungen, Diebstahl von Land und Wohnraum sowie Erpressung beteiligt haben (HRW 30.1.2025). In den letzten Jahren sollen SNA-Kämpfer schwere Menschenrechtsverletzungen gegen kurdische Gemeinden in 'Afrin und im Umland von Aleppo begangen haben. Sie wurden beschuldigt, willkürliche Verhaftungen, Inhaftierungen ohne Kontakt zur Außenwelt, Entführungen und Folter begangen zu haben. Während der Offensive "Abschreckung der Aggression" hat HTS mehrere Kämpfer von SNA-Gruppen nördlich von Aleppo im Stadtviertel Sheikh Maqsoud festgenommen und sie beschuldigt, kurdische Zivilisten ausgeraubt und verletzt zu haben, so ein Experte (MEE 7.12.2024). Die United Nations Independent International Commission of Inquiry on the Syrian Arab Republic berichtete weiterhin von Verhaftungen, Gewalt und finanzieller Erpressung durch die Militärpolizei der Syrischen Nationalarmee (SNA) und bestimmter Gruppierungen, insbesondere der Sultan-Suleiman-Shah Division und der Sultan-Murad-Division (UNHRC 12.8.2024). SNHR dokumentierte im Jänner 2025 41 Fälle von willkürlichen Verhaftungen durch Gruppierungen der SNA (SNHR 4.2.2025b) und im Februar 2025 34 Fälle, darunter eine Frau (SNHR 3.3.2025). Menschenrechtsberichten zufolge waren es auch zwei von der Türkei unterstütze Gruppierungen, die Anfang März 2025 an „systematischen ethnischen Säuberungsaktionen“ und groß angelegten „Massakern“ gegen Zivilisten in Banyas, Tartus und Latakia beteiligt waren, bei denen Hunderte von Menschen, darunter auch Frauen und Kinder, getötet wurden (LebDeb 10.3.2025).
Ethnische und religiöse Minderheiten - Entwicklungen seit dem Sturz des Assad-Regimes (seit 8.12.2024)
Die sunnitischen Muslime machen die Mehrheit der Bevölkerung des Landes aus. Obwohl die offiziellen Bevölkerungsstatistiken keine Angaben zu Religion oder ethnischer Zugehörigkeit enthalten, sind laut dem Bericht des US-Außenministeriums über Religionsfreiheit aus dem Jahr 2022 74 % der Bevölkerung Sunniten, mit einer vielfältigen ethnischen Mischung aus mehrheitlich Arabern, Kurden, Tscherkessen, Tschetschenen und einigen Turkmenen. Sunniten sind in den meisten syrischen Städten und Dörfern vertreten, mit bemerkenswerten Konzentrationen in Damaskus, Aleppo und Homs. Neben den Sunniten gibt es weitere islamische Gruppen, darunter Alawiten, Ismailiten und andere schiitische Sekten, die nach Schätzungen des US-Außenministeriums zusammen 13 % der Bevölkerung ausmachen. Die Vielfalt Syriens beschränkt sich nicht auf die konfessionelle Dimension, sondern erstreckt sich auf zahlreiche ethnische Gruppen wie Kurden, Armenier, Turkmenen, Tscherkessen und andere. Araber sind die überwältigende Mehrheit in Syrien, gefolgt von Kurden (BBC 12.12.2024). Die Übergangsregierung in Syrien will sich nach Aussagen ihres Außenministers ash-Shaybani für die Inklusion aller Bevölkerungsgruppen im Land einsetzen. Niemand sollte aufgrund seiner Herkunft, seines sozialen oder religiösen Hintergrunds oder einer Zugehörigkeit zu bestimmten Bevölkerungsgruppen bestraft werden, sagte er beim Weltwirtschaftsforum in Davos (Zeit Online 23.1.2025). Demografische Daten für Syrien sind unzuverlässig, und die derzeitigen Standorte von Minderheitengemeinschaften sind aufgrund der erheblichen Umwälzungen, die das Land unter der Herrschaft von Bashar al-Assad erlebte, ähnlich schwer zu ermitteln (MRG 1.2025).
Kinder - Entwicklungen seit dem Sturz des Assad-Regimes (seit 8.12.2024)
UNICEF zufolge benötigen 7,5 Millionen Kinder humanitäre Hilfe, 6,4 Millionen benötigen dringend Schutz, weil Unsicherheit und wirtschaftliche Not die Verletzung von Kinderrechten, Angst und Not vertiefen. 3,7 Millionen Kinder benötigen Ernährungshilfe. Mehr als 2,4 Millionen Kinder gehen nicht zur Schule und eine Million weitere Kinder laufen Gefahr, die Schule abzubrechen. Dadurch sind sie einem höheren Risiko von Kinderarbeit, Kinderheirat, Menschenhandel sowie Rekrutierung und Einsatz durch Konfliktparteien ausgesetzt. (UNICEF 17.12.2024). Mehr als 650.000 Kinder zeigen Anzeichen von Wachstumsstörungen aufgrund schwerer Unterernährung (OHCHR 3.2.2025).
Nach dem Sturz des Assad-Regimes ist das Schicksal von Hunderten von Kindern, die nach der Verhaftung ihrer Eltern verhaftet oder in Waisenhäuser gebracht wurden, weiterhin unklar. Das Medienbüro des syrischen Ministeriums für Soziales und Arbeit teilte mit, dass es mehrere geheime Bücher gefunden habe, die von den Sicherheitsbehörden während der Herrschaft al-Assads verschickt wurden und die die Überführung einer Reihe von Kindern in Waisenhäuser betreffen. Einige Mitarbeiter von Waisenhäusern haben zugegeben, dass eine Reihe von Kindern zu ihnen gebracht wurde und dass die Kinder manchmal aufgefordert wurden, die Namen ihrer Eltern zu ändern oder sie als verstorben zu registrieren (Arabiya 12.1.2025b).
Kinder sind der Gefahr von Landminen und Blindgängern in besonderem Maße ausgesetzt. Oft werden Blindgänger mit Spielzeug verwechselt oder stellen Gegenstände dar, die Kinder neugierig machen. Seit 2020 sind mehr als 1.260 Kinder durch Kampfmittelreste getötet worden (UNICEF 17.12.2024). In den letzten neun Jahren passierten 422.000 Zwischenfälle mit Blindgängern, bei der Hälfte davon waren Kinder involviert. 2024 wurden 116 Kinder durch nicht explodierte Munition oder Minen getötet oder verletzt. Blindgänger sind die Hauptursache für Opfer unter Kindern. Schätzungen zufolge sind fünf Millionen Kinder im ganzen Land gefährdet (UN News 14.1.2025).
Bildung und Schulen
Über zwei Millionen Kinder gehen nicht zur Schule, und viele Schulen wurden zerstört oder beschädigt (UNESCWA 26.1.2025). Der Bildungssektor steht aufgrund der Zerstörung der Infrastruktur und des wirtschaftlichen Drucks vor erheblichen Hindernissen, was zu hohen Abbrecherquoten führt, insbesondere bei Mädchen. Viele Familien ziehen es vor, anstatt ihre Kinder zur Schule zu schicken, sie arbeiten zu lassen, um mit der wirtschaftlichen Not fertig zu werden. 35 % der Kinder im schulpflichtigen Alter besuchen keine Schule, was durch die Zerstörung der Infrastruktur und den wirtschaftlichen Druck noch verschärft wird. Das bedeutet, dass mehr als 2,4 Millionen Kinder keine Bildungschancen haben, während mehr als eine Million Kinder einem ähnlichen Risiko ausgesetzt sind (IHH 10.1.2025).
Flüchtlingskinder sehen sich großen Hindernissen für den Schulbesuch gegenüber, darunter überfüllte Lager, unzureichende Ressourcen und begrenzter Zugang zu Schulmöglichkeiten (UNESCWA 26.1.2025). Die Mehrheit der Lager in Nordwestsyrien, in den Gouvernements Aleppo und Idlib haben keine Schule. Meistens aufgrund einer niederen Anzahl an Lagerbewohnern in einigen Lagern gibt es möglicherweise alternative Bildungsprogramme oder die Kinder pendeln zur Schule in nahe gelegene Städte. Nur 40 % der Schulen verfügen über ausreichend Trinkwasser. Andererseits verfügen nur 35 % über ausreichend Toilettenwasser. Die Studie ergab eine vielfältige Bildungslandschaft in Lagerschulen, wobei die meisten den ersten und zweiten Zyklus der Grundbildung anbieten und nur sehr wenige bis zur Sekundarstufe reichen, was dazu führt, dass viele Schüler im Sekundarschulalter Schulen außerhalb der Lager besuchen (ACU 30.6.2024).
Das Bildungsministerium unter der Leitung des neu ernannten Ministers al-Qadri kündigte am 1.1.2025 umfassende Reformen des nationalen Lehrplans an, die eine breite Debatte ausgelöst haben. Die vorgeschlagenen Reformen, die alle Bildungsstufen betreffen, beinhalten erhebliche Überarbeitungen, wie die Streichung von Inhalten, die mit dem gestürzten Assad-Regime in Verbindung stehen, die Umformulierung von Passagen über Götter in Geschichte- und Philosophiebüchern, die Umschreibung oder Streichung des Fachs Englisch, das Ersetzen des Fachs "Nationale Bildung" durch das Fach "Islamische oder Christliche Religionslehre" (TNA 2.1.2025b). Die abgeänderten Lehrpläne sollen bestehen bleiben, bis Fachausschüsse gebildet werden, um die Lehrpläne zu überarbeiten (Sky News 2.1.2025). Im Gouvernement Suweida wurde daraufhin zu Protesten aufgerufen (Tayyar 1.1.2025).
Im Nordosten Syriens in den von den Kurden kontrollierten Gebieten haben über 50.000 Kinder, darunter auch Kinder mit Behinderungen, immer noch keinen Zugang zu Bildung, da ihre Schulen als Notunterkünfte genutzt werden (UNOCHA 30.1.2025).
Kinder in den Gebieten unter der Kontrolle der kurdisch dominierten SDF - Demokratische Autonome Administration von Nord- und Ostsyrien (DAANES)
Im Gesellschaftsvertrag von 2023 der Demokratischen Autonomen Administration von Nord- und Ostsyrien (DAANES) ist im Artikel 55 festgeschrieben, dass die Rechte von Kindern geschützt und die Anwendung von Gewalt gegen sie, ihre Beschäftigung, Ausbeutung und Rekrutierung verboten sind. Des Weiteren legt Artikel 52 fest, dass die Jugendlichen das Recht haben, sich selbstständig zu organisieren und sich organisiert und freiwillig an allen Lebensbereichen zu beteiligen (RIC 14.12.2023).
Im Nordosten Syriens in den von den Kurden kontrollierten Gebieten haben über 50.000 Kinder, darunter auch Kinder mit Behinderungen, immer noch keinen Zugang zu Bildung, da ihre Schulen als Notunterkünfte genutzt werden (UNOCHA 30.1.2025).
Rekrutierung Minderjähriger für den Militärdienst (Stand Oktober 2024)
Die Rekrutierung von Kindern für Streitkräfte oder bewaffnete Gruppen verstößt gegen das humanitäre Völkerrecht, das die Rekrutierung oder den Einsatz von Kindern unter 15 Jahren in Konflikten verbietet. Eine solche Rekrutierung oder der Einsatz von Kindern in Konflikten ist ein Kriegsverbrechen gemäß dem Römischen Statut des Internationalen Strafgerichtshofs. Darüber hinaus verbietet das Fakultativprotokoll zum Übereinkommen über die Rechte des Kindes betreffend die Beteiligung von Kindern an bewaffneten Konflikten nicht-staatlichen bewaffneten Gruppen unter allen Umständen die Rekrutierung von Kindern unter 18 Jahren (HRW 2.10.2024). Die Rekrutierung von Kindern in bewaffneten Konflikten fügt Gemeinschaften und Familien erheblichen Schaden zu. Wenn Kinder in bewaffnete Gruppen gezwungen werden, setzen sie sich nicht nur Gefahren aus und untergraben die Bemühungen um Friedenskonsolidierung. Familien leiden unter der Not, wenn ihre Kinder Gewalt ausgesetzt sind, was zu Angst und Instabilität führt. Die anhaltenden Folgen der Rekrutierung von Kindern tragen zu einem Kreislauf von Traumata bei, der sich auf die allgemeine Entwicklung und das Wohlergehen der Gemeinschaft auswirkt (CCR/YASA 5.2024). In den Jahren des Konflikts und Bürgerkriegs in Syrien haben bewaffnete Gruppen Kinder rekrutiert. Die Zahl der Rekrutierungen Minderjähriger nahm dabei bis 2023 kontinuierlich zu (AP 28.6.2023). In einigen Fällen wurden Kinder zwangsrekrutiert, in anderen Fällen melden sich Minderjährige, weil sie oder ihre Familien das Gehalt benötigen. Einige schlossen sich aus ideologischen Gründen oder aufgrund von Familien- und Stammesloyalitäten an. In einigen Fällen wurden Kinder aus Syrien geschickt, um als Söldner in anderen Konflikten zu kämpfen (AP 28.6.2023). Unter den 25 Parteien, die Berichten zufolge an der Rekrutierung von Kindern beteiligt waren, darunter die Kurdischen Volksverteidigungseinheiten (Yekîneyên Parastina Gel - YPG), die Fraueneinheiten (Yekîneyên Parastina Jin - YPJ), die Freie Syrische Armee (Free Syrian Army - FSA), Ahrar ash-Sham und andere bewaffnete Gruppen unter der Syrischen Nationalen Armee (Syrian National Army - SNA), stach die Hay'at Tahrir ash-Sham (HTS) durch ihr umfangreiches Engagement bei der Rekrutierung und Ausbildung von Kindern hervor (CCR/YASA 5.2024). Die SNA und die HTS rekrutierten Minderjährige (AP 28.6.2023). Die UN verifizierten 231 Fälle von Rekrutierungen Minderjähriger durch die SDF und den mit ihnen verbundenen Kräften im Jahr 2023 (HRW 2.10.2024).
Die oppositionelle Syrische Nationalarmee (Syrian National Army - SNA), darunter Ahrar ash-Sham und die Armee des Islam, sowie die mit ihnen verbündeten Gruppierungen und Fraktionen unterzeichneten am 3.6.2024 einen Aktionsplan mit den Vereinten Nationen, um die Rekrutierung und den Einsatz sowie die Tötung und Verstümmelung von Kindern gemäß der Resolution 1539 (2004) des Sicherheitsrats und nachfolgender Resolutionen zu beenden und zu verhindern. Der Aktionsplan gilt auch für alle neuen Gruppierungen, die sich der oppositionellen SNA und den ihr angeschlossenen Gruppierungen nach seiner Unterzeichnung anschließen oder sie verlassen (UNSRCA 3.6.2024).
Rekrutierung Minderjähriger in den Gebieten der Demokratischen Autonomen Administration Nord- und Ostsyrien (DAANES)
2019 haben die von Kurden geführten Syrischen Demokratischen Kräfte (Syrian Democratic Forces - SDF) ein Abkommen mit den UN unterzeichnet, in dem sie versprachen, die Rekrutierung von Kindern unter 18 Jahren zu beenden und in ihrem Gebiet eine Reihe von Kinderschutzbüros einzurichten (AP 28.6.2023). Im Jahr 2020 entließen die SDF 150 Kinder aus ihren Reihen, was einen erheblichen Einsatz bei der Umsetzung des Aktionsplans von 2019 zeigt. Diese Zahl der Demobilisierungen stieg 2021 leicht auf 182 an, was auf weitere Fortschritte hindeutet. Im Jahr 2022 stieg die Zahl der SDF-Rekrutierungen von Kindern auf 637 bestätigte Fälle an. In diesem Jahr gingen die SDF-Demobilisierungen laut UN auch stark zurück, auf nur 33 Kinder, was einen besorgniserregenden Rückgang der Korrekturmaßnahmen widerspiegelt, obwohl die Rekrutierung von Kindern stark anstieg (HRW 2.10.2024). Personen unter 18 Jahren werden dem Danish Immigraton Service (DIS) zufolge nicht zum Selbstverteidigungspflichtdienst einberufen, und die Bestimmungen des Gesetzes Nr. 1 über die Selbstverteidigungspflicht in Bezug auf das Einberufungsalter werden von den DAANES-Behörden generell eingehalten und konsequent durchgesetzt. Dennoch gab es Berichte über die Rekrutierung von Personen unter 18 Jahren in die SDF. Die genauen Zahlen und das Ausmaß, in dem diese Rekrutierung unter Anwendung physischer Gewalt (z. B. Entführungen) durchgeführt wurde, sind unklar (DIS 6.2024). Die SDF haben dem Syrian Human Rights Committee zufolge die Entführungen und Zwangsrekrutierungen von Kindern in ihren Gebieten im August 2024 wieder erhöht (SHRC 3.9.2024). Ein Drittel der rekrutierten Minderjährigen ging im Jahr 2022 zulasten der SDF (AP 28.6.2023). Befürworter der SDF und der DAANES neigen dazu, dieses Problem herunterzuspielen, indem sie behaupten, dass diese Rekrutierungspraktiken nicht stattfinden oder dass sich die Situation verbessert hat. Umgekehrt neigen diejenigen, die der SDF und der DAANES kritisch gegenüberstehen, dazu, die Zahl dieser Fälle zu übertreiben (DIS 6.2024). Innerhalb der SDF ist es hauptsächlich die Revolutionäre Jugendbewegung Syriens, Tevgera Ciwanên Şoreşger, die Mädchen und Jungen im Alter von 12 Jahren rekrutiert, sie aus ihren Schulen und Häusern entfernt, ihren Familien den Kontakt zu ihnen verweigert und die verzweifelten Bemühungen der Familien, sie zu finden, abweisen. Trotz der Zusagen der Behörden, diese Praxis zu beenden, scheint die Gruppe offen und ungestraft Kinder im Auftrag bewaffneter Gruppen ideologisch zu indoktrinieren. Diese Jugendgruppe ist zwar selbst keine bewaffnete Gruppe, scheint aber tief in die politischen und militärischen Strukturen der kurdisch geführten Autonomieverwaltung für Nord- und Ostsyrien und der von den USA unterstützten, kurdisch geführten SDF, ihrem militärischen Flügel, verstrickt zu sein. Untersuchungen unabhängiger syrischer Menschenrechtsgruppen zeigen, dass die Revolutionäre Jugendbewegung Kinder an die beiden Hauptkomponenten der SDF, die Volksverteidigungseinheit (Yekîneyên Parastina Gel - YPG) und ihren Frauenverband, die (Yekîneyên Parastina Jin - YPJ), überstellt hat, beides bewaffnete Gruppen, die selbst direkt in die Rekrutierung von Kindersoldaten verwickelt waren (HRW 2.10.2024). Berichte von Organisationen, die sich mit den Menschenrechten in Syrien befassen, weisen auf die Beteiligung der Revolutionären Jugend an der Entführung und Rekrutierung von Kindern in Gebieten im Nordosten Syriens sowie in Teilen der Stadt Aleppo und der Region Manbij hin, die unter der Kontrolle der kurdischen DAANES stehen (TNA 2.8.2023). Obwohl ihre Zahl zurückgegangen ist, gibt es derzeit sechs funktionierende Kinderschutzbüros, die sich in at-Tabqa, Kobane, Jazira, ar-Raqqa, Deir ez-Zour und Manbij befinden. Das Kinderschutzbüro ist für Fälle zuständig, die die Rekrutierung von Minderjährigen durch die SDF betreffen. Die Rekrutierung von Minderjährigen durch andere Gruppen, einschließlich der Revolutionäre Jugendbewegung, fällt nicht in den Zuständigkeitsbereich des Büros. Eltern von rekrutierten Minderjährigen können sich an das Kinderschutzbüro ihres Gebiets wenden, um eine Beschwerde über die Rekrutierung ihres Kindes einzureichen. Die Beschwerden und die von den Eltern eingereichten erforderlichen Unterlagen werden dann von dem betreffenden Büro in physischer und elektronischer Form an das zuständige SDF-Büro weitergeleitet. Die Bearbeitungszeit für diese Art von Beschwerden beträgt 15 bis 30 Tage (DIS 6.2024).
Bewegungsfreiheit - Entwicklungen seit dem Sturz des Assad-Regimes (seit 8.12.2024)
Grenzübergänge
Am 16.12.2024 kündigte die Hay'at Tahrir ash-Sham (HTS) an, alle Grenzübergänge zu den Nachbarländern auf syrischer Seite zu schließen, bis es ihnen gelungen sei, eine Art Organisation aufzubauen, um die Grenzen wieder zu besetzen und um wieder über Visastempel zu verfügen (PBS 16.12.2024). Mit Stand 1.2.2025 gibt es elf aktive Grenzübergänge, die der Generalbehörde für Land- und Seegrenzen gehören (Rudaw 1.2.2025). Der Direktor für lokale und internationale Beziehungen bei der Generalbehörde für Land- und Seegrenzen, erklärte gegenüber Al Jazeera, dass die Grenzübergänge seit der Befreiung Syriens vom gestürzten Regime nicht nur Syrer empfangen, die ihr Land besuchen wollen, ob als Einwohner oder Besucher, sondern auch arabische und ausländische „Brüder und Freunde“, die Syrien nach der Befreiung besuchen wollen. Die Grenzübergänge seien stark belastet worden, sagte er. Die meistbenützten Übergänge sind: Jdaydat Yabous/ Masna' zum Libanon, an dem in den letzten zwei Monaten mehr als 630.000 Bürger ein- und ausgereist sind, Nassib/ al-Jaber zu Jordanien, der mehr als 175.000 Bürger empfangen hat, davon 110.000 bei der Einreise und 65.000 bei der Ausreise, Bab al-Hawa/ Reyhanlı zur Türkei, wo mehr als 75.000 Bürger empfangen wurden, darunter 63.000 Ankünfte und 12.000 Ausreisen, al-Bu Kamal/ al-Qa'im zum Irak, der etwa 5.500 Bürger aufnahm. Daneben gab es Einreisen von Zehntausenden an den übrigen Grenzübergängen zur Türkei, wie Kassab/ Yayladağı, al-Hamam/ Hatay Hammami, Bab as-Salama/ Öncüpınar und Jarabulus/ Karkamış (AJ 13.2.2025a).
1.2.2. Auszug aus dem Länderinformationsblatt der Staatendokumentation vom 27.03.2024 (Version 11):
Wehr- und Reservedienst und Rekrutierungen
Nicht-staatliche bewaffnete Gruppierungen (regierungsfreundlich und regierungsfeindlich)
Anders als die Regierung und die Syrian Democratic Forces (SDF), erlegen bewaffnete oppositionelle Gruppen wie die SNA (Syrian National Army) und HTS (Hay’at Tahrir ash-Sham) Zivilisten in von ihnen kontrollierten Gebieten keine Wehrdienstpflicht auf (NMFA 5.2022; vgl. DIS 12.2022). Quellen des niederländischen Außenministeriums berichten, dass es keine Zwangsrekrutierungen durch die SNA und die HTS gibt (NMFA 8.2023). In den von den beiden Gruppierungen kontrollierten Gebieten in Nordsyrien herrscht kein Mangel an Männern, die bereit sind, sich ihnen anzuschließen. Wirtschaftliche Anreize sind der Hauptgrund, den Einheiten der SNA oder HTS beizutreten. Die islamische Ideologie der HTS ist ein weiterer Anreiz für junge Männer, sich dieser Gruppe anzuschließen. Im Jahr 2022 erwähnt der Danish Immigration Service (DIS) Berichte über Zwangsrekrutierungen der beiden Gruppierungen unter bestimmten Umständen im Verlauf des Konfliktes. Während weder die SNA noch HTS institutionalisierte Rekrutierungsverfahren anwenden, weist die Rekrutierungspraxis der HTS einen höheren Organisationsgrad auf als die SNA (DIS 12.2022). Im Mai 2021 kündigte HTS an, künftig in ldlib Freiwilligenmeldungen anzuerkennen, um scheinbar Vorarbeit für den Aufbau einer „regulären Armee“ zu leisten. Der Grund dieses Schrittes dürfte aber eher darin gelegen sein, dass man in weiterer Zukunft mit einer regelrechten „HTS-Wehrpflicht“ in ldlib liebäugelte, damit dem „Staatsvolk“ von ldlib eine „staatliche“ Legitimation der Gruppierung präsentiert werden könnte (BMLV 12.10.2022). Die HTS rekrutiert auch gezielt Kinder, bildet sie religiös und militärisch aus und sendet sie an die Front (SNHR 20.11.2023).
Demokratische Selbstverwaltung für Nord- und Ostsyrien
Wehrpflichtgesetz der „Demokratischen Selbstverwaltung für Nord- und Ostsyrien“
Auch aus den nicht vom Regime kontrollierten Gebieten Syriens gibt es Berichte über Zwangsrekrutierungen. Im Nordosten des Landes hat die von der kurdischen Partei PYD [Partiya Yekîtiya Demokrat, Partei der Demokratischen Union] dominierte "Demokratische Selbstverwaltung für Nord- und Ostsyrien" [Autonomous Administration of North and East Syria, AANES] 2014 ein Wehrpflichtgesetz verabschiedet, welches vorsah, dass jede Familie einen "Freiwilligen" im Alter zwischen 18 und 40 Jahren stellen muss, der für den Zeitraum von sechs Monaten bis zu einem Jahr in den YPG [Yekîneyên Parastina Gel, Volksverteidigungseinheiten] dient (AA 2.2.2024). Im Juni 2019 ratifizierte die AANES ein Gesetz zur "Selbstverteidigungspflicht", das den verpflichtenden Militärdienst regelt, den Männer über 18 Jahre im Gebiet der AANES ableisten müssen (EB 15.8.2022; vgl. DIS 6.2022). Am 4.9.2021 wurde das Dekret Nr. 3 erlassen, welches die Selbstverteidigungspflicht auf Männer beschränkt, die 1998 oder später geboren wurden und ihr 18. Lebensjahr erreicht haben. Gleichzeitig wurden die Jahrgänge 1990 bis 1997 von der Selbstverteidigungspflicht befreit (ANHA, 4.9.2021). Der Altersrahmen für den Einzug zum Wehrdienst ist nun in allen betreffenden Gebieten derselbe, während er zuvor je nach Gebiet variierte. So kam es in der Vergangenheit zu Verwirrung, wer wehrpflichtig war (DIS 6.2022). Mit Stand September 2023 war das Dekret noch immer in Kraft (ACCORD 7.9.2023).
Die Wehrpflicht gilt in allen Gebieten unter der Kontrolle der AANES, auch wenn es Gebiete gibt, in denen die Wehrpflicht nach Protesten zeitweise ausgesetzt wurde. Es ist unklar, ob die Wehrpflicht auch für Personen aus Afrin gilt, das sich nicht mehr unter der Kontrolle der "Selbstverwaltung" befindet. Vom Danish Immigration Service (DIS) befragte Quellen machten hierzu unterschiedliche Angaben. Die Wehrpflicht gilt nicht für Personen, die in anderen Gebieten als den AANES wohnen oder aus diesen stammen. Sollten diese Personen jedoch seit mehr als fünf Jahren in den AANES wohnen, würde das Gesetz auch für sie gelten. Wenn jemand in seinem Ausweis als aus Hasakah stammend eingetragen ist, aber sein ganzes Leben lang z.B. in Damaskus gelebt hat, würde er von der "Selbsverwaltung" als aus den AANES stammend betrachtet werden und er müsste die "Selbstverteidigungspflicht" erfüllen. Alle ethnischen Gruppen und auch staatenlose Kurden (Ajanib und Maktoumin) sind zum Wehrdienst verpflichtet. Araber wurden ursprünglich nicht zur "Selbstverteidigungspflicht" eingezogen, dies hat sich allerdings seit 2020 nach und nach geändert (DIS 6.2022; vgl. NMFA 8.2023).
Ursprünglich betrug die Länge des Wehrdiensts sechs Monate, sie wurde aber im Jänner 2016 auf neun Monate verlängert (DIS 6.2022). Artikel zwei des Gesetzes über die "Selbstverteidigungspflicht" vom Juni 2019 sieht eine Dauer von zwölf Monaten vor (RIC 10.6.2020). Aktuell beträgt die Dauer ein Jahr und im Allgemeinen werden die Männer nach einem Jahr aus dem Dienst entlassen. In Situationen höherer Gewalt kann die Dauer des Wehrdiensts verlängert werden, was je nach Gebiet entschieden wird. Beispielsweise wurde der Wehrdienst 2018 aufgrund der Lage in Baghouz um einen Monat verlängert. In Afrin wurde der Wehrdienst zu drei Gelegenheiten in den Jahren 2016 und 2017 um je zwei Monate ausgeweitet. Die Vertretung der "Selbstverwaltung" gab ebenfalls an, dass der Wehrdienst in manchen Fällen um einige Monate verlängert wurde. Wehrdienstverweigerer können zudem mit der Ableistung eines zusätzlichen Wehrdienstmonats bestraft werden (DIS 6.2022).
Nach dem abgeleisteten Wehrdienst gehören die Absolventen zur Reserve und können im Fall "höherer Gewalt" einberufen werden. Diese Entscheidung trifft der Militärrat des jeweiligen Gebiets. Derartige Einberufungen waren den vom DIS befragten Quellen nicht bekannt (DIS 6.2022).
Einsatzgebiet von Wehrpflichtigen
Die Selbstverteidigungseinheiten [Hêzên Xweparastinê, HXP] sind eine von den SDF separate Streitkraft, die vom Demokratischen Rat Syriens (Syrian Democratic Council, SDC) verwaltet wird und über eigene Militärkommandanten verfügt. Die SDF weisen den HXP allerdings Aufgaben zu und bestimmen, wo diese eingesetzt werden sollen. Die HXP gelten als Hilfseinheit der SDF. In den HXP dienen Wehrpflichtige wie auch Freiwillige, wobei die Wehrpflichtigen ein symbolisches Gehalt erhalten. Die Rekrutierung von Männern und Frauen in die SDF erfolgt dagegen freiwillig (DIS 6.2022).
Die Einsätze der Rekruten im Rahmen der "Selbsverteidigungspflicht" erfolgen normalerweise in Bereichen wie Nachschub oder Objektschutz (z.B. Bewachung von Gefängnissen wie auch jenes in al-Hasakah, wo es im Jänner 2022 zu dem Befreiungsversuch des sogenannten Islamischen Staats (IS) mit Kampfhandlungen kam). Eine Versetzung an die Front erfolgt fallweise auf eigenen Wunsch, ansonsten werden die Rekruten bei Konfliktbedarf an die Front verlegt, wie z. B. bei den Kämpfen gegen den IS 2016 und 2017 in Raqqa (DIS 6.2022).
Rekrutierungspraxis
Die Aufrufe für die "Selbstverteidigungspflicht" erfolgen jährlich durch die Medien, wo verkündet wird, welche Altersgruppe von Männern eingezogen wird. Es gibt keine individuellen Verständigungen an die Wehrpflichtigen an ihrem Wohnsitz. Die Wehrpflichtigen erhalten dann beim "Büro für Selbstverteidigungspflicht" ein Buch, in welchem ihr Status bezüglich Ableistung des Wehrdiensts dokumentiert wird - z. B. die erfolgte Ableistung oder Ausnahme von der Ableistung. Es ist das einzige Dokument, das im Zusammenhang mit der Selbstverteidigungspflicht ausgestellt wird (DIS 6.2022). Das Wehrpflichtgesetz von 2014 wird laut verschiedenen Menschenrechtsorganisationen mit Gewalt durchgesetzt. Berichten zufolge kommt es auch zu Zwangsrekrutierungen von Jungen und Mädchen (AA 2.2.2024).
Wehrdienstverweigerung und Desertion
Es kommt zu Überprüfungen von möglichen Wehrpflichtigen an Checkpoints und auch zu Ausforschungen (ÖB Damaskus 12.2022). Die Selbstverwaltung informiert einen sich dem Wehrdienst Entziehenden zweimal bezüglich der Einberufungspflicht durch ein Schreiben an seinen Wohnsitz, und wenn er sich nicht zur Ableistung einfindet, sucht ihn die "Militärpolizei" unter seiner Adresse. Die meisten sich der "Wehrpflicht" entziehenden Männer werden jedoch an Checkpoints ausfindig gemacht (DIS 6.2022).
Die Sanktionen für die Wehrdienstverweigerung ähneln denen im von der Regierung kontrollierten Teil (ÖB Damaskus 12.2022). Laut verschiedener Menschenrechtsorganisationen wird das "Selbstverteidigungspflichtgesetz" auch mit Gewalt durchgesetzt (AA 2.2.2024), während der DIS nur davon berichtet, dass Wehrpflichtige, welche versuchen, dem Militärdienst zu entgehen, laut Gesetz durch die Verlängerung der "Wehrpflicht" um einen Monat bestraft würden - zwei Quellen zufolge auch in Verbindung mit vorhergehender Haft "für eine Zeitspanne". Dabei soll es sich oft um ein bis zwei Wochen handeln, um einen Einsatzort für die Betreffenden zu finden (DIS 6.2022). Ähnliches berichteten ein von ACCORD befragter Experte, demzufolge alle Wehrdienstverweigerer nach dem Gesetz der Selbstverteidigungspflicht gleichbehandelt würden. Die kurdischen Sicherheitsbehörden namens Assayish würden den Wohnort der für die Wehrpflicht gesuchten Personen durchsuchen, an Checkpoints Rekrutierungslisten überprüfen und die Gesuchten verhaften. Nach dem Gesetz werde jede Person, die dem Dienst fernbleibe, verhaftet und mit einer Verlängerung des Dienstes um einen Monat bestraft (ACCORD 6.9.2023). Die ÖB Damaskus erwähnt auch Haftstrafen zusätzlich zur [Anm.: nicht näher spezifizierten] Verlängerung des Wehrdiensts. Hingegen dürften die Autonomiebehörden eine Verweigerung nicht als Ausdruck einer bestimmten politischen Gesinnung sehen (ÖB Damaskus 12.2022). Einem von ACCORD befragten Syrienexperten zufolge hängen die Konsequenzen für die Wehrdienstverweigerung vom Profil des Wehrpflichtigen ab sowie von der Region, aus der er stammt. In al-Hasakah beispielsweise könnten Personen im wehrpflichtigen Alter zwangsrekrutiert und zum Dienst gezwungen werden. Insbesondere bei der Handhabung des Gesetzes zur Selbstverteidigungspflicht gegenüber Arabern in der AANES gehen die Meinungen der Experten auseinander. Grundsätzlich gilt die Pflicht für Araber gleichermaßen, aber einem Experten zufolge könne die Behandlung je nach Region und Zugriffsmöglichkeit der SDF variieren und wäre aufgrund der starken Stammespositionen oft weniger harsch als gegenüber Kurden. Ein anderer Experte wiederum berichtet von Beleidigungen und Gewalt gegenüber arabischen Wehrdienstverweigerern (ACCORD 6.9.2023).
Bei Deserteuren hängen die Konsequenzen abseits von einer Zurücksendung zur Einheit und einer eventuellen Haft von ein bis zwei Monaten von den näheren Umständen und eventuellem Schaden ab. Dann könnte es zu einem Prozess vor einem Kriegsgericht kommen (DIS 6.2022).
Eine Möglichkeit zur Verweigerung des Wehrdienstes aus Gewissensgründen besteht nicht (DIS 6.2022; vgl. EB 12.7.2019).
Aufschub des Wehrdienstes
Das Gesetz enthält Bestimmungen, die es Personen, die zur Ableistung der "Selbstverteidigungspflicht" verpflichtet sind, ermöglichen, ihren Dienst aufzuschieben oder von der Pflicht zu befreien, je nach den individuellen Umständen. Manche Ausnahmen vom "Wehrdienst" sind temporär und kostenpflichtig. Frühere Befreiungen für Mitarbeiter des Gesundheitsbereichs und von NGOs sowie von Lehrern gelten nicht mehr (DIS 6.2022). Es wurden auch mehrere Fälle von willkürlichen Verhaftungen zum Zwecke der Rekrutierung dokumentiert, obwohl die Wehrpflicht aufgrund der Ausbildung aufgeschoben wurde oder einige Jugendliche aus medizinischen oder anderen Gründen vom Wehrdienst befreit wurden (EB 12.7.2019). Im Ausland (Ausnahme: Türkei und Irak) lebende, unter die "Selbstverteidigungspflicht" fallende Männer können gegen eine Befreiungsgebühr für kurzfristige Besuche zurückkehren, ohne den "Wehrdienst" antreten zu müssen, wobei zusätzliche Bedingungen eine Rolle spielen, ob dies möglich ist (DIS 6.2022).
Proteste gegen die "Selbstverteidigungspflicht"
Im Jahr 2021 hat die Wehrpflicht besonders in den östlichen ländlichen Gouvernements Deir ez-Zour und Raqqa Proteste ausgelöst. Lehrer haben sich besonders gegen die Einberufungskampagnen der SDF gewehrt. Proteste im Mai 2021 richteten sich außerdem gegen die unzureichende Bereitstellung von Dienstleistungen und die Korruption oder Unfähigkeit der autonomen Verwaltungseinheiten. Sechs bis acht Menschen wurden am 1.6.2021 in Manbij (Menbij) bei einem Protest getötet, dessen Auslöser eine Reihe von Razzien der SDF auf der Suche nach wehrpflichtigen Männern war. Am 2.6.2021 einigten sich die SDF, der Militärrat von Manbij und der Zivilrat von Manbij mit Stammesvertretern und lokalen Persönlichkeiten auf eine deeskalierende Vereinbarung, die vorsieht, die Rekrutierungskampagne einzustellen, während der Proteste festgenommene Personen freizulassen und eine Untersuchungskommission zu bilden, um diejenigen, die auf Demonstranten geschossen hatten, zur Rechenschaft zu ziehen (COAR 7.6.2021). Diese Einigung resultierte nach einer Rekrutierungspause in der Herabsetzung des Alterskriteriums auf 18 bis 24 Jahre, was später auf die anderen Gebiete ausgeweitet wurde (DIS 6.2022). Im Sommer 2023 kam es in Manbij zu Protesten gegen die SDF insbesondere aufgrund von Kampagnen zur Zwangsrekrutierung junger Männer in der Stadt und Umgebung (SO 20.7.2023).
1.2.3. Auszug aus der ACCORD-Anfragebeantwortung zu Syrien vom 21.03.2025 [a-12592-v2] („Rekrutierungspraxis der Übergangsregierung, Rekrutierungen durch andere bewaffnete Gruppen [z.B. Yekîneyên Parastina Gel, YPG]; Zwangsrekrutierungen“):
„Rekrutierungspraxis der Übergangsregierung; Zwangsrekrutierungen
Mehrere Quellen berichten im Februar 2025, dass der Präsident der syrischen Übergangsregierung, Ahmed Al-Scharaa, erklärt habe, dass er die Wehrdienstpflicht abgeschafft habe und stattdessen auf freiwillige Rekrutierung setze (Enab Baladi, 12. Februar 2025; France 24, 10. Februar2025; siehe auch Markaz Al-Jazeera l-il-Dirasat, 30. Jänner 2025; FDD,28. Jänner 2025). Anfang Februar 2025 wurde berichtet, dass sich Scharaa zufolge tausende Freiwillige der neuen Armee anschließen würden (France 24, 10. Februar 2025; Enab Baladi, 12. Februar 2025). Dem Online-Begleittext eines Videobeitrags des schwedischen Fernsehprogramms Svt nyheter von Jänner 2025 zufolge hätte die Hayat Tahrir Al-Scham (HTS) aktiv mit intensiven Rekrutierungen für die Reihen der Polizei und des Militärs begonnen (Svt nyheter, 18. Jänner 2025). In einem undatierten arabischsprachigen Artikel bezieht sich das Swedish Center for Information (SCI) auf den genannten Videobeitrag. Laut dem SCI-Artikelwürden Berichten zufolge Soldaten, Unteroffiziere und Offiziere mittels intensiver Programme rekrutiert, die von traditionellen akademischen Standards und Trainingsstandards abweichen würden. Dies habe den Zweck, die Ausbildung der Militär- und Sicherheitskräfte zu beschleunigen, um den Bedarf des neuen Staates zu decken (SCI, ohne Datum).
In einem arabischsprachigen Artikel von Februar 2025 berichtet Enab Baladi, die Rekrutierungsabteilung in Aleppo habe verkündet, dass die Anmeldungen für eine Militärausbildung begonnen hätten. Die Bedingungen für den Eintritt in die Reihen des Verteidigungsministeriums der Übergangsregierung seien festgelegt worden. Interessierte könnten sich bis 15. Februar 2025 in der Rekrutierungsabteilung in Aleppo im Viertel Al-Furqan anmelden. Voraussetzung sei, dass Bewerber ledig, zwischen 18 und 22 Jahre alt seien, keine chronischen Erkrankungen hätten und nicht verletzt seien. Für eine Anmeldung seien zwei Fotos, eine Kopie des Personalausweises sowie, sofern vorhanden, eine Kopie des Nachweises über einen akademischen Abschluss vorzulegen (Enab Baladi,12. Februar 2025). Ähnliche Informationen finden sich in den nachfolgendbeschriebenen zwei Facebook-Beiträgen. In einem arabischsprachigen Facebook-Beitrag vom 12. Februar 2025 auf der Facebook-Seite ‚Al Arabiya Syria‘ wird berichtet, dass das Gouvernement Aleppo verkündet habe, dass die Anmeldungen für die Aufnahme in die Reihender Armee eröffnet seien. Die Anmeldungen würden im Offiziersclub im Viertel Al-Furqan entgegengenommen. Bewerber hätten ledig sowie zwischen 18 und 22 Jahre alt und gesund zu sein (Al Arabiya Syria,12. Februar 2025). Auf der Facebook-Seite „Nachrichten des freien Syrien“ (‚Achbar Suriya al-Hurra‘) findet sich ein Beitrag vom 6. Februar 2025, der eine Rekrutierungsanzeige der Rekrutierungsabteilung in Idlib veröffentlicht. Die Anmeldung zur Teilnahme am Militärkurs für jene, die unter dem Verteidigungsministerium dienen möchten, sei eröffnet. Interessierten sei es möglich, sich zwischen dem 9. Februar 2025 und dem 15. Februar 2025 in der Rekrutierungsabteilung in Idlib anzumelden. Bewerber hätten ledig und zwischen 18 und 22 Jahre alt zu sein. Sie dürften nicht chronisch krank oder verletzt sein. Vorzulegen seien ein Foto, eine Kopie des Personalausweises und eine Kopie des akademischen Nachweises, wenn vorhanden (Nachrichten des freien Syrien, 6. Februar 2025).
Syria TV, ein syrischer Fernsehsender mit Sitz in Istanbul, der im Besitzeines katarischen Mediennetzwerks ist und sich in Opposition zur Assad-Regierung positioniert hatte, berichtet in einem arabischsprachigen Artikel vom Februar 2025, dass sich der Rekrutierungsprozess für die neuen syrischen Militär- und Sicherheitsinstitutionen, wie die Polizei sowie Kriminal- und Geheimdienste, von Gouvernement zu Gouvernement unterscheide. Am 10. Jänner 2025 habe das Innenministerium der Übergangsregierung verkündet, dass Anmeldungen zum Eintritt in die Polizeiakademie begonnen hätten. Die Kurse, die einen Eintritt in die Reihen der Polizei und Dienste der öffentlichen Sicherheit ermöglichen sollen, hätten in fast allen Gouvernements, insbesondere in Damaskus, Rif Dimaschq, Homs, Tartus, Idlib, Sweida und Deir ez-Zor begonnen. Dem Artikel zufolge sei Idlib in dieser Hinsicht am aktivsten, gefolgt von Deir ez-Zor und Teilen von Rif Dimaschq, während der Rekrutierungsprozess in den Küstenregionen sowie in Homs eher verhalten verlaufe. Bewerber hätten zwischen 20 und 30 Jahre alt zu sein, einen Sekundarschulabschluss oder einen entsprechenden Abschlussvorzuweisen, die vorgeschriebenen Kurse absolviert zu haben, unbescholten sowie gesund und von guter Statur zu sein. Sie hätten zudem körperlich fit zu sein und müssten mindestens 168 cm groß sein. Einem für den Artikel interviewten 27-jährigen Mann zufolge stelle der freiwillige Beitritt zum Polizei- oder Geheimdienstapparat für ihn eine gute Beschäftigungsmöglichkeit dar. Das Gehalt betrage mindestens 200 US-Dollar, während ein Arbeiter in Idlib täglich nicht mehr als umgerechnet drei US-Dollar verdiene. Der Mann aus Süd-Idlib habe auf Facebook eine Rekrutierungsanzeige gesehen und sich daraufhin beeilt, sich zu bewerben. Er habe erklärt, dass für die Bewerbung ein Formular mit persönlichen Daten auszufüllen sei. Das Formular gebe an, dass Bewerber nicht älter als 30 Jahre sein dürften. Man dürfe im Formular angeben, ob man in die Reihen des Geheimdienstes oder der Polizei, darunter die Kriminalpolizei, die Verkehrspolizei und die Moralpolizei, aufgenommen werden wolle. Die Moralpolizei sei eine Abteilung, die in Idlib vor dem Sturz der Assad-Regierung hätte gegründet werden sollen, aber trotz der Verabschiedung eines Gesetzes mit dem Titel ‚Öffentliche Moral‘, auf Eis gelegt worden sei (Syria TV, 21. Februar 2025).
In einem Artikel vom 19. Februar 2025 berichtet The National von einem Funktionär der HTS, der im Damaszener Außenbezirk Ost-Ghuta junge Männer rekrutieren solle. Die HTS benötige dem Artikel zufolge so viele Männer wie möglich, insbesondere für entlegenere Gegenden. An einemöffentlichen Platz im Vorort Ain Tarma habe der Funktionär ein kommunales Gebäude betreten und einen Zuständigen dort gefragt, ob er Personen kenne, die geeignet seien, der HTS beizutreten. Er habe eine Telefonnummer hinterlegt und sei zu einer ehemaligen Regierungskaserne weitergegangen, die sich auf dem Gebiet befinde, wo neue HTS-Rekruten ein dreiwöchiges Training absolvieren sollen. Dem Funktionär zufolge hätten sich seit dem Fall der Assad-Regierung tausende der HTS angeschlossen. Hunderte weitere würden bald in den Kasernen in Ost-Ghuta erwartet (The National, 19. Februar 2025).
Laut einem Artikel der Foundation for Defense of Democracies (FDD) von Jänner 2025 behaupte die syrische Übergangsregierung zwar, sich für religiöse Toleranz einzusetzen. Gleichzeitig werde die von der Regierung bevorzugte sunnitisch-islamische Glaubensströmung der Rekrutierung und der Ausbildung neuer Sicherheitskräfte zugrunde gelegt. Berichten zufolge würden neue Rekruten eine 21-tägige Scharia-Ausbildung durchlaufen (FDD, 28. Jänner 2025). In einem Artikel von Jänner 2025 berichtet Reuters von der Rekrutierung von Polizisten durch die Übergangsregierung. Polizisten, die aus der ehemals HTS-regierten Enklave in Idlib nach Damaskus gebracht worden seien, würden Bewerbernach ihrem Glauben befragen. Die Ausbildung von Polizisten dauere zehn Tage und der Fokus liege Ausbildnern und Absolventen zufolge auf dem Umgang mit Waffen und der Vermittlung von islamischem Recht. Dem Leiter der Polizei in Aleppo zufolge sei geplant, die Ausbildung auf neun Monate auszuweiten, wenn sich die Sicherheitslage gebessert habe. Ihm zufolge würden den Polizeirekruten die Prinzipien der islamischen Rechtsprechung, die Biographie des Propheten Mohammed und Verhaltensregeln gelehrt. Die Bewerbungsformulare würden Reuters zufolge einen Abschnitt „Glaube, Orientierung und Standpunkte“ enthalten, in welchem Bewerber nach ihrer „Bezugsautorität“ (‚referential authority‘) befragt würden. Drei anonymen HTS-Beamten zufolge diene die Frage dazu, Bewerber zu identifizieren, die einer genaueren Prüfung unterzogen werden müssen, insbesondere Alawiten, die derselben Glaubensströmung wie die Assad-Familie angehören würden und möglicherweise Verbindungen zur Assad-Regierung gehabt hätten (Reuters, 23. Jänner 2025).
Dem von Reuters befragten Wissenschaftler Aron Lund zufolge fänden viele Syrer·innen die religiöse Komponente bei der Rekrutierung von Polizisten bedenklich. Das betreffe nicht nur Minderheiten wie Christ·innen, Alawit·innen und Druz·innen, sondern auch urbane, säkulare sunnitische Muslim·innen. Das Innenministerium der Übergangsregierung, welches für Polizeiangelegenheiten zuständig sei, habe Reuters Fragen zum religiösen Fokus bei der Rekrutierung und Ausbildung von Polizisten nicht beantwortet. Mehreren von Reuters interviewten führenden Polizeioffizieren zufolge diene dieser nicht dazu, der Allgemeinbevölkerung religiöse Inhalte aufzuzwingen, sondern dazu, Rekruten ethisches Verhalten zu vermitteln. Sieben Polizeioffiziere, die Polizeistationen verwalten oder im Rekrutierungsprozess involviert seien, hätten ausgesagt, dass die Polizei mehr Mitarbeiter benötige und Bewerbungen von Personen jeder Glaubensrichtung willkommen seien (Reuters, 23. Jänner 2025).
Einem Polizei-Ausbildner an einer Polizeiakademie in Damaskus zufolge hätten sich über 200.000 Personen gemeldet, die Teil des neuen Polizeidienstes werden wollen. Alle fünf von Reuters interviewten hochrangingen Offiziere seien davon ausgegangen, dass sich die Personalausstattung vor dem Hintergrund der Ausweitung von Rekrutierung und Training im Jahr 2025 verbessern werde. Die Anmeldung von Polizisten, die vor dem Sturz der Assad-Regierung zu den Rebellen übergelaufen seien, werde laut von Reuters befragten führenden Polizeioffizieren begrüßt (Reuters, 23. Jänner 2025; siehe auch Enab Baladi, 12. Februar 2025). Diejenigen, die nicht übergelaufen seien, hätten einen „Aussöhnungsprozess“ zu durchlaufen. Im Zuge dessen hätten sie ein Dokument zu unterzeichnen, worin sie den Regierungswechselanerkennen würden, und sie hätten ihre Waffe abzugeben. Es sei noch unklar, ob sie dem neuen Polizeidienst beitreten dürften (Reuters,23. Jänner 2025).
In einem Artikel von Ende Februar 2025 berichtet Syria TV von Gerüchten, denen zufolge die Übergangsregierung in den Gouvernements Tartus und Latakia Männer zum Militärdienst rekrutiert und zwangsverpflichtet hätte. Auf Facebook-Seiten, die der Quelle zufolge von Medienfachleutenbetrieben würden, die der Assad-Regierung naheständen, sei berichtet worden, dass Sicherheitskräfte in den Städten Dschableh, Baniyas und Qardaha Checkpoints aufgestellt und Personen mit Statusregelungsausweisen („Bidaqat Taswiya“) festgenommen hätten. Offizielle Quellen des Gouvernements Tartus hätten den Verantwortlichen der Rekrutierungsabteilung der Stadt Baniyas zitiert, der diese Gerüchtevehement abgestritten habe. Er habe darauf hingewiesen, dass der Militärdienst nunmehr auf Freiwilligkeit aufbaue und dazu aufgerufen, offizielle Quellen für Informationen zu konsultieren (Syria TV, 26. Februar 2025).
Rekrutierungen durch andere bewaffnete Gruppen; Zwangsrekrutierungen
SDF und SDF-nahe Kräfte
Mitte März 2025 berichten Quellen von einer zwischen Ahmad Scharaa und Mazloum Abdi, dem Leiter der SDF, getroffenen Einigung, die Ende2025 umgesetzt werden solle (DW, 11. März 2025; CNN, 11. März 2025; The Guardian, 10. März 2025). Die Vereinbarung sehe vor, alle „zivilen und militärischen Einrichtungen“ in Nordost-Syrien der Verwaltung des syrischen Staates zu unterstellen (DW, 11. März 2025, siehe auch The Guardian, 10. März 2025). Der von CNN dazu interviewten Wissenschaftlerin am Center for Strategic and International Studies Natasha Hall zufolge sei zu dem Zeitpunkt unklar, wie die Integrierung der SDF in die Institutionen des syrischen Staates aussehen werde. Zum Zeitpunkt der Berichterstattung sei es der SDF erlaubt, ihre Struktur und ihre Waffen zu behalten (CNN, 11. März 2025).
In einem arabischsprachigen Artikel von März 2025 von Al Jazeera wird ein Mann zitiert, der an den zu der Zeit bestehenden Protesten in Deir ez-Zor teilgenommen habe. Er habe unter anderem darauf hingewiesen, dass SDF-Kräfte Verhaftungskampagnen in den von der SDF kontrollierten Gebieten durchgeführt hätten, in deren Rahmen Dutzende junge Männerunter dem Vorwurf der Gruppe Islamischer Staat (IS) beitreten zu wollen, verhaftet und zwangsrekrutiert worden seien (Al Jazeera, 8. März 2025). In einem arabischsprachigen Artikel von Jänner 2025 zitiert Al Jazeera den Wissenschaftler Amir Al-Mithqal, dem zufolge die Demokratischen Kräfte Syriens (Syrian Democratic Forces, SDF) aufgrund eines Mangels an kurdischen Kräften ethnische Araber zwangsrekrutiert hätten (Al Jazeera, 29. Jänner 2025). Ende Jänner 2025 berichtet Syria TV, dass seit dem Sturz der Assad-Regierung über 5.000 Männer die SDF verlassen hätten, indem sie übergelaufen oder geflohen seien. Einer der SDF nahestehenden Quelle zufolge bestehe ein Mangel an Kräften in den Reihen der SDF und diese sei nicht imstande neue Rekrutierungskampagnen in der Region zu starten. Es würden nur begrenzt Rekrutierungsoperationen durchgeführt, und zwar hauptsächlich im Gouvernement Hasaka. Der Quelle zufolge prüfe die SDF sämtliche Optionen, um ihre Militär- und Sicherheitskräfte zu stärken, unter anderem durch den Aufbau neuer Kräfte. Mitte Jänner habe die SDF die Demobilisierung von Wehrpflichtigen, die ihre Wehrpflicht bereits abgeleistet hätten, aufgrund des bedeutenden Anstiegs an Desertionen und Überläufen in ihren Kreisen gestoppt. Die SDF sehe für jeden Mann, der das Alter von 18 Jahren erreicht habe und zwischen 1998 und 2006 geboren sei, eine einjährige Wehrpflicht vor. Ein von der SDF zwangsrekrutierter Mann habe Syria TV erzählt, dass er seinen Wehrdienst vor zwei Monaten erfüllt habe und die SDF sich ohne Angabe von Gründen weigern würde, ihn aus der Pflicht zu entlassen. Davon seien hunderte andere Personen betroffen (Syria TV, 31. Jänner 2025).
Mehrere Quellen berichten im Februar 2025 von der Entführung eines Minderjährigen durch SDF-nahe Kräfte im Viertel Scheich Maqsoud in Aleppo zum Zweck der Zwangsrekrutierung. Er sei den Quellen zufolge von der Revolutionären Jugend entführt worden. (REBAZ, 21. Februar 2025; Basnews, 22. Februar 2025; @HalabTodayTV, 28. Februar 2025). Einem Artikel von Basnews von Februar 2025 zufolge sei der Minderjährige zum Zweck der Zwangsrekrutierung durch die Volksverteidigungseinheiten (YPG) von der Revolutionären Jugendentführt worden. Zudem sei zuvor ein Minderjähriger in der Stadt Kobane von der Revolutionären Jugend entführt worden (Basnews, 22. Februar 2025). Ende Februar 2025 berichtet das syrische Netzwerk für Menschenrechte namens RASD Syria von der Entführung eines 12-jährigen Mädchens, ebenfalls aus dem Viertel Scheich Maqsud. Das Mädchen sei Mitte Februar von der SDF nahestehenden Kräften entführt und in ein Kinderrekrutierungslager gebracht worden. Obwohl die Eltern das Mädchen gesucht hätten, hätten sie es nicht finden können. Der Quelle zufolge würden SDF-Kräfte weiterhin Kinder festnehmen und sie unter Zwang in Kinderrekrutierungslagern festhalten. Diese und andere Übertretungen hätten in der Zeit, die der Berichterstattung vorangegangen sei, zugenommen. Auch Entführungen und Rekrutierungen von Kindern durch die der SDF nahestehenden Revolutionären Jugend hätten zugenommen (RASD Syria, 27. Februar2025).
[…]“
2. Beweiswürdigung:
Vorab ist festzuhalten, dass die vom Beschwerdeführer geschilderten Ereignisse teilweise schon mehrere Jahre zurückliegen und es sich bei ihm zum Zeitpunkt dieser Ereignisse noch um einen sehr jungen Minderjährigen gehandelt hat. Zudem wird nicht übersehen, dass der Beschwerdeführer während seines gesamten Verfahrens und somit zu den Zeitpunkten seiner Erstbefragung, Einvernahme und mündlichen Verhandlung minderjährig war, weshalb sein Vorbringen nach der ständigen Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes nicht mit denselben Maßstäben wie bei erwachsenen Personen gemessen werden kann (vgl. etwa VwGH 06.09.2018, 2018/18/0150; s. hierzu auch die diesbezüglichen Ausführungen und Judikaturhinweise auf S. 2 der Beschwerde).
2.1. Zu den Feststellungen zu der Person des Beschwerdeführers, seinen persönlichen Umständen in Syrien und in der Türkei, seiner Ausreise aus Syrien und seiner Einreise nach Österreich sowie seinen Fluchtgründen (Pkt. II.1.1.):
2.1.1. Die Feststellungen zum Alter sowie zur Staats-, Volksgruppen- und Religionszugehörigkeit des Beschwerdeführers gründen sich auf seine im Verfahren diesbezüglich getätigten Angaben (s. Aktenseiten [in der Folge: AS] 19, 21 und 165 des erstinstanzlichen Verwaltungsaktes sowie S. 5 des Verhandlungsprotokolls) und auf die von ihm diesbezüglich vorgelegten Unterlagen (vgl. oben unter Pkt. I.3.).
2.1.2.1. Die oben getroffenen Feststellungen zum Geburts- und Aufenthaltsort des Beschwerdeführers in Syrien sowie zu seinen persönlichen Umständen in Syrien und in der Türkei folgen aus seinen dahingehend übereinstimmenden Angaben im Verfahren (vgl. S. 5 f. des Verhandlungsprotokolls sowie AS 167 und 171) und aus den von ihm im Verfahren vorgelegten Unterlagen (s. oben unter Pkt. I.3.). Dass der Ort XXXX im von der neuen syrischen Regierung kontrollierten Gebiet liegt, ergibt sich aus der Nachschau auf den Karten der Homepages https://syria.liveuamap.com und https://cartercenter.org (12.08.2025) (vgl. dazu auch die auf S. 6 des Verhandlungsprotokolls festgehaltene Nachschau auf diesen Karten).
2.1.2.2. Die getroffenen Feststellungen zu den Familienangehörigen des Beschwerdeführers folgen aus seinen dahingehenden Angaben im Verfahren (s. S. 6 f. des Verhandlungsprotokolls und zudem weiters AS 165 und S. 2 der Beschwerde). Dass der Vater des Beschwerdeführers schon seit längerem verschollen ist, ergibt sich für das Bundesverwaltungsgericht aus einer Gesamtschau der – nach der o.a. Judikatur nicht mit demselben Maßstab wie bei Erwachsenen zu messenden – im Verfahren getätigten Angaben des Beschwerdeführers und seines gesetzlichen Vertreters; der gesetzliche Vertreter des Beschwerdeführers vermochte in der Einvernahme vor der Behörde die zuvor getätigten Angaben des Beschwerdeführers, wonach sein Vater verstorben sei, in für das Bundesverwaltungsgericht nachvollziehbarer Weise dahingehend zu korrigieren / präzisieren, dass sich sein Vater seit einer Kontrolle und einer dieser folgenden Verhaftung an einem Checkpoint seitens des syrischen Regimes im Jahr 2012 nicht mehr gemeldet habe und daher verschollen sei (s. AS 165, 169, 171, 173 und 175 sowie zudem S. 7 des Verhandlungsprotokolls; vgl. dazu auch oben unter Pkt. I.3.).
2.1.3. Die Feststellungen zu seiner Ausreise aus Syrien, seinem Aufenthalt in der Türkei sowie seiner Einreise nach Österreich (Pkt. II.1.1.3.) ergeben sich aus seinen dahingehenden Angaben im Verfahren (s. v.a. AS 167 und zudem S. 6 des Verhandlungsprotokolls).
2.1.4.1. Dass der Beschwerdeführer bei einer Rückkehr nach Syrien keinen Gefahren seitens des Assad-Regimes ausgesetzt ist, folgt v.a. aus dem in das Verfahren eingeführten Länderinformationsblatt der Staatendokumentation vom 08.05.2025, wonach das Assad-Regime am 08.12.2024 gestürzt wurde und die Sicherheitskräfte, die syrische Armee und die Geheimdienste des Assad-Regimes aufgelöst wurden (vgl. Pkt. II.1.2.1.).
2.1.4.2.1.1. Die Feststellung, dass der Beschwerdeführer bei einer Rückkehr nach Syrien nicht der Gefahr ausgesetzt ist, von der neuen syrischen Regierung bzw. von mit dieser in Verbindung stehenden Gruppierungen zur Ableistung eines Wehrdienstes einberufen und (zwangsweise) eingezogen zu werden, ergibt sich zunächst aus dem in das Verfahren eingeführten Länderinformationsblatt der Staatendokumentation vom 08.05.2025. Demnach kündigte Übergangspräsident ash-Shara' an, die neue syrische Armee in eine professionelle, auf Freiwilligen basierende Truppe umzuwandeln, um die Professionalität in den Reihen zu fördern und sich von der Wehrpflichtpolitik zu entfernen, die das zusammengebrochene Assad-Regime charakterisierte. Dafür sollen alle ehemaligen Oppositionsgruppen in einem Prozess der Entwaffnung, Demobilisierung und Wiedereingliederung zur Zusammenstellung einer neuen „Nationalen Armee“ miteinbezogen werden. Die neue syrische Regierung rekrutiert aktiv Personen für die neue syrische Armee und Polizei, wobei sich bereits tausende junge Männer freiwillig den neuen Sicherheits- und Militärkräften angeschlossen haben (s. oben unter Pkt. II.1.2.1.). In diesem Zusammenhang ist seitens des Bundesverwaltungsgerichtes darauf hinzuweisen, dass die Gruppierung Hay'at Tahrir ash-Sham (HTS), deren Anführer ash-Shara' nun Übergangspräsident ist und deren Mitglieder viele wichtige neue Staatsämter übernommen haben, bereits vor dem Sturz des Assad-Regimes in den von ihr früher kontrollierten Gebieten Nordwest-Syriens Zivilisten keine Pflicht zur Ableistung eines Wehrdienstes auferlegten (vgl. Pkt. II.1.2.2.).
Vor diesem Hintergrund ist für das Bundesverwaltungsgericht aus einer Gesamtschau der zur Verfügung stehenden Länderberichte auch nicht erkennbar, dass seitens der neuen syrischen Regierung bzw. mit dieser in Verbindung stehenden Gruppierungen nach dem Sturz des Assad-Regimes – systematisch – (Zwangs)Rekrutierungen von Minderjährigen erfolgen würden. Zwar geht aus dem in das Verfahren eingeführten Länderinformationsblatt der Staatendokumentation vom 08.05.2025 auch hervor, dass Minderjährige in Syrien während des Bürgerkrieges einem erhöhten Risiko der Rekrutierung durch Konfliktparteien ausgesetzt waren und dass – bezogen auf eine Quelle von Mai 2024 – unter den 25 Parteien, die Berichten zufolge an der Rekrutierung von Minderjährigen beteiligt waren, die HTS durch ihr umfangreiches Engagement bei der Rekrutierung und Ausbildung von Kindern hervorgestochen war (s. Pkt. II.1.2.1.). In den in das Verfahren eingeführten Länderberichten aktuelleren Datums betreffend den Zeitraum nach dem Sturz des Assad-Regimes finden sich jedoch keine Hinweise darauf, dass die neue syrische Regierung (unter der Führung der nunmehr aufgelösten HTS) bzw. mit dieser in Verbindung stehende (ehemalige oppositionelle) Gruppierungen in den von ihnen kontrollierten Gebieten – systematisch – Minderjährige (zwangs)rekrutieren würden (vgl. dazu oben unter Pkt. II.1.2.1. und II.1.2.3.; s. dazu im Übrigen auch S. 39 der EUAA-Country Guidance von Juni 2025, wonach keine konkreten Informationen über die diesbezügliche Behandlung von Kindern durch die neue syrische Regierung vorliegen würden). Im Verfahren sind auch ansonsten keine Hinweise dafür hervorgekommen, dass der Beschwerdeführer bei einer Rückkehr nach Syrien aufgrund von konkret in seiner Person gelegenen Umständen der erhöhten Gefahr einer Einberufung bzw. (zwangsweisen) Einziehung zu einem – wie auch immer ausgestalteten – Wehrdienst seitens der neuen syrischen Regierung bzw. mit ihr in Verbindung stehender (ehemaliger oppositioneller) Gruppierungen ausgesetzt ist, zumal aufgrund seiner im Kindesalter erfolgten Ausreise aus Syrien nicht davon auszugehen ist, dass er ins Blickfeld solcher Gruppierungen geraten ist.
Im Hinblick auf die dem Bundesverwaltungsgericht vorliegenden aktuellen Länderberichte, wonach Rekrutierungen durch die neue syrische Regierung für einen Wehrdienst in der neuen syrischen Armee auf Basis von freiwilligen Meldungen volljähriger Männer beruhen (s. Pkt. II.1.2.1. und 1.2.3.), ist ein erhöhtes Risiko des aktuell XXXX jährigen Beschwerdeführers, von einer (Zwangs)Rekrutierung durch die neue syrische Regierung bzw. durch mit dieser in Verbindung stehende Gruppierungen betroffen zu sein, für das Bundesverwaltungsgericht daher nicht ersichtlich (vgl. dazu auch die Angaben des gesetzlichen Vertreters des Beschwerdeführers in der mündlichen Verhandlung nach diesbezüglichem Vorhalt auf S. 7 des Verhandlungsprotokolls und den Umstand der zum aktuellen Länderinformationsblatt in der Folge nicht erhobenen Stellungnahme [vgl. oben unter Pkt. I.11. und I.12.]). Es ist daher festzustellen, dass der Beschwerdeführer bei einer Rückkehr nach Syrien nicht der Gefahr ausgesetzt ist, durch die neue syrische Regierung bzw. durch mit dieser in Verbindung stehende Gruppierungen (zwangs)rekrutiert zu werden.
2.1.4.2.1.2. Der Beschwerdeführer konnte mit seinem im Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht getätigten Vorbringen auch keine eigene oppositionelle Haltung gegenüber der neuen syrischen Regierung glaubhaft machen. So vermochte er etwa mit seinen lediglich allgemein gehaltenen Angaben, dass er die Ableistung eines Wehrdienstes ablehnen würde und er keinen Grund dafür hätte, einen Wehrdienst abzuleisten (vgl. S. 7 des Verhandlungsprotokolls), für den erkennenden Richter aufgrund seines persönlichen Eindrucks nicht in glaubhafter Weise eine ausreichend verinnerlichte oppositionelle Haltung gegenüber der neuen syrischen Regierung darzulegen.
2.1.4.2.2. Die Feststellung, dass der Beschwerdeführer bei einer Rückkehr nach Syrien nicht der Gefahr physischer bzw. psychischer Gewalt seitens der neuen syrischen Regierung ausgesetzt ist, ergibt sich aus folgenden Überlegungen:
Aus dem in das Verfahren eingeführten Länderinformationsblatt der Staatendokumentation vom 08.05.2025 geht allgemein hervor, dass der Übergang vom Assad-Regime zur neuen Regierung (unter der Führung der nunmehr ehemaligen HTS) relativ reibungslos verlaufen sein soll. Berichte über Vergeltungsmaßnahmen, Rachemorde und religiös motivierte Gewalttaten waren minimal. Plünderungen und Zerstörungen konnten schnell unter Kontrolle gebracht werden, die aufständischen Kämpfer wurden diszipliniert. Es gab keine größeren Massaker oder Rachekampagnen. Demgegenüber sind Verstöße durch verschiedene Rebellengruppierungen dokumentiert, darunter außergerichtliche Tötungen, Zerstörungen von Häusern und Angriffe auf öffentliches und privates Eigentum, welche sich u.a. gegen Anhänger des gestürzten Regimes, Wehrpflichtige auch mit niedrigem Rang und scheinbar zufällig ausgewählte junge Männer aus der Gemeinschaft der Alawiten richteten. Hauptbetroffen waren die Provinzen Hama und Homs sowie die als Kernland des Assad-Regimes geltenden, alawitisch-geprägten Provinzen Latakia und Tartus. Die neue Regierung reagierte auf die Vorwürfe von Menschenrechtsaktivisten mit Festnahmen von dutzenden Mitgliedern örtlicher bewaffneter Gruppen, die unter der Kontrolle der neuen Machthaber standen, wegen ihrer Beteiligung an den „Sicherheitseinsätzen“ in der Provinz Homs (vgl. oben unter Pkt. II.1.2.1.).
Im Hinblick darauf ist aus Sicht des Bundesverwaltungsgerichtes nicht davon auszugehen, dass der Beschwerdeführer bei einer Rückkehr nach Syrien der Gefahr von Gewalt seitens der neuen syrischen Regierung ausgesetzt ist. Dazu wird zwar nicht verkannt, dass, wie soeben dargestellt, bewaffnete Gruppierungen, welche der neuen syrischen Regierung nahestehen, für Gewalthandlungen gegenüber verschiedenen Personengruppen, wie etwa Alawiten, Anhängern des gestürzten Assad-Regimes oder Wehrpflichtigen auch mit niedrigem Rang, verantwortlich waren. Im durchgeführten Verfahren sind für das Bundesverwaltungsgericht jedoch keine Anhaltspunkte dafür hervorgekommen, dass konkret dem Beschwerdeführer, der als Araber in ethnischer Hinsicht der Mehrheit der syrischen Bevölkerung angehört, aufgrund in seiner Person gelegenen Umständen gezielt Gewalt seitens der neuen syrischen Regierung bzw. der ihr unterstellten bewaffneten Gruppierungen drohen würde. Sonstige, in der Person des Beschwerdeführers gelegene Eigenschaften oder ihn betreffende Umstände, die auf eine erhöhte Gefährdung seiner Person konkret durch die neue syrische Regierung hinweisen könnten, sind im Verfahren nicht hervorgekommen (s. dazu auch die Angaben des Beschwerdeführers auf S. 7 des Verhandlungsprotokolls).
2.1.4.3.1. Dass der Beschwerdeführer bei einer Rückkehr nach Syrien nicht der Gefahr ausgesetzt ist, zum Wehrdienst in den kurdischen Streitkräften („Selbstverteidigungspflicht“ innerhalb der SDF) einberufen und (zwangsweise) eingezogen zu werden, ergibt sich bereits aus dem Umstand, dass der Herkunftsort des Beschwerdeführers unter Kontrolle der neuen syrischen Regierung steht und er diesen auch ohne Kontakt mit den kurdischen Behörden bzw. Streitkräften über einen von der neuen syrischen Regierung kontrollierten Grenzübergang erreichen kann, ohne das DAANES-Gebiet unter Kontrolle der kurdischen Behörden bzw. Streitkräfte durchqueren zu müssen (s. die Nachschau auf den Karten der Homepages https://syria.liveuamap.com und https://cartercenter.org [12.08.2025] und oben unter Pkt. II.1.2.1. und 2.1.2.1.).
2.1.4.3.2. Darüber hinaus ist darauf hinzuweisen, dass selbst bei – hypothetischer – Annahme einer bestehenden Zugriffsmöglichkeit der kurdischen Behörden bzw. Streitkräfte auf den in der Nähe des DAANES-Gebiets gelegenen Herkunftsort des Beschwerdeführers der im Jahr XXXX geborene und somit derzeit XXXX Jahre alte Beschwerdeführer nach der im DAANES-Gebiet geltenden Rechtslage nicht zur Ableistung eines Wehrdienstes bei den kurdischen Streitkräften („Selbstverteidigungspflicht“ innerhalb der SDF) verpflichtet ist. Dies ergibt sich eindeutig aus dem in das Verfahren eingeführten Länderberichten, nach welchen dieser Wehrdienst – nach wie vor – auf männliche syrische Staatsangehörige aus dem DAANES-Gebiet beschränkt ist, die im Jahr 1998 oder später geboren wurden und ihr 18. Lebensjahr bereits erreicht haben (s. Pkt. II.1.2.1. und 1.2.2.).
Der Beschwerdeführer wäre bei – hypothetischer – Annahme einer bestehenden Zugriffsmöglichkeit der kurdischen Behörden bzw. Streitkräfte auf seinen Herkunftsort bei einer Rückkehr nach Syrien aktuell aus folgenden Gründen auch nicht der Gefahr ausgesetzt, von den kurdischen Streitkräften bzw. von mit diesen in Verbindung stehenden sonstigen kurdischen Gruppierungen als Minderjähriger zwangsrekrutiert zu werden:
Aus dem in das Verfahren eingeführten Länderinformationsblatt der Staatendokumentation vom 08.05.2025 geht hervor, dass die von Kurden geführten Syrischen Demokratischen Kräfte (SDF) im Jahr 2019 ein Abkommen mit den Vereinten Nationen unterzeichnet haben, in dem sie versprachen, die Rekrutierung von Kindern unter 18 Jahren zu beenden und in ihrem Gebiet eine Reihe von Kinderschutzbüros einzurichten. Derzeit gibt es in Syrien sechs funktionierende Kinderschutzbüros (konkret in at-Tabqa, Kobane, Jazira, ar-Raqqa, Deir ez-Zour und Manbij), welche für Fälle betreffend die Rekrutierung von Minderjährigen durch die SDF zuständig sind. Obwohl Personen unter 18 Jahren nicht konkret zum Selbstverteidigungsdienst in den kurdischen Streitkräften einberufen wurden, gibt es dennoch Berichte über die Rekrutierung von Personen unter 18 Jahren in die SDF, wobei die genauen Zahlen und das konkrete Ausmaß, in dem diese Rekrutierungen unter Anwendung physischer Gewalt (z.B. in Form von Entführungen) durchgeführt wurden, unklar sind. Die SDF hatten dem Syrian Human Rights Committee zufolge die Entführungen und Zwangsrekrutierungen von Kindern in ihren Gebieten im August 2024 wieder erhöht. Innerhalb der SDF ist es hauptsächlich die Revolutionäre Jugendbewegung Syriens, die Mädchen und Jungen im Alter von 12 Jahren rekrutiert und den beiden Hauptkomponenten der SDF, der Volksverteidigungseinheit YPG und ihrem Frauenverband YPJ, überstellt (vgl. oben unter Pkt. II.1.2.1.). Der Anfragebeantwortung von ACCORD vom 21.03.2025 u.a. zur Rekrutierungen durch bewaffnete Gruppen (wie die YPG) ist etwa zu entnehmen, dass die Revolutionäre Jugendbewegung im Februar 2025 zwei Minderjährige im Viertel Scheich Maqsoud in Aleppo zum Zweck der Zwangsrekrutierung entführt hat. Laut dem Syrischen Netzwerk für Menschenrechte haben Entführungen und Rekrutierungen von Kindern durch die Revolutionäre Jugendbewegung zugenommen (vgl. oben Pkt. II.1.2.3.). Schließlich ist auf S. 63 der EUAA-Country Focus zu Syrien von Juli 2025 festgehalten, dass fast 69% der zwischen April 2024 und April 2025 bestätigten 49 Fälle von Rekrutierungen Minderjährige unter dem Alter von 15 Jahre betraf; die meisten Vorfälle ereigneten sich im Gouvernement Aleppo (28 Fälle oder 57%), gefolgt von Hasaka (15 Fälle oder 31%) und Raqqa (sechs Fälle oder 12%), wobei alle Vorfälle der Revolutionären Jugendbewegung zugeschrieben wurden.
Aus Sicht des Bundesverwaltungsgerichtes ist nach diesen Länderberichten zu (Zwangs)Rekrutierungen von Minderjährigen in Syrien nicht davon auszugehen, dass der Beschwerdeführer als Minderjähriger bei – hypothetischer – Annahme einer bestehenden Zugriffsmöglichkeit der kurdischen Streitkräfte auf seinen Herkunftsort bei einer Rückkehr nach Syrien aktuell einer durch die Ausübung von Zwang erfolgten Rekrutierung durch die kurdischen Streitkräfte bzw. durch mit diesen in Verbindung stehenden sonstigen kurdischen Gruppierungen ausgesetzt wäre: Dazu wird zwar zunächst nicht verkannt, dass es auch nach Implementierung der o.a. Maßnahmen im DAANES-Gebiet weiterhin – auch zu zwangsweisen – Rekrutierungen von Minderjährigen gekommen ist und kommt. Im Hinblick auf die – soeben dargestellte – dokumentierte Anzahl an Fällen von Zwangsrekrutierungen Minderjähriger im DAANES-Gebiet im Berichtszeitraum April 2024 bis April 2025 ist diese Praxis aus Sicht des Bundesverwaltungsgerichtes jedoch nicht derart verbreitet, dass jeder Minderjährige im DAANES-Gebiet automatisch der Gefahr einer Zwangsrekrutierung unterliegen würde. Nach den aus den angeführten Länderberichten hervorgehenden Zahlen zu erfolgten (Zwangs)Rekrutierungen ist aus Sicht des Bundesverwaltungsgerichtes daher selbst unter Berücksichtigung einer nicht dokumentierten Anzahl an erfolgten (Zwangs)Rekrutierungen nicht von einer hinreichenden Wahrscheinlichkeit auszugehen, dort als Minderjähriger von einer Zwangsrekrutierung betroffen zu sein. Dazu ist auch festzuhalten, dass aus der Einrichtung der oben angeführten Kinderschutzbüros aus Sicht des Bundesverwaltungsgerichtes zumindest ein grundsätzlich bestehendes Bemühen der kurdischen Behörden zur Bekämpfung von Zwangsrekrutierungen Minderjähriger im DAANES-Gebiet zu erblicken ist. Für das Bundesverwaltungsgericht sind zudem weder in der Einvernahme vor der Behörde, noch in der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht konkrete Umstände in Bezug auf den Beschwerdeführer betreffend eine erhöhte Gefährdung seiner Person hinsichtlich einer möglichen Zwangsrekrutierung in Syrien hervorgekommen. Zudem ist aufgrund der im Kindesalter erfolgten Ausreise des Beschwerdeführers aus Syrien und seines dortigen Herkunftsorts auch nicht davon auszugehen, dass er ins Blickfeld von kurdischen Behörden, Streitkräften oder sonstigen kurdischen Gruppierungen geraten ist und aus diesem Grund bei einer Rückkehr einer (auch) dahingehend erhöhten Gefährdung ausgesetzt ist, wozu er auch kein substantiiertes Vorbringen erstattete (vgl. dazu seine Angaben auf S. 7 des Verhandlungsprotokolls und auf S. 3 der Beschwerde).
2.2. Zu den Feststellungen zur Situation im Herkunftsstaat (Pkt. II.1.2.):
Die Feststellungen zur maßgeblichen Situation im Herkunftsstaat des Beschwerdeführers stützen sich auf die zitierten Länderberichte. Da diese Länderberichte auf einer Vielzahl verschiedener, voneinander unabhängiger Quellen von regierungsoffiziellen und nicht regierungsoffiziellen Stellen beruhen und dennoch ein in den Kernaussagen übereinstimmendes Gesamtbild ohne wesentliche Widersprüche darbieten, besteht im vorliegenden Verfahren für das Bundesverwaltungsgericht kein Anlass, an der Richtigkeit der getroffenen Feststellungen zu zweifeln. Insoweit diesen Feststellungen Länderberichte älteren Datums zugrunde liegen, ist auszuführen, dass sich seither die darin angeführten Umstände unter Berücksichtigung der dem Bundesverwaltungsgericht von Amts wegen vorliegenden Länderberichte aktuelleren Datums für die Beurteilung im vorliegenden Verfahren nicht entscheidungswesentlich geändert haben.
Das unter Pkt. II.1.2.1. auszugsweise wiedergegebene Länderinformationsblatt der Staatendokumentation zu Syrien vom 08.05.2025 (Version 12) wurde mit Schreiben des Bundesverwaltungsgerichtes vom 12.05.2025 in das Verfahren eingeführt. In der Verhandlung am 15.04.2025 führte das Bundesverwaltungsgericht das unter Pkt. II.1.2.2. auszugsweise angeführte Länderinformationsblatt der Staatendokumentation zu Syrien vom 27.03.2024 (Version 11) in das Verfahren ein. Bereits zuvor hatte das Bundesverwaltungsgericht mit Schreiben vom 07.04.2025 die unter Pkt. II.1.2.3. auszugsweise wiedergegebene Anfragebeantwortung von ACCORD vom 21.03.2025 zur Rekrutierungspraxis der Übergangsregierung und Rekrutierungen durch andere bewaffnete Gruppen [a-12592-v2] in das Verfahren eingeführt. Der Beschwerdeführer nahm im Wege seines gesetzlichen Vertreters zu den in das Verfahren eingeführten Länderberichten nicht Stellung (s. S. 7 f. des Verhandlungsprotokolls und oben unter Pkt. I.11. und 12.), womit er diesen, nach Ansicht des Bundesverwaltungsgerichtes unbedenklichen Länderberichten, nicht entgegentrat.
3. Rechtliche Beurteilung:
Gemäß § 7 Abs. 1 Z 1 BFA-VG, BGBl. I Nr. 87/2012 idF BGBl. I Nr. 134/2024, (in der Folge: BFA-VG) entscheidet das Bundesverwaltungsgericht über Beschwerden gegen Entscheidungen (Bescheide) des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl.
Gemäß § 6 BVwGG, BGBl. I Nr. 10/2013 idF BGBl. I Nr. 77/2023, entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist. Da weder im BFA-VG noch im AsylG 2005, BGBl. I Nr. 100/2005 idF BGBl. I Nr. 17/2025, (in der Folge: AsylG 2005) eine Senatsentscheidung vorgesehen ist, ist in der vorliegenden Rechtsache durch einen Einzelrichter zu entscheiden.
Zu A) Abweisung der – zulässigen – Beschwerde:
3.1. Gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 ist einem Fremden, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, soweit dieser Antrag nicht bereits gemäß den §§ 4, 4a oder 5 leg.cit. zurückzuweisen ist, der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft ist, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung iSd Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK droht (vgl. auch die Verfolgungsdefinition in § 2 Abs. 1 Z 11 AsylG 2005, die auf Art. 9 der Statusrichtlinie verweist). Flüchtling iSd Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK ist, wer sich aus der begründeten Furcht vor Verfolgung wegen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Überzeugung außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen; oder wer staatenlos ist, sich außerhalb des Landes seines gewöhnlichen Aufenthaltes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, in dieses Land zurückzukehren.
Zentraler Aspekt des Flüchtlingsbegriffs ist die wohlbegründete Furcht vor Verfolgung. Eine wohlbegründete Furcht vor Verfolgung liegt dann vor, wenn sie im Lichte der speziellen Situation des Asylwerbers unter Berücksichtigung der Verhältnisse im Verfolgerstaat objektiv nachvollziehbar ist. Es kommt nicht darauf an, ob sich eine bestimmte Person in einer konkreten Situation tatsächlich fürchtet, sondern ob sich eine mit Vernunft begabte Person in dieser Situation aus Konventionsgründen fürchten würde (vgl. VwGH 05.09.2016, Ra 2016/19/0074 u.v.a.). Verlangt wird eine „Verfolgungsgefahr“, wobei unter Verfolgung ein Eingriff von erheblicher Intensität in die vom Staat zu schützende Sphäre des Einzelnen zu verstehen ist, welcher geeignet ist, die Unzumutbarkeit der Inanspruchnahme des Schutzes des Heimatstaates bzw. der Rückkehr in das Land des vorigen Aufenthaltes zu begründen. Die Verfolgungsgefahr muss ihre Ursache in den in der GFK genannten Gründen haben und muss ihrerseits Ursache dafür sein, dass sich die betreffende Person außerhalb ihres Heimatlandes bzw. des Landes ihres vorigen Aufenthaltes befindet. Die Verfolgungsgefahr muss dem Heimatstaat bzw. dem Staat des letzten gewöhnlichen Aufenthaltes zurechenbar sein. Zurechenbarkeit bedeutet nicht nur ein Verursachen, sondern bezeichnet eine Verantwortlichkeit in Bezug auf die bestehende Verfolgungsgefahr (vgl. VwGH 10.06.1998, 96/20/0287). Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes kommt einer von Privatpersonen bzw. privaten Gruppierungen ausgehenden, auf einem Konventionsgrund beruhenden Verfolgung Asylrelevanz zu, wenn der Staat nicht gewillt oder nicht in der Lage ist, diese Verfolgungshandlungen hintan zu halten (VwGH 24.02.2015, Ra 2014/18/0063); auch eine auf keinem Konventionsgrund beruhende Verfolgung durch Private hat aber asylrelevanten Charakter, wenn der Heimatstaat des Betroffenen aus den in Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK genannten Gründen nicht bereit ist, Schutz zu gewähren (vgl. VwGH 28.01.2015, Ra 2014/18/0112 mwN). Eine von dritter Seite ausgehende Verfolgung kann nur dann zur Asylgewährung führen, wenn sie von staatlichen Stellen infolge nicht ausreichenden Funktionierens der Staatsgewalt nicht abgewandt werden kann (vgl. VwGH 22.03.2000, 99/01/0256 mwN). Die Voraussetzung der „wohlbegründeten Furcht“ vor Verfolgung wird in der Regel aber nur erfüllt, wenn zwischen den Umständen, die als Grund für die Ausreise angegeben werden, und der Ausreise selbst ein zeitlicher Zusammenhang besteht (vgl. VwGH 17.03.2009, 2007/19/0459). Relevant kann nur eine aktuelle Verfolgungsgefahr sein; sie muss bei Bescheiderlassung vorliegen, auf diesen Zeitpunkt hat die der Asylentscheidung immanente Prognose abzustellen, ob der Asylwerber mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit Verfolgung aus den in Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK genannten Gründen zu befürchten habe (vgl. u.a. VwGH 29.02.2024, Ra 2023/18/0298; 20.06.2007, 2006/19/0265 mwN).
3.2. Vor diesem Hintergrund ist für das vorliegende Verfahren Folgendes auszuführen:
Wie bereits in der Beweiswürdigung dargestellt, ist der Beschwerdeführer bei einer Rückkehr nach Syrien dort keiner Verfolgung seitens des (nunmehr gestürzten) Assad-Regimes ausgesetzt (vgl. dazu oben unter Pkt. II.2.1.4.1.). Weiters droht dem Beschwerdeführer bei einer Rückkehr nach Syrien dort nicht mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit die Gefahr, seitens der neuen syrischen Regierung bzw. mit dieser in Verbindung stehender Gruppierungen zur Ableistung eines Wehrdienstes einberufen und (zwangsweise) eingezogen zu werden bzw. physischer oder psychischer Gewalt ausgesetzt zu sein (Pkt. II.2.1.4.2.). Schließlich würden dem Beschwerdeführer bei einer Rückkehr in Syrien nicht mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit Verfolgungshandlungen seitens der das DAANES-Gebiet kontrollierenden kurdischen Behörden bzw. Streitkräfte drohen (s. Pkt. II.2.1.4.3.). Dem Beschwerdeführer ist es somit nicht gelungen, mit seinem dahingehenden Vorbringen eine konkret und gezielt gegen seine Person gerichtete aktuelle Verfolgung maßgeblicher Intensität, welche ihre Ursache in einem der in der GFK genannten Gründe hätte, glaubhaft zu machen. Sohin kann nicht erkannt werden, dass dem Beschwerdeführer aus diesen von ihm ins Treffen geführten Gründen im Herkunftsstaat eine asylrelevante Verfolgung droht.
Im Hinblick auf die UNHCR-Position zur Rückkehr nach Syrien vom 16.12.2024 (Anmerkung: diese ersetzt nunmehr die UNHCR-Erwägungen zu Syrien von März 2021) sowie die aktuellen EUAA-Berichte zu Syrien (EUAA-Country Guidances zu Syrien von April und Juni 2025 sowie EUAA-Country Focus zu Syrien von Juli 2025) ist seitens des Bundesverwaltungsgerichtes darauf hinzuweisen, dass die Erfüllung eines in diesen Berichten angeführten Risikoprofils noch nicht per se zum Vorliegen einer asylrelevanten Verfolgung im Herkunftsstaat führt, zumal in jedem konkreten Verfahren diesbezüglich eine Einzelfallprüfung vorzunehmen ist (s. dazu etwa S. 25 der EUAA-Country Guidance zu Syrien von Juni 2025; vgl. dazu weiters etwa VwGH 29.02.2024, Ra 2024/18/0043). Wie oben im Detail ausgeführt, ist es dem Beschwerdeführer im vorliegenden Verfahren nicht gelungen, eine individuelle Verfolgung seiner Person aus in der GFK genannten Gründen glaubhaft zu machen, woran die Erfüllung bestimmter Risikoprofile durch seine Person nichts zu ändern vermag (s. zur Notwendigkeit der besonderen Beachtung etwa von UNHCR-Richtlinien VwGH 11.02.2021, Ra 2021/20/0026; 27.05.2019, Ra 2019/14/0153; 13.12.2018, Ra 2018/18/0533; 10.12.2014, Ra 2014/18/0103, sowie VfGH 24.09.2018, E 761/2018; vgl. dazu auch Art. 10 Abs. 3 lit. b) der Verfahrens-Richtlinie 2013/32/EU).
Die sich aus den vorliegenden Länderberichten ergebende, allgemein prekäre Situation von Minderjährigen in Syrien (u.a. betreffend Zugang zu Lebensmitteln und Bildung sowie körperliche und geistige Gesundheit – s. oben unter Pkt. II.1.2.1. und zudem etwa S. 62 bis 64 der EUAA-Country Focus von Juli 2025) kann aus Sicht des Bundesverwaltungsgerichtes vor dem Hintergrund der beim Beschwerdeführer vorliegenden persönlichen Umstände (Muttersprache Arabisch; Zugehörigkeit zur – in Syrien die Mehrheit darstellenden – Volksgruppe der Araber; Schulbildung; Herkunftsort unter Kontrolle der neuen syrischen Regierung) mangels Vorliegens einer dahingehend konkret gegen den Beschwerdeführer gerichteten Verfolgungshandlung samt Konnex zu einem in der GFK genannten Gründe (sofern man überhaupt allgemein vom Bestehen des GFK-Grundes der sozialen Gruppe der „Kinder“ ausgehen würde) nicht zur Zuerkennung des Status des Asylberechtigten führen, sondern ist diese schlechte Situation von Minderjährigen in Syrien insbesondere für die – nicht gegenständliche – Prüfung des Vorliegens von Gründen für die Zuerkennung (Verlängerung) des Status des subsidiär Schutzberechtigten relevant.
3.3. Die Beschwerde gegen Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides ist daher gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG iVm § 3 Abs. 1 AsylG 2005 abzuweisen.
Zu B) Unzulässigkeit der Revision:
Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer solchen Rechtsprechung; des Weiteren ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Das Bundesverwaltungsgericht konnte sich bei allen erheblichen Rechtsfragen auf eine ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes bzw. auf eine ohnehin klare Rechtslage stützen. Die maßgebliche Rechtsprechung wurde bei den Erwägungen zu den einzelnen Spruchpunkten zu Spruchteil A) wiedergegeben. Insoweit die in der rechtlichen Beurteilung angeführte Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes zu früheren Rechtslagen ergangen ist, ist diese nach Ansicht des Bundesverwaltungsgerichtes auf die inhaltlich meist völlig gleichlautenden Bestimmungen der nunmehr geltenden Rechtslage unverändert übertragbar.