Spruch
I411 1241438-5/6E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Mag. Robert POLLANZ als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX alias XXXX alias XXXX alias XXXX , geb. XXXX alias XXXX alias XXXX , StA. NIGERIA alias (Süd-)Sudan, vertreten durch die Bundesagentur für Betreuungs- und Unterstützungsleistungen GmbH (BBU GmbH), Leopold-Moses-Gasse 4, 1020 Wien, gegen den Bescheid des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl vom 03.03.2025, Zl. XXXX , nach Durchführung einer Verhandlung am 23.06.2025 zu Recht:
A)
Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
B)
Die Revision ist gemäß Art 133 Abs 4 B-VG nicht zulässig.
Text
Entscheidungsgründe:
I. Verfahrensgang:
1. Der Beschwerdeführer stellte erstmals am 13.08.2003 einen Antrag auf internationalen Schutz in Österreich, der rechtskräftig abgewiesen wurde. Nach mehreren strafgerichtlichen Verurteilungen wegen Suchtgiftdelikten und einem Antrag auf freiwillige Rückkehr, wobei er einen nigerianischen Reisepass vorlegte, wurde er im Juli 2006 nach Nigeria abgeschoben.
2. Im Februar 2011 stellte der Beschwerdeführer unter Angabe einer Aliasidentität einen Asylantrag in der Schweiz und am 13.05.2011 einen Asylantrag in Österreich unter Verwendung einer anderen Identität und unter der Angabe des Herkunftsstaates Sudan bzw. Südsudan.
Nach weiteren strafgerichtlichen Verurteilungen und Haftstrafen in Österreich wurde sein Asylantrag vom damals zuständigen Bundesasylamt wegen entschiedener Sache zurückgewiesen und eine Ausweisung in den Sudan verfügt.
Diese Entscheidung wurde nach der erhobenen Beschwerde mit Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts vom 23.10.2015 behoben und zur neuerlichen Ermittlung und Erlassung eines neuen Bescheides an das Bundesamt zurückverwiesen. Die Entscheidung wurde damit begründet, dass das Bundesamt nunmehr eine sudanesische Staatsangehörigkeit des Beschwerdeführers angenommen habe, ohne dazu (geeignete) Ermittlungsschritte gesetzt zu haben, und daher schon unter diesem Gesichtspunkt nicht von entschiedener Sache ausgegangen werden könne, weil sich die Fluchtgründe nunmehr auf einen anderen Herkunftsstaat beziehen würden.
Nach einer niederschriftlichen Einvernahme des Beschwerdeführers wies das Bundesamt mit Bescheid vom 23.03.2018 dessen Antrag auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten sowie hinsichtlich des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Nigeria ab (Spruchpunkt I. und II.), erteilte ihm keinen Aufenthaltstitel aus Gründen des § 57 AsylG 2005, erließ gegen ihn eine Rückkehrentscheidung, und stellte fest, dass seine Abschiebung nach Nigeria zulässig ist (Spruchpunkt III.), gewährte keine Frist für die freiwillige Ausreise (Spruchpunkt IV.), erkannte einer Beschwerde gegen die Rückkehrentscheidung die aufschiebende Wirkung ab (Spruchpunkt V.) und erließ gegen ihn ein auf die Dauer von zehn Jahren befristetes Einreiseverbot (Spruchpunkt VI.).
Die gegen den Bescheid vom 23.03.2018 erhobene Beschwerde wurde mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 28.06.2021, GZ: I401 1241438-3/22E, als unbegründet abgewiesen.
3. Am 16.08.2023 stellte der Beschwerdeführer unter Angabe einer anderen Aliasidentität und der Angabe, aus dem Südsudan zu stammen, bei der belangten Behörde einen Antrag auf Ausstellung einer Karte für Geduldete.
Dieser Antrag wurde letztlich im Instanzenzug vom Bundesverwaltungsgericht mit Erkenntnis vom 14.02.2024, GZ: I406 1241438-4/2E, abgewiesen.
4. In weiterer Folge stellte der Beschwerdeführer am 02.10.2024 einen Folgeantrag auf Asyl und gab im Rahmen der Erstbefragung an, seine alten Asylgründe aufrecht zu halten.
5. Am 20.02.2025 wurde der Beschwerdeführer vom Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl niederschriftlich einvernommen. Als er zu seinen Gründen für die neuerliche Asylantragstellung befragt worden ist, erstattete er folgendes Vorbringen:
„Ich wurde im Jahr 2006 nach Nigeria abgeschoben. Ich war in Nigeria 3 Monate im Gefängnis, bei der Einwanderung. Nachdem ich dort freigelassen wurde, musste ich das Land verlassen. Ich begab mich nach XXXX , wo meine große Schwester ist. Ich versuchte von dort nach Uganda zu gehen, wo sich meine Familie befindet. Es gibt eine Grenze zwischen Sudan und Uganda. Ich hatte an der Grenze ein weiteres Problem mit der Sudan Liberation Army. Ich war dort 4 Jahre lang aufhältig. Ich floh dann von dort nach Kenia zurück. Im Jahr 2011 versuchte ich wieder nach Europa zu kommen. Ich kam 2011 nach Europa und bin in die Schweiz gegangen. In der Schweiz hat man gesehen, dass mir die Fingerabdrücke bereits in Österreich abgenommen wurden und ich wurde dann nach Österreich zurückgebracht. Ich habe damals einen Fehler gemacht. Ich hatte Probleme mit meiner Hüfte. Ich habe im Jahr 2014 eine neue Hüfte bekommen. Ich habe auch im Jahr 2016 und 2017 eine Knieprothese in Wien bekommen. Als ich damals nach Afrika zurückging, wollte ich dortbleiben. Ich habe meine gesamte Familie verloren, aus diesem Grund kam ich wieder nach Europa zurück. Der Grund für meinen neunen Asylantrag ist, dass die Leute im Südsudan nach mir suchen. Diese Leute zwangen mich zu schießen und zu töten. Ich musste von dort wieder fliehen. Ich würde ja gerne zurückkehren, aber vielleicht kann ich das in meinem eignen Tempo machen, wenn ich aus dem Gefängnis entlassen werde. Ich habe ein Eisenstück im Knie. Ich bin schon seit 23 Jahren hier und ich schaue mich um, wo ich hingehen und in Sicherheit sein kann. Das ist das Problem. Ich brauche hier 2 oder 3 Jahre Asyl nach dem Gefängnis, bevor ich nach Afrika zurückkehren kann. Ich wäre jetzt dort ein toter Mann.“
6. Mit dem angefochtenen Bescheid hat die belangte Behörde den Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz vom 02.10.2024 hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten sowie hinsichtlich des Status des subsidiär Schutzberechtigten wegen entschiedener Sache zurückgewiesen (Spruchpunkt I. und II.) und ihm keine Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz erteilt (Spruchpunkt III.).
7. Gegen diesen Bescheid richtet sich die erhobene Beschwerde vom 27.03.2025.
8. Am 23.06.2025 führte das Bundesverwaltungsgericht die mündliche Verhandlung mit dem Beschwerdeführer und seiner Rechtsvertretung durch.
Auf die Fragen, ob er sich an seine Aussagen vor dem Bundesamt zu seinen Fluchtgründen erinnere und diese aufrechthalte oder ob er etwas ergänzen oder berichten möge, antwortete der Beschwerdeführer wie folgt:
„lch erinnere mich an meine Angaben und halte diese aufrecht. Allerdings weiß ich nicht, wie meine Aussagen verstanden wurden. lch habe nämlich die Gründe aus dem Jahr 2006 genannt, als ich versuchte, in den Südsudan zurückzukehren. Nun bin ich viel zu viele Jahre hier in Österreich. lch weiß nicht, wie ich meine Kinder zusammenbekommen könnte. Der Grund für meinen neuerlichen Asylantrag ist, dass ich nicht weiß, wo in Afrika ich hingehen könnte. Selbst die Mitglieder von Biafra aus Nigeria haben in Wien protestiert und ich war dabei.“
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen:
1.1. Zur Person des Beschwerdeführers:
Der volljährige Beschwerdeführer ist Staatsangehöriger von Nigeria. Er trat vor österreichischen, deutschen und Schweizer Behörden mit verschiedenen Namen, Geburtsdaten und Staatsangehörigkeiten auf. Seine Identität und nigerianische Staatsbürgerschaft stehen fest.
Er hat keine familiären Anknüpfungspunkte in Österreich. Von seinen volljährigen Kindern leben zwei in Kenia, zwei in Nigeria und eines in Deutschland. Seine Lebensgefährtin bzw. Freundin lebt in XXXX (Kenia).
Der Beschwerdeführer reiste erstmals im Jahr 2003 nach Österreich ein und wurde nach Abschluss des ersten Asylverfahrens über seinen Antrag vom 13.08.2003 im Juli 2006 nach Nigeria abgeschoben. Er hält sich seit Mai 2011 mit Unterbrechungen wieder in Österreich auf.
Mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 28.06.2021, GZ: I401 1241438-3/22E, wurde im Instanzenzug der zweite Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz vom 13.05.2011 abgewiesen und gleichzeitig eine Rückkehrentscheidung samt ein auf die Dauer von zehn Jahren befristetes Einreiseverbot erlassen.
Im gegenständlichen Asylverfahren machte er keine neuen und glaubhaften Fluchtgründe geltend. In Bezug auf die Situation in Nigeria ist nach dem letzten Asylverfahren bis zur Erlassung des angefochtenen Bescheides keine wesentliche Änderung eingetreten. Ebenso wenig liegt eine entscheidungswesentliche Änderung in Bezug auf die Person des Beschwerdeführers und der Rechtslage vor.
1.2. Zur (auszugsweise wiedergegebenen) Lage im Herkunftsstaat (mit Angabe der Quellen), soweit sie für den vorliegenden Beschwerdefall von Relevanz sind:
Sicherheitslage
Letzte Änderung 2025-01-27 08:02
Neben bzw. zum Teil aufgrund der schwierigen wirtschaftlichen Lage sieht sich Nigeria mit einer beispiellosen Welle unterschiedlicher, sich überschneidender Sicherheitskrisen konfrontiert. Fast jeder Teil des Landes ist aktuell von Gewalt und Kriminalität betroffen (ÖB Abuja 10.2024; vgl. EUAA 6.2024). Dies umfasst Banditentum (EUAA 6.2024), (Kindes)Entführungen (ÖB Abuja 10.2024; vgl. EUAA 6.2024, FH 2024), Raub, Klein- und Cyberkriminalität (ÖB Abuja 10.2024; vgl. EUAA 6.2024), Verbrechen, Terrorismus/Aufstände, Auseinandersetzungen zwischen den Volksgruppen, Landstreitigkeiten (ÖB Abuja 10.2024; vgl. EUAA 6.2024, FH 2024), Ausbruch von Krankheiten, Proteste und Demonstrationen. In jüngster Zeit konnte eine Eskalation von einigen Konflikten beobachtet werden. In vielen Konflikten und Spannungen in Nigeria wird die Religion als mobilisierender Faktor eingesetzt. Dies gilt vor allem für den Konflikt im Nordosten mit der anhaltenden Präsenz und Gewalt durch Boko Haram und den Islamic State West Africa Province (ISWAP) sowie in Zentralnigeria zwischen überwiegend muslimischen, nomadischen Hirten und überwiegend christlichen Bauern im Kampf um knappe Ressourcen (ÖB Abuja 10.2024). Den nigerianischen Sicherheitskräften wurden Menschenrechtsverletzungen vorgeworfen, darunter wahllose Luftangriffe (EUAA 6.2024).
Demonstrationen und Proteste sind insbesondere in Abuja und Lagos, aber auch in anderen großen Städten möglich und können zu gewalttätigen Auseinandersetzungen führen (AA 11.9.2024). Politische Kundgebungen, Proteste und gewalttätige Demonstrationen können im ganzen Land unangekündigt stattfinden (FCDO 20.8.2024). Im Zusammenhang mit den #EndBadGovernance-Protesten war es in der Woche ab dem 1.8.2024 an mehreren Orten in Nigeria zu, zum Teil gewalttätigen Auseinandersetzungen zwischen Demonstrierenden und Sicherheitskräften gekommen, bei denen laut Medienberichten mindestens sieben Menschen ums Leben gekommen sind. Sicherheitskräfte hatten mehr als 700 Personen festgenommen. Die Bevölkerung Nigerias leidet derzeit unter einer Wirtschaftskrise (BAMF 9.9.2024). Medienberichten zufolge haben Polizeikräfte am 1.10.2024 Tränengas gegen Hunderte von Personen eingesetzt, die an der sogenannten #FearlessInOctober-Demonstration in der Hauptstadt Abuja teilnahmen. Die seit Wochen vor allem über soziale Medien angekündigten und organisierten Proteste an Nigerias Unabhängigkeitstag sind Teil einer landesweiten Bewegung, die u. a. ein Ende der hohen Lebenshaltungskosten sowie eine bessere Regierungsführung fordert. Die Demonstrationen vom 1.10.2024 stehen in Zusammenhang mit den o.g. mehrtägigen #EndBadGovernance-Demonstrationen, bei denen mehrere Personen zu Tode kamen (BAMF 7.10.2024).
Zwischen Juli 2023 und Juni 2024 wurden in Nigeria in 1.130 registrierten Entführungsfällen 7.568 Personen entführt (im Vergleich 2023: 3.620 Personen in 582 Fällen). Mehr als die Hälfte der Entführungen fand in den drei Bundesstaaten Zamfara und Katsina (beide im Nord-Westen) und Kaduna (im Zentrum des Landes) statt. Meist sind die Entführungen mit Lösegeldforderungen verbunden. Die Dunkelziffer der tatsächlichen Entführungen dürfte deutlich höher liegen, da Lösegeldzahlungen seit April 2022 unter Strafe stehen und daher Betroffene Entführungen oftmals nicht bekannt geben (ÖB Abuja 10.2024).
Im Nordosten, im Nordwesten und im Zentrum Nigerias verschlechtert sich die Sicherheitslage (AA 21.12.2023). ISWAP (Islamischer Staat Westafrika Provinz), Boko Haram und Ansaru setzen ihre Angriffe auf nigerianische Regierungs- und Sicherheitskräfte und Zivilisten in den nördlichen und zentralen Regionen Nigerias fort. Bei den Angriffen der Boko Haram wird offenbar nicht zwischen Zivilisten und Regierungsbeamten unterschieden, während die ISWAP ihre Angriffe im Allgemeinen auf die Regierung und die Sicherheitskräfte konzentriert und ihre Bemühungen um die Einrichtung von Schattenregierungsstrukturen ausweitet. Im Jahr 2022 bekämpften sich Boko Haram und ISWAP weiterhin gegenseitig, wobei Boko Haram erheblich geschwächt wurde, während ISWAP seine geografische Präsenz ausgeweitet hat (USDOS 30.11.2023).
Im Jahr 2023 wurden im Nordwesten Banditenbanden für Entführungen, sexuelle Gewalt und Plünderungen verantwortlich gemacht, während im Nordosten ein Wiedererstarken des ISWAP zu verzeichnen war. Die Nord-Zentral-Region und der Nordwesten waren die beiden geopolitischen Zonen, die am stärksten vom Banditentum betroffen waren (EUAA 6.2024). Im Nordwesten des Landes ist organisierte Bandenkriminalität präsent, v. a. in den Bundesstaaten Zamfara, Katsina und Kaduna. Bei schweren Überfällen auf Dörfer werden dabei regelmäßig Zivilisten getötet, verschleppt und vertrieben (AA 21.12.2023). Der Nordwesten Nigerias (Bundesstaaten: Kaduna, Kano, Jigawa, Kebbi, Sokoto, Zamfara) erlebt einen komplexen, multidimensionalen Konflikt, den verschiedene Banden und ethnische Milizen gegen die Regierung führen. Trotz der sich konstant verschlechternden Situation infolge der hohen Anzahl an Überfällen mit Schwerverletzten und Toten bekommt dieser Konflikt im Vergleich zum Terrorismus-Problem wenig Aufmerksamkeit von der internationalen Gemeinschaft (ÖB Abuja 10.2024).
Im Nordosten erfolgen Angriffe vorwiegend durch Boko Haram sowie ISWAP, die ihre Basis in den Bundesstaaten Borno, Yobe und Adamawa haben. Seit 2021 gibt es auch Angriffe von Terrorgruppen in den Bundesstaaten Niger, Kaduna, Kogi, Bauchi, Ondo, Zamfara, Taraba, Jigawa, Sokoto, Edo und Kano, wie auch im Federal Capital Territory (FCT) (FCDO 20.8.2024).
Seit vielen Jahren gibt es in Nigeria gewalttätige Auseinandersetzungen zwischen nomadischen Viehhirten (muslimische Hausa und Fulani) und sesshaften Bauern (überwiegend christlich). Der Konflikt breitet sich im ganzen Land aus, aber vor allem der „Middle Belt“ in Zentralnigeria ist besonders betroffen (ÖB Abuja 10.2024; vgl. FH 2024). Im Middle Belt und in der Nord-Zentral-Region setzte sich der Konflikt zwischen Bauern und Hirten fort, bei dem es zu Todesfällen kommt (EUAA 6.2024). Beide Seiten machen sich Hassreden und Gewaltverbrechen schuldig. Standen zu Beginn vor allem die Bundesstaaten Kaduna und Plateau im Zentrum der Auseinandersetzungen, haben sich diese südlich nach Nasarawa, Benue, Taraba und Adamawa ausgeweitet (AA 21.12.2023). Bei Zusammenstößen um begrenzte Ressourcen wurden bereits Tausende Menschen getötet sowie Sachbeschädigungen, Brandschatzungen und Vergewaltigungen begangen (ÖB Abuja 10.2024). Es handelt sich hierbei inzwischen um den Konflikt mit den meisten Todesopfern im Land (AA 21.12.2023).
Die Lage im Südosten des Landes („Biafra“) bleibt latent konfliktanfällig. In Nigeria selbst haben die Auseinandersetzungen zwischen Regierung und der seit 2017 als „terroristische Vereinigung“ verbotenen IPOB (Indigenous People of Biafra) zugenommen (AA 21.12.2023). Es besteht eine hohe Gefahr für Entführungen und anderen bewaffneten Angriffen auf Öl- und Gasanlagen im Nigerdelta. Dies gilt auch für Anlagen auf See (FCDO 20.8.2024). Im Niger-Delta (Zentrum der Erdöl- und Erdgasindustrie) klagt die dortige Bevölkerung über massive, auch durch internationale Ölförderkonzerne verursachte, Umweltdegradation, jahrzehntelange Benachteiligung, kaum vorhandene Infrastruktur oder Bildungseinrichtungen und Korruption (AA 21.12.2023).
Die Kriminalitätsrate in Nigeria ist sehr hoch, die allgemeine Sicherheitslage hat sich in den vergangenen Jahren laufend verschlechtert. In allen Regionen können unvorhersehbare lokale Konflikte aufbrechen. Ursachen und Anlässe der Konflikte sind meist politischer, wirtschaftlicher, religiöser, gesellschaftlicher oder ethnischer Art. Insbesondere die Bundesstaaten Zamfara, das westliche Taraba und das östliche Nasarawa, das nördliche Sokoto und die Bundesstaaten Plateau, Kaduna, Benue, Niger und Kebbi sind derzeit von bewaffneten Auseinandersetzungen bzw. inner-ethnischen Konflikten zwischen nomadisierenden Viehzüchtern und sesshaften Farmern sowie organisierten kriminellen Banden betroffen. In den südöstlichen und südlichen Bundesstaaten Imo, Rivers, Anambra, Enugu, Ebonyi und Akwa-Ibom kommt es derzeit gehäuft zu bewaffneten Angriffen auf Institutionen staatlicher Sicherheitskräfte. Die nigerianische Polizei hat nach einem erheblichen Anstieg von Sicherheitsvorfällen am 19.5.2021 die "Operation Restore Peace" in diesen Bundesstaaten begonnen. Dies kann lokal zu einer höheren polizeilichen Präsenz führen. In den nordöstlichen Landesteilen werden fortlaufend terroristische Gewaltakte, wie Angriffe und Sprengstoffanschläge von militanten Gruppen auf Sicherheitskräfte, Märkte, Schulen, Kirchen und Moscheen verübt. Auch Angriffe auf dort tätige humanitäre Hilfsorganisationen waren zu verzeichnen. In den nördlichen bzw. nordwestlichen Bundesstaaten, insbesondere im Grenzgebiet zu Niger, kommt es verstärkt zu Entführungen und schweren Gewaltakten, deren Urheberschaft nicht eindeutig ist, die aber unter Umständen ebenfalls terroristischen Gruppen zuzuschreiben sind (AA 11.9.2024).
Im Jahr 2023 berichtete Nigeria Watch, dass die Hauptursachen für Gewalt und Todesfälle im Land kriminelle Aktivitäten waren, gefolgt von politischen und religiösen Problemen und Verkehrsunfällen. Im Jahr 2023 sank die Zahl der Todesopfer durch Banditentum auf dem Land und Gegenmaßnahmen der Regierung auf 892 gegenüber 5.725 Todesopfern im Jahr 2022. Im Jahr 2023 war der Bundesstaat Borno mit 29,03 Todesopfern pro 100.000 Einwohner der gefährlichste Bundesstaat Nigerias, was vor allem auf den Boko-Haram-Konflikt zurückzuführen ist. Dicht darauf folgten die Bundesstaaten Plateau (14,29) und Benue (12,68). In krassem Gegensatz dazu erwies sich Ekiti mit nur 0,73 Todesopfern pro 100 000 Einwohner als der friedlichste Bundesstaat. Weitere Staaten mit niedrigen Todesraten waren Kano (1,12), Akwa Ibom (1,25) und Oyo (1,3) (NiWa o.D.).
Die nigerianische Armee ist in allen 36 Bundesstaaten des Landes im Einsatz; im Nordosten führt sie Operationen zur Aufstandsbekämpfung und Terrorismusbekämpfung gegen die Terrorgruppen Boko Haram und ISWAP durch, wo sie zeitweise bis zu 70.000 Soldaten eingesetzt hat und seit 2009 schätzungsweise 35-40.000 Menschen, zumeist Zivilisten, durch dschihadistische Gewalt getötet wurden; im Nordwesten sieht sie sich einer wachsenden Bedrohung durch kriminelle Banden - im Volksmund Banditen genannt - und Gewalt im Zusammenhang mit langjährigen Konflikten zwischen Bauern und Hirten sowie durch Boko Haram- und ISWAP-Terroristen ausgesetzt. Die Zahl der Banditen im Nordwesten Nigerias wird auf etwa 10.000 geschätzt, und die Gewalt dort hat seit Mitte der 2010er-Jahre mehr als 10.000 Menschen getötet. Das Militär schützt auch weiterhin die Ölindustrie in der Region des Nigerdeltas vor militanten und kriminellen Aktivitäten; seit 2021 wurden zusätzliche Truppen und Sicherheitskräfte in den Osten Nigerias entsandt, um die erneute Agitation für einen Staat Biafra zu unterdrücken (CIA 28.5.2024).
Nach Angaben des Verteidigungshauptquartiers (Defence Headquarters, DHQ) vom 29.8.2024 haben Mitglieder des nigerianischen Militärs seit Anfang August 2024 landesweit rd. 1.170 als Terroristen bezeichnete Mitglieder bewaffneter Gruppierungen getötet und rd. 1.100 Verdächtige festgenommen. Außerdem haben sie Medienberichten zufolge insgesamt rd. 720 entführte Personen befreit sowie eine Vielzahl an Waffen und Munition sichergestellt. Unter den Getöteten sind auch Anführer der bewaffneten Gruppierungen. Im Nordosten sollen Mitglieder der Truppen der Militäroperation Hadin Kai im August 2024 rd. 300 Mitglieder gewaltbereiter Gruppen getötet, rd. 260 festgenommen und über 200 Entführte befreit haben. Über 30 Mitglieder von der für eine Abspaltung Südostnigerias eintretenden Gruppierung Indigenous People of Biafra (IPOB) und deren bewaffnetem Flügel Eastern Security Network (ESN) seien außerdem getötet worden. Zudem hätten sich insgesamt rd. 2.700 Mitglieder der islamistischen Gruppierungen Boko Haram und Islamic State West Africa Province (ISWAP) ergeben. Truppen der Operation Safe Haven, der Operation Whirl Stroke, der Operation Hadarin Daji, der Operation UDO KA sowie der Operation Whirl Punch seien im ganzen Land im Einsatz gewesen. Die getöteten Personen werden in den offiziellen Verlautbarungen des DHQ als Terroristen bezeichnet. Das DHQ verbreitet mit einer gewissen Regelmäßigkeit Erfolgsmeldungen dieser Art (BAMF 2.9.2024b).
Quellen
AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (11.9.2024): Nigeria: Reise- und Sicherheitshinweise (Teilreisewarnung), https://www.auswaertiges-amt.de/de/service/laender/nigeria-node/nigeriasicherheit/205788#content_5, Zugriff 13.1.2025
AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (21.12.2023): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in Nigeria (Stand: November 2023), https://www.ecoi.net/en/file/local/2102769/Auswärtiges_Amt,_Bericht_über_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_Nigeria,_21.12.2023.pdf, Zugriff 27.5.2024 [Login erforderlich]
BAMF - Bundesamt für Migration und Flüchtlinge [Deutschland] (7.10.2024): Briefing Notes KW 41 2024, https://www.bamf.de/SharedDocs/Anlagen/DE/Behoerde/Informationszentrum/BriefingNotes/2024/briefingnotes-kw41-2024.pdf?__blob=publicationFile v=4, Zugriff 13.1.2025
BAMF - Bundesamt für Migration und Flüchtlinge [Deutschland] (9.9.2024): Briefing Notes KW 37 2024
BAMF - Bundesamt für Migration und Flüchtlinge [Deutschland] (2.9.2024b): Briefing Notes KW 36 2024
CIA - Central Intelligence Agency [USA] (28.5.2024): The World Factbook: Nigeria, https://www.cia.gov/the-world-factbook/countries/nigeria/#military-and-security, Zugriff 6.6.2024
EUAA - European Union Agency for Asylum (6.2024): Nigeria - Country Focus, https://www.ecoi.net/en/file/local/2112320/2024_07_EUAA_COI_Report_Nigeria_Country_Focus.pdf, Zugriff 29.7.2024
FCDO - Foreign, Commonwealth Development Office [United Kingdom] (20.8.2024): Safety and security - Nigeria travel advice, https://www.gov.uk/foreign-travel-advice/nigeria/safety-and-security, Zugriff 13.1.2025
FH - Freedom House (2024): Freedom in the World 2024 - Nigeria, https://www.ecoi.net/de/dokument/2105060.html, Zugriff 3.6.2024
NiWa - Nigeria Watch (o.D.): Thirteenth report on violence in Nigeria, https://www.nigeriawatch.org/media/html/Reports/NGA-Watch-Report23VF.pdf, Zugriff 29.7.2024
ÖB Abuja - Österreichische Botschaft Abuja [Österreich] (10.2024): Asylländerbericht Nigeria Oktober 2024, https://www.ecoi.net/en/file/local/2116558/NIGR_ÖB-Bericht_2024_10.docx, Zugriff 24.10.2024 [Login erforderlich]
USDOS - United States Department of State [USA] (30.11.2023): Country Report on Terrorism 2022 - Chapter 1 - Nigeria, https://www.ecoi.net/de/dokument/2101586.html, Zugriff 29.7.2024
Allgemeine Menschenrechtslage
Letzte Änderung 2025-01-23 09:43
Die 1999 in Kraft getretene Verfassung Nigerias enthält einen umfassenden Grundrechtskatalog (AA 21.12.2023; vgl. ÖB Abuja 10.2024). Dieser ist zum Teil jedoch weitreichenden Einschränkungen unterworfen (AA 21.12.2023). Seit Amtsantritt der Zivilregierung im Jahr 1999 hat sich die Menschenrechtssituation zwar verbessert (Freilassung politischer Gefangener, relative Presse- und Meinungsfreiheit, nur vereinzelte Vollstreckung der Todesstrafe) (ÖB Abuja 10.2024), doch bleibt die Umsetzung der eingegangenen menschenrechtlichen Verpflichtungen in vielen Bereichen deutlich hinter internationalen Standards zurück (AA 21.12.2023), und viele Probleme bleiben ungelöst, wie etwa Armut, Analphabetentum, Gewaltkriminalität, ethnische Spannungen, die Scharia-Rechtspraxis, Entführungen und Geiselnahmen sowie das Problem des Menschenhandels. Zudem ist der Schutz von Leib und Leben der Bürger gegen Willkürhandlungen durch Vertreter der Staatsmacht keineswegs verlässlich gesichert, und es besteht weitgehend Straflosigkeit bei Verstößen der Sicherheitskräfte und bei Verhaftungen von Angehörigen militanter Organisationen. Das hohe Maß an Korruption auch im Sicherheitsapparat und der Justiz wirkt sich negativ auf die Wahrung der Menschenrechte aus (ÖB Abuja 10.2024).
Zu den schwerwiegenden Menschenrechtsverletzungen gehören glaubwürdige Berichte über: rechtswidrige und willkürliche Tötungen; gewaltsames Verschwindenlassen; Folter und Fälle von grausamer, unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Bestrafung durch die Regierung (USDOS 23.4.2024; vgl. FH 2024, AI 24.4.2024); harte und lebensbedrohliche Haftbedingungen; willkürliche Verhaftungen oder Inhaftierungen; politische Gefangene; schwerwiegende Probleme mit der Unabhängigkeit der Justiz; willkürliche oder unrechtmäßige Eingriffe in die Privatsphäre; schwerwiegende Misshandlungen in einem Konflikt, einschließlich Tötungen, Entführungen und Folter von Zivilisten (USDOS 23.4.2024; schwerwiegende Einschränkungen der freien Meinungsäußerung und der Medienfreiheit, einschließlich Gewalt oder Drohungen gegen Journalisten und die Existenz von Verleumdungsgesetzen (USDOS 23.4.2024; vgl. FH 2024, AI 24.4.2024); Eingriffe in die friedliche Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit (USDOS 23.4.2024; vgl. FH 2024); schwerwiegende Korruption in der Regierung; fehlende Ermittlungen und Rechenschaftspflicht bei geschlechtsspezifischer Gewalt, einschließlich, aber nicht beschränkt auf häusliche und intime Partnergewalt, sexuelle Gewalt, Kinder-, Früh- und Zwangsverheiratung, weibliche Genitalverstümmelung/-beschneidung und andere schädliche Praktiken (USDOS 23.4.2024; vgl. AI 24.4.2024); das Vorhandensein oder die Anwendung von Gesetzen, die einvernehmliche gleichgeschlechtliche sexuelle Handlungen zwischen Erwachsenen unter Strafe stellen (USDOS 23.4.2024; vgl. FH 2024) - zahlreiche Männer wurden aufgrund des Gesetzes zum Verbot der gleichgeschlechtlichen Ehe angeklagt (AI 24.4.2024); und das Vorhandensein der schlimmsten Formen von Kinderarbeit (USDOS 23.4.2024). Frauen und Angehörige sexueller Minderheiten sind allgegenwärtiger Diskriminierung ausgesetzt (FH 2024).
Quellen
AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (21.12.2023): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in Nigeria (Stand: November 2023), https://www.ecoi.net/en/file/local/2102769/Auswärtiges_Amt,_Bericht_über_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_Nigeria,_21.12.2023.pdf, Zugriff 27.5.2024 [Login erforderlich]
AI - Amnesty International (24.4.2024): The State of the World’s Human Rights; Nigeria 2023, https://www.ecoi.net/de/dokument/2107991.html, Zugriff 7.6.2024
FH - Freedom House (2024): Freedom in the World 2024 - Nigeria, https://www.ecoi.net/de/dokument/2105060.html, Zugriff 3.6.2024
ÖB Abuja - Österreichische Botschaft Abuja [Österreich] (10.2024): Asylländerbericht Nigeria Oktober 2024, https://www.ecoi.net/en/file/local/2116558/NIGR_ÖB-Bericht_2024_10.docx, Zugriff 24.10.2024 [Login erforderlich]
USDOS - United States Department of State [USA] (23.4.2024): 2023 Country Report on Human Rights Practices: Nigeria, https://www.ecoi.net/de/dokument/2107771.html, Zugriff 3.6.2024
Grundversorgung
Letzte Änderung 2025-01-31 08:10
Nigeria ist als bevölkerungsreichstes Land Afrikas (ÖB Abuja 10.2024; vgl. ABG 8.2024) mit offiziell 224 Millionen Einwohnern (geschätzt werden jedoch mehr als 230 Millionen) eine der größten Volkswirtschaften des Kontinents (ÖB Abuja 10.2024). Zwar hat es seinen Rang als größte Volkswirtschaft des Kontinents eingebüßt, wird aber auch weiterhin neben Südafrika und Ägypten zu den Top-Drei gehören. Trotz der zahlreichen Herausforderungen ist das Land ein vielversprechender Wirtschaftsstandort. Neben Öl und Gas spielen der Handel und vermehrt der Konsumgüterbereich eine Rolle. Alleine aufgrund seiner Bevölkerungsgröße ist Nigeria ein interessanter Verbrauchermarkt (ABG 8.2024) - die Vereinten Nationen gehen von einer Verdoppelung der Einwohnerzahl auf 400 Millionen bis zum Jahr 2050 aus (ABG 8.2024; vgl. ÖB Abuja 10.2024).
Nigeria befindet sich in einer Wirtschaftskrise mit hoher Inflation. Für den starken Anstieg der Lebenshaltungskosten machen viele die Wirtschaftsreformen von Präsident Tinubu verantwortlich. Die Verdoppelung der Kraftstoffpreise, steigende Lebensmittel- und Transportkosten sowie eine erhebliche Verteuerung importierter Waren sind Folgen dieser Reformen (BAMF 10.6.2024). Die wirtschaftspolitischen Maßnahmen, die Präsident Tinubu am Anfang seiner Amtszeit getroffen hat - wie die Abschaffung der Benzinpreis-Subvention sowie des strikten Wechselkurs-Regimes - haben der Bevölkerung einen hohen Preis abverlangt. Die Inflation ist so hoch wie seit fast drei Jahrzehnten nicht mehr, und das Land leidet unter Devisenmangel. Der Naira hat seit Juni 2023 rund 70 Prozent seines Wertes im Vergleich zum USD verloren. Das Floaten des Naira war zwar eine notwendige Maßnahme für längerfristiges Wirtschaftswachstum, trieb die Inflation aber noch mehr an. Der Wertverlust stellt Nigerianer aus allen Einkommensschichten vor Herausforderungen. Nigeria ist ein importabhängiges Land, und importierte Produkte sind spürbar teurer geworden (WKO 9.2024).
Die nigerianische Regierung hat am 27.8.2024 unter Berufung auf eine Studie mehrerer internationaler Organisationen bekannt gegeben, dass aufgrund dessen aktuell mehr als 31,8 Mio. Nigerianer von akuter Ernährungsunsicherheit betroffen sind. Besonders Frauen und Kinder sind Medienberichten zufolge betroffen. Die Ergebnisse eines internationalen Berichts deuten auf einen starken Anstieg der Anzahl an Betroffenen hin. Nach Angaben des WFP waren zwischen Oktober und Dezember 2023 noch rd. 18,6 Mio. Nigerianer von akuter Ernährungsunsicherheit bedroht. U. a. durch Überfälle von Mitgliedern bewaffneter Gruppen sind demnach sesshafte Landwirte gezwungen worden, ihre Felder zu verlassen, was zu höheren Lebensmittelpreisen und einer steigenden Inflation beigetragen hat. Nigeria ist mit der stärksten Lebenshaltungskostenkrise seit einer Generation konfrontiert (BAMF 2.9.2024a).
Die Regierung hat wenig getan, um die Auswirkungen der 2023 eingeführten Wirtschaftsreformen abzufedern. Diese Reformen, darunter die Abschaffung der Subventionierung des Kraftstoffverbrauchs und die Liberalisierung der Wechselkurse, trugen zu einer hohen Inflation bei und führten zur schlimmsten Lebenskostenkrise in Nigeria seit 30 Jahren. Im Februar 2024 nahm die Regierung ein Bargeldtransferprogramm zur Unterstützung von Familien wieder auf, nachdem es aufgrund von Unregelmäßigkeiten ausgesetzt worden war. Das Programm wurde im Oktober 2023 ins Leben gerufen und sollte letztlich 15 Millionen Familien zugutekommen, indem 25.000 Naira (15 US-Dollar) über einen Zeitraum von drei Monaten, von Oktober bis Dezember 2023, an jeden Begünstigten verteilt wurden. Bis Dezember 2023 hatten jedoch nur 1,7 Millionen Menschen davon profitiert (HRW 16.1.2025).
Die Reformen Tinubus zielten darauf ab, die makroökonomischen Bedingungen für Stabilität und Wachstum wiederherzustellen. Die nigerianische Zentralbank hat die Geldpolitik angemessen gestrafft und sich wieder auf ihr Mandat der Preisstabilität konzentriert, was durch die Verpflichtung der Behörden, die Defizitmonetarisierung zu beenden, erleichtert wurde. Obwohl diese Maßnahmen der nigerianischen Wirtschaft helfen, die Kurve zu kriegen, ist die Inflation nach wie vor hoch (WB 14.10.2024), im Juni 2024 34 Prozent (WKO 9.2024), was zu mehr Not und Armut führt (WB 14.10.2024). Für das Gesamtjahr 2023 wird die Inflation mit 24,7 Prozent angegeben. Innerhalb eines Jahres (März 2023 – März 2024) stieg der Preis von Grundnahrungsmitteln enorm: Reis +153 Prozent, Yam +141 Prozent, Garri +122 Prozent, Bohnen +106 Prozent (WKO 5.2024). Um die ärmsten und wirtschaftlich am stärksten gefährdeten Haushalte zu unterstützen, hat die Regierung befristete Bargeldtransfers für 15 Millionen Haushalte eingeführt (WB 14.10.2024).
Bei einer im Jahr 2024 durchgeführten Studie mittels Befragung eines repräsentativen Samples in drei Städten kamen folgende Ergebnisse heraus:
16 Prozent der Befragten (n = 608) schaffen es, ihre Familie ausreichend mit Lebensmitteln zu versorgen, während 27 Prozent der Befragten es gerade so schaffen, ihre Familie ausreichend zu versorgen. 49 Prozent der Befragten schaffen es kaum, ihre Familie ausreichend zu ernähren, während acht Prozent ihre Familie nicht ausreichend ernähren können. Neun Prozent der befragten Teilnehmer (n = 608) schaffen es, ihre Familie mit grundlegenden Konsumgütern wie Kleidung oder Schuhen zu versorgen, während 23 Prozent es gerade so schaffen, ihre Familie mit grundlegenden Konsumgütern zu versorgen. 51 Prozent schaffen es kaum, ihre Familie mit grundlegenden Konsumgütern zu versorgen, während 17 Prozent ihre Familie nicht mit grundlegenden Konsumgütern versorgen können. 68 Prozent der Teilnehmer (n = 608) haben immer Zugang zu sauberem Trinkwasser, während 20 Prozent manchmal Zugang zu sauberem Trinkwasser haben. Im Gegensatz dazu haben sieben Prozent der Umfrageteilnehmer selten Zugang zu sauberem Trinkwasser, während fünf Prozent nie Zugang zu sauberem Trinkwasser haben (BFA 1.2025).
Trendentwicklungen in den Jahren 2023 und 2024 (diese werden nur angegeben, wenn ein signifikanter, also mehr als vier Prozentpunkte ausmachender Unterschied feststellbar ist):
Der Anteil derjenigen, die sich die Lebensmittel für die Familie leisten können, ist von 21 Prozent im Jahr 2023 auf 16 Prozent im Jahr 2024 gesunken. Ein positiver Trend beim Zugang zu sauberem Trinkwasser ist im Vergleich zwischen 2023 und 2024 zu erkennen: 2023 hatten 60 Prozent immer Zugang zu sauberem Trinkwasser, während dies 2024 für 68 Prozent gilt. Eine Verschlechterung in Bezug auf die Fähigkeit, die Familie mit grundlegenden Verbrauchsgütern zu versorgen, ist zwischen 2023 und 2024 festzustellen: Während 2023 17 Prozent in der Lage waren, die Familie mit grundlegenden Verbrauchsgütern zu versorgen, ist dieser Anteil im Jahr 2024 auf neun Prozent gesunken (BFA 1.2025).
Zwischen 2000 und 2014 verzeichnete die nigerianische Wirtschaft ein breit angelegtes und nachhaltiges Wachstum von durchschnittlich über sieben Prozent pro Jahr, das von günstigen globalen Bedingungen sowie makroökonomischen und strukturellen Reformen der ersten Stufe profitierte (WB 21.3.2024). Im Zeitraum 2015-2022 gingen die Wachstumsraten zurück und das Pro-Kopf-BIP flachte ab, was auf politische Fehlentscheidungen zurückzuführen war, die durch Schocks verstärkt wurden. Die Wirtschaft wurde auch durch externe Schocks wie die COVID-19-Pandemie und höhere weltweite Lebensmittel- und Düngemittelpreise nach Russlands Einmarsch in der Ukraine sowie durch inländische Schocks wie die zerstörerische Demonetisierungspolitik Anfang 2023 und die verheerenden Überschwemmungen im Oktober 2022 und September 2024 erschüttert (WB 14.10.2024).
Stärken der nigerianischen Wirtschaft: Reiche Erdöl- und Gasvorkommen; relativ breit aufgestellte Industrie in Lagos; größter Verbrauchermarkt Afrikas mit mehr als 220 Millionen Einwohnern; großer Pool an motivierten Arbeitskräften. Schwächen: schlechte Infrastruktur; Korruption und Vetternwirtschaft in der öffentlichen Verwaltung; hohe Standortkosten und steigende Sicherheitskosten; Großteil der Bevölkerung mit rückläufiger Kaufkraft (ABG 8.2024). Nigeria verfügt über weitreichende, jedoch nicht erschlossene Bodenschätze, weitläufige und fruchtbare Agrarflächen und ein günstiges Klima, eine vergleichsweise gut ausgebaute, jedoch unzureichend instandgehaltene Infrastruktur sowie einem Binnenmarkt von mehr als 200 Millionen Menschen und daher über deutlich bessere Entwicklungschancen als die meisten anderen Staaten Westafrikas. Zudem wurden in den 1950er- und 1970er-Jahren riesige Öl- und Gasvorkommen im Land entdeckt (ÖB Abuja 10.2024).
Gleichzeitig leidet Nigeria, ebenso wie andere ressourcenreiche Entwicklungsländer, unter dem sogenannten Erdöl-Fluch. Dieser hat in den letzten 40 Jahren zur Vernachlässigung vieler anderer Wirtschaftszweige geführt und die Importabhängigkeit des Landes in vielen Bereichen sehr groß werden lassen. Der Erdölsektor erwirtschaftet rund 80 Prozent der Exporteinnahmen und über 50 Prozent der Staatseinnahmen Nigerias. Aufgrund des Rückzugs vieler westlicher Ölunternehmen, schlechter Wartung und großer Verluste durch Öldiebstahl sank jedoch der Beitrag des Erdölsektors zum BIP immer weiter, zuletzt auf rund 5,5 Prozent. Die große Abhängigkeit von Erdöl und Erdgas im Bereich des Exports und damit der Einnahme von Devisen war die grundlegende Ursache der nigerianischen Wirtschaftskrisen der Jahre 2016, 2017 und 2020. Paradoxerweise ist der Import von raffinierten Erdölprodukten trotz der großen Rohölvorkommen einer der gewichtigsten Ausgabenposten Nigerias. Dies ist einerseits durch die mangelnde Funktionstüchtigkeit der vier großen staatlichen nigerianischen Raffinerien zu erklären, andererseits aber durch den Umstand, dass die Stromversorgung von Produktionsbetrieben und Infrastruktureinrichtungen sowie von wohlhabenderen Haushalten zum Großteil durch Dieselgeneratoren erfolgt. Trotz der versprochenen Instandsetzungsarbeiten an den staatlichen Ölraffinerien sind diese nach wie vor alle außer Betrieb. Lange Zeit hoffte man auf eine Verbesserung der innerstaatlichen Versorgungslage durch die Inbetriebnahme der ersten in Privatbesitz der Dangote-Gruppe befindlichen Ölraffinerie, welche auch die größte Einstrangraffinerie der Welt ist. Sie ist nun nach Verzögerungen bei der Inbetriebnahme mit eingeschränkten Kapazitäten in Betrieb. Ihr Besitzer, der reichste Afrikaner, Aliko Dangote, beschuldigt den staatlichen Ölregulator NNPC, die Regierung sowie die großen Ölhändler des Landes regelmäßig, den Vollbetrieb absichtlich zu behindern (ÖB Abuja 10.2024).
Neben dem geringen Wirtschaftswachstum und der hohen Inflation ist die Bevölkerung zudem mit steigenden Treibstoff- und Elektrizitätskosten (bei gleichzeitig sinkender Versorgung) konfrontiert. Die Verarmung des Großteils der nigerianischen Bevölkerung wird sich fortsetzen. Das Fehlen wirtschaftlicher Chancen bei gleichzeitig hohem Bevölkerungswachstum gilt als Hauptantrieb für Migration. Sozio-ökonomisch betrachtet gehören die Migranten eher zur wachsenden gebildeten unteren Mittelklasse und kommen oft aus Städten des Südens und Südwestens Nigerias (vor allem aus dem Bundesstaat Edo). Dort gibt es seit Jahrzehnten eine hohe Mobilität landwirtschaftlicher Arbeitskräfte, Schmuggel- und Menschenhandelsnetzwerke, eine prekäre Arbeitssituation und kaum Aussicht für Jugendliche, das angestrebte Lebensziel zu verwirklichen. Sozio-kulturelle Zwänge sowie ein von sozialen Medien falsches kolportiertes Bild von Europa sind weitere Push-Faktoren (ÖB Abuja 10.2024).
Nigeria ist im Bereich der Landwirtschaft keineswegs autark, sondern auf Importe, vor allem von Reis, angewiesen. Historisch war Lebensmittelknappheit in fast ganz Nigeria aufgrund des günstigen Klimas und der hohen agrarischen Tätigkeit so gut wie nicht existent. In einzelnen Gebieten im äußersten Norden (Grenzraum zu Niger) gestaltet sich die Landwirtschaft durch die fortschreitende Desertifikation allerdings schwierig. Aufgrund der Wetterbedingungen, aber auch wegen der Vertriebenenbewegungen als Folge der Attacken durch Boko Haram und ISWAP (Islamic State West Africa Province), herrschen lang andauernde Hungerperioden in den nördlichen, insbesondere nordöstlichen Bundesstaaten (ÖB Abuja 10.2024).
Obwohl Nigeria die größte Wirtschaft und Bevölkerung Afrikas hat, bietet es den meisten seiner Bürger nur begrenzte Möglichkeiten. Ein Nigerianer, der im Jahr 2020 geboren wurde, wird voraussichtlich nur 36 Prozent so produktiv sein, wie er es sein könnte, wenn er uneingeschränkten Zugang zu Bildung und Gesundheit hätte - der siebentniedrigste Humankapitalindex der Welt. Die schwache Schaffung von Arbeitsplätzen und die schwachen unternehmerischen Aussichten erschweren die Aufnahme von 3,5 Millionen Nigerianern, die jedes Jahr ins Erwerbsleben eintreten, in den Arbeitsmarkt, und viele Arbeitnehmer entscheiden sich auf der Suche nach besseren Möglichkeiten für die Auswanderung (WB 14.10.2024). Nach dem multidimensionalen Armutsindex, der Indikatoren zu Bildung, Gesundheit, Lebensstandard und Arbeitslosigkeit umfasst, waren im Jahr 2018 63 Prozent der Bevölkerung als arm einzustufen (BS 2024). In Nigeria leben etwa 37 Prozent der Bevölkerung unter der Armutsgrenze von zwei US-Dollar pro Tag, rund 133 Millionen Menschen gelten in Nigeria als multidimensional arm (ÖB Abuja 10.2024). Die Armutsquote hat im Jahr 2023 schätzungsweise 38,9 Prozent erreicht, wobei schätzungsweise 87 Millionen Nigerianer unterhalb der Armutsgrenze leben - die zweitgrößte Gruppe an armer Bevölkerung weltweit nach Indien (WB 14.10.2024). Die hohen Inflationsraten, die unter anderem auf die Abschaffung der Benzinsubventionen zurückzuführen sind, haben zu einem Anstieg der multidimensionalen Armut und der wirtschaftlichen Ungleichheit geführt. Die hohe Inflationsrate untergrub den Zugang zu Nahrungsmitteln und anderen lebensnotwendigen Gütern in einem Land, in dem Millionen von Menschen in extremer Armut ohne ein funktionierendes Sozialschutzsystem leben (HRW 11.1.2024).
Der gesetzlich vorgesehene nigerianische Mindestlohn liegt bei NGN 70.000 (EUR 39). Die Anhebung erfolgte von vormals NGN 30.000 Anfang August 2024 und ist innerhalb der Regionen umstritten und bisher auch nicht flächendeckend umgesetzt. Trotz der Anhebung ist es mit diesem Betrag in Anbetracht der Währungsentwertung, der Verringerung von Treibstoff- und Elektrizitätssubventionen, der Inflation und im Speziellen der Nahrungsmittelinflation kaum möglich auch nur die Grundbedürfnisse zu decken. Im landwirtschaftlichen sowie im privaten (Haushaltshilfen)Bereich und im Kleingewerbe sind nach wie vor viel kleinere monatliche Zahlungen der Regelfall. Im ländlichen Bereich arbeiten Dienstnehmerinnen und Dienstnehmer zum Teil auch nur für Kost und Logis bzw. werden für Erntearbeit in Naturalien entlohnt (ÖB Abuja 10.2024).
In Nigeria arbeitslos zu sein, sollte nicht mit dem europäischen Verständnis dieses Begriffs verwechselt werden. Es gibt keine Arbeitslosenversicherung. Arbeitssuchende sind auf das soziale Netz ihrer Großfamilie angewiesen und wandern in drei- bis sechsmonatigen Abständen von Verwandten zu Verwandten auf der Suche nach Beschäftigung. „Work“ wird mit sozial niedrig eingestuften Tätigkeiten (Landwirtschaft, Haushalt) assoziiert und wird kaum angestrebt. Selbständigkeit („Business“), auch wenn es nur der Straßenverkauf („Hawking“) von Trinkwasser ist, wird als erstrebenswerter erachtet. Anstellungen in Banken oder bei Behörden sind für viele das große Ziel. Eine für die Lebensmittelversorgung Nigerias so wichtige Tätigkeit in der Landwirtschaft ist aufgrund der schwierigen Sicherheitslage in vielen Teilen des Landes kontinuierlich rückläufig (ÖB Abuja 10.2024).
Laut dem National Bureau of Statistics in Nigeria (NBS) betrug die Arbeitslosigkeit im 3. Quartal 2023 5,0 Prozent und 4,2 Prozent im 2. Quartal. Diese sehr niedrigen Zahlen sind auf eine Änderung der Methodik im August 2023 zurückzuführen, laut der jene Personen als erwerbstätig gelten, die innerhalb der letzten Woche zumindest eine Stunde einer bezahlten Arbeit nachgingen. Zuvor betrug die statistische Arbeitslosenrate noch 33 Prozent (WKO 5.2024). [Anm.: Zahlen beim NBS überprüft - nicht als Quelle angegeben, da die Zahlen nur in der google Suche aufscheinen, die Website des NBS selbst aber einen Ladefehler aufwies.]
Die vom nigerianischen National Bureau of Statistics veröffentlichten Beschäftigungsdaten sind aufgrund einer Umstellung der Berechnungsmethode (Menschen gelten schon bei einer Beschäftigung von einer Stunde pro Woche als beschäftigt) mit circa fünf Prozent nicht aussagekräftig, die davor zuletzt veröffentlichten Beschäftigungsdaten stammen aus dem vierten Quartal 2020. Demnach waren Ende 2020 56,1 Prozent der arbeitsfähigen nigerianischen Bevölkerung entweder arbeitslos (33,3 Prozent) oder unterbeschäftigt (22,8 Prozent). Damit hat sich die Arbeitslosigkeit laut offiziellen Daten innerhalb von fünf Jahren mehr als vervierfacht. Zumindest jeder zweite erwerbsfähige nigerianische Bürger ist völlig ohne Arbeit oder unterbeschäftigt. Verschiedene Programme auf Ebene der Bundesstaaten aber auch der Zentralregierung zielen auf die Steigerung der Jugendbeschäftigung ab. Die Effekte dieser Maßnahmen sind jedoch bisher zumeist bestenfalls temporär. Heute ist davon auszugehen, dass die Arbeitslosenzahl weiter gestiegen ist (ÖB Abuja 10.2024).
Die Großfamilie unterstützt beschäftigungslose Angehörige. Die Chancen, einen sicheren Arbeitsplatz im öffentlichen Dienst, staatsnahen Betrieben oder Banken zu finden, sind gering, außer man verfügt über eine europäische Ausbildung und über Beziehungen (ÖB Abuja 10.2024).
Verdienstmöglichkeiten für Rückkehrerinnen: Eine der Berufsmöglichkeiten für Rückkehrerinnen ist die Eröffnung einer mobilen Küche für "peppersoup", "garri" oder "pounded yam", für die man lediglich einen großen Kochtopf und einige Suppenschüsseln benötigt. Die Grundausstattung für eine mobile Küche ist für einen relativ geringen Betrag erhältlich. Hauptsächlich im Norden ist auch der Verkauf von bestimmten Holzstäbchen zur Zahnhygiene eine Möglichkeit, genügend Einkommen zu erlangen. In den Außenbezirken der größeren Städte und im ländlichen Bereich bietet auch "mini-farming" eine Möglichkeit, selbstständig erwerbstätig zu sein. Schneckenfarmen sind auf 10 m² Grund einfach zu führen und erfordern lediglich entweder das Sammeln der in Nigeria als "bushmeat" gehandelten Wildschnecken zur Zucht oder den Ankauf einiger Tiere. Ebenso werden nun "grasscutter" (Bisamratten-ähnliche Kleintiere) gewerbsmäßig in Kleinkäfigen als "bushmeat" gezüchtet. Großfarmen bieten Tagesseminare zur Aufzucht dieser anspruchslosen und sich rasch vermehrenden Tiere samt Verkauf von Zuchtpaaren an. Rascher Gewinn und gesicherte Abnahme des gezüchteten Nachwuchses sind gegeben. Schnecken und "grasscutter" finden sich auf jeder Speisekarte einheimischer Lokale. Für handwerklich geschickte Frauen bietet auch das Einflechten von Kunsthaarteilen auf öffentlichen Märkten eine selbstständige Erwerbsmöglichkeit. Für den Verkauf von Wertkarten erhält eine Verkäuferin wiederum pro 1.000 Naira Wert eine Provision von 50 Naira. Weiters werden im ländlichen Bereich Mobiltelefone für Gespräche verliehen; pro Gespräch werden zehn Prozent des Gesprächspreises als Gebühr berechnet (ÖB Abuja 10.2021).
Quellen
ABG - Africa Business Guide (8.2024): Länderprofil Wirtschaft in Nigeria, https://www.africa-business-guide.de/de/maerkte/nigeria, Zugriff 9.1.2025
BAMF - Bundesamt für Migration und Flüchtlinge [Deutschland] (2.9.2024a): Briefing Notes KW 36, https://www.bamf.de/SharedDocs/Anlagen/DE/Behoerde/Informationszentrum/BriefingNotes/2024/briefingnotes-kw36-2024.pdf?__blob=publicationFile v=4, Zugriff 10.1.2025
BAMF - Bundesamt für Migration und Flüchtlinge [Deutschland] (10.6.2024): Briefing Notes KW 24 / 2024, https://www.bamf.de/SharedDocs/Anlagen/DE/Behoerde/Informationszentrum/BriefingNotes/2024/briefingnotes-kw24-2024.pdf?__blob=publicationFile v=4, Zugriff 25.7.2024
BFA - Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (1.2025): Socio-economic report Nigeria 2024
BS - Bertelsmann Stiftung (2024): BTI 2024 Nigeria Country Report, https://bti-project.org/en/reports/country-report/NGA, Zugriff 3.6.2024
HRW - Human Rights Watch (16.1.2025): World Report 2025 - Nigeria, https://www.ecoi.net/de/dokument/2120043.html, Zugriff 20.1.2025
HRW - Human Rights Watch (11.1.2024): World Report 2024 - Nigeria, https://www.ecoi.net/de/dokument/2103137.html, Zugriff 17.6.2024
ÖB Abuja - Österreichische Botschaft Abuja [Österreich] (10.2024): Asylländerbericht Nigeria Oktober 2024, https://www.ecoi.net/en/file/local/2116558/NIGR_ÖB-Bericht_2024_10.docx, Zugriff 24.10.2024 [Login erforderlich]
ÖB Abuja - Österreichische Botschaft Abuja [Österreich] (10.2021): Asylländerbericht Nigeria Oktober 2021
WB - Weltbank (14.10.2024): Nigeria - Overview, https://www.worldbank.org/en/country/nigeria/overview, Zugriff 10.1.2025
WB - Weltbank (21.3.2024): Nigeria - Overview, https://www.worldbank.org/en/country/nigeria/overview, Zugriff 25.7.2024
WKO - Wirtschaftskammer Österreich (9.2024): Nigeria Wirtschaftsbericht, https://www.wko.at/wien/aussenwirtschaft/nigeria-wirtschaftsbericht.pdf, Zugriff 9.1.2025
WKO - Wirtschaftskammer Österreich (5.2024): Wirtschaftsbericht Nigeria, https://www.wko.at/wien/aussenwirtschaft/nigeria-wirtschaftsbericht.pdf, Zugriff 25.7.2024
Medizinische Versorgung
Letzte Änderung 2025-01-23 09:57
Nigeria verfügt über ein pluralistisches Gesundheitssystem, in dem die Gesundheitsfürsorge gemeinsam vom öffentlichen und privaten Sektor sowie durch moderne und traditionelle Systeme erbracht wird. Die Verwaltung des nationalen Gesundheitssystems ist dezentralisiert in einem dreistufigen System zwischen Bundes-, Landes- und Lokalregierungen (EUAA 4.2022). Die medizinische Versorgung in den Haupt- und größeren Städten in Nigeria sowohl im öffentlichen als auch im privaten Sektor hat sich verbessert. So ist mittlerweile insbesondere für Privatzahler eine medizinische Versorgung für viele Krankheiten und Notfälle erhältlich. Trotzdem ist die Gesundheitsversorgung - vor allem auf dem Land - mangelhaft (AA 21.12.2023). Die Bundesregierung gibt weniger für Gesundheit und Bildung aus als fast jedes andere Land der Welt (fünf Prozent - 1,33 Billionen NGN - des Staatshaushaltes für Gesundheit) (ÖB Abuja 10.2024). Das öffentliche Gesundheitswesen gilt als unterfinanziert und geprägt von zum Teil sehr begrenzter Infrastruktur. Auch besteht bzgl. medizinischer Versorgung ein Leistungsgefälle zwischen städtischen und ländlichen Gebieten (BAMF 9.12.2024.
Obwohl die durchschnittliche Lebenserwartung bei der Geburt gestiegen ist (53,6 Jahre laut Human Development Report 2023/24), hat die Verbesserung des Zugangs zu einer angemessenen Gesundheitsversorgung in Nigeria keine hohe Priorität. Aufgrund von Konflikten, Terroranschlägen, sozioökonomischen Bedingungen, Unterernährung, Klimawandel, Zugang zu Wasser, sanitären Einrichtungen und Hygiene gibt es nach wie vor große Unterschiede im Gesundheitszustand zwischen den Bundesstaaten und geopolitischen Zonen (ÖB Abuja 10.2024).
Es gibt sowohl staatliche als auch zahlreiche privat betriebene Krankenhäuser. Rückkehrer finden in den Großstädten eine medizinische Grundversorgung vor, die im öffentlichen Gesundheitssektor allerdings in der Regel unter europäischem Standard liegt. Der private Sektor bietet hingegen in einigen Krankenhäusern (z. B. in Abuja, Ibadan, Lagos) westlichen Medizinstandard (AA 21.12.2023).
Wie die meisten afrikanischen Länder leidet auch Nigeria unter einem kritischen Mangel an Fachkräften beim Gesundheitspersonal (human resources for health - HRH). Obwohl das Land einen der größten Bestände an Gesundheitspersonal hat, ist die Dichte an Ärzten, Krankenschwestern und Hebammen unzureichend (1,95 pro 1.000). Nach Schätzungen der Weltbank kamen im Jahr 2018 etwa 0,4 Ärzte auf 1.000 Einwohner, während die Zahl der Krankenschwestern und Hebammen im Jahr 2019 auf 1,5 pro 1.000 Einwohner geschätzt wurde. Weitere Herausforderungen im Bereich der Humanressourcen sind die ungleiche Verteilung des Gesundheitspersonals auf die Bundesstaaten, Finanzierungslücken und Abwanderung von qualifiziertem Gesundheitspersonal in andere Länder (EUAA 4.2022).
Bei einer im Jahr 2024 durchgeführten Studie mittels Befragung eines repräsentativen Samples in drei Städten kamen folgende Ergebnisse heraus:
Was medizinische Grundversorgung, z. B. durch einen Hausarzt, betrifft, so haben 24 Prozent der Befragten immer Zugang und können sich einen Besuch leisten, während 37 Prozent Zugang haben, sich diesen aber nicht leisten können. 37 Prozent haben keinen Zugang zur medizinischen Grundversorgung. Zwei Prozent haben keine Antwort gegeben. 54 Prozent der Umfrageteilnehmer haben immer Zugang zu Medikamenten und Arzneimitteln und können sie sich leisten, während 32 Prozent zwar Zugang haben, sie sich aber nicht leisten können. Zwölf Prozent haben überhaupt keinen Zugang zu Medikamenten oder Arzneimitteln. Zwei Prozent haben keine Antwort gegeben. 20 Prozent der Teilnehmer haben immer Zugang zu einem Facharzt (Zahnarzt, Augenarzt, Gynäkologe, Urologe und Kinderarzt) und können sich diesen leisten, während 38 Prozent Zugang zu einem Facharzt haben, sich den Besuch aber nicht leisten können. 39 Prozent haben überhaupt keinen Zugang zu einem Facharzt. 3 Prozent haben keine Antwort gegeben. Zehn Prozent der Teilnehmer haben immer Zugang zu fortgeschrittenen Behandlungen wie Operationen oder Krebsbehandlungen und können sie sich leisten. 38 Prozent haben Zugang zu fortschrittlichen Behandlungen, können sie sich aber nicht leisten, während 44 Prozent überhaupt keinen Zugang haben. Acht Prozent haben keine Antwort gegeben. 43 Prozent der Befragten (n = 608) haben immer Zugang zu Impfungen und können sie sich leisten, während 28 Prozent zwar Zugang haben, aber nicht in der Lage sind, sie sich zu leisten. 25 Prozent haben keinen Zugang zu Impfungen. Vier Prozent haben nicht geantwortet (BFA 1.2025).
Trendentwicklungen in den Jahren 2023 und 2024 (diese werden nur angegeben, wenn ein signifikanter, also mehr als vier Prozentpunkte ausmachender Unterschied feststellbar ist):
Medizinische Grundversorgung, z. B. durch einen Hausarzt: Ein Anstieg ist bei denjenigen festzustellen, die Zugang zur medizinischen Grundversorgung haben, sich diese aber nicht leisten können (26 Prozent im Jahr 2023 gegenüber 37 Prozent im Jahr 2024). Ein Rückgang ist bei denjenigen festzustellen, die nie Zugang zur medizinischen Grundversorgung hatten (47 Prozent im Jahr 2023 gegenüber 37 Prozent im Jahr 2024) (BFA 1.2025).
Facharzt: Ein Anstieg ist bei denjenigen zu verzeichnen, die Zugang zu Fachärzten haben, sich diese aber nicht leisten können: 2023 traf dies auf 31 Prozent zu, während der Anteil im Jahr 2024 auf 38 Prozent gestiegen ist. Der Anteil derjenigen, die keinen Zugang haben, ist dagegen von 48 Prozent im Jahr 2023 auf 39 Prozent im Jahr 2024 gesunken (BFA 1.2025).
Fortgeschrittene Behandlungen: Bei denjenigen, die Zugang zu einer fortgeschrittenen Behandlung haben, sich diese aber nicht leisten können, ist ein Anstieg zu verzeichnen: 2023 traf dies auf 31 Prozent zu, während dieser Anteil 2024 auf 38 Prozent gestiegen ist. Der Anteil derjenigen, die nie Zugang zu einer fortgeschrittenen Behandlung haben, ist dagegen von 52 Prozent im Jahr 2023 auf 44 Prozent im Jahr 2024 zurückgegangen (BFA 1.2025).
Es existiert kein mit westlichen Standards vergleichbares Psychiatriewesen (AA 21.12.2023). Es gibt so gut wie keine Dienste für die psychische Gesundheit (ÖB Abuja 10.2024). Im ambulanten Bereich gibt es in Einzelfällen in den größeren Städten qualifizierte Psychiater, die nicht einweisungspflichtige Patienten mit klassischen Psychosen und Persönlichkeitsstörungen behandeln können (AA 21.12.2023). Es gibt weniger als 300 Psychiater für eine Bevölkerung von mehr als 200 Millionen Menschen, und angesichts der geringen Kenntnisse über psychische Störungen in der Primärversorgung sind die Familien in den ländlichen Gebieten auf sich allein gestellt, wenn es darum geht, ihre betroffenen Familienmitglieder zu versorgen. Auch die Zahlen für psychosoziale Fachkräfte sind niedrig, denn die Gesamtzahl der Fachkräfte im Bereich der psychischen Gesundheit liegt bei 0,9 pro 100.000 Einwohner, aufgeschlüsselt (jeweils pro 100.000 Einwohner) in 0,70 Krankenschwestern, 0,02 Psychologen, 0,10 Psychiater, 0,04 Sozialarbeiter und 0,01 Ergotherapeuten (EUAA 4.2022). Das in Lagos befindliche Federal Neuro Psychiatric Hospital Yaba bietet sich als erste Anlaufstelle für die Behandlung psychisch kranker Rückkehrer an. Die Kosten für den Empfang durch ein medizinisches Team des Krankenhauses direkt am Flughafen sollten im Einzelfall vorher erfragt werden. Die Behandlungskosten sind je nach Schwere der Krankheit unterschiedlich (AA 21.12.2023).
Es gibt eine allgemeine Kranken- und Rentenversicherung, die allerdings nur für Beschäftigte im formellen Sektor gilt. Die meisten Nigerianer arbeiten jedoch im informellen Sektor. Leistungen der Krankenversicherung kommen schätzungsweise nur 10 Prozent der Bevölkerung zugute (AA 21.12.2023).
Apotheken und in geringerem Maße private Kliniken verfügen über essenzielle Medikamente. Die staatliche Gesundheitsversorgung gewährleistet keine kostenfreie Medikamentenversorgung. Für Medikamente muss man selbst aufkommen. Das Preisniveau ist insgesamt uneinheitlich. Selbst Generika können bisweilen durchaus teurer als in, zum Beispiel, deutschen Apotheken sein (AA 21.12.2023). Die Kosten medizinischer Behandlung und Medikamente müssen im Regelfall selbst getragen werden; die Kosten für Medikamente sind hoch und für die meisten Nigerianer unerschwinglich. Medikamente gegen einige weitverbreitete Infektionskrankheiten wie Malaria und HIV/AIDS können teilweise kostenlos in Anspruch genommen werden, werden jedoch nicht landesweit flächendeckend ausgegeben (ÖB Abuja 10.2024). Gemäß einer weiteren Quelle werden Medikamente für sogenannte vorrangige Krankheiten in staatlichen Gesundheitseinrichtungen kostenlos zur Verfügung gestellt, darunter antiretrovirale Medikamente sowie Medikamente gegen Tuberkulose und multiresistente Tuberkulose. Probleme in der Versorgungskette haben zur Bildung informeller Arzneimittelmärkte geführt. Die Medikamentenpreise variieren in den nördlichen und südlichen Regionen; sie sind im Norden höher, weil die Verteilung von den südlichen Häfen in die nördlichen Regionen kostenintensiver ist (EUAA 4.2022).
Die Qualität der Produkte auf dem freien Markt ist zweifelhaft, da viele gefälschte Produkte vertrieben werden (bis zu 25 Prozent aller verkauften Medikamente), die nur eingeschränkt wirken (AA 21.12.2023). Der unerlaubte Verkauf von Medikamenten und die schlechte Qualität von gefälschten Arzneimitteln sind weitere große Herausforderungen (ÖB Abuja 10.2024).
Gerade im ländlichen Bereich werden „herbalists“ und traditionelle Heiler aufgesucht (ÖB Abuja 10.2024).
Quellen
AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (21.12.2023): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in Nigeria (Stand: November 2023), https://www.ecoi.net/en/file/local/2102769/Auswärtiges_Amt,_Bericht_über_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_Nigeria,_21.12.2023.pdf, Zugriff 27.5.2024 [Login erforderlich]
BAMF - Bundesamt für Migration und Flüchtlinge [Deutschland] (9.12.2024): Briefing Notes KW50 / 2024, https://www.bamf.de/SharedDocs/Anlagen/DE/Behoerde/Informationszentrum/BriefingNotes/2024/briefingnotes-kw50-2024.html, Zugriff 13.12.2024
BFA - Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (1.2025): Socio-economic report Nigeria 2024
EUAA - European Union Agency for Asylum (4.2022): Medical Country of Origin Report - Nigeria, https://www.ecoi.net/en/file/local/2071828/2022_04_EUAA_MedCOI_Report_Nigeria.pdf, Zugriff 23.7.2024
ÖB Abuja - Österreichische Botschaft Abuja [Österreich] (10.2024): Asylländerbericht Nigeria Oktober 2024, https://www.ecoi.net/en/file/local/2116558/NIGR_ÖB-Bericht_2024_10.docx, Zugriff 24.10.2024 [Login erforderlich]
Rückkehr
Letzte Änderung 2025-01-23 09:58
Zum Zeitpunkt der Berichtslegung kann kein ungerechtfertigter Eingriff von erheblicher Intensität in die zu schützende persönliche Sphäre des Einzelnen festgestellt werden, welcher geeignet wäre, die Unzumutbarkeit der Inanspruchnahme des Schutzes des Heimatstaates zu begründen. Die allgemein herrschende Situation in Nigeria stellt keine Bedrohung i.S.v Art. 2 MRK, 3 MRK oder des Protokolls Nr. 6 oder 13 der EMRK dar. Außerdem kann allgemein festgestellt werden, dass eine nach Nigeria zurückgeführte Person, die in keinem privaten Verband soziale Sicherheit finden kann, keiner lebensbedrohlichen Situation überantwortet wird. Sie kann ihre existenziellen Grundbedürfnisse aus selbstständiger Arbeit sichern, insbesondere dann, wenn Rückkehrhilfe angeboten wird (ÖB Abuja 10.2024).
Die Österreichische Botschaft in Abuja unterstützt regelmäßig die Vorbereitung und Durchführung von Joint Return Operations (JRO) gemeinsam mit FRONTEX und anderen EU-Mitgliedstaaten (ÖB Abuja 10.2024).
Erkenntnisse darüber, ob abgelehnte Asylbewerber bei Rückkehr nach Nigeria allein wegen der Beantragung von Asyl mit staatlichen Repressionen zu rechnen haben, liegen nicht vor. Verhaftung aus politischen Gründen oder andere außergewöhnliche Vorkommnisse bei der Einreise von abgeschobenen oder freiwillig rückkehrenden Asylwerbern sind nicht bekannt. Abgeschobene Personen werden im Allgemeinen nach ihrer Ankunft in Lagos von der zuständigen Behörde (Nigerian Immigration Service), manchmal auch von der NDLEA (National Drug Law Enforcement Agency) befragt und können danach das Flughafengelände verlassen (AA 21.12.2023). Die Rückgeführten verlassen nach einer erkennungsdienstlichen Behandlung durch die nigerianischen Behörden das Flughafengebäude und steigen zumeist in ein Taxi oder werden von ihren Familien abgeholt. Es kann aufgrund von fehlenden Erfahrungen jedoch nicht mit gänzlicher Sicherheit ausgeschlossen werden, dass die abgeschobenen Personen keine weiteren Probleme mit den Behörden zu gewärtigen haben. Das fehlende Meldesystem in Nigeria lässt allerdings darauf schließen, dass nach Verlassen des Flughafengeländes eine Ausforschung Abgeschobener kaum mehr möglich ist (ÖB Abuja 10.2024).
Wegen Drogendelikten im Ausland verurteilte Nigerianer werden nach Rückkehr an die NDLEA überstellt. Ein zweites Strafverfahren in Nigeria wegen derselben Straftat haben diese Personen jedoch trotz anderslautender Vorschriften im "Decree 33" nicht zu befürchten (AA 21.12.2023). Aus menschenrechtlichen Erwägungen wird gegenüber nigerianischen Behörden als Grund für Abschiebungen stets "overstay" angegeben, da dieser kein strafrechtliches Delikt darstellt (ÖB Abuja 10.2024).
Staatliche oder sonstige Aufnahmeeinrichtungen für zurückkehrende unbegleitete Minderjährige sind in Lagos und anderen Landesteilen grundsätzlich vorhanden. Sie sind jedoch in schlechtem Zustand, sodass z. B. die Angebote nicht bekannt sind oder eine ausreichende Versorgung dort nicht ohne Weiteres gewährleistet ist. Internationale Akteure betreiben Rückkehrer- bzw. Migrationsberatungszentren. Eine entsprechende Einrichtung von IOM in Benin-City, Edo State, wurde 2018 eröffnet. IOM ist ebenfalls in Abuja und Lagos vertreten. Gleichermaßen haben im Herbst 2018 in Lagos, Abuja und Benin City Migrationsberatungszentren der GIZ (Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit) ihren Betrieb aufgenommen. Gemeinsam mit dem nigerianischen Arbeitsministerium wird dort über berufliche Perspektiven in Nigeria informiert und es werden Aus- oder Weiterbildungsprojekte angeboten (AA 21.12.2023).
Quellen
AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (21.12.2023): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in Nigeria (Stand: November 2023), https://www.ecoi.net/en/file/local/2102769/Auswärtiges_Amt,_Bericht_über_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_Nigeria,_21.12.2023.pdf, Zugriff 27.5.2024 [Login erforderlich]
ÖB Abuja - Österreichische Botschaft Abuja [Österreich] (10.2024): Asylländerbericht Nigeria Oktober 2024, https://www.ecoi.net/en/file/local/2116558/NIGR_ÖB-Bericht_2024_10.docx, Zugriff 24.10.2024 [Login erforderlich]
2. Beweiswürdigung:
2.1. Zum Sachverhalt:
Zur Feststellung des für die Entscheidung maßgebenden Sachverhaltes wurden im Rahmen des Ermittlungsverfahrens Beweise erhoben durch die Einsichtnahme in den Akt der belangten Behörde, in den bekämpften Bescheid und in den Beschwerdeschriftsatz sowie in das aktuelle „Länderinformationsblatt der Staatendokumentation“ zu Nigeria.
Ergänzend wurden Auszüge aus dem zentralen Melderegister, dem Strafregister, dem Betreuungsinformationssystem der Grundversorgung und der Sozialversicherungsdatenbank eingeholt.
2.2. Zur Person des Beschwerdeführers:
Die Feststellungen ergeben sich primär aus dem Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 28.06.2021, GZ: I401 1241438-3/22E.
Nachdem - wie aus dem eingeholten Auszug aus dem Fremdenregister hervorgeht - am 15.01.2024 das Konsulat von Nigeria die Identität des Beschwerdeführers bestätigte und für ihn ein Heimreisezertifikat mit der Gültigkeit von 15.01.2024 bis 15.02.2024 ausstellte, steht seine Identität und Staatsangehörigkeit fest.
2.3. Zu den Feststellungen, dass sich nach dem letzten Asylverfahren bis zum Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Bescheides keine maßgeblichen Änderungen ergeben haben:
Mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 28.06.2021, GZ: I401 1241438-3/22E, wurde im Instanzenzug der Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz vom 13.05.2011 abgewiesen und gleichzeitig eine Rückkehrentscheidung mit einem befristeten Einreiseverbot erlassen.
Im gegenständlichen Asylverfahren brachte der Beschwerdeführe keine neuen entscheidungswesentlichen Fluchtgründe vor, wie der Niederschrift zur Erstbefragung vom 02.10.2024 und zur niederschriftlichen Einvernahme vom 20.02.2025 vor dem Bundesamt zu entnehmen ist. Bereits in der Erstbefragung vom 02.10.2024 erklärte er, seine alten Asylgründe aufrecht zu halten.
Soweit er vorbringt, er würde im Südsudan gesucht werden, macht er keine Fluchtgründe in Bezug auf seinen Herkunftsstaat geltend.
Eine wesentliche Verschlechterung der Sicherheits- und Versorgungslage in Nigeria ist nach Abschluss des letzten Asylverfahrens bis zum Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Bescheides nicht eingetreten, wie ein Vergleich zwischen den im angefochtenen Bescheid zitierten Informationen zur Lage in Nigeria und den Informationen zur Lage in Nigeria im Erkenntnis vom 28.06.2021, GZ: I401 1241438-3/22E, ergibt.
Zudem sind in der Zeit zwischen dem Abschluss des letzten Asylverfahrens und der Erlassung des angefochtenen Bescheides auch keine wesentlichen in der Person des Beschwerdeführers liegenden neuen Sachverhaltselemente bekannt geworden, etwa eine schwere Erkrankung, die in Nigeria nicht behandelbar wäre, oder sonstige auf seine Person bezogene außergewöhnliche Umstände, welche eine neuerliche umfassende Prüfung notwendig erscheinen ließen. Vor dem Bundesamt in der niederschriftlichen Einvernahme sagte er aus, gesund zu sein, jedoch einen Schmerz in seinem Bein zu spüren (Protokoll vom 20.02.2025, S. 3).
2.4. Zum Herkunftsstaat:
Die Feststellungen zur Lage im Herkunftsstaat beruhen auf den aktuellen Länderinformationen der Staatendokumentation für Nigeria vom 31.01.2025 samt den dort publizierten Quellen und Nachweisen.
Diese Länderinformationen stützen sich auf Berichte verschiedener ausländischer Behörden, etwa die allgemein anerkannten Berichte des Deutschen Auswärtigen Amtes, als auch jene von Nichtregierungsorganisationen, wie bspw. Open Doors, sowie Berichte von allgemein anerkannten unabhängigen Nachrichtenorganisationen.
Angesichts der Seriosität und Plausibilität der angeführten Erkenntnisquellen sowie dem Umstand, dass diese Berichte auf einer Vielzahl verschiedener, voneinander unabhängigen Quellen beruhen und dennoch ein in den Kernaussagen übereinstimmendes Gesamtbild ohne wissentliche Widersprüche darbieten, besteht kein Grund, an der Richtigkeit der Angaben zu zweifeln.
3. Rechtliche Beurteilung:
Zu A)
3.1. Zur Zurückweisung des Asylfolgeantrags wegen entschiedener Sache:
Da das Bundesamt mit dem angefochtenen Bescheid den Folgeantrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz wegen entschiedener Sache zurückgewiesen hat, ist Prozessgegenstand der vorliegenden Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichtes nur die Beurteilung der Rechtmäßigkeit dieser Zurückweisung, nicht aber der zurückgewiesene Antrag selbst.
Entschiedene Sache liegt vor, wenn sich gegenüber dem früheren Bescheid weder die Rechtslage noch der wesentliche Sachverhalt geändert haben (VwGH 21.03.1985, 83/06/0023, u.a.).
Es ist Sache der Partei, die in einer rechtskräftig entschiedenen Angelegenheit eine neuerliche Sachentscheidung begehrt, dieses Begehren zu begründen (VwGH 08.09.1977, 2609/76). Von verschiedenen "Sachen" im Sinn des § 68 Abs. 1 AVG ist auszugehen, wenn in der für den Vorbescheid maßgeblichen Rechtslage oder in den für die Beurteilung des Parteibegehrens im Vorbescheid als maßgeblich erachteten tatsächlichen Umständen eine Änderung eingetreten ist oder wenn das neue Parteibegehren von dem früheren abweicht. Eine Modifizierung, die nur für die rechtliche Beurteilung der Hauptsache unerhebliche Nebenumstände betrifft, kann an der Identität der Sache nichts ändern (vgl. VwGH 24.02.2005, 2004/20/0010).
Bei der Prüfung der Identität der Sache ist von dem rechtskräftigen Vorbescheid auszugehen, ohne die sachliche Richtigkeit desselben - nochmals - zu überprüfen. Die Rechtskraftwirkung besteht gerade darin, dass die von der Behörde einmal untersuchte und entschiedene Sache nicht neuerlich untersucht und entschieden werden darf (VwGH 25.04.2002, 2000/07/0235).
Dem geänderten Sachverhalt muss nach der ständigen Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes Entscheidungsrelevanz zukommen (vgl. VwGH 15.12.1992, 91/08/0166; ebenso VwGH 16.12.1992, 92/12/0127; 23.11.1993, 91/04/0205; 26.04.1994, 93/08/0212; 30.01.1995, 94/10/0162). Die Verpflichtung der Behörde zu einer neuen Sachentscheidung wird nur durch eine solche Änderung des Sachverhalts bewirkt, die für sich allein oder in Verbindung mit anderen Tatsachen den Schluss zulässt, dass nunmehr bei Bedachtnahme auf die damals als maßgebend erachteten Erwägungen eine andere Beurteilung jener Umstände, die seinerzeit den Grund für die Abweisung des Parteienbegehrens gebildet haben, nicht von vornherein als ausgeschlossen gelten kann (VwSlg. 7762 A; VwGH 29.11.1983, 83/07/0274; 21.02.1991, 90/09/0162; 10.06.1991, 89/10/0078; 04.08.1992, 88/12/0169; 18.03.1994, 94/12/0034; siehe auch VwSlg. 12.511 A, VwGH 05.05.1960, 1202/58; 03.12.1990, 90/19/0072). Dabei muss die neue Sachentscheidung - obgleich auch diese Möglichkeit besteht - nicht zu einem anderen von der seinerzeitigen Entscheidung abweichenden Ergebnis führen. Die behauptete Sachverhaltsänderung hat zumindest einen "glaubhaften Kern" aufzuweisen, dem Asylrelevanz zukommt (VwGH 21.03.2006, 2006/01/0028, sowie VwGH 18.06.2014, Ra 2014/01/0029, mwN). Neues Sachverhaltsvorbringen in der Beschwerde gegen den erstinstanzlichen Bescheid nach § 68 AVG ist von der "Sache" des Beschwerdeverfahrens vor dem Bundesverwaltungsgericht nicht umfasst und daher unbeachtlich (VwGH vom 24.06.2014, Ra 2014/19/0018, mwN).
Maßgeblicher Zeitpunkt für die Überprüfung der Rechtmäßigkeit der vom BFA unter dem Gesichtspunkt "entschiedene Sache" vorgenommenen Antragszurückweisung ist jener der Erlassung des behördlichen Bescheides (vgl. VwGH 26.6.2020, Ra 2017/22/0183, wonach für diese Prüfung jene Umstände maßgeblich sind, die bis zum erstinstanzlichen Zurückweisungsbescheid eingetreten sind). Ist davon auszugehen, dass ein Asylwerber einen weiteren Antrag auf internationalen Schutz auf behauptete Tatsachen stützt, die bereits zum Zeitpunkt des ersten Asylverfahrens bestanden haben, die dieser jedoch nicht bereits im ersten Verfahren vorgebracht hat, liegt schon aus diesem Grund keine Sachverhaltsänderung vor und ist der weitere Antrag wegen entschiedener Sache zurückzuweisen (VwGH 04.11.2004, Zl. 2002/20/0391).
Für das Bundesverwaltungsgericht ist Sache des gegenständlichen Verfahrens die Frage, ob das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl den neuerlichen Antrag auf internationalen Schutz des Beschwerdeführers zu Recht gemäß § 68 Abs 1 AVG zurückgewiesen hat. Maßgeblich für die Prüfung sind jene Umstände, die bis zum erstinstanzlichen Zurückweisungsbescheid eingetreten sind (vgl. VwGH 10.12.2013, 2013/22/0362).
Die Anwendbarkeit des § 68 AVG setzt gemäß Abs. 1 das Vorliegen eines der „Berufung“ nicht oder nicht mehr unterliegenden Bescheides, dh eines Bescheides, der mit ordentlichen Rechtsmitteln nicht (mehr) bekämpft werden kann, voraus. Diese Voraussetzung ist hier gegeben, weil die damals ergangene Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts, mit der das letzte Asylverfahren negativ abgeschlossen wurde, in Rechtskraft erwuchs.
Das Bundesamt hat zu Recht darauf hingewiesen, dass entschiedene Sache vorliegt. Der Beschwerdeführer brachte im gegenständlichen Verfahren keine neuen und glaubhaften Fluchtgründe vor, denen Entscheidungsrelevanz zukommt. Wesentliche in der Person des Beschwerdeführers gelegene Änderungen und in der Lage in Nigeria wurden nicht substantiiert dargelegt und haben sich im Verfahren nicht ergeben, so dass auch unter dem Blickwinkel des subsidiären Schutzes keine neue inhaltliche Prüfung notwendig war.
Die Zurückweisung des verfahrensgegenständlichen Antrages auf internationalen Schutz wegen entschiedener Sache durch das Bundesamt war rechtmäßig, weshalb die Beschwerde gegen die Spruchpunkte I. und II. des angefochtenen Bescheides abzuweisen war.
3.2. Zur Nichterteilung einer Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz:
Das Vorliegen der Voraussetzungen für die Erteilung einer Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz gemäß § 57 AsylG 2005 wurde vom Beschwerdeführer nicht dargelegt und auch aus dem Verwaltungsakt ergeben sich keine Hinweise, die es nahelegen würden, dass die Erteilung einer solchen Aufenthaltsberechtigung in Betracht kommt.
Da somit die Voraussetzungen für die Erteilung eines Aufenthaltstitels nach § 57 AsylG 2005 nicht gegeben sind, war die Beschwerde gegen Spruchpunkt III. des angefochtenen Bescheides als unbegründet abzuweisen.
Zu B) Unzulässigkeit der Revision:
Gemäß § 25a Abs 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art 133 Abs 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.
Die Revision ist gemäß Art 133 Abs 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder fehlt es an einer Rechtsprechung betreffend die Zurückweisung eines Folgeantrages auf internationalen Schutz gemäß § 68 AVG und betreffend die Prüfung der Zulässigkeit einer Rückkehrentscheidung noch weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.