Spruch
L521 2291540-1/28E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter MMag. Mathias KOPF, LL.M. über die Beschwerde des XXXX , Staatsangehörigkeit Syrien, vertreten durch Bundesagentur für Betreuungs- und Unterstützungsleistungen GmbH, 1020 Wien, Leopold-Moses-Gasse 4, gegen Spruchpunkt I. des Bescheides des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 29.02.2024, Zl. 1332740104-223549314, in einer Angelegenheit nach dem AsylG 2005 nach Durchführung einer öffentlichen mündlichen Verhandlung zu Recht:
A)
Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
B)
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
Entscheidungsgründe:
I. Verfahrensgang:
1. Der Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger Syriens, stellte nach unrechtmäßiger Einreise in das Bundesgebiet am 07.11.2022 einen Antrag auf internationalen Schutz. Zur Begründung seines Begehrens verwies der Beschwerdeführer im Wesentlichen auf den anhaltenden bewaffneten Konflikt in Syrien sowie auf seine Weiterung, im Falle einer Rückkehr zum Militärdienst herangezogen zu werden, da er sich nicht an den Kampfhandlungen beteiligen wolle.
2. Nach Zulassung des Verfahrens wurde der Beschwerdeführer am 19.10.2023 vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl einvernommen. Zum Ausreisegrund befragt, führte der Beschwerdeführer den Pflichtmilitärdienst beim syrischen Regime als Ausreisemotiv an. Allfällige weitere Fluchtgründe wurden ausdrücklich verneint.
3. Der Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz wurde in der Folge mit dem im Spruch genannten Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl hinsichtlich der Zuerkennung des Status eines Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 abgewiesen (Spruchpunkt I.). Gemäß § 8 Abs. 1 AsylG 2005 wurde dem Beschwerdeführer indes der Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Syrien zuerkannt (Spruchpunkt II.) und ihm gemäß § 8 Abs. 4 AsylG 2005 eine befristete Aufenthaltsberechtigung als subsidiär Schutzberechtigter für die Dauer eines Jahres erteilt (Spruchpunkt III.).
Die belangte Behörde gelangte in ihrer Entscheidung zum Ergebnis, dass eine asylrelevante Verfolgung des Beschwerdeführers im Herkunftsstaat nicht festgestellt werden könne und er eine solche im Fall einer Rückkehr auch nicht zu befürchten habe.
4. Gegen den am 18.03.2024 zugestellten Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl richtet sich die fristgerecht eingebrachte Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht.
In dieser wird Rechtswidrigkeit infolge unrichtiger rechtlicher Beurteilung, Verletzung von Verfahrensvorschriften, unrichtiger Feststellungen sowie mangelhafter Beweiswürdigung behauptet und begehrt, den angefochtenen Bescheid aufzuheben und dem Beschwerdeführer den Status des Asylberechtigten zuzuerkennen. Eventualiter wird ein Aufhebungsantrag gestellt und jedenfalls die Durchführung einer mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht begehrt.
5. Zur Vorbereitung der für 14.06.2024 anberaumten und später auf den 15.07.2024 verlegten mündlichen Verhandlung wurden der Vertretung des Beschwerdeführers mit Note vom 27.05.2024 aktuelle Länderberichte zur Lage im Herkunftsstaat zur Wahrung des Parteiengehörs übermittelt und die Möglichkeit eingeräumt, hiezu bis zur mündlichen Verhandlung schriftlich oder in der Verhandlung mündlich Stellung zu nehmen. Der Beschwerdeführer äußerste sich in der Folge schriftlich mit Stellungnahme vom 14.06.2024 (OZ 13).
6. Am 06.06.2024 langte die vom Bundesverwaltungsgericht veranlasste Übersetzung des vom Beschwerdeführer in der Einvernahme vor dem Bundesamt vorgelegten Wehrdienstbuches und des Einberufungsbefehls ein.
7. Am 15.07.2024 wurde vor dem Bundesverwaltungsgericht die beantragte mündliche Verhandlung im Beisein des Beschwerdeführers, seiner rechtsfreundlichen Vertretung sowie eines gerichtlich beeideten Dolmetschers für die Sprache Arabisch durchgeführt.
8. Mit Note des Bundesverwaltungsgerichts vom 09.12.2024 wurden dem Beschwerdeführer weitere Länderberichte zur Wahrung des Parteigehörs übermittelt und die Möglichkeit eingeräumt, sich bis zur mündlichen Verhandlung schriftlich oder in der Verhandlung mündlich zu äußern. Von einer Stellungnahme hiezu nahm der Beschwerdeführer Abstand.
9. Am 19.12.2024 wurde vor dem Bundesverwaltungsgericht die mündliche Verhandlung im Beisein des Beschwerdeführers, seiner rechtsfreundlichen Vertretung sowie eines gerichtlich beeideten Dolmetschers für die Sprachen Arabisch fortgesetzt. Diese Verhandlung diente insbesondere der Erörterung der einer allfälligen Verweigerung des Wehrdienstes in der Syrisch-Arabischen Armee zugrundeliegenden Motive und zwar vor dem Hintergrund des zwischenzeitigen Zusammenbruchs des Regimes. Weiters wurden dem Beschwerdeführer zwei weiteres Länderberichte ausgefolgt und diesem eine ergänzende Stellungnahme dazu binnen 4 Wochen freigestellt, wovon jedoch nicht Gebrauch gemacht wurde.
10. Mit Note vom 20.01.2025 wurden dem Beschwerdeführer weitere rezente Länderberichte mit 14-tägiger Äußerungsfrist zur Kenntnis gebracht. Der Beschwerdeführer äußerste sich hiezu schriftlich mit Stellungnahme vom 27.01.2025 (OZ 23).
11. Mit Note vom 28.04.2025 wurden dem Beschwerdeführer wiederum Länderberichte übermittelt und die Möglichkeit eingeräumt hiezu binnen einer Frist von 2 Wochen Stellung zu beziehen. Der Beschwerdeführer machte von diesem Äußerungsrecht keinen Gebrauch.
12. Schließlich wurde dem Beschwerdeführer mit Noten vom 09.05.2025 und vom 27.06.2025 weitere aktualisierte Berichte zur Lage im Herkunftsstaat zur Abgabe einer Stellungnahme übermittelt. Von einer Stellungnahme hiezu nahm der Beschwerdeführer Abstand.
II. Das Bundesverwaltungsgericht zieht in Erwägung:
1. Feststellungen:
1.1. Der Beschwerdeführer führt den im Spruch angeführten Namen, er ist Staatsangehöriger der Arabischen Republik Syrien und Angehöriger der arabischen Volksgruppe. Der Beschwerdeführer bekennt sich eigenen Angaben zufolge zur sunnitischen Glaubensrichtung des Islam, beherrscht die Sprache Arabisch als Muttersprache in Wort und Schrift.
Der Beschwerdeführer wurde am XXXX im Dorf XXXX (phonetisch auch XXXX ), nördlich der Ortschaft XXXX im Gouvernement Deir ez-Zor geboren und lebte dort während seines gesamten Aufenthalts in Syrien in einem Haus, welches im Eigentum seines Vaters stand. Der Beschwerdeführer besuchte im Herkunftsstaat zwölf Jahre lang die Schule und erlangte die Matura. Anschließend studierte er eigenen Angaben zufolge etwa ein Jahr Rechtswissenschaften an einer Privatuniversität. In der Folge brach der Beschwerdeführer das Studium ab und war bis zur ersten Ausreise von Syrien in den Libanon in einem Supermarkt seines Vaters erwerbstätig.
Der Beschwerdeführer ehelichte die syrische Staatsangehörige XXXX . Die Eheschließung erfolgte am 15.06.2022 in XXXX . Der Ehe entstammen keine Kinder. Die Eltern des Beschwerdeführers leben nach wie vor in XXXX in Syrien und bewirtschaften dort die familieneigene Landwirtschaft. Der Beschwerdeführer hat weiters acht leibliche Schwestern, die verheiratet sind und in Syrien leben, drei leibliche Brüder, zwei davon im Libanon und einer in Saudi-Arabien aufhältig, jeweils als Hilfsarbeiter erwerbstätig, sechs Halbschwestern und einen Halbbruder, der ebenso in Syrien lebt und die Matura absolviert.
Der Beschwerdeführer verließ Syrien erstmals im Juli 2017 und reiste zunächst in den Libanon, wo er sich fünf Jahre durchgehend aufhielt und zunächst als Tagelöhner, dann als Bäcker und schließlich in einer Türenfabrik arbeitete. Im März 2022 kehrte der Beschwerdeführer freiwillig nach Syrien in sein Heimatdorf XXXX zurück, wo er die Ehe einging und mit seiner Ehefrau weitere sieben Monate verweilte, bis er schließlich im Oktober 2022 seinen Herkunftsstaat endgültig verließ. Er gelangte zunächst in die Türkei und von dort über Bulgarien, Serbien und Ungarn nach Österreich, wo er am 07.11.2022 einen Antrag auf internationalen Schutz stellte.
Der Beschwerdeführer ist gesund und strafgerichtlich unbescholten.
1.2. Der Beschwerdeführer gehörte in seinem Herkunftsstaat keiner politischen Partei oder politisch aktiven Gruppierung an und entfaltete kein politisches Engagement. Er hatte vor seiner Ausreise keine Nachteile aufgrund seiner Zugehörigkeit zur arabischen Volksgruppe und seines sunnitischen Religionsbekenntnisses zu gewärtigen.
Die Stadt XXXX einschließlich das Dorf XXXX im Gouvernement Deir ez-Zor stand zum Zeitpunkt der Ausreise des Beschwerdeführers unter der Kontrolle des Regimes des vormaligen syrischen Machthabers Bashar al-Assad. Seit der militärischen Großoffensive der dschihadistischen Gruppe Hay’at Tahrir ash-Sham (HTS) und dem Sturz des Regimes befindet sich ein Großteil des syrischen Staatsgebiets, abgesehen vom Nordosten des Landes, unter der Kontrolle durch die neue syrische Übergangsregierung unter dem Übergangspräsidenten Ahmed ash-Shara, so auch das Herkunftsgebiet des Beschwerdeführers.
Der am 15.01.1993 geborene Beschwerdeführer erschien am 13.02.2011 zur Musterung beim Rekrutierungsamt in XXXX , wurde als tauglich befunden und erhielt ein Wehrdienstbuch mit der Rekrutierungsnummer 1344 ausgefolgt. In der Folge wurde dem Beschwerdeführer hinsichtlich des verpflichtenden Wehrdienstes in Syrien zunächst ein Aufschub (wegen Schuldbildung) zur Absolvierung des 12. Schuljahres bis 31.12.2012 und schließlich ein weiterer Aufschub (wegen Schulbildung) für das Studienjahr 2013/2014 an der Universität Euphrat bis 15.03.2015 gewährt. Darüber hinaus wurde der Beschwerdeführer in das Amnestie(Gnade)-Dekret Nr. 22 aus 2014 aufgenommen. Der Beschwerdeführer leistete folglich den Wehrdienst in Syrien nicht ab und war keinen Rekrutierungsversuchen syrischer Militärbehörden ausgesetzt, er hat auch nicht gegenüber dem syrischen Regime erklärt, den Wehrdienst zu verweigern. Der Beschwerdeführer unterlag vor seiner Ausreise auch keiner von einem anderen Akteur ausgehenden individuellen Gefährdung und/oder drohenden (Zwangs-)Rekrutierung.
Der Beschwerdeführer war vor seiner Ausreise aus dem Herkunftsstaat auch keiner anderweitigen individuellen Gefährdung oder psychischen und/oder physischen Gewalt durch staatliche Organe oder Privatpersonen ausgesetzt.
1.3. Im Falle der Rückkehr in seine Herkunftsregion im Gouvernement Deir ez-Zor droht dem Beschwerdeführer nicht die Einberufung zum Wehrdienst oder Zwangsrekrutierung durch die Syrisch-Arabische Armee oder durch die syrische Übergangsregierung unter Ahmed ash-Shara. Die Syrisch-Arabische Armee wurde vom vormaligen syrischen Machthaber Baschar al-Assad moch vor seiner Flucht am 08.12.2024 per Befehl aufgelöst. Die Übergangsregierung unter Ahmed ash-Shara kündigte an, sich für eine freiwillige Rekrutierung und gegen eine Wehrpflicht entschieden zu haben. Seither ereignen sich keine (Zwangs-)Rekrutierungen mehr.
1.4. Der Beschwerdeführer wird im Falle einer Rückkehr in seine Herkunftsregion, das Dorf XXXX nördlich der Ortschaft XXXX im Gouvernement Deir ez-Zor auch keiner anderweitigen und mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit eintretenden individuellen Gefährdung, psychischen und/oder physischen Gewalt oder Strafverfolgung ausgesetzt sein. Er unterliegt insbesondere keiner individuellen Gefährdung aufgrund seiner sunnitisch-arabischen Identität, der unrechtmäßigen Ausreise aus Syrien sowie dem in Österreich durchlaufenen Asylverfahren oder seines mehrmonatigen Aufenthaltes in Europa.
1.5. Zur (allgemeinen) Lage im Herkunftsstaat werden folgende Feststellungen unter Heranziehung der abgekürzt zitierten und gegenüber dem Beschwerdeführer offengelegten Quellen getroffen:
1.5.1. Aktuelle Ereignisse:
Briefing Notes BAMF vom 23.06.2025: Am Abend des 22.06.25 verübte ein Selbstmordattentäter einen Anschlag in der griechisch-orthodoxen Mar Elias-Kirche im Damaszener Stadtteil Dweila. Bisher wurden mindestens 22 Todesopfer durch das syrische Gesundheitsministerium bestätigt, 63 weitere Personen seien verletzt worden. Die lokalen Behörden machten den IS für den Anschlag verantwortlich, wobei die Gruppe selbst bisher keine Verantwortung übernommen hat. Derzeit werden zwischen 1.500 und 3.000 IS-Kämpfer in Syrien vermutet. Laut Innenminister Anas Khattab sind Untersuchungen angeordnet. Der Anschlag wurde von politischen und gesellschaftlichen Akteuren einhellig verurteilt. Es wäre der erste Anschlag des IS in diesem Ausmaß seit der Machtübernahme durch die Übergangsregierung und der erste derartige Anschlag in Damaskus selbst. Am 20.06.25 hob die Schweiz die verbliebenen ökonomischen Sanktionen gegenüber Syrien auf. Am selben Tag verkündete die Zentralbank, dass erstmals seit Aufhebung der Sanktionen ein Banktransfer mittels des SWIFT-Systems ausgeführt worden sei. Somit konnte eine erste Bank in Syrien wieder an den internationalen Zahlungsverkehr angeschlossen werden. Am 17.06.25 wurde bekannt, dass die USA sich aus zwei weiteren Basen in Nordostsyrien zurückgezogen haben. Die Konzentration der USA auf die Basis in Hasaka und die allgemeine Reduzierung ihrer Truppen wird in der Region allgemein als destabilisierend gesehen, da die Befürchtung besteht, dass dies dem IS weitere Möglichkeiten zur Erholung und erhöhte Bewegungsfreiheit gibt. Verschiedenen Berichten zufolge kam es v.a. zwischen dem 19.06. und 22.06.25 zu wiederholten Razzien und Patrouillen israelischer Kräfte auch außerhalb des derzeit von Israel kontrollierten Gebietes. Die genaue Motivation dahinter ist unklar. Mehrere Bewohner der von Israel besetzten Gebiete in Quneitra gaben an, dass wiederholt Häuser und landwirtschaftliche Infrastruktur von israelischer Seite zerstört worden sei.
Briefing Notes BAMF vom 16.06.2025: Am 10.06.25 wurden Medienberichten zufolge ein Mann getötet und drei weitere Personen verletzt, als ihr Auto im Gouvernement Idlib von der Rakete einer unidentifizierten Drohne erfasst worden ist. Bereits am selben Tag wurden zwei Männer auf einem Motorrad nahe der Ortschaft al-Dana al-Bardakli auf selbe Weise getötet. Über die Identitäten der Getöteten lagen zunächst keine Informationen vor. Ein Nachrichtenmedium vor Ort berichtete, es habe sich um eine Kampfdrohne des Typs MQ-9 gehandelt, was auf einen Luftschlag durch die US-geführte internationale Koalition gegen den IS schließen ließe. Dem Bericht einer internationalen Nachrichtenagentur vom 02.06.25 zufolge hätten die USA kürzlich ihren diplomatischen Widerstand an der Integration ausländischer Kämpfer in die syrische Nationalarmee aufgegeben, wenn die syrische Interimsregierung für eine transparente Umsetzung sorgen würde. Mitgliedern des syrischen Verteidigungsministeriums zufolge soll demnach eine neue Einheit, die 84. Armeedivision, bestehend aus etwa 3.500 ausländischen (hauptsächlich aus China stammenden) und einer unbestimmten Anzahl an syrischen Soldaten geformt werden. Das Schicksal ausländischer Kämpfer im Land stellte bislang eines der heikelsten Themen für die Annäherung mit westlichen Staaten dar. Interimspräsident al-Shar’a stellte den ausländischen Kämpfern und ihren Familien für ihre Unterstützung im Kampf gegen die Assad-Regierung die syrische Staatsangehörigkeit in Aussicht. Während des Syrienkonflikts bildeten die aus China und zentralasiatischen Staaten eingereisten Uiguren einen syrischen Zweig der Islamischen Turkestan-Partei (TIP), einer 1988 in Pakistan gegründeten islamistischen Partei, die u.a. von der EU und China als Terrororganisation eingestuft wird. Schätzungen aus diplomatischen Kreisen und von Expertinnen und Experten zufolge könnten sich derzeit noch bis zu 5.000 ausländische Kämpfer in Syrien. Nicht dazu zählen die mehrere Tausend umfassenden ausländischen Kämpfer, die sich in Gefängnissen befinden. Von den schätzungsweise 9.000 bis 10.000 IS-Kämpfern in Gefangenschaft soll aktuell noch etwa die Hälfte aus dem Ausland stammen. Nach sechs Monaten Unterbrechung wurde am 02.06.25 der Handel an der syrischen Börse wieder aufgenommen. Ebenfalls am 02.06.25 wurde ein Gefangenenaustausch zwischen der Interimsregierung und den Demokratischen Kräften Syriens (SDF) abgeschlossen. Dabei wurden Medienberichten zufolge mehr als 400 Personen freigelassen. Der Tausch war Teil eines am 10.03.25 geschlossenen Abkommens (vgl. BN. v. 17.03.25) und soll zur Vertrauensbildung der einst verfeindeten Akteure beitragen. In einem neuerlichen Einreiseverbot in die USA, die von der Trump-Regierung am 04.06.25 für Staatsangehörige aus einer Reihe an Ländern erlassen worden ist, wurden Syrerinnen und Syrer ausgenommen. Die Liste mit Staaten, für deren Angehörige ein Einreiseverbot vorgesehen ist, deckt sich nahezu mit der vorausgegangenen Verfügung aus dem Jahr 2017 (die 2021 unter dem damaligen US-Präsidenten Biden zurückgenommen wurde). Im Vergleich dazu sind neben Syrien auch die Länder Irak, Nordkorea und Nigeria ausgenommen worden. Am 05.06.25 kündigte die Fluggesellschaft AJet, eine Turkish-Airlines-Tochter, zudem an, ab dem 16.06.25 Direktflüge von Ankara und Istanbul nach Damaskus bereitstellen zu wollen. Ab Juli 2025 soll es tägliche Flugverbindungen geben. Der Mutterkonzern hatte Flüge nach Damaskus bereits im Januar 2025 nach einer 13-jährigen Unterbrechung wieder aufgenommen. Die geplante Wiederaufnahme des Flugbetriebs ist jedoch unter dem Vorbehalt der aktuellen Kriegslage zwischen Israel und Iran zu betrachten. Am 14.06.25 eröffnete Irak offiziell den al-Qaim Grenzübergang mit Syrien für Personen und Handel, wie ein Sprecher der irakischen Grenzbehörden am selben Tag mitteilen ließ. Die Öffnung sei nach einer gemeinsamen Sicherheitsbewertung durch die syrischen und irakischen Behörden erfolgt. In einem Fernsehinterview mit dem türkischen Nachrichtensender NTV am 03.06.25 kündigte Thomas Barrack, US-Botschafter in der Türkei und zugleich Sonderbeauftragte für Syrien, an, dass die bisherigen acht Basen des US-Militärs in Syrien künftig auf eine einzige reduziert würden. Bereits im April 2025 lagen Berichte darüber vor, dass militärische Ausrüstung aus Deir ez-Zor abgezogen worden sei. Auch das Personal in Gesamtsyrien sei von ca. 2.000 auf 1.400 reduziert worden. Der türkische Verteidigungsminister sagte am 04.06.25 gegenüber einer internationalen Nachrichtenagentur aus, dass es keine Pläne gäbe, die derzeitige Präsenz von ca. 20.000 türkischen Militärs auf syrischem Territorium in absehbarer Zeit zu reduzieren. Die Türkei würde syrische Sicherheitskräfte ausbilden und beraten. Außerdem würde man den Wiederaufbau unterstützen und die Rückkehr von Millionen Kriegsflüchtlingen nach Syrien ermöglichen. Erst wenn Syrien Frieden und Stabilität erreicht habe, wenn terroristische Bedrohungen in der Region vollständig beseitigt seien, wenn die Sicherheit türkischer Grenzen vollständig gewährleistet sei und wenn die Rückkehr von Flüchtlingen erfolgt ist, würde man die Militärpräsenz neu bewerten können. Am 03.06.25 wurden Medienberichten zufolge erstmals seit dem Sturz der Assad-Regierung von syrischem Gebiet aus Raketen auf Israel abgefeuert, die auf unbewohntem Gebiet in den israelisch besetzten Golanhöhen niedergingen. Ein syrischer Regierungsvertreter machte Überbleibsel Iran-treuer Milizen aus der Assad-Ära für den Angriff verantwortlich, die sich in Quneitra aufhalten sollen. Arabische und palästinensische Medien berichteten jedoch, dass sich eine an die Hamas angelehnte Gruppe namens „Brigade des Märtyrers Abu Deif“ zu dem Angriff bekannt haben soll. Noch am selben Tag soll die israelische Luftwaffe Medienberichten zufolge Waffendepots der syrischen Streitkräfte in den Gouvernements Rif Dimashq, Quneitra und Dar’a beschossen haben. Es wurden keine Informationen über mögliche Tote oder Verletzte bekannt. Am 08.06.25 berichtete das israelische Militär, dass es einen Luftschlag gegen ein Hamas-Mitglied in der syrischen Ortschaft Mazraat Beit Jin (Rif Dimashq) durchgeführt hätte. Am 12.06.25 seien dann israelische Kommandos in die Ortschaft eingedrungen und hätten mehrere Personen verhaftet, von denen das syrische Innenministerium später behauptete, dass es sich um Zivilisten handeln würde. Dem Innenministerium zufolge sei bei der Militäroperation eine Person durch israelischen Beschuss getötet und sieben weitere entführt worden. Syrische Medien berichteten, dass etwa 100 israelische Militärangehörige beteiligt gewesen sein sollen. Israel identifizierte die Personen als Hamas-Mitglieder, konfiszierte eigenen Angaben zufolge Waffen und Munition und transferierte die Häftlinge zum Verhör nach Israel. Mazraat Beit Jin liegt etwa 50 km südwestlich von der Hauptstadt Damaskus entfernt.
Briefing Notes BAMF vom 02.06.2025: Am 27.05.25 kam es zu einer Einigung zwischen der kurdisch dominierten Autonomen Verwaltung Nordostsyriens und der Regierung in Damaskus betreffend die Zukunft des Gefangenenlagers in al-Hol. Ein erklärtes Ziel sei die Reintegration der Insassen, die sich mehrheitlich aus Frauen und Kindern von IS-Anhängern zusammensetzen sollen, und die Rückkehr v.a. der syrischen Gefangenen in ihre Herkunftsgebiete. Die Verwaltung des Lagers soll dabei nicht von Seiten der Regierung übernommen werden, sondern verbleibt bei den lokalen Autoritäten in Nordostsyrien. Ein gemeinsames Komitee soll die Akten der Insassen prüfen und das weitere Vorgehen im Einzelfall entscheiden. Am 31.05.25 ließ Saudi-Arabien ankündigen, dass es sich zusammen mit Katar an der Finanzierung des öffentlichen Sektors Syriens beteiligen werde. Die beiden Golfmonarchien werden für einen Zeitraum von drei Monaten einen nicht veröffentlichten Anteil an den Zahlungen für die Gehälter des syrischen öffentlichen Dienstes übernehmen. Diese Ankündigung erfolgte im Kontext einer Ankündigung verstärkten saudischen ökonomischen Engagements in Syrien als Folge der Aufhebung des Sanktionsregimes der EU und der USA. Am 28.05.25 kam es in der Provinz Suweida zu einem Angriff auf eine Patrouille der Syrischen Armee. Am 29.05.25 übernahm der IS die Verantwortung für diesen Angriff. Es handelt sich um den ersten Angriff auf die Truppen der neuen Regierung, für die der IS offiziell die Verantwortung übernimmt, da seine Aktivitäten zuvor hauptsächlich gegen die kurdisch dominierten Sicherheitskräfte der Demokratischen Kräfte Syriens (SDF) gerichtet waren. Damit eskaliert der IS seine derzeitige Kampagne in Syrien. Zuvor hatte es bereits dem IS zugeschriebene Angriffe gegeben, für diese hatte der IS jedoch nie die Verantwortung übernommen. Am 29.05.25 wurde ein Interview mit Präsident Sharaa veröffentlicht, in dem dieser erneut indirekte Kontakte mit Israel bestätigte und signalisierte, eine friedliche Lösung der laufenden Konflikte anzustreben. Voraussetzung sei dafür aber, dass die israelischen Luftschläge auf syrischem Gebiet enden würden, wobei er ebenfalls zu Protokoll gab, dass Israel und Syrien gemeinsame Feinde hätten und eine Kooperation zu mehr Stabilität und Sicherheit in der Region führen könnte. Am 30.05.25 kam es erstmals seit mehreren Wochen wieder zu einem israelischen Luftschlag. Dieser traf ein Ziel in der Nähe des Dorfes Zama in der Provinz Latakia. Dabei sei eine Person getötet worden, das Ziel war zunächst unklar.
1.5.2. Politische Lage:
Im Jahr 2011 erreichten die Umbrüche in der arabischen Welt auch Syrien. Auf die zunächst friedlichen Proteste großer Teile der Bevölkerung, die Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und ein Ende des von Bashar al-Assad geführten Ba’ath-Regimes verlangten, reagierte dieses mit massiver Repression gegen die Protestierenden, vor allem durch den Einsatz von Armee und Polizei, sonstiger Sicherheitskräfte und staatlich organisierter Milizen (Shabiha). So entwickelte sich im Laufe der Zeit ein zunehmend komplexer werdender bewaffneter Konflikt (AA 13.11.2018). Im Großen und Ganzen hat sich der syrische Bürgerkrieg zu einem internationalisierten Konflikt entwickelt, in dem fünf ausländische Streitkräfte - Russland, Iran, die Türkei, Israel und die Vereinigten Staaten - im syrischen Kampfgebiet tätig sind und Überreste des Islamischen Staates (IS) regelmäßig Angriffe durchführen (USIP 14.03.2023). Mehr als eine halbe Million Menschen wurden getötet, sechs Millionen weitere wurden zu Flüchtlingen (BBC 08.12.2024a).
Ab März 2020 schien der Konflikt in eine neue Patt-Phase einzutreten, in der drei unterschiedliche Gebiete mit statischen Frontlinien abgegrenzt wurden (IPS 20.05.2022). Das Assad-Regime kontrollierte rund 70% des syrischen Territoriums (USIP 14.03.2023). Der Machtanspruch des syrischen Regimes wurde in einigen Gebieten unter seiner Kontrolle angefochten. Dem Regime gelang es dort nur bedingt, das staatliche Gewaltmonopol durchzusetzen (AA 02.02.2024). Am 08.12.2024 erklärten die Oppositionskräfte in Syrien die 24-jährige Herrschaft von Präsident Bashar al-Assad für beendet. Die Offensive gegen al-Assad wurde von der Hay’at Tahrir ash-Sham (HTS) angeführt. Die HTS wurde ursprünglich 2012 unter dem Namen Jabhat an-Nusra (an-Nusra Front) gegründet, änderte ihren Namen aber 2016 nach dem Abbruch der Verbindungen zur al-Qaida in Hay’at Tahrir ash-Sham. Sie festigte ihre Macht in den Provinzen Idlib und Aleppo, wo sie ihre Rivalen, darunter Zellen von al-Qaia und des Islamischen Staates (IS), zerschlug. Sie setzte die sogenannte Syrische Heilsregierung (Syrian Salvation Government- SSG) ein, um das Gebiet nach islamischem Recht zu verwalten (BBC 09.12.2024). Die HTS wurde durch die von der Türkei unterstützte Syrische Nationale Armee (Syrian National Army – SNA), lokale Kämper im Süden und andere Gruppierungen unterstützt (Al-Monitor 08.12.2024). Auch andere Rebellengruppierungen erhoben sich (BBC 08.12.2024b), etwa solche im Norden, Kurdenmilizen im Nordosten, sowie Zellen der Terrormiliz IS (Tagesschau 08.12.2024). In Süden trugen verschiedene bewaffnete Gruppierungen dazu bei, die Regierungstruppen aus dem Gebiet zu vertreiben. Lokale Milizen nahmen den größten Teil der Provinz Dara’a sowie die überwiegend drusische Provinz Suweida ein (Al-Monitor 08.12.2024). Die Abteilung für militärische Operationen (Departement for Military Operations – DMO) dem auch die HTS angehört, kontrollierte mit Stand 11.12.2024 70% des syrischen Territoriums (Arabiya 11.12.2024).
Die Karte zeigt die aktuelle Aufteilung Syriens unter den bewaffneten Gruppierungen (Syria Live Map, abgerufen am 24.06.2025):
Unten noch eine Detailaufnahme bezogen auf die Herkunftsregion des Beschwerdeführers (Syria Live Map, abgerufen am 23.06.2025):
In der ersten Woche nach der Flucht al-Assads aus dem Land gelang es Syrien, ein vollständiges Chaos, zivile Gewalt und den Zusammenbruch des Staates abzuwenden (MEI 19.12.2024). Ehemalige Regimeoffiziere sollen viele Regierungsgebäude niedergebrannt haben, um Beweise für ihre Verbrechen zu verstecken, nachdem sie nach dem Sturz des Regimes von Präsident Bashar al-Assad aus dem Innenministerium geflohen waren (Araby 16.12.2024). Die neuen de-facto-Führer Syriens bemühten sich um Sicherheit, Stabilität und Kontinuität. Obwohl es Berichte über Plünderungen in der Zentralbank und über Menschen gab, die den persönlichen Wohnsitz al-Assads und die Botschaft des Iran, seines Hauptunterstützers, durchwühlten, standen am 09.12.2024 Rebellenkämpfer vor Regierungsgebäuden in der gesamten Hauptstadt Wache. Die neuen Behörden verbreiteten auch Bilder von Sicherheitspersonal, das durch die Straßen von Damaskus patrouillierte, in den sozialen Medien (NYT 12.12.2024).
Die Macht des Assad-Regimes wurde auf ein Übergangsgremium übertragen, das vom Premierminister der SSG, Mohammed al-Bashir, geleitet wurde (MEI 09.12.2024). Am 29.01.2025 wurde der de-facto-Herrscher Ahmed ash-Shara zum Übergangspräsidenten ernannt (Standard 29.01.2025). Die Amtszeit der Übergangsregierung wurde bis März 2025 festgesetzt (ISW 16.12.2024).
Am 29.03.2025 ernannte der Präsident die neue syrische Regierung. Diese besteht aus Technokraten, ethnischen Minderheiten und mehreren engen Vertrauten ash-Shara’s (FT 30.03.2025). Die Mitglieder sind für fünf Jahre bestellt (FT 30.03.2025). Die Kurden im Nordosten Syriens stellen sich gegen die neu vorgestellte syrische Regierung. Das Kabinett spiegele nicht die Vielfalt des Landes wider, teile die Demokratische Autonome Verwaltung Nord- und Ostsyriens (DAANES) mit. Man sehe sich daher nicht an die Entscheidungen der neuen Regierung gebunden (Zeit Online 30.03.2025; vgl. Standard 30.03.2025; K24 30.03.2025).
Am 13.03.2025 unterzeichnete ash-Shara die angekündigte Verfassungserklärung (NYT 14.03.2025). Das vorläufige Dokument besteht aus vier Kapiteln und 53 Artikeln (AlHurra 14.03.2025). Es sieht eine fünfjährige Übergangsphase vor (BBC 14.03.2025). Nach dieser Übergangsphase soll eine dauerhafte Verfassung verabschiedet und Wahlen für den Präsidenten abgehalten werden (NYT 14.03.2025). Die Erklärung legt fest, dass der syrische Präsident Muslim sein muss, wie es schon in der vorherigen Verfassung geschrieben stand. Anders als in der Verfassung von 2012, schreibt diese Verfassungserklärung die islamische Rechtslegung als wichtigste Quelle der Gesetzgebung fest. Daneben werden die Gewaltenteilung und die Unabhängigkeit der Justiz verankert sowie die Rechte der Frauen garantiert (BBC 14.03.2025). Der Präsident ist jedoch allein für die Ernennung der Richter des neuen Verfassungsgerichts Syriens verantwortlich. Die Richter müssen unparteiisch sein (NYT 14.03.2025). Für die Rechenschaftspflicht des Präsidenten wird in der Verfassung keine Möglichkeit eingeräumt. Der Erklärung zufolge wird ash-Shara neben dem Präsidenten der Republik die folgenden Ämter bekleiden: Premierminister, Oberbefehlshaber der Armee und der Streitkräfte und Vorsitzender des Nationalen Sicherheitsrates. In Artikel 41 räumt die Verfassungserklärung dem Präsidenten die Möglichkeit ein, mit Zustimmung des Nationalen Sicherheitsrates, dessen Mitglieder er selbst auswählt, den Ausnahmezustand auszurufen (AlHurra 14.03.2025). Der neu gebildete Nationale Sicherheitsrat setzt sich aus Shara'-Getreuen zusammen, darunter Verteidigungsminister Murhaf Abu Qasra, Innenminister Ali Keddah, Außenminister As'ad ash-Shaibani und Geheimdienstchef Anas Khattab (ISW 13.03.2025). Der Meinung des Syrienexperten Fabrice Balanche nach ist der Nationale Sicherheitsrat „die eigentliche Regierung“ (AlMon 30.03.2025). Die Erklärung garantiert Meinungs-, Ausdrucks-, Informations-, Veröffentlichungs- und Pressefreiheit. Allerdings können alle Rechte, einschließlich der Religionsfreiheit, eingeschränkt werden, wenn sie unter anderem als Verstoß gegen die nationale Sicherheit oder die öffentliche Ordnung angesehen werden. Die Verpflichtung zur Gewährleistung der Meinungs-, Ausdrucks-, Informations-, Veröffentlichungs- und Pressefreiheit ist mit einigen Ausnahmen verbunden, darunter die Verherrlichung des Assad-Regimes (NYT 14.03.2025). Auch die Symbole des Assad-Regimes sind unter Strafe gestellt sowie seine Verbrechen zu leugnen, zu loben, zu rechtfertigen oder zu verharmlosen (AlHurra 14.03.2025). Die Verfassungserklärung garantiert Frauen das Recht auf Bildung und Arbeit und fügt hinzu, dass sie volle soziale, wirtschaftliche und politische Rechte haben werden (NYT 14.03.2025). Diese temporäre Verfassung konzentriert viel Macht in den Händen des Präsidenten. So werden dem Präsidenten die Exekutivgewalt und die Befugnis, den Ausnahmezustand zu erklären, gewährt (NYT 14.03.2025). Das Parlament ist nicht befugt, den Präsidenten anzuklagen, Minister zu ernennen oder zu entlassen oder die Exekutive zu kontrollieren (HRW 25.03.2025). Immerhin spricht die Verfassungserklärung dem Präsidenten die Befugnis ab, allgemeine Amnestiegesetze zu erlassen, die al-Assad zuvor für sich monopolisiert hatte (AlHurra 14.03.2025). In der Verfassung ist Syrien als „arabische“ Republik definiert mit Arabisch als einziger Amtssprache (LSE 28.03.2025). Sie löste innerhalb Syriens viele Diskussionen aus. Umstritten sind insbesondere jene Passagen, die dem Präsidenten ein Machtmonopol einräumen (AlHurra 14.03.2025). Der Syrische Demokratische Rat, der politische Arm der kurdisch geführten Kräfte, die den Nordosten Syriens kontrollieren, erklärte, das neue Dokument sei „eine neue Form des Autoritarismus“ und kritisierte die seiner Meinung nach unkontrollierten Exekutivbefugnisse (NYT 14.03.2025). Trotz der weitverbreiteten Kritik an der aktuellen Verfassung ist keine kurzfristige Überarbeitung vorgesehen (AdRev 03.04.2025).
Am 29.1.2025 versammelten sich die Führer der militärischen Gruppierungen, die an der militärischen Kampagne zum Sturz Assads beteiligt waren, zu einer Zeremonie im Präsidentenpalast, um den Sieg zu erklären. In der Siegeserklärung kündigten sie neun Schritte an, die in drei Hauptthemen unterteilt sind, wie beispielsweise: 1. Füllen des Machtvakuums durch die Annullierung der Verfassung von 2012, die Aussetzung aller Ausnahmegesetze, die Auflösung der während der Zeit des vorherigen Regimes gebildeten Volksversammlung und aller aus ihr hervorgegangenen Komitees und die Ernennung des Befehlshabers des militärischen Operationskommandos, Ahmed ash-Shara, zum Präsidenten des Landes während der Übergangszeit. Bei der Zeremonie wurde die Auflösung von vier Institutionen, welche die Säulen der Herrschaft und Kontrolle des früheren Regimes darstellten und die Schaffung eines neuen Regimes behindern, angekündigt, nämlich: die Armee, die Sicherheitsdienste mit ihren verschiedenen Zweigen und alle damit verbundenen Milizen, die Arabische Sozialistische Ba'ath-Partei, die Parteien der Nationalen Progressiven Front und die ihnen angeschlossenen Organisationen, Institutionen und Komitees und das Verbot ihrer Wiedererrichtung auch unter einem anderen Namen und Rückgabe ihrer Vermögenswerte an den syrischen Staat (AJ 31.01.2025a).
Während ash-Shara ein gewisses Maß an Pragmatismus gezeigt hat, insbesondere im Umgang mit lokalen Gemeinschaften, sind die Strukturen der Übergangsregierung nach wie vor zentralisiert und hierarchisch, wobei die Macht in einem kleinen Führungskreis konzentriert ist. Dies schränkt die Möglichkeiten für eine integrative Entscheidungsfindung ein und verstärkt die Wahrnehmung der Ausgrenzung von Minderheiten und Frauen (AC 20.12.2024). Die mangelnde Bereitschaft, politische Opposition zuzulassen, ist nach wie vor besorgniserregend. In Idlib hat HTS nach und nach die Macht monopolisiert und agierte praktisch als Einparteienstaat. Politische Opposition und zivilgesellschaftlicher Aktivismus wurden unterdrückt (DIIS 16.12.2024). Der HTS wurden unter anderem von Human Rights Watch, immer wieder schwere Menschenrechtsverletzungen gegen Oppositionelle, Frauen und religiöse Minderheiten vorgeworfen. Es kam auch zu groß angelegten Protesten gegen die HTS und ihren Anführer, ash-Shara' (Rosa Lux 17.12.2024). Etwa 70 % der syrischen Bevölkerung sind sunnitische Muslime, darunter auch Kurden, die etwa 10 % der Bevölkerung ausmachen. Die arabischen Sunniten sind sich jedoch in ihren Zielen nicht einig, und viele wünschen sich für die Zukunft Syriens keinen islamischen Staat (SWI 13.02.2025).
Trotz der Kritik ergab eine im März 2025 im Auftrag von „The Economist“ durchgeführte Umfrage, an der 1.500 Syrer aus allen Provinzen und konfessionellen Gruppen des Landes teilnahmen, dass 81 % die Herrschaft von ash-Shara befürworten. Nur 22 % sind der Meinung, dass seine Vergangenheit als al-Qaida-Führer ihn für eine Führungsrolle disqualifiziert. Eine große Zahl der Befragten gibt an, dass sie seine neue Ordnung als sicherer, freier und weniger konfessionell geprägt empfinden als das Regime von al-Assad. Etwa 70 % sind optimistisch, was die allgemeine Richtung des Landes angeht. Die zufriedenste Provinz ist Idlib, ash-Shara's ehemaliges Machtgebiet, wo 99 der 100 Befragten sich optimistisch äußern. Tartus, wo Anfang März 2025 mehrere Massaker an der alawitschen Minderheit stattgefunden haben, ist die pessimistischste Provinz. Selbst dort gaben 49 % an, optimistisch zu sein, während 23 % sich pessimistisch äußerten. (Economist 02.04.2025)
Ash-Shara's Regierung kontrolliert begrenzte Teile Syriens, darunter die meisten westlichen Städte und Teile des ländlichen Raums (TWI 28.02.2025). Nordostsyrien wird von einer Kombination aus den kurdisch geführten Syrischen Demokratischen Kräften (Syrian Democratic Focres - SDF) und arabischen Stammeskräften regiert (MEI 19.12.2024). Die SDF führen Gespräche mit ash-Shara, bleiben aber vorsichtig, was seine Absichten angeht (TWI 28.02.2025). Nord-Aleppo wird von der von der Türkei unterstützten Syrischen Übergangsregierung kontrolliert (MEI 19.12.2024). Die von der Türkei unterstützten Rebellengruppierungen innerhalb der SNA kontrollieren Teile Nordsyriens nahe der türkischen Grenze, darunter 'Afrin, Suluk und Ra's al-'Ain. Diese Gebiete hat die SNA 2018 und 2019 von den kurdisch geführten Syrischen Demokratischen Kräften (Syrian Democratic Forces - SDF) erobert (Al-Monitor 08.12.2024). Am 29.1.2025 zwang die Türkei den Anführer dieser Gruppe, Sayf Abu Bakr, nach Damaskus zu reisen und dem neuen Präsidenten persönlich zu gratulieren, aber dies ist das einzige Zugeständnis, das er ash-Shara bisher gemacht hat. Die beiden Anführer haben eine lange Geschichte gegenseitiger Feindseligkeit, insbesondere da viele Kämpfer der Syrischen Nationalarmee Veteranen des blutigen Krieges sind, den HTS 2017–2020 um die Kontrolle über die Provinz Idlib führte (TWI 28.02.2025). Südsyrien wird von einer halbunabhängigen Struktur in Suweida zusammen mit ehemaligen Oppositionsgruppen in Dara'a kontrolliert (MEI 19.12.2024). Im Euphrat-Tal ist die Loyalität der sunnitischen Stämme gegenüber HTS weniger sicher, während in Dara'a die vom ehemaligen Rebellen Ahmad al-'Awda und anderen südlichen Fraktionen kontrollierten Truppen sich der Integration in die neue syrische Armee widersetzen (TWI 28.02.2025). Ash-Shara's politisches Projekt eines zentralisierten Syriens steht im Widerspruch zur aktuellen Realität vor Ort. Er glaubt, dass der Föderalismus die „Nation“ spalten könnte – eine Auffassung, die zum Teil auf der antiisraelischen Stimmung in der syrischen Bevölkerung beruht (TWI 28.02.2025).
Als Teil des Übergangs von der Revolution zum Staatsaufbau arbeitet die neue syrische Regierung daran, diesen Aufbau zu stärken und zu konsolidieren, indem sie eine nationale Armee aufbaut, die alle militärischen Formationen und Gruppierungen umfasst, die sich aufgrund bestimmter Umstände und Fakten während der syrischen Revolution gebildet haben (AJ 29.01.2025).
1.5.3. Sicherheitslage:
Trotz des Sturzes der 54-jährigen Diktatur der Familie al-Assad ist der Bürgerkrieg noch lange nicht vorbei (Leb24 13.02.2025). Trotz der Bemühungen der neuen syrischen Regierung bleibt die Sicherheitslage fragil, und die Zukunft Syriens ist von zahlreichen Unsicherheiten geprägt (VB Amman 09.02.2025).
Die neue syrische Übergangsregierung ist nicht in der Lage, das gesamte syrische Staatsgebiet zu kontrollieren (AlHurra 06.02.2025a). Seit Jahresbeginn 2025 hat sich die Sicherheitslage in Syrien nach dem Sturz von Bashar al-Assad weiterhin als instabil erwiesen. Die neuen Machthaber, dominiert von islamistischen Gruppierungen, bemühen sich um die Etablierung von Ordnung und Sicherheit, stoßen jedoch auf erhebliche Herausforderungen (VB Amman 09.02.2025).
Außenminister ash-Shaybani gibt Sicherheitsprobleme in Teilen Syriens zu, bezeichnete sie aber als Einzelvorfälle: Offenbar hat die Hay'at Tahrir ash-Sham (HTS), die offiziell aufgelöst wurde, Schwierigkeiten, ihre teils sehr radikalen islamistischen Untergruppen in den Griff zu bekommen. Zwischen Verfolgung von Regimestraftätern und Racheakten vor allem gegen die Volksgruppe der Alawiten, aus der die al-Assads stammen, ist nicht immer leicht zu unterscheiden (Standard 23.01.2025). Die Sicherheitskräfte der Übergangsregierung sind bei ihrem Versuch, das Land zu stabilisieren, mit zunehmenden Bedrohungen konfrontiert, darunter gewalttätige Überreste des Regimes, sektiererische Gewalt und Entführungen. Im Nordosten sind die Syrischen Demokratischen Kräfte (Syrian Democratic Forces - SDF) gezielten Angriffen von Zellen des Islamischen Staates (IS) und anhaltenden Feindseligkeiten mit der von der Türkei unterstützten Syrischen Nationalen Armee (Syrian National Army - SNA) ausgesetzt (Etana 22.02.2025). Die fragile Sicherheitslage bedroht weiterhin den politischen Fortschritt, warnte der Sondergesandte des Generalsekretärs der Vereinten Nationen für Syrien, Geir Pedersen, und verwies auf die anhaltenden Feindseligkeiten im Nordosten, einschließlich täglicher Zusammenstöße, Artilleriebeschuss und Luftangriffe, die Zivilisten und die Infrastruktur treffen (UN News 12.02.2025).
In den Gouvernements Syriens kam es weiterhin zu einer Zunahme von Entführungen. Die Civil Peace Group dokumentierte seit dem Sturz des Regimes 64 Entführungsfälle – 19 Opfer wurden später hingerichtet aufgefunden, nur drei führten zu Lösegeldforderungen. Auch Vorfälle sektiererischer Gewalt, die sich hauptsächlich gegen schiitische und alawitische Gemeinschaften richten, sind weit verbreitet (Etana 22.02.2025). Das Middle East Institute berichtet auch von eindeutig sektiererischen Verstößen, wie die Zerstörung eines Schreins im ländlichen Hama durch zwei sunnitische Zivilisten und Fälle von Schikanen an Kontrollpunkten, konstatiert aber, dass die meisten Verstöße, die von Sicherheitskräften in ganz Syrien begangen wurden, sich gegen bestimmte Anhänger des ehemaligen Regimes zu richten scheinen. Eines der drängendsten Probleme sind nicht sektiererisch motivierte Angriffe, sondern vielmehr der undurchsichtige Prozess der gezielten Verfolgung von Männern, die in den Streitkräften des Regimes gedient haben (von denen die meisten aufgrund der Natur des Regimes Alawiten sind) (MEI 21.01.2025). Die Kriminalität ist dramatisch gestiegen, nicht zuletzt auch aufgrund der Freilassung nicht nur politischer Gefangener aus den Gefängnissen (SYRDiplQ1 05.02.2025). Kriminelle Banden und Einzelpersonen suchen weiterhin nach Sicherheits- und Autoritätslücken, die sie in dieser neuen Ära ausnutzen können. Die schwereren Verbrechen ereignen sich in der Regel auf dem Land, wo die Sicherheitspräsenz geringer ist und sich eine höhere Konzentration von Ex-Shabiha [Shabiha sind die irregulären, bewaffneten pro-Assad-Gruppierungen Anm.] befindet (MEI 21.01.2025).
Seit islamistische Rebellen im Dezember den langjährigen repressiven Machthaber Bashar al-Assad stürzten, kam es in mehreren Gebieten zu Zusammenstößen und Schießereien, wobei Sicherheitsbeamte bewaffnete Anhänger der vorherigen Regierung beschuldigten (FR24 01.03.2025). In mehreren Gebieten in Syrien kommt es weiterhin zu Zwischenfällen mit verirrten Kugeln. Im Februar sind bei solchen Vorfällen 18 Menschen, darunter drei Frauen und vier Kinder, getötet und vier weitere, darunter zwei Kinder, verwundet worden. Die Opfer verteilen sich auf die von der Regierung in Damaskus, der Demokratischen Autonomen Administration von Nord- und Ostsyrien (DAANES) und der Syrischen Nationalen Armee (SNA) kontrollierten Gebiete. Diese Zwischenfälle werden durch die Verbreitung von Waffen unter der Zivilbevölkerung verschärft (SOHR 24.02.2025b). Sicherheitskräfte sind immer noch dabei, Überbleibsel des Regimes im ganzen Land auszuheben, die häufig Mitglieder der Allgemeinen Sicherheit und Checkpoints ins Visier genommen haben. ETANA verzeichnete Angriffe von Pro-Regime-Gruppen auf Mitglieder der Allgemeinen Sicherheit in Rif Dimashq, Ost-Dara'a und West-Homs. Auch in Hama und Jableh, in der Nähe der Hmeimim-Basis, kam es zu Zusammenstößen. Sicherheitskräfte haben in ehemaligen Regimegebieten von Deir ez-Zour mehrere Operationen durchgeführt (Etana 22.02.2025). Die Lage in den Städten mag stabiler sein, aber in ländlicheren Gegenden finden abseits der Medien eklatante Rechtsverletzungen statt. Die Zwangsumsiedlungen gehen weiter (Sky News 09.03.2025a).
Die Zahl der Todesopfer der Kämpfe variierte stark (Guardian 09.03.2025). Laut dem Syrian Network for Human Rights (SNHR), das umfassende Dokumentationsstandards anwendet und als unabhängig gilt, haben Anhänger des Assad-Regimes 383 Menschen getötet, darunter 211 Zivilisten und 172 syrische Sicherheitskräfte, während syrische Sicherheitskräfte 396 Menschen getötet haben, darunter Zivilisten und entwaffnete Kämpfer (Guardian 10.03.2025). Syrische Sicherheitsquellen gaben an, dass mehr als 300 ihrer Mitglieder bei Zusammenstößen mit Angehörigen der ehemaligen Syrischen Arabischen Armee, bei koordinierten Angriffen und Hinterhalten auf ihre Streitkräfte getötet wurden (Sky News 09.03.2025b). Es wurden Massengräber mit Dutzenden von toten Mitgliedern gefunden (AJ 09.03.2025). Die syrischen Sicherheitskräfte töteten 700 ehemalige Soldaten und bewaffnete Männer, die dem ehemaligen Präsidenten Bashar al-Assad treu ergeben waren, oder sogenannte Regimeüberreste (Arabiya 09.03.2025). Dem Leiter der Syrischen Beobachtungsstelle für Menschenrechte zufolge wurden 745 alawitische Zivilisten aus konfessionellen Gründen getötet, wobei er betonte, dass sie nicht an den Kämpfen beteiligt waren oder mit dem Regime in Verbindung standen (Sky News 09.03.2025a). Darüber hinaus wurden 125 Mitglieder der Sicherheitskräfte und 150 alawitische Kämpfer getötet (Sky News 09.03.2025a). Die meisten der von Regierungstruppen getöteten Zivilisten waren Alawiten, aber auch einige Christen wurden als tot bestätigt. Unter den getöteten Aufständischen des ehemaligen Regimes befanden sich Sunniten, Alawiten und Christen (TWI 10.03.2025). Laut der Vereinten Nationen kam es zu Tötungen ganzer Familien (UN News 09.03.2025). Die Syrische Beobachtungsstelle für Menschenrechte (SOHR) zog am 11.03.2025 Bilanz und verzeichnete eine Gesamtzahl von 1.093 Todesopfern vom Eintreffen bewaffneter Männer zur Unterstützung der Sicherheitskräfte bis zum 11.03.2025. Insgesamt wurden 44 Massaker verübt (SOHR 11.03.2025). Eine nicht näher genannte Beobachtungsgruppe verzeichnete der BBC zufolge mehr als 1.500 Todesopfer, darunter 1.068 Zivilisten (BBC 10.03.2025). Laut Aussage des Leiters von SOHR wurden Zehntausende Häuser geplündert und niedergebrannt (Sky News 09.03.2025a).
1.5.4. Rechtsschutz und Justizwesen
Übergangspräsident ash-Shara verkündete bereits wenige Tage nach dem Sturz des Regimes, dass er die Sicherheitskräfte des ehemaligen Regimes auflösen werde und Personen, die an der Folterung oder Tötung von Gefangenen beteiligt waren, zur Strecke gebracht würden und Begnadigungen nicht infrage kämen. Er kündigte an, andere Länder aufzufordern, die Geflohenen auszuliefern (REU 11.12.2024a). Offizielle Listen von Kriegsverbrechern und Personen, die Verstöße gegen die Zivilbevölkerung vorgenommen haben, gibt es nicht.
Die Untersuchungskommission der UN, die seit 2011 Kriegsverbrechen und andere Verstöße gegen die internationalen Menschenrechtsnormen untersucht, hat 4.000 Personen auf eine Liste gesetzt, die im Verdacht stehen schwere Verbrechen begangen zu haben. Die Organisation „For Justice“, die 2019 in Washington von syrischen Amerikanern gegründet wurde, hat bereits Jahre vor dem Sturz des Regimes eine schwarze Liste mit den Namen von 100 hochrangigen ehemaligen Regimevertretern veröffentlicht, die beschuldigt werden, seit 2011 Kriegsverbrechen in Syrien begangen zu haben. Daneben kursieren seit dem Sturz des Regimes Dutzende von inoffiziellen Listen mit den Namen und Fotos von Dutzenden gesuchter Personen, insbesondere eine Liste mit etwa 161 Namen von hochrangigen Offizieren und Kommandeuren des ehemaligen Regimes. Auch in sozialen Medien kursieren willkürliche Listen. Seit 08.12.2024 wurde eine Reihe von Personen verhaftet, denen Verbrechen vorgeworfen werden, die allerdings nicht auf den Listen stehen (AAA 12.01.2025c). Der Prozess der gezielten Verfolgung von Männern, die in den Streitkräften des Regimes gedient haben, ist undurchsichtig und die HTS weigert sich, einem transparenten Rechtsverfahren zu folgen, das Opfer eindeutig identifiziert und Täter vor Gericht stellt (MEI 21.01.2025). Die Einsatzleitung und die Sicherheitskräfte des neuen Regimes verhafteten ehemalige Mitglieder des Assad-Regimes, darunter auch diejenigen, die ihren Status nicht legalisiert hatten, und diejenigen, die der Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit verdächtigt wurden. Die Verhaftungen fanden in Homs, im Umland von Damaskus, in Tartus und Latakia statt, hauptsächlich in Stadtvierteln mit schiitischer und alawitischer Bevölkerung (MAITIC 09.01.2025). Die Zahl der Festgenommenen betrug mit 03.01.2025 110 Militärangehörige des ehemaligen Regimes, darunter auch Personen, die sich bei der Abteilung für militärische Operationen versöhnt hatten. Außerdem wurden 18 Zivilisten wegen Auseinandersetzungen mit den Sicherheitskräften verhaftet, wobei Letztere versprachen, sie in den kommenden Stunden freizulassen, nachdem sie der Justiz übergeben worden waren (SOHR 04.01.2025). Nach der Verhaftungskampagne wurden einige Gefangene in Homs wieder freigelassen, nachdem sie ihre Waffen abgegeben hatten und zugesichert hatten, nichts gegen die neue syrische Regierung zu unternehmen (AAA 12.01.2025a). Es sei festgestellt worden, dass sie doch nicht an Verbrechen gegen Syrer beteiligt gewesen waren (Arabiya 12.01.2025a). Im Allgemeinen richten sich die Übergriffe der Sicherheitskräfte gegen Männer, von denen angenommen wird, dass sie Verbrechen begangen haben (unabhängig davon, ob dies bewiesen ist oder nicht) (MEI 21.01.2025).
1.5.5. Sicherheitsbehörden
Die Sicherheitskräfte des alten Regimes wurden aufgelöst. Frühere Versprechen, die Polizei auf ihre Posten zurückzurufen, wurden nicht eingehalten. Die Menschen wurden aufgefordert, sich erneut auf ihre Stellen zu bewerben, aber das Verfahren ist undurchsichtig und soll Alawiten abschrecken. Ash-Shara' hat sich größtenteils an die Sicherheitskräfte seiner Verwaltung in Idlib gewandt, um den Personalmangel auszugleichen. Erfahrene Offiziere des alten Regimes sind jetzt Taxifahrer. In diesem Vakuum stellen die örtlichen Gemeinden ihre eigenen Bürgerwehren zusammen (Economist 05.03.2025). Ash-Shara versprach, dass die bewaffneten Gruppierungen und Milizen entwaffnet würden (HB 16.12.2024), und kündigte an, dass die bewaffneten Gruppierungen aufgelöst und die Kämpfer ausgebildet werden, um in die Reihen des Verteidigungsministeriums einzutreten. Sie werden dem Gesetz unterworfen sein (DW 17.12.2024). Seit Jänner 2025 haben die Interimsministerien für Verteidigung und Inneres zügig daran gearbeitet, alle bewaffneten Gruppen unter einer einzigen, mit dem Staat verbundenen Armee und Polizei zu vereinen. Für diesen Prozess wurde der Oberste Ausschuss für die Regulierung der Streitkräfte eingerichtet, der Waffen, Technologie, Militärstützpunkte und Personal überwachen soll. Ein Ausschuss von Offizieren entwirft derzeit die Struktur der neuen syrischen Armee. Die Regierung hat klargestellt, dass alle militärischen Fraktionen aufgelöst und in staatliche Institutionen integriert werden (TNA 03.02.2025). Der Prozess der Bildung einer neuen Armee für Syrien wird auf der Vereinigung mehrerer bewaffneter Gruppierungen beruhen, die über das ganze Land verteilt sind. Einige dieser Gruppierungen waren in Nord- und Westsyrien aktiv, während andere ihren Einfluss auf Südsyrien konzentriert haben, wie die Achte Brigade unter der Führung des ehemaligen Oppositionskommandeurs Ahmad al-'Awda oder andere Formationen, die in der drusischen Mehrheitsprovinz Suweida eingesetzt werden. Diese Formationen, die sich in der nächsten Phase zu einer einzigen Armee vereinigen sollen, sind jedoch über ihre Visionen und Ziele sowie darüber, woher sie Unterstützung erhalten, zerstritten (AlHurra 12.02.2025).
Am 29.1.2025 wurde die Auflösung bewaffneter Gruppierungen in Syrien bekannt gegeben, darunter auch die HTS (Sky News 31.1.2025). Einem Journalisten von Sky News zufolge sind viele Gruppierungen, die HTS unterstützten, bereits Teil der Allgemeinen Sicherheit (General Security Force) geworden und tragen alle einheitliche schwarze Uniformen und Kampfanzüge (Sky News 13.02.2025). Die General Security war die wichtigste Polizeitruppe der HTS im Nordwesten Syriens und ist nun zur Gendarmerie der Übergangsregierung in ganz Syrien geworden, um das Sicherheitsvakuum nach dem Sturz des Regimes zu füllen (ISW 16.04.2025).
1.5.6. Folter und unmenschliche Behandlung, Haftbedingungen, willkürliche Verhaftungen, Verschwinden Lassen
Vor dem Sturz des Assad-Regimes am 08.12.2024 berichteten die UN über Folter und Hinrichtungen von Gefangenen, die von Hay'at Tahrir ash-Sham (HTS) im Nordwesten festgehalten werden. Sie und einige Fraktionen der Syrischen Nationalen Armee (Syrian National Army - SNA) im Norden wenden in ihren Haftanstalten dieselben brutalen Foltermethoden an wie die Regierung (OHCHR 03.02.2025).
Im Jänner 2025 führte die Übergangsregierung Sicherheitskampagnen durch, wie Razzien und Festnahmen. Im Fokus standen dabei die Gouvernements Latakia, Homs und Damaskus. Gerichtet waren diese Kampagnen gegen Personen, denen Menschenrechtsverletzungen und Verbrechen unter dem Assad-Regime vorgeworfen werden, insbesondere gegen ehemalige Militärangehörige und Regierungsangestellte. Ob diese Kampagnen auf gerichtlichen Anordnungen basierten, ist unklar. Das Syrian Network for Human Rights dokumentierte im Jänner 2025 229 Fälle von willkürlichen Verhaftungen, darunter drei Kinder und acht Frauen. Die Übergangsregierung war für 129 Verhaftungen verantwortlich, wobei 36 wieder entlassen wurden (SNHR 04.02.2025a). Im Allgemeinen richten sich die Übergriffe der Sicherheitskräfte gegen Männer, von denen angenommen wird, dass sie Verbrechen begangen haben (unabhängig davon, ob dies bewiesen ist oder nicht), und nicht gegen Alawiten, denen Soldaten begegnen. Die HTS weigert sich, einem transparenten Rechtsverfahren zu folgen, bei dem diese Opfer eindeutig identifiziert und vor Gericht gestellt werden (MEI 21.01.2025). Hawar News, einer kurdischen Zeitung zufolge, haben vier Personen in einer Haftanstalt in Damaskus durch Folter ihr Leben verloren, nachdem sie bei Razzien in Homs festgenommen worden waren (ANHA 09.02.2025). Ende Jänner verstarb ein Mann, der wegen Unterstützung des Assad-Regimes verhaftet worden war, in Haft. Die syrischen Behörden kündigten an, eine Untersuchung wegen Misshandlung durch Sicherheitskräfte einzuleiten. Die Verantwortlichen wurden verhaftet und der Militärjustiz übergeben (AAA 02.02.2025).
Alle bewaffneten oppositionellen Gruppierungen und Gruppierungen der SNA führten willkürliche Festnahmen durch. Zu den Opfern gehörten Personen, die aus den von den kurdisch dominierten Syrischen Demokratischen Kräften (Syrian Democratic Forces - SDF) kontrollierten Gebieten kommen, darunter auch Frauen. Die Festnahmen fanden ohne gerichtliche Anordnung oder Beteiligung der Polizei statt. Den Festgenommenen wurden keine klaren Angaben zu den gegen sie vorgebrachten Vorwürfen gemacht. Die SNA bzw. andere bewaffnete Gruppierungen waren für 41 willkürliche Verhaftungen verantwortlich, darunter sechs Frauen. Zwölf Personen wurden wieder freigelassen (SNHR 04.02.2025a).
1.5.7. Wehr- und Reservedienst
Zur Zeit der Kontrolle durch das syrische Regime:
In der syrischen Verfassung von 2012 wurde die Wehrpflicht im Artikel 46 festgehalten (SeG 24.02.2012). Männliche syrische Staatsbürger unterlagen grundsätzlich ab dem Alter von 18 Jahren dem verpflichtenden Wehrdienst für die Dauer von sieben Jahren. Unter 18-Jährige wurden von der syrischen Armee nicht eingezogen (ÖB Damaskus 2023). Im Gesetzesdekret Nr. 30, das 2007 erlassen worden ist, wurde der Wehrdienst gesetzlich geregelt. Die Dauer des Wehrdienstes betrug 24 Monate. Die Wehrpflicht begann am ersten Tag des Monats Jänner des Jahres, in dem der Bürger das achtzehnte Lebensjahr vollendete und endete in dem Jahr, in dem der Wehrpflichtige das zweiundvierzigste Lebensjahr überschritt oder er wurde von der Wehrpflicht befreit (PoS 12.5.2007). Binnenvertriebene waren wie andere Syrer zur Ableistung des Wehrdienstes verpflichtet und wurden rekrutiert (FIS 14.12.2018). Auch geflüchtete Syrer, die nach Syrien zurückkehrten, mussten mit Zwangsrekrutierung rechnen (AA 02.02.2024).
Jeder Mann war verpflichtet, sich in dem Jahr, in dem er 18 Jahre alt wurde, sein Wehrdienstbuch abzuholen und sich einer medizinischen Untersuchung zu unterziehen (Syrisches Verteidigungsministerium, ohne Datum). Alle syrischen Männer, die das 18. Lebensjahr vollendet hatten, mussten sich ein Militärbuch besorgen. Auch diejenigen, die vom Militärdienst befreit waren, bekamen ein Wehrdienstbuch (DIS, Juli 2023, S. 8).
Litt eine Person an einer Krankheit, die nach Einschätzung der Rekrutierungsabteilung ein Hindernis für den Wehrdienst darstellt, war sie entweder von der Wehrpflicht befreit oder wurde für administrative Tätigkeiten eingeteilt (DIS, Juli 2023, S.8). Wenn eine Person als tauglich eingestuft wurde, wurde der Person mitgeteilt, wann sie sich zum Zweck der militärischen Ausbildung bei einem Ausbildungszentrum zu melden hat (DIS, Juli 2023, S.5-6).
Beim Antritt des Militärdienstes musste der Wehrpflichtige seinen Personalausweis bei der Rekrutierungsabteilung abgeben, den er nach Ableistung des Militärdienstes zurückerhielt. Im Gegenzug erhielt er einen Militärausweis (Netherlands Ministry of Foreign Affairs, Mai 2022, S.54-55).
Laut Vertrauensanwalt der österreichischen Botschaft in Damaskus betrug die offizielle Wehrdienstzeit 2,5 Jahre. Danach musste man noch Reservedienst leisten. Dieser dauerte seit Ausbruch der Krise im Jahr 2011 oft bis zu sieben oder acht Jahre, sodass viele insgesamt zehn bis zwölf Jahre Wehrdienst leisten mussten (VA der ÖB Damaskus 22.09.2024). Bis vor den Fall des Regimes dauerte die Wehrdienstzeit oft nur mehr 6 oder 6,5 Jahre lang (OrthoPatSYR 22.09.2024).
Die Streitkräfte des Regimes setzten sich aus drei Kategorien von Personal zusammen: 1. freiwillig angeworbene Offiziere, Unteroffiziere und Mannschaften, 2. Männer, die zum Militärdienst als Offiziere, Unteroffiziere und Mannschaften eingezogen wurden und 3. diejenigen, die zum Militärdienst einberufen wurden, d. h. syrische Staatsbürger, die das 18. Lebensjahr vollendet und eine Militärdienstakte erhalten hatten, ihren Dienst jedoch aus bildungsbezogenen oder sozialen Gründen aufgeschoben hatten, oder diejenigen, die ihren Pflichtdienst geleistet hatten und später zum Reservedienst einberufen wurden. Angesichts dessen war die syrische Regierung stark auf Reservisten angewiesen, um die Reihen der Streitkräfte zu füllen (Jusoor 01.10.2024). Die türkisch-russische Waffenstillstandsvereinbarung im März 2020 und die anschließende Einstellung größerer Militäroperationen boten dem Assad-Regime die Möglichkeit, Reformen im Militär- und Sicherheitssektor einzuleiten, darunter waren wesentliche Änderungen am Reservedienstsystem. Das Assad-Regime erkannte die Grenzen einer auf Wehrpflichtigen basierenden Armee, insbesondere nach Jahren des Konflikts, und strebte daher den Aufbau einer professionelleren Armee an, die auf Freiwilligendiensten basieren sollte. Zwischen Mitte 2023 und Mitte 2024 wurden mehrere Verwaltungsanordnungen erlassen. Dies markierte den Beginn eines umfassenderen Plans, der darauf abzielte, das syrische Militär in eine „professionelle, fortschrittliche, qualitative Armee“ umzuwandeln, wie es der Generaldirektor der Armee und Streitkräfte formulierte. Einer der ersten Schritte bei dieser Umgestaltung war die Verkürzung der Dauer des Reservedienstes, mit dem letztendlichen Ziel, die Wehrpflicht insgesamt neu zu definieren. Das Regime führte fünf- und zehnjährige Rekrutierungsverträge ein, die wettbewerbsfähige Gehälter und andere Anreize boten, darunter die Befreiung vom Pflichtdienst nach fünf Jahren. Außerdem wurde ein strukturierter Entlassungsplan eingeführt, der in drei Phasen mit einer maximalen Dauer von 24 Monaten unterteilt war (SO 12.08.2024). In Zusammenhang mit diesen Änderungen hatte das Assad-Regime auch zahlreiche gesetzliche Änderungen am Militärdienstgesetz vorgenommen, das ursprünglich durch das Gesetzesdekret Nr. 30 von 2007 eingeführt wurde. Diese Änderungen waren von entscheidender Bedeutung, um unvorhergesehene Gesetzeslücken zu schließen und die Interessen des Regimes zu erweitern. So wurde beispielsweise im Jahr 2020 das Gesetzesdekret Nr. 31 eingeführt, das es syrischen Auswanderern ermöglichte, eine Barzulage von 5.000 US-Dollar für die Befreiung vom Reservedienst zu zahlen und so dringend benötigte Devisen für das Verteidigungsministerium zu generieren. Durch weitere Änderungen im Jahr 2022 wurden die Kriterien für die Befreiung von der Wehrpflicht bei Behinderung verfeinert und die Bedingungen für Einzelkinder oder ähnliche Fälle geklärt. Im Jahr 2023 führte das Regime altersbasierte Befreiungen ein, die es Personen im Alter von 40 Jahren – und später reduziert auf 38 Jahre – ermöglichten, eine Geldzulage von 4.800 US-Dollar zu zahlen, um dem Reservedienst zu entgehen. Bis 2024 wurden zusätzliche Bestimmungen für Personen mit Teilbehinderungen eingeführt, die es ihnen ermöglichten, eine reduzierte Geldzulage für die Befreiung zu zahlen, was mit den umfassenderen gesetzgeberischen Bemühungen zur Unterstützung von Menschen mit Behinderungen in Einklang steht (SO 12.08.2024). Im September 2024 wurde das Gesetzesdekret Nr. 20 erlassen, dass das Militärgesetz dahingehend abänderte, das Dienstalter für den Reservedienst von 40 auf 38 Jahre herabzusetzen (SANA 01.08.2024). Ende 2023 begann die syrische Regierung mit einer Kampagne zur nicht verpflichtenden Rekrutierung von Soldaten (Jusoor 01.10.2024). Im Freiwilligenvertrag, der am 21.11.2023 erlassen wurde, werden zwei Dienstperioden angeboten: fünf und zehn Jahre (Enab 02.08.2024). Anreize für die Rekrutierung von Freiwilligen sind finanzieller Natur, wie ein Gehalt von bis zu 1.300.000 Syrischen Pfund (SYP) für beide Zeitspannen, zusätzlich zu Bonuszahlungen, wie einem jährlichen Bonus, einem Heiratszuschuss im Wert von 2 Millionen SYP. Bedingungen für den Freiwilligendienst, sind unter anderem, dass der Freiwillige seit fünf Jahren die syrische Staatsangehörigkeit besaß, zum Zeitpunkt der Bewerbung zwischen 18 und 32 Jahre alt war, einen guten Leumund hatte, nicht wegen eines Verbrechens oder eines abscheulichen Verbrechens verurteilt worden war und nicht länger als drei Monate im Gefängnis gesessen hatte (Enab 28.11.2023).
Gemäß Gesetzesdekret Nr. 30 von 2007 konnte der Pflichtwehrdienst u.a. bei Schülern und Studenten aufgeschoben werden, die an anerkannten öffentlichen oder privaten Schulen, Instituten und Universitäten innerhalb oder außerhalb des Landes studierten, wenn sie ununterbrochen in Ausbildung waren, ein bestimmtes Alter nicht überschritten haben (das Alter variiert je Art der inskribierten Hochschule). In Kriegszeiten konnte der Studienaufschub für alle Syrer durch eine Entscheidung des Oberbefehlshabers aufgehoben werden.
Vom Wehrdienst befreit werden konnten u.a. Personen, die die Ausgleichszahlung bezahlt hatten (PoS 12.5.2007).
Eine Ausgleichszahlung in Höhe von 3.000 US-Dollar konnte jener Wehrpflichtige bezahlen, der für den fixen Dienst vorgesehen war (SeG 08.11.2020). Ebenfalls wurde eine finanzielle Ausgleichszahlung von allen syrischen Staatsbürgern und Gleichgestellten akzeptiert, die der Wehrpflicht unterlagen und außerhalb der Arabischen Republik Syrien lebten (PoS 12.05.2007). Die Zahlung variierte je nach Dauer des Auslandsaufenthaltes: 7.000 US-Dollar für Wehrpflichtige, wenn der Wehrpflichtige mindestens vier Jahre vor oder nach Erreichen des wehrpflichtigen Alters im Ausland gelebt hatte, 8.000 US-Dollar, wenn der Wehrpflichtige mindestens drei Jahre, aber weniger als vier Jahre vor oder nach Erreichen des wehrpflichtigen Alters im Ausland gelebt hatte, 9.000 US-Dollar, wenn der Wehrpflichtige mindestens zwei Jahre, aber weniger als drei Jahre vor oder nach Erreichen des wehrpflichtigen Alters im Ausland gelebt hatte, 10.000 US-Dollar, wenn der Wehrpflichtige mindestens ein Jahr, aber weniger als zwei Jahre vor oder nach Erreichen des wehrpflichtigen Alters im Ausland gelebt hatte, 3.000 US-Dollar, wenn der Wehrpflichtige im Ausland geboren wurde und dort oder in einem anderen Land dauerhaft und ununterbrochen bis zum Erreichen des wehrpflichtigen Alters gelebt hatte, 6.500 US-Dollar, wenn der Wehrpflichtige im Ausland geboren wurde und dort mindestens zehn Jahre vor Erreichen des wehrpflichtigen Alters gelebt hatte. Von Letzterem wurden 500 US-Dollar abgezogen für jedes zusätzliche Jahr Aufenthalt im Ausland bis zu einem Maximum von 17 Jahren (SeG 08.11.2020). Diese Ausgleichszahlung war einmalig zu bezahlen. Das Geld, das durch diese Ausgleichszahlungen eingenommen wurde, ging auf das Konto des Verteidigungsministeriums auf der syrischen Zentralbank und wurde in das Jahresbudget übernommen (VA der ÖB Damaskus 22.09.2024).
Von März 2011 [Anm.: bis Oktober 2022] erließ der syrische Präsident Assad 21 Amnestiedekrete [Ende Dezember 2022 und im November 2023 folgten weitere Amnestiedekrete], wobei in den meisten dieser Dekrete die Strafen der Begnadigten für die verschiedenen Verbrechen und Vergehen ganz oder teilweise aufgehoben wurden (SNHR 16.11.2022, vgl. SNHR 12.09.2023). Der syrische Präsident hat dabei für Mitglieder bewaffneter oppositioneller Gruppen, Wehrdienstverweigerer und Deserteure eine Reihe von Amnestien erlassen, die Straffreiheit vorsahen, wenn sie sich innerhalb einer bestimmten Frist zum Militärdienst melden (STDOK 8.2017; vgl. SNHR 16.11.2022, MED 10.2021). Über die Umsetzung und den Umfang der Amnestien für Wehrdienstverweigerer und Deserteure ist nur sehr wenig bekannt (DIS 5.2020; vgl. SNHR 16.11.2022; vgl. DIS 7.2023). Menschenrechtsorganisationen und Beobachter haben die Amnestien wiederholt als intransparent sowie unzureichend kritisiert (STDOK 8.2017; vgl. EB 03.04.2020, MED 10.2021) und als ein Propagandainstrument der Regierung bezeichnet (DIS 5.2020; vgl. MED 10.2021). Das Auswärtige Amt schreibt, dass die vergangenen Dekrete in der Umsetzung nahezu wirkungslos waren (AA 2.2.2024). Eine Quelle von EUAA gab an, dass die Amnestien nicht für Personen, die den Reservedienst verweigert haben, gelten (EUAA 10.2023). Zwei Quellen des Danish Immigration Service wiederum berichten, dass die Amnestien auch Männer umfassten, die aus dem Reservedienst desertierten (DIS 1.2024). Einer Quelle zufolge respektierte die syrische Regierung Amnestien und belangte durch Amnestien begnadigte Wehrdienstverweigerer und Deserteure nicht, es sei denn, sie waren in Kampfhandlungen gegen die Regierung involviert (DIS 1.2024). Durch verschiedene Amnestien für Deserteure und Wehrdienstverweigerer wurden Strafen zwar zumindest stellenweise erlassen, der zwangsweise Einzug in den Militärdienst wurde durch die Amnestien jedoch nicht beendet und wurde unverändert fortgesetzt (AA 02.02.2024; vgl. USDOS 20.03.2023, NMFA 5.2022, MED 10.2021, EUAA 10.2023, DIS 1.2024) bzw. wurde als Strafe der Wehrdienst einer Quelle zufolge um sechs Monate verlängert (DIS 1.2024). Nach Einschätzung von Human Rights Watch nutzte das Regime Schlupflöcher in den Amnestiedekreten aus, um Rückkehrer unmittelbar nach Einreise wieder auf Einberufungslisten zu setzen (AA 02.02.2024).
Entwicklungen seit dem Sturz des Assad-Regimes:
Die Syrische Arabische Armee wurde noch von al-Assad vor seiner Flucht nach Mitternacht am 08.12.2024 per Befehl aufgelöst. Die Soldaten sollten ihre Militäruniformen gegen Zivilkleidung tauschen und die Militäreinheiten und Kasernen verlassen (AAA 10.12.2024). Nach der Auflösung der ehemaligen Sicherheits- und Militärinstitutionen verloren Hunderttausende ihren Arbeitsplatz und ihr Einkommen – vor allem in den Küstenregionen. Zehntausende wurden auch aus staatlichen und zivilen Einrichtungen entlassen, ohne alternative Einkommens- oder Arbeitsmöglichkeiten. Darüber hinaus wurden Mitgliedern der aufgelösten Armee, Polizei und Sicherheitsdienste Umsiedlungsmaßnahmen aufgezwungen, was zu wachsender Unzufriedenheit und Wut in den Reihen dieser Männer führte (Harmoon 17.03.2025).
Nach dem Umsturz in Syrien hat die von Islamisten angeführte Rebellenallianz eine Generalamnestie für alle Wehrpflichtigen verkündet. Ihnen werde Sicherheit garantiert und jegliche Übergriffe auf sie seien untersagt, teilte die Allianz auf Telegram mit (Presse 09.12.2024). HTS-Anführer ash-Shara' kündigte in einem Facebook-Post an, dass die Wehrpflicht der Armee abgeschafft wird, außer für einige Spezialeinheiten und "für kurze Zeiträume". Des Weiteren kündigte er an, dass alle Gruppierungen aufgelöst werden sollen und über Waffen nur mehr der Staat verfügen soll (CNBC Ara 15.12.2024a; vgl. MEMRI 16.12.2024). Seitdem gibt es keine Berichte über Zwangsrekrutierungen mehr. Zahlreiche ehemalige Wehrpflichtige, Deserteure und Exilanten profitierten von entsprechenden Amnestien und konnten ohne Verhängung einer Strafe nach Syrien zurückkehren, bzw. sich wieder in die Gesellschaft integrieren (Bericht des Auswärtigen Amtes über die Lage in der Arabischen Republik Syrien vom 30.05.2025, S. 13). Unklar ist, wie eine Freiwilligenarmee finanziert werden soll (ISW 16.12.2024). Auch die Auflösung der Sicherheitskräfte kündigte ash-Shara an (REU 11.12.2024a). In einem Interview am 10.2.2025 wiederholte ash-Shara, dass er sich für eine freiwillige Rekrutierung entschieden habe und gegen eine Wehrpflicht. Bereits Tausende von Freiwilligen hätten sich der neuen Armee angeschlossen (Arabiya 10.02.2025a; vgl. AJ 10.02.2025a). Wehrpflichtigen der Syrischen Arabischen Armee (Syrian Arab Army - SAA) wurde eine Amnestie gewährt (REU 11.12.2024b). Unter al-Assad war die Einberufung in die Armee für erwachsene Männer obligatorisch. Wehrpflichtige mussten ihren zivilen Ausweis abgeben und erhielten stattdessen einen Militärausweis. Ohne einen zivilen Ausweis ist es schwierig, einen Job zu finden oder sich frei im Land zu bewegen, was zum Teil erklärt, warum Zehntausende in den "Versöhnungszentren" in verschiedenen Städten aufgetaucht sind (BBC 29.12.2024).
Der Übergangspräsident Ahmed ash-Shara hat die Vision einer neuen „Nationalen Armee“ geäußert, die alle ehemaligen Oppositionsgruppen einbezieht. Diese Vision beinhaltet einen Prozess der Entwaffnung, Demobilisierung und Wiedereingliederung, bei dem Hay'at Tahrir ash-Sham (HTS) angeblich die Führung übernehmen soll (DNewsEgy 03.02.2025).
Die Umstrukturierung des syrischen Militärs hat gerade erst begonnen. Der neue de-facto-Führer hat versprochen, die neue Armee in eine professionelle, auf Freiwilligen basierende Truppe umzuwandeln, um die Professionalität in den Reihen zu fördern und sich von der Wehrpflichtpolitik zu entfernen, die das zusammengebrochene Assad-Regime charakterisierte (TR-Today 08.01.2025). Medienberichten zufolge wurden mehrere ausländische islamistische Kämpfer in hohe militärische Positionen berufen. Ash-Shara' hatte Berichten zufolge außerdem vorgeschlagen, ausländischen Kämpfern und ihren Familien aufgrund ihrer Rolle im Kampf gegen al-Assad die Staatsbürgerschaft zu verleihen (UNSC 07.01.2025).
Syrische Medien berichten, dass die neue Regierung aktiv Personen für die Armee und die Polizei rekrutiert. Damit soll der dringende Bedarf an Kräften gedeckt werden. Neue Soldaten, Unteroffiziere und Offiziere werden Berichten zufolge durch intensive Programme rekrutiert, die von den traditionellen akademischen und Ausbildungsstandards abweichen. Der Prozess der Vorbereitung von Militär- und Sicherheitskadern wird beschleunigt, um den Bedürfnissen des neuen Staates gerecht zu werden (SCI o.D.). Am 10.02.2025 gab Übergangspräsident ash-Shara an, dass sich Tausende von Freiwilligen der neuen Armee angeschlossen haben (Arabiya 10.02.2025a). Viele junge Männer ließen sich einem Bericht des syrischen Fernsehsenders Syria TV zufolge für die neue Armee rekrutieren. Insbesondere seien junge Männer in Idlib in dieser Hinsicht engagiert. Die Rekrutierungsabteilung der neuen syrischen Verwaltung in der Provinz Deir ez-Zour gab bekannt, dass wenige Wochen nach der Übernahme der Kontrolle über die Provinz durch den Staat etwa 1.200 neue Rekruten in ihre Reihen aufgenommen wurden. In den ländlichen Gebieten von Damaskus treten junge Männer vor allem der Kriminalpolizei bei (Syria TV 21.02.2025). Die Rekrutierungsabteilung von Aleppo teilte am 12.02.2025 mit, dass bis zum 15.02.2025 eine Rekrutierung in die Reihen des Verteidigungsministeriums läuft. Dort ist die Aufnahmebedingung für junge Männer, dass sie zwischen 18 und 22 Jahre alt, ledig und frei von chronischen Krankheiten und Verletzungen sein müssen (Enab 12.02.2025). Das syrische Verteidigungsministerium hat am 17.03.2025 mehrere Rekrutierungszentren im Gouvernement Dara'a in Südsyrien eröffnet (NPA 17.03.2025). Das Innenministerium hat seitdem Rekrutierungszentren in allen von der Regierung kontrollierten Gebieten eröffnet (ISW 16.04.2025). Berichten zufolge verlangt die neue Regierung von neuen Rekruten eine 21-tägige Scharia-Ausbildung (FDD 28.01.2025).
Ende Februar 2025 verbreiteten Facebook-Seiten die Behauptung, die Allgemeine Sicherheit habe in Jableh, Banyas und Qardaha Checkpoints eingerichtet, um jeden zu verhaften, der eine Siedlungskarte besitzt. Die Seiten behaupten, dass die Allgemeine Sicherheit die Verhafteten nach Südsyrien verlegt, wo es zu einer Eskalation durch die israelische Besatzung kommt. Die syrische Regierung dementierte die Durchführung von Rekrutierungskampagnen in den Provinzen Latakia und Tartus. Die Rekrutierung basiere weiterhin auf Freiwilligkeit (Syria TV 26.02.2025).
1.5.8. Allgemeine Menschenrechtslage
Human Rights Watch konstatiert, dass nicht-staatliche bewaffnete Gruppierungen in Syrien, darunter Hay'at Tahrir ash-Sham (HTS) und Gruppierungen der Syrischen Nationalarmee (Syrian National Army - SNA), die am 27.11.2024 die Offensive starteten, die nach zwölf Tagen die syrische Regierung stürzte, im Jahr 2024 für Menschenrechtsverletzungen und Kriegsverbrechen verantwortlich waren (HRW 16.01.2025). Die Syrische Beobachtungsstelle für Menschenrechte (SOHR) befürchtet eine Rückkehr zu einer "dunklen Ära", weil die Verhaftungen und Hinrichtungen angesichts der sich verschlechternden Sicherheitslage zunehmen (SOHR 02.02.2025). Das Syrian Network for Human Rights (SNHR) dokumentierte im Jänner 2025 129 Fälle von willkürlichen Verhaftungen durch die Übergangsregierung (SNHR 04.02.2025b) und im Februar 2025 21 Fälle (SNHR 03.03.2025).
Der Übergang von dem Regime unter Bashar al-Assad zur Interimsregierung unter der Führung der Hay'at Tahrir ash-Sham (HTS) soll relativ reibungslos verlaufen sein. Berichte über Vergeltungsmaßnahmen, Rachemorde und religiös motivierte Gewalttaten waren minimal. Plünderungen und Zerstörungen konnten schnell unter Kontrolle gebracht werden, die aufständischen Kämpfer wurden diszipliniert (AP 15.12.2024b). Es gab keine größeren Massaker oder Rachekampagnen (DW 12.12.2024).
Seit die Rebellengruppierungen am 05.12.2024 die Kontrolle über das Gouvernement Hama übernommen haben, hat das Syrian Network for Human Rights (SNHR) eine Reihe von Verstößen dokumentiert, darunter außergerichtliche Tötungen, Zerstörung von Häusern und Angriffe auf öffentliches und privates Eigentum (SNHR 19.12.2024). Mitte Jänner 2025 nahm die Welle von Selbstjustiz-Angriffen auf ehemalige Mitarbeiter des Regimes zu. Menschen wurden zu Opfern von Attentaten und Ausschreitungen des Mobs. Während einige der Betroffenen Personen sind, deren Beteiligung an den Misshandlungen der Zivilbevölkerung durch das Regime nach 2011 gut dokumentiert ist, waren an anderen Vorfällen kürzlich versöhnte ehemalige Mitglieder des Regimes, Wehrpflichtige mit niedrigem Rang und scheinbar zufällig ausgewählte junge Männer aus der Gemeinschaft der Alawiten betroffen (Etana 17.01.2025). Es werden Rachemorde durch bewaffnete Gruppierungen durchgeführt, von denen einige behaupten, dass diese mit der Abteilung für militärische Operationen verbunden wären. Sie zielen aus politischen bzw. konfessionellen Motiven auf Zivilisten ab (SOHR 26.01.2025). Die Provinzen Hama und Homs waren von diesen Entwicklungen am stärksten betroffen, da sie zum Schauplatz häufiger Konfrontationen wurden. In den Küstengebieten wie Latakia und Tartus kam es zu einer Verschlechterung der Sicherheitslage und zu einer Zunahme an Morden und Hinrichtungen [Diese Provinzen stellten das Kernland des Assad-Regimes dar und wurden in den Bürgerkriegsjahren weitgehend von Kampfhandlungen verschont. Anm.]. Am 11.01.2025 zählte die Syrische Beobachtungsstelle für Menschenrechte (SOHR) seit 08.12.2024 80 Fälle von Tötungen, darunter Hinrichtungen vor Ort, bei denen 157 Menschen getötet wurden, unter den Getöteten waren Frauen und Kinder (SOHR 11.01.2025). Insbesondere in den Regionen Hama und Homs, sowie in den Küstengebieten Latakia und Tartus kam es zu willkürlichen Tötungen und Hinrichtungen vor Ort (SOHR 03.01.2025). Nach Berichten von lokalen Aktivisten und Augenzeugen war die Gruppierung Ansar at-Tawhid an einem großen Teil dieser Verstöße beteiligt, zusätzlich zu anderen Gruppierungen, die nicht genau identifiziert werden konnten (SNHR 19.12.2024). Mindestens 124 Menschen wurden bei einer Reihe von gewalttätigen Zwischenfällen zwischen 08.12.2024 und 08.01.2025 getötet, darunter bei Racheakten, Vandalismus, Morden und Hinrichtungen in den Provinzen Homs und Hama sowie in den syrischen Küstenstädten. Berichten zufolge wurde ein erheblicher Teil der Gewalt durch die Verbreitung von Videos mit Falschmeldungen in den sozialen Medien ausgelöst, deren Ziel es war, die sektiererischen Spannungen zu verschärfen (MAITIC 09.01.2025). Wegen eines unbestätigten Angriffs auf einen alawitischen Schrein wurde im Dezember 2024 eine Welle von Protesten unter der alawitischen Gemeinschaft in Homs, Latakia, Tartus und Teilen von Damaskus ausgelöst. Die Proteste führten zu Militäroperationen des neuen syrischen Sicherheitsapparats, um ehemalige Kämpfer des Regimes zu vertreiben (AlMon 11.01.2025). Dem Middle East Institute zufolge ist eines der dringendsten Probleme nicht sektiererisch motivierte Angriffe, sondern vielmehr der undurchsichtige Prozess der gezielten Verfolgung von Männern, die in den Streitkräften des Regimes gedient haben. Im Allgemeinen richten sich die Übergriffe der Sicherheitskräfte gegen Männer, von denen angenommen wird, dass sie Verbrechen begangen haben (unabhängig davon, ob dies bewiesen ist oder nicht), und nicht gegen irgendwelche Alawiten, denen die Soldaten zufällig begegnen. Die Fälle, die die größte Angst geschürt haben, sind die Entführungen und Hinrichtungen von ehemaligen Mitgliedern des Regimes (MEI 21.01.2025). France 24 zufolge zeigen Berichte und Videos in den sozialen Medien in Syrien, dass Vergeltungsmorde begonnen haben (FR24 13.12.2024). Es kursierten Bilder von Regierungsbeamten des ehemaligen Regimes, die unter Gewaltanwendung durch die Straßen geschleift wurden (PBS 16.12.2024). Seit der Machtübernahme durch die neue Regierung haben die Sicherheitsbehörden eine Reihe von Sicherheitskampagnen durchgeführt, die darauf abzielen, die „Überbleibsel des früheren Regimes“ zu verfolgen. Hunderte von Menschen, die ihren Status bei den neuen Behörden nicht geregelt haben, wurden verhaftet. Anwohner und Organisationen haben von Misshandlungen berichtet, darunter die Beschlagnahmung von Häusern und Hinrichtungen vor Ort (AAA 02.02.2025). Bei einer Sicherheitskampagne in Homs gegen Regimeunterstützer im Jänner 2025 kam es zur Festnahme einer Reihe von Männern, darunter auch Zivilisten, denen Verstöße im Zusammenhang mit der inoffiziellen Beschlagnahme von Fahrzeugen nachgewiesen wurden. Die meisten Elemente der Abteilung für Militärische Operationen waren diszipliniert, mit Ausnahme einiger von offizieller Seite als Einzelfälle bezeichneten Vorfällen, wie das Zerbrechen von Musikinstrumenten und Wasserpfeifen sowie von Flaschen mit alkoholischen Getränken und die Beschädigung des Inhalts einiger Häuser. Einige Häftlinge wurden zu erniedrigenden Handlungen gezwungen, wie dem Imitieren von Tiergeräuschen, und sie wurden beleidigt und mit sektiererischen Phrasen beschimpft (Enab 06.01.2025). Auch in Damaskus kam es am 08.01.2025 zu Razzien durch die neuen Sicherheitsbehörden. Sie folgten auf eine dreiwöchige Kampagne im alawitischen Kernland an der Küste (National 08.01.2025). Die Civil Peace Group, eine zivilgesellschaftliche Gruppe, stellte den Tod von zehn Personen, die bei Sicherheitskampagnen und Razzien festgenommen worden waren, in den Gefängnissen der Abteilung für Militärische Operationen im Zeitraum vom 28.01 bis 01.02.2025 in verschiedenen Teilen von Homs fest (AAA 02.02.2025). Lokale bewaffnete Gruppen, die unter dem Kommando der Abteilung für Militärische Operationen operieren, führten Racheaktionen, schwere Übergriffe und willkürliche Verhaftungen durch, wobei sie Dutzende von Menschen ins Visier nahmen, sie demütigten und erniedrigten sowie religiöse Symbole angriffen (SOHR 28.01.2025). Die neue Regierung reagierte auf die Vorwürfe von Menschenrechtsaktivisten mit Festnahmen von Dutzenden Mitgliedern örtlicher bewaffneter Gruppen, die unter der Kontrolle der neuen Machthaber stünden, wegen ihrer Beteiligung an den "Sicherheitseinsätzen" in der Region Homs (Spiegel 27.01.2025). Zuvor hatten die neuen Machthaber Mitglieder einer "kriminellen Gruppe" beschuldigt, sich während eines Sicherheitseinsatzes als "Angehörige der Sicherheitsdienste" ausgegeben zu haben (Zeit Online 27.01.2025). Ein Überfall auf eine syrische Sicherheitspatrouille durch militante Anhänger des gestürzten Staatschefs Bashar al-Assad eskalierte am 06.03.2025 zu Zusammenstößen, bei denen innerhalb von vier Tagen mehr als 1.000 Menschen getötet wurden (SOHR 10.03.2025a). Bewaffnete Männer, die der syrischen Regierung treu ergeben sind, führten Hinrichtungen vor Ort durch und sprachen von einer Säuberung des Landes, wie Augenzeugen und Videos belegen. Sie lieferten ein grausames Bild eines harten Vorgehens gegen die Überreste des ehemaligen Assad-Regimes, das in gemeinschaftliche Morde ausartete (CNN 09.03.2025). Menschenrechtsberichten zufolge waren von der Türkei unterstützte Gruppierungen an „systematischen ethnischen Säuberungsaktionen“ und groß angelegten „Massakern“ gegen Zivilisten in Baniyas, Tartus und Latakia beteiligt, bei denen Hunderte von Menschen, darunter auch Frauen und Kinder, getötet wurden (LebDeb 10.03.2025). Mitglieder des Verteidigungsministeriums und die sie unterstützenden Kräfte haben Kriegsverbrechen und Menschenrechtsverletzungen begangen, ohne dass sie rechtliche Konsequenzen fürchten müssen. Insgesamt wurden 1.093 Todesopfer verzeichnet (SOHR 11.03.2025). Dem Leiter der Syrischen Beobachtungsstelle für Menschenrechte zufolge wurden 745 alawitische Zivilisten aus konfessionellen Gründen getötet, wobei er betonte, dass sie nicht an den Kämpfen beteiligt waren oder mit dem Regime in Verbindung standen (Sky News 09.03.2025a). Des Weiteren gibt er an, dass in einigen Gebieten Zivilisten abgeschlachtet wurden, während andere durch Erschießungskommandos hingerichtet wurden (AlHurra 09.03.2025), wie in den Stadtvierteln Baniyas und al-Qusour im Gouvernement Tartus, wo 92 Bürger durch ein Erschießungskommando des Ministeriums für Verteidigung und innere Sicherheit hingerichtet wurden (SOHR 10.03.2025e). Die meisten der von Regierungstruppen getöteten Zivilisten waren Alawiten, aber auch einige Christen wurden als tot bestätigt. Unter den getöteten Aufständischen des ehemaligen Regimes befanden sich Sunniten, Alawiten und Christen (TWI 10.03.2025). In den Städten im Gebiet zwischen Baniyas und Qadmous kam es zu Massentötungen, darunter auch von Kindern und älteren Menschen (AlHurra 09.03.2025). Zehntausende Häuser wurden laut Aussage des Leiters der Syrischen Beobachtungsstelle für Menschenrechte (SOHR) geplündert und niedergebrannt (Sky News 09.03.2025a). Der UN-Sondergesandte Geir Pedersen sprach über Berichte von Menschen, die im Kreuzfeuer getötet wurden, und schwere Misshandlungen in der Haft. Pedersen prangerte Entführungen, Plünderungen, Beschlagnahmungen von Eigentum und Zwangsräumungen von Familien aus staatlichen Wohnungen an. Er forderte alle bewaffneten Akteure dazu auf, diese Art von Aktionen zu stoppen, ihre Zusicherungen mit konkreten Maßnahmen zu untermauern, und an einem umfassenden Rahmen für eine Übergangsjustiz zu arbeiten (AJ 13.02.2025b).
Der Exekutivdirektor der Organisation Christians for Democracy, stimmt der Rechtfertigung der neuen syrischen Regierung zu, dass das, was geschieht, nicht die Politik der Übergangsregierung widerspiegelt. Er hat die Verstöße in zwei Kategorien eingeteilt: Verbrechen und Übergriffe, die von Einzelpersonen mit der Absicht begangen werden, sich an bestimmten Personen oder an denen, die mit dem früheren Regime kollaboriert haben, zu rächen, und Übergriffe, die von einigen extremistischen Gruppierungen begangen werden, die mit der von der neuen Regierung in Damaskus beschlossenen Politik nicht einverstanden sind. Die Übergangsregierung zieht diejenigen zur Rechenschaft, die nachweislich an Übergriffen gegen Zivilisten beteiligt waren (SOHR 02.02.2025).
Die syrische Übergangsregierung unter ash-Shara hat zugesagt, dass die Verantwortlichen für Gewalttaten gegen Syrer durch das gestürzte Assad-Regime zur Rechenschaft gezogen werden. Der Weg dorthin ist jedoch schwierig, da die Zahl der Opfer nicht genau bekannt ist und die Täter noch nicht identifiziert werden konnten (BBC 13.12.2024). Die HTS möchte die an staatlicher Folter beteiligten Ex-Offiziere auflisten und sie als Kriegsverbrecher zur Rechenschaft ziehen. Dafür setzte sie sogar eine Belohnung aus, für Informationen über ranghohe Offiziere von Armee und Sicherheitsbehörden, die an Kriegsverbrechen beteiligt waren (FAZ 10.12.2024).
2. Beweiswürdigung:
2.1. Zur Feststellung des für die Entscheidung maßgebenden Sachverhaltes wurde Beweis erhoben durch Einsichtnahme in den Verfahrensakt des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl und die eingebrachten Stellungnahmen (OZ 13 und OZ 23) sowie im Wege der Einvernahmen des Beschwerdeführers als Partei in der am 15.07.2024 durchgeführten sowie am 19.12.2024 fortgesetzten mündlichen Verhandlung, Einholung aktueller Auszüge aus dem Strafregister, dem Zentralen Melderegister und dem Informationsverbundsystem Zentrales Fremdenregister sowie im Wege der Einsichtnahme in die vom Bundesverwaltungsgericht in das Verfahren eingebrachten Erkenntnisquellen betreffend die Lage im Herkunftsstaat des Beschwerdeführers (insbesondere das Länderinformationsblatt der Staatendokumentation vom 08.05.2025; Danish Immigration Service: Syria – Military Service: recruitment procedure, conscripts‘ duties and military Service for naturalised Ajanibs, Juli 2023; Danish Immigration Service: Syria Military Service, Jänner 2024; ACCORD Themendossier zu Syrien: Wehrdienst vom 23.09.2024; EUAA COI-Report Syria – Country Focus, October 2024; EUAA Country Guidance Syrien, April 2024; Syria 2023 Human Rights Report des Department of State; Kurzinformation der Staatendokumentation zu Syrien: Aktuelle Lage nach Sturz der Assad-Regierung, 10.12.2024; UNHCR Position zu Syrien vom Dezember 2024; Regional Flash Updates #7 - #9; ACCORD Anfragebeantwortung zu Syrien: Strukturen und wichtige Akteur·innen der interimistischen Regierung sowie der neuen Übergangsregierung vom 29. März 2025, Dominante Strömungen, vom 03.04.2025; ACCORD Anfragebeantwortung zu Syrien: Rekrutierungspraxis der Übergangsregierung, Rekrutierungen durch andere bewaffnete Gruppen (z.B. Yekîneyên Parastina Gel, YPG); Zwangsrekrutierungen, vom 31.03.2025; EUAA COI-Report Syria: Country Focus, March 2025; Bericht des Auswärtigen Amtes über die Lage in der Arabischen Republik Syrien vom 30.05.2025; EUAA Country Guidance: Syria, June 2025).
Der Beschwerdeführer stellte im Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht keine über die Durchführung einer mündlichen Verhandlung hinausgehenden Beweisanträge.
2.2. Die Feststellungen zur Staatsangehörigkeit des Beschwerdeführers, seiner Abstammung und seinen persönlichen und familiären Lebensumständen im Herkunftsstaat bis zur Ausreise sowie seinen Familienverhältnissen unter Punkt 1.1. beruhen auf den im Wesentlichen stringenten Angaben des Beschwerdeführers im Verfahren erster Instanz und vor dem Bundesverwaltungsgericht und den vorgelegten Urkunden und Bestätigungen. Die Identität des Beschwerdeführers wurde im Wege der Vorlage eines authentischen syrischen Personalweises erwiesen.
Dass der Beschwerdeführer im Dorf Saelwo (phonetisch auch „Salu“ oder „Salou“), nördlich der Ortschaft al-Mayadin im Gouvernement Deir ez-Zor geboren wurde und dort zeit seines Lebens in Syrien lebte, ergibt sich ebenso aus den stringenten Angaben des Beschwerdeführers im erst- und zweitinstanzlichen Verfahren.
Das festgestellte Ausreisedatum im Juli 2017, der fünfjährige Aufenthalt im Libanon, die Rückkehr nach Syrien im März 2022 und die erneute endgültige Ausreise aus dem Herkunftsstaat im Oktober 2022 beruhen ebenfalls auf den Ausführungen des Beschwerdeführers vor dem Bundesamt und dem Bundesverwaltungsgericht.
Da der Beschwerdeführer bis zur jeweiligen Ausreise aus Syrien stets durchgehend im Dorf Saelwo (phonetisch auch „Salu“ oder „Salou“), nördlich der Ortschaft al-Mayadin im Gouvernement Deir ez-Zor gelebt hat, ist diese Region im Einklang mit der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes als Herkunftsregion anzusehen (statt aller VwGH 09.03.2023, Ra 2022/19/0317 mwN). Ein diesem Schluss widerstreitendes Vorbringen wurde nicht erstattet.
2.3. Der Beschwerdeführer legte im Hinblick auf seinen gesundheitlichen Zustand vor dem Bundesamt und vor dem Bundesverwaltungsgericht dar, dass es ihm gesundheitlich gut gehe. Ausgehend davon und ob des in der mündlichen Verhandlung gewonnenen Eindrucks ist daher festzustellen, dass der allgemeine Gesundheitszustand des Beschwerdeführers als stabil einzustufen ist und insbesondere keine die Tauglichkeit für den Wehrdienst ausschließende Erkrankung vorliegt.
2.4. Die zur Lage im Herkunftsstaat unter Punkt 1.5. getroffenen Feststellungen ergeben sich aus den vom Bundesverwaltungsgericht herangezogenen Erkenntnisquellen, die dem Beschwerdeführer im Wege seiner rechtsfreundlichen Vertretung zunächst am 27.05.2024 unter gleichzeitiger Angabe der herangezogenen Quellen zur Wahrung des Gehörs übermittelt wurden. In der daraufhin abgegebenen Stellungnahme vom 14.06.2024 verwies der Beschwerdeführer auf die Ausführungen im Beschwerdeschriftsatz und äußerte sich mit ergänzenden Ausführungen zur Möglichkeit des Freikaufs vom verpflichtenden Wehrdienst bei der Syrisch Arabischen Armee und zum Konnex der Wehrpflichtverweigerung zur Genfer Flüchtlingskonvention. Mit Note vom 09.12.2024 und in der Verhandlung vom 19.12.2024 wurden dem Beschwerdeführer weitere rezente Länderberichte zur Kenntnis gebracht. Von den hiezu eingeräumten Äußerungsrechten machte der Beschwerdeführer keinen Gebrauch. Mit Note des Bundesverwaltungsgerichts vom 20.01.2025 wurden dem Beschwerdeführer weitere aktuelle Länderberichte zur Wahrung des Parteigehörs übermittelt. Der Beschwerdeführer äußerte sich hiezu mit Stellungnahme vom 27.01.2025 und wiederholte darin im Wesentlichen erneut seine Furcht vor dem verpflichtenden Wehrdienst, welcher durch die Machtübernahme nicht unbedingt obsolet wäre. Da noch nicht abschätzbar wäre, wie sich die Lage in Syrien entwickeln würde, fehle es aus Sicht des Beschwerdeführers an einer wesentlichen Entscheidungsgrundlage für den Asylantrag. Mit Note vom 28.04.2025 wurden dem Beschwerdeführer drei weitere zwischenzeitig veröffentliche Länderberichte zur Kenntnis gebracht. Von einer Stellungnahme hiezu machte der Beschwerdeführer keinen Gebrauch. Schließlich wurde dem Beschwerdeführer mit Note vom 09.05.2025 das aktualisierte Länderinformationsblatt vom 08.05.2025 übermittelt; von einer Äußerung hiezu nahm der Beschwerdeführer wiederum Abstand.
Die nunmehr getroffenen Feststellungen zur politischen Lage und zu den Machtverhältnissen in Syrien gründen sich demnach im Wesentlichen auf das aktuelle Länderinformationsblatt der Staatendokumentation des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl sowie auf die Einsichtnahme in die allgemein zugängliche Datenbank „https://syria.liveuamap.com/“. Zum Zweck einer einheitlichen Darstellung wurden die einschlägigen Inhalte des Länderinformationsblattes der Staatendokumentation um den Inhalt spezifischerer Länderberichte – insbesondere betreffend die Sicherheits- und Rekrutierungssituation in den von der syrischen Übergangsregierung kontrollierten Gebieten – bzw. aktuellerer Länderberichte erweitert. An dieser Stelle ist darauf hinzuweisen, dass eine nähere Auseinandersetzung mit den die Sicherheits- und Rekrutierungssituation im Herkunftsgebiet des Beschwerdeführers betreffenden Quellen anhand seines Profils im Rahmen der untenstehenden Beweiswürdigung erfolgt.
Die zum Wehrdienst und zur Rekrutierungspraxis der vormals syrischen Streitkräfte sowie der nunmehrigen Übergangsregierung getroffenen Feststellungen ergeben sich aus dem Länderinformationsblatt, aber insbesondere auch aus den entsprechenden Anfragebeantwortungen der Staatendokumentation sowie von ACCORD, dem ACCORD-Themendossier zum Wehrdienst in Syrien vom 23.09.2024 in Kombination mit den Berichten des Danish Immigration Service betreffend „Syria-Military Service: recruitment procedure, conscripts‘ duties and military service for naturalised Ajanibs“ vom Juli 2023, betreffend „Syria Military Service“ vom Jänner 2024. Die jeweils im Einzelfall herangezogene Quelle wurde in den Feststellungen ersichtlich gemacht, die Quellen zeigen insgesamt ein übereinstimmendes Gesamtbild und ermöglichen damit zweifelsfreie Feststellungen zur Situation vor Ort.
Die Feststellungen zur allgemeinen Menschenrechtslage in Syrien gründen ebenso auf das aktuelle Länderinformationsblatt vom 08.05.2025 sowie auf die entsprechenden Anfragebeantwortungen der Staatendokumentation sowie von ACCORD in Kombination mit der unter 2.1. bereits angeführten periodischen Lageberichterstattung und dem zuletzt ergangenen Bericht des Auswärtigen Amtes über die Lage in der Arabischen Republik Syrien vom 30.05.2025 und dem EUAA Country Guidance zu Syrien aus Juni 2025.
Dem eingeholten Strafregisterauszug zufolge ist der Beschwerdeführer unbescholten.
2.5. Das Asylverfahren bietet nur beschränkte Möglichkeiten, Sachverhalte, die sich im Herkunftsstaat des Asylwerbers ereignet haben sollen, vor Ort zu verifizieren. Hat der Asylwerber keine anderen Beweismittel, so bleibt ihm lediglich seine Aussage gegenüber den Asylbehörden, um das Schutzbegehren zu rechtfertigen. Dem Vorbringen des Asylwerbers kommt somit zentrale Bedeutung zu. § 18 Abs. 1 AsylG 2005 sieht dementsprechend vor, dass in allen Stadien des Verfahrens von Amts wegen darauf hinzuwirken ist, dass die für die Entscheidung erheblichen Angaben gemacht oder lückenhafte Angaben über die zur Begründung des Antrages geltend gemachten Umstände vervollständigt, die Beweismittel für diese Angaben bezeichnet oder die angebotenen Beweismittel ergänzt und überhaupt alle Aufschlüsse gegeben werden, welche zur Begründung des Antrages notwendig erscheinen. Diese Pflicht bedeutet aber nicht, ohne Vorbringen oder ohne sich aus den Angaben ergebende Anhaltspunkte jegliche nur denkbaren Lebenssachverhalte ergründen zu müssen (VwGH 03.07.2020, Ra 2019/14/0608 mwN).
Zunächst hat der Asylwerber im Rahmen seiner Mitwirkungspflicht nach § 15 Abs. 1 Z. 1 AsylG 2005 alle zur Begründung des Antrags erforderlichen Anhaltspunkte über Nachfrage und allenfalls durch entsprechende Bescheinigungsmittel untermauert wahrheitsgemäß darzulegen (VwGH 27.05.2019, Ra 2019/14/0153; 15.03.2016, Ra 2015/01/0069). Im Rahmen der Beurteilung der Glaubwürdigkeit des Vorbringens eines Asylwerbers ist gemäß § 18 Abs. 3 AsylG 2005 auf dessen Mitwirkung im Verfahren Bedacht zu nehmen. Art. 4 Abs. 1 der Richtlinie 2011/95/EU vom 13.12.2011 sieht ferner vor, dass es die Mitgliedstaaten es als Pflicht des Antragstellers betrachten können, so schnell wie möglich alle zur Begründung des Antrags auf internationalen Schutz erforderlichen Anhaltspunkte darzulegen. Im Fall fehlender Beweismittel bedürfen Aussagen gemäß Art. 4 Abs. 5 der Richtlinie 2011/95/EU dann keines Nachweises, wenn
a) der Antragsteller sich offenkundig bemüht hat, seinen Antrag zu begründen;
b) alle dem Antragsteller verfügbaren Anhaltspunkte vorliegen und eine hinreichende Erklärung für das Fehlen anderer relevanter Anhaltspunkte gegeben wurde;
c) festgestellt wurde, dass die Aussagen des Antragstellers kohärent und plausibel sind und zu den für seinen Fall relevanten, verfügbaren besonderen und allgemeinen Informationen nicht in Widerspruch stehen;
d) der Antragsteller internationalen Schutz zum frühestmöglichen Zeitpunkt beantragt hat, es sei denn, er kann gute Gründe dafür vorbringen, dass dies nicht möglich war; und
e) die generelle Glaubwürdigkeit des Antragstellers festgestellt worden ist.
Der Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) hat in seiner Rechtsprechung konkretisierend festgehalten, dass es erforderlich ist, dass der Antragsteller sein Vorbringen gebührend substantiiert (EuGH U 04.10.2018, Fathi gegen Predsedatel na Darzhavna agentsia za bezhantsite, C-56/17, mwN). Ein sich Beschwerdeverfahren steigerndes Vorbringen ist der Glaubwürdigkeit ebenso abträglich, wie Widersprüche und Ungereimtheiten oder ein mit den der Erfahrung entsprechenden Geschehnisabläufen oder mit den tatsächlichen Verhältnissen im Herkunftsstaat nicht vereinbares Vorbringen (VwGH 06.03.1996, Zl. 95/20/0650; 21.06.1994, Zl. 94/20/0102).
2.6. Unter Berücksichtigung der angeführten Rechtsprechung ist es dem Beschwerdeführer nicht gelungen, eine im Rückkehrfall mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit drohende individuelle Gefährdung glaubhaft darzulegen. Im Einzelnen:
Der Beschwerdeführer begründete seinen Antrag auf internationalen Schutz mit der Furcht vor dem Krieg und dem Pflichtwehrdienst in Syrien. Im Falle der Rückkehr befürchte er die Einberufung zum Militärdienst.
In der fortgesetzten mündlichen Verhandlung vom 19.12.2024, welche der Erörterung einer allfälligen Verweigerung des Wehrdienstes in der Syrisch-Arabischen Armee zugrundeliegenden Motive und zwar vor dem Hintergrund des zwischenzeitigen Zusammenbruchs des Regimes diente, erwähnte der Beschwerdeführer auf die Frage nach seinen Rückkehrbefürchtungen die unklare Sicherheitslage. Die Einberufung zum Wehrdienst stellte er selbst auf Grund seines Alters als unwahrscheinlich dar. Er würde gegebenenfalls sein Studium fortsetzen. Die Frage, ob er sich vor irgendwelchen Gruppierungen, die derzeit in seiner Herkunftsregion aktiv sind, fürchte, verneinte er ausdrücklich.
In der zuletzt eingebrachten Stellungnahme vom 27.01.2025 brachte der Beschwerdeführer vor, es fehle an einer wesentlichen Grundlage für die Entscheidung über den Asylantrag, da noch nicht abschätzbar wäre, wie sich die Lage in Syrien entwickeln würde. Es sei unklar, in welchem Ausmaß die HTS und eine neue Regierung Menschenrechtsverletzungen verübe und ob es wirksamen Rechtsschutz gegen Übergriffe geben würde. Der Wehrdienst an sich sei durch die Machtübernahme nicht unbedingt obsolet, es sei durchaus möglich und auch wahrscheinlich, dass es weiterhin eine Wehrpflicht in Syrien geben wird. Vor dem Hintergrund dieser Situation sei der Sachverhalt aktuell nicht entscheidungsreif.
Die Rückkehrbefürchtungen des Beschwerdeführers wurden seitens des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl mit dem angefochtenen Bescheid vom 29.02.2024 verworfen und festgestellt, dass der Beschwerdeführer im Fall einer Rückkehr in den Herkunftsstaat keine asylrelevante Verfolgung zu befürchten habe. Das Bundesverwaltungsgericht folgt nach sorgfältiger Berücksichtigung der veränderten Lage infolge des Sturzes des Assad-Regimes im Ergebnis der Einschätzung des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl.
2.6.1. Zum Ausreisemotiv der prekären und volatilen Sicherheitslage
Im Lichte der Aussagen des Beschwerdeführers sowie der allgemein bekannten Lage in Syrien ist glaubhaft, dass der Beschwerdeführer Syrien wegen des (Bürger-)Kriegszustands und der damit verbundenen prekären Sicherheitslage verließ. Insofern besteht allerdings kein Konnex zu einem Verfolgungsgrund im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention. Notsituationen wie bürgerkriegsähnliche Zustände und Kriege mit Nachbarstaaten reichen für eine Asylgewährung grundsätzlich nicht aus, da diese ein allgemeines Risiko für alle Bewohnerinnen und Bewohner eines Landes darstellen und nicht als individuelle Verfolgung gelten (statt aller VwGH 19.08.2022, Ra 2022/20/0043 mwN).
2.6.2. Zum Fluchtmotiv der Zwangsrekrutierung und der Menschenrechtsverletzungen durch die syrische Regierung
In Bezug auf die vorgebrachte Befürchtung, im Rückkehrfall zur Syrisch-Arabischen Armee zur Ableistung des Wehrdienstes eingezogen zu werden, geht das Bundesverwaltungsgericht nicht von der maßgeblichen Wahrscheinlichkeit des Eintrittes eines solchen Szenarios aus. Dem vom Beschwerdeführer vorgelegten Wehrdienstbuch ist zu entnehmen, dass er am 13.02.2011 zur Musterung bei der Einberufungssektion in al-Mayadin erschienen ist und sich einer medizinischen Untersuchung unterzogen hat, welche ihn im Ergebnis als wehrdiensttauglich klassifizierte. Weiters geht aus dem Wehrdienstbuch hervor, dass der Beschwerdeführer in der Folge zwei Aufschübe wegen Schulbildung erhielt, zuletzt wegen seines rechtswissenschaftlichen Studiums an der Universität Euphrat. Auffällig ist, dass bei der Bewilligung des ersten Aufschubs die erneute Einberufung für 02.05.2013 vermerkt wurde („Er ist geladen für die Einberufung am 02.05.2013.“), hingegen ist beim Aufschub wegen des Studiums ein solcher Vermerk nicht enthalten, vielmehr ist angeführt, dass der Beschwerdeführer in ein Amnestiedekret aufgenommen worden sei („Es wurde in das Amnestie(Gnade)-Dekret Nr. 22 von 2014 aufgenommen.“). Nach eingehender Prüfung der Länderberichte konnte ein solches Amnestiedekret Nr. 22 aus 2014 nicht aufgefunden werden. Es ist jedoch bekannt, dass der ehemalige Präsident Baschar al-Assad ab dem Jahre 2011 eine Reihe von Amnestiedekreten erließ, über deren genaue Inhalte und Umfang jedoch nur begrenzte Informationen vorliegen. Zwar ist die Wirksamkeit und Transparenz dieser Amnestien in den Länderberichten äußerst umstritten. Der Umstand jedoch, dass ein Amnestiedekret im Wehrdienstbuch erwähnt wird, ohne dass (wie beim ersten Aufschub) ein neues Einberufungsdatum genannt wird, deutet jedoch darauf hin, dass eine erneute Rekrutierung des Beschwerdeführers offensichtlich nicht vorgesehen war. Andernfalls wäre ein entsprechendes neues Einberufungsdatum wohl vermerkt worden. Der Beschwerdeführer hat zwar ein Einberufungsschreiben einer Militärbehörde in Albu Kamal vom 30.08.2014 vorgelegt, jedoch konnte dieses Schreiben das Bundesverwaltungsgericht nicht von einem entgegenstehenden Sachverhalt überzeugen. Insbesondere wirft es Zweifel auf, dass das Schreiben von einer anderen als der zuständigen Militärbehörde seines Wohnorts ausgestellt wurde. Darüber hinaus wurde das Schreiben noch innerhalb der Aufschubsfrist (welche erst am 15.03.2015 abgelaufen wäre) erstellt. Es erscheint ferner auffällig, dass im Einberufungsschreiben ein Einberufungsdatum (02.05.2015) genannt wird, welches jedoch im Wehrdienstbuch des Beschwerdeführers nicht verzeichnet ist. Zudem wird angeführt, der Beschwerdeführer habe das Schreiben unterzeichnet; dieser selbst gab jedoch mit keinem Wort an, an dem angegebenen Ort erschienen zu sein oder das Schreiben entgegen genommen zu haben. Vor dem Bundesamt verneinte er sogar ausdrücklich, bei der Militärbehörde vorstellig gewesen zu sein; der Brief sei ihm an seine Wohnadresse zugestellt worden. Hinzu kommt, dass der Beschwerdeführer sich eigenen Angaben zufolge bis Juli 2017 (also weit über das Ende des Studienaufschubs, welches im Wehrdienstbuch mit 15.03.2015 vermerkt wurde, hinaus) in seinem Herkunftsland aufgehalten hat und von keinen weiteren behördlichen Schritten seitens der syrischen Militärbehörde berichtete. Dies wäre unter der Annahme, er hätte am 02.05.2015 vor der Militärbehörde in al-Mayadin erscheinen müssen, äußerst ungewöhnlich. Erst im April 2022 (!), nachdem der Beschwerdeführer für kurze Zeit nach Syrien zurückgekehrt war, hätte er eigenen Angaben zufolge per Post eine schriftliche Ladung des „Sicherheitsdienstes“ erhalten. Auf die Frage des Bundesamtes, wie die Behörde von der Rückkehr des Beschwerdeführers nach Syrien Kenntnis erlangt habe, machte dieser nur unzureichend substantiierten Angaben. Er verwies lediglich allgemein auf eine Person, die er kontaktiert habe und welche mit dem Sicherheitsdienst kooperiere. Ferner behauptete er, dass eine Person aus dem Dorf Informationen über seinen Aufenthalt an den Sicherheitsdienst weitergeleitet habe. Die fehlende Konkretisierung und Substantiierung seiner Angaben lässt ernsthafte Zweifel an der Glaubhaftigkeit des von ihm behaupteten Sachverhalts aufkommen. Die bestehenden Zweifel werden weiter genährt durch die vor Gericht widersprüchlich abgegebenen Angaben des Beschwerdeführers. Er behauptete zunächst, die Einberufung nicht postalisch erhalten zu haben, sondern dass Beamte persönlich an seinem Wohnsitz erschienen seien. Er und sein Vater hätten sodann eine unbestimmte dritte Person mit der Regelung der Angelegenheit beauftragt, ohne dass diese Angaben vom Beschwerdeführer näher substanziiert wurden. Darüber hinaus gab er an, die Beamten seien ausschließlich wegen des Militärdienstes vor Ort gewesen. Auf die Nachfrage, weshalb er dennoch nicht abgeholt worden sei, verwies er ausweichend auf ein Amnestiedekret. Auf die weitergehende Frage, ob er diesem Amnestiedekret tatsächlich unterliege, wich er erneut aus und führte insoweit an, er werde auch wegen eines anderen, nicht konkret benannten Sachverhalts gesucht. Diese widersprüchlichen und unsubstantiierten Angaben des Beschwerdeführers mindern die Glaubwürdigkeit seiner Darstellung erheblich. Die vom Beschwerdeführer vorgebrachte Furcht vor dem Pflichtwehrdienst erscheint angesichts der tatsächlichen Umstände als wenig überzeugend. Trotz Erhalt eines angeblichen Einberufungsschreibens im August 2014, reiste er erst 2017 aus und im Jahr 2022 erneut nach Syrien ein, hielt sich dort viele Monate auf und verließ das Land erst im Oktober jenes Jahres – also erst mehrere Monate nach Erhalt einer weiteren angeblichen Einberufung im April. Dieses Verhalten steht in klarem Widerspruch zu seinem Glaubhaftmachungsinteresse und lässt ernsthafte Zweifel an der Glaubwürdigkeit seines Schutzbegehrens aufkommen. Auf die Frage, ob das zentrale Motiv seiner Rückkehr nach Syrien nicht die beabsichtigte Eheschließung gewesen sei, verneinte der Beschwerdeführer dies zwar, gab jedoch überraschenderweise an, einen Anwalt beauftragt zu haben, um die Angelegenheit mit den erforderlichen Unterlagen zu regeln. Dieses Verhalten steht in auffälligem Widerspruch zu seiner vorgebrachten Furcht vor einer Rückkehr. Zudem ist es bemerkenswert, dass der Beschwerdeführer nach eigenen Angaben die Ladung der Militärbehörde aus April 2022 zerrissen habe, um ein angeblich gefährliches Beweismittel zu vernichten. Weshalb er jedoch das Einberufungsschreiben aus dem Jahr 2014 nicht ebenso vernichtet habe, konnte er nicht überzeugend darlegen. Letztlich ist noch darauf zu verweisen, dass gerade in den letzten Jahren vor der militärischen Großoffensive der dschihadistischen Gruppe Hay’at Tahrir ash-Sham (HTS) das Assad-Regime die Grenzen einer auf Wehrpflichtigen basierenden Armee erkannte, insbesondere nach Jahren des Konflikts, und daher den Aufbau einer professionelleren Armee anstrebte, die auf Freiwilligendiensten basieren sollte. Zwischen Mitte 2023 und Mitte 2024 wurden mehrere Verwaltungsanordnungen erlassen. Dies markierte den Beginn eines umfassenderen Plans, der darauf abzielte, das syrische Militär in eine „professionelle, fortschrittliche, qualitative Armee“ umzuwandeln, wie es der Generaldirektor der Armee und Streitkräfte ausweislich der Länderinformationen formulierte.
In einer Gesamtwürdigung sämtlicher Beweisergebnisse gelangt das Bundesverwaltungsgericht schließlich zur Überzeugung, dass der Beschwerdeführer nach seiner Musterung die im Wehrdienstbuch vermerkten Aufschübe erhielt und in ein Amnestie(Gnade)-Dekret mit der Nr. 22 aus 2014 aufgenommen wurde. Mangels Darlegung eines glaubhaften entgegenstehenden Sachverhalts war weiters festzustellen, dass der Beschwerdeführer folglich den Wehrdienst in Syrien nicht ableistete und von keinen Rekrutierungsversuchen syrischer Militärbehörden betroffen war und auch nicht gegenüber dem syrischen Regime erklärte, den Wehrdienst zu verweigern. In Ermangelung eines substantiierten glaubwürdigen Vorbringens gelangt das Bundesverwaltungsgericht überdies zum Ergebnis, dass der Beschwerdeführer vor seiner Ausreise auch keiner von einem anderen Akteur ausgehenden individuellen Gefährdung und/oder drohenden (Zwangs-)Rekrutierung ausgesetzt war, was er schließlich selbst vor dem Bundesamt und vor dem Bundesverwaltungsgericht ausdrücklich verneinte.
Auch nach dem zwischenzeitigen Sturz des Assad-Regimes und der nunmehrigen Kontrolle der Herkunftsregion des Beschwerdeführers durch die neue syrische Übergangsregierung unter Präsident Ahmed ash-Shara kann das Bundesverwaltungsgericht keine Rückkehrgefährdung erkennen. Aus dem aktuellen Länderinformationsblatt geht eindeutig hervor, dass die Syrische Arabische Armee vom ehemaligen Präsidenten al-Assad noch vor seiner Flucht am 08.12.2024 per Befehl aufgelöst wurde und unter der Herrschaft des neuen Übergangspräsidenten ash-Shara nicht die Etablierung einer Wehrpflicht, sondern vielmehr die Gründung einer sogenannten „Freiwilligen-Armee“ beabsichtigt wäre; seither hätte es auch keine Berichte über Zwangsrekrutierungen gegeben. Im Hinblick auf die vorgebrachte Befürchtung, im Rückkehrfall zur Ableistung des Wehrdienstes durch die syrische Regierung eingezogen zu werden, geht das Bundesverwaltungsgericht somit nicht von der maßgeblichen Wahrscheinlichkeit des Eintrittes eines solchen Szenarios aus. Dies zumal die staatlichen Kasernen leer sind und der Wiederaufbau des syrischen Militärs ausweislich der Länderberichte noch Jahre dauern wird. Zwar wird in den Länderinformationen auf eine Ende Februar 2015 auf Facebook verbreitete Behauptung Bezug genommen, wonach die Allgemeine Sicherheit in Jableh, Banyas und Qardaha Checkpoints errichtet habe, um Personen mit Siedlungskarten festzunehmen. Die syrische Regierung hat jedoch die Durchführung von Rekrutierungskampagnen in den Provinzen Latakia und Tartus ausdrücklich dementiert und erneut betont, dass die Einberufung auf freiwilliger Basis erfolge. Da auch andere Quellen keine Berichte über Zwangsrekrutierungen enthalten, ist davon auszugehen, dass der Wahrheitsgehalt der auf Facebook verbreiteten Behauptung als gering einzustufen ist.
In der fortgesetzten mündlichen Verhandlung vom 19.12.2024, welche der Erörterung einer allfälligen Verweigerung des Wehrdienstes in der Syrisch-Arabischen Armee zugrundeliegenden Motive und zwar vor dem Hintergrund des zwischenzeitigen Zusammenbruchs des Regimes diente, erwähnte der Beschwerdeführer auf die Frage nach seinen Rückkehrbefürchtungen lediglich die unklare Sicherheitslage. Die Einberufung zum Wehrdienst stellte er selbst als unwahrscheinlich dar. Er führte dies zwar auf sein fortgeschrittenes Alter zurück. Dies bestätigt aber jedenfalls, dass der Militärdienst sogar vom Beschwerdeführer selbst nicht mehr als relevantes Fluchtmotiv in Betracht gezogen wird. Gefahren durch sonstige Akteure wurden vom Beschwerdeführer auf explizite Nachfrage hin ausdrücklich verneint.
In der Stellungnahme vom 27.01.2025 (OZ 23) brachte der Beschwerdeführer vor, der Wehrdienst sei durch die Machtübernahme nicht unbedingt obsolet, es sei durchaus möglich und auch wahrscheinlich, dass es weiterhin eine Wehrpflicht in Syrien geben wird. Dem sind jedoch die zwischenzeitlich verstrichene Zeitspanne sowie die aktuellen Erkenntnisse zur Lage vor Ort entgegenzuhalten. Das jüngst ergangene am 08.05.2025 aktualisierte Länderinformationsblatt macht deutlich, dass sich der neue Präsident gegen die Fortführung der Wehrpflicht entschieden hat. Zudem liegen keine Berichte von seriösen Quellen über Zwangsrekrutierungen vor. Dem Beschwerdeführer würde somit im Rückkehrfall in Zusammenhang mit der Wehrpflicht mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit keine Einberufung durch die neue syrische Übergangsregierung drohen.
In seiner Stellungnahme vom 27.01.2025 führt der Beschwerdeführer als Fluchtmotiv auch die Unsicherheit an, ob und in welchem Ausmaß die HTS und eine neue Regierung Menschenrechtsverletzungen verübe und ob es wirksamen Rechtsschutz gegen Übergriffe geben würde. Dem Beschwerdeführer ist insofern zuzustimmen, als ausweislich der Länderinformationen nicht-staatlich bewaffnete Gruppierungen in Syrien, darunter Hay'at Tahrir ash-Sham (HTS), die am 27.11.2024 die Offensive starteten, die nach zwölf Tagen die syrische Regierung stürzte, im Jahr 2024 für Menschenrechtsverletzungen und Kriegsverbrechen verantwortlich waren. Die HTS wurde jedoch zwischenzeitig aufgelöst. Den Länderinformationen ist zu entnehmen, dass die Übergangsregierung unter Präsident ash-Shara sich darauf fokussiere, Sicherheitskräfte des ehemaligen Regimes aufzulösen und Personen, die an der Folterung oder Tötung von Gefangenen beteiligt waren, zur Strecke zu bringen. Es erfolgt ein Prozess der gezielten Verfolgung von Männern, die in den Streitkräften des Regimes gedient haben. Einsatzleitung und die Sicherheitskräfte des neuen Regimes verhaften ehemalige Mitglieder des Assad-Regimes, darunter auch diejenigen, die ihren Status nicht legalisiert hatten, und diejenigen, die der Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit verdächtigt wurden.
Der Prozess der gezielten Verfolgung von Männern, die im Militärdienst des Regimes standen, gestaltet sich nach den vorliegenden Länderberichten äußerst intransparent und weist Praktiken auf, die unter dem Gesichtspunkt der Art. 2 und 3 EMRK als bedenklich zu bewerten sind. Es wird von sektiererischer Angriffen, Entführungen, Tötungen, schweren Misshandlungen in Haft sowie Beschlagnahmungen von Eigentum und Zwangsräumungen von Familien aus staatlichen Wohnungen berichtet. Es kursieren immer wieder Berichte von festgenommenen Männern, von denen sich nachträglich herausstellte, dass sie doch nicht an Verbrechen gegen Syrer beteiligt gewesen waren. Es sollen auch Zivilisten getötet worden sein, die weder an den Kämpfen beteiligt waren noch mit dem Regime in Verbindung standen. Die meisten der von Regierungstruppen getöteten Zivilisten waren zwar Alawiten. Unter den getöteten Aufständischen des ehemaligen Regimes dürften sich jedoch auch Sunniten und Christen befunden haben. Verschärft wird die Lage durch den Umstand, dass es hinsichtlich ehemaliger Kriegsverbrecher und Personen, die Verstöße gegen die Zivilbevölkerung vorgenommen haben, keine offiziellen Listen gibt. Es kursieren seit dem Sturz des Regimes Dutzende von inoffiziellen Listen mit den Namen und Fotos zahlreicher gesuchter Personen (etwa der Untersuchungskommission der UN, Organisation „For Justice“, aber auch in sozialen Medien). Es wurden jedoch seit 08.12.2024 eine Reihe von Personen verhaftet, denen Verbrechen vorgeworfen werden, die allerdings nicht auf den Listen stehen und die Regierung weigert sich, einem transparenten Rechtsverfahren zu folgen, das Opfer eindeutig identifiziert und Täter vor Gericht stellt. Im Allgemeinen richten sich die Übergriffe der Sicherheitskräfte gegen Männer, von denen angenommen wird, dass sie Verbrechen begangen haben (unabhängig davon, ob dies bewiesen ist oder nicht). In einer Gesamtschau kann auf Grund der intransparenten Rechtsverfolgung eine Gefährdung des Beschwerdeführers infolge der von der neuen Übergangsregierung praktizierten „Sicherheitsoperationen“ nicht gänzlich ausgeschlossen werden.
Nichts desto trotz erachtet das Bundesverwaltungsgericht eine solche Gefährdung in Ansehung des Beschwerdeführers als eher unwahrscheinlich. Der Beschwerdeführer hatte bis auf seine Musterung im Jahr 2011 überhaupt keine Berührungspunkte mit einer syrischen Militärbehörde. Er leistete keinen Militärdienst ab und war auch sonst von keinen Rekrutierungsversuchen des ehemaligen syrischen Regimes betroffen. In einer Gesamtwürdigung geht das Bundesverwaltungsgericht mangels glaubhafter Darlegung eines entgegenstehenden Sachverhaltes davon aus, dass der Beschwerdeführer daher nicht Gefahr laufen sollte, von der vom Übergangspräsidenten ash-Shara praktizierten gezielten Verfolgung von Männern, die in den Streitkräften des Regimes gedient haben, betroffen zu sein. Diese Umstände könnte der Beschwerdeführer im Falle seiner Rückkehr nach Syrien gegenüber der Übergangsregierung durch Vorlage seines Wehrdienstbuches, woraus der zweimalige Aufschub des Militärdienstes sowie die Aufnahme in das Amnestiedekret ersichtlich sind, untermauern.
2.6.3. Zur vorgebrachten Gefährdung wegen seiner illegalen Ausreise und seiner Asylantragstellung in Österreich
Aus den getroffenen Feststellungen zur Lage in Syrien seit dem Sturz des Assad-Regimes ergibt sich nicht, dass ein Rückkehrer, der unrechtmäßig ausgereist ist und der im Ausland einen Asylantrag gestellt hat, per se einer besonderen Gefahr im Gebiet der neuen Übergangsregierung ausgesetzt wäre. Zudem ist die Antragstellung den syrischen Behörden nicht bekannt, Datenübermittlungen an den Herkunftsstaat des Asylwerbers sind unzulässig. Der Beschwerdeführer hat sich in Österreich wie auch vor der Ausreise in Syrien nicht (exil-)politisch oder in andere Weise exponiert und es besteht in einer Gesamtbetrachtung kein Grund zur Annahme, dass seine unrechtmäßige Ausreise aus Syrien in den Libanon im Jahr 2017, der erneute illegale Grenzübertritt im Oktober 2022 sowie sein Aufenthalt in Europa der syrischen Übergangsregierung überhaupt bekannt sind. Darüber hinaus ergaben sich keine Anhaltspunkte dafür, dass der Beschwerdeführer in seinem Herkunftsstaat vor der Ausreise in den Fokus der syrischen Regierung gerückt sein könnte. Er führte keine politischen Aktivitäten oder allfällige Schwierigkeiten mit der Polizei, Gerichten oder den syrischen Behörden an. Ein im Rückkehrfall drohender Eingriff in das Leben oder die psychische und/oder physische Unversehrtheit des Beschwerdeführers allein aufgrund seiner Ausreise und der Asylantragstellung im Ausland ist folglich nicht zu erwarten.
2.6.4. Zur vorgebrachten Gefährdung wegen seiner Teilnahme an Demonstrationen in Syrien
Der Beschwerdeführer gab vor dem Bundesamt unsubstantiiert und eher beiläufig an, dass er in Syrien an „Demos“ teilgenommen hätte. Er verneinte allerdings Probleme mit den syrischen Behörden. In der mündlichen Verhandlung vom 15.07.2024 wurde der Beschwerdeführer zu seiner Demonstrationsteilnahme im Detail befragt (wann, wo, gegen wen und was wurde demonstriert). Die Angaben des Beschwerdeführers erreichten wiederum keine inhaltliche Tiefe. Er meinte lapidar, dies müsste zu Anfangszeiten des Krieges drei- bis viermal gewesen sein. Auf wiederholte Nachfrage konnten auch die ergänzenden Schilderungen des Beschwerdeführers keine substanzielle Konkretisierung erreichen; er beschränkte sich darauf, allgemein anzugeben, gegen den Krieg demonstriert zu haben. Die Darlegungen des Beschwerdeführers ließen nicht erkennen, dass der Beschwerdeführer eine regimekritische oppositionelle Haltung verinnerlicht hat und er aus diesem Grund an Protesten gegen das syrische Regime teilnahm. Ebenso wenig trat zutage, dass es ihm ein einer inneren Überzeugung entspringendes Bedürfnis wäre, eine bestimmte politische Gesinnung öffentlich kundzutun und/oder diese zu verbreiten. Der Beschwerdeführer führte bloß oberflächlich aus, dass sie gegen das Regime demonstriert hätten. Sollte es dem Beschwerdeführer tatsächlich ein besonderes Anliegen gewesen sein, als politischer Aktivist auf die Missstände in Syrien aufmerksam zu machen, wäre zu erwarten gewesen, dass er zu seinen Beweggründen, zum Verlauf der Proteste und zur Zusammensetzung der Protestbewegung in seiner Herkunftsregion ausführlich Stellung nimmt. Dem Vorbringen des Beschwerdeführers war nicht zu entnehmen, dass er eine besonders exponierte Stellung bei den angeblichen Protestmärschen eingenommen habe und dadurch ins Blickfeld des syrischen Regimes geraten sei. Dass er beispielsweise Reden gehalten oder sich auf eine andere Art und Weise intensiver engagiert hätte, legte er nicht dar. Hinsichtlich seiner Teilnahme an Demonstrationen machte der Beschwerdeführer keine nennenswerten Probleme oder Konsequenzen geltend. Er gab lediglich unkonkret an, von einer militärischen Stelle vorgeladen, befragt und anschließend wieder entlassen worden zu sein. Aus diesem Grund ist es für das erkennende Gericht auch nicht nachvollziehbar, wieso der Beschwerdeführer wegen der angeblichen Teilnahme an den Demonstrationen in den Fokus der Sicherheitsbehörden gerückt wäre. Zudem ist nicht ersichtlich, weshalb der Beschwerdeführer nun seit der militärischen Großoffensive der dschihadistischen Gruppe Hay’at Tahrir ash-Sham (HTS) und dem Sturz des Assad-Regimes unter der Kontrolle durch die neue syrische Übergangsregierung Repressionen zu befürchten hätte, zumal die neue syrische Regierung sich erklärtermaßen gegen Anhänger des früheren Regimes richtet und nicht gegen dessen Gegner, zu denen der Beschwerdeführer aufgrund seiner Teilnahme an regierungskritischen Demonstrationen zu zählen wäre.
Angesichts der dargelegten Umstände kann die behauptete Teilnahme an regierungskritischen Demonstrationen in Syrien nicht als tragfähiges Fluchtmotiv gewertet werden.
3. Rechtliche Beurteilung:
Zu A) Nichtzuerkennung des Status des Asylberechtigten:
3.1. Gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 ist einem Fremden, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, soweit dieser Antrag nicht bereits gemäß §§ 4, 4a oder 5 AsylG 2005 zurückzuweisen ist, der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft ist, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z. 2 der Konvention über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, BGBl. Nr. 55/1955, idF des Protokolls über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, BGBl. Nr. 78/1974 (Genfer Flüchtlingskonvention), droht.
§ 2 Abs. 1 Z. 11 AsylG 2005 umschreibt Verfolgung als jede Verfolgungshandlung im Sinne des Art. 9 der Richtlinie 2011/95/EU vom 13.12.2011, worunter – unter anderem – Handlungen fallen, die aufgrund ihrer Art oder Wiederholung so gravierend sind, dass sie eine schwerwiegende Verletzung der grundlegenden Menschenrechte darstellen, insbesondere der Rechte, von denen gemäß Art. 15 Abs. 2 EMRK keine Abweichung zulässig ist.
Als Flüchtling im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z. 2 der Genfer Flüchtlingskonvention ist anzusehen, wer sich aus wohlbegründeter Furcht, aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung verfolgt zu werden, außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen; oder wer staatenlos ist, sich infolge obiger Umstände außerhalb des Landes seines gewöhnlichen Aufenthaltes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, in dieses Land zurückzukehren.
Zentrales Element des Flüchtlingsbegriffes ist nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs die wohlbegründete Furcht vor Verfolgung. Eine Furcht kann nur dann wohlbegründet sein, wenn sie im Licht der speziellen Situation des Asylwerbers unter Berücksichtigung der Verhältnisse im Verfolgerstaat objektiv nachvollziehbar ist. Es kommt nicht darauf an, ob sich eine bestimmte Person in einer konkreten Situation tatsächlich fürchtet, sondern ob sich eine mit Vernunft begabte Person in dieser Situation aus Konventionsgründen fürchten würde. Unter Verfolgung ist ein ungerechtfertigter Eingriff von erheblicher Intensität in die zu schützende persönliche Sphäre des Einzelnen zu verstehen. Eine Verfolgungsgefahr ist anzunehmen, wenn eine Verfolgung mit einer maßgeblichen Wahrscheinlichkeit droht; die entfernte Möglichkeit einer Verfolgung genügt nicht.
3.2. Die im Verfahren behauptete Furcht des Beschwerdeführers, in Syrien mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit aus den in der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Gründen verfolgt zu werden, ist nicht begründet. Das Bundesverwaltungsgericht gelangte aus den oben im Rahmen der Beweiswürdigung ausführlich erörterten Gründen zur Überzeugung, dass der Beschwerdeführer keiner individuellen Gefährdung oder psychischen und/oder physischen Gewalt durch staatliche oder nichtstaatliche Akteure im Herkunftsstaat ausgesetzt war und er im Fall der Rückkehr dorthin auch keiner mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit eintretenden individuellen Gefährdung oder psychischen und/oder physischen Gewalt ausgesetzt wäre.
Die (bloße) Furcht vor der Ableistung des Militärdienstes bzw. der bei seiner Verweigerung drohenden Bestrafung stellt nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes im Allgemeinen keine asylrechtlich relevante Verfolgung dar, sondern könnte nur das Vorliegen eines Konventionsgrundes Asyl rechtfertigen (VwGH 04.07.2023, Ra 2023/18/0108). Wie der Verwaltungsgerichtshof zur möglichen Asylrelevanz von Wehrdienstverweigerung näher ausgeführt hat, kann auch der Gefahr einer allen Wehrdienstverweigerern bzw. Deserteuren im Herkunftsstaat gleichermaßen drohenden Bestrafung asylrechtliche Bedeutung zukommen, wenn das Verhalten des Betroffenen auf politischen oder religiösen Überzeugungen beruht oder dem Betroffenen wegen dieses Verhaltens vom Staat eine oppositionelle Gesinnung unterstellt wird und den Sanktionen – wie etwa der Anwendung von Folter – jede Verhältnismäßigkeit fehlt. Unter dem Gesichtspunkt des Zwanges zu völkerrechtswidrigen Militäraktionen kann auch eine bloße Gefängnisstrafe asylrelevante Verfolgung sein (statt aller VwGH 21.05.2021, Ro 2020/19/0001 mwN).
Der Hochkommissar der Vereinten Nationen für Flüchtlinge vertrat in seinen Erwägungen vom März 2021 zum Schutzbedarf von Personen, die aus der Arabischen Republik Syrien fliehen, die Auffassung, dass Personen, die sich dem Pflichtwehrdienst oder dem Reservewehrdienst aus Gewissensgründen entzogen haben („conscientious objection“), wahrscheinlich internationalen Flüchtlingsschutz benötigen, je nach den Umständen des Einzelfalls auf der Grundlage einer begründeten Furcht vor Verfolgung wegen ihrer tatsächlichen oder vermeintlichen politischen Meinung und/oder ihrer Religion. Angesichts der Berichte über schwere Verstöße der Regierungstruppen des ehemaligen syrischen Regimes gegen internationale Menschenrechte, das humanitäre Völkerrecht und das Völkerstrafrecht in Verbindung mit dem Umstand, dass individuelle Rekruten und Reservisten grundsätzlich keinen Einfluss auf ihre Funktion innerhalb der Streitkräfte (einschließlich des Gebiets, in dem sie eingesetzt werden, und der Art der Aufgaben, die ihnen zugewiesen werden) nehmen konnten, war der UNHCR der Auffassung, dass bei einer Einberufung zu den Streitkräften die Wahrscheinlichkeit bestand, an Aktivitäten teilnehmen zu müssen, die Verstöße gegen das humanitäre Völkerrecht, das Völkerstrafrecht und/oder internationale Menschenrechte darstellen. Entsprechend meinte der UNHCR – bezogen auf die Lage in Syrien vor dem Sturz des Assad-Regimes - dass Personen, die sich dem Pflichtwehrdienst oder dem Reservewehrdienst entzogen haben, da sie mit den Mitteln und Methoden der Kriegsführung der Regierungstruppen nicht einverstanden waren, wahrscheinlich internationalen Flüchtlingsschutz benötigen würden, je nach den Umständen des Einzelfalls auf der Grundlage einer begründeten Furcht vor Verfolgung wegen ihrer tatsächlichen oder vermeintlichen politischen Meinung und/oder ihrer Religion.
Die EUAA definiert nun in ihrem Country Guidance vom Juni 2025 auf Grund der veränderten Lage seit dem Sturz des Assad-Regimes aktualisierte länderspezifische Analysen und Leitlinien. Sie werden von der EUAA gemeinsam mit einem Netzwerk hochrangiger politischer Vertreter aus EU-Ländern entwickelt und stellen deren gemeinsame Einschätzung der Situation in den wichtigsten Herkunftsländern dar, in Übereinstimmung mit der geltenden EU-Gesetzgebung und der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union (EuGH). Auch die Europäische Kommission und der UNHCR leisten wertvolle Beiträge zu diesem Prozess. Aus Sicht der EUAA dürften die veränderten Umstände in Syrien die von einigen Antragstellern geltend gemachte Angst vor oder das Risiko einer Verfolgung oder eines schweren Schadens durch das ehemalige Regime deutlich verringert haben. Allerdings sollten nicht alle Anträge, die vor dem Sturz des ehemaligen Regimes gestellt wurden, als gegenstandslos betrachtet werden, insbesondere in Fällen, in denen zusätzliche oder andere Akteure der Verfolgung oder des schweren Schadens beteiligt waren. In solchen Fällen könnte das Risiko von Verfolgung oder schwerem Schaden fortbestehen, sich verringert oder erhöht haben. Darüber hinaus könnte die Situation im Syrien nach Assad zu neuen oder erneuten Risiken der Verfolgung oder ernsthaften Schädigung führen.
Die Leitlinien der EUAA definieren häufig vorkommende Profile von Antragstellern auf internationalen Schutz, die wahrscheinlich nicht für den Flüchtlingsstatus in Frage kommen:
(Ehemalige) Mitglieder bewaffneter Anti-Assad-Gruppen, die nun in das neue syrische Militär integriert sind
Wehrdienstverweigerer
Deserteure und Überläufer der syrischen Streitkräfte des Assad-Regimes
Hingegen haben folgende Personen mit hoher Wahrscheinlichkeit Anspruch auf Flüchtlingsstatus:
Journalisten, andere Medienschaffende und Menschenrechtsaktivisten, die von den Syrischen Demokratischen Kräften (SDF), der Syrischen Nationalarmee (SNA) und/oder dem Islamischen Staat im Irak und der Levante (ISIL) als kritisch angesehen werden, in den Gebieten, in denen diese Gruppen operativ tätig sind.
Personen mit mutmaßlichen Verbindungen zum ISIL und deren Familienangehörige
Kurden aus Gebieten unter der Kontrolle der SNA
Mitglieder und Personen, die mutmaßlich mit den SDF/YPG kollaborieren, in Gebieten, in denen die SNA operiert
Personen mit unterschiedlichen SOGIESC-Identitäten (auch LGBTIQ-Personen genannt)
Das Kapitel zum Flüchtlingsstatus unterscheidet zudem zwischen drei Kategorien von Profilen:
Profile, bei denen das Assad-Regime als alleiniger Verfolger angesehen wurde
Profile, bei denen das Risiko einer Verfolgung durch mehrere Akteure (einschließlich des Assad-Regimes) besteht
Profile, bei denen das Risiko einer Verfolgung durch andere Akteure als das Assad-Regime besteht (bei denen das Assad-Regime nicht als Verfolger angesehen wurde)
Angesichts der sich entwickelnden politischen Lage in Syrien können bestimmte Elemente für die Beurteilung des Bedarfs an internationalem Schutz besonders relevant sein und sollten daher berücksichtigt werden. Beispielsweise sollten die politische Meinung des Antragstellers sowie jegliches Verhalten, das als Verstoß gegen islamische Normen oder Gesetze wahrgenommen wird, gebührend berücksichtigt werden.
In diesem Fall ist der Abschnitt relevant, der sich mit der Situation von Personen befasst, deren einziger Verfolger das Assad-Regime war.
(Ehemalige) Mitglieder bewaffneter Anti-Assad-Gruppen, die nun in das neue syrische Militär integriert sind, hätten grundsätzlich keine begründete Angst vor Verfolgung durch die Übergangsverwaltung. Da die Übergangsverwaltung (ehemalige) Mitglieder bewaffneter Anti-Assad-Gruppen, die nicht in das neue syrische Militär integriert sind, gezielt angehen könnte, sollte die individuelle Beurteilung, ob eine hinreichende Wahrscheinlichkeit einer Verfolgung des Antragstellers besteht, im Einzelfall erfolgen und die aktuellsten Herkunftsländerinformationen berücksichtigen. Wird für einen Antragsteller mit diesem Profil eine begründete Furcht vor Verfolgung nachgewiesen, so ist dies höchstwahrscheinlich auf eine (unterstellte) politische Überzeugung zurückzuführen. Einige politische Aktivisten und Demonstranten, abhängig von den Themen, für die sie sich einsetzen, könnten von der Übergangsregierung und/oder anderen Akteuren wie den SDF als kritisch angesehen werden.
Bei Wehrdienstverweigerern gilt Folgendes: Die Übergangsregierung hat die Wehrpflicht außer in Notfällen abgeschafft. Die syrische Armee soll zu einer Freiwilligenarmee werden, an der die Bevölkerung teilnehmen soll, um die Landesgrenzen zu sichern. Im Falle eines nationalen Notstands ist jedoch eine mögliche Wehrpflichtkampagne möglich. Obwohl keine Quellen über die Wehrpflicht der Übergangsregierung berichteten, ist anzumerken, dass die Wehrpflicht selbst, ein legitimes Recht eines Staates, im Allgemeinen nicht den Anforderungen an den Flüchtlingsstatus entspricht. Wehrdienstverweigerer haben in der Regel keine begründete Furcht vor Verfolgung. Dasselbe gilt für Deserteure und Überläufer aus den syrischen Streitkräften des Assad-Regimes.
3.3. Wie bereits unter Punkt 2.6.1. beweiswürdigend dargelegt, begründet das vom Beschwerdeführer glaubhaft vermittelte Ausreisemotiv der prekären und volatilen Sicherheitslage keinen Konnex zu einem Verfolgungsgrund der Genfer Flüchtlingskonvention, da solche Notsituationen wie bürgerkriegsähnliche Zustände und Kriege mit Nachbarstaaten ein allgemeines Risiko für alle Bewohnerinnen und Bewohner eines Landes darstellen und nicht als individuelle Verfolgung gelten (statt aller VwGH 19.08.2022, Ra 2022/20/0043 mwN).
Bezüglich des vorgebrachten Fluchtmotivs in Zusammenhang mit dem Pflichtwehrdienst in Syrien wurde bereits unter Punkt 2.6.2. ausführlich erörtert, dass der Beschwerdeführer im Falle seiner Rückkehr nach Syrien in seine Herkunftsregion nicht mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit einer (Zwangs-)Rekrutierung unterliegt. Die Syrische Arabische Armee wurde vom ehemaligen Präsidenten al-Assad noch vor seiner Flucht am 08.12.2024 per Befehl aufgelöst und unter der Herrschaft des neuen Übergangspräsidenten ash-Shara ist nicht die Etablierung einer Wehrpflicht, sondern vielmehr die Gründung einer sogenannten „Freiwilligen-Armee“ beabsichtigt. Seither gab es auch keine Zwangsrekrutierungen mehr. Dem Beschwerdeführer droht somit nicht mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit die Einziehung zum Wehrdienst und auch keiner damit zusammenhängenden Bestrafung im Fall der Entziehung vom bzw. Verweigerung des Militärdienstes, sodass sich das Risiko einer unverhältnismäßigen Bestrafung nicht manifestieren wird. Hinweise auf eine anderweitige, mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit eintretende individuelle Gefährdung des Beschwerdeführers im Rückkehrfall aus einem in der Genfer Flüchtlingskonvention angeführten Grund kamen im Verfahren nicht hervor. Aus diesem Grund erübrigen sich auch Überlegungen zur Frage der Erreichbarkeit der Herkunftsregion.
Diese Schlussfolgerungen stehen im Einklang mit den unter Punkt 3.1. zitierten Leitlinien der EUAA, wonach Wehrdienstverweigerer seit dem Sturz des Assad-Regimes in der Regel keine begründete Furcht vor Verfolgung aufweisen, zumal eben die Übergangsregierung die Wehrpflicht außer in Notfällen abgeschafft hat. Darüber hinaus wäre die Wehrpflicht selbst grundsätzlich ein legitimes Recht jeden Staates und würde per se keinen Flüchtlingsstatus begründen.
Der Beschwerdeführer hat sich auch weder in Österreich noch in Syrien (exil-)politisch oder in andere Weise exponiert, er schilderte keine politischen Aktivitäten oder allfällige Schwierigkeiten mit der Polizei, Gerichten oder den syrischen Behörden. Er leistete keinen Wehrdienst für die Syrische Arabische Armee. Der Beschwerdeführer hat ausschließlich an regimekritischen Demonstrationen teilgenommen. Dabei ist er nicht durch das Halten von Reden oder vergleichbare Handlungen besonders aufgefallen. Es ist somit nicht anzunehmen, dass er durch die neue Übergangsregierung repressiven Maßnahmen ausgesetzt sein wird. Demzufolge ist nicht anzunehmen, dass er in den Fokus der neuen syrischen Übergangsregierung gerückt sein könnte, insbesondere ist nicht davon auszugehen, dass er dadurch von der vom Übergangspräsidenten ash-Shara praktizierten gezielten Verfolgung von Männern, die in den Streitkräften des Regimes gedient haben, betroffen sein wird. Es kam auch kein Verhalten des Beschwerdeführers hervor, das als Verstoß gegen islamische Normen oder Gesetze wahrgenommen werden könnte.
Ein im Rückkehrfall drohender Eingriff in das Leben oder die psychische und/oder physische Unversehrtheit des Beschwerdeführers allein aufgrund seiner Ausreise und der Asylantragstellung im Ausland ist ebenso nicht zu erwarten.
Die erforderliche Einzelfallprüfung ergab im vorliegenden Fall, dass der Beschwerdeführer nicht unter die Risikoprofile der EUAA fällt.
Zu B) Unzulässigkeit der Revision:
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.
Darüber hinaus ist das Schwergewicht im vorliegenden Fall im Bereich der Tatsachenfragen anzusiedeln. Die in Bezug auf einen Antrag auf internationalen Schutz vom Bundesverwaltungsgericht im Einzelfall vorzunehmende Beweiswürdigung ist nicht revisibel (statt aller VwGH 30.08.2018, Ra 2018/21/0149 mwN).