Spruch
W251 2306953-1/9E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin Dr. Angelika Glatz als Einzelrichterin über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , StA. Afghanistan, vertreten durch den MigrantInnenverein St. Marx, gegen Spruchpunkt I. des Bescheides des Bundesamtes von Fremdenwesen und Asyl vom 19.12.2024, Zl. XXXX , nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung, zu Recht:
A)
Die Beschwerde wird abgewiesen.
B)
Die Revision ist nicht zulässig.
Text
Entscheidungsgründe:
I. Verfahrensgang:
1. Der Beschwerdeführer stellte am 07.08.2023 einen Antrag auf internationalen Schutz in Österreich. In der Erstbefragung gab der Beschwerdeführer zu seinen Fluchtgründen im Wesentlichen an, dass er wegen der Taliban das Land verlassen habe, da er beim Militär gearbeitet habe und die Taliban ihn deshalb haben töten wollen. Er habe sich nicht freiwillig den Taliban stellen wollen. Im Falle einer Rückkehr befürchte er, dass er sowie seine Familie von den Taliban getötet werden.
2. In der Einvernahme vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (in der Folge: Bundesamt) gab der Beschwerdeführer zu seinen Fluchtgründen im Wesentlichen an, dass er als Lokalpolizist gearbeitet und Angst gehabt habe, von den Taliban deshalb getötet zu werden, weshalb er Afghanistan verlassen habe. Weiters sei er von den Taliban aufgefordert worden, ihnen beizutreten. Er habe auf der Straße Grenzkontrollen sowie Kontrollen bei Checkpoints durchgeführt. Er habe dann im Laufe seiner Tätigkeit zwei Drohbriefe sowie einen Rekrutierungsbrief der Taliban erhalten. Am Tag der Machtübernahme durch die Taliban sei er zu seiner Schwester nach Kabul gereist und habe sich dort bis zu seiner Ausreise am 20.10.2021 versteckt.
Im Zuge der Einvernahme legte der Beschwerdeführer Urkunden aus Afghanistan vor.
3. Mit dem angefochtenen Bescheid wies das Bundesamt den Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten ab (Spruchpunkt I.). Dem Beschwerdeführer wurde der Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan zuerkannt (Spruchpunkt II.) und eine befristete Aufenthaltsberechtigung für die Dauer eines Jahres erteilt (Spruchpunkt III.).
Begründend führte das Bundesamt aus, dass dem Vorbringen des Beschwerdeführers keinerlei Anhaltspunkte zu entnehmen seien, die eine gegen ihn gerichtete asylrelevante Verfolgung erkennen lasse. Eine Rückkehr in sein Heimatland sei aufgrund der derzeit angespannten humanitären Lage jedoch nicht möglich und zumutbar, weshalb ihm der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuzuerkennen sei.
4. Der Beschwerdeführer erhob gegen Spruchpunkt I. des Bescheides fristgerecht Beschwerde. Er brachte im Wesentlichen vor, dass sich das Bundesamtes nicht konkret auf die aktuellen Entwicklungen in Afghanistan bezogen habe. Weiters seien die Ausführungen des Bundesamtes nicht nachvollziehbar und die Schilderungen des Beschwerdeführers glaubwürdig und gründlich substantiiert gewesen.
Neben der Durchführung einer mündlichen Verhandlung wurde die Bestellung eines landeskundlichen Sachverständigen beantragt, der sich mit der aktuellen Situation in Afghanistan befasst.
5. Das Bundesverwaltungsgericht führte am 07.03.2025 eine mündliche Verhandlung durch, in der der Beschwerdeführer als Partei einvernommen wurde. Der Beschwerdeführer legte in der Verhandlung eine Kopie des Reisepasses seiner Ehefrau sowie Lohn- und Gehaltsabrechnungen vor.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen:
1.1. Zur Person des Beschwerdeführers:
Der Beschwerdeführer führt in Österreich den Namen XXXX und das Geburtsdatum XXXX Er ist afghanischer Staatsangehöriger und gehört der Volksgruppe der Paschtunen an. Er ist sunnitischer Moslem. Seine Muttersprache ist Paschtu. Der Beschwerdeführer ist verheiratet und hat zwei Söhne und vier Töchter (AS 53f, AS 102, Verhandlungsprotokoll = VP S. 7f).
Der Beschwerdeführer wurde in der Provinz Nangarhar geboren und wuchs dort gemeinsam mit seinen Eltern und seinen vier Geschwistern auf (VP S. 9). Er ist dort zur Schule gegangen und hat dort auch gearbeitet. Der Beschwerdeführer kann lesen und schreiben, er verfügt über eine umfassende Schulbildung.
Der Beschwerdeführer ist gesund und unbescholten.
Der Beschwerdeführer hat in Österreich einen Deutschkurs auf dem Niveau A1 besucht, er hat nur sehr geringe Deutschkenntnisse (VP S, 10). Er arbeitet derzeit im Ausmaß von 40 Stunden bei einem Tiefkühlprodukte-Hersteller im Schichtdienst (VP S. 11). Er verbringt seine Freizeit mit Beten, Wäsche waschen und der Bartpflege Er hat in Österreich keine Freundschaften knüpfen können, Freunde hatte er in Afghanistan. Er trifft sich in seiner Freizeit mit Bekannten (VP S. 11).
1.2. Zu den Fluchtgründen des Beschwerdeführers:
Der Beschwerdeführer hat in Afghanistan weder für die Polizei, noch für das Militär oder für sonstige Behörden oder Sicherheitskräfte der ehemaligen Regierung gearbeitet. Dem Beschwerdeführer oder seinen Familienangehörigen wurde in Afghanistan auch nicht unterstellt für die ehemalige afghanische Regierung gearbeitet oder diese unterstütz zu haben.
Weder der Beschwerdeführer noch seine Familie wurden in Afghanistan jemals von den Taliban oder von anderen Personen aufgesucht oder von diesen bedroht. Es bestand kein Kontakt zu den Taliban. Weder der Beschwerdeführer noch seine Familienangehörigen werden in Afghanistan von den Taliban gesucht. Der Beschwerdeführer hat Afghanistan weder aus Furcht vor Eingriffen in die körperliche Integrität noch wegen Lebensgefahr verlassen.
Der Beschwerdeführer ist wegen seines Aufenthalts in einem westlichen Land oder wegen seiner Wertehaltung in Afghanistan keinen psychischen oder physischen Eingriffen in seine körperliche Integrität ausgesetzt. Der Beschwerdeführer hat sich in Österreich keine Lebenseinstellung angeeignet, die einen nachhaltigen und deutlichen Bruch mit den allgemein verbreiteten gesellschaftlichen Werten in Afghanistan darstellt. Es liegt keine westliche Lebenseinstellung beim Beschwerdeführer vor, die wesentlicher Bestandteil seiner Persönlichkeit geworden ist, und die ihn in Afghanistan exponieren würde.
Der Beschwerdeführer hat keine gegen die Regierung der Taliban gerichtete Einstellung. Er lehnt diese auch nicht ab. Ihm wird bei einer Rückkehr nach Afghanistan auch nicht unterstellt, eine gegen die Taliban oder die Scharia gerichtete Einstellung zu haben.
1.3. Feststellung zur Lage im Herkunftsstaat:
Die Länderfeststellungen zur Lage in Afghanistan basieren auf nachstehenden Quellen:
- Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Afghanistan vom 31.01.2025 (LIB),
- Bericht des Auswärtigen Amtes in Deutschland, die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Islamischen Republik Afghanistan vom 15.07.2021 (Auswärtiges Amt)
1.3.1. Allgemeines:
Afghanistan verfügt über 34 Provinzen, die in Distrikte gegliedert sind. Dort leben ca. 35-40 Millionen Menschen. Seit der beinahe kampflosen Einnahme Kabuls am 15.8.2021 steht Afghanistan nahezu vollständig unter der Kontrolle der Taliban. (LIB, Kap. 3f)
1.3.2. Politische Lage:
Die politischen Rahmenbedingungen in Afghanistan haben sich mit der Machtübernahme durch die Taliban im August 2021 grundlegend verändert. Die Taliban sind zu der ausgrenzenden, auf die Paschtunen ausgerichteten, autokratischen Politik der Taliban-Regierung der späten 1990er-Jahre zurückgekehrt. Sie bezeichnen ihre Regierung als das „Islamische Emirat Afghanistan“. Die Verfassung von 2004 ist de facto ausgehebelt. Ankündigungen über die Erarbeitung einer neuen Verfassung sind bislang ohne sichtbare Folgen geblieben. Die Taliban haben begonnen staatliche und institutionelle Strukturen an ihre religiösen und politischen Vorstellungen anzupassen. Mit Anfang 2024 hat noch kein Land die Regierung der Taliban anerkannt, dennoch sind Vertreter aus Indien, China, Usbekistan, der Europäischen Union, Russland und den Vereinigten Arabischen Emiraten in Kabul präsent. (LIB, Kap. 4)
1.3.3. Sicherheitslage:
Seit der Machtübernahme der Taliban in Kabul am 15.8.2021 ist das allgemeine Ausmaß des Konfliktes zurückgegangen. Es gab beispielsweise weniger konfliktbedingte Sicherheitsvorfälle wie bewaffnete Zusammenstöße, Luftangriffe und improvisierte Sprengsätze sowie eine geringere Zahl von Opfern unter der Zivilbevölkerung. Es gab jedoch immer noch ein erhebliches Ausmaß an zivilen Opfern durch vorsätzliche Angriffe mit improvisierten Sprengsätzen (IEDs).
Es gab zwischen 25.11.2023 und 25.11.2024 in Afghanistan insgesamt 857 sicherheitsrelevante Vorfälle (390 Kämpfe, 96 Vorfälle mit Explosionen und ferngesteuerter Gewalt, 371 Vorfälle mit Gewalt gegen Zivilisten und 396 zivile Opfer – bei einer Gesamtbevölkerung von 35-40 Millionen Menschen). Die meisten zivilen Opfer gab es in Nord Afghanistan in der Provinz Badakhshan mit 168 zivilen Opfern. Die meisten sicherheitsrelevanten Vorfälle gab es in Ost Afghanistan (388 sicherheitsrelevante Vorfälle mit 100 zivilen Opfern – bei einer Gesamtbevölkerung von über 11,7 Millionen Einwohnern), wobei die meisten sicherheitsrelevanten Vorfälle auf die Provinz Kabul entfallen (113 Kämpfe, 14 Vorfälle mit Explosionen oder ferngesteuerter Gewalt und 97 Vorfälle mit Gewalt gegen Zivilisten, in denen es 100 zivile Opfer gab – bei einer Gesamtbevölkerung von über 5,7 Millionen Menschen).
Derzeit entstehen die meisten sicherheitsrelevanten Vorfälle in Zusammenhang mit dem Verbot des Anbaus von Betäubungsmitteln, durch Kriminalität und organisierte Kriminalität, durch Angriffe der bewaffneten Opposition und durch Angriffe durch den ISKP.
Aufgrund der Bemühungen der Taliban-Behörden, das Verbot des Mohnanbaus durchzusetzen, kam es im Jahr 2024 vermehrt zu Zwischenfällen in Zusammenhang mit dem Anbau von Betäubungsmitteln und somit auch zu einem Anstieg an sicherheitsrelevanten Vorfällen.
Organisierte Verbrechergruppen sind in ganz Afghanistan an Entführungen zur Erlangung von Lösegeld beteiligt. 2023 wurden 21 Entführungen dokumentiert, 2024 waren es, mit Stand Februar 2024, zwei. Es werden nicht alle Entführungen gemeldet, und oft zahlen die Familien das Lösegeld. Die Taliban-Sicherheitskräfte reagierten aktiv auf Entführungsfälle. Im Juni 2023 leiteten die Taliban beispielsweise in Kabul eine erfolgreiche Rettungsaktion.
Die bewaffnete Opposition in Afghanistan stellt keine nennenswerte Herausforderung für die territoriale Kontrolle der Taliban dar. Die Nationale Widerstandsfront und die Afghanische Freiheitsfront gehen mit einer „Hit-and-Run“-Taktik gegen die Taliban-Sicherheitskräfte vor, greifen deren Posten und Fahrzeuge an und verübten Hinterhalte und gezielte Tötungen. Es gibt keine Region in Afghanistan, in welcher oppositionelle Gruppen offen die Kontrolle haben. In Provinzen wie Panjsher, Baghlan, Badakhshan, Kunduz und Takhar, in denen es in der Vergangenheit zu Kämpfen zwischen den Taliban und verschiedenen Gruppierungen gekommen ist, verlief der Verkehr normal und es gab keine Zwischenfälle.
Die sicherheitsrelevanten Vorfälle betreffend den ISKP gingen seit August 2021 zurück und stiegen 2024 wieder etwas an. Die Taliban führen auch weiterhin Operationen gegen den ISKP durch, unter anderem in Nangarhar. Der ISKP hat zumindest die Möglichkeit operativer Aktivitäten, wobei die Taliban immer effizienter bei der Aushebung von ISKP-Zellen werden. Dies zeigt sich in einer entspannteren Sicherheitslage in beispielsweise Kabul und Herat. Weder der ISKP noch andere Gruppierungen sind aktuell wirklich ein Problem für die Taliban. (LIB, Kap. 5)
In der Herkunftsprovinz des Beschwerdeführers (Nangarhar – mit ca. 1,8 Millionen Einwohnern), gab es vom 25.11.2023 bis 25.11.2024 insgesamt 17 Kämpfe. In 14 Fällen kam es auch zu Gewalt gegen Zivilisten und zu 8 zivilen Opfern. (LIB Kap. 5.1)
1.3.4. Verfolgungspraxis der Taliban:
Trotz mehrfacher Versicherungen der Taliban, von Vergeltungsmaßnahmen gegenüber Angehörigen der ehemaligen Regierung und Sicherheitsbehörden abzusehen, waren die Taliban nach Machtübernahme auf der Suche nach ehemaligen Mitarbeitern der internationalen Streitkräfte oder der afghanischen Regierung. Die Taliban gingen von Tür zu Tür und haben auch Angehörige der internationalen Streitkräfte oder der afghanischen Regierung bedroht. Die Taliban erstellen „schwarze Listen“, wobei Personen, die sich auf der Liste befinden in großer Gefahr sind. Im Zuge der Machtübernahme im August 2021 hatten die Taliban Zugriff auf Mitarbeiterlisten der Behörden, unter anderem auf eine biometrische Datenbank mit Angaben zu aktuellen und ehemaligen Angehörigen der Armee und Polizei bzw. zu Afghanen, die den internationalen Truppen geholfen haben. Die Taliban kontrollieren auch Systeme mit sensiblen biometrischen Daten, die westliche Geberregierungen im August 2021 in Afghanistan zurückgelassen haben. Diese digitalen Identitäts- und Gehaltsabrechnungssysteme enthalten persönliche und biometrische Daten von Afghanen, darunter Irisscans, Fingerabdrücke, Fotos, Berufe, Wohnadressen und Namen von Verwandten. Die Taliban haben solche Daten bereits benutzt, um vermeintliche Gegner ins Visier zu nehmen und Gegner auch zu eliminieren bzw. verschwinden zu lassen. Im Zuge von Abschiebungen aus dem Iran werden auch Daten von Rückkehrern vom iranischen Geheimdienst an die Taliban weitergegeben.
Taliban nutzen soziale Medien zu Propagandazwecken und um Gegner des Taliban-Regimes aufzuspüren. Afghanen verüben seit der Machtübernahme durch die Taliban in sozialen Netzwerken Selbstzensur. Es gab bereits Verhaftungen von Personen, die sich in sozialen Netzwerken kritisch über die Taliban geäußert haben. Über soziale Netzwerke können Taliban auch Personen identifizieren, die mit westlichen Gruppen oder westlichen Hilfsagenturen zusammengearbeitet haben. Die Taliban bauen in afghanischen Städten ein groß angelegtes Kameraüberwachungsnetz auf. Es wird befürchtet, dass die Taliban ihr Netz von Überwachungskameras auch dazu nutzen werden, abweichende Meinungen zu unterdrücken und ihre repressive Politik durchzusetzen, einschließlich der Einschränkung des Erscheinungsbildes der Afghanen, der Bewegungsfreiheit, des Rechts zu arbeiten oder zu studieren und des Zugangs zu Unterhaltung und unzensierten Informationen. (LIB, Kap. 5.2)
1.3.5. Zentrale Akteure:
Taliban: Die Taliban sind eine überwiegend paschtunische, islamisch-fundamentalistische Gruppe, die 2021 nach einem zwanzigjährigen Aufstand wieder an die Macht in Afghanistan kam. Die Taliban bezeichnen ihre Regierung als das „Islamische Emirat Afghanistan“, den Titel des ersten Regimes, das sie in den 1990er-Jahren errichteten, und den sie während ihres zwei Jahrzehnte andauernden Aufstands auch für sich selbst verwendeten. Das Emirat ist um einen obersten Führer, den Emir, herum organisiert, von dem man glaubt, dass er von Gott mit der Autorität ausgestattet ist, alle Angelegenheiten des Staates und der Gesellschaft zu beaufsichtigen. Er gilt als die ultimative Autorität in allen religiösen, politischen und militärischen Angelegenheiten. Nach der Machtübernahme versuchten die Taliban, sich von „einem dezentralisierten, flexiblen Aufstand zu einer staatlichen Autorität“ zu entwickeln. (LIB, Kap. 6.1)
Islamischer Staat Khorasan Provinz (ISKP): Der IS in Afghanistan bezeichnet sich selbst als Khorasan-Zweig des IS (ISKP). Der ISKP ist aktuell die schwerwiegendste terroristische Bedrohung in Afghanistan und der gesamten Region. Der ISKP hat ca. 4.000 bis 6.000 Mitglieder, einschließlich Familienangehöriger. Das „Kerngebiet“ des ISKP bleibt Afghanistan und Pakistan. Obwohl der ISKP zunächst als ein von Pakistan dominiertes Netzwerk auftrat, konzentrierte er sich bald auf Afghanistan. Dort hat er seine Strategie von der Kontrolle des Territoriums auf die Führung eines urbanen Krieges umgestellt. Er stellte eine ernsthafte Sicherheitsbedrohung für die frühere afghanische Regierung dar und versucht nun, die Regierungsbemühungen der Taliban zu stören. Die Kernzellen des ISKP in Afghanistan befinden sich vor allem in den östlichen Provinzen Kunar, Nangarhar und Nuristan in Afghanistan, wobei eine große Zelle in Kabul und Umgebung aktiv ist. Kleinere Gruppen wurden in den nördlichen und nordöstlichen Provinzen Badakhshan, Faryab, Jawzjan, Kunduz, Takhar und Balkh entdeckt. Da Balkh eine der wirtschaftlich am weitesten entwickelten Provinzen im Norden ist, ist sie für den ISKP nach wie vor von vorrangigem Interesse in Hinblick auf die Erzielung von Einnahmen. Die Gruppe geht bei ihren Anschlägen gegen die Taliban und internationale Ziele immer raffinierter vor und konzentriert sich auf die Durchführung einer Strategie mit öffentlichkeitswirksamen Anschlägen, um die Fähigkeit der Taliban zur Gewährleistung der Sicherheit zu untergraben. Insgesamt zeigten die Angriffe des ISKP starke operative Fähigkeiten in den Bereichen Aufklärung, Koordination, Kommunikation, Planung und Ausführung. Darüber hinaus haben die Anschläge gegen hochrangige Taliban-Persönlichkeiten in den Provinzen Balkh, Badakhshan und Baghlan die Moral des ISKP gestärkt und die Rekrutierung gefördert. Die Gruppe verübte auch weiterhin Anschläge auf die Zivilbevölkerung, insbesondere auf die schiitischen Hazara. (LIB, Kap. 6.3)
1.3.6. Rechtsschutz und Justizwesen:
Unter der vorherigen Regierung beruhte die afghanische Rechtsprechung auf drei parallelen und sich überschneidenden Rechtssystemen oder Rechtsquellen: dem formellen Gesetzesrecht, dem Stammesgewohnheitsrecht und der Scharia. Informelle Rechtssysteme zur Schlichtung von Streitigkeiten waren weit verbreitet, insbesondere in ländlichen Gebieten. Dies ist nach wie vor der Fall, auch wenn die Taliban seit ihrer Machtübernahme versucht haben, einige lokale Streitbeilegungspraktiken zu kontrollieren.
Nach 23 Jahren Krieg (1978-2001) und dem Sturz der Taliban im Jahr 2001 konnte Afghanistan 2004 eine neue Verfassung verkünden, die sowohl islamische als auch modern-progressive Werte enthält. Die juristischen und politikwissenschaftlichen Fakultäten sowie die Scharia waren zwei Institutionen, die zur Ausbildung des Justizpersonals beitrugen, indem sie Hunderte von jungen Männern und Frauen ausbildeten, die später als Richter, Staatsanwälte und Rechtsanwälte tätig waren. In den vergangenen zwei Jahrzehnten hat die internationale Gemeinschaft zahlreiche Entwicklungsprogramme durchgeführt, die auf den Wiederaufbau des afghanischen Rechtssystems und den Ausbau der Kapazitäten des Personals der Justizbehörden abzielen.
Nach ihrem Sturz im Jahr 2001 gelang es den Taliban, in den von ihnen kontrollierten, meisten ländlichen, Gebieten Gerichte einzurichten und den Menschen den Zugang zur Rechtsprechung auf lokaler Ebene zu erleichtern. Dies geschah zu einer Zeit, als die staatlichen Justizorgane aufgrund der weitverbreiteten Korruption ihre Glaubwürdigkeit bei der Bevölkerung weitgehend verloren hatten. Daher zogen die Menschen es vor, sich an die Gerichte der Taliban zu wenden, anstatt an die Gerichte der Regierung. In den vergangenen zwanzig Jahren gelang es dem Justizsystem der Taliban, mit seinen praktischen Maßnahmen das Vertrauen der Menschen zu gewinnen. Die Taliban-Richter fungierten sowohl als Richter im juristischen Bereich als auch als Gelehrte (ulama) im religiösen Bereich. Die Taliban-Richter absolvierten ihre Ausbildung an Deobandi-Schulen in Pakistan und Afghanistan, die sich hauptsächlich auf die hanafitische Rechtsprechung stützten.
Nach der Machtübernahme der Taliban im August 2021 übernahmen sie die vollständige Kontrolle über das Justizsystem des Landes und setzten die Verfassung von 2004 außer Kraft. Bisher haben sich die Taliban noch nicht zu den Gesetzen geäußert, insbesondere nicht zu den Strafgesetzen, zur nationalen Sicherheit und zu den Gerichten. Den Taliban zufolge bildet die hanafitische Rechtsprechung die Grundlage für das Rechtssystem und derzeit verfügt das Land nicht über einen klaren und kohärenten Rechtsrahmen, ein Justizsystem oder Durchsetzungsmechanismen. Den Taliban zufolge bleiben Gesetze, die unter der Regierung vor August 2021 erlassen wurden, in Kraft, sofern sie nicht gegen die Scharia verstoßen. Die Taliban-Führer zwingen den Bürgern ihre Politik weitgehend durch Leitlinien oder Empfehlungen auf, in denen sie akzeptable Verhaltensweisen festlegen, die sie aufgrund ihrer Auslegung der Scharia und der vorherrschenden kulturellen Normen, die die Taliban für akzeptabel halten, rechtfertigen.
Die Änderungen im afghanischen Justizsystem betrafen seit der Machtübernahme der Taliban vor allem formale und administrative Bereiche, aber keine konkreten Änderungen in der Rechtsprechung der Gerichte. So wurden beispielsweise Richter und Verwaltungsangestellte der Gerichte durch Angehörige der Taliban ersetzt, von denen die meisten nicht über ausreichend juristische Kenntnisse und Erfahrungen mit der Arbeit an den Gerichten verfügten. Die meisten Richter und „Muftis“ an Taliban-Gerichten sind Studenten oder Absolventen religiöser Koranschulen, vor allem in Pakistan. Einige der derzeitigen Richter waren während des Krieges als Richter in den von den Taliban kontrollierten Gebieten tätig. Nur wenige Richter, beispielsweise in den Provinzen Herat und Panjsher, verfügen über eine formale Hochschulausbildung und haben an juristischen oder Scharia-Fakultäten von Universitäten studiert. Zudem kam es zur Absetzung von Richterinnen und Anwältinnen und es werden keine Lizenzen mehr an Strafverteidigerinnen vergeben.
Die Taliban haben zwar nicht ausdrücklich behauptet, bestimmte Gesetze außer Kraft zu setzen, aber sie haben immer wieder betont, dass sie im Einklang mit der Scharia regieren und jedes Gesetz ablehnen, das ihr zuwiderläuft. Von den entsprechenden Ministerien und der Talibanführung wird ein neues Rechtssystem auf der Grundlage der Scharia und Hanafi-Rechtsprechung ausgearbeitet. Damit werden die unter der ehemaligen Verfassung geltenden Gesetze, u. a. auch gesonderte schiitische Rechtsprechung, ersetzt. Die meisten Angelegenheiten des Landes werden nun auf der Grundlage von Richtlinien und Dekreten geregelt, die dem Emir zugeschrieben werden. Es wurden Scharia-Gerichte und -Praktiken eingeführt, einschließlich Qisas (z. B. Auspeitschungen oder Hinrichtungen), die die Öffentlichkeit mit eigenen Augen sieht. Im November 2022 ordnete Taliban-Staatsoberhaupt Emir Hibatullah Akhundzada die Umsetzung der Scharia inklusive Körperstrafen wieder an. Seitdem wurden zahlreiche öffentliche Auspeitschungen vorgenommen. Diese Strafe wurde u. a. für Drogen- und Alkoholkonsum oder für „moralische“ Verbrechen verhängt. Am 7.12.2022 kam es zur ersten öffentlichen Hinrichtung durch die Taliban seit ihrer Machtübernahme in Afghanistan und im Juni 2023 sowie im Februar 2024 kam es zu weiteren Hinrichtungen. (LIB, Kap. 7)
1.3.7. Sicherheitsbehörden:
Mit der Machtübernahme der Taliban im August 2021 brach die 350.000 Mann starke Armee des früheren Regimes zusammen und die Taliban haben faktisch die Verantwortung für die Sicherheit im Land übernommen. Sie haben begonnen, ihre bisherigen Milizen-Strukturen in geordnete Sicherheitskräfte zu übertragen. Dieser Prozess ist noch nicht abgeschlossen. Die Armee verfügt mit Stand März 2023 über 150.000 Taliban-Kämpfer und soll 2024 auf 170.000 vergrößert werden. Angestrebt wird eine 200.000 Mann starke Armee. Der Geheimdienst, ein Nachrichtendienst, der früher als „National Directorate of Security“ (NDS) bekannt war, wurde dem Taliban-Staatsoberhaupt direkt unterstellt. Das Innenministerium der Taliban-Regierung hat wiederholt angekündigt, Polizisten, u. a. im Bereich der Verkehrspolizei, zu übernehmen. Dies ist zumindest in Kabul teilweise erfolgt. (LIB, Kap. 8)
1.3.8. Folter und unmenschliche Behandlung:
Es kommt durch die Taliban zu Folter und Misshandlungen von ehemaligen Sicherheitskräften bzw. ehemaligen Regierungsbeamten sowie zu Gewalt gegen Journalisten und Medienschaffende, gegen Frauenrechtsaktivisten und auch in Gefängnissen. Es kam beispielsweise auch zu kollektiven Strafen gegen Bewohner der Provinz Panjsher, darunter Folter und andere Misshandlungen. Der oberste Taliban-Führer begrüßte die Einführung von Scharia-Gerichten und Scharia-Praktiken, einschließlich Qisas (z. B. Auspeitschungen oder Hinrichtungen), die die Öffentlichkeit mit eigenen Augen sieht. Es kam zu öffentlichen Auspeitschungen durch die Taliban in mehreren Provinzen, darunter Zabul, Maidan Wardak, Kabul, Kandahar und Helmand. (LIB, Kap. 9)
1.3.9. Korruption:
Mit einer Bewertung von 20 Punkten (von 100 möglichen Punkten – 0 = highly corrupt und 100 = very clean), belegt Afghanistan auf dem Korruptionswahrnehmungsindex für 2023 von Transparency International von 180 untersuchten Ländern den 162. Platz, sohin eine Verschlechterung um zwölf Ränge im Vergleich zum Jahr 2022. Anfang 2024 erklärte ein Sprecher der Taliban Afghanistan zu einem korruptionsfreien Land. Es gab dennoch zahlreiche Berichte über Korruption durch die Taliban, beispielsweise in den Passämtern der Taliban, wo Antragsteller zwischen 1.000 und 3.500 Dollar für einen Pass zahlen. Die Taliban haben seit der Wiedererlangung der Macht die staatliche Bürokratie genutzt, um Arbeitsplätze an Taliban-Mitglieder und ihre Familien zu vergeben und um von der afghanischen Bevölkerung und dem Privatsektor Steuern, Bestechungsgelder und wertvolle Dienstleistungen zu erpressen. (LIB, Kap. 10)
1.3.10. Wehrdienst und Zwangsrekrutierung:
Mit der Machtübernahme der Taliban im August 2021 brach die 350.000 Mann starke Armee des früheren Regimes zusammen und die Taliban haben faktisch die Verantwortung für die Sicherheit im Land übernommen. Sie haben begonnen, ihre bisherigen Milizen-Strukturen in geordnete Sicherheitskräfte zu übertragen. Dieser Prozess ist noch nicht abgeschlossen.
Es sind keine Fälle von Zwangsrekrutierung bekannt. In einer Wirtschaft ohne andere Beschäftigungsmöglichkeiten ist es sehr beliebt, Teil der Taliban-Sicherheitsstruktur zu sein, sodass kein Zwang erforderlich ist. Die Taliban verfügen über genügend Männer und viele sind bereit, auf freiwilliger Basis zu dienen, auch ohne Bezahlung. (LIB, Kap. 12)
1.3.11. Allgemeine Menschenrechtslage:
Die in der Vergangenheit von Afghanistan unterzeichneten oder ratifizierten Menschenrechtsabkommen werden von der Taliban-Regierung, wenn überhaupt, nur sehr eingeschränkt anerkannt. Es wird ein Islamvorbehalt geltend gemacht, wonach islamisches Recht im Falle einer Normenkollision Vorrang hat.
Seit dem Sturz der gewählten Regierung haben die Taliban die Menschenrechte und Grundfreiheiten der afghanischen Bevölkerung zunehmend und in unverhältnismäßiger Weise eingeschränkt. Insbesondere Frauen und Mädchen wurden in ihren Rechten massiv eingeschränkt und aus den meisten Aspekten des täglichen und öffentlichen Lebens verdrängt.
Die Taliban-Führung hat ihre Anhänger verschiedentlich dazu aufgerufen, die Bevölkerung respektvoll zu behandeln. Dennoch kommt es zu groben Menschenrechtsverletzungen durch die Taliban nach ihrer Machtübernahme im August 2021, darunter Hausdurchsuchungen, Willkürakte und Hinrichtungen. Es kommt zu Gewalt und Diskriminierung gegenüber Journalisten und Menschenrechtsaktivisten. Es kommt auch zu gezielten Tötungen sowie zu Entführungen und Ermordungen ehemaliger Angehöriger des Staatsapparats und der Sicherheitskräfte. Es kommt zu Rache und Willkürakten im familiären Kontext – also gegenüber Familienmitgliedern oder zwischen Stämmen/Ethnien, bei denen die Täter den Taliban nahestehen oder Taliban sind. Taliban-Vertreter weisen den Vorwurf von systematischer Gewalt jedoch zurück und verweisen wiederholt auf Auseinandersetzungen im familiären Umfeld. Eine nachprüfbare Strafverfolgung findet in der Regel nicht statt. Im Zeitraum vom 15.1.2022 bis Mitte 2023 wurde über 3.329 Menschenrechtsverletzungen berichtet, die sich auf Verletzungen des Rechts auf Leben, des Rechts auf Freiheit von Folter, der Pressefreiheit, der Versammlungsfreiheit, der Rechte der Frauen und mehr beziehen. Im selben Zeitraum kam es auch zu Tötung und Inhaftierung ehemaliger ANDSF-Mitglieder.
Die Taliban ließen wiederholt friedliche Proteste gewaltsam auflösen. Es kam zum Einsatz von scharfer Munition und zu Todesopfern bei Protesten. Die Taliban gingen im ersten Jahr nach der Machtübernahme im August 2021 hart gegen Andersdenkende vor und verhafteten Frauenrechtsaktivisten, Journalisten und Demonstranten. Im zweiten Jahr haben sich Medien und die Opposition im Land aufgrund der Restriktionen der Taliban und der Selbstzensur weitgehend zerstreut, obwohl weiterhin über Verhaftungen von Frauenrechtsaktivisten, Bildungsaktivisten und Journalisten berichtet wird. Frauen haben weiterhin gegen die Restriktionen und Erlässe der Taliban protestiert, aber die Proteste fanden größtenteils in geschlossenen Räumen statt – offenbar ein Versuch der Demonstranten, ihre Identität zu verbergen und das Risiko einer Verhaftung oder Gewalt zu verringern. Trotz dieser Drohungen sind Frauen weiterhin auf die Straße gegangen, um gegen wichtige Erlasse zu protestieren. (LIB, Kap. 13)
1.3.12. Haftbedingungen:
Vor der Machtübernahme durch die Taliban im August 2021 wurden Gefängnisse, Jugendrehabilitationszentren und andere Haftanstalten von unterschiedlichen Organisationen verwaltet. Die Überbelegung der Gefängnisse war auch unter der ehemaligen Regierung ein ernstes und weitverbreitetes Problem. Nach der Übernahme Kabuls durch die Taliban haben sich viele Gefängnisse geleert, da fast alle Gefangenen entkamen oder freigelassen wurden. Trotz anhaltender Bemühungen, die Zahl der Inhaftierten zu reduzieren, hat die Gefängnispopulation 2024 mehr als 20.000 Personen erreicht. Neben ca. 11.000 bereits verurteilten Inhaftierten (davon sind ca. 2.000 Frauen und Kinder) warten etwa 12.000 Personen in Haftanstalten auf Gerichtsurteile.
Die Situation in den Gefängnissen in Afghanistan ist sehr schlecht. Es gibt keine landesweiten Haftstandards und keinen Mechanismus, um die Haftbedingungen anzufechten. Finanzielle Engpässe und die Einstellung der Finanzierung durch Geber wirken sich weiterhin auf die Fähigkeit der Gefängnisverwaltung aus, internationale Standards zu erfüllen, einschließlich der systematischen Bereitstellung angemessener Nahrungsmittel, Hygieneartikel, der beruflichen Aus- und Weiterbildung sowie der medizinischen Versorgung. (LIB, Kap. 16)
1.3.13. Todesstrafe:
Die Gesetze aus der Zeit vor der Machtergreifung der Taliban im August 2021 sehen die Verhängung der Todesstrafe in bestimmten Fällen vor. Zwischen 2001 und dem 15.8.2021 hat die Regierung der Islamischen Republik Afghanistan mindestens 72 Personen hingerichtet.
Seit ihrer Machtübernahme in Afghanistan am 15.8.2021 haben die Taliban de facto die Körperstrafen und die Todesstrafe eingeführt. Die Taliban haben hierzu bisher keine gesetzlichen Regelungen erlassen. Die von den Taliban angewandte Rechtspraxis sieht auf Grundlage ihrer Auslegung der Scharia die Todesstrafe vor. Ende November 2022 ordnete der oberste Führer der Taliban allerdings Richtern an, Strafen zu verhängen, die öffentliche Hinrichtungen, öffentliche Amputationen und Steinigungen umfassen können. Am 7.12.2022 fand die erste öffentliche Hinrichtung der Taliban in Afghanistan seit der Machtübernahme im August 2021 statt. Der Hingerichtete soll gestanden haben, vor fünf Jahren bei einem Raubüberfall einen Mann mit einem Messer getötet und dessen Motorrad und Telefon gestohlen zu haben. Im Juni 2023 wurde in Laghman ein Mann durch die Taliban hingerichtet, der des fünffachen Mordes für schuldig befunden wurde. Im Februar 2024 vollstreckten die Taliban eine Doppelhinrichtung in Ghazni, bei der Angehörige der Opfer von Messerstechereien vor Tausenden von
1.3.14. Religionsfreiheit:
Etwa 99 % der afghanischen Bevölkerung sind Muslime. Die Sunniten werden auf 80 bis 89,7 % und die Schiiten auf 7 bis 15 % der Gesamtbevölkerung geschätzt. Andere Glaubensgemeinschaften machen weniger als 0,3 % der Bevölkerung aus. Es gibt keine zuverlässige Schätzung über die Gemeinschaft der Christen.
Die Möglichkeiten der konkreten Religionsausübung für Nicht-Muslime waren und sind durch gesellschaftliche Stigmatisierung, Sicherheitsbedenken und die spärliche Existenz von Gebetsstätten extrem eingeschränkt. Mit der rigorosen Durchsetzung ihrer strengen Auslegung der Scharia gegenüber allen Afghanen verletzen die Taliban die Religions- und Glaubensfreiheit von religiösen Minderheiten. Nominal haben die Taliban religiösen Minderheiten die Zusicherung gegeben, ihre Religion auch weiterhin ausüben zu können, insbesondere der größten Minderheit, den überwiegend der schiitischen Konfession angehörigen Hazara. In der Praxis ist der Druck auf Nicht-Sunniten jedoch hoch und die Diskriminierung von Schiiten im Alltag verwurzelt. (LIB, Kap. 18)
1.3.15. Ethnische Gruppen:
Zuverlässige statistische Angaben zu den Ethnien Afghanistans und zu den verschiedenen Sprachen existieren nicht, da keine nationale Volkszählung durchgeführt wird. Keine der ethnischen Gruppen des Landes stellt eine Mehrheit. Die genauen prozentualen Anteile der einzelnen Gruppen an der Gesamtbevölkerung sind Schätzungen und werden oft stark politisiert. In Afghanistan leben ca. 42 % Paschtunen, ca. 27-30 % Tadschiken, ca. 9-15 % Hazara sowie 9 % Usbeken und Kutschi-Nomaden.
Ethnische Spannungen zwischen unterschiedlichen Gruppen resultieren weiterhin in Konflikten und Tötungen.
Die Taliban gehören mehrheitlich der Gruppe der Paschtunen an. Seit der Machtübernahme der Taliban werden nicht-paschtunische Ethnien in staatlichen Stellen zunehmend marginalisiert. In der Taliban-Regierung gibt es nur wenige Vertreter der usbekischen und tadschikischen Minderheit sowie lediglich einen Vertreter der Hazara. Obwohl die Taliban wiederholt erklärt haben, alle Teile der afghanischen Gesellschaft zu akzeptieren und ihre Interessen berücksichtigen zu wollen, werden selbst auf lokaler Ebene Minderheiten, mit Ausnahmen in ethnisch von Nicht-Paschtunen dominierten Gebieten vor allem im Norden, kaum für Positionen im Regierungsapparat berücksichtigt, da diese v. a. paschtunischen Taliban-Mitgliedern vorbehalten sind. Darüber hinaus lässt sich keine klare, systematische Diskriminierung von Minderheiten durch die Taliban-Regierung feststellen, solange diese den Machtanspruch der Taliban akzeptieren. (LIB, Kap. 19)
Paschtunen: Ethnische Paschtunen sind mit ca. 42 % der Gesamtbevölkerung die größte Ethnie Afghanistans. Sie sprechen Paschtu/Pashto und als Verkehrssprache sprechen viele auch Dari. Sie sind sunnitische Muslime und leben hauptsächlich im Süden und Osten des Landes. Bei den Paschtunen haben Familienstand, Stammeseinfluss, Besitz und Einfluss einen hohen Stellenwert. Ein hoher Anteil von Männern in paschtunischen Familien gilt als ein Zeichen der Stärke. Aufgrund der bedeutenden Rolle der Familie kann individuelles Fehlverhalten auch der Familie schaden und unschuldige Familienmitglieder zu Opfern machen. Die meisten Paschtunen bevorzugen Ehen mit anderen Paschtunen und sind ggf. mit der Heirat von nahen Verwandten einverstanden. Ehen zwischen Paschtunen und Mitgliedern anderer Ethnien wie Hazara, Usbeken oder Tadschiken sind selten.
Die Sozialstruktur der Paschtunen basiert auf dem Paschtunwali-Kodex (oder Pukhtunwali-Kodex), der als Verhaltens- und Moralsystem angesehen werden kann. Obwohl die paschtunischen Stämme unterschiedliche Sitten und Gebräuche haben, ist der gemeinsame Nenner all dieser Stämme der Paschtunwali-Kodex, und alle Paschtunen sind verpflichtet, ihn zu befolgen. Paschtunwali umfasst bestimmte Verhaltensgrundsätze, die sich im Laufe der Geschichte herausgebildet haben und die von Generation zu Generation durch Jirgas, Volksversammlungen (Marakas) und traditionelle Erziehung weitergegeben werden. Die Einhaltung der Grundsätze des Paschtunwali sind den Paschtunen sehr wichtig, und jede Missachtung wird mit harten Strafen geahndet. (LIB, Kap. 19.1)
1.3.16. Relevante Bevölkerungsgruppe - Mitglieder der ehemaligen Regierung / Streitkräfte / ausländischer Organisationen:
Die Taliban haben offiziell eine „Generalamnestie“ für Angehörige der ehemaligen Regierung und Sicherheitskräfte angekündigt. Hochrangige Taliban haben die Taliban-Kämpfer wiederholt zur Einhaltung der Amnestie aufgefordert und angeordnet, von Vergeltungsmaßnahmen abzusehen. Außerhalb offizieller Kommunikation verbreiten jedoch Taliban-Offizielle bzw. ihnen nahestehende Kommentatoren, u. a. in den sozialen Medien, das Narrativ, dass ehemalige Regierungsmitglieder bzw. -angestellte, aber auch Personen, die mit ausländischen Regierungen gearbeitet haben, Verräter am Islam und an Afghanistan sind. Berichte über Verstöße gegen diese Amnestie wurden von den Taliban-Behörden zurückgewiesen und erklärt, dass diese Verstöße auf „persönlicher Feindschaft oder Rache“ beruhten und nicht auf einer offiziellen Anweisung zu solchen Handlungen.
Während zielgerichtete, groß angelegte Vergeltungsmaßnahmen gegen ehemalige Angehörige der Regierung oder Sicherheitskräfte, oder die Verfolgung bestimmter Bevölkerungsgruppen, bislang nicht nachgewiesen werden konnten, kam es allerdings zu Entführungen und Ermordungen ehemaliger Angehöriger des Staatsapparats und der Sicherheitskräfte. Es kann nicht verifiziert werden, ob diese Angriffe politisch angeordnet wurden. Sie wurden aber durch die Taliban-Regierung trotz gegenteiliger Aussagen mindestens toleriert bzw. nicht juristisch verfolgt. Täter können davon ausgehen, dass auch persönlich motivierte Taten gegen diesen Personenkreis nicht geahndet werden.
Für den Zeitraum vom 16.8.2021-30.5.2023 verzeichnet ACLED über 400 Gewalttaten gegen ehemalige Regierungs- und Sicherheitsbeamte, von denen 290 von den Taliban verübt wurden. UNAMA dokumentiert für den Zeitraum 15.8.2021-30.6.2023 sogar mindestens 800 Menschenrechtsverletzungen gegen ehemalige Regierungs- und Sicherheitsbeamte, darunter außergerichtliche Tötungen, gewaltsames Verschwinden, willkürliche Verhaftungen und Inhaftierungen, Folter und Misshandlungen sowie Drohungen. Ehemalige Angehörige der afghanischen Nationalarmee sind am stärksten von Menschenrechtsverletzungen bedroht, gefolgt von der Polizei (sowohl der afghanischen Nationalpolizei (ANP) als auch der afghanischen Lokalpolizei (ALP)) und Beamten der National Directorate of Security (NDS). Die oben genannten Gruppen sind zwar in allen Provinzen gefährdet, doch scheint es in einigen Gegenden zu einer verstärkten gezielten Gewalt zu kommen.
Im März 2022 gründeten die Taliban die Kommission für die Verbindungsaufnahme und Rückführung afghanischer Persönlichkeiten, um mit hochrangigen ehemaligen Beamten und Spitzenmilitär über ihre Rückkehr ins Land zu verhandeln und ihnen Sicherheit und Schutz zu versprechen. Die Rückkehrer erhalten „Immunitätskarten“, um sicherzustellen, dass sie nicht aufgrund ihrer früheren Tätigkeit inhaftiert werden. Einige müssen sich die Karten nach ihrer Rückkehr besorgen, was sich als äußerst schwierig erweist, da die Taliban keine speziellen Registrierungszentren bekannt gegeben haben und der Zugang zur Kommission nach wie vor schwierig ist. Manche Rückkehrer mussten Taliban-Beamte bestechen, um zu einer Immunitätskarte zu gelangen.
Seit ihrer Gründung ist es der Kommission gelungen, eine Reihe ehemaliger Beamter, darunter hochrangige Militär- und Polizeibeamte, zur Rückkehr nach Afghanistan zu bewegen. Während einige von ihnen der Rückkehr zugestimmt haben, haben viele aus Angst vor den „falschen Versprechungen“ der Taliban beschlossen, nicht zurückzukehren. Die Taliban haben sich jedoch jeden prominenten Rückkehrer zunutze gemacht, indem sie ihn auf dem Flughafen von Kabul gefilmt und die Videos dann in den sozialen Medien als Werbematerial verbreitet haben. Die meisten Rückkehrer werden später zu Taliban-Unterstützern, befürworten ihre Ideologie und fordern weltweite Anerkennung. Manche sehen diese Rückkehr als eine Treueerklärung an die Taliban.
Einige Mitglieder der ehemaligen Streitkräfte, die nach Versprechungen der Taliban nach Afghanistan zurückgekehrt waren, wurden wie Feinde behandelt und ihre persönlichen Daten wurden über Social-Media verbreitet. Einige wurden kurzfristig verhaftet und verhört und ihre Häuser wurden durchsucht. Zusätzlich mussten Rückkehrer einen Treueid auf die Taliban leisten. (LIB, Kap. 20.3)
1.3.17. Relevante Bevölkerungsgruppe - Personen denen vorgeworfen wird, von westlichen Werten beeinflusst zu sein:
Die Taliban haben das Ziel, die afghanische Gesellschaft zu „reinigen“ und „ausländischen“ Einfluss aus Afghanistan zu vertreiben. Die afghanische Gesellschaft soll von allem „gesäubert“ werden, was die Taliban als „westliche“ Werte ansehen, einschließlich Bildung für Mädchen, Beschäftigung und Bewegungsfreiheit für Frauen sowie Meinungs- und Versammlungsfreiheit.
Afghanen, die nach 2021 ausgereist sind, werden von den Taliban oft als „Verräter“ angesehen. Taliban kontrollieren Profile in den sozialen Medien. Familienangehörige von Ausgereisten können auch von Taliban-Beamten und Nachbarn schikaniert werden, unter anderem durch Vertreibungen und aggressive Verhöre.
Obwohl keine allgemeine Kleiderordnung für Männer erlassen wurde, wird Männern in einigen Gegenden geraten, Bärte nicht zu kürzen und keine westliche Kleidung zu tragen. Regierungsangestellten wurde angeordnet, sich einen Bart wachsen zu lassen und eine Kopfbedeckung zu tragen. Ein Taliban-Beamter rief dazu auf, die Krawatte nicht mehr zu tragen, da sie ein Symbol für das christliche Kreuz sei. Im Februar 2024 hielt ein hochrangiger Taliban Medienschaffende in Afghanistan dazu an, auf das Rasieren von Bärten und das Fotografieren zu verzichten. Er sagte weiter, dass der Bartwuchs im Islam obligatorisch sei und dass es eine große Sünde sei, ihn zu rasieren. Auch „dünne Kleidung“ wird als Widerspruch zur Scharia erachtet. Händler wurden aufgefordert, auf die Einfuhr solcher Kleidung zu verzichten.
Die Kleidervorschriften werden jedoch in den Provinzen unterschiedlich ausgelegt. In Kabul tragen Menschen in bestimmten Teilen der Stadt T-Shirts und westliche Kleidung mit US-Motiven, und es kann in Afghanistan praktisch auch alles gekauft werden, wenn man das Geld dazu hat. In Kabul-Stadt gibt es auch Fast-Food-Restaurants und Bodybuilding-Fitnessstudios.
Das Spielen von Musik ist in Afghanistan verboten. Taliban verbrennen öffentlich Musikinstrumente und gehen auch gegen Personen vor, die Musik in Privatfahrzeugen oder auf Telefonen abspielen. In einigen Lokalen in Kabul wird weiterhin Musik gespielt. In der Kernzone der Taliban in Kandahar sind die Taliban-Beamten strenger, das Spielen und Hören von Musik ist in der ganzen Stadt verboten. (LIB, Kap. 20.4)
1.3.18. IDPs und Flüchtlinge:
Jahrelange Konflikte, Naturkatastrophen und wirtschaftliche Schwierigkeiten haben im verarmten Afghanistan Millionen von Menschen zu Binnenvertriebenen gemacht. Binnenvertriebene, wie auch Rückkehrende aus dem Ausland, befinden sich in einer wirtschaftlichen Notlage und wenden negative Bewältigungsstrategien an (Einsparung von Lebensmitteln, Aufnahme von Schulden, Kinderarbeit oder -verkauf). 2023 gab es zwischen 3,25 und 3,3 Millionen Binnenvertriebene. Gründe für Vertreibung sind vor allem Konflikte und extrem wetterbedingte Ereignisse.
Im Jänner 2023 kündigten die pakistanischen Behörden an, dass alle ausländischen Staatsangehörigen, einschließlich afghanischer, ohne gültige Papiere inhaftiert und nach einem Gerichtsurteil in ihr Heimatland zurückgewiesen werden. Pakistanische Behörden kündigten außerdem an, Geld und Besitztümer von illegal aufhältigen Fremden zu konfiszieren und Strafen gegen pakistanische Bürger bzw. Vermieter zu verhängen, die ihnen Unterschlupf gewähren, sowie auch gegen Firmen, die Afghanen ohne Dokumente beschäftigen. Mit der Aussicht auf eine tatsächliche Umsetzung ab 1.11.20023 stieg die Zahl der Rückkehrer an den Grenzübergängen stark an. In den ersten beiden Oktoberwochen – vom 1. bis zum 15.10.2023 – kehrten 37.317 Afghanen selbstständig nach Afghanistan zurück.
Der Iran duldet viele afghanische Staatsangehörige, die sich irregulär im Land aufhalten. Ein beträchtlicher Anteil befindet sich im Rahmen der Arbeitsmigration im Iran, die ein wichtiger wirtschaftlicher Faktor für das Land ist. Im Rahmen verschiedener Regularisierungsinitiativen haben die iranischen Behörden einigen von ihnen einen regulären Aufenthalt bzw. eine Duldung ermöglicht. Die freiwillige Rückkehr von registrierten afghanischen Flüchtlingen findet seit August 2021 auf einem niedrigeren Niveau statt als zuvor, wobei im Jahr 2023 mit insgesamt 521 Personen mehr registrierte afghanische Flüchtlinge mit UNHCR-Unterstützung freiwillig nach Afghanistan zurückkehrten als 2022 (379 Personen). Im ersten Jahr nach der Machtübernahme der Taliban (15.8.2021-14.8.2022) gab es mit rund einer Million Rückkehrern dagegen eine höhere Anzahl als im zweiten Jahr (15.8.2022-15.8.2023), als ca. 838.000 Personen erfasst wurden, die vom Iran nach Afghanistan zurückkehrten. (LIB, Kap. 22)
1.3.19. Rückkehr:
Es gibt wenig Informationen zu Rückkehrern aus Europa nach Afghanistan. Nach der Machtübernahme der Taliban kam es zur freiwilligen Rückkehr afghanischer Staatsbürger. Es kehrten auch einige Mitarbeiter der ehemaligen Regierung und internationaler NGOs nach Afghanistan zurück, darunter ein Mitarbeiter einer NGO, der mit seiner Familie nach zwei Jahren Aufenthalt in Dänemark nach Afghanistan zurückkehrte. Es gibt auch freiwillige Rückkehrer aus den USA.
Die Taliban haben am 16.3.2022 eine Kommission unter Leitung des Taliban-Ministers für Bergbau und Petroleum ins Leben gerufen, die Mitglieder der ehemaligen wirtschaftlichen und politischen Elite überzeugen soll, nach Afghanistan zurückzukehren. Im Rahmen dieser Bemühungen sollen inzwischen 200 mehr oder weniger prominente Persönlichkeiten nach Afghanistan zurückgekehrt sein, darunter auch ehemalige Minister und Parlamentarier.
Am 30.8.2024 wurden erstmals seit der Machtübernahme der Taliban afghanische Staatsangehörige aus Deutschland nach Afghanistan abgeschoben. Nach Angaben der deutschen Bundesregierung handelte es sich dabei um „afghanische Straftäter, afghanische Staatsangehörige, die sämtlich verurteilte Straftäter waren, die kein Bleiberecht in Deutschland hatten und gegen die Ausweisungsverfügungen vorlagen“. Die insgesamt 28 abgeschobenen Afghanen wurden nach ihrer Rückkehr nach Kabul durch die Taliban angehalten und ins Gefängnis gebracht. Kurz darauf wurden sie nach Auskunft der Taliban wieder auf freien Fuß gesetzt, nach einer schriftlichen Zusicherung, dass sie keine Verbrechen in Afghanistan begehen würden. Die Taliban sind bereit, auch in Zukunft abgeschobene Afghanen aus Deutschland aufzunehmen.
IOM hat aufgrund der aktuellen Lage vor Ort die Option der Unterstützung der freiwilligen Rückkehr und Reintegration seit 16.8.2021 für Afghanistan bis auf Weiteres weltweit ausgesetzt. Es können somit derzeit keine freiwilligen Rückkehrer aus Österreich nach Afghanistan im Rahmen des Projektes RESTART III unterstützt werden. IOM Afghanistan hält jedoch die Kommunikation mit ehemaligen Rückkehrern aufrecht, um humanitäre Hilfe anzubieten, die Stabilisierung der Gemeinschaft zu unterstützen und die interne Migration in Zusammenarbeit mit den Taliban-Behörden, humanitären Partnern und lokalen Gemeinschaften zu steuern.
Taliban behandeln zurückkehrende Personen im Rahmen ihrer allgemeinen Praxis im Umgang mit der Zivilbevölkerung. Die Bedrohung der persönlichen Sicherheit ist im Einzelfall das zentrale Hindernis für zurückkehrende Personen. Auch vor dem Hintergrund der faktischen Kontrolle der Taliban über alle Landesteile lässt sich die Frage einer möglichen Gefährdung im Einzelfall nicht auf einzelne Landesteile, etwaige Sicherheitsrisiken durch Terrorismus oder lokale Kampfhandlungen begrenzen. Entscheidend für die individuelle Sicherheit der Personen bleibt die Frage, wie die Person von der Taliban-Regierung und dritten Akteuren wahrgenommen wird.
Im Ausland straffällig gewordene Rückkehrende könnten, wenn die Tat einen Bezug zu Afghanistan aufweist, in Afghanistan zum Opfer von Racheakten, z. B. von Familienmitgliedern der Betroffenen, werden. Auch eine erneute Verurteilung durch das von den Taliban kontrollierte Justizsystem ist nicht ausgeschlossen, wenn der Fall den Behörden bekannt werden würde. (LIB, Kap. 26)
Rückkehrunterstützung des österreichischen Staates: Die österreichische Rückkehrunterstützung umfasst eine kostenlose individuelle Beratung zur freiwilligen Rückkehr einschließlich Antragsstellung auf finanzielle Unterstützung durch die BBU, die organisatorische Unterstützung bei der Reisevorbereitung, bei der Reiseplanung und bei der Beschaffung von Heimreisedokumenten, die Übernahme der Heimreisekosten, eine finanzielle Starthilfe in Höhe von bis zu 900 EUR sowie die Teilnahme an Reintegrationsprogrammen nach der Rückkehr im Zielland.
Ein Rechtsanspruch auf diese Unterstützungsleistungen besteht nicht. Organisatorische Unterstützung kann grundsätzlich in jeder Verfahrenskonstellation gewährt werden. Voraussetzung für die Gewährung der Übernahme der Heimreisekosten ist die Mittellosigkeit der rückkehrenden Person.
Die Höhe der finanziellen Starthilfe ist in einem degressiven Modell geregelt und staffelt sich nach dem Zeitpunkt der Antragstellung auf unterstützte freiwillige Rückkehr. Während des laufenden asyl- oder fremdenrechtlichen Verfahrens bis einen Monat nach Rechtskraft der Rückkehrentscheidung beträgt die finanzielle Starthilfe 900 EUR pro Person. Ab einem Monat nach Rechtskraft der Rückkehrentscheidung beträgt die finanzielle Starthilfe 250 EUR pro Person. Für vulnerable Rückkehrende, die grundsätzlich von der finanziellen Starthilfe ausgeschlossen wären, kann nach individueller Einzelfallprüfung durch das BFA ein einmaliger Betrag von 250 EUR pro Person gewährt werden.
Kriterien für den Erhalt der finanziellen Starthilfe und der Reintegrationsunterstützung sind die freiwillige Ausreise, finanzielle Bedürftigkeit bzw. Mittellosigkeit, erstmaliger Bezug der Unterstützungsleistung, Nachhaltigkeit der Ausreise, keinerlei Evidenz eines Sicherheitsrisikos durch die freiwillige Rückkehr und keine schwere Straffälligkeit.
Für 42 Herkunftsländer können freiwillige Rückkehrer im Sinne des Leitgedankens „Rückkehr mit Perspektiven“ Reintegrationsunterstützung im Wert von bis zu 3.500 EUR beantragen. Die Abwicklung des Reintegrationsangebots erfolgt unter anderem mit den Kooperationspartnern Frontex, IOM Österreich, Caritas Österreich und OFII.
Im Rahmen der Reintegrationsprogramme erhalten Rückkehrende umfassende Unterstützung bei der Wiedereingliederung in ihrem Herkunftsland. Dazu gehören individuelle, persönliche Beratung und vorwiegend Sachleistungen, z. B. wirtschaftliche, soziale und psychosoziale Hilfen. Die Programme bieten ein breites Spektrum an Leistungen, um einen optimalen Einsatz der Mittel zu gewährleisten. (LIB, Kap. 26.1)
1.3.20. Rolle und Arbeitsweise der Sicherheitsbehörden und des Militärs in Afghanistan vor der Machtübernahme der Taliban im Mai 2021
Die staatlichen Sicherheitskräfte Afghan National Defense and Security Forces (ANDSF) bestehen aus Afghan National Army (ANA), Afghan Border Force (ABF), Afghan BorderPolice (ABP), Afghan National Police (ANP), Afghan National Civil Order Police (ANCOP), Afghan Special Security Forces (ASSF) und dem National Directorate of Security (NDS). Der NDS ist der afghanische Inlandsgeheimdienst, der sowohl nachrichtendienstliche als auch polizeiliche Aufgaben wahrnimmt. Er ist daher auch befugt, Festnahmen durchzuführen und betreibt eigene Gefängnisse. Die Afghan Local Police (ALP) wurde im Herbst 2020 aufgelöst und zu Teilen in andere Zweige der ANDSF integriert. Daneben existiert eine Vielzahl von seitens der Unterstützungsmission der Vereinten Nationen in Afghanistan (UNAMA) als „progovernment“ bezeichneten bewaffneten Milizen. Diese werden meist von lokalen Machthabern oder Warlords angeführt. Zwischen ihnen kommt es immer wieder zu Kämpfen um Einfluss. Allianzen und Loyalitäten verschieben sich dabei flexibel und sind aufgrund ihrer Dynamik oft nur noch schwer nachvollziehbar. Den verschiedenen bewaffneten Gruppen werden regelmäßig schwere Menschenrechtsverletzungen vorgeworfen.
Seit Jahreswechsel 2014/15 tragen die ANDSF die grundsätzliche Verantwortung für die Sicherheit in Afghanistan. Die ANA verfügt derzeit über 186.859 Soldatinnen und Soldaten sowie die ANP über 121.088 Polizistinnen und Polizisten. Aufgrund von Führungsmängeln, unzureichender Ausbildung und ständigen landesweiten Einsatzes ihrer Spezialkräfte ohne ausreichende Ruhephasen stehen die afghanischen Sicherheitskräfte unter großem Druck.
Seit dem Abzug des Großteils der internationalen Truppen mit Beendigung der ISAF-Mission agieren die Taliban und andere bewaffnete regierungsfeindliche Gruppen mit größerer Bewegungsfreiheit; dieser Trend verstärkte sich infolge des US-Taliban-Abkommens. Internationale Kräfte haben seither die ANDSF in erster Linie defensiv gegen Angriffe der Taliban und nicht mehr bei offensiven Maßnahmen unterstützt.
Die stärkste Kraft der regierungsfeindlichen Gruppen bilden weiterhin die Taliban. Sie versuchen den Einfluss in ihren Kernräumen – meist paschtunisch geprägten ländlichen Gebieten -, zu konsolidieren und auszuweiten. In zahlreichen Distrikten üben die Taliban die alleinige Kontrolle aus. Es gelingt den Taliban immer wieder, teils auch für längere Zeiträume, wichtige Überlandstraßen zu blockieren. Wie sich militärische Lage und die Fähigkeiten der ANDSF nach Abzug der NATO Ausbildungs- und Beratungsmission „Resolute Support Mission“ weiterentwickeln, ist derzeit schwer einzuschätzen. (Auswärtiges Amt)
2. Beweiswürdigung:
Beweis wurde erhoben durch Einsicht in den Verwaltungsakt sowie in den Gerichtsakt, durch Einvernahme des Beschwerdeführers in der mündlichen Verhandlung sowie durch Einsichtnahme in die im Verfahren vorgelegten Urkunden.
Die Feststellungen basieren auf den in den Klammern angeführten Beweismitteln.
2.1. Zu den Feststellungen zur Person des Beschwerdeführers:
2.1.1. Die Feststellungen zur Identität des Beschwerdeführers ergeben sich aus seinen dahingehend übereinstimmenden Angaben vor den Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes, vor der belangten Behörde, in der Beschwerde und vor dem Bundesverwaltungsgericht. Die getroffenen Feststellungen zum Namen und zum Geburtsdatum des Beschwerdeführers gelten ausschließlich zur Identifizierung der Person des Beschwerdeführers im Asylverfahren in Österreich.
Die Feststellungen zur Staatsangehörigkeit des Beschwerdeführers, zu seiner Volksgruppen- und Religionszugehörigkeit, seiner Muttersprache, seinem Aufwachsen, zu seiner familiären Situation in Afghanistan sowie zu seinem Familienstand gründen sich auf seinen diesbezüglich schlüssigen und stringenten Angaben. Das Bundesverwaltungsgericht hat keine Veranlassung, an diesen im gesamten Verfahren gleich gebliebenen Aussagen des Beschwerdeführers zu zweifeln.
2.1.2. Der Beschwerdeführer gab zwar an, dass er Analphabet sei und er nicht schreiben oder lesen könne, dies ist jedoch nicht glaubhaft. Er gab dazu in der Verhandlung an, dass er das erste Mal in seinem Leben in Österreich im Jahr 2022 versucht habe etwas zu schreiben (PS 8). Dies würde dafür sprechen, dass er weder vor seinem Aufenthalt in Deutschland noch vor seiner Erstbefragung in Österreich jemals etwas geschrieben hätte, auch nicht seinen Namen. Der Beschwerdeführer hat jedoch ein besonders geübtes und auch gleichbleibendes Unterschriftsbild auf allen Einvernahmeprotokollen, auch auf dem Protokoll aus Deutschland. Dass der Beschwerdeführer davor noch nie versucht habe seinen Namen zu schreiben ist mit dem Unterschriftsbild nicht in Einklang zu bringen. Der Beschwerdeführer gab in der Verhandlung nach Vorhalt dieses Widerspruchs weiters an, dass er gemeinsam mit seinen Kindern immer etwas für die Schule gelernt habe und er habe auch geübt seine Unterschrift zu machen. Wenn er jedoch gemeinsam mit seinen Kindern für die Schule gelernt und geübt habe, so wäre davon auszugehen, dass er mit diesen auch schreiben, lesen und rechnen geübt hätte. Die Angaben des Beschwerdeführers zu seiner fehlenden Schulbildung und Analphabetismus sind daher nicht glaubhaft.
Der Beschwerdeführer machte zudem sowohl beim Bundesamt als auch in der Verhandlung sehr konkrete Datumsangaben. Er ist hierbei besonders orientiert und findet sich sowohl im afghanischen als auch im gregorianischen Kalender gut zurecht. Auch dies spricht nicht dafür, dass der Beschwerdeführer keine Schulbildung hat und Analphabet ist.
Bei der Einvernahme vor dem Bundesamt, konnte der Beschwerdeführer auch Namen in seinem Telefonbuch ablesen und zu diesen Namen weitere Angaben machen, auch dies steht der Annahme entgegen, dass er Analphabet sei. Es war aus diesen Gründen daher festzustellen, dass er lesen und schreiben kann und über eine umfassende Schulbildung verfügt.
2.1.3. Die Feststellungen zum Gesundheitszustand gründen auf den diesbezüglich glaubhaften Aussagen des Beschwerdeführers bei der belangten Behörde und in der mündlichen Verhandlung (AS 101; S. 5 in OZ 6) und auf dem Umstand, dass im Verfahren nichts Gegenteiliges hervorgekommen ist.
Die Feststellung der strafgerichtlichen Unbescholtenheit ergibt sich aus einer Einsichtnahme in das Strafregister.
2.1.4. Die Feststellungen zu seinem Leben in Österreich, seiner Freizeitgestaltung, seinen Deutschkenntnissen und seinen sozialen Anknüpfungspunkten in Österreich ergeben sich aus seinen Angaben in der mündlichen Verhandlung (VP S. 10f) und den zu seiner Arbeit in Österreich in der Verhandlung vorgelegten Unterlagen (VP S. 4, Beilage ./B).
2.2. Zu den Feststellungen zum Fluchtgrund des Beschwerdeführers:
Die Angaben des Beschwerdeführers zu seinen Fluchtgründen und insbesondere zu seiner Tätigkeit beim Militär, der Polizei bzw. den ehemaligen afghanischen Streitkräften ist aus nachstehenden Gründen nicht glaubhaft:
2.2.1. Es ergaben sich folgende erhebliche Widersprüche zu seiner Tätigkeit für die afghanische Polizei bzw. das afghanische Milität, sodass davon auszugehen ist, dass der Beschwerdeführer tatsächlich nicht als Polizist und auch nicht für das afghanische Militär oder sonstige ehemalige afghanische Streitkräfte gearbeitet hat:
Der Beschwerdeführer gab in Deutschland in seinem dortigen Asylverfahren zu Protokoll, dass er vom 09.04.2018 bis August 2021 bei der Mahali Polizei als Dorfschützer gearbeitet habe (OZ 3). In der Beschwerde gab er an, dass er Angehöriger des Militärs gewesen wäre (AS 326), ebenso wie in der Erstbefragung (AS 59). Bei der Einvernahme beim Bundesamt gab er jedoch an, dass er als Polizist tätig gewesen wäre (AS 101), sohin wohl bei der ALP (AS 102). Nach Angaben des Beschwerdeführers wäre er mehrere Jahre bei den ehemaligen Streitkräften und noch dazu in leitender Position tätig gewesen. Der Beschwerdeführer müsste daher genaue Kenntnis darüber haben, ob er bei der Polizei, beim Militär oder bei einer anderen Organisation tätig war, zumal dies auch seinen Fluchtgrund darstellt. Da der Beschwerdeführer zudem über eine umfassende Schulbildung verfügt, müsste er dazu konkrete Angaben ohne Widersprüche machen können, hätte er eine solche Tätigkeit tatsächlich in Afghanistan ausgeübt. Die Angaben des Beschwerdeführers, wonach er Analphabet sei und daher alles „Militär“ nenne, überzeugt daher nicht (AS 104). Die Angaben zu seiner beruflichen Tätigkeit in Afghanistan sind daher nicht glaubhaft.
Die Angaben des Beschwerdeführers beim Bundesamt, dass es bei der Lokalpolizei keine Ränge gibt und er daher auch keinen Rang gehabt habe (AS 102), steht im Widerspruch zur vom Beschwerdeführer vorgelegten Anzeige wegen der Drohbriefe, in der er als Kommandant bezeichnet wird (AS 102). Auf dem vom Beschwerdeführer vorgelegten Dienstausweis ist angeführt, dass der Rang des Beschwerdeführers „Lokalpolizist“ sei (AS 101). Auch diese Widersprüche ziehen die Angaben des Beschwerdeführers und die Glaubhaftigkeit der vorgelegten Urkunden erheblich in Zweifel.
Des Weiteren gab der Beschwerdeführer vor der Behörde in Deutschland an, dass er neben den zwei Drohbriefen auch Drohungen über das Telefon erhalten habe (OZ 3). Diesen Umstand hat der Beschwerdeführer im gesamten Verfahren vor den österreichischen Behörden gänzlich unerwähnt gelassen. Hätte es daher tatsächlich eine Bedrohung durch die Taliban gegeben, hätte der Beschwerdeführer die Drohanrufe wohl nicht einfach vergessen, sondern diese ebenso wie die vermeintlichen zwei Drohbriefe im Asylverfahren in Österreich angeführt.
Der Beschwerdeführer hat seinem Vorbringen zur Folge den Beruf des Polzisten erlernt und dort über drei Jahre gearbeitet. In der Erstbefragung gab der Beschwerdeführer jedoch noch an, dass er eine Berufsausbildung beim Militär erhalten habe (AS 54). In der Verhandlung befragt, ob er eine Schule besucht habe oder einen Beruf erlernt habe, antwortete er: „Nein, das habe ich nicht.“. Es wäre anzunehmen gewesen, wäre er tatsächlich bei der Polizei oder beim Militär gewesen und hätte er dort eine Ausbildung erhalten, dass er dies bei dieser Frage in der mündlichen Verhandlung auch angegeben hätte. In der Verhandlung gab er erst auf weitere Nachfrage durch das Gericht an, eine Ausbildung bei der Polizei gemacht zu haben (PS 7). Die Angaben des Beschwerdeführers zu seiner Berufsausbildung und seinem Beruf bei der Polizei bzw. beim Militär sind daher nicht glaubhaft.
2.2.2. Die Angaben des Beschwerdeführers zu seiner behaupteten Ausbildung und Tätigkeit als Polizist waren zudem wie nachstehend aufgezeigt vage, ausweichend und nicht glaubhaft.
Der Beschwerdeführer wurde unter anderem zu seiner Ausbildung bei der Polizei befragt und aufgefordert diese detailliert und umfassend zu schildern. Er machte jedoch bereits dazu nur vage und ausweichende Angaben, die er selbst auf Nachfragen kaum konkretisierte:
„R: Können Sie mir jetzt bitte detailliert und umfassend schildern, was für eine Ausbildung Sie bekommen haben?
BP: Ich habe 2 Monate Ausbildung gehabt in der XXXX .
D: Das heißt in der Ausbildungszentrale für Ortspolizisten.
BP: Man hat mir gezeigt, wie wir stehen sollen, wie wir grüßen und wie wir eine Waffe halten. Wir haben gelernt, dass man gerade steht, den Bauch einzieht, die Brust rausstreckt, wir haben gelernt, wie man eine Kalaschnikow zerlegt und zusammenbaut.“ (PS 13).
Diese Angaben machen keinesfalls den Eindruck, als hätte der Beschwerdeführer tatsächlich eine Ausbildung als Polizist gemacht.
Weiters wurde der Beschwerdeführer zu seinen Aufgaben als Polizist befragt und aufgefordert dazu möglichst ausführliche und detaillierte Angaben zu machen, wobei auch seine diesbezüglichen Angaben vage und ausweichend blieben:
„R: Bitte beschreiben Sie möglichst ausführlich und detailliert, was Ihre Aufgaben dort waren? BP: Ich war zuständig für unseren Posten, es gab ein Tolay. Wir hatten 5 Posten und ich war für einen Posten zuständig.
D: Tolay bedeutet eine Company.
R: Bitte beschreiben Sie möglichst ausführlich und detailliert, was Inhalt Ihrer Arbeit war?
BP: 10 Personen waren unter meinem Befehl. Wie soll ich das erklären? Es gibt eine Hauptstraße zwischen Kunar und Jalalabad bis zum Distrikt XXXX . Wir waren für diese Strecke zuständig, haben Patrouillen geführt, haben Checkpoints gehabt, Autos kontrolliert.“ (PS 12).
Diese Angaben machen nicht den Eindruck, als hätte der Beschwerdeführer jemals in Afghanistan für das Militär, die Polizei oder sonstige Sicherheitskräfte gearbeitet. Auch blieben seine Angaben hinsichtlich seiner Uniform vage und unplausibel:
„R: Hatten Sie eine Dienstuniform?
BP: Ja.
R: Können Sie diese beschreiben?
BP: Wie soll ich es sagen, die Farbe…, ich glaube es war beige oder so, ich kenne mich mit Farben nicht gut aus.
R: Gab es ein Muster oder war es immer derselbe Farbton?
BP: Einfach eine Farbe.
R: Hatte die Lokalpolizei irgendein Logo oder ein Wappen?
BP: Die Ortspolizisten haben kein Logo und kein Wappen.“
Diesbezüglich ist festzuhalten, dass der Beschwerdeführer jedenfalls in der Lage gewesen wäre, genaue und detailreiche Angaben zu seiner Uniform zu tätigen, wäre er tatsächlich für einen Zeitraum von über drei Jahren als Polizist oder beim Militär tätig gewesen.
Die Angaben des Beschwerdeführers machen nicht den Eindruck, als würde es sich um tatsächlich erlebte Ereignisse handeln, zumal der Beschwerdeführer bei einer beruflichen Tätigkeit von über drei Jahren bei der Polizei detailreichere und lebensnahe Ausführungen machen können müsste.
2.2.3. Die Angaben des Beschwerdeführers sind auch nicht mit den Länderberichten in Einklang zu bringe. Die Afghan Local Police (ALP) wurde im Herbst 2020 aufgelöst und zu Teilen in andere Zweige der ANDSF integriert. Der Beschwerdeführer gab jedoch an, dass er im April XXXX begonnen habe bei der Lokalpolizei (Ortspolizei – XXXX Polizei – VP S. 13, AS 102) zu arbeiten. Dort habe er bis zum Fall der Regierung im August 2021 gearbeitet (VP S. 12). Wäre der Beschwerdeführer tatsächlich bei der ALP Kommandant, sohin in leitender Position, gewesen, dann hätte er auch zur Auflösung der ALP und Umgliederung wohl Angaben machen können. Tatsächlich verneinte er in der mündlichen Verhandlung, dass es jemals Umstrukturierungen bei ihm am Polizeiposten gegeben habe (VP S. 13).
2.2.4. Das Gericht verkennt nicht, dass der Beschwerdeführer auch Urkunden betreffend seine Fluchtgründe in Afghanistan vorgelegt hat. Dazu ist jedoch anzumerken, dass der Korruptionsindex für Afghanistan besonders hoch ist und daher echte und unechte Urkunden mit richtigem und unrichtigem Inhalt besorgt werden können.
Zudem fällt in diesem Zusammenhang auf, dass der Beschwerdeführer beim Bundesamt angab, dass er kein Kommandant gewesen wäre (AS 102). Bei seiner Anzeigebestätigung ist jedoch angeführt, dass er Kommandant gewesen sei und über einen militärischen Rang verfügt habe. Dem Dienstausweis ist jedoch als Rang „Lokalpolizei“ zu entnehmen, wobei dies kein Rang ist. Die vorgelegten Urkunden sind daher in sich widersprüchlich.
Es kommt daher und aufgrund der oben aufgezeigten erheblichen Anzahl an Widersprüchen und Unplausibilitäten in den Angaben des Beschwerdeführers auch den vom Beschwerdeführer vorgelegten Urkunden keine Glaubhaftigkeit zu.
2.2.5. Zudem waren die Schilderungen des Beschwerdeführers unplausibel und nicht nachvollziehbar:
Insbesondere erwähnte er in seiner freien Erzählung nicht, dass er Drohbriefe erhalten habe oder er diesbezüglich eine Anzeige erstattet hätte. Er erwähnte lediglich „Ladungen“, sohin die „Rekrutierungsbriefe“. Es wäre anzunehmen, dass der Beschwerdeführer, hätte er dies tatsächlich erlebt, vor Gericht bereits in der freien Erzählung zu seinen Fluchtgründen, als er aufgefordert wurde diese detailliert darzulegen, auch die Drohbriefe angegeben hätte. Das Gericht geht daher davon aus, dass er keine Drohbriefe erhalten hat und er auch noch nie von den Taliban kontaktiert wurde.
Darüber hinaus gab der Beschwerdeführer in der Verhandlung an, dass er beim ersten Drohbrief keine Angst gehabt habe, aber beim zweiten Drohbrief sei ihm geschrieben worden, dass er verurteilt worden sei und, dass er getötet werde und in die Hölle komme und bei diesem habe er schon Angst bekommen (PS 14). Der Einvernahme vom Bundesamt ist jedoch zu entnehmen, dass im ersten Drohbrief stand, dass er in die Hölle kommen werde und nicht im zweiten Brief. Es ist zudem nicht nachvollziehbar, dass der Beschwerdeführer den ersten Drohbrief nicht ernst genommen hätte, wenn er von den Taliban stammen würde.
In diesem Zusammenhang gab der Beschwerdeführer in der Verhandlung auch an, dass er beim ersten Drohbrief keine Angst gehabt habe, da damals die Regierung an der Macht war. Die Drohbriefe sind mit 15.03.2021 und 23.03.2021 datiert – sohin würden beide Drohbriefe aus einem Zeitraum stammen, in dem die ehemalige Regierung an der Macht war. Die Angaben des Beschwerdeführers, dass er nur beim ersten Drohbrief keine Angst gehabt habe, da damals noch die Regierung an der Macht war, sind nicht nachvollziehbar. Die vorgelegten Urkunden sind daher nicht geeignet die Fluchtgründe des Beschwerdeführers glaubhaft zu machen.
2.2.6. Es ist auch nicht ersichtlich, dass der Beschwerdeführer bei einer Rückkehr nach Afghanistan als verwestlicht wahrgenommen würde und daher in Afghanistan einer Gefahr ausgesetzt wäre.
Soweit der Beschwerdeführer in der Beschwerde vorbringt, dass aufgrund seines Berufes und aufgrund seiner verwestlichten Lebenseinstellung die Gefahr besteht, als „verwestlicht“ oder „abtrünnig“ angesehen zu werden, ist auszuführen, dass nicht ersichtlich ist wodurch sich sein „westlicher Lebensstil“ äußern würde. Aufgrund der Kürze seines Aufenthalts ist in Zusammenhang mit dem von ihm in der Beschwerdeverhandlung gewonnenen persönlichen Eindruck nach Ansicht des Gerichts nicht davon auszugehen, dass der Beschwerdeführer eine westliche Lebenseinstellung in einer ihn in Afghanistan exponierenden Intensität übernommen hätte.
Darüber hinaus sind im gesamten Verfahren keine Umstände hervorgekommen, die darauf schließen ließen, dass der Beschwerdeführer in Österreich bereits in einem solchen Maße eine ("westliche") Lebensweise führt, die einen deutlichen und nachhaltigen Bruch mit den allgemein verbreiteten gesellschaftlichen Werten in Afghanistan darstellt.
Der Beschwerdeführer hat in Österreich einen Deutschkurs auf dem Niveau A1 besucht, wobei er nur einen Teil der Deutschprüfung für A1 gemacht hat, sodass er nur über geringe Deutschkenntnisse verfügt (VP S. 10). Er arbeitet derzeit im Ausmaß von 40 Stunden bei einem Tiefkühlprodukte-Hersteller (VP S. 11). Er verbringt seine Freizeit mit Beten, Wäsche waschen und der Bartpflege Er hat in Österreich keine Freundschaften knüpfen können, Freunde hatte er in Afghanistan. Er trifft sich in seiner Freizeit daher eher mit seinen Bekannten (VP S. 11).
Eine besondere Ausübung der Grundrechte und insbesondere eine Verinnerlichung einer Lebensweise, die einen deutlichen und nachhaltigen Bruch mit den allgemein verbreiteten gesellschaftlichen Werten in Afghanistan darstellen würde, liegt beim Beschwerdeführer nicht vor. Eine solche Lebensweise würde dem Beschwerdeführer auch bei einer Rückkehr nach Afghanistan nicht unterstellt werden. In diesem Zusammenhang fällt auch auf, dass der Beschwerdeführer eine Verfolgung aufgrund einer angenommenen westlichen Lebenseinstellung oder als Rückkehrer, weder in der Erstbefragung, noch beim Bundesamt angegeben hat. Auch auf die Aufforderung der Richterin in der Verhandlung seine Fluchtgründe detailliert darzulegen, machte er diesbezügliche Befürchtungen nicht konkret und substantiiert geltend – und zwar auch nicht auf anschließende Nachfrage durch die Richterin hinsichtlich seiner konkreten Rückkehrbefürchtungen.
Es ist daher auch aus diesem Grund keine Verfolgung in Afghanistan erkennbar.
2.2.7. Soweit der Beschwerdeführer in der Beschwerde angab, dass ihm aufgrund seiner Lebensgeschichte als Kämpfer gegen die Taliban eine oppositionelle Gesinnung unterstellt wird, ist festzuhalten, dass der Beschwerdeführer in der Verhandlung aufgefordert wurde, alle Gründe detailliert und umfassend darzulegen, weshalb er Afghanistan verlassen habe und die einer Rückkehr nach Afghanistan entgegenstehen könnten (VP S. 11). Eine oppositionelle Gesinnung und diesbezügliche Schwierigkeiten als Rückkehrer gab der Beschwerdeführer jedoch nicht an. Auch sind sonst keine Umstände aufgekommen, die eine oppositionelle Gesinnung des Beschwerdeführers erkennen lassen, sodass seine lediglich in der Beschwerde vorgebrachte Behauptung, er sei aufgrund seiner Eigenschaft als Kämpfer gegen die Taliban in Afghanistan erheblicher Lebensgefahr ausgesetzt, nicht glaubhaft ist.
Der Beschwerdeführer hat keine gegen die Regierung der Taliban gerichtete Einstellung. Er lehnt diese auch nicht ab. Ihm wird bei einer Rückkehr nach Afghanistan auch nicht unterstellt, eine gegen die Taliban oder die Scharia gerichtete Einstellung zu haben.
2.2.8. 99% der afghanischen Bevölkerung sind Muslime. Es gibt ca 80 bis 89,7% Sunniten. Der Beschwerdeführer gehört daher zur Mehrheit der sunnitischen Muslime in Afghanistan.
Ethnische Paschtunen sind mit ca. 42% der Gesamtbevölkerung die größte Ethnie Afghanistans. Die Taliban gehören mehrheitlich der Gruppe der Paschtunen an. Seit der Machtübernahme der Taliban werden nicht-paschtunische Ethnien in staatlichen Stellen zunehmend marginalisiert.
Im Hinblick auf die Volksgruppe der Paschtunen oder von Angehörigen der Religionsgemeinschaft der Sunniten in Afghanistan kann aufgrund dieser Merkmale nicht von Eingriffen in die körperliche Integrität oder Bedrohungen in Afghanistan ausgegangen werden.
2.5. Zu den Feststellungen zur Situation im Herkunftsstaat:
Die Feststellungen zur maßgeblichen Situation im Herkunftsstaat stützen sich auf die zitierten Länderberichte. Da diese aktuellen Länderberichte auf einer Vielzahl verschiedener, voneinander unabhängiger Quellen von regierungsoffiziellen und nicht-regierungsoffiziellen Stellen beruhen und dennoch ein in den Kernaussagen übereinstimmendes Gesamtbild ohne wesentliche Widersprüche bieten, besteht im vorliegenden Fall für das Bundesverwaltungsgericht kein Anlass, an der Richtigkeit der herangezogenen Länderinformationen zu zweifeln. Die den Feststellungen zugrundeliegenden Länderberichte sind in Bezug auf die Sicherheits- und Versorgungslage in Afghanistan aktuell. Das Bundesverwaltungsgericht hat sich durch Einsichtnahme in die jeweils verfügbaren Quellen (u.a. laufende Aktualisierung des Länderinformationsblattes der Staatendokumentation) davon versichert, dass zwischen dem Stichtag der herangezogenen Berichte und dem Entscheidungszeitpunkt keine wesentliche Veränderung der Sicherheits- und Versorgungslage in Afghanistan eingetreten ist. Die in der Beschwerde zitierten Länderberichte sind durch die aktuellen, in den Feststellungen zitierten Länderinformationen überholt.
Vor diesem Hintergrund ist auch dem vom Beschwerdeführer gestellten Antrag auf Einholung eines länderkundlichen Sachverständigengutachtens „im Hinblick auf die aktuelle Situation in Afghanistan“ nicht zu entsprechen. Die Beachtlichkeit eines Beweisantrags setzt die ordnungsgemäße Angabe des Beweisthemas, das mit dem Beweismittel unter Beweis gestellt werden soll, somit jener Punkte und Tatsachen voraus, die durch das angegebene Beweismittel geklärt werden sollen. Erheblich ist ein Beweisantrag dann, wenn das Beweisthema eine für die Rechtsanwendung mittelbar oder unmittelbar erhebliche Tatsache ist (VwGH vom 24.10.2016, Ra 2016/02/0189). In der Unterlassung der Beweisaufnahme ist kein Verfahrensmangel gelegen, wenn das von der Partei im Beweisantrag genannte Beweisthema unbestimmt ist (VwGH vom 14.10.2016, Ra 2016/18/0260). Ein Erkundungsbeweis ist im verwaltungsbehördlichen Verfahren unzulässig VwGH vom 11.05.2017, Ro 2016/21/0012). Der unsubstantiierte Antrag auf Einholung eines Sachverständigengutachtens „im Hinblick auf die aktuelle Situation in Afghanistan“, legt nicht dar welche konkreten Tatsachen bewiesen werden sollen und weshalb diese für den vorliegenden Fall relevant seien. Darüber hinaus ergibt sich aufgrund der Ergebnisse des Beweisverfahrens und der anderen beigezogenen Länderberichte aus Sicht des Gerichts ein hinreichend schlüssiges Gesamtbild, sodass im Rahmen der freien Beweiswürdigung zu den getroffenen Feststellungen gelangt werden konnte (VwGH 21. 3. 1991, 90/09/0097; 19. 3. 1992, 91/09/0187; 16. 10. 1997, 96/06/0004; 13. 9. 2002, 99/12/0139; vgl auch VwGH 12. 3. 1991, 87/07/0054). Auch diesem Grund war der gegenständliche Antrag abzuweisen.
3. Rechtliche Beurteilung:
Zu A)
3.1. Zu Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides – Nichtzuerkennung des Status des Asylberechtigten
3.1.1. § 3 Asylgesetz 2005 (AsylG) lautet auszugsweise:
„Status des Asylberechtigten
§ 3. (1) Einem Fremden, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, ist, soweit dieser Antrag nicht bereits gemäß §§ 4, 4a oder 5 zurückzuweisen ist, der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft ist, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention droht.
(2) Die Verfolgung kann auch auf Ereignissen beruhen, die eingetreten sind, nachdem der Fremde seinen Herkunftsstaat verlassen hat (objektive Nachfluchtgründe) oder auf Aktivitäten des Fremden beruhen, die dieser seit Verlassen des Herkunftsstaates gesetzt hat, die insbesondere Ausdruck und Fortsetzung einer bereits im Herkunftsstaat bestehenden Überzeugung sind (subjektive Nachfluchtgründe). Einem Fremden, der einen Folgeantrag (§ 2 Abs. 1 Z 23) stellt, wird in der Regel nicht der Status des Asylberechtigten zuerkannt, wenn die Verfolgungsgefahr auf Umständen beruht, die der Fremde nach Verlassen seines Herkunftsstaates selbst geschaffen hat, es sei denn, es handelt sich um in Österreich erlaubte Aktivitäten, die nachweislich Ausdruck und Fortsetzung einer bereits im Herkunftsstaat bestehenden Überzeugung sind.
(3) Der Antrag auf internationalen Schutz ist bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten abzuweisen, wenn 1. dem Fremden eine innerstaatliche Fluchtalternative (§ 11) offen steht oder 2. der Fremde einen Asylausschlussgrund (§ 6) gesetzt hat.
…“
3.1.2. Flüchtling im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention (GFK) ist, wer sich aus der begründeten Furcht vor Verfolgung wegen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Überzeugung, außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen; oder der staatenlos ist, sich außerhalb des Landes seines gewöhnlichen Aufenthaltes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, in dieses Land zurückzukehren.
Gemäß § 3 Abs. 1 AsylG liegt es am Beschwerdeführer, entsprechend glaubhaft zu machen, dass ihm im Herkunftsstaat eine Verfolgung im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK droht.
Nur eine aktuelle Verfolgungsgefahr kann relevant sein, diese muss im Entscheidungszeitpunkt vorliegen. Auf diesen Zeitpunkt hat die der Asylentscheidung immanente Prognose abzustellen, ob der Asylwerber mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit eine Verfolgung aus den in Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK genannten Gründen zu befürchten habe (VwGH 19.10.2000, 98/20/0233).
3.1.3. Der Beschwerdeführer war in Afghanistan nicht als Polizist, beim Militär oder bei anderen Sicherheitskräfte der ehemaligen afghanischen Regierung tätig und wurde deshalb auch nicht von den Taliban mittels Drohbriefe bedroht oder aufgefordert sich ihnen anzuschließen. Er hatte keinen Kontakt zu den Taliban und weder er noch seine Familie wurden von den Taliban bedroht oder gesucht.
Es liegt beim Beschwerdeführer keine Verfolgungsgefahr aus einem Konventionsgrund vor.
3.1.4. Der Beschwerdeführer hat sich in Österreich keine westliche Lebenseinstellung angeeignet, die einen nachhaltigen und deutlichen Bruch mit den allgemein verbreiteten gesellschaftlichen Werten in Afghanistan darstellt. Es liegt keine westliche Lebenseinstellung beim Beschwerdeführer vor, die wesentlicher Bestandteil seiner Persönlichkeit geworden ist, und die ihn in Afghanistan exponieren würde.
Es droht ihm daher aus diesem Grund keine asylrelevante Verfolgung in Afghanistan.
3.1.5. Es haben sich auch keine Anhaltspunkte dahin ergeben, dass dem Beschwerdeführer aufgrund seines Merkmals als Rückkehrer eine asylrelevante Verfolgung drohen würde.
Hinsichtlich einer Verfolgung für Rückkehrer ist auszuführen, dass nach den zitierten Länderinformationen keine Fälle bekannt sind, in denen Rückkehrer nachweislich aufgrund ihres Aufenthaltes in Europa Opfer von Gewalttaten wurden. Im Hinblick auf die derzeit vorliegenden herkunftsstaatsbezogenen Erkenntnisquellen zur aktuellen Lage von Rückkehrern in Afghanistan haben sich keine ausreichenden Anhaltspunkte dahingehend ergeben, dass alle Rückkehrer gleichermaßen bloß auf Grund ihres gemeinsamen Merkmals als Rückkehrer und ohne Hinzutreten weiterer konkreter und individueller Eigenschaften im Fall ihrer Rückkehr mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit Gefahr laufen, im gesamten Staatsgebiet Afghanistans einer systematischen asylrelevanten (Gruppen-)Verfolgung ausgesetzt zu sein.
3.1.6. Der Beschwerdeführer hat keine gegen die Regierung der Taliban gerichtete oppositionelle Einstellung. Er lehnte diese und die Scharia auch nicht ab. Ihm wird bei einer Rückkehr nach Afghanistan auch nicht unterstellt, eine gegen die Taliban oder die Scharia gerichtete Einstellung zu haben.
3.1.7. Auch eine konkrete individuelle Verfolgung des Beschwerdeführers aufgrund seiner Zugehörigkeit zur Volksgruppe der Paschtunen und der Religionsgemeinschaft der Sunniten konnte nicht festgestellt.
99% der afghanischen Bevölkerung sind Muslime. Es gibt ca. 80 bis 89,7% Sunniten. Der Beschwerdeführer gehört daher zur Mehrheit der sunnitischen Muslime in Afghanistan. Ethnische Paschtunen sind mit ca. 42% der Gesamtbevölkerung die größte Ethnie Afghanistans. Die Taliban gehören mehrheitlich der Gruppe der Paschtunen an.
Aus diesen Gründen ist das Vorliegen einer Gruppenverfolgung im Hinblick auf die Volksgruppe der Paschtunen oder von Angehörigen der Religionsgemeinschaft der Sunniten in Afghanistan im Ergebnis zu verneinen.
3.1.8. Aus den UNHCR Leitlinien zum internationalen Schutzbedarf von Personen, die aus Afghanistan fliehen (Februar 2023), kann sich ein erhöhter Bedarf an internationalem Flüchtlingsschutz für Angehörige der ehemaligen Regierung oder der internationalen Gemeinschaft, für ehemalige Angehörige der afghanischen Sicherheitskräfte oder der internationalen Streitkräfte, für Journalisten und Medienwirkende, für Aktivisten, Angehörige religiöser und ethnischer Minderheiten und Personen mit unterschiedlicher sexueller Orientierung oder geschlechtlicher Identität ergeben.
Aus den EUAA Leitlinien (Mai 2024), kann sich zudem auch für Personen denen unislamisches Verhalten, Blasphemie oder der Abfall vom Islam vorgeworfen wird, für Personen mit anderen Moralvorstellungen oder sozialen Werten, Personen mit westlicher Orientierung sowie Frauen und Mädchen einen erhöhten internationalen Schutzbedarf ergeben.
Ein solcher Risikozusammenhang konnte jedoch beim Beschwerdeführer nicht festgestellt werden, sodass auch diesbezüglich keine asylrelevante Verfolgung vorliegt.
3.1.9. Aufgrund der getroffenen Feststellungen zur Lage der Herkunftsregion des Beschwerdeführers ist auch sonst nicht darauf zu schließen, dass gegenständlich sonstige mögliche Gründe für eine wohlbegründete Furcht vor Verfolgung aus einem der Gründe nach Art. 1 Abschnitt A Z. 2 GFK vorliegen.
Im Ergebnis droht dem Beschwerdeführer aus den von ihm ins Treffen geführten Gründen im Herkunftsstaat keine asylrelevante Verfolgung.
3.1.10. Die Beschwerde ist daher als unbegründet abzuweisen.
Zu B) Unzulässigkeit der Revision:
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig, wenn die Entscheidung von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil die Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, wenn es an einer Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes fehlt oder wenn die Frage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird bzw. sonstige Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vorliegen.
In der Beschwerde findet sich kein Hinweis auf das Bestehen von Rechtsfragen von grundsätzlicher Bedeutung im Zusammenhang mit dem gegenständlichen Verfahren und sind solche auch aus Sicht des Bundesverwaltungsgerichts nicht gegeben. Die Entscheidung folgt der zitierten Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes.