W176 2293751-1/12E
Schriftliche Ausfertigung des am 15.05.2025 mündlich verkündeten Erkenntnisses
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Mag. NEWALD als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , syrischer Staatsangehöriger, vertreten durch die Bundesagentur für Betreuungs- und Unterstützungsleistungen (BBU), gegen Spruchpunkt I. des Bescheides des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 03.05.2024, Zl. 1328223203-223179223, wegen Nichtzuerkennung des Status eines Asylberechtigten nach Durchführung einer mündlichen öffentlichen Verhandlung zu Recht:
A)
Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
B)
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Entscheidungsgründe:
I. Verfahrensgang:
1. Am 08.10.2022 stellte der Beschwerdeführer (im Folgenden: „BF“), ein syrischer Staatsangehöriger, einen Antrag auf internationalen Schutz. Bei seiner Erstbefragung am 10.10.2022 gab er an, dass in Syrien Bürgerkrieg herrsche. Es gäbe keine Sicherheit mehr und der BF wolle für niemanden eine Waffe tragen.
2. Am 03.11.2023 vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (im Folgenden: belangte Behörde) im Beisein eines Dolmetschers für die arabische Sprache niederschriftlich einvernommen, gab der BF zusammengefasst an, er stamme aus XXXX , Dorf XXXX , bei Qamischli im Gouvernement Hasaka, sei verheiratet und habe mit seiner Frau vier minderjährige Kinder, die bei ihr in Aleppo lebten. Der BF habe als freiwilliger Polizist (Wache) bei einer Botschaft gearbeitet.
Zu seinen Fluchtgründen befragt brachte der BF vor, er werde in Syrien gesucht, da er seinen Wehrdienst nicht abgeleistet habe und von seinem Polizeidienst desertiert sei. Der BF wolle auch keine Waffe tragen und keine Unschuldigen töten sowie sich keiner Miliz anschließen. Als die Kurden im März 2013 in der Herkunftsregion des BF an die Macht gekommen seien, hätten sie verlangt, dass das ganze Heimatdorf des BF für sie kämpfe. Danach habe er im März 2013 Syrien verlassen und sei nach Erbil/Irak gezogen.
Zugleich legte der BF seinen syrischen Personalausweis und sein Polizeibuch im Original sowie sein syrisches Familienbuch und Personenauszüge in Kopie vor.
3. Mit dem im Spruch genannten Bescheid vom 03.05.2024 wies die belangte Behörde den Antrag des BF auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status eines Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 i.V.m. § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG ab (Spruchpunkt I.). Zugleich wurde ihm gemäß § 8 Abs. 1 AsylG der Status eines subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt (Spruchpunkt II.) und gemäß § 8 Abs. 4 AsylG eine befristete Aufenthaltsberechtigung für ein Jahr erteilt (Spruchpunkt III.).
Die belangte Behörde ging davon aus, dass die Identität des BF feststehe. Er sei syrischer Staatsangehöriger, Araber und Sunnit. Er habe in Syrien weder asylrelevante Verfolgung erlitten noch eine solche in Zukunft zu befürchten. Beweiswürdigend führte die belangte Behörde aus, die Angaben des BF zu seinen persönlichen Lebensumständen seien glaubhaft und gingen diese außerdem aus den von ihm vorgelegten unbedenklichen Urkunden hervor. Rechtlich führte die belangte Behörde aus, dem BF drohe keine Verfolgung aus Gründen der Rasse, der Religion, der Nationalität, der politischen Gesinnung oder der Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe.
4. Allein gegen Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides wendet sich die fristgerecht erhobene Beschwerde vom 03.06.2024. Der BF brachte darin zusammengefasst vor, er sei nach Beginn des Bürgerkriegs als Polizist für Sicherheit und Ordnung auf den Straßen zuständig gewesen und habe daher auch bei friedlichen Demonstrationen unmittelbar eingreifen müssen. Der BF habe es mit seinem Gewissen nicht vereinbaren können, auf unschuldige Menschen zu schießen und gewaltsam bei friedlichen Protesten einzugreifen. Aus diesem Grund habe er sich dazu entschlossen, aus dem Polizeidienst zu desertieren. Der BF befürchte auch, bei einer allfälligen Rückkehr nach Syrien den verpflichtenden Wehrdienst ableisten zu müssen sowie dass ihm aufgrund seiner Desertion vom Polizeidienst vonseiten des Assad-Regimes eine oppositionelle politische Einstellung unterstellt werde.
Die belangte Behörde legte die Beschwerde samt dem Akt des Verwaltungsverfahrens dem Bundesverwaltungsgericht zur Entscheidung vor.
5. Mit Parteiengehör vom 02.04.2025 teilte das Bundesverwaltungsgericht dem BF mit, dass es beabsichtigt, die Kurzinformation der Staatendokumentation des BFA zum Sturz des Assad-Regimes vom 10.12.2024 sowie den Bericht des UNHCR „Position on Returns to the Syrian Arab Republic“ seiner Entscheidung zugrunde zu legen und erteilte dem BF dazu die Möglichkeit zur Abgabe einer Stellungnahme.
6. Mit Schreiben vom 09.01.2025 gab der BF eine Stellungnahme zu den zuvor genannten Länderberichten ab und bekannt, die Beschwerde und alle Anträge aufrecht zu halten. In der Sache führte er im Wesentlichen aus, er befürchte nach wie vor die Zwangsrekrutierung durch die kurdischen Milizen. Die Lage in Nordsyrien habe sich wegen der Kampfhandlungen zwischen SDF und SNA zugespitzt. Auch die neuen Machthaber der HTS würden eine erhebliche Gefahr für den BF etwa in Form von Zwangsrekrutierung oder (unterstellter) oppositioneller Gesinnung darstellen. Die Sache sei wegen der unklaren Verhältnisse in Syrien nicht entscheidungsreif.
7. Am 15.05.2025 fand vor dem Bundesverwaltungsgericht eine öffentliche mündliche Verhandlung statt, in der das Länderinformationsblatt der Staatendokumentation zu Syrien, Version 12, vom 08.05.2025 ins Verfahren eingeführt und der der BF als Partei einvernommen wurde.
Nach Schluss der mündlichen Verhandlung wurde das Erkenntnis mit den wesentlichen Entscheidungsgründen mündlich verkündet.
8. Mit Schreiben vom 19.05.2025 beantragte der BF die schriftliche Ausfertigung dieses Erkenntnisses.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen:
1.1. Zu Person des Beschwerdeführers und Vorbringen bezüglich der Zuerkennung des Status eines Asylberechtigten (Fluchtgründe):
Der BF wurde am XXXX im Ort XXXX im Gouvernement Ar Raqqa geboren und ist im Dorf XXXX (auch XXXX ) im Gouvernement Hasaka aufgewachsen. XXXX liegt am Fluss Tigris an der Grenze Syriens mit der Türkei und dem Irak. Er ist syrischer Staatsangehöriger, Araber und sunnitischer Moslem.
Von Ende 2005 bis Jänner 2013 lebte der BF in Damaskus, wo er als Polizist arbeitete und für die Bewachung von Botschaften eingesetzt wurde. Im März 2013 verließ er seine Dienststelle und reiste in den Libanon aus, wo er sich bei der syrischen Botschaft einen Reisepass ausstellen ließ, mit dem er (legal) nach Erbil in den Irak weiterreiste.
XXXX steht unter der Kontrolle der SDF und ist Teil des kurdischen Selbstverwaltungsgebiets in Nordsyrien (AANES).
Nach den Vorschriften der AANES sind Männer ab dem vollendeten achtzehnten Lebensjahr im Rahmen der Selbstverteidigungspflicht bei den Selbstverteidigungskräften wehrpflichtig, allerdings nur, wenn sie im Jahre 1998 oder danach geboren worden sind.
Wer den Selbstverteidigungsdienst verweigert, muss in der Regel länger als gesetzlich vorgesehen bei den Selbstverteidigungskräften dienen, wird darüber hinaus aber nicht bestraft. Außerdem werden Wehrpflichtige grundsätzlich nicht an der Front eingesetzt und es ist keine Teilnahme an völkerrechtswidrigen Kriegshandlungen zu erwarten.
Der BF ist den Machthabern der kurdischen Selbstverwaltung gegenüber nicht oppositionell eingestellt und wird ihm dergleichen von den diesen auch nicht unterstellt.
Es kann nicht festgestellt werden, dass kurdische Einheiten versucht hätten, den BF vor seiner Ausreise aus Syrien zwangszurekrutieren.
Es ist nicht maßgeblich wahrscheinlich, dass der BF im Falle eine Rückkehr in seine Heimatregion Gefahr läuft, gemeinsam mit den Bewohnern arabischer Dörfer von kurdischen Einheiten vertrieben zu werden.
Es kann nicht mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit davon ausgegangen werden, dass der BF in Syrien von durch HTS-Angehörige begangenen Menschenrechtsverletzungen betroffen wäre.
1.2. Hinsichtlich der Lage in Syrien:
Politische Lage - Entwicklungen seit dem Sturz des Assad-Regimes (seit 8.12.2024)
Letzte Änderung 2025-05-08 22:36
Am 8.12.2024 erklärten die Oppositionskräfte in Syrien die 24-jährige Herrschaft von Präsident Bashar al-Assad für beendet. Zuvor waren Kämpfer in die Hauptstadt eingedrungen, nachdem Oppositionsgruppierungen am 27.11.2024 eine Offensive gegen das Regime gestartet und innerhalb weniger Tage die Städte Aleppo, Hama und große Teile des Südens eingenommen hatten. Al-Assad war aus Damaskus geflohen (AJ 8.12.2024). Ihm und seiner Familie wurde Asyl in Russland gewährt (VB Moskau 10.12.2024). Er hatte das Land seit 2000 regiert, nachdem er die Macht von seinem Vater Hafez al-Assad übernommen hatte, der zuvor 29 Jahre regiert hatte (BBC 8.12.2024a). Er kam mit der Baath-Partei an die Macht, die in Syrien seit den 1960er-Jahren Regierungspartei war (NTV 9.12.2024). Bashar al-Assad hatte friedliche Proteste gegen sein Regime im Jahr 2011 gewaltsam unterdrückt, was zu einem Bürgerkrieg führte. Mehr als eine halbe Million Menschen wurden getötet, sechs Millionen weitere wurden zu Flüchtlingen (BBC 8.12.2024a). Die Offensive gegen al-Assad wurde von der Hay'at Tahrir ash-Sham (HTS) angeführt (BBC 9.12.2024). [Details zur Offensive bzw. zur Hay'at Tahrir ash-Sham finden sich im Kapitel Sicherheitsbehörden - Entwicklungen seit dem Sturz des al-Assad-Regimes (8.12.2024) Anm.] Die HTS wurde ursprünglich 2012 unter dem Namen Jabhat an-Nusra (an-Nusra Front) gegründet, änderte ihren Namen aber 2016 nach dem Abbruch der Verbindungen zur al-Qaida in Hay'at Tahrir ash-Sham. Sie festigte ihre Macht in den Provinzen Idlib und Aleppo, wo sie ihre Rivalen, darunter Zellen von al-Qaida und des Islamischen Staates (IS), zerschlug. Sie setzte die sogenannte Syrische Heilsregierung (Syrian Salvation Government - SSG) ein, um das Gebiet nach islamischem Recht zu verwalten (BBC 9.12.2024). Die HTS wurde durch die Syrische Nationale Armee (Syrian National Army - SNA), lokale Kämpfer im Süden und andere Gruppierungen unterstützt (Al-Monitor 8.12.2024). Auch andere Rebellengruppierungen erhoben sich (BBC 8.12.2024b), etwa solche im Norden, Kurdenmilizen im Nordosten, sowie Zellen der Terrormiliz IS (Tagesschau 8.12.2024). Im Süden trugen verschiedene bewaffnete Gruppierungen dazu bei, die Regierungstruppen aus dem Gebiet zu vertreiben. Lokale Milizen nahmen den größten Teil der Provinz Dara'a sowie die überwiegend drusische Provinz Suweida ein (Al-Monitor 8.12.2024). Die Abteilung für Militärische Operationen (Department for Military Operations - DMO) dem auch die HTS angehört, kontrollierte mit Stand 11.12.2024 70 % des syrischen Territoriums (Arabiya 11.12.2024). […]
In der ersten Woche nach der Flucht al-Assads aus dem Land gelang es Syrien, ein vollständiges Chaos, zivile Gewalt und den Zusammenbruch des Staates abzuwenden (MEI 19.12.2024). Ehemalige Regimeoffiziere sollen viele Regierungsgebäude niedergebrannt haben, um Beweise für ihre Verbrechen zu verstecken, nachdem sie nach dem Sturz des Regimes von Präsident Bashar al-Assad aus dem Innenministerium geflohen waren (Araby 16.12.2024). Die neuen de-facto-Führer Syriens bemühten sich um Sicherheit, Stabilität und Kontinuität. Obwohl es Berichte über Plünderungen in der Zentralbank und über Menschen gab, die den persönlichen Wohnsitz al-Assads und die Botschaft des Iran, seines Hauptunterstützers, durchwühlten, standen am 9.12.2024 Rebellenkämpfer vor Regierungsgebäuden in der gesamten Hauptstadt Wache. Die neuen Behörden verbreiteten auch Bilder von Sicherheitspersonal, das durch die Straßen von Damaskus patrouillierte, in den sozialen Medien (NYT 12.12.2024).
Der HTS-Anführer Mohammed al-Joulani, der mittlerweile anstelle seines Kampfnamens seinen bürgerlichen Namen Ahmad ash-Shara' verwendet (Nashra 8.12.2024), traf sich am 9.12.2024 mit dem ehemaligen Ministerpräsidenten und Vizepräsidenten von al-Assad, um die Modalitäten für eine Machtübergabe zu besprechen (DW 10.12.2024). Bis zu ihrer Übergabe blieben die staatlichen Einrichtungen Syriens unter seiner Aufsicht (REU 8.12.2024). Die Macht des Assad-Regimes wurde auf ein Übergangsgremium übertragen, das vom Premierminister der SSG, Mohammed al-Bashir, geleitet wurde (MEI 9.12.2024). Al-Bashir kündigte am ersten Tag seiner Ernennung an, dass die Prioritäten seiner Regierung folgende seien: Gewährleistung von Sicherheit, Bereitstellung von Dienstleistungen und Aufrechterhaltung der staatlichen Institutionen. (AJ 27.1.2025a). Am 29.1.2025 wurde de-facto-Herrscher Ahmed ash-Shara' zum Übergangspräsidenten ernannt (Standard 29.1.2025).
Die Übergangsregierung ließ laut Medienberichten die Verwaltungsbeamten auf ihren Posten (LTO 9.12.2024). Eine diplomatische Quelle eines europäischen Staates wiederum berichtet von einer Beurlaubung aller Staatsbeamten: Durch die Beurlaubung aller Staatsbeamter gibt es in Syrien zwar nun (interimistische) Minister, aber kaum Beamte, soll heißen, keine funktionierende Verwaltung. Mit ganz wenigen Ausnahmen stehen die Ministerien leer. Die einzigen Ordnungskräfte sind diejenigen Gruppen, die aus Idlib mitgekommen sind und die sich – personell überlastet – um ein Minimum an Ordnung in den Städten bemühen. Die kommunale Versorgung ist nicht vorhanden bzw. derzeit auf Privatinitiativen reduziert (SYRDiplQ1 5.2.2025). In Damaskus und anderen Orten kam es häufig zu Gewaltausbrüchen, weil Polizei und Armee nicht über genügend Personal verfügen, um die Ordnung aufrechtzuerhalten. Die Straßen sind oft mit Müll übersät, und anstelle der Polizei leiten Teenager den Verkehr (FT 25.3.2025). Syrienexperte Daniel Gerlach sagte, dass die leitende Beamtenebene im Land fehlt, die zwischen politischen Entscheidungsträgern und der Verwaltung – die ihre Arbeit wieder aufgenommen hat – steht. Es fehlen diejenigen, die mit den Verwaltungsträgern in Kontakt sind und die Politik umsetzen. Diejenigen, die in Syrien politische Entscheidungen träfen, seien ungefähr 15 bis 16 Personen, schätzt Gerlach (AC 23.1.2025). Alle Minister der Übergangsregierung waren aus dem 7. Kabinett der SSG, das im Februar 2024 ernannt worden war (AlMon 11.12.2024). Ash-Shara' und der Interims-Premierminister haben Loyalisten zu Gouverneuren in mehreren Provinzen und zu Ministern in der Übergangsregierung ernannt (ISW 19.12.2024). Al-Bashir hat gegenüber Al Jazeera erklärt, dass die Minister der SSG vorerst die nationalen Ministerämter übernehmen werden (AJ 15.12.2024a). Ash-Shara', sagte, dass in den ersten 100 Tagen keine internen und externen Parteien berücksichtigt werden. Er hat allen seinen Kameraden, die der HTS oder anderen Gruppierungen angehören, sehr deutlich gemacht, dass er diese Phase nur Leuten anvertraut, die sein persönliches Vertrauen haben. Er hat seine Partner und Freunde gebeten, ihm in dieser Phase beizustehen und sich darauf vorzubereiten, die Form einer neuen Regierung zu diskutieren (Akhbar 31.12.2024). Die HTS, die in der neuen Regierung erheblichen Einfluss hat, verfügt einem Bericht des Atlantic Council zufolge nicht über ausreichende technokratische Fachkenntnisse, um eine so komplexe Nation wie Syrien zu verwalten (AC 23.1.2025).
Die Regierung hat keinen Zeitplan für die Durchführung von Wahlen festgelegt. Ash-Shara' stellte am 16.12.2024 fest, dass Syrien nicht bereit für Wahlen sei. Die Amtszeit der Übergangsregierung wurde bis März 2025 festgesetzt (ISW 16.12.2024). Am 29.3.2025 ernannte der Präsident die neue syrische Regierung. Diese besteht aus Technokraten, ethnischen Minderheiten und mehreren engen Vertrauten ash-Shara's. Fast die Hälfte der Ernannten steht in keiner Verbindung zur HTS. Unter den Ernannten ist eine Frau, ein Angehöriger der drusischen Minderheit, ein Kurde und ein Alawit (FT 30.3.2025). Das einzige weibliche Kabinettsmitglied ist katholische Christin (VN 1.4.2025). Keiner davon erhielt ein wichtiges Ressort. Syrien-Experte Fabrice Balanche erklärte, dass wichtige Ressorts an „ehemalige Mitstreiter vergeben wurden, die bereits Teil der Syrischen Heilsregierung in der Provinz Idlib“ im Nordwesten Syriens waren (AlMon 30.3.2025). Der Verteidigungsminister und der Außenminister der Übergangsregierung behielten ihre Ämter. Innenminister Khattab war zuvor Leiter des Geheimdienstes (Independent 29.3.2025). Auch Außenminister ash-Shaibani behielt sein Amt (AlMon 30.3.2025). Mehrere der neuen Minister waren unter dem Assad-Regime tätig. Zu den ehemaligen Assad-Beamten gehören Yarab Badr, der neue Verkehrsminister, und Nidal ash-Sha'r, der zum Wirtschaftsminister ernannt wurde (NYT 30.3.2025). Die Mitglieder sind für fünf Jahre bestellt (FT 30.3.2025). Das Kabinett hat keinen Premierminister, da gemäß der vorläufigen Verfassung die Regierung einen Generalsekretär haben wird (Independent 29.3.2025). Ein neues Gremium, das Ende März per Dekret bekannt gegeben wurde, das Generalsekretariat für politische Angelegenheiten, gewährte ash-Shara's Stellvertreter, Außenminister ash-Shaibani, weitreichende Befugnisse über die Führung von Ministerien und Regierungsbehörden – ähnlich der Rolle eines Premierministers (FT 30.3.2025).
Die Kurden im Nordosten Syriens stellen sich gegen die neu vorgestellte syrische Regierung. Das Kabinett spiegele nicht die Vielfalt des Landes wider, teilte die Demokratische Autonome Verwaltung Nord- und Ostsyriens (DAANES) mit. Man sehe sich daher nicht an die Entscheidungen der neuen Regierung gebunden (Zeit Online 30.3.2025; vgl. Standard 30.3.2025; K24 30.3.2025). Obwohl der neuen Regierung mit Bildungsminister Mohammad Turko ein Kurde angehört, sind keine Vertreter der DAANES ins neue Kabinett berufen worden (MEE 30.3.2025). Einige Kritiker weisen auf die Diskrepanz zwischen ash-Shara's Rhetorik bei Treffen mit internationalen Vertretern und dem vermeintlichen Fehlen eines integrativen Diskurses mit einheimischen Akteuren hin (Etana 10.1.2025). In den ersten fünfzig Tagen der neuen Regierung wurden in den Regierungsinstitutionen eine Reihe von Ernennungen vorgenommen, darunter neben den Ministern auch die meisten Gouverneure und Direktoren der wichtigsten Regierungsbehörden und Abteilungen, die eine hoheitliche Dimension haben, wie der Geheimdienst, die Zentralbank und der Kassationshof (AJ 27.1.2025a). Die Problematik besteht darin, dass der Kreis der Entscheidungsträger – zumindest derzeit - ein besonders kleiner, ausschließlich aus engsten Vertrauten aus Idlib bestehender ist, d. h. ein in sich geschlossener Kreis. Hinzu kommen bereits interne Unstimmigkeiten: So mancher militärischen Gruppierung und manchem Weggefährten aus Idlib geht der moderate Zugang der Übergangsbehörden bereits zu weit. War man in den ersten euphorischen Wochen nach der Machtübernahme noch zuversichtlich-optimistisch bzw. vielmehr überzeugt, die Erfahrungen aus dem Modell Idlib auf das ganze Land übertragen zu können (die Argumentation dabei: Idlib als erfolgreicher Mikrokosmos Gesamtsyriens, da ja bewaffnete Gruppen aus dem ganzen Land nach Idlib transferiert worden waren), so hat 50 Tage nach dem Fall des Regimes Assad die Realität die neuen Machthaber eingeholt. Das katastrophale administrative Erbe, die schlechte Wirtschaftslage, die schiere Größe und Vielfalt des Landes, sowie der Mangel an allem, auch an eigenem Fachwissen und Erfahrung. Die Verwaltung eines Stadtstaates (Idlib) hat eine ganz andere Dimension als die eines komlpexen, zerstörten Landes (SYRDiplQ1 5.2.2025).
Die Übergangsregierung kündigte an, dass eine umfassende nationale Dialogkonferenz, eine vorläufige Verfassungserklärung abgeben, einen Ausschuss zur Ausarbeitung einer neuen Verfassung bilden und eine Übergangsregierung bestätigen wird, die die Macht von al-Bashirs Regierung übernehmen wird (AJ 27.1.2025a). Am 12.2.2025 bestätigten Quellen gegenüber Al Jazeera, dass die syrische Präsidentschaft das Vorbereitungskomitee für die Nationale Konferenz gebildet hat bestehend aus fünf Männern und zwei Frauen (AJ 12.2.2025; vgl. Sky News 12.2.2025). Zur Vorbereitung der Konferenz hat das siebenköpfige Vorbereitungskomitee Anhörungen in den Gouvernements organisiert und manchmal mehrere zweistündige Sitzungen pro Tag abgehalten, um die 14 Provinzen Syriens in einer Woche abzudecken. Fünf Mitglieder des Komitees gehörten der HTS an oder stehen ihr nahe. Vertreter der Drusen oder Alawiten, zwei der großen Minderheiten in Syrien, waren nicht dabei (BBC 25.2.2025). Mit 12.2.2025 nahm dieses Komitee seine Arbeit auf, um die nationale Konferenz vorzubereiten und die Einladungen an die Teilnehmer zu verschicken (AJ 12.2.2025). Die sieben Mitglieder des Vorbereitungskomitees haben etwa 4.000 Menschen in ganz Syrien konsultiert, um Meinungen einzuholen, die bei der Ausarbeitung einer Verfassungserklärung, eines neuen Wirtschaftsrahmens und eines Plans für institutionelle Reformen helfen sollen, teilte das Komitee am 23.2.2025 Reportern mit (REU 23.2.2025; vgl. AlHurra 23.2.2025). Am 25.2.2025 fand die Konferenz zum Nationalen Dialog in Damaskus statt. Hunderte von Vertretern verschiedener gesellschaftlicher Gruppen waren anwesend, aber viele andere Persönlichkeiten und Gruppierungen waren nicht anwesend (AlHurra 25.2.2025). Ca. 400 Vertreter der Zivilgesellschaft, der Glaubensgemeinschaften, der Opposition und der Künstler nahmen teil (AlHurra 25.2.2025). Laut BBC waren es sogar 600 Teilnehmer (BBC 25.2.2025). Die Kurdische Autonomieverwaltung (Demokratische Autonome Administration von Nord- und Ostsyrien - DAANES) und ihr militärischer Arm, die SDF, haben keine Einladung zur Teilnahme an der Konferenz erhalten. Die Organisatoren hatten zuvor mitgeteilt, dass keine militärischen Einheiten oder Formationen, die noch ihre Waffen behalten, eingeladen wurden (AlHurra 25.2.2025). Nach der Eröffnung der Konferenz wurden die Teilnehmer in sechs Workshops eingeteilt, die sich mit zentralen Themen befassten, darunter „persönliche Freiheiten“, „Verfassungsaufbau“ und „Übergangsjustiz“. In der Abschlusserklärung der Konferenz wurde die rasche Bildung des provisorischen Legislativrats gefordert, der die Aufgaben der Legislative nach „Kriterien der Kompetenz und der gerechten Vertretung“ übernehmen soll (BBC 25.2.2025). Das Komitee der Dialogkonferenz gibt Empfehlungen heraus und erlässt keine Entscheidungen (AJ 21.2.2025). Diese Empfehlungen sollen in die Verfassungserklärung und den Plan für institutionelle Reformen einfließen, versichert der Sprecher des Komitees (AlHurra 23.2.2025; vgl. BBC 23.2.2025). Auf der Konferenz wurden mehrere Erklärungen abgegeben, darunter die Bildung eines Legislativrats, ein Bekenntnis zur Übergangsjustiz, zu den Menschenrechten und zur Gewährleistung der Meinungsfreiheit. Eine am Ende der eintägigen Konferenz veröffentlichte Erklärung – die nur wenige Tage zuvor angekündigt wurde und vielen potenziellen Teilnehmern nur wenig Vorbereitungszeit ließ – ebnete den Weg für die Bildung eines siebenköpfigen Ausschusses, der mit der Ausarbeitung einer Übergangserklärung zur Verfassung beauftragt wurde (TNA 3.3.2025). Am 2.3.2025 gab die neue Regierung die Bildung dieses siebenköpfigen Ausschusses bekannt. Der Ausschuss besteht aus einem Expertenkomitee, dem auch zwei Frauen angehören und dessen Aufgabe es ist, die Verfassungserklärung, die die Übergangsphase regelt, in Syrien zu entwerfen. Das Komitee werde „seine Vorschläge dem Präsidenten vorlegen“, hieß es in einer Erklärung, ohne einen Zeitrahmen anzugeben (FR24 2.3.2025; vgl. BBC 3.3.2025). Weniger als zwei Stunden nach dieser Entscheidung wurden die Texte der Artikel, die in diese Erklärung aufgenommen werden sollen, bekannt, was bei den Syrern sowohl Bestürzung als auch Spott hervorrief, zumal die Informationen von arabischen Satellitenkanälen und nicht von lokalen Sendern stammten (Nahar 4.3.2025). Der Ausschuss stellte fest, dass die Verfassungserklärung die allgemeinen Grundlagen des Regierungssystems festlegen wird, um Flexibilität und Effizienz bei der Verwaltung des Staates in dieser sensiblen Zeit zu gewährleisten, um die politische und soziale Einheit und die territoriale Integrität des Landes zu bewahren. Die Ideen aus den nationalen Dialogen und Diskussionen, die in den Workshops zur Verfassungsgebung während der Nationalen Dialogkonferenz stattgefunden haben, sollen vom Ausschuss berücksichtigt werden (SANA 3.3.2025).
Am 13.3.2025 unterzeichnete ash-Shara' die angekündigte Verfassungserklärung (NYT 14.3.2025). Das vorläufige Dokument besteht aus vier Kapiteln und 53 Artikeln (AlHurra 14.3.2025). Es sieht eine fünfjährige Übergangsphase vor (BBC 14.3.2025). Nach dieser Übergangsphase soll eine dauerhafte Verfassung verabschiedet und Wahlen für den Präsidenten abgehalten werden (NYT 14.3.2025). Die Erklärung legt fest, dass der syrische Präsident Muslim sein muss, wie es schon in der vorherigen Verfassung geschrieben stand. Anders als in der Verfassung von 2012, schreibt diese Verfassungserklärung die islamische Rechtslegung als wichtigste Quelle der Gesetzgebung fest. Daneben werden die Gewaltenteilung und die Unabhängigkeit der Justiz verankert sowie die Rechte der Frauen garantiert (BBC 14.3.2025). Der Präsident ist jedoch allein für die Ernennung der Richter des neuen Verfassungsgerichts Syriens verantwortlich. Die Richter müssen unparteiisch sein (NYT 14.3.2025). Für die Rechenschaftspflicht des Präsidenten wird in der Verfassung keine Möglichkeit eingeräumt. Der Erklärung zufolge wird ash-Shara' neben dem Präsidenten der Republik die folgenden Ämter bekleiden: Premierminister, Oberbefehlshaber der Armee und der Streitkräfte und Vorsitzender des Nationalen Sicherheitsrates. In Artikel 41 räumt die Verfassungserklärung dem Präsidenten die Möglichkeit ein, mit Zustimmung des Nationalen Sicherheitsrates, dessen Mitglieder er selbst auswählt, den Ausnahmezustand auszurufen (AlHurra 14.3.2025). Der neu gebildete Nationale Sicherheitsrat setzt sich aus Shara'-Getreuen zusammen, darunter Verteidigungsminister Murhaf Abu Qasra, Innenminister Ali Keddah, Außenminister As'ad ash-Shaibani und Geheimdienstchef Anas Khattab (ISW 13.3.2025). Der Meinung des Syrienexperten Fabrice Balanche nach ist der Nationale Sicherheitsrat „die eigentliche Regierung“ (AlMon 30.3.2025). Die Erklärung garantiert Meinungs-, Ausdrucks-, Informations-, Veröffentlichungs- und Pressefreiheit. Allerdings können alle Rechte, einschließlich der Religionsfreiheit, eingeschränkt werden, wenn sie unter anderem als Verstoß gegen die nationale Sicherheit oder die öffentliche Ordnung angesehen werden. Die Verpflichtung zur Gewährleistung der Meinungs-, Ausdrucks-, Informations-, Veröffentlichungs- und Pressefreiheit ist mit einigen Ausnahmen verbunden, darunter die Verherrlichung des Assad-Regimes (NYT 14.3.2025). Auch die Symbole des Assad-Regimes sind unter Strafe gestellt sowie seine Verbrechen zu leugnen, zu loben, zu rechtfertigen oder zu verharmlosen (AlHurra 14.3.2025). Die Verfassungserklärung garantiert Frauen das Recht auf Bildung und Arbeit und fügt hinzu, dass sie volle soziale, wirtschaftliche und politische Rechte haben werden (NYT 14.3.2025). Aussagen eines Mitglieds des Ausschusses für die Verfassungserklärung zufolge werde eine neue Volksversammlung die volle Verantwortung für die Gesetzgebung tragen. Zwei Drittel ihrer Mitglieder würden von einem vom Präsidenten ausgewählten Ausschuss ernannt, ein Drittel vom Präsidenten selbst. Außerdem werde ein Ausschuss gebildet, der eine neue dauerhafte Verfassung ausarbeiten solle (BBC 14.3.2025). Diese temporäre Verfassung konzentriert viel Macht in den Händen des Präsidenten. So werden dem Präsidenten die Exekutivgewalt und die Befugnis, den Ausnahmezustand zu erklären, gewährt (NYT 14.3.2025). Das Parlament ist nicht befugt, den Präsidenten anzuklagen, Minister zu ernennen oder zu entlassen oder die Exekutive zu kontrollieren (HRW 25.3.2025). Immerhin spricht die Verfassungserklärung dem Präsidenten die Befugnis ab, allgemeine Amnestiegesetze zu erlassen, die al-Assad zuvor für sich monopolisiert hatte (AlHurra 14.3.2025). In der Verfassung ist Syrien als „arabische“ Republik definiert mit Arabisch als einziger Amtssprache (LSE 28.3.2025). Sie löste innerhalb Syriens viele Diskussionen aus. Umstritten sind insbesondere jene Passagen, die dem Präsidenten ein Machtmonopol einräumen (AlHurra 14.3.2025). Der Syrische Demokratische Rat, der politische Arm der kurdisch geführten Kräfte, die den Nordosten Syriens kontrollieren, erklärte, das neue Dokument sei „eine neue Form des Autoritarismus“ und kritisierte die seiner Meinung nach unkontrollierten Exekutivbefugnisse (NYT 14.3.2025). Das International Centre for Dialogue Initiatives schreibt, dass diese Reformen einseitig von einem ebenfalls vom Präsidenten ernannten Verfassungsausschuss ausgearbeitet wurden, der dann behauptete, ihre Legitimität stamme aus einem Dialogprozess. Die sogenannte Nationale Dialogkonferenz wurde so zu einem politischen Deckmantel für vorab festgelegte Verfassungsänderungen, die unter dem Deckmantel der Reform die autoritäre Herrschaft festigten (ICDI 4.4.2025). Trotz der weitverbreiteten Kritik an der aktuellen Verfassung ist keine kurzfristige Überarbeitung vorgesehen. Die vorliegende Fassung ist das Ergebnis eines beschleunigten Verfahrens, das unmittelbar nach der Nationalen Dialogkonferenz im Februar 2025 in Gang gesetzt wurde. Ein siebenköpfiges Gremium erarbeitete die Verfassung in kürzester Zeit und wird in ihrer aktuellen Form noch nicht ihren Ansprüchen für einen pluralistischen, freien und gerechten Staat gerecht (AdRev 3.4.2025).
Als Reaktion auf die neue Verfassung gründeten 34 verschiedene syrische Parteien und Organisationen am 22.3.2025 eine Allianz, die Allianz für gleiche Staatsbürgerschaft in Syrien (Syrian Equal Citizenship Alliance bzw. Tamasuk). Zu den Organisationen der Allianz gehört der Syrische Demokratische Rat (ISW 24.3.2025), die Partei des Volkswillens, die Demokratische Ba'ath-Partei und die Kommunistische Arbeiterpartei (TNA 23.3.2025) sowie andere kurdische, christliche und drusische Gruppierungen (ISW 24.3.2025). Das Bündnis bezeichnet sich selbst nicht als Opposition und verlangt eine dezentrale Machtverteilung (TNA 23.3.2025).
Die Verfassung und das Parlament wurden während der dreimonatigen Übergangszeit ausgesetzt, so die interimistischen Behörden (Almodon 8.1.2025). Laut Leaks wird der Übergangspräsident die Volksversammlung innerhalb von 60 Tagen nach der Veröffentlichung der Verfassungserklärung ernennen. Die Volksversammlung wird 100 Mitglieder umfassen, wobei eine gerechte Vertretung der Komponenten und Kompetenzen berücksichtigt wird, und wird vom Präsidenten der Republik durch ein republikanisches Dekret für eine Amtszeit von zwei Jahren ernannt (AlHurra 3.3.2025). Am 29.12.2024 sagte ash-Shara' in einem Interview, dass die Durchführung legitimer Wahlen eine umfassende Volkszählung benötige (Arabiya 29.12.2024). In einem Interview gab er an, dass es damit in Syrien freie, faire und integre Wahlen abgehalten werden können, einer Volkszählung, der Rückkehr der im Ausland lebenden Menschen, der Öffnung der Botschaften und der Wiederherstellung des legalen Kontakts mit der Bevölkerung bedarf. Darüber hinaus sind viele der Menschen, die innerhalb des Landes vertrieben wurden oder in Lagern in den Nachbarländern leben, nicht bei den Flüchtlingskommissionen registriert usw. (Economist 3.2.2025). Abgesehen von der wiederholten Aussage, dass Ausschüsse gebildet und Fachleute hinzugezogen würden, gab al-Shara nicht viel Aufschluss darüber, wie der Wahlprozess aussehen würde (NYT 30.12.2024). Ash-Shara' hatte angemerkt, dass die Einrichtung dieser Ausschüsse in naher Zukunft unwahrscheinlich sei. Er teilte der BBC am 18.12.2024 mit, dass ein syrisches Komitee von Rechtsexperten zusammentreten werde, um eine Verfassung zu verfassen und über eine Reihe nicht näher bezeichneter rechtlicher Fragen, darunter den Alkoholkonsum, zu entscheiden. Es ist unklar, auf welche Rechtsexperten sich ash-Shara' bezieht und ob diese Experten repräsentativ für die multiethnische, sektiererische und religiöse Bevölkerung Syriens sind oder ob es sich um HTS-nahe sunnitische Gelehrte handelt (ISW 19.12.2024).
Am 29.1.2025 versammelten sich die Führer der militärischen Gruppierungen, die an der militärischen Kampagne zum Sturz Assads beteiligt waren, zu einer Zeremonie im Präsidentenpalast, um den Sieg zu erklären. In der Siegeserklärung kündigten sie neun Schritte an, die in drei Hauptthemen unterteilt sind, wie beispielsweise: 1. Füllen des Machtvakuums durch die Annullierung der Verfassung von 2012, die Aussetzung aller Ausnahmegesetze, die Auflösung der während der Zeit des vorherigen Regimes gebildeten Volksversammlung und aller aus ihr hervorgegangenen Komitees und die Ernennung des Befehlshabers des militärischen Operationskommandos, Ahmed ash-Shara', zum Präsidenten des Landes während der Übergangszeit. Bei der Zeremonie wurde die Auflösung von vier Institutionen, welche die Säulen der Herrschaft und Kontrolle des früheren Regimes darstellten und die Schaffung eines neuen Regimes behindern, angekündigt, nämlich: die Armee, die Sicherheitsdienste mit ihren verschiedenen Zweigen und alle damit verbundenen Milizen, die Arabische Sozialistische Ba'ath-Partei, die Parteien der Nationalen Progressiven Front und die ihnen angeschlossenen Organisationen, Institutionen und Komitees und das Verbot ihrer Wiedererrichtung auch unter einem anderen Namen und Rückgabe ihrer Vermögenswerte an den syrischen Staat (AJ 31.1.2025a). Die Ba'ath-Partei des gestürzten syrischen Machthabers Bashar al-Assad stellte nach eigenen Angaben mit 12.12.2024 sämtliche Aktivitäten ein. Dies gelte bis auf Weiteres, hieß es in einer auf der Website der Parteizeitung veröffentlichten Erklärung. Die Vermögenswerte und die Gelder der Partei würden unter die Aufsicht des Finanzministeriums gestellt, Fahrzeuge und Waffen sollen nach Parteiangaben an das Innenministerium übergeben werden. Die Ba'ath-Partei war seit 1963 in Syrien an der Macht (Tagesschau 12.12.2024). Viele Mitglieder der Parteiführung sind untergetaucht und einige aus dem Land geflohen. In einem symbolischen Akt haben die neuen Machthaber Syriens das ehemalige Hauptquartier der Partei in Damaskus in ein Zentrum umgewandelt, in dem ehemalige Mitglieder der Armee und der Sicherheitskräfte Schlange stehen, um sich registrieren zu lassen und ihre Waffen abzugeben (AP 30.12.2024). Am 11.2.2025 gab das Präsidialamt bekannt, dass die wichtigsten Oppositionsgremien Syriens, die im Exil tätig waren, Damaskus die von ihnen bearbeiteten Akten übergeben haben, als Teil der Bemühungen, die während des Konflikts gebildeten Institutionen „aufzulösen“. Dieser Schritt kommt der Abschaffung der wichtigsten unbewaffneten Oppositionsgruppen Syriens gleich und erinnert an ash-Shara's Versuch, alle bewaffneten Gruppen aufzulösen und in die Armee zu integrieren (FR24 12.2.2025). Für die in den Kriegsjahren im und aus dem Ausland tätige Opposition hat man nur Geringschätzung (SYRDiplQ1 5.2.2025).
Während ash-Shara' ein gewisses Maß an Pragmatismus gezeigt hat, insbesondere im Umgang mit lokalen Gemeinschaften, sind die Strukturen der Übergangsregierung nach wie vor zentralisiert und hierarchisch, wobei die Macht in einem kleinen Führungskreis konzentriert ist. Dies schränkt die Möglichkeiten für eine integrative Entscheidungsfindung ein und verstärkt die Wahrnehmung der Ausgrenzung von Minderheiten und Frauen (AC 20.12.2024). HTS hat in Idlib einerseits bemerkenswerte Zugeständnisse an die lokale Bevölkerung gemacht. So erlaubte sie beispielsweise Christen, Gottesdienste abzuhalten und Frauen, Universitäten zu besuchen und Autos zu fahren – Maßnahmen, die angesichts der radikalen dschihadistischen Vergangenheit der Gruppe bemerkenswert sind. Darüber hinaus hat HTS Zivilisten in seine Regierungsverwaltung integriert und einen technokratischen Regierungsstil eingeführt, selbst in sensiblen ideologischen Bereichen wie Bildung und Religion, in denen die Gruppe ursprünglich ausschließlich eigenes Personal ernennen wollte. Andererseits ist die mangelnde Bereitschaft, politische Opposition zuzulassen, nach wie vor besorgniserregend. In Idlib hat HTS nach und nach die Macht monopolisiert und agierte praktisch als Einparteienstaat. Politische Opposition und zivilgesellschaftlicher Aktivismus wurden unterdrückt (DIIS 16.12.2024). Zu den ersten Entscheidungen der Übergangsregierung unter al-Bashir gehörten die Entsendung von Polizeikräften in Großstädte und das Verbot von Rauchen und Alkoholkonsum (MAITIC 17.12.2024). Der HTS wurden unter anderem von Human Rights Watch, immer wieder schwere Menschenrechtsverletzungen gegen Oppositionelle, Frauen und religiöse Minderheiten vorgeworfen. Es kam auch zu groß angelegten Protesten gegen die HTS und ihren Anführer, ash-Shara' (Rosa Lux 17.12.2024). Laut Terrorismusexperte Peter Neumann haben die Kämpfer der HTS für ein islamistisches Regime gekämpft. Er hält es für möglich, dass es zu einer Opposition in der eigenen Bewegung kommen könnte (Spiegel 11.12.2024). Auch Terrorismusexperte Hans-Jakob Schindler spricht von Videos von Personen aus dem Umfeld der HTS, die ein Kalifat aufbauen wollen (WiWo 9.12.2024). Alberto M. Fernandez, Vizepräsident des Middle East Media Research Institutes, wiederum sieht nicht so sehr die Gefahr, dass Syrien nun ein islamischer Staat sein wird, sondern dass es ein gescheiterter Staat sein wird. Die Gefahr besteht eher darin, dass die Anarchie die Oberhand gewinnt und nicht das Scharia-Recht. Dennoch sehen auch sie, al-Shara', seine Organisation die HTS und viele ihrer Verbündeten als Hardcore-Islamisten. Der beste Vergleich sind nicht der Islamische Staat (IS) und al-Qaida, sondern die Taliban und die Hamas, politische Projekte, die sowohl islamistisch als auch nationalistisch sind (MEMRI 9.12.2024). Etwa 70 % der syrischen Bevölkerung sind sunnitische Muslime, darunter auch Kurden, die etwa 10 % der Bevölkerung ausmachen. Die arabischen Sunniten sind sich jedoch in ihren Zielen nicht einig, und viele wünschen sich für die Zukunft Syriens keinen islamischen Staat (SWI 13.2.2025). [Informationen zu ethnischen und religiösen Minderheiten finden sich im Kapitel Ethnische und religiöse Minderheiten - Entwicklungen seit dem Sturz des Assad-Regimes (seit 8.12.2024).]
Trotz der Kritik ergab eine im März 2025 im Auftrag von „The Economist“ durchgeführte Umfrage, an der 1.500 Syrer aus allen Provinzen und konfessionellen Gruppen des Landes teilnahmen, dass 81 % die Herrschaft von ash-Shara' befürworten. Nur 22 % sind der Meinung, dass seine Vergangenheit als al-Qaida-Führer ihn für eine Führungsrolle disqualifiziert. Eine große Zahl der Befragten gibt an, dass sie seine neue Ordnung als sicherer, freier und weniger konfessionell geprägt empfinden als das Regime von al-Assad. Etwa 70 % sind optimistisch, was die allgemeine Richtung des Landes angeht. Die zufriedenste Provinz ist Idlib, ash-Shara's ehemaliges Machtgebiet, wo 99 der 100 Befragten sich optimistisch äußern. Tartus, wo Anfang März 2025 mehrere Massaker an der alawitschen Minderheit stattgefunden haben, ist die pessimistischste Provinz. Selbst dort gaben 49 % an, optimistisch zu sein, während 23 % sich pessimistisch äußerten. (Economist 2.4.2025).
Anfänglich drängten die Vereinten Nationen (VN) auf eine Rückkehr zum lange stagnierenden politischen Übergang auf der Grundlage der Resolution 2254 (National 9.12.2024). Die 2015 verabschiedete Resolution 2254 des Sicherheitsrates, die einen politischen Übergang in Syrien durch Verhandlungen zwischen der Regierung des gestürzten Regimes und der Opposition forderte, ist inzwischen gegenstandslos geworden, da das Regime, mit dem verhandelt werden sollte, gestürzt ist (AJ 28.12.2024a). Ash-Shara' sieht keine Notwendigkeit mehr für den Arbeitsmechanismus der Vereinten Nationen in Syrien und macht keinen Hehl aus seiner mangelnden Bewunderung für den UN-Gesandten Geir Pedersen. Die neue Regierung hat kein Interesse mehr an der Resolution 2254 und ihren Bestimmungen. Ash-Shara' sagte, dass die vergangenen Jahre die Ineffektivität der VN gezeigt hätten, weshalb er die Resolution mit dem Sturz des Regimes als hinfällig betrachte (Akhbar 31.12.2024).
Syrien steht auf der US-amerikanischen Liste der Länder, die den Terrorismus unterstützen und HTS wird von der Europäischen Union, der Türkei und den USA als ausländische terroristische Organisation eingestuft (AJ 15.12.2024a). HTS wurde im Mai 2014 auf die Terrorliste der UN gesetzt, als der Sicherheitsausschuss zu dem Schluss kam, dass es sich um eine terroristische Organisation mit Verbindungen zur al-Qaida handelt. Sie unterliegen drei Sanktionsmaßnahmen: Einfrieren von Vermögenswerten, Reiseverbot und Waffenembargo. Das bedeutet, dass international von allen Mitgliedstaaten erwartet wird, dass sie diese Maßnahmen einhalten. Um HTS nicht mehr als Terrororganisation zu listen, müsste ein Mitgliedstaat die Streichung von der Liste vorschlagen, und dieser Vorschlag würde dann an den zuständigen Ausschuss des Sicherheitsrats weitergeleitet. Der Ausschuss, der sich aus Vertretern aller 15 Länder zusammensetzt, die den Sicherheitsrat bilden, müsste dann einstimmig beschließen, den Vorschlag zu genehmigen (UN News 12.12.2024). Die internationale Gemeinschaft akzeptierte in bilateralen und multilateralen Formaten, dass HTS, trotz ihrer Einstufung als terroristische Vereinigung, einen Platz am Verhandlungstisch benötigt (MEI 9.12.2024).
Das Präsidium der syrischen Übergangsregierung hat einen Beschluss zur Einrichtung einer Allgemeinen Behörde für Land- und Seehäfen gefasst, die verwaltungstechnisch und finanziell unabhängig und direkt mit dem Premierminister verbunden ist. Die Behörde für Land- und Seehäfen wird die Generalgesellschaft des Hafens von Tartus, die Generalgesellschaft des Hafens von Latakia, die Generaldirektion der Häfen und andere umfassen, erklärte das Präsidium in einer separaten Entscheidung und ernannte Qutaiba Ahmad Badawi zum Leiter der Behörde. Die neue Behörde wird die Ein- und Ausfahrt von Passagieren und Fracht und alles, was diese Aufgabe erleichtert, überwachen und organisieren, sagte sie. Die Behörde wird auch die Seeschifffahrt, die kommerziellen maritimen Angelegenheiten, die Häfen und den Seeverkehr beaufsichtigen und die für ihre Arbeit notwendigen kommerziellen Schiffe und Immobilien besitzen und leasen (LBCI 1.1.2025).
Ash-Shara's Regierung kontrolliert begrenzte Teile Syriens, darunter die meisten westlichen Städte und Teile des ländlichen Raums (TWI 28.2.2025). Nordostsyrien wird von einer Kombination aus den kurdisch geführten Syrischen Demokratischen Kräften (Syrian Democratic Focres - SDF) und arabischen Stammeskräften regiert (MEI 19.12.2024). Die SDF führen Gespräche mit ash-Shara', bleiben aber vorsichtig, was seine Absichten angeht (TWI 28.2.2025). Nord-Aleppo wird von der von der Türkei unterstützten Syrischen Übergangsregierung kontrolliert (MEI 19.12.2024). Die von der Türkei unterstützten Rebellengruppierungen innerhalb der SNA kontrollieren Teile Nordsyriens nahe der türkischen Grenze, darunter 'Afrin, Suluk und Ra's al-'Ain. Diese Gebiete hat die SNA 2018 und 2019 von den kurdisch geführten Syrischen Demokratischen Kräften (Syrian Democratic Forces - SDF) erobert (Al-Monitor 8.12.2024). Von der Türkei veranlasst reiste der Anführer dieser Gruppe, Sayf Abu Bakr, am 29.1.2025 nach Damaskus zu reisen und dem neuen Präsidenten persönlich zu gratulieren, aber dies ist das einzige Zugeständnis, das er ash-Shara' bisher gemacht hat. Die beiden Anführer haben eine lange Geschichte gegenseitiger Feindseligkeit, insbesondere da viele Kämpfer der Syrischen Nationalarmee Veteranen des blutigen Krieges sind, den HTS 2017–2020 um die Kontrolle über die Provinz Idlib führte (TWI 28.2.2025). Südsyrien wird von einer halbunabhängigen Struktur in Suweida zusammen mit ehemaligen Oppositionsgruppen in Dara'a kontrolliert (MEI 19.12.2024). Im Euphrat-Tal ist die Loyalität der sunnitischen Stämme gegenüber HTS weniger sicher, während in Dara'a die vom ehemaligen Rebellen Ahmad al-'Awda und anderen südlichen Fraktionen kontrollierten Truppen sich der Integration in die neue syrische Armee widersetzen (TWI 28.2.2025). Anfang Jänner 2025 hinderten lokale Gruppierungen, die in der Provinz Suweida operieren, einen Militärkonvoi der DMO an der Einfahrt in die südsyrische Provinz. Quellen erklärten gegenüber Al Jazeera, dass die Entscheidung auf Anweisung des geistlichen Oberhaupts der monotheistischen Gemeinschaft der Drusen, Hikmat al-Hijri, getroffen wurde, der betonte, dass keine militärische Präsenz von außerhalb der Provinz erlaubt sei. Die Quellen erklärten, dass der Militärkonvoi in die mehrheitlich drusische Provinz Suweida kam, ohne sich vorher mit den lokalen Gruppierungen in der Provinz abzustimmen (AJ 1.1.2025a). Etana zufolge soll die HTS zunehmend versucht haben, ihre Macht und militärische Reichweite in der gesamten Provinz Dara'a und im weiteren Süden Syriens auszunutzen, was zu Spannungen mit Ahmad al-'Awda führte. In intensiven Verhandlungen im Gebäude des Gouvernements Dara'a wurde die Auflösung sowohl des 5. Korps als auch der Gruppen von Ahmad al-'Awda (die einst die 8. Brigade des 5. Korps bildeten) sowie anderer ehemaliger Oppositionsgruppen aus der Stadt Dara'a und at-Tafas angestrebt. Während HTS die Integration aller ehemaligen Oppositionsgruppen unter einem neuen Verteidigungsministerium nach al-Assad anstrebt, wuchs der Druck auf al-'Awda, der sich unter den bisherigen Bedingungen gegen die Auflösung gewehrt hatte (Etana 17.1.2025). Am 13.4.2025 gab die Gruppierung dem politischen und militärischen Druck schließlich nach und ihre Auflösung bekannt. Die Waffen werden an die Regierung übergeben (National 14.4.2025), schwere Waffen wurden von den Sicherheitskräften der Regierung beschlagnahmt (Etana 16.4.2025).
Ash-Shara's politisches Projekt eines zentralisierten Syriens steht im Widerspruch zur aktuellen Realität vor Ort. Er glaubt, dass der Föderalismus die „Nation“ spalten könnte – eine Auffassung, die zum Teil auf der antiisraelischen Stimmung in der syrischen Bevölkerung beruht (TWI 28.2.2025).
Ahmed ash-Shara' wurde 1982 (Rosa Lux 17.12.2024) als Ahmed Hussein ash-Shara' in Saudi-Arabien als Kind syrischer Expatriates geboren. Ende der 1980er-Jahre zog seine Familie zurück nach Syrien (NYT 12.12.2024). Als junger Mann radikalisierte er sich während der blutigen zweiten Intifada, als die israelische Regierung auf palästinensische Selbstmordattentate mit brutaler Gewalt antwortete. Auch der 11.9.2001 prägte ihn (Rosa Lux 17.12.2024). Er ging 2003 in den Irak, um sich al-Qaida anzuschließen und gegen die US-Besatzung zu kämpfen. Arabischen Medienberichten und US-Beamten zufolge verbrachte er mehrere Jahre in einem amerikanischen Gefängnis im Irak. Zu Beginn des Bürgerkriegs tauchte er in Syrien auf und gründete die Jabhat an-Nusra, aus der sich schließlich Hay'at Tahrir ash-Sham entstand (NYT 12.12.2024). 2003 nahm er den Kriegsnamen Abu Mohammad al-Jolani an (Rosa Lux 17.12.2024). In einem vor einigen Jahren mit dem US-amerikanischen Sender PBS geführten Interview gab ash-Shara' zu, dass er bei seiner Rückkehr nach Syrien finanzielle Unterstützung durch den sogenannten Islamischen Staat (IS) erhielt, der zu diesem Zeitpunkt weite Teile des Iraks und Syriens besetzt hielt (DW 18.12.2024). Im Januar 2017 gründete er mit der HTS ein neues Bündnis verschiedener islamistischer Milizen, das sich dezidiert von der dschihadistischen al-Qaida und ihrem Ziel eines globalen Dschihads gegen den Westen lossagte (Rosa Lux 17.12.2024). Seit dem Bruch mit al-Qaida haben er und seine Gruppierung versucht, internationale Legitimität zu erlangen, indem sie globale dschihadistische Ambitionen ablehnten und sich auf eine organisierte Regierungsführung in Syrien konzentrierten (NYT 12.12.2024). 2013 setzten die USA ihn auf ihre Terrorliste und lobten später sogar ein Kopfgeld in Höhe von zehn Millionen für Hinweise zu seiner Ergreifung aus. 2018 wurde dann auch die HTS von den Vereinigten Staaten als terroristische Vereinigung eingestuft, die Vereinten Nationen folgten (Rosa Lux 17.12.2024).
Als Teil des Übergangs von der Revolution zum Staatsaufbau arbeitet die neue syrische Regierung daran, diesen Aufbau zu stärken und zu konsolidieren, indem sie eine nationale Armee aufbaut, die alle militärischen Formationen und Gruppierungen umfasst, die sich aufgrund bestimmter Umstände und Fakten während der syrischen Revolution gebildet haben (AJ 29.1.2025).
Politische Lage in den Gebieten unter der Kontrolle der kurdisch dominierten SDF - Demokratische Autonome Administration von Nord- und Ostsyrien (DAANES):
Die Autonome Administration von Nord- und Ostsyrien (AANES), die von den Kurden häufig als Rojava oder „Westkurdistan“ bezeichnet wird, wurde auf der dritten Konferenz des Syrischen Demokratischen Rates (Syrian Democratic Council - SDC) am 16.7.2018 in 'Ain 'Issa gegründet. Vor der AANES hieß das lokale System Demokratische Föderation Nordsyrien (Democratic Federation of Northern Syria - DFNS), dessen Name 2016 übernommen wurde. Der Generalrat der Autonomen Verwaltung Nord- und Ostsyriens (AANES) verabschiedete am 13.12.2023 einen Gesellschaftsvertrag, in dem die AANES in Demokratische Autonome Verwaltung Nord- und Ostsyriens (DAANES) umbenannt wurde. Der Gesellschaftsvertrag gilt als de-facto-Verfassung. Im Zuge dieses Vertrags wurden die Verwaltungsgebiete zu einer einzigen Region unter dem Namen Nord- und Ostsyrien zusammengefasst (K24 13.12.2023). Die DAANES ist eine von Kurden angeführte, aber multiethnische Koalition, die sich in den letzten zehn Jahren eine relative Autonomie vom Assad-Regime bewahrt hat. Ihr mächtiger militärischer Flügel, die Syrischen Demokratischen Kräfte (Syrian Democratic Forces - SDF), diente auf ihrem Höhepunkt als wichtiges Bollwerk gegen den Islamischen Staat (IS) und profitiert nach wie vor von der anhaltenden amerikanischen Unterstützung in der Region (MEPC 2025). Die SDF sind die militärische Kraft für die Demokratische Autonome Administration von Nord- und Ostsyrien. Die Volksverteidigungseinheiten (Yekîneyên Parastina Gel - YPG) sind die dominierende Kraft innerhalb der SDF, obwohl es auch Kämpfer aus arabischen, christlichen und anderen Gemeinschaften gibt. Die SDF kontrollieren große Teile Nord- und Nordostsyriens, darunter die Städte ar-Raqqa, al-Hasaka, die Verwaltungshauptstadt Qamishli und Teile der Provinz Deir ez-Zour. Die Türkei betrachtet die SDF als den syrischen Ableger der verbotenen Arbeiterpartei Kurdistans (Partiya Karkerên Kurdistanê - PKK).. Die SDF kontrollieren ein Gebiet von mehr als 35.000 Quadratkilometern, was bedeutet, dass sie etwa 18,92 % des syrischen Territoriums kontrollieren (AJ 29.1.2025). Obwohl die DAANES international nicht anerkannt ist, unterhält sie eine enge Arbeitsbeziehung zu den USA, welche die SDF seit Beginn des Krieges gegen den IS unterstützen (K24 13.12.2023; vgl. AJ 29.1.2025).
Der politische Flügel der SDF, der Syrische Demokratische Rat (Syrian Democratic Council - SDC), beglückwünschte das syrische Volk am 8.12.2024 zum Ende des Assad-Regimes und versprach, mit verschiedenen Gruppen im Land zusammenzuarbeiten. In einer Erklärung heißt es: Wir werden mit allen nationalen, kulturellen und gesellschaftlichen Kräften Syriens zusammenarbeiten, indem wir uns am nationalen Dialog beteiligen und unsere Verantwortung wahrnehmen, um ein neues Syrien zu schaffen, das alle seine Bürger einschließt (Al-Monitor 8.12.2024). Nach dem Sturz al-Assads hissten die SDF als Geste gegenüber der neuen Regierung in Damaskus die Revolutions- und Unabhängigkeitsflagge der Rebellengruppen auf ihren Einrichtungen, was von Washington begrüßt wurde (AJ 9.1.2025a). Am 29.12.2024 erklärte ash-Shara' gegenüber dem Fernsehsender Al Arabiya, dass die SDF in die neue nationale Armee integriert werden sollten. Waffen dürfen nur in den Händen des Staates sein. Wer bewaffnet und qualifiziert ist, um dem Verteidigungsministerium beizutreten, ist bei uns willkommen, sagte er (AJ 31.12.2024a). Laut dem Vizepräsidenten des Middle East Media Research Institutes zeigen sich die Kurden pragmatisch und werden versuchen, eine Vereinbarung mit den Machthabern zu treffen, die ein gewisses Maß an lokaler Autonomie bewahrt. Zu viel Autonomie wird Ankara verärgern, zu wenig Autonomie wird das Land gespalten halten (MEMRI 9.12.2024). Seit Dezember 2024 verhandelt die SDF mit der Übergangsregierung in Damaskus über ein mögliches Abkommen, das ihre Eingliederung in ein geeintes Syrien vorsieht (FP 20.2.2025). Ahmad ash-Shara' hat sich am 30.12.2024 mit einer Delegation der SDF, getroffen, um eine Grundlage für einen zukünftigen Dialog zu schaffen. Die Atmosphäre war positiv (Sky News 31.12.2024a). Ein syrischer Politiker sagte, dass die Verhandlungen mit der YPG [gemeint sind vermutlich die SDF; die Quelle ist türkisch Anm.] komplex bleiben, weil die Gruppierung auf Autonomie und mehr Kontrolle über rohstoffreiche Gebiete bestehe (TR-Today 8.1.2025). Umgekehrt soll laut einem Journalisten der türkischen Tageszeitung Hürriyet SDF-Kommandeur Mazloum 'Abdi bei seinem Treffen mit ash-Shara' angeboten haben, eine kurdische Fraktion in der syrischen Armee zu schaffen und das syrische Öl gleichmäßig zu teilen, was aber ash-Shara's Regierung ablehnte und betonte, dass es keine andere Lösung als die Übergabe von Waffen gäbe (Akhbar 9.1.2025). 'Abdi bot an, die Ölvorkommen in den von ihm kontrollierten Gebieten an die Zentralverwaltung zu übergeben, vorausgesetzt, der Reichtum wird gerecht auf alle syrischen Provinzen verteilt (Sharq 14.1.2025). Der syrische Verteidigungsminister sagte, dass sie [gemeint sind hier vermutlich die syrischen Behörden Anm.] kein Öl wollen, sondern die Institutionen und die Grenzen (Barrons 22.1.2025). Am 9.1.2025 berichtete Al Jazeera, dass 'Abdi sich mit der neuen syrischen Regierung geeinigt hätte, jegliche Teilungsprojekte, die die Einheit des Landes bedrohen, abzulehnen. (AJ 9.1.2025a; vgl. Arabiya 9.1.2025). 'Abdi sagte am 14.1.2025, dass seine Forderungen nach einer dezentralisierten Verwaltung für die von ihm kontrollierten Gebiete im Nordosten Syriens nicht im Widerspruch zur Einheit des Landes stünden und dass er dies als die beste Option für die syrische Realität betrachte, wobei er darauf hinwies, dass er diese Forderungen der neuen syrischen Regierung bei früheren Konsultationen vorgelegt habe. Die Forderung einer dezentralisierten Verwaltung Nord- und Ostsyriens ist die Hauptforderung der SDF. 'Abdi wies darauf hin, dass es sich bei der von ihm geforderten Dezentralisierung um eine „geografische Dezentralisierung und nicht um eine Dezentralisierung auf nationaler Ebene“ handele und erklärte, dass sie kein eigenes Parlament und keine eigene Regierung fordern (Sharq 14.1.2025). Am 27.1.2025 sagten Quellen, die der neuen Regierung nahestehen, dass diese den SDF ein Angebot gemacht habe, das die Anerkennung der kulturellen Rechte der Kurden und deren Aufnahme in die nächste Verfassung sowie die Öffnung des Weges für Kurden, um in die Sicherheits- und Militäreinrichtungen aufgenommen zu werden, beinhaltet. Die Quellen bestätigten, dass das Angebot auch ein dezentralisiertes Verwaltungssystem umfasst, das den lokalen Räten weitreichende Befugnisse zur Verwaltung der Angelegenheiten der Provinzen einräumt. Denselben Quellen zufolge lehnten die SDF das Angebot jedoch ab und bestanden auf ihren eigenen Bedingungen, zu denen gehören: Beitritt zur syrischen Armee als integrierte Einheit, Beibehaltung ihrer derzeitigen militärischen Einsatzgebiete, Erhalt eines Anteils an den Einnahmen aus den Ölfeldern und -quellen. Die SDF begründen ihre Position mit der Furcht vor einem möglichen türkischen Angriff auf ihre Gebiete und der fehlenden Integration der Gruppierungen der Syrischen Nationalen Armee (Syrian National Army - SNA) in das syrische Verteidigungsministerium. Die syrische Regierung lehnt ihrerseits die Vorschläge der SDF ab und betont, dass sie die Existenz von Blöcken innerhalb der Armee ablehnt und nicht bereit ist, das Öl-Dossier als politische Verhandlungskarte zu nutzen (AJ 27.1.2025b). In einem grundlegenden Wandel gegenüber der Ära al-Assad hat die Übergangsregierung in Damaskus den Kurden Syriens gleiche Rechte versprochen und angekündigt, Kurdisch zur zweiten Landessprache zu machen. Vertretern der SDF und der autonomen Verwaltung würden außerdem Sitze und Mitgliedschaft in allen Übergangsbehörden Syriens garantiert, darunter ein temporäres Parlament und ein Verfassungsausschuss. Die Einnahmen aus dem syrischen Öl-, Gas- und Agrarsektor würden anteilig in den Nordosten investiert werden. Nach wochenlangen Gesprächen hat die SDF einen Großteil des Abkommens grundsätzlich akzeptiert, wie ein Treffen zwischen der SDF und ihrem politischen Flügel und ihren Regierungsorganen am 17.2.2025 erneut bestätigte. Doch während die Organisation insgeheim schon seit Wochen akzeptiert hat, dass ihre Streitkräfte eines Tages aufgelöst und in die neuen Streitkräfte Syriens integriert werden, besteht das Haupthindernis bei den Gesprächen darin, wie dies geschehen soll. SDF-Anführer 'Abdi hat sich zwar mit allen anderen bewaffneten Gruppierungen in Syrien auf eine mögliche Auflösung geeinigt, fordert jedoch, dass das SDF-Personal ein eigenständiger Block innerhalb der neuen Streitkräfte Syriens bleibt und nur an seinen derzeitigen Standorten im Nordosten stationiert bleibt (FP 20.2.2025). Laut einem Mitglied des politischen Flügels der SDF, dem Demokratischen Rat Syriens (Meclîsa Sûriya Demokratîk - MSD), hat die autonome Verwaltung im Nordosten des Landes einen positiven Schritt unternommen, indem sie sich darauf vorbereitet, Grenzübergänge und offizielle Stellen an den syrischen Staat zu übergeben. Die syrische Übergangsregierung hat noch keine Vorstellung davon, wie die Verwaltung dieser Einrichtungen in Ostsyrien aufgenommen werden soll, daher müssen im Dialog zwischen der syrischen Regierung und der Autonomieverwaltung Ausschüsse auf Bildungs-, Verwaltungs- und Wirtschaftsebene gebildet werden (AJ 22.2.2025).
Am 10.3.2025 unterzeichneten der Anführer der kurdisch dominierten SDF Mazloum 'Abdi und Übergangspräsident Ahmad ash-Shara' ein Abkommen über die Integration der SDF in die staatlichen Institutionen Syriens. Das Abkommen sieht die Gewährleistung der Rechte aller Syrer auf Vertretung und Beteiligung, einen Waffenstillstand in allen syrischen Gebieten und die Integration aller zivilen und militärischen Institutionen im Nordosten Syriens vor. Das Abkommen sieht auch vor, dass die SDF den syrischen Staat bei der Bekämpfung von Assads Überbleibseln und Drohungen unterstützen und Aufrufe zur Teilung, Hassreden und Versuche, Zwietracht zu säen, zurückweisen werden (Arabiya 11.3.2025). Das Abkommen besteht aus acht Klauseln. Gemeinsame Ausschüsse sollen daran arbeiten, die Umsetzung des Abkommens bis Ende des Jahres abzuschließen (AJ 11.3.2025). Das Abkommen sieht vor, das DAANES-Gebiet unter die volle Kontrolle der syrischen Zentralregierung bringen (AJ 10.3.2025b). Es beinhaltet die Integration der zivilen und militärischen Einrichtungen im Nordosten Syriens in die syrische Staatsverwaltung, einschließlich der Grenzposten, des Flughafens [in Qamishli, Anm.] und der Öl- und Gasfelder, die von den SDF im Nordosten Syriens kontrolliert werden (FR24 10.3.2025). Kurz nach Bekanntgabe der Vereinbarung sagten Quellen gegenüber Al Jazeera, dass sich ein Konvoi des syrischen Verteidigungsministeriums in Abstimmung mit den SDF nach al-Hasaka begeben wird und dass die Kräfte des Verteidigungsministeriums die Gefängnisse von den SDF übernehmen werden (AJ 11.3.2025). Das Wall Street Journal zitierte US-Beamte mit der Aussage, dass US-Militärpersonal zwischen den SDF und den sogenannten Rebellengruppen vermittelt habe. Die Beamten sagten, die Vermittlung schließe auch Gruppierungen ein, die von der Türkei seit dem Sturz des gestürzten Präsidenten Bashar al-Assad unterstützt werden (AJ 11.3.2025). Das Abkommen könnte den Konflikt der SDF mit der benachbarten Türkei und den von der Türkei unterstützten ehemaligen syrischen Rebellengruppen, die mit der Regierung verbündet sind und versuchen, die SDF aus Gebieten nahe der Grenze zu vertreiben, entschärfen (BBC 11.3.2025). Das Abkommen macht keine Angaben darüber, wie die militärischen Einheiten der SDF in das syrische Verteidigungsministerium integriert werden sollen, was bisher ein wesentlicher Knackpunkt in den Gesprächen war. Die Vereinbarung bezieht sich weder auf die Übergabe von Waffen noch auf die Auflösung der von der YPG dominierten militärischen Formation (AJ 11.3.2025). Die Vereinbarung enthält die Bestätigung, dass das kurdische Volk ein integraler Bestandteil Syriens ist und ein Recht auf Staatsbürgerschaft und garantierte verfassungsmäßige Rechte hat (AJ 10.3.2025b), einschließlich der Verwendung und des Unterrichts ihrer Sprache, die unter Assad jahrzehntelang verboten waren (Sky News 10.3.2025). Die Vereinbarung beinhaltet die Gewährleistung der Rechte aller Syrer auf Repräsentation und Beteiligung am politischen Prozess und an allen staatlichen Institutionen, unabhängig von ihrer religiösen und ethnischen Zugehörigkeit (Arabiya 10.3.2025; vgl.AJ 10.3.2025a).
Das Abkommen hat bis Ende März nicht zu einer Beruhigung der Fronten geführt, obwohl eine Waffenruhe vorgesehen wäre. Die staatlichen Institutionen im Nordosten Syriens blieben ebenfalls unter der Schirmherrschaft der DAANES, auch was die Zahlung der Gehälter der Beschäftigten angeht (SYD 31.3.2025). Am 1.4.2025 erklärten die SDF, sich aus zwei historisch kurdischen Stadtvierteln in Aleppo zurückzuziehen. Lokale Quellen berichteten anschließend, dass sich die SDF am 2.4.2025 vom Tishrin-Damm und der Qara-Qozak-Brücke zurückgezogen haben, wo sie seit Dezember 2024 gegen SNA kämpften. Eine „Sonderverwaltung“, die möglicherweise aus Mitarbeitern des Damms besteht, wird die Kontrolle über das Gebiet um den Tishrin-Damm übernehmen. Den Mitarbeitern des Damms wurde gestattet, in dem Gebiet zu bleiben, damit das Elektrizitätswerk seinen regulären Betrieb fortsetzen kann. Eine Anti-SDF-Quelle behauptete außerdem, dass sich die SDF nach dem Verlassen des Tishrin-Staudamms und der Qara-Qozak-Brücke auch aus weiteren Ortschaften südlich des Staudamms entlang der Autobahn 4 zurückziehen würde. Syrische Quellen, darunter auch solche, die der Übergangsregierung nahestehen, behaupteten, der Rückzug der SDF sei das Ergebnis einer „vorläufigen Vereinbarung“ zur Schaffung einer entmilitarisierten Zone um häufig umkämpfte Gebiete (ISW 2.4.2025). Dem Direktor der Syrischen Beobachtungsstelle für Menschenrechte (Syrian Observatory for Human Rights - SOHR) zufolge haben die Kämpfe rund um den Tishrin-Staudamm mit Mitte April 2025 aufgehört (SOHR 15.4.2025). Die syrische Regierung und die SDF haben eine Vereinbarung über die Übergabe des strategisch wichtigen Tishrin-Staudamms von der Kontrolle der SDF an Damaskus getroffen. Lokale kurdische Medien und staatliche Medien in Damaskus berichteten über die Vereinbarung, die nach viermonatigen Kämpfen um den Staudamm zwischen der von der Türkei unterstützten SNA und den SDF zustande kam. Der Staudamm liegt am Euphrat und ist ein wichtiger strategischer und infrastruktureller Standort in Zentralsyrien. Er verbindet außerdem Gebiete, die von den SDF kontrolliert werden, mit jenen der SNA und den neuen Regierungstruppen Syriens (LWJ 15.4.2025). Der Direktor von SOHR gibt an, dass es eine gemeinsame Verwaltung zwischen der syrischen Regierung und der mehrheitlich kurdischen Selbstverwaltung geben wird (SOHR 15.4.2025). In Aleppo begannen Regierungstruppen gemeinsame Patrouillen mit SDF-Einheiten durchzuführen. Teile der SDF begannen, sich aus dem wichtigsten kurdischen Viertel der Stadt zurückzuziehen (National 13.4.2025). Eine Quelle aus Nordsyrien berichtete, dass der Tishrin-Damm am 15.4.2025 bereits unter der Kontrolle der syrischen Regierung stand. Die SDF hätten sich bereits aus Aleppo zurückgezogen, aber noch keine Verhandlungen mit der Übergangsregierung über die territoriale Neuaufteilung in den mehrheitlich arabischen Provinzen ar-Raqqa und Deir ez-Zour aufgenommen (ISW 16.4.2025).
Der türkische Außenminister Hakan Fidan erklärte, dass die Türkei sowohl im Inland als auch international einen Olivenzweig ausstreckt, warnte jedoch, dass militärische Optionen auf dem Tisch bleiben, wenn dieses Angebot nicht angenommen wird (TR-Today 8.1.2025). Ende Jänner 2025 wiederholte die Türkei die Drohung einer Militäroperation gegen kurdische Kräfte in Syrien, wenn die SDF nicht die türkischen Forderungen erfüllen, zu denen auch die Beseitigung der Präsenz der PKK in der Region gehört (AJ 27.1.2025b). Der syrische Verteidigungsminister sagte am 22.1.2025, Damaskus sei offen für Gespräche mit den von Kurden geführten Kräften über deren Integration in die nationale Armee, sei aber bereit, Gewalt anzuwenden, sollten die Verhandlungen scheitern (Barrons 22.1.2025; vgl. BBC 22.1.2025).
Kurdisch geführte Truppen haben den Zusammenbruch der syrischen Armee genutzt, um die vollständige Kontrolle über die wichtigste Stadt, Deir ez-Zour, zu übernehmen (BBC 8.12.2024b). Diese wurde ihnen von den Rebellengruppierungen kurz darauf wieder abgenommen (Al-Monitor 8.12.2024). Kräfte der SNA wiederum haben die Situation genützt, um Territorium in Manbij von den SDF zu erobern (TWI 9.12.2024). Die SDF kontrollieren nun 20 % des syrischen Territoriums (Arabiya 11.12.2024). Am 6.2.2025 sind Streitkräfte des syrischen Ministeriums für Allgemeine Sicherheit in die nordwestsyrische Stadt 'Afrin einmarschiert. 'Afrin wird seit 2018 von verschiedenen bewaffneten Gruppierungen der von der Türkei unterstützten SNA besetzt gehalten. Mit dem Einmarsch in 'Afrin setzt die neue syrische Regierung ihre Kontrolle über Teile des Landes durch. 'Afrin ist ein historisch kurdisches Gebiet in Syrien, und der Machtwechsel wurde von den kurdischen Medien aufmerksam verfolgt (LWJ 6.2.2025).
Am 19.12.2024 bestätigte Mazloum 'Abdi, Oberbefehlshaber der SDF zum ersten Mal die Anwesenheit ausländischer Kämpfer aus dem gesamten Nahen Osten in den von den SDF kontrollierten Gebieten. 'Abdi erklärte gegenüber Reuters, dass zwar Kämpfer der PKK nach Syrien gekommen seien, es aber keine organisatorischen Verbindungen zwischen der PKK und seinen Kräften gebe. 'Abdi lobte nicht-syrische Kämpfer, die den von den USA unterstützten SDF im vergangenen Jahrzehnt im Kampf gegen den Islamischen Staat geholfen haben. Er sagte, einige seien im Laufe der Jahre nach Hause zurückgekehrt, andere seien geblieben, um im Kampf gegen den IS zu helfen, und dass es für sie an der Zeit sei, zurückzukehren, wenn ein Waffenstillstand erreicht werde (AJ 19.12.2024).
Anfang Februar 2025 wurden Pläne des US-Verteidigungsministeriums zum Abzug aller US-Truppen in Syrien bekannt. Der Abzug soll entweder in 30, 60 oder 90 Tagen erfolgen (TNA 5.2.2025; vgl. REU 5.2.2025b). Mitte April 2025 gaben die USA bekannt, mehr als die Hälfte ihrer in Syrien stationierten Truppen abzuziehen. Die US-Militärpräsenz soll in den folgenden Monaten auf weniger als 1.000 Soldaten reduziert werden. Das für den Nahen Osten zuständige US-Zentralkommando CENTCOM werde weiterhin bereit sein, Angriffe auf die Überreste des IS in Syrien auszuführen (FR 22.4.2025). Drei von acht Stützpunkten in Syrien sollen geschlossen werden (AJ 21.4.2025). Der Rückzug der US-amerikanischen Truppen aus Nord- und Ostsyrien würde es der Türkei ermöglichen, sich freier zu bewegen, um dem entgegenzutreten, was sie als Bedrohung ihrer nationalen Sicherheit ansieht, einschließlich der SDF, die Ankara als eine Erweiterung der PKK betrachtet, die als terroristische Organisation eingestuft wird (AlHurra 6.2.2025a). Der türkische stellvertretende Außenminister Yilmaz gab bekannt, dass die Türkei gemeinsam mit Jordanien, dem Irak und der syrischen Übergangsregierung eine Viererkoalition bilden werde, um sicherzustellen, dass der IS Syrien und den Irak nicht erneut bedroht (AlMon 12.2.2025). Am 12.2.2025 forderte die Türkei die neue syrische Regierung auf, die Kontrolle über die Lager zu übernehmen, in denen Vertriebene und inhaftierte IS-Terroristen untergebracht sind. Das Ende des IS und der PKK bzw. YPG seien die Voraussetzung für ein friedliches, unabhängiges und politisch geeintes Syrien (DS 13.2.2025).
Anfang März 2025 kam es zeitgleich mit den Massakern an der Küste im Westen Syriens, insbesondere in Deir ez-Zour zu Demonstrationen gegen die SDF. Es wurde einerseits dazu aufgerufen, die Verantwortlichen für die Angriffe in den Küstengebieten zur Rechenschaft zu ziehen, andererseits aber auch gegen die SDF skandiert (AJ 8.3.2025). Mindestens 25 arabische Stämme haben seit dem 14.4.2025 die SDF verurteilt, wahrscheinlich als Reaktion auf die anhaltenden Forderungen der SDF nach einer Dezentralisierung der Kontrolle Damaskus' im Nordosten Syriens. Die Stämme lehnten das, was sie als „separatistisches Projekt“ bezeichneten, das den mehrheitlich arabischen Gebieten aufgezwungen werde, ab. „Separatistisches Projekt“ ist eine häufig verwendete Bezeichnung für die Bemühungen der SDF, unter der Übergangsregierung die Dezentralisierung und Föderalisierung im Nordosten Syriens zu erreichen. Unbekannte arabische Stammesführer trafen sich kürzlich in der Provinz ar-Raqqa mit den SDF, um deren Aufruf zur Unterstützung nachzukommen. Andere arabische Stammesführer verurteilten diese Treffen und stellten klar, dass die beteiligten Personen nicht die offizielle Position ihrer Stämme vertreten. Stattdessen bekundeten die Stammesführer ihre Unterstützung für die Übergangsregierung in Damaskus. Einige arabische politische Gruppierungen kündigten am 15.4.2025 die Bildung eines neuen Rates an, um sich der Kontrolle der SDF im Nordosten Syriens zu widersetzen und eine einheitliche Front für Verhandlungen mit Damaskus zu bilden (ISW 16.4.2025).
Sicherheitslage - Entwicklungen seit dem Sturz des Assad-Regimes (seit 8.12.2024):
Letzte Änderung 2025-05-08 22:36
Trotz des Sturzes der 54-jährigen Diktatur der Familie al-Assad ist der Bürgerkrieg noch lange nicht vorbei (Leb24 13.2.2025). Trotz der Bemühungen der neuen syrischen Regierung bleibt die Sicherheitslage fragil, und die Zukunft Syriens ist von zahlreichen Unsicherheiten geprägt (VB Amman 9.2.2025). Der Hohe Flüchtlingskommissar der Vereinten Nationen, Grandi, beschreibt die Lage vor Ort als "fluid". Sie könne sich nach derzeitigem Stand in alle Richtungen entwickeln (ÖB Amman 6.2.2025). Die neue syrische Übergangsregierung ist nicht in der Lage, das gesamte syrische Staatsgebiet zu kontrollieren (AlHurra 6.2.2025a). Seit Jahresbeginn 2025 hat sich die Sicherheitslage in Syrien nach dem Sturz von Bashar al-Assad weiterhin als instabil erwiesen. Die neuen Machthaber, dominiert von islamistischen Gruppierungen, bemühen sich um die Etablierung von Ordnung und Sicherheit, stoßen jedoch auf erhebliche Herausforderungen (VB Amman 9.2.2025). Außenminister ash-Shaybani gibt Sicherheitsprobleme in Teilen Syriens zu, bezeichnete sie aber als Einzelvorfälle: Offenbar hat die Hay'at Tahrir ash-Sham (HTS), die offiziell aufgelöst wurde, Schwierigkeiten, ihre teils sehr radikalen islamistischen Untergruppen in den Griff zu bekommen. Zwischen Verfolgung von Regimestraftätern und Racheakten vor allem gegen die Volksgruppe der Alawiten, aus der die al-Assads stammen, ist nicht immer leicht zu unterscheiden (Standard 23.1.2025). Die Sicherheitskräfte der Übergangsregierung sind bei ihrem Versuch, das Land zu stabilisieren, mit zunehmenden Bedrohungen konfrontiert, darunter gewalttätige Überreste des Regimes, sektiererische Gewalt und Entführungen. Im Nordosten sind die Syrischen Demokratischen Kräfte (Syrian Democratic Forces - SDF) gezielten Angriffen von Zellen des Islamischen Staates (IS) und anhaltenden Feindseligkeiten mit der Syrischen Nationalen Armee (Syrian National Army - SNA) ausgesetzt (Etana 22.2.2025). Die fragile Sicherheitslage bedroht weiterhin den politischen Fortschritt, warnte der Sondergesandte des Generalsekretärs der Vereinten Nationen für Syrien, Geir Pedersen, und verwies auf die anhaltenden Feindseligkeiten im Nordosten, einschließlich täglicher Zusammenstöße, Artilleriebeschuss und Luftangriffe, die Zivilisten und die Infrastruktur treffen (UN News 12.2.2025).
In den Gouvernements Syriens kam es weiterhin zu einer Zunahme von Entführungen. Die Civil Peace Group dokumentierte seit dem Sturz des Regimes 64 Entführungsfälle – 19 Opfer wurden später hingerichtet aufgefunden, nur drei führten zu Lösegeldforderungen. Auch Vorfälle sektiererischer Gewalt, die sich hauptsächlich gegen schiitische und alawitische Gemeinschaften richten, sind weit verbreitet (Etana 22.2.2025). Das Middle East Institute berichtet auch von eindeutig sektiererischen Verstößen, wie die Zerstörung eines Schreins im ländlichen Hama durch zwei sunnitische Zivilisten und Fälle von Schikanen an Kontrollpunkten, konstatiert aber, dass die meisten Verstöße, die von Sicherheitskräften in ganz Syrien begangen wurden, sich gegen bestimmte Anhänger des ehemaligen Regimes zu richten scheinen. Eines der drängendsten Probleme sind nicht sektiererisch motivierte Angriffe, sondern vielmehr der undurchsichtige Prozess der gezielten Verfolgung von Männern, die in den Streitkräften des Regimes gedient haben (von denen die meisten aufgrund der Natur des Regimes Alawiten sind) (MEI 21.1.2025). [Weiterführende Informationen zu Gewalt gegen religiöse Minderheiten finden sich in den Kapiteln Allgemeine Menschenrechtslage - Entwicklungen seit dem Sturz des Assad Regimes (seit 8.12.2024) und Ethnische und religiöse Minderheiten - Entwicklungen seit dem Sturz des Assad-Regimes (seit 8.12.2024).] Die Kriminalität ist dramatisch gestiegen, nicht zuletzt auch aufgrund der Freilassung nicht nur politischer Gefangener aus den Gefängnissen (SYRDiplQ1 5.2.2025). Kriminelle Banden und Einzelpersonen suchen weiterhin nach Sicherheits- und Autoritätslücken, die sie in dieser neuen Ära ausnutzen können. Die schwereren Verbrechen ereignen sich in der Regel auf dem Land, wo die Sicherheitspräsenz geringer ist und sich eine höhere Konzentration von Ex-Shabiha [Shabiha sind die irregulären, bewaffneten pro-Assad-Gruppierungen Anm.] befindet (MEI 21.1.2025).
Seit islamistische Rebellen im Dezember den langjährigen repressiven Machthaber Bashar al-Assad stürzten, kam es in mehreren Gebieten zu Zusammenstößen und Schießereien, wobei Sicherheitsbeamte bewaffnete Anhänger der vorherigen Regierung beschuldigten (FR24 1.3.2025). In mehreren Gebieten in Syrien kommt es weiterhin zu Zwischenfällen mit verirrten Kugeln. Im Februar sind bei solchen Vorfällen 18 Menschen, darunter drei Frauen und vier Kinder, getötet und vier weitere, darunter zwei Kinder, verwundet worden. Die Opfer verteilen sich auf die von der Regierung in Damaskus, der Demokratischen Autonomen Administration von Nord- und Ostsyrien (DAANES) und der Syrischen Nationalen Armee (SNA) kontrollierten Gebiete. Diese Zwischenfälle werden durch die Verbreitung von Waffen unter der Zivilbevölkerung verschärft (SOHR 24.2.2025b). Sicherheitskräfte sind immer noch dabei, Überbleibsel des Regimes im ganzen Land auszuheben, die häufig Mitglieder der Allgemeinen Sicherheit und Checkpoints ins Visier genommen haben. ETANA verzeichnete Angriffe von Pro-Regime-Gruppen auf Mitglieder der Allgemeinen Sicherheit in Rif Dimashq, Ost-Dara'a und West-Homs. Auch in Hama und Jableh, in der Nähe der Hmeimim-Basis, kam es zu Zusammenstößen. Sicherheitskräfte haben in ehemaligen Regimegebieten von Deir ez-Zour mehrere Operationen durchgeführt (Etana 22.2.2025). Während Zehntausende auf die Initiative der Versöhnungsprozesse eingingen, lehnten bewaffnete Gruppierungen von Regimeüberbleibseln sie ab, vor allem an der syrischen Küste, wo hohe Offiziere des Assad-Regimes stationiert waren. Im Laufe der Zeit flohen diese Gruppierungen in die Bergregionen und begannen, Spannungen zu schüren, die Lage zu destabilisieren und sporadische Angriffe auf die Regierungstruppen zu verüben (AJ 10.3.2025c). Bis Anfang März 2025 beschränkten sich solche Übergriffe auf kleine Ausbrüche von willkürlicher Selbstjustiz und waren nicht Teil von groß angelegter, organisierter Gewalt. Am 6.3.2025 jedoch überfielen Aufständische des Assad-Regimes die Sicherheitskräfte der Übergangsregierung in der westlichen Küstenstadt Jableh im Gouvernement Latakia und töteten 30 von ihnen (viele wurden später verbrannt oder in flachen Massengräbern aufgefunden) (TWI 10.3.2025). Die Anhänger des gestürzten Assad-Regimes riefen zu einem Aufstand auf. Ungefähr zur Zeit der ersten Angriffe gab eine Gruppierung, die sich selbst als "Militärrat für die Befreiung Syriens" bezeichnet, eine Erklärung ab, in der sie schwor, die Regierung zu stürzen (FT 10.3.2025). Unmittelbar nach dem Hinterhalt riefen die syrischen Sicherheitskräfte zu einer allgemeinen Mobilisierung über die bereits in der Küstenregion stationierten Einheiten hinaus auf und zur Ausrottung ehemaliger Regimegegner (TWI 10.3.2025). Sicherheitskräfte, die durch Verstärkung unterstützt wurden, begannen, gegen die Loyalisten des Assad-Regimes zu kämpfen und sie aus den Dörfern an der Küste Syriens zurückzudrängen. Die Loyalisten zogen sich aufs Land zurück, wobei sie Staatseigentum niederbrannten und mordeten. Als syrische Regierungstruppen und bewaffnete Zivilisten begannen, in alawitische Dörfer im Nordwesten Syriens einzudringen, tauchten Videos von Misshandlungen auf. Zivilisten berichteten von Massenmorden durch Sicherheitskräfte, was von Menschenrechtsgruppen bestätigt wurde (Guardian 10.3.2025). Laut dem Leiter der Syrischen Beobachtungsstelle für Menschenrechte (Syrian Observatory for Human Rights - SOHR) war es ein Fehler, dass die Regierung in Damaskus in den Moschen zur Mobilisierung aufgerufen hatte. Dies habe zu einem Zustrom von Kämpfern von außerhalb der Region geführt, um Alawiten zu massakrieren (Sky News 9.3.2025a). Laut einem Freiwilligen der Nichtregierungsorganisation Weißhelme kamen Menschen aus allen Städten Syriens, um Rache zu üben (C4 9.3.2025). Die überwiegende Mehrheit der rechtswidrigen Tötungen von Zivilisten und Gefangenen durch syrische Sicherheitskräfte wurde laut dem Syrian Network for Human Rights (SNHR) von zwei bestimmten Fraktionen sowie von Personen begangen, die sich Militärkonvois angeschlossen hatten. Konkret waren die beiden Fraktionen, die für die meisten Tötungen von Zivilisten verantwortlich sind, die Suleiman Shah Division [auch: Abu Amsha-Division oder Amsha-Division] und die Hamza-Division. Beide Fraktionen und ihre Anführer stehen wegen mutmaßlicher schwerer Menschenrechtsverletzungen, darunter Vergewaltigung und Folter, unter US-Sanktionen (Guardian 10.3.2025). Laut Washington Institute for Near Eeast Policiy umfasste die Mobilisierung drei von den USA sanktionierte Milizen der SNA: Jaysh ash-Sharqiya, Sultan Suleiman Shah Division und die Hamza-Division. Sie wurden zuvor wegen Menschenrechtsverletzungen an Kurden im Nordwesten Syriens angeklagt. An den Kämpfen waren auch ausländische Dschihad-Kämpfer der von den USA gelisteten Gruppierung Ansar at-Tawhid und lokale syrische Zivilisten beteiligt, die die Kriegsverbrechen des Regimes rächen wollten (TWI 10.3.2025). Die Gruppierungen stehen nominell unter der Schirmherrschaft des neuen Staates, wobei Abu Amsha zum Leiter der Militärbrigade der Provinz Hama ernannt wurde. In Wirklichkeit übt der Staat jedoch nur begrenzte Kontrolle über sie aus. [Weitere Informationen über Rebellengruppierungen finden sich im Kapitel Sicherheitsbehörden - Entwicklungen seit dem Sturz des Assad-Regimes (seit 8.12.2024) Anm.] Die Bewaffneten, die die Massaker verübten, seien keine Bewohner der syrischen Küste, sondern stammten aus anderen Gouvernements und seien teilweise ausländischer Herkunft wie Usbeken, Tschetschenen und zentralasiatische Kämpfer (Sky News 9.3.2025a). Am 9.3.2025 gab eine syrische Sicherheitsquelle an, dass sich die Kämpfe in der Umgebung der Städte Latakia, Jabla und Baniyas etwas beruhigt hätten, während die Streitkräfte die umliegenden Berggebiete durchsuchten, in denen sich schätzungsweise 5.000 pro-Assad-Aufständische versteckt hielten (Sky News 9.3.2025b). Der Sprecher des Verteidigungsministeriums gab am 10.3.2025 das Ende der Militäroperation gegen die Überreste des Regimes in den Küstengebieten bekannt. Er betonte, dass die öffentlichen Einrichtungen ihre Arbeit wieder aufnehmen können, um die Rückkehr zum normalen Leben vorzubereiten, und dass die Sicherheitskräfte weiter daran arbeiten werden, die Stabilität und die Sicherheit der Bevölkerung zu gewährleisten (SANA 10.3.2025a). Der Gouverneur von Tartus betonte am 9.3.2025, dass die Provinz nach dem Sieg über die Überreste des untergegangenen Regimes eine allmähliche Rückkehr ins öffentliche Leben erlebt (SANA 9.3.2025a). In den meisten Vierteln der Stadt Latakia hat am 10.3.2025 das normale Leben wieder begonnen, nachdem die Angriffe der Überreste des ehemaligen Regimes vereitelt und die Sicherheit in der Stadt wiederhergestellt wurde (SANA 10.3.2025b). Nach der Ankündigung der Regierung in Damaskus über den Abschluss der Sicherheitskampagne an der syrischen Küste stürmten Gruppen von bewaffneten Männern, die dem Verteidigungsministerium angehören, die Stadt Harison in der Umgebung von Baniyas, wo sie Häuser und Eigentum von Zivilisten plünderten und in Brand setzten (SOHR 10.3.2025c). Die Lage in den Städten mag stabiler sein, aber in ländlicheren Gegenden finden abseits der Medien eklatante Rechtsverletzungen statt. Die Zwangsumsiedlungen gehen weiter (Sky News 9.3.2025a).
Die Zahl der Todesopfer der Kämpfe variierte stark (Guardian 9.3.2025). Laut dem Syrian Network for Human Rights (SNHR), das umfassende Dokumentationsstandards anwendet und als unabhängig gilt, haben Anhänger des Assad-Regimes 383 Menschen getötet, darunter 211 Zivilisten und 172 syrische Sicherheitskräfte, während syrische Sicherheitskräfte 396 Menschen getötet haben, darunter Zivilisten und entwaffnete Kämpfer (Guardian 10.3.2025). Syrische Sicherheitsquellen gaben an, dass mehr als 300 ihrer Mitglieder bei Zusammenstößen mit Angehörigen der ehemaligen Syrischen Arabischen Armee, bei koordinierten Angriffen und Hinterhalten auf ihre Streitkräfte getötet wurden (Sky News 9.3.2025b). Es wurden Massengräber mit Dutzenden von toten Mitgliedern gefunden (AJ 9.3.2025). Die syrischen Sicherheitskräfte töteten 700 ehemalige Soldaten und bewaffnete Männer, die dem ehemaligen Präsidenten Bashar al-Assad treu ergeben waren, oder sogenannte Regimeüberreste (Arabiya 9.3.2025). Dem Leiter der Syrischen Beobachtungsstelle für Menschenrechte zufolge wurden 745 alawitische Zivilisten aus konfessionellen Gründen getötet, wobei er betonte, dass sie nicht an den Kämpfen beteiligt waren oder mit dem Regime in Verbindung standen (Sky News 9.3.2025a). Darüber hinaus wurden 125 Mitglieder der Sicherheitskräfte und 150 alawitische Kämpfer getötet (Sky News 9.3.2025a). Die meisten der von Regierungstruppen getöteten Zivilisten waren Alawiten, aber auch einige Christen wurden als tot bestätigt. Unter den getöteten Aufständischen des ehemaligen Regimes befanden sich Sunniten, Alawiten und Christen (TWI 10.3.2025). Laut der Vereinten Nationen kam es zu Tötungen ganzer Familien (UN News 9.3.2025). Die Syrische Beobachtungsstelle für Menschenrechte (SOHR) zog am 11.3.2025 Bilanz und verzeichnete eine Gesamtzahl von 1.093 Todesopfern vom Eintreffen bewaffneter Männer zur Unterstützung der Sicherheitskräfte bis zum 11.3.2025. Insgesamt wurden 44 Massaker verübt (SOHR 11.3.2025). Eine nicht näher genannte Beobachtungsgruppe verzeichnete der BBC zufolge mehr als 1.500 Todesopfer, darunter 1.068 Zivilisten (BBC 10.3.2025). Laut Aussage des Leiters von SOHR wurden Zehntausende Häuser geplündert und niedergebrannt (Sky News 9.3.2025a). Ein Freiwilliger der syrischen NGO Weißhelme (White Helmets) berichtete, dass seine Organisation am 5.3.2025 auf mehr als 40 Brände im Küstengebiet reagieren musste, bevor in der darauffolgenden Nacht die Schießerei begonnen hatte. Es wurde auch einer der Krankenwagen der Weißhelme angegriffen, ebenso das Krankenhaus und Kontrollpunkte (C4 9.3.2025).
Diese Eskalation war nicht auf Latakia im Westen Syriens beschränkt, denn auch in anderen Gebieten am Rande der Hauptstadt Damaskus und in Dara'a kam es zu bewaffneten Zusammenstößen (AlHurra 8.3.2025). Unbekannte bewaffnete Männer in einem Auto warfen am 10.3.2025 Granaten und eröffneten das Feuer mit Maschinengewehren auf das Hauptquartier der allgemeinen Sicherheitskräfte im Stadtteil al-Mezzeh in Damaskus. Es kam zu Zusammenstößen zwischen den Angreifern und den Sicherheitskräften (SOHR 10.3.2025d).
Übergangspräsident ash-Shara' richtete einen dreißigtägigen Untersuchungsausschuss, der die tatsächlichen Geschehnisse untersuchen soll, ein. Im Gegensatz zu den früheren Ernennungen der Übergangsregierung für Ausschüsse, Ministerien und Provinzämter sind die sieben Mitglieder dieses neuen Ausschusses nicht mit HTS oder ihrer Verbündeten in Verbindung gebracht worden (TWI 10.3.2025). Der Ausschuss soll seinen Bericht dem Chef der syrischen Übergangsregierung, Ahmad ash-Shara', spätestens 30 Tage nach der Entscheidung zur Bildung des Ausschusses vorlegen (BBC 9.3.2025a). Er hat zur Aufgabe, die Ursachen, Umstände und Bedingungen aufzudecken, die zu diesen Ereignissen geführt haben, die Verletzungen zu untersuchen, denen die Zivilbevölkerung ausgesetzt war, die Verantwortlichen zu identifizieren, die Angriffe auf öffentliche Einrichtungen und Mitarbeiter der Sicherheitskräfte und der Armee zu untersuchen, die Verantwortlichen zu identifizieren und diejenigen, die nachweislich an den Verbrechen und Verletzungen beteiligt waren, an die Justiz zu verweisen (SANA 9.3.2025b). Am 9.3.2025 begannen die Behörden, gegen diejenigen vorzugehen, die Gewalttaten gegen Zivilisten begangen hatten. Die syrische Übergangsregierung verhaftete sogenannte undisziplinierte Gruppen, die in den letzten Tagen während der Säuberungsaktionen Sabotageakte begangen hatten. Sie sollen strafrechtlich verfolgt werden, weil sie die Anweisungen des Kommandos missachteten (Arabiya 9.3.2025).
Viele Beobachter sind sich einig, dass trotz der starken Präsenz interner Faktoren auch der externe regionale Faktor bei den Unruhen in der syrischen Küstenregion eine wichtige Rolle spielte. Syrische Sicherheitsquellen weisen darauf hin, dass Iran in die Ereignisse in der Region verwickelt war und dass er die Überreste des Regimes von Bashar al-Assad finanzierte und bewaffnete, die zwischen der Küste und der Provinz Homs unterwegs waren und aufgrund der instabilen Sicherheitslage in den Osten Syriens vordringen konnten (BBC 9.3.2025b). Israel drang nach dem Sturz des Assad-Regimes in Grenzdörfer in Syrien ein und bezeichnete dies als vorübergehende Maßnahme zum Schutz seiner eigenen Sicherheit. Während israelische Politiker seit Monaten deutlich machen, dass sie beabsichtigen, ihre Truppen in den Grenzregionen zu belassen, die eigentlich eine von internationalen Friedenstruppen überwachte Pufferzone sein sollte, stellen ihre Erklärungen über ein entmilitarisiertes Südsyrien eine Eskalation dar, die die Spannungen innerhalb Syriens verschärft hat (NYT 25.2.2025). Israel hatte die Pufferzone auf dem syrischen Golan umgangen und das Rückzugsabkommen von 1974 verletzt, indem es in Quneitra und Dara'a eindrang und weiteres syrisches Gebiet besetzte, bis es den Berg Hermon erreichte (BBC 9.3.2025b). Israelische Streitkräfte führen weiterhin Angriffe in und jenseits des entmilitarisierten Grenzstreifens von 1974 zwischen den von Israel besetzten Golanhöhen und Quneitra durch. Versuche Israels, die Herzen und Köpfe der Menschen in Quneitra zu gewinnen, wurden wiederholt abgewiesen und fanden gleichzeitig mit Razzien, Schießereien und anderen Verstößen statt (Etana 22.2.2025). Israel führte seit dem Sturz von al-Assad Hunderte von Luftangriffen in ganz Syrien durch, bei denen Luftwaffenstützpunkte, Munitionsdepots, militärische Ausrüstung und Stellungen von Kräften, die der neuen Regierung treu ergeben sind, angegriffen wurden (SCR 30.1.2025). Am 1.3.2025 drohte der israelische Ministerpräsident Netanyahu und der Verteidigungsminister Katz der syrischen Übergangsregierung, in Syrien einzugreifen, um die Drusen zu beschützen (Enab 1.3.2025; vgl. TIS 1.3.2025). Berichten aus Syrien zufolge kam es zuvor im Rahmen einer Sicherheitskampagne in Jaramana, einem Vorort von Damaskus, zu Zusammenstößen zwischen den Behörden der neuen syrischen Regierung und örtlichen drusischen Kämpfern (TIS 1.3.2025). Kräfte von außen, die gemeinsam mit Assad die Macht verloren haben – Iran und seine Vasallen wie die libanesische Hisbollah –, haben Interesse daran, dass das neue Syrien scheitert (Standard 9.3.2025).
Nach dem Sturz des Assad-Regimes hat Russland begonnen, seine Streitkräfte aus der strategisch wichtigen Marinebasis Tartus abzuziehen. Dieser Rückzug könnte das Machtgleichgewicht in der Region beeinflussen und Auswirkungen auf die Sicherheitslage in Syrien haben (VB Amman 9.2.2025). Ende Dezember wurde, einer syrischen Sicherheitsquelle von Al Jazeera zufolge, durch die Abteilung für militärische Operationen eine landesweite Sicherheitsoperation gestartet, um Überreste des untergegangenen Regimes zu jagen und militärische Kontrollpunkte an der Straße zum russischen Militärstützpunkt Hmeimim in Tartus einzurichten (AJ 28.12.2024b).
Die Internationale Koalition hat zwölf Sicherheitsoperationen gegen Zellen des Islamischen Staates (IS) durchgeführt, einige mit Beteiligung der SDF in verschiedenen Gebieten Syriens, wo diese Operationen zur Tötung von 14 Mitgliedern des IS führten, darunter zwei Anführer, sowie die Verhaftung von neun Personen, die beschuldigt werden, dem IS anzugehören und mit ihm zu kooperieren, darunter ein Ölinvestor (SOHR 23.2.2025). Die von den USA geführten internationalen Koalitionstruppen haben in Zusammenarbeit mit den SDF ein intensives militärisches Training mit schweren Waffen auf der Basis des Ölfeldes al-'Omar im Osten der Provinz Deir ez-Zour im Osten Syriens durchgeführt. Die Übungen sind Teil einer Reihe von Militärmanövern, die die Koalitionstruppen auf ihren Militärstützpunkten in den Provinzen Deir ez-Zour und al-Hasaka im Nordosten des Landes durchführen, um die Kampfbereitschaft und die operative Koordination mit den lokalen Partnern zu verbessern (TNA 27.2.2025). […]
Die Sicherheitslage in den verschiedenen Regionen Syriens variiert (VB Amman 9.2.2025).
Sicherheitslage – Nordsyrien
Die Sicherheitslage in Nordsyrien ist nach wie vor instabil, da verschiedene Fraktionen um Kontrolle und Einfluss konkurrieren (SCR 30.1.2025). Nach al-Assads Sturz und der Machtübernahme islamistischer Gruppierungen bleibt der Nordwesten Syriens eine der unruhigsten und komplexesten Regionen des Landes. Die neuen Machthaber bestehen aus einem Bündnis verschiedener islamistischer Fraktionen, wobei insbesondere Hay'at Tahrir ash-Sham (HTS) in Idlib und Teilen Aleppos eine führende Rolle einnehmen. Trotz der formellen Übernahme der Macht kommt es in der Region weiterhin zu Machtkämpfen zwischen rivalisierenden islamistischen Gruppen, Widerstandszellen Assad-treuer Kräfte und externen Bedrohungen durch Luftangriffe und Grenzkonflikte (VB Amman 9.2.2025). Teile des Nordostens Syriens, insbesondere Ost-Aleppo, ar-Raqqa und al-Hasaka, sind von Feindseligkeiten, Zusammenstößen und Angriffen mit improvisierten Sprengkörpern (Improvised Explosive Devices - IED) betroffen (UNOCHA 12.2.2025). Idlib ist nun das Zentrum der islamistischen Verwaltung in Syrien, bleibt aber eine hochgradig instabile Region. Während HTS als dominierende Kraft die Kontrolle beansprucht, gibt es weiterhin Konflikte mit anderen Fraktionen sowie Widerstand durch kleinere Gruppierungen, die nicht vollständig in die neue Ordnung integriert wurden. Trotz des Sturzes al-Assads bleiben die syrischen Lufträume gefährdet durch israelische Angriffe auf iranische oder mit Iran verbundene Gruppierungen, während Russland gelegentlich gezielte Angriffe auf dschihadistische Gruppierungen in der Region durchführt. Spannungen zwischen HTS, anderen islamistischen Gruppierungen und lokalen Milizen sorgen für eine fragile Sicherheitslage mit regelmäßigen Attentaten und bewaffneten Auseinandersetzungen. Die anhaltende Instabilität, fehlende Grundversorgung und wirtschaftliche Notlage haben die humanitäre Situation in Idlib weiter verschärft. Aleppo bleibt eine der strategisch wichtigsten Städte Syriens, ist jedoch weiterhin zwischen verschiedenen Akteuren umkämpft. Während islamistische Gruppierungen Teile der Stadt kontrollieren, gibt es in anderen Bezirken noch Präsenz ehemaliger regierungstreuer Milizen oder autonomer kurdischer Einheiten. In nördlichen Teilen Aleppos gibt es weiterhin Spannungen zwischen türkisch unterstützten Milizen und kurdischen Einheiten der SDF. In Teilen Aleppos kommt es weiterhin zu gezielten Attentaten, Entführungen und Sprengstoffanschlägen gegen islamistische Führungspersonen, was auf eine aktive Widerstandsbewegung hindeutet. Die Stadt bleibt schwer beschädigt, und der Wiederaufbau schreitet nur schleppend voran, da sich die neuen islamistischen Machthaber auf militärische Kontrolle und weniger auf infrastrukturelle Erholung konzentrieren (VB Amman 9.2.2025). Das syrische Verteidigungsministerium gab bekannt, dass es einen Angriff der SDF an der Ashrafiya-Front Anfang März 2025 in Aleppo-Stadt zurückgeschlagen hat. Das syrische Verteidigungsministerium hat aus mehreren Gebieten militärische Verstärkung an die Kampffronten gegen die SDF in Aleppo geschickt (AJ 10.3.2025c). Die syrische Armee hat nach eigenen Angaben Mitglieder der kurdisch geführten SDF festgenommen, als diese aus dem Viertel al-Ashrafiya nach Aleppo eindrangen (BBC 9.3.2025a).
Sicherheitslage in den Gebieten unter der Kontrolle der kurdisch dominierten SDF - Demokratische Autonome Administration von Nord- und Ostsyrien (DAANES)
Die von den USA unterstützten Syrischen Demokratischen Kräfte (Syrian Democratic Forces - SDF) werden von der Türkei als „Terroristen“ betrachtet und als eine existenzielle Bedrohung für ihre nationale Sicherheit. Die Syrische Nationale Armee (Syrian National Army - SNA), die sich aus ehemaligen Rebellengruppierungen zusammensetzt, liefert sich entlang des Euphrat einen erbitterten Kampf mit den SDF. Trotz türkischer Luft- und Artillerieunterstützung scheint die SNA die größten Verluste zu erleiden. Es ist erwähnenswert, dass viele der kurdischen Kämpfer der SDF von den USA ausgebildet und bewaffnet wurden (Leb24 13.2.2025). Nach dem Sturz der Assad-Regierung und der Machtübernahme islamistischer Gruppierungen bleibt auch der Nordosten Syriens eine umkämpfte und hochgradig instabile Region (VB Amman 9.2.2025). Im Nordosten (al-Hasaka, ar-Raqqa, Deir ez-Zour) ist das Risiko aktiver Konflikte größer als anderswo (GPC 3.4.2025). Während islamistische Gruppierungen in anderen Teilen Syriens ihre Kontrolle gefestigt haben, ist al-Hasaka weiterhin eine umstrittene Zone, in der die SDF, türkische Streitkräfte und islamistische Milizen um Einfluss kämpfen. Die SDF, dominiert von den kurdischen Volkverteidigungseinheiten (Yekîneyên Parastina Gel - YPG), hält weiterhin große Teile der Region, insbesondere Städte wie al-Hasaka und Qamishli. Islamistische Gruppierungen, die nach dem Sturz al-Assads in anderen Teilen des Landes an die Macht gelangt sind, versuchen, ihren Einfluss im Nordosten auszudehnen und liefern sich Gefechte mit den kurdischen Einheiten der SDF. Die türkischen Streitkräfte und ihre Verbündeten syrischen Milizen nutzen den Zusammenbruch der Assad-Regierung, um ihre Angriffe auf SDF-kontrollierte Gebiete zu intensivieren. Es kommt regelmäßig zu türkischen Luftschlägen, Artilleriebeschuss und Bodengefechten entlang der Grenze. Zellen des Islamischen Staats (IS) sind weiterhin aktiv und nutzen die chaotische Lage, um ihre Angriffe zu intensivieren (VB Amman 9.2.2025). Die Gebiete al-Hasaka, ar-Raqqa und Deir ez-Zour sind Angriffen des IS ausgesetzt (GPC 3.4.2025). Immer wieder kommt es zu Anschlägen auf kurdische Sicherheitskräfte, Gefängnisaufständen und Sabotageakten. Die Schwäche der neuen islamistischen Machthaber gegenüber dem IS in der Region führt dazu, dass sich lokale Stämme teils eigenständig bewaffnen, was zu einem weiteren Fragmentierungsprozess beiträgt. Die anhaltenden Kämpfe und türkischen Offensiven haben Tausende Binnenvertriebene zur Flucht gezwungen. Viele Flüchtlingslager, die ehemals unter al-Assad verwaltet wurden, sind in eine ungewisse Lage geraten, da humanitäre Organisationen nur noch eingeschränkt Zugang haben. Die Wasserversorgung ist durch türkische Angriffe auf Infrastruktur beeinträchtigt, und Nahrungsmittelknappheit sowie medizinische Engpässe verschärfen die humanitäre Krise (VB Amman 9.2.2025). In den von den SDF kontrollierten Gebieten kam es im Februar zu Angriffen von IS-Zellen, die SDF-Elemente und Sicherheitspositionen aus dem Hinterhalt und mit Maschinengewehren angriffen. Dabei wurden bei zehn Operationen, die sich auf Deir ez-Zour, ar-Raqqa und al-Hasaka verteilten, mehrere Personen getötet und verwundet, darunter zwei IS-Kämpfer (SOHR 24.2.2025a).
Die von der Türkei unterstützten syrischen Gruppierungen starteten im November eine Offensive gegen die SDF und vertrieben sie trotz der Bemühungen der USA, einen Waffenstillstand zu vermitteln, aus mehreren Gebieten im Norden (Arabiya 26.2.2025). Sie eroberten strategische Orte in der Umgebung von Manbij und Tall Rif'at. Die Kämpfe intensivierten sich in der Nähe des Tishrin-Staudamms am Euphrat in der Region Manbij im Osten Aleppos, der für die von den SDF kontrollierten Gebiete nach wie vor eine wichtige Wasser- und Stromquelle darstellt. Darüber hinaus wurden auch mehrere Orte in der Region Kobane und im Osten Aleppos angegriffen (SCR 30.1.2025). Washington vermittelte Anfang Dezember, nachdem die Kämpfe ausgebrochen waren, einen ersten Waffenstillstand. Dennoch kam es weiterhin zu Kampfhandlungen zwischen den beiden Parteien (Sky News 31.12.2024b). Auf mehreren Achsen im östlichen Aleppo und im Nordosten Syriens kam es zu einer Reihe von gegenseitigen Angriffen zwischen den SDF einerseits und den türkischen Streitkräften und pro-türkischen Gruppierungen andererseits. In der Nähe des Tishrin-Damms beschossen die türkischen Streitkräfte Stellungen der SDF intensiv mit Artillerie, während gleichzeitig ein Drohnenangriff auf Stellungen der SDF stattfindet, was zu Zusammenstößen zwischen beiden Seiten führte (SOHR 26.2.2025). Der Tishrin-Staudamm am Euphrat in Syrien ist zu einem zentralen Konfliktpunkt in der Zeit nach Assad geworden. Seit dem Sturz des Regimes von Diktator Bashar al-Assad am 8.12.2024 wird der Damm von den SDF und der SNA umkämpft (LWJ 26.1.2025). Trotz heftiger Kämpfe über mehrere Wochen hinweg hatte sich die lokale Konfliktkarte rund um den Tishrin-Staudamm nicht verändert. An den Frontlinien zwischen der SNA und den SDF kam es auf beiden Seiten des Euphrat in der Nähe des Tishrin-Staudamms und der Qara-Qozak-Brücke zu anhaltenden, heftigen Gefechten (Etana 22.2.2025). Diese sollen dem Direktor der Syrischen Beobachtungsstelle für Menschenrechte zufolge Mitte April 2025 eingestellt worden sein (SOHR 15.4.2025), nachdem die SDF sich aus dem Gebiet zurückgezogen haben. Die Kontrolle über den Staudamm soll die syrische Regierung übernehmen (ISW 16.4.2025). [Für Details dazu s. Kapitel Politische Lage - Entwicklungen seit dem Sturz des Assad-Regimes (seit 8.12.2024) / Politische Lage in den Gebieten unter der Kontrolle der kurdisch dominierten SDF - Demokratische Autonome Administration von Nord- und Ostsyrien (DAANES).]. Am 27.2.2025 rief Abdullah Öcalan, der in der Türkei inhaftierte Anführer der PKK, dazu auf, die Waffen niederzulegen und die PKK aufzulösen (ANF 27.2.2025). In einer mit Spannung erwarteten Erklärung, von der sich viele erhoffen, dass sie den Weg für ein Ende des seit mehr als vier Jahrzehnten andauernden Konflikts zwischen der Türkei und den Kurden ebnet, forderte der inhaftierte Kurdenführer Abdullah Öcalan seine Anhänger auf, die Waffen niederzulegen und die Rebellenorganisation aufzulösen. Mazloum 'Abdi, Anführer der SDF, stellte klar, dass dieser Aufruf nur für die PKK gelte und nichts mit Syrien zu tun habe (AlMon 27.2.2025; vgl. AlHurra 27.2.2025). Er sagte, dass seine Kämpfer die Waffen nicht niederlegen werden (VOA 27.2.2025). Die Meinungsverschiedenheiten in Bezug auf Syrien waren ein wesentliches Hindernis bei den Friedensgesprächen zwischen Ankara und Öcalan, weil die Türkei darauf bestand, dass sie den Nordosten Syriens einschließen. Doch Ankara scheint ihre Haltung etwas abgemildert zu haben(AlMon 27.2.2025). In Washington besteht die Hoffnung, dass die Entscheidung Öcalans die Spannungen mit Ankara abbauen und die Bemühungen zur Bekämpfung der Überreste der Terrorgruppe Islamischer Staat (IS) erleichtern könnte. Die SDF schloss sich dem Optimismus Washingtons an (VOA 27.2.2025).
In den Gebieten in Nord- und Ostsyrien kam es im Februar aufgrund von alten Streitigkeiten und Racheakten zu einer Eskalation von Familien- und Stammeszusammenstößen, bei denen fünf Menschen getötet und sieben weitere verletzt wurden, darunter eine Frau. Diese Zusammenstöße konzentrierten sich auf die Gouvernements ar-Raqqa, Dei ez-Zour und al-Hasaka, wo leichte und mittelschwere Waffen zum Einsatz kamen (SOHR 15.2.2025). Inmitten dieser Unsicherheit haben Berichte über willkürliche Verhaftungen im Nordosten Syriens die Spannungen zwischen verschiedenen Bevölkerungsgruppen verschärft (UNOCHA 12.2.2025).
Sicherheitsbehörden in den Gebieten unter der Kontrolle der kurdisch dominierten SDF - Demokratische Autonome Administration von Nord- und Ostsyrien (DAANES)
Gebiete unter der Kontrolle der kurdisch dominierten SDF - Demokratische Autonome Region Nord- und Ostsyrien (DAANES)
In der Demokratischen Autonomen Region Nord- und Ostsyrien (DAANES) dominieren die Syrischen Demokratischen Kräfte (Syrian Democratic Forces - SDF), eine Koalition von kurdischen, sunnitisch-arabischen und syrisch-christlichen Gruppierungen unter der Führung kurdischer Milizen, insbesondere der Volksverteidigungseinheiten (Yekîneyên Parastina Gel - YPG). Sie gliedern sich in Einheiten der Inneren Sicherheit, Terrorismusbekämpfung und Kommandoeinheiten (CIA 31.7.2024). Nach Angaben des Pentagons machten Kurden im März 2017 40 % der SDF aus, während Araber 60 % ausmachten, obwohl andere Quellen darauf hinweisen, dass der Prozentsatz der arabischen Kämpfer geringer war. Jedenfalls besteht Konsens darüber, dass die Führung in den SDF den Kurden gehört. Neben syrischen Arabern und Kurden gibt es auch ausländische Kommandeure und Elemente in den SDF. Letztere sollen laut Aussagen des Kommandanten 'Abdi Syrien verlassen, wenn ein Waffenstillstand mit der Türkei bzw. der Syrischen Nationalen Armee (Syrian National Army - SNA) erzielt wurde (AJ 29.1.2025). Die YPG sind die größte Miliz in den SDF (BBC 10.12.2024). Experten schätzen die Anzahl der Kämpfer innerhalb der SDF auf 20.000 bis maximal 30.000. SDF-Anführer 'Abdi gibt die Anzahl mit 100.000 Kämpfer an (AJ 29.1.2025). Im Gegensatz zu den Selbstverteidigungsgruppen, die aus Wehrpflichtigen bestehen, werden die SDF an der Front eingesetzt (DIS 6.2024).
Die SDF nutzen die internationale finanzielle Unterstützung vor allem, um die Gehälter und Löhne ihrer Kämpfer und Verwaltungsangestellten zu zahlen, die zwischen 100 und 800 US-Dollar liegen. Diese Löhne sind die höchsten im Vergleich zu anderen lokalen bewaffneten Gruppen in Syrien, einschließlich der ehemaligen Regimetruppen, was den SDF in hohem Maße geholfen hat, eine kontinuierliche Rekrutierung in ihre Reihen zu gewährleisten (AJ 29.1.2025). Als die SDF im Jahr 2014 im Kampf gegen den Islamischen Staat (IS) andere Kurden zur Unterstützung aufgefordert haben, haben irakische Peshmerga und die türkisch-kurdische Arbeiterpartei (Partiya Karkerên Kurdistanê - PKK) ihnen Unterstützung zugesandt. Einige dieser ausländischen kurdischen Kämpfer haben das Land wieder verlassen. Eine Gruppierung mit Hunderten von Kämpfern ist mit dem Ziel geblieben, den Kurden bei ihrer Selbstverteidigung zu helfen (FAZ 28.1.2025).
Die Revolutionäre Jugendbewegung Syriens (Tevgera Ciwanên Şoreşger) identifiziert sich als sozialistische Bewegung, die von den Ideen Abdullah Öcalans, des inhaftierten Führers der PKK, inspiriert ist, und ideologisch mit der PKK und der Partei der Demokratischen Union (Partiya Yekîtiya Demokrat - PYD) verbunden ist. Die Jugendgruppe ist im gesamten Nordosten Syriens mit Büros und Zentren sowie einer Vielzahl von auf Jugendliche ausgerichteten kulturellen, politischen und militärischen Ausbildungsaktivitäten stark vertreten, von denen einige von hochrangigen SDF- und Autonomieverwaltungsbeamten besucht und unterstützt werden. Berichten zufolge haben Mitglieder der Revolutionären Jugendbewegung in den letzten Jahren feindselige Handlungen gegen Demonstranten, Journalisten und politische Oppositionsparteien begangen (HRW 2.10.2024).
Obwohl in mehreren schriftlichen Quellen des Danish Immigration Service (DIS) über die Wehrpflicht bei den SDF berichtet wurde, bleibt die Rekrutierung von Personal für die SDF freiwillig und basiert auf einem Vertrag zwischen den SDF und der betreffenden Person. Die Standarddauer des Vertrags beträgt zwei Jahre Dienst bei den SDF, kann jedoch nach Ermessen der Freiwilligen verlängert werden. Es gibt eine Reihe von Faktoren, die Einzelpersonen weiterhin dazu motivieren, sich freiwillig den SDF anzuschließen. Dazu gehören wirtschaftliche Anreize, wie die im Vergleich zu anderen bewaffneten Gruppen relativ hohen Gehälter, die in Gebieten mit begrenzten Möglichkeiten für alternative Beschäftigungsmöglichkeiten, wie ar-Raqqa und Deir ez-Zour, wirksam sind. Darüber hinaus ist die Fähigkeit der SDF, Schutz vor anderen Akteuren und Bedrohungen zu bieten, ein wichtiger Faktor für ihre Fähigkeit, Personal in Gebieten mit arabischer Mehrheit zu rekrutieren, und ethnische Kurden schließen sich den SDF an, um ihre Region zu verteidigen. Ein in Erbil ansässiger syrischer Journalist, versicherte, dass die SDF von Zwangsrekrutierungen absehen, um ihren Ruf als professionelle Streitmacht zu wahren. Die SDF vollziehen im Zusammenhang mit der Rekrutierung eine Identitäts- sowie eine Hintergrundüberprüfung durch die sogenannten "Komeen", die kleinste Verwaltungseinheit im DAANES kontrollierten Gebiet. Personen, die sich für die SDF bewerben, müssen ihren nationalen Personalausweis, Familiendokumente und ein lokales Ausweisdokument, das als "Shahadet at-Tarif" [arabisch Anm.] bzw. "Nasnameh" [kurdisch Anm.] bekannt ist und von der örtlichen Komeen ausgestellt wird, vorlegen (DIS 6.2024).
Die Übergangsregierung verfolgt eine zweigleisige Strategie, um die SDF zur Entwaffnung zu zwingen: Sie verhandelt aktiv mit den SDF und stimmt sich gleichzeitig mit der Türkei und Syrischen Nationalarmee (Syrian National Army - SNA) ab (ISW 23.1.2025). Ein Treffen im Jänner 2025 zwischen dem syrischen Übergangspräsident Ahmad ash-Shara' und dem Kommandanten der SDF Mazloum 'Abdi sei 'Abdi zufolge positiv verlaufen. Sie hätten sich auf die großen Linien in Bezug auf die territoriale Integrität, die Aufrechterhaltung der Sicherheit und Stabilität und die Aufrechterhaltung des Zusammenhalts der Institutionen im Allgemeinen geeinigt. Widersprüche gab es in Detailfragen. Zur Klärung eben dieser, wird ein militärisch-administrativer Ausschuss gebildet, um eine Einigung zu erzielen, die beide Seiten zufriedenstellt (Sharq 14.1.2025). Am 10.3.2025 unterzeichneten 'Abdi und Übergangspräsident ash-Shara' ein Abkommen über die Integration der SDF in die staatlichen Institutionen Syriens. Das Abkommen sieht vor, dass die SDF den syrischen Staat bei der Bekämpfung der Überbleibsel des Assad-Regimes und anderer Bedrohungen unterstützen (Arabiya 11.3.2025). In der Vereinbarung wurde ein Waffenstillstand auf allen syrischen Territorien und die Eingliederung aller zivilen und militärischen Einrichtungen im Nordosten Syriens in die Verwaltung des syrischen Staates, einschließlich der Grenzübergänge, des Flughafens und der Öl- und Gasfelder festgehalten. Das Abkommen soll bis Ende des Jahres 2025 umgesetzt werden (AJ 10.3.2025a).
Folter und unmenschliche Behandlung, Haftbedingungen, willkürliche Verhaftungen, etc. in den Gebieten unter der Kontrolle der kurdisch dominierten SDF - Demokratische Autonome Region Nord- und Ostsyrien (DAANES)
Letzte Änderung 2025-05-08 22:36
Gebiete unter der Kontrolle der kurdisch dominierten SDF - Demokratische Autonome Region Nord- und Ostsyrien (DAANES)
Die Independent International Commission of Inquiry on the Syrian Arab Republic (COI) der UN dokumentierte seit 2020 Kriegsverbrechen durch die Syrischen Demokratischen Kräfte (Syrian Democratic Forces - SDF) gegen Gefangene in Gewahrsam in mehreren Einrichtungen, darunter das as-Sina'a Gefängnis in der Stadt al-Hasakah, Gefängnisse und provisorische Einrichtungen, die von den SDF oder den internen kurdischen Sicherheitskräften (Assayish) betrieben werden, sowie in den Lagern al-Hol und ar-Roj. Zu den Folterern gehörte auch der Militärnachrichtendienst der SDF (UNHRC 12.7.2023). Auch Amnesty International dokumentierte schwere Fälle von Folter an Frauen, Männern und Kindern in Gefängnissen in Nord- und Ostsyrien, die durch die SDF und die mit ihnen verbundenen Sicherheitskräfte geführt werden. Insbesondere im Sini-Gefängnis (eines von zwei Hauptgefängnissen mit Gefangenen, denen Zugehörigkeit zum Islamischen Staat (IS) vorgeworfen wird, lokalisiert in der Provinz al-Hasakah) sind die Gefangenen unerbittlicher Brutalität ausgesetzt, wie routinemäßiger körperlicher Misshandlung, Demütigung, Entzug von Nahrung, Wasser, medizinischer Versorgung und anderen Grundbedürfnissen (AI 2024). Die SDF folterten gemäß Syrian Network for Human Rights (SNHR) sieben Personen von Jänner bis Juni 2024 zu Tode, darunter ein Kind (SNHR 1.7.2024). Im Jahr 2023 kamen laut SNHR zehn Personen durch Folter durch die SDF zu Tode, darunter ein Kind (SNHR 1.1.2024). Zu den Opfern von Folter gehörten gemäß COI unter anderem Personen, die sich gegen die Regierung geäußert hatten, wie Aktivisten, Mitarbeiter von Nichtregierungsorganisationen oder Oppositionelle (UNHRC 12.7.2023).
Die Demokratische Autonome Verwaltung von Nord- und Ostsyrien (DAANES) hat in ihrem Gesellschaftsvertrag von 2023 in den Artikeln 56-58 festgehalten, dass jede Person das Recht auf ein faires Verfahren hat, Verhaftungen, das Betreten oder die Durchsuchung privater Orte oder Wohnhäuser nur mit richterlichem Beschluss oder bei Begehung der Straftat in flagranti und dass die Freiheit einer Person nicht ohne gültiges Rechtsdokument eingeschränkt werden darf (RIC 14.12.2023).
In den letzten Phasen des Kampfes gegen den Islamischen Staat (IS) im Nordosten Syriens Anfang 2019 gerieten Tausende syrische, irakische und andere ausländische Männer und Jungen in die Gewalt der SDF und wurden in Hafteinrichtungen der Sicherheitskräfte gebracht. Da diese Menschen nicht in bereits bestehenden Einrichtungen festgehalten werden konnten, hielten die SDF und die ihnen angeschlossenen Sicherheitskräfte mit Unterstützung und in Zusammenarbeit mit der von den USA geführten Koalition viele ältere Jungen und Männer in einer Reihe von provisorischen, behelfsmäßigen Hafteinrichtungen fest, die über den Nordosten Syriens verstreut waren. Im Laufe der Zeit wurde die Mehrheit dieser Personen in zwei Hafteinrichtungen zusammengefasst. Die erste ist die Hafteinrichtung Sini, die sich in der Nähe der Stadt ash-Shaddadi befindet. Im August 2023 waren dort etwa 800 Häftlinge inhaftiert. Die zweite ist die Hafteinrichtung Panorama, die von der US-geführten Koalition eigens in der Stadt al-Hasaka errichtet wurde und ein provisorisches Gefängnis am selben Ort ersetzte. Die überwältigende Mehrheit der in Sini und Panorama festgehaltenen Personen wurde nicht angeklagt und hatte keine Möglichkeit, die Rechtmäßigkeit ihrer Inhaftierung anzufechten. In den übrigen Hafteinrichtungen der Sicherheitskräfte befinden sich etwa 900 Männer, Frauen und Kinder, die vor der territorialen Niederlage des IS verhaftet wurden, als sie beispielsweise vom IS kontrollierte Gebiete verließen, sowie danach bei laufenden Militäroperationen. Sie werden von den Sicherheitskräften zum Verhör festgehalten, bevor sie zur Verhandlung überstellt werden (AI 2024).
Vorwürfe der IS-Mitgliedschaft werden im Nordosten Syriens Amnesty International zufolge hauptsächlich für zwei Zwecke instrumentalisiert. Erstens nutzen die autonomen Behörden Vorwürfe der IS-Mitgliedschaft, um Menschen, die ihrer Meinung nach gegen sie sind, zum Schweigen zu bringen und einzuschüchtern. Zweitens nutzen sowohl die allgemeine Öffentlichkeit als auch die autonomen Behörden solche Vorwürfe, um sich im Zusammenhang mit persönlichen Fehden oder Clanstreitigkeiten zu rächen (AI 2024). Die SDF führten Großrazzien und Verhaftungskampagnen durch, die auf Zivilisten abzielten, denen eine Verbindung zum IS, zu den mit den SDF in Konflikt stehenden arabischen Stämmen oder der Syrian National Army (SNA) vorgeworfen wird. Daneben wurden auch Zivilisten verhaftet, die an Feierlichkeiten zum Sturz des Präsidenten al-Assad teilgenommen haben, und Personen, die das Vorgehen der SDF in den von ihr kontrollierten Gebieten kritisiert hatten. Von den SDF wurden 59 willkürliche Verhaftungen dokumentiert, darunter drei Kinder und zwei Frauen. 12 Personen wurden wieder freigelassen (SNHR 4.2.2025a). Da es keine Garantien für faire Gerichtsverfahren gibt, wie z. B. die Bereitstellung von Strafverteidigern und die systematische Anwendung von Folter, um Geständnisse zu erzwingen, kann die bloße Anschuldigung, mit dem IS in Verbindung zu stehen, zu jahrelanger willkürlicher Inhaftierung führen (AI 2024).
Amnesty International zufolge werden Männer, Frauen und Kinder in den von den SDF und den angegliederten Sicherheitskräften betriebenen Hafteinrichtungen willkürlich und auf unbestimmte Zeit festgehalten und verschwinden gewaltsam. Viele dieser Häftlinge werden unter unmenschlichen Bedingungen festgehalten und sind Folter oder anderen Misshandlungen ausgesetzt (AI 2024).
Wehr- und Reservedienst - Entwicklungen seit dem Sturz des Assad-Regimes (seit 8.12.2024)
Letzte Änderung 2025-05-08 15:46
Die Syrische Arabische Armee wurde noch von al-Assad vor seiner Flucht nach Mitternacht am 8.12.2024 per Befehl aufgelöst. Die Soldaten sollten ihre Militäruniformen gegen Zivilkleidung tauschen und die Militäreinheiten und Kasernen verlassen (AAA 10.12.2024). Aktivisten des Syrian Observatory for Human Rights (SOHR) in Damaskus haben berichtet, dass Hunderte von Regimesoldaten ihre Militäruniformen ausgezogen haben, nachdem sie darüber informiert wurden, dass sie entlassen wurden, da das Assad-Regime gestürzt war (SOHR 8.12.2024). Ca. 2.000 syrische Soldaten sind in den Irak geflohen. Einem Beamten aus dem Irak zufolge sollen 2.150 syrische Militärangehörige, darunter auch hochrangige Offiziere, wie Brigadegeneräle und Zollangestellte, in einem Lager in der Provinz al-Anbar untergebracht sein. Die Mehrheit soll nach Syrien zurückkehren wollen (AlMada 15.12.2024). Syrischen Medien zufolge verhandelte die syrische Übergangsregierung mit der irakischen Regierung über die Rückführung dieser Soldaten (ISW 16.12.2024). Am 19.12.2024 begannen die irakischen Behörden damit, die syrischen Soldaten nach Syrien auszuliefern (TNA 19.12.2024). Die Mehrheit der führenden Soldaten und Sicherheitskräften des Assad-Regimes sollen sich noch auf syrischem Territorium befinden, jedoch außerhalb von Damaskus (Stand 13.12.2024) (AAA 10.12.2024). Nach der Auflösung der ehemaligen Sicherheits- und Militärinstitutionen verloren Hunderttausende ihren Arbeitsplatz und ihr Einkommen – vor allem in den Küstenregionen. Zehntausende wurden auch aus staatlichen und zivilen Einrichtungen entlassen, ohne alternative Einkommens- oder Arbeitsmöglichkeiten. Darüber hinaus wurden Mitgliedern der aufgelösten Armee, Polizei und Sicherheitsdienste Umsiedlungsmaßnahmen aufgezwungen, was zu wachsender Unzufriedenheit und Wut in den Reihen dieser Männer führte (Harmoon 17.3.2025).
Nach dem Umsturz in Syrien hat die von Islamisten angeführte Rebellenallianz eine Generalamnestie für alle Wehrpflichtigen verkündet. Ihnen werde Sicherheit garantiert und jegliche Übergriffe auf sie seien untersagt, teilte die Allianz auf Telegram mit (Presse 9.12.2024). HTS-Anführer ash-Shara' kündigte in einem Facebook-Post an, dass die Wehrpflicht der Armee abgeschafft wird, außer für einige Spezialeinheiten und "für kurze Zeiträume". Des Weiteren kündigte er an, dass alle Gruppierungen aufgelöst werden sollen und über Waffen nur mehr der Staat verfügen soll (CNBC Ara 15.12.2024a; vgl. MEMRI 16.12.2024). Unklar ist, wie eine Freiwilligenarmee finanziert werden soll (ISW 16.12.2024). Auch die Auflösung der Sicherheitskräfte kündigte ash-Shara' an (REU 11.12.2024a). In einem Interview am 10.2.2025 wiederholte ash-Shara', dass er sich für eine freiwillige Rekrutierung entschieden habe und gegen eine Wehrpflicht. Bereits Tausende von Freiwilligen hätten sich der neuen Armee angeschlossen (Arabiya 10.2.2025a; vgl. AJ 10.2.2025a). Wehrpflichtigen der Syrischen Arabischen Armee (Syrian Arab Army - SAA) wurde eine Amnestie gewährt (REU 11.12.2024b). Ahmed ash-Shara' hat versprochen, dass die neue Führung die höchsten Ränge des ehemaligen Militärs und der Sicherheitskräfte wegen Kriegsverbrechen strafrechtlich verfolgen wird. Was dies jedoch für die Fußsoldaten des ehemaligen Regimes bedeuten könnte oder wo die diesbezüglichen Grenzen gezogen werden, bleibt unklar (Guardian 13.1.2025). Die neue Übergangsregierung Syriens hat sogenannte "Versöhnungszentren" eingerichtet, sagte Abu Qasra, neuer syrischer Verteidigungsminister. Diese wurden bereits gut genutzt, auch von hochrangigen Personen, und die Nutzer erhielten vorübergehende Niederlassungskarten. Eine beträchtliche Anzahl habe auch ihre Waffen abgegeben (Al Majalla 24.1.2025). Der Hauptsitz des Geheimdienstes in Damaskus ist jetzt ein "Versöhnungszentrum", wo die neuen syrischen Behörden diejenigen, die dort gedient haben, auffordern, sich zu stellen und ihre Waffen im Geheimdienstgebäude abzugeben. Im Innenhof warten Menschenschlangen darauf, Zettel zu erhalten, die besagen, dass sie sich offiziell ergeben und mit der neuen Regierung versöhnt haben, während ehemalige Aufständische in neuen Uniformen im Militärstil die abgegebenen Pistolen, Gewehre und Munition untersuchen. Ehemalige Offiziere, die sich für die neue Regierung Syriens als nützlich erweisen könnten, beispielsweise, weil sie Informationen über Personen haben, die international gesucht werden, haben wenig zu befürchten, solange sie kooperieren (Guardian 13.1.2025). In diesen "Versöhnungszentren" erhielten die Soldaten einen Ausweis mit dem Vermerk "desertiert". Ihnen wurde mitgeteilt, dass man sie bezüglich ihrer Wiedereingliederung kontaktieren würde (Chatham 10.3.2025).
Die Rolle der übergelaufenen syrischen Armeeoffiziere in der neuen Militärstruktur ist unklar. Während ihr Fachwissen beim Aufbau einer Berufsarmee von unschätzbarem Wert sein könnte, bestehen weiterhin Bedenken hinsichtlich ihrer Marginalisierung innerhalb der neuen Machtstruktur (DNewsEgy 3.2.2025). Unter al-Assad war die Einberufung in die Armee für erwachsene Männer obligatorisch. Wehrpflichtige mussten ihren zivilen Ausweis abgeben und erhielten stattdessen einen Militärausweis. Ohne einen zivilen Ausweis ist es schwierig, einen Job zu finden oder sich frei im Land zu bewegen, was zum Teil erklärt, warum Zehntausende in den "Versöhnungszentren" in verschiedenen Städten aufgetaucht sind (BBC 29.12.2024). Ehemalige Soldaten und Geheimdienstmitarbeiter des Assad-Regimes, ca. 4.000 bis 5.000 Männer in Latakia und Tartus, haben sich diesen "Versöhnungsprozessen" entzogen. Einige von ihnen wurden im Rahmen einer landesweiten Kampagne mit täglichen Suchaktionen und gezielten Razzien gefasst, andere jedoch haben sich zu bewaffnetem Widerstand gegen die Übergangsregierung entschlossen (MEI 13.3.2025).
Der Übergangspräsident Ahmed ash-Shara' hat die Vision einer neuen „Nationalen Armee“ geäußert, die alle ehemaligen Oppositionsgruppen einbezieht. Diese Vision beinhaltet einen Prozess der Entwaffnung, Demobilisierung und Wiedereingliederung, bei dem Hay'at Tahrir ash-Sham (HTS) angeblich die Führung übernehmen soll (DNewsEgy 3.2.2025). Der syrische Verteidigungsminister Abu Qasra kündigte am 6.1.2025 den Beginn von Sitzungen mit militärischen Gruppierungen an, um Schritte zu deren Integration in das Verteidigungsministerium zu entwickeln (Arabiya 6.1.2025b). Hochrangige Beamte des neuen Regimes führten Gespräche über die Eingliederung von Milizen in das Verteidigungsministerium und die Umstrukturierung der syrischen Armee mit Vertretern unterschiedlicher bewaffneter Gruppierungen, wie Fraktionen der Syrischen Nationalen Armee (Syrian National Army - SNA) (MAITIC 9.1.2025). Die Behörden gaben Vereinbarungen mit bewaffneten Rebellengruppen bekannt, diese aufzulösen und in die vereinte syrische Nationalarmee zu integrieren (UNSC 7.1.2025). Die einzige Möglichkeit, eine kohärente militärische Institution aufzubauen, besteht laut Abu Qasra darin, die Gruppierungen vollständig in das Verteidigungsministerium unter einer einheitlichen Struktur zu integrieren. Die Grundlage für diese Institution muss die Rechtsstaatlichkeit sein (Al Majalla 24.1.2025). Es bleibt abzuwarten, wie die neue Armee Syriens aussehen wird und ob sie auf einer anderen Struktur als die Armee des Assad-Regimes basieren wird. Dazu gehören Fragen in Bezug auf Brigaden, Divisionen und kleine Formationen sowie Fragen in Bezug auf die Art der Bewaffnung, ihre Form und die Art der Mission. (AlHurra 12.2.2025).
Die Umstrukturierung des syrischen Militärs hat gerade erst begonnen. Der neue de-facto-Führer hat versprochen, die neue Armee in eine professionelle, auf Freiwilligen basierende Truppe umzuwandeln, um die Professionalität in den Reihen zu fördern und sich von der Wehrpflichtpolitik zu entfernen, die das zusammengebrochene Assad-Regime charakterisierte (TR-Today 8.1.2025). Medienberichten zufolge wurden mehrere ausländische islamistische Kämpfer in hohe militärische Positionen berufen. Ash-Shara' hatte Berichten zufolge außerdem vorgeschlagen, ausländischen Kämpfern und ihren Familien aufgrund ihrer Rolle im Kampf gegen al-Assad die Staatsbürgerschaft zu verleihen (UNSC 7.1.2025).
Syrische Medien berichten, dass die neue Regierung aktiv Personen für die Armee und die Polizei rekrutiert. Damit soll der dringende Bedarf an Kräften gedeckt werden. Neue Soldaten, Unteroffiziere und Offiziere werden Berichten zufolge durch intensive Programme rekrutiert, die von den traditionellen akademischen und Ausbildungsstandards abweichen. Der Prozess der Vorbereitung von Militär- und Sicherheitskadern wird beschleunigt, um den Bedürfnissen des neuen Staates gerecht zu werden (SCI o.D.). Am 10.2.2025 gab Übergangspräsident ash-Shara' an, dass sich Tausende von Freiwilligen der neuen Armee angeschlossen haben (Arabiya 10.2.2025a). Viele junge Männer ließen sich einem Bericht des syrischen Fernsehsenders Syria TV zufolge für die neue Armee rekrutieren. Insbesondere seien junge Männer in Idlib in dieser Hinsicht engagiert. Die Rekrutierungsabteilung der neuen syrischen Verwaltung in der Provinz Deir ez-Zour gab bekannt, dass wenige Wochen nach der Übernahme der Kontrolle über die Provinz durch den Staat etwa 1.200 neue Rekruten in ihre Reihen aufgenommen wurden. In den den ländlichen Gebieten von Damaskus treten junge Männer vor allem der Kriminalpolizei bei (Syria TV 21.2.2025). Die Rekrutierungsabteilung von Aleppo teilte am 12.2.2025 mit, dass bis zum 15.2.2025 eine Rekrutierung in die Reihen des Verteidigungsministeriums läuft. Dort ist die Aufnahmebedingung für junge Männer, dass sie zwischen 18 und 22 Jahre alt, ledig und frei von chronischen Krankheiten und Verletzungen sein müssen (Enab 12.2.2025). Das syrische Verteidigungsministerium hat am 17.3.2025 mehrere Rekrutierungszentren im Gouvernement Dara'a in Südsyrien eröffnet (NPA 17.3.2025). Das Innenministerium hat seitdem Rekrutierungszentren in allen von der Regierung kontrollierten Gebieten eröffnet (ISW 16.4.2025). Berichten zufolge verlangt die neue Regierung von neuen Rekruten eine 21-tägige Scharia-Ausbildung (FDD 28.1.2025).
Ende Februar 2025 verbreiteten Facebook-Seiten die Behauptung, die Allgemeine Sicherheit habe in Jableh, Banyas und Qardaha Checkpoints eingerichtet, um jeden zu verhaften, der eine Siedlungskarte besitzt. Die Seiten behaupten, dass die Allgemeine Sicherheit die Verhafteten nach Südsyrien verlegt, wo es zu einer Eskalation durch die israelische Besatzung kommt. Die syrische Regierung dementierte die Durchführung von Rekrutierungskampagnen in den Provinzen Latakia und Tartus. Die Rekrutierung basiere weiterhin auf Freiwilligkeit (Syria TV 26.2.2025).
Wehr- und Reservedienst in den Gebieten unter der Kontrolle der kurdisch dominierten SDF - Demokratische Autonome Administration von Nord- und Ostsyrien (DAANES)
Letzte Änderung 2025-05-08 15:58
Wehrdienst
Der Gesellschaftsvertrag von 2023 regelt in der Demokratischen Autonomen Administration von Nord- und Ostsyrien (DAANES) in Abschnitt 5 die Selbstverteidigungspflicht. Artikel 111 besagt, dass Selbstverteidigung eine Garantie und Fortsetzung des Lebens, und basierend auf dem Recht und der Pflicht ist, die Existenz zu verteidigen. Sie erfordert die Einrichtung eines Selbstschutzsystems, das auf dem Bewusstsein der legitimen Selbstverteidigung und der organisierten demokratischen Gesellschaft in Nord- und Ostsyrien beruht. Einerseits gibt es die Community Protection Forces, die für den Schutz Nord- und Ostsyriens und die Gewährleistung des Schutzes von Leben und Eigentum der Bürger vor allen Angriffen und Besatzungen verantwortlich sind. Die Community Protection Forces werden unter Beteiligung aller Bürger organisiert. Selbstverteidigung ist ein Recht und eine Pflicht für jeden Bürger. Es ist die Pflicht organisierter ethnischer und religiöser Gruppen, sich wirksam am Selbstverteidigungssystem zu beteiligen, angefangen bei Stadtvierteln, Dörfern, Städten und allen Wohneinheiten. Anderseits erwähnt Artikel 111 auch die Syrischen Demokratischen Kräfte (Syrian Democratic Forces - SDF). Sie sind die legitimen Verteidigungskräfte in der Demokratischen Autonomen Verwaltung Nord- und Ostsyriens. Sie nehmen den freiwilligen Beitritt der Söhne und Töchter des Volkes und die Pflicht zur Selbstverteidigung an. Ihre Aktivitäten werden vom Demokratischen Volksrat und der Verteidigungskommission überwacht. Sie organisieren sich autonom innerhalb des Demokratischen Konföderalen Systems Nord- und Ostsyrien und haben die Aufgabe, die DAANES und alle syrischen Gebiete zu verteidigen und sie vor jeglichen potenziellen Angriffen oder Gefahren von außen zu schützen (RIC 14.12.2023). Laut Gesetz Nr. 1 zur Selbstverteidigung gelten Männer mit Vollendung des 18. Lebensjahres als wehrpflichtig und müssen den Selbstverteidigungsdienst bis zum vierzigsten Lebensjahr vollendet haben (Artikel 13). Wehrpflichtig ist jeder männliche Bewohner der Region Nord- und Ostsyrien, der das gesetzliche Alter für die Ausübung des Selbstverteidigungsdienstes erreicht hat, bzw. jeder, der seit mehr als drei Jahren dauerhaft in Nord- und Ostsyrien ansässig ist und die syrische Staatsangehörigkeit besitzt (Artikel 1) (AANES-GC 22.2.2024). Zwei Quellen, die vom Danish Immigration Service (DIS) befragt wurden, äußerten jedoch Zweifel an der konsequenten Einberufung von Personen von außerhalb der DAANES in allen Regionen (DIS 6.2024). Frauen in den von der Autonomen Verwaltung kontrollierten Gebieten können freiwillig Wehrdienst leisten (Enab 22.2.2024). Wladimir van Wilgenburg, Journalist und Autor, und ein Experte für syrische Kurden haben noch von keinem Fall gehört, in dem Frauen zwangsweise zur Selbstverteidigung eingezogen wurden (DIS 6.2024).
Das sogenannte Verteidigungsbüro des Exekutivrats der „Demokratischen Autonomen Verwaltung von Nord- und Ostsyrien“ hat die für die Wehrpflicht erforderlichen Geburtsjahrgänge festgelegt, während die Verhaftungskampagnen gegen junge Menschen für die Einberufung in die Reihen der SDF weitergehen. Die Erklärung wurde vom Verteidigungsbüro der Autonomen Verwaltung an alle Verteidigungsbüros in der Region verteilt. Darin steht, dass wer zwischen dem 1.1.1998 und dem 31.12.2005 für den Dienst der Selbstverteidigung wehrpflichtig ist (Shaam 10.1.2024). Bereits vier Tage nach dem Erlass der Richtlinien, in der die Geburtsjahrgänge für die Selbstverteidigungspflicht bekannt gemacht wurden, nahmen die SDF eine Rekrutierungskampagne in al-Hasaka im Juni 2024 wieder auf, nachdem sie im Monat zuvor, am 8.5.2024 die Rekrutierungsprozesse eingestellt hatten (Enab 27.6.2024a). Anfang Juli 2024 wurden beispielsweise 240 Personen in den Provinzen Deir ez-Zour, al-Hasaka und ar-Raqqa gefangen genommen, um sie für den Militärdienst zu rekrutieren (SO 2.7.2024). Die Dienstzeit im Selbstverteidigungsdienst beträgt laut Artikel 2 des Gesetzes Nr. 1 über die Selbstverteidigungspflicht zwölf volle Monate beginnend mit dem Datum der Einschreibung des Wehrpflichtigen (AANES-GC 22.2.2024).
2014 wurde die Zwangsrekrutierung von den Volksschutzeinheiten (Yekîneyên Parastina Gel - YPG), einer militärischen Säule der SDF, im Anschluss an das Dohuk-Abkommen, bei dem sich die kurdischen Parteien in der irakischen Stadt Dohuk getroffen hatten, um eine Einigung über die Verwaltung der Region zu erzielen, eingeführt (Enab 22.2.2024).
Araber und Kurden werden laut von ACCORD befragten Experten vor dem Gesetz gleichbehandelt. Fabrice Balanche erklärt jedoch, dass mehr Flexibilität gegenüber Arabern gezeigt werden würde, um einen Aufstand zu vermeiden. Arabische Stammesführer hätten lokal die Macht und würden für bestimmte junge Araber Ausnahmen und Aufschiebungen erwirken. Einem Syrienexperten zufolge seien die speziellen Konsequenzen für Araber von Region zu Region unterschiedlich. Nicht alle von den SDF kontrollierten Gebiete stünden unter derselben Art von Kontrolle. In den vornehmlich arabisch besiedelten Stammesregionen von Deir ez-Zour hätten die SDF beispielsweise nicht die Kapazität, eine direkte Rekrutierung wie in der Provinz al-Hasaka durchzusetzen. Anders als Balanche meint Muhsen Al-Mustafa, Forscher am Omran Center for Strategic Studies, dass arabische Wehrdienstverweigerer bei der Festnahme anders behandelt werden und Beleidigungen und Gewalt ausgesetzt sein könnten (ACCORD 6.9.2023). Quellen des Danish Immigration Service (DIS) zufolge ist DAANES bei der Umsetzung des Gesetzes zur Selbstverteidigung in Gebieten mit überwiegend arabischer Bevölkerung vorsichtig. Ebenso werden Christen in der Praxis nicht der gleichen Durchsetzung des Gesetzes zur Selbstverteidigung unterworfen wie Kurden, so eine weitere Quelle. Daher nehmen christliche Jugendliche in der Regel nicht an der Selbstverteidigungspflicht teil, sondern treten stattdessen für drei Jahre der christlichen Polizeitruppe Sutoro bei. Dieser Dienst befreit sie von der Selbstverteidigungspflicht (DIS 6.2024).
Mehrere Quellen des DIS, darunter ein ehemaliger Rekrut, der seine Wehrpflicht vor zwei Jahren erfüllt hat, berichteten, dass der Selbstverteidigungsdienst mit einem grundlegenden theoretischen und praktischen militärischen Ausbildungsprogramm beginnt. Während des theoretischen Teils erhalten die Wehrpflichtigen Unterricht in allgemeiner Geschichte der Nationalen Streitkräfte sowie in Kultur und Ethik. Sie erhalten auch eine theoretische Einführung in militärische Themen, einschließlich militärischer Begriffe und Waffen. Im praktischen Teil des Ausbildungsprogramms absolvieren die Wehrpflichtigen ein körperliches Training und eine Waffenausbildung. Während der ersten Phase der Grundausbildung haben die Wehrpflichtigen keinen einzigen Tag frei. Nach Abschluss ihrer Ausbildung haben sie acht bis zehn Tage frei, bevor sie in ihren jeweiligen Einheiten und Aufgabenbereichen eingesetzt werden. Anschließend haben die Wehrpflichtigen für den Rest ihres Dienstes alle zehn Tage einen Tag frei. Nach der Ausbildungszeit, die bis zu zwei Monate dauert, werden die Wehrpflichtigen verschiedenen Aufgaben in unterschiedlichen Zentren oder Einheiten zugewiesen, wo sie für den Rest ihres Dienstes tätig sind. Die Ausbildung oder Qualifikationen der Wehrpflichtigen werden bei der Zuweisung ihrer Aufgaben oft berücksichtigt. So werden beispielsweise diejenigen mit einem besseren Bildungshintergrund und besseren Fähigkeiten Aufgaben in Büros oder Einrichtungen zugewiesen, die von ihren Fähigkeiten profitieren könnten. Wehrpflichtige mit niedrigem oder ohne Bildungshintergrund werden oft für Aufgaben im Zusammenhang mit der Bewachung oder dem Schutz öffentlicher Gebäude eingesetzt. Im Allgemeinen werden die Wehrpflichtigen nicht in Kampfsituationen eingesetzt. Es gab jedoch Fälle, in denen die Wehrpflichtigen in Kampfsituationen verwickelt waren, z. B. während der Schlacht um Afrin im Jahr 2018, bei schweren Kämpfen in Deir ez-Zour im Sommer 2023, bei den Kämpfen in Tell Abyad und bei Angriffen des Islamischen Staats (IS) auf das Gefängnis von al-Hasaka (2022), das hauptsächlich von Wehrpflichtigen bewacht wurde (DIS 6.2024).
Aufschub und Befreiung
Die Gesetzgebung erlaubt es Personen, die zur Selbstverteidigung verpflichtet sind, ihren Dienst aufzuschieben oder sich davon befreien zu lassen, je nach ihren individuellen Umständen. Diese Regeln, die unter anderem Ausnahmen aus medizinischen Gründen und Aufschübe für Studierende oder im Ausland lebende Personen vorsehen, werden von der DAANES aufrechterhalten und durchgesetzt. Einer Person, der eine Befreiung oder Entlassung von der Selbstverteidigungspflicht gewährt wurde, wird dies in ihrem Selbstverteidigungsheft vermerkt (DIS 6.2024). Das Gesetz Nr. 1 über die Selbstverteidigungspflicht erlaubt es durch Artikel 16 Studierenden, wenn diese die erforderlichen Unterlagen vorlegen, ihre Einberufung jeweils für ein akademisches Jahr, beginnend mit 15. März jeden Jahres, aufzuschieben (AANES-GC 22.2.2024). Im September 2023 nahm die Selbstverwaltung im Nordosten Syriens Änderungen im Gesetz zur Selbstverteidigung vor. Die Änderungen legen eine bestimmte Altersgrenze für den Aufschub des Studiums fest, und zwar für jede einzelne Ausbildungsstufe. So kann ein Masterstudent den Dienst bis zum Alter von 32 Jahren aufschieben und hat kein Recht auf Aufschub nach diesem Alter, auch wenn er seine Studien oder einen weiteren Studienzweig noch nicht abgeschlossen hat. Ein neuer Artikel Nr. 30 wurde dem Gesetz hinzugefügt, der vorsieht, dass Ärzte und Apotheker, die ihr Studium abgeschlossen haben und sich zum Dienst auf dem Land verpflichten, ihren Wehrdienst um ein volles Jahr aufschieben können, sofern der Antragsteller das 30. Lebensjahr nicht überschritten hat. Bereits im Jahr 2018 wurde das Gesetz geändert, beispielsweise wurde ein Aufschub von Universitätsstudenten, des einzigen Kindes in der Familie, wie von Familien der Gefallenen und derjenigen, die Brüder in den Inneren Sicherheitskräften (Assayish) und der YPG haben (Enab 22.2.2024). Laut Artikel 17 wird Studenten, die einen Studienaufschub erhalten haben und das Alter für die Aufnahme des Studiums noch nicht erreicht haben, wie z. B. Studenten, die einen Studienaufschub erhalten haben, während sie noch 17 Jahre alt waren, dieses Jahr nicht als eines der Aufschubjahre gezählt. (AANES-GC 22.2.2024). Darüber hinaus stellte eine Quelle des Verteidigungsministeriums der DAANES klar, dass Studierende nicht an Bildungseinrichtungen innerhalb der DAANES eingeschrieben sein müssen, um für eine Aussetzung ihrer Selbstverteidigungspflicht infrage zu kommen. Sie können auch an Einrichtungen in von der syrischen Regierung kontrollierten Gebieten oder in den Nachbarländern Syriens, einschließlich der Türkei, des Irak, des Libanon und Jordaniens, eingeschrieben sein (DIS 6.2024).
Gemäß Artikel 25 des Gesetzes Nr. 1 über die Selbstverteidigungspflicht wird Brüdern von Wehrpflichtigen derselben Mutter innerhalb der Selbstverteidigungspflicht, die den Ausbildungskurs abgeschlossen haben, ein Aufschub gewährt. Dieser Aufschub wird zweimal für jeweils sechs Monate gewährt. Artikel 26 regelt administrative Aufschübe. So kann, wer frisch von außerhalb Syriens zurückgekehrt ist, eine Aufschiebung für maximal sechs Monate bekommen. Der einzige Bruder eines Vermissten kann einen Aufschub für zwei Jahre bekommen. Geschwister, die das 18. Lebensjahr noch nicht vollendet haben und deren Eltern verstorben oder behindert sind, können ein Jahr aufschieben. Die genannten Aufschübe werden nach einer Überprüfung durch das Zentrum für Selbstverteidigungsaufgaben und der Genehmigung durch die Abteilung für Selbstverteidigungsaufgaben gewährt (AANES-GC 22.2.2024). Personen, die mindestens drei Jahre lang in einer Einrichtung oder Truppe unter dem DAANES gedient haben, können von der Selbstverteidigungspflicht befreit werden. Dies gilt für bezahlte, auf einem Vertrag basierende Dienste in jeder vom DAANES anerkannten Einrichtung, wie z. B. der Verkehrspolizei. Ehemalige Mitglieder der Internen Sicherheitskräfte (Assayish) oder der SDF sind vom Selbstverteidigungsdienst befreit, wenn sie bereits zwischen 2012 und 2015 mindestens zwei Jahre lang bei der Assayish oder der SDF gedient haben. Auch Personen, die derzeit drei bis fünf Jahre lang bei der Assayish oder der SDF dienen, können eine Befreiung beantragen. Junge Männer, die nicht dienen wollen, können alternative Wege in Betracht ziehen, um die Vorschriften des Gesetzes über die Selbstverteidigungspflicht zu erfüllen. Eine Möglichkeit besteht darin, drei Jahre lang bei der Verkehrspolizei zu dienen, wodurch sie sich für eine Befreiung von ihrer Selbstverteidigungspflicht qualifizieren würden (DIS 6.2024).
Von der Pflicht zur Selbstverteidigung befreit sind laut Artikel 29 des Gesetzes Nr. 1 über die Selbstverteidigungspflicht: Kinder und Geschwister von Märtyrern, die offiziell in den Registern der Märtyrer-Familien-Kommission eingetragen sind und eine Bescheinigung über das Märtyrertum besitzen, Personen mit besonderen Bedürfnissen und Patienten mit Krankheiten, die sie an der Ausübung ihrer Pflicht hindern, gemäß den medizinischen Berichten des militärmedizinischen Zentrums und der Genehmigung der Verteidigung in den autonomen und zivilen Verwaltungen, der einzige Sohn von Eltern oder eines Elternteils, unabhängig davon, ob beide leben oder tot sind, ein Findelkind, dessen Abstammung nicht bekannt ist. Alle männlichen Geschwister mit besonderen Bedürfnissen werden gemäß den Berichten des militärmedizinischen Zentrums als das einzige Geschwisterkind behandelt (AANES-GC 22.2.2024). Je nach Art der Erkrankung kann eine Person entweder von der Dienstpflicht befreit oder von ihr zurückgestellt werden. Medizinische Befreiungen werden bei körperlichen und psychischen Erkrankungen gewährt, die die betreffende Person daran hindern, der Selbstverteidigungspflicht nachzukommen. In solchen Fällen wird eine medizinische Untersuchung durchgeführt, um die Dienstfähigkeit der Person festzustellen. Gemäß Artikel 29 des Gesetzes über die Selbstverteidigungspflicht können Personen mit besonderen Bedürfnissen und Patienten mit Krankheiten, die sie an der Erfüllung der Selbstverteidigungspflicht hindern, von der Pflicht befreit werden, wenn sie über einen genehmigten medizinischen Bericht des Militärmedizinischem Zentrums und die Genehmigung der Verteidigungsämter in Verwaltungs- und Zivilabteilungen verfügen. Ein syrischer Universitätsprofessor teilte dem Danish Immigration Service mit, dass die Regeln für medizinische Ausnahmen weiterhin von den DAANES-Behörden umgesetzt und eingehalten werden (DIS 6.2024).
Gemäß Artikel 27 des Gesetzes Nr. 1 über die Selbstverteidigungsdienstpflicht müssen Einwohner und Inhaber einer Aufenthaltserlaubnis aus allen Ländern mit Ausnahme der Länder, die eine Landgrenze zu Syrien haben, eine jährliche Aufschubgebühr von 400 US-Dollar für jedes Jahr ab Inkrafttreten des Gesetzes zahlen (AANES-GC 22.2.2024). Die Stundung durch Zahlung dieser Gebühr kann insgesamt zweimal in Anspruch genommen werden. Einzelpersonen können sich innerhalb der DAANES frei bewegen, ohne nach Zahlung der Gebühr zur Selbstverteidigung eingezogen zu werden. Einzelpersonen aus den DAANES, die in den Nachbarländern Syriens leben, können eine Stundung aus Bildungsgründen erhalten, z. B. wenn sie an einer Bildungseinrichtung in der Türkei eingeschrieben sind (DIS 6.2024). Gemäß Artikel 36 des Gesetzes Nr. 1 über die Selbstverteidigungsdienstpflicht sind Personen nicht verpflichtet, den Selbstverteidigungsdienst zu leisten, wenn sie eine nicht-syrische Staatsbürgerschaft erhalten (AANES-GC 22.2.2024). Männer in der entsprechenden Altersgruppe, die Syrien verlassen haben, aber nach Überschreitung des Höchstalters für den Dienst zurückkehren, erhalten in der Regel Amnestie. Es kann jedoch eine Geldstrafe von bis zu 300 US-Dollar verhängt werden (DIS 6.2024).
Wehrpflichtverweigerer und Deserteure
Gemäß Artikel 15 des Gesetzes Nr. 1. über die Selbstverteidigungspflicht wird jeder säumige Soldat, der eingezogen wird, bestraft, indem er einen Monat auf das Ende seiner Dienstzeit angerechnet bekommt (AANES-GC 22.2.2024). Dass die Bestrafung mit einem zusätzlichen Monat auch in der Praxis so gehandhabt wird, bestätigten die von der Danish Immigration Service befragten Quellen. Die Namen der Wehrdienstverweigerer werden veröffentlicht und an Checkpoints weitergegeben. Dort wird nach ihnen gesucht, nicht aber in ihren Wohnhäusern (DIS 6.2024). Diejenigen, die auf frischer Tat beim illegalen Überschreiten der Grenze ertappt werden, werden direkt in das Ausbildungszentrum gebracht, um ihre Pflicht zur Selbstverteidigung zu erfüllen, besagt Artikel 28 im Gesetz Nr. 1 zur Selbstverteidigungspflicht (AANES-GC 22.2.2024). Gemäß Quellen des Danish Immigration Service (DIS) werden Wehrdienstverweigerer, wenn sie an Checkpoints aufgegriffen werden, vorübergehend festgenommen und zur Ableistung ihres Dienstes geschickt. Die Familie des Betroffenen wird über seine Festnahme und Einberufung informiert. Den Quellen des DIS waren keine Fälle von Gewalt oder Misshandlung von Wehrdienstverweigerern oder Deserteuren bekannt, die an Kontrollpunkten gefasst wurden. Das Leben ist für diejenigen, die sich der Selbstverteidigungspflicht in den Nationalen Sicherheitskräften entziehen, eine Herausforderung, da viele junge Männer Kontrollpunkte meiden und auf Fluchtmöglichkeiten warten. Quellen berichteten von Entflohenen, die sich jahrelang versteckt hielten. In arabisch dominierten Gebieten kann die Flucht länger andauern, da die Behörden vorsichtig vorgehen, um keine Spannungen zu provozieren, indem sie diejenigen suchen und verhaften, die ihrer Pflicht nicht nachgekommen sind (DIS 6.2024). Al-Mustafa, Forscher am Omran Center for Strategic Studies, schreibt in einer E-Mail an ACCORD vom September 2023, dass alle Wehrdienstverweigerer unter die Bestimmungen des Gesetzes zur Selbstverteidigungspflicht fallen würden und dem Gesetz entsprechend behandelt würden. Die Assayish würden den Wohnort von zum Dienst gesuchten Personen durchsuchen, an Checkpoints Rekrutierungslisten überprüfen und die Gesuchten verhaften. Nach dem Gesetz werde jede Person, die dem Dienst fernbleiben, verhaftet und mit einer Verlängerung des Dienstes um einen Monat bestraft. Ein von ACCORD kontaktierter Syrienexperte gibt in einer E-Mail-Auskunft vom August 2023 an, dass die Konsequenzen bei Verweigerung des Dienstes in den Selbstverteidigungskräften vom Profil des Wehrpflichtigen und der Region, aus der er stamme, abhingen. Je strenger die kurdische Kontrolle, desto höher sei die Wahrscheinlichkeit, dass Rekruten nicht das Risiko eingehen würden, offen Einwände gegen den Selbstverteidigungsdienst zu zeigen. In al-Hasaka beispielsweise könnten Personen im dienstfähigen Alter verhaftet und zum Dienst gezwungen werden (ACCORD 6.9.2023).
Die SDF definieren einen Deserteur im Selbstverteidigungsgesetz als einen Kämpfer, der nach seinem Eintritt 15 aufeinanderfolgende Tage des Dienstes versäumt hat, während die volle Dienstzeit zwölf Monate beträgt (Enab 22.2.2024). Laut zwei vom DIS befragten Quellen werden Deserteure zwar nicht zusätzlich bestraft, aber es werden Ermittlungen zu ihren Motiven für die Desertion durchgeführt. Deserteure entscheiden sich oft dafür, die Region aus Angst vor möglichen Konsequenzen zu verlassen, obwohl die Einzelheiten dieser Konsequenzen unklar bleiben. Sowohl für Wehrdienstverweigerer als auch für Deserteure werden regelmäßig Amnestien angekündigt, vorausgesetzt, sie melden sich zum Wehrdienst und leisten ihn ab. Die jüngste Amnestie wurde Anfang Mai 2024 erlassen. Junge Menschen kommen ihren Verpflichtungen zur Selbstverteidigung in der Regel umgehend nach, wenn in der DAANES eine stabile Sicherheitslage herrscht, während sie sich bei anhaltenden externen Sicherheitsbedrohungen aktiv um eine Dienstverweigerung bemühen können (DIS 6.2024).
Familienangehörige von Wehrdienstverweigerern und Deserteuren werden nicht bestraft. Den Quellen des DIS waren keine Fälle bekannt, in denen Familienmitglieder von Wehrdienstverweigerern und Deserteuren aufgrund der Wehrdienstverweigerung oder Desertion ihrer Verwandten Schikanen oder anderen Verstößen ausgesetzt waren, selbst in Fällen, in denen der Wehrdienstverweigerer an einem Checkpoint festgenommen wurden (DIS 6.2024).
Die syrischen Streitkräfte - Wehr- und Reservedienst (Stand 3.12.2024)
Letzte Änderung 2025-05-08 15:58
In der syrischen Verfassung von 2012 wurde die Wehrpflicht im Artikel 46 festgehalten. Darin stand, dass die Wehrpflicht eine heilige Pflicht ist, die durch Gesetze geregelt wird. Im zweiten Absatz stand, dass die Verteidigung der territorialen Integrität des Heimatlandes und die Wahrung der Staatsgeheimnisse Pflicht eines jeden Bürgers sind (SeG 24.2.2012). Männliche syrische Staatsbürger unterlagen grundsätzlich ab dem Alter von 18 Jahren dem verpflichtenden Wehrdienst für die Dauer von sieben Jahren. Unter 18-Jährige wurden von der syrischen Armee nicht eingezogen (ÖB Damaskus 2023). Im Gesetzesdekret Nr. 30, das 2007 erlassen worden ist, wurde der Wehrdienst gesetzlich geregelt. Die Dauer des Wehrdienstes betrug 24 Monate. Die Wehrpflicht begann am ersten Tag des Monats Jänner des Jahres, in dem der Bürger das achtzehnte Lebensjahr vollendete und endete in dem Jahr, in dem der Wehrpflichtige das zweiundvierzigste Lebensjahr überschritt oder er wurde von der Wehrpflicht befreit (PoS 12.5.2007). Laut Vertrauensanwalt der österreichischen Botschaft in Damaskus betrug die offizielle Wehrdienstzeit 2,5 Jahre. Danach musste man noch Reservedienst leisten. Dieser dauerte seit Ausbruch der Krise im Jahr 2011 oft bis zu sieben oder acht Jahre, sodass viele insgesamt zehn bis zwölf Jahre Wehrdienst leisten mussten (VA der ÖB Damaskus 22.9.2024). Bis vor den Fall des Regimes dauerte die Wehrdienstzeit oft nur mehr 6 oder 6,5 Jahre lang (OrthoPatSYR 22.9.2024). […]
Allgemeine Menschenrechtslage in den Gebieten unter der Kontrolle der kurdisch dominierten SDF - Demokratische Autonome Region Nord- und Ostsyrien (DAANES)
Teile der Syrischen Demokratischen Kräfte (Syrian Democratic Forces - SDF) sollen sich an Menschenrechtsverletzungen beteiligt haben, darunter Angriffe auf Wohngebiete, körperliche Misshandlung, ungerechtfertigte Inhaftierungen, Rekrutierung oder Einsatz von Kindersoldaten, Einschränkungen der Meinungs- und Versammlungsfreiheit sowie Zerstörung und Abriss von Häusern. Die SDF untersuchten einige Vorwürfe gegen ihre Streitkräfte und verhängten Strafen gegen einige Mitglieder wegen Menschenrechtsverletzungen, aber es lagen keine Statistiken vor. Die SDF und andere Oppositionsgruppen belegten Menschenrechtsorganisationen gelegentlich mit Einschränkungen oder schikanierten einzelne Aktivisten. In einigen Fällen wurden sie sogar inhaftiert (USDOS 22.4.2024). Die inneren Sicherheitskräfte (Assayish) und die Anti-Terror-Einheiten (Yekîneyên Antî Teror - YAT), die beide der DAANES angehören, haben an zahlreichen Orten im Nordosten willkürliche Verhaftungen vorgenommen (FES 1.4.2024).
2. Beweiswürdigung:
2.1. Zur Person des Beschwerdeführers:
Die Feststellungen zur Person, zur Volksgruppen- und Religionszugehörigkeit, zum Geburtsort des BF sowie zu seinem Leben in Syrien ergeben sich aus seinen über das ganze Verfahren hinweg glaubhaften und im wesentlichen Kern gleichbleibenden und stimmigen Angaben und den vorgelegten Dokumenten, gestützt vom persönlichen Eindruck, der im Zuge der durchgeführten mündlichen Beschwerdeverhandlung vom Beschwerdeführer und seinem Vorbringen gewonnen werden konnte. Hinsichtlich der Reiseroute des BF nach Erbil folgt das Gericht den plausibel erscheinenden Angaben des BF in der Beschwerdeverhandlung.
Dass sich XXXX unter Kontrolle der SDF befindet, ergibt sich aus den Angaben des BF in Übereinstimmung mit der aktuellen Version der Syria-Live-Map (https://syria.liveuamap.com).
2.2. Zu den Feststellungen zur Situation im Herkunftsstaat
Die Feststellungen zur Situation im Herkunftsstaat der BF beruhen zunächst auf den wiedergegebenen Auszügen aus dem am 08.05.2025 veröffentlichten Länderinformationsblatt der Staatendokumentation des BFA zu Syrien, Version 12, (LIB), und den darin enthaltenen Detailquellen.
Was die Konsequenzen einer Verweigerung des Selbstvereidigungsdienstes angeht, wird nicht übersehen, dass die Länderinformationen auch teilweise davon ausgehen, dass eine ein- bis zweiwöchige Inhaftierung über Personen, die sich dem Wehrdienst entzogen haben, verhängt, um in dieser Zeit die Zuführung der Wehrpflichtigen zu der Einheit, bei der sie den Wehrdienst leisten sollen, zu organisieren. Daraus lässt sich nun aber nicht ableiten, dass mit der Verrichtung der Wehrpflicht nach den Bestimmungen der AANES eine unverhältnismäßige Belastung bzw. Benachteiligung oder eine unverhältnismäßige Bestrafung für Wehrdienstverweigerer verbunden ist. Bemerkt wird dazu insbesondere, dass die Länderinformationen keine Misshandlungen der inhaftierten Wehrdienstverweigerer belegen können.
Dies ergibt sich aus den auch weiterhin aktuellen Länderinformationen (vgl. LIB, Version 12). So heißt es hiezu in der ACCORD-Anfragebeantwortung vom 18.08.2023 und 06.09.2023 auszugsweise:
„Laut Fabrice Balanche und drei lokalen Bewohnern der Provinz Hasaka könnten gefasste Wehrpflichtige, die sich dem Dienst entzogen hätten, von den Behörden festgehalten werden, bis ihr Status geklärt sei (DIS, Juni 2022, S. 42) oder ein geeigneter Ausbildungsort für sie gefunden werde (DIS, Juni 2022, S. 61). Laut Fabrice Balanche könnten Wehrpflichtige aus diesem Grund für ein bis zwei Tage (DIS, Juni 2022, S. 42), laut den Bewohnern von Hasaka ein bis zwei Wochen (DIS, Juni 2022, S. 61) inhaftiert werden. Beide Quellen hätten nicht von Misshandlungen während der Haftzeit gehört (DIS, Juni 2022, S. 42; DIS, Juni 2022, S. 62) Der/Die Repräsentant·in der AANES in der Region Kurdistan Irak habe gegenüber DIS angegeben, dass es keine Strafe für Personen gebe, die sich der Selbstverteidigungspflicht entzogen hätten (DIS, Juni 2022, S. 57). Fabrice Balanche habe erwähnt, dass Wehrdienstverweigerer weder eine Geldstrafe noch eine Gefängnisstrafe erhalten würden (DIS, Juni 2022, S. 42; siehe auch: DIS, Juni 2022, S. 49). Laut dem/r Experten/in der International Crisis Group gebe es keine Strategie zur Inhaftierung von Wehrdienstverweigerern (DIS, Juni 2022, S. 45). Der syrisch-kurdische Journalist und Autor erklärt gegenüber DIS, dass Wehrdienstverweigerer ihren Selbstverteidigungsdienst einen Monat länger als die anderen Rekruten ableisten müssten. Er habe nicht von Misshandlungen von Wehrdienstverweigerern während ihres Dienstes aufgrund ihres Entzugs vom Wehrdienst gehört (DIS, Juni 2022, S. 49¬50). Auch die drei Bewohner von Hasaka hätten berichtet, dass ihrer Erfahrung nach die Wehrdienstverweigerung keinen Einfluss auf die Behandlung des eingezogenen Wehrdienstverweigerers habe (DIS, Juni 2022, S. 62). […]
Die Interviewpartner·innen von DIS stimmen darin überein, dass eine Verweigerung des Dienstes in den Selbstverteidigungskräften keine Konsequenzen für Angehörige habe (DIS, Juni 2022, S. 43; DIS, Juni 2022, S. 45; DIS, Juni 2022, S. 49; DIS, Juni 2022, S. 54; DIS, Juni 2022, S. 64; DIS, Juni 2022, S. 66). Laut Fabrice Balanche könnten Behörden Familienmitglieder nach dem Aufenthaltsort des Verweigerers fragen, doch die Familie würde nicht unter Druck gesetzt oder anderweitig belästigt (DIS, Juni 2022, S. 43). Laut dem/r Experten/in der International Crisis Group würden keine Hausdurchsuchungen stattfinden, um Wehrdienstverweigerer zu finden und Familienmitglieder würden auch nicht schikaniert (DIS, Juni 2022, S. 45). Der politische Analyst habe berichtet, dass fünf seiner Geschwister sich dem Dienst entzogen hätten. Die Behörden hätten das Haus seiner Mutter einmal durchsucht, seine Familie jedoch nicht weiter belästigt (DIS, Juni 2022, S. 54). Laut der Gruppe lokaler Einwohner gebe es die Möglichkeit, dass die Behörden Hausdurchsuchungen durchführen würden. Familienmitglieder würden jedoch ihrer Erfahrung nach niemals mitgenommen (‚they will [...] never take family members‘) (DIS, Juni 2022, S. 64). […]
Es konnten online keine Informationen über die Wahrnehmung von Personen, die den Dienst in den Selbstverteidigungskräften verweigern, gefunden werden. Gesucht wurde auf Arabisch, Deutsch und Englisch mittels ecoi.net, Factiva und Google nach einer Kombination aus folgenden Suchbegriffen: Syrien, AANES, Rojava, Selbstverteidigungsdienst, Selbstverteidigungspflicht, Selbstverteidigungskräfte, verweigern, weglaufen, verstecken, Wahrnehmung, Probleme, Gegner, Oppositionelle, Anfeindung, Gesellschaft, Araber, Kurden, Stämme, Behörden. (Balanche, 9. August 2023) […]
Laut RIC würden Rekruten im Rahmen der Selbstverteidigungspflicht normalerweise nicht an aktiver Front kämpfen. Sie würden in der Regel eine ideologische und militärische Ausbildung absolvieren, bevor sie an Checkpoints oder Straßensperren stationiert und logistische Unterstützung für freiwillige Streitkräfte leisten würden (RIC, Juni 2020). Laut der syrisch-kurdischen Nachrichtenagentur North Press Agency (NPA) würden Rekruten des Selbstverteidigungsdienstes dazu eingesetzt, Militärgebäude zu bewachen und würden an Militäreinsätzen gegen den Islamischen Staat (IS) teilnehmen (NPA, 23. Februar 2022). Die Interviewpartner·innen von DIS hätten übereinstimmend berichtet, dass die Wehrpflichtigen der Selbstverteidigungskräfte allgemein nicht an der Front eingesetzt würden (DIS, Juni 2022, S. 37; DIS, Juni 2022, S. 49; DIS, Juni 2022, S. 57; DIS, Juni 2022, S. 60; DIS, Juni 2022, S. 63; DIS, Juni 2022, S. 67; DIS, Juni 2022, S. 71) Der Universitätsprofessor habe gegenüber DIS erklärt, dass der ideologische Zweck der Selbstverteidigungspflicht darin bestehe, die Jugend auf Sicherheitsnotsituationen vorzubereiten. Die Wehrpflichtigen würden hauptsächlich für Aufgaben der inneren Sicherheit in den Städten eingesetzt (DIS, Juni 2022, S. 67) […]
Fabrice Balanche merkte in seiner E-Mail-Auskunft an ACCORD an, dass es im Gebiet der AANES seit Oktober 2019 keine aktive Front mehr gebe. Wehrpflichtige würden nicht an die Front geschickt. Sie könnten jedoch durch Terroranschläge hinter der Frontlinie getötet werden. Es gebe gefährliche Gebiete, wie beispielsweise südöstlich der Provinz Deir ez-Zor und Wehrpflichtige würden regelmäßig bei Patrouillen oder an Straßensperren getötet (Balanche, 9. August 2023). […] Auch der kontaktierte Syrienexperte gab in seiner E-Mail an, dass ihm keine Fälle bekannt seien, in denen Rekruten an die Front geschickt würden. Die aktuelle Phase des Konflikts zeichne sich durch eingefrorene Frontlinien und einem Konflikt von geringer Intensität aus (Syrienexperte, 15. August 2023).“
Somit war davon auszugehen, dass die kurdischen Machthaber Wehrdienstverweigerern grundsätzlich keine oppositionelle politische Gesinnung unterstellen.
2.3. Für die Feststellungen zur (Verfolgungs-)Situation des BF in Syrien waren folgende Erwägungen maßgeblich:
Dass die Verfolgung durch das Assad-Regime, auf die der BF seinen Asylantrag wesentlich gestützt hat, weggefallen ist, steht das im Einklang mit dem ins Verfahren eingeführten aktuellen Länderinformationsblatt der Staatendokumentation. Dem sind der BF und seine Rechtsvertretung in der Beschwerdeverhandlung auch nicht entgegengetreten.
Dass kurdische Einheiten versucht hätten, den BF vor seiner Ausreise aus Syrien zwangszurekrutieren, kann nicht festgestellt werden, da sein diesbezügliches Vorbringen im verwaltungsbehördlichen Verfahren insofern unglaubwürdig ist, als er Derartiges in der Beschwerdeverhandlung zu seinen Fluchtgründen befragt nunmehr nicht vorgebracht hat. Während er dazu vor der belangten Behörde auf die Frage, wer ihn rekrutieren habe wollen antwortete, dass im Februar 2013, als die Kurden in seinem Herkunftsort an die Macht gekommen seien, verlangt hätten, dass das ganzes Dorf für sie kämpfe, weshalb der BF „danach“ ausgereist sei, was er auch auf Vorhalt, dass die Kurden derzeit nur im Alter zwischen 18 und 24 Jahren rekrutieren, aufrecht hielt (vgl. AS 27), erwähnte der BF in der mündlichen Beschwerdeverhandlung vor dem BVwG eine etwaige Furcht vor Zwangsrekrutierung durch kurdischen Milizen mit keinem Wort mehr, sondern brachte nunmehr lediglich vor, als Araber Angst vor Vertreibung durch die Kurden zugunsten einer (Rück-)Ansiedlung von Kurden zu haben sowie, dass die Kurden ihn zur Mithilfe bei Grabungen auf Erdölfeldern mitnehmen könnten (vgl. VH-Protokoll, S. 7-8). Auf Vorhalt dieses Widerspruchs vermochte der BF ihn nicht aufzuklären, sondern erklärte nunmehr, er sei gar nicht mehr nach Qamischli zurückgegangen, damit ihn die Kurden in seinem Herkunftsort nicht zwangsrekrutieren (vgl. VH-Protokoll, S. 8); dies ist jedoch mit seinem Vorbringen in seiner Einvernahme vor der belangten Behörde nicht in Einklang zu bringen ist, wo er noch erklärte, im Jahr 2012 wieder zurück nach Qamischli gereist zu sein und dort bis März 2013 geblieben zu sein (vgl. AS 23) – sich also zumindest mehrere Monate wieder im Herkunftsort aufgehalten zu haben. Angesichts der gravierenden Bedeutung dieses einschneidenden Ereignisses wäre zu erwarten gewesen, dass dem BF die Chronologie seiner Desertion und folgenden Ausreise zumindest in groben Zügen in Erinnerung geblieben wäre.
Weiters ist darauf hinzuweisen, dass der nach der Herkunftsländerinformation die Jahrgänge 1998 bis 2005 zur Ableistung des Selbstverteidigungsdienstes der AANES verpflichtet sind, sodass der XXXX geborene BF dieser Verpflichtung nicht unterliegt.
Überdies kann nicht in Hinblick auf die Länderfeststellungen nicht angenommen werden, dass dem BF im Falle einer Rekrutierung zum Wehrdienst der AANES und Verweigerung desselben von den kurdischen Machthabern eine oppositionelle politische Gesinnung unterstellt würde und ihm aus diesem Grund asylrelevante Sanktionen drohen würden.
Soweit der BF aber in der Beschwerdeverhandlung auf die Gefahr einer Vertreibung von Arabern aus Dörfern seiner Herkunftsregion verweist, ist festzuhalten, dass ein solches Risiko aufgrund der schlechten strategischen Situation, in der sich der kurdischen Machthaber in Nord- und Ostsyrien sich derzeit befinden und den sich daraus ergebendenr Bemühungen, ein gutes Verhältnis mit der HTS-geführten Übergangsregierung aufzubauen (siehe dazu etwa den in der Beschwerdeverhandlung ins Verfahren eingeführten Artikel von Gudrun Harrer, Trump lässt Syriens Machthaber zappeln – und die Kurden zittern, 23.04.2025, erschienen auf derStandard.at) als nicht maßgeblich wahrscheinlich einzuschätzen ist. Vor diesem Hintergrund ist im Übrigen auch nicht davon auszugehen, dass Araber von der SDF in Bezug auf die Erfüllung der Wehrpflicht in hier relevanter Weise drangsaliert werden.
Dass der BF den Machthabern der kurdischen Selbstverwaltung gegenüber nicht oppositionell eingestellt ist, ergibt sich daraus, dass aus seinen Aussagen keine verfestigte negative Meinung ihnen gegenüber entnommen werden kann, zumal er neben kritischen Aussagen zur PKK, die er auch den Nachrichten entnommen habe, angab, dass die Peshmerga – wie er von seiner Familie erfahren habe – friedlicher seien und die Funktion der Polizeidienststellen übernommen hätten. Eine gefestigte oppositionelle Gesinnung des BF kann aber auch in Hinblick auf widersprüchliches und daher unglaubwürdiges Vorbringen, kurdische Einheiten hätten versucht, ihn zwangszurekrutieren, nicht angenommen werden.
Der Umstand, wonach der BF nach einer Rückkehr nach Syrien nicht mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit von Menschenrechtsverletzungen durch HTS-Angehörige betroffen wäre, ergibt sich bereits aus der festgestellten Kontrollsituation des Herkunftsorts des BF. Überdies betrafen die der HTS-Regierung in Idlib vorgeworfenen Menschenrechtsverletzungen vor allem Frauen, (vermeintliche) Oppositionelle und Angehörige von Minderheiten (z.B. Christen). Dass der männliche BF, der Araber, Sunnit und nicht durch oppositionelle Aktivitäten in Erscheinung getreten ist, Opfer derartiger Menschenrechtsverletzungen werden könnte, ist nicht zu erwarten, zumal der BF diesbezüglich auch nichts Konkretes vorgebracht hat.
3. Rechtliche Beurteilung:
Gemäß § 3 Abs. 1 AsylG ist einem Fremden, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, soweit dieser Antrag nicht wegen Drittstaatsicherheit oder Zuständigkeit eines anderen Staates zurückzuweisen ist, der Status eines Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft ist, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 der Genfer Flüchtlingskonvention (GFK) droht. Die für die Asylgewährung erforderliche Verfolgungsgefahr ist daher in Bezug auf den Herkunftsstaat des Asylwerbers zu prüfen (VwGH 02.02.2023, Ra 2022/18/0266, m.w.N.). Auch Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK und die Richtlinie 2011/95/EU (Statusrichtlinie) stellen auf das Herkunftsland (vgl. etwa Art. 2 lit. n StatusRL) des Asylwerbers ab und prüfen die Asylberechtigung hinsichtlich dieses Landes.
Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK legt fest, dass als Flüchtling im Sinne dieses Abkommens anzusehen ist, wer sich aus wohlbegründeter Furcht vor Verfolgung aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, politischen Gesinnung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen; oder wer staatenlos ist, sich infolge derselben Umstände außerhalb des Landes seines gewöhnlichen Aufenthaltes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, in dieses Land zurückzukehren.
Zentrales Element des Flüchtlingsbegriffes ist die begründete Furcht vor Verfolgung. Sie liegt dann vor, wenn bei objektiver Betrachtung eine Person in der individuellen Situation des Asylwerbers Grund hat, eine Verfolgung zu fürchten. Wohlbegründet kann eine Furcht nur dann sein, wenn sie im Lichte der speziellen Situation des Asylwerbers und unter Berücksichtigung der Verhältnisse im Verfolgerstaat objektiv nachvollziehbar ist (VwGH 22.12.1999, 99/01/0334; VwGH 21.12.2000, 2000/01/0131; VwGH 25.01.2001, 2001/20/0011). Es kommt nicht darauf an, ob sich eine bestimmte Person in einer konkreten Situation tatsächlich fürchtet, sondern ob sich eine mit Vernunft begabte Person in dieser Situation (vor Verfolgung aus Konventionsgründen) fürchten würde. Eine Verfolgungsgefahr i.S.d. GFK ist nur dann anzunehmen, wenn eine Verfolgung mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit droht; die entfernte Möglichkeit einer Verfolgung genügt nicht (VwGH 21.12.2000, 2000/01/0131; VwGH 25.01.2001, 2001/20/0011). Von einer maßgeblichen Gefahr einer Verfolgung ist nicht auszugehen, wenn der Verfolger keinen Zugriff auf die betroffene Person hat (VwGH 06.09.2018, Ra 2017/18/0055).
Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes kommt es für die Asylgewährung auf die Flüchtlingseigenschaft im Sinne der GFK zum Zeitpunkt der Entscheidung an. Es ist demnach für die Zuerkennung des Status eines Asylberechtigten zum einen nicht zwingend erforderlich, dass die schutzsuchende Person in der Vergangenheit bereits verfolgt wurde, zum anderen ist auch eine bereits geschehene Verfolgung (Vorverfolgung) für sich genommen nicht hinreichend. Entscheidend ist vielmehr, dass der schutzsuchenden Person im Zeitpunkt der Entscheidung über ihren Antrag auf internationalen Schutz (hier: durch das Bundesverwaltungsgericht) im Herkunftsstaat mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit Verfolgung aus einem der in der GFK bzw. in Art. 10 StatusRL genannten fünf Verfolgungsgründe drohen würde (VwGH 03.05.2016, Ra 2015/18/0212; VwGH 07.03.2023, Ra 2022/18/0284, m.w.N.).
Weiters ist nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes für die Beurteilung, ob wohlbegründete Furcht vor Verfolgung im Sinn der GFK vorliegt, die Gesamtsituation des Asylwerbers zu berücksichtigen und dürfen einzelne zusammenhängende Aspekte seiner Situation im Herkunftsstaat nicht aus dem (asylrechtlich relevanten) Zusammenhang gerissen werden (VwGH 22.01.2016, Ra 2015/20/0157, unter Hinweis auf VwGH 10.06.1998, 96/20/0287 und VwGH 23.07.1998, 96/20/0144; zum Erfordernis einer Gesamtbetrachtung VwGH 27.04.2006, 2003/20/0181).
Die Beschwerde wurde gemäß § 7 Abs. 4 VwGVG fristwahrend erhoben und es liegen auch die sonstigen Prozessvoraussetzungen vor.
Sie ist in der Sache jedoch nicht berechtigt:
Als Herkunftsort des BF ist der – (wie festgestellt) unter der Kontrolle der der von kurdischen Milizen dominierten SDF stehende – Ort XXXX im Gouvernement Hasaka anzusehen, da der BF dort aufgewachsen ist und bis Ende 2005 dort gelebt hat. Zwar hat er bis Jänner 2013 in Damaskus gelebt, dies jedoch lediglich da er als Polizist dort eingesetzt wurde, während Mittelpunkt seiner familiären Bindungen XXXX blieb, das er deshalb auch selbst nach wie vor als seinen Herkunftsort ansieht (vgl. idS: Beschwerde, S. 3: „Mit der Desertation vom Polizeidienst kehrte der BF in seine Heimatregion zurück.“). Zur Bestimmung der Heimatregion vgl. auch VwGH 06.03.2024, Ra 2024/01/0039, unter Verweis auf EASO, Richterliche Analyse, Voraussetzungen für die Zuerkennung internationalen Schutzes (2018), 83.
Zunächst ist aufgrund der Herkunftsländerinformation festzuhalten, dass die Verfolgung durch das Assad-Regime, auf welche der BF seinen Asylantrag ursprünglich im Wesentlichen gestützt hat, weggefallen ist. So geht auch der UNHCR in seinem Positionspapier vom Dezember 2024 (Position on Returns to the Syrian Arab Republic) davon aus, dass auf die Verfolgung durch die frühere Regierung bezogene Risken zu bestehen aufgehört haben.
Was die vom BF behauptete Gefahr einer Rekrutierung durch die kurdischen Einheiten angeht, gilt zum einen die Wehrpflicht der AANES nur für Männer, die ab dem Jahre 1998 geboren worden sind, was auf den XXXX geborenen BF nicht zutrifft.
Zum anderen hat der Verwaltungsgerichtshof wiederholt ausgesprochen, dass die (bloße) Furcht vor der Ableistung des Militärdienstes bzw. der bei seiner Verweigerung drohenden Bestrafung im Allgemeinen keine asylrelevante Verfolgung darstellt, sondern nur bei Vorliegen eines Konventionsgrundes Asyl rechtfertigen kann (VwGH 07.01.2021, Ra 2020/18/0491, m.w.N.; 04.07.2023, Ra 2023/18/0108-9).
Wie sich aus den maßgeblichen Länderberichten ableiten lässt, wäre der BF (der im Übrigen wahrheitswidrig vorgebracht hat, kurdische Einheiten hätten versucht, ihn vor seiner Ausreise zwangsweise zu rekrutieren) aber weder im Fall der Einziehung zu den kurdischen Milizen gezwungen, sich an völkerrechtswidrigen Militäraktionen zu beteiligen noch im Falle einer Weigerung, der Wehrpflicht nachzukommen, unverhältnismäßiger Bestrafung ausgesetzt. Wehrdienstverweigerern wird seitens der kurdischen Machthaber auch – wie festgestellt – keine oppositionelle Gesinnung unterstellt.
Weiters läuft der BF auch nicht maßgeblich wahrscheinlich Gefahr, gemeinsam mit den Bewohnern arabischer Dörfer von kurdischen Einheiten vertrieben zu werden.
Die prekäre Sicherheitslage in Syrien erweist sich im Fall des BF als nicht asylrelevant. Der BF hat daher bloß die alle Staatsbürger gleichermaßen treffenden Unbilligkeiten aufgrund des Bürgerkrieges und der allgemein schlechten Lage in Syrien vorgebracht, aber keine substantiellen, stichhaltigen Gründe für das Vorliegen einer individuellen Gefahr der Verfolgung nach § 3 Abs. 1 AsylG i.V.m. Art. 1 Abschnitt A Z 2 der GFK dargetan. Im Fall des BF sind keine Umstände ersichtlich, die eine ihm konkret drohende individuelle Verfolgung aufgrund des Bürgerkrieges und der aktuellen Lage in Syrien untermauern würden. Einer bloß allgemeinen Bedrohung durch den Bürgerkrieg und die aktuelle Lage ist jedoch nicht mit der Zuerkennung des Status eines Asylberechtigten, sondern mit der Zuerkennung des Status eines subsidiär Schutzberechtigten zu begegnen; dieser Status wurde dem BF bereits rechtskräftig zuerkannt.
Die im Entscheidungszeitpunkt zu erstellende Prognose über die Situation des BF im Herkunftsstaat ergibt, dass er gegenwärtig nicht mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit mit Verfolgungshandlungen erheblicher Intensität rechnen muss. Die Furcht des BF vor einer Verfolgung im Herkunftsstaat kann daher nicht als wohlbegründet im Sinn der GFK angesehen werden.
Das Vorliegen eines Sachverhaltes, aus dem sich eine ausreichende Wahrscheinlichkeit einer individuellen Verfolgungsgefahr für den BF ableiten ließe bzw. aus dem sich seine konkrete Betroffenheit von der allgemeinen Situation in Syrien aus Konventionsgründen ergeben würde, konnte nicht festgestellt werden. Die für die Asylgewährung geforderte maßgebliche Wahrscheinlichkeit der Verfolgung im Sinn der oben angeführten Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes liegt nicht vor. Es bestehen keine konkreten, überzeugenden Hinweise, dass der BF nicht nur möglicherweise, sondern mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit von Verfolgungshandlungen im Herkunftsstaat betroffen ist.
Da dem angefochtenen Bescheid somit keine Rechtswidrigkeit i.S.d. Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG anhaftet, war die Beschwerde spruchgemäß abzuweisen.
Zur Unzulässigkeit der ordentlichen Revision:
Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.
Die vorliegende Entscheidung hängt nicht von der Lösung einer Rechtsfrage ab, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder fehlt es an einer Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes noch weicht die gegenständliche Entscheidung von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Es liegen auch keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfragen vor. Das Bundesverwaltungsgericht kann sich bei allen erheblichen Rechtsfragen auf eine ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes bzw. auf eine ohnehin klare Rechtslage stützen. Es ist auch nicht ersichtlich, dass sich im konkreten Fall eine Rechtsfrage stellt, die über den (hier vorliegenden konkreten) Einzelfall hinaus Bedeutung entfaltet. Ausgehend davon kann eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung auch insofern nicht bejaht werden. Es ist daher auszusprechen, dass die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig ist.
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