Spruch
W227 2289287-1/13E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin Mag. Karin WINTER über die Beschwerde des syrischen Staatsangehörigen XXXX , geboren am XXXX gegen Spruchpunkt I. des Bescheides des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (BFA) vom 29. Jänner 2024, Zl. 1326517606/223052070, nach einer mündlichen Verhandlung am 27. Juni 2025, zu Recht:
A)
Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
B)
Die Revision ist nicht zulässig.
Text
Entscheidungsgründe:
I. Verfahrensgang
1. Der Beschwerdeführer, ein syrischer Staatsangehöriger sunnitisch-muslimischen Glaubens und Angehöriger der kurdischen Volksgruppe, stellte am 28. September 2022 einen Antrag auf internationalen Schutz. Bei seiner Erstbefragung am selben Tag brachte er zu seinen Fluchtgründen befragt vor, Syrien aufgrund des verpflichtenden Wehrdienstes und aus Angst vor dem Krieg verlassen zu haben.
2. Im Rahmen seiner niederschriftlichen Einvernahme vor der belangten Behörde am 20. Oktober 2023 gab der Beschwerdeführer zusammengefasst an:
Er sei in der Stadt XXXX geboren. Mit vier Jahren habe er seinen Vater verloren. Der Beschwerdeführer habe die Schule etwa fünf Jahre unregelmäßig besucht, habe jedoch die Familie erhalten müssen. Im Jahr 2012 sei er mit seiner Familie aufgrund des Krieges von XXXX nach XXXX geflüchtet. Dort hätten sie zunächst in Zelten und dann in einer einfachen Unterkunft gelebt. Im Jahr 2015 habe der Beschwerdeführer XXXX wegen des „Islamischen Staates“ (IS) wieder verlassen müssen. Er sei in die Türkei geflüchtet, dort jedoch aufgrund seiner Volksgruppenzugehörigkeit und der Tatsache, dass er nicht nach Syrien zurückkehren wollte, für drei Jahre und acht Monate inhaftiert worden. Er selbst sei nie politisch tätig gewesen. In Aleppo seien seine Familie und er aufgrund ihrer Volksgruppe bedroht worden. Er befürchte eine zwangsweise Eiziehung in die syrische Armee.
Im Juli 2021 habe er seine Ehefrau in der Türkei geheiratet. Auch seien sie Eltern einer gemeinsamen Tochter. Die Familie des Beschwerdeführers lebe in der Türkei. Einer seiner Brüder lebe in Österreich.
3. Mit dem angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde den Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung von Asyl ab (Spruchpunkt I.), erkannte ihm den Status des subsidiär Schutzberechtigten zu (Spruchpunkt II.), und erteilte ihm eine auf ein Jahr befristete Aufenthaltsberechtigung (Spruchpunkt III.).
Begründend führte die belangte Behörde im Wesentlichen aus:
Dem Beschwerdeführer drohe keine asylrelevante Verfolgung. Zwar befinde er sich im wehrpflichtigen Alter, ihm drohe jedoch keine maßgebliche Gefahr einer Zwangsrekrutierung bei einer Rückkehr nach XXXX , da sich diese Region nicht unter der Kontrolle des Assad-Regimes befinde. Überdies habe der Beschwerdeführer keine Probleme mit der Freien Syrischen Armee (FSA) oder der Hay’at Tahrir al-Sham (HTS) gehabt.
4. Gegen Spruchpunkt I. dieses Bescheides erhob der Beschwerdeführer rechtzeitig die gegenständliche Beschwerde, in welcher er zusammengefasst vorbrachte:
Der Umzug nach XXXX sei kriegsbedingt und damit unfreiwillig erfolgt. Auch sei der Beschwerdeführer in der Stadt XXXX aufgewachsen und habe dort den Großteil seines Lebens verbracht. Er verweigere den Wehrdienst in der syrischen Armee aus Gewissensgründen. Daher drohe ihm eine exzessive Bestrafung und die Unterstellung einer oppositionellen Gesinnung.
5. Am 27. Juni 2025 fand eine mündliche Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht statt. Im Rahmen derer brachte der Beschwerdeführer neu vor, dass er aus der Islamischen Glaubensgemeinschaft in Österreich ausgetreten sei.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen
1.1. Zum Beschwerdeführer
Der am XXXX geborene Beschwerdeführer ist syrischer Staatsangehöriger, spricht Kurdisch sowie Arabisch und gehört der kurdischen Volksgruppe an. Er wurde in der Stadt XXXX geboren, flüchtete 2012 aufgrund des Bürgerkrieges gemeinsam mit seinen Eltern nach XXXX , wo er bis zu seiner erstmaligen Ausreise aus Syrien 2015 lebte. Zwischen 2015 und 2017 lebte der Beschwerdeführer in der Türkei, kehrte jedoch im Dezember 2017 aufgrund eines Todesfalls in der Familie wieder nach XXXX zurück. Zuletzt reiste der Beschwerdeführer Anfang 2018 aus Syrien aus. Die Stadt XXXX befindet sich derzeit überwiegend unter der Kontrolle der HTS bzw. der syrischen Übergangsregierung (siehe https://syria.liveuamap.com, abgerufen am 8. Juli 2025).
Im September 2022 reiste der Beschwerdeführer nach Österreich ein, wo er am 28. September 2022 den gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz stellte.
Die Mutter, die Geschwister, die Ehefrau und die Kinder des Beschwerdeführers leben in der Türkei. Einer seiner Brüder namens XXXX lebt in Österreich und hat den Status eines subsidiär Schutzberechtigten.
Der Beschwerdeführer ist strafgerichtlich unbescholten (siehe Strafregister).
1.2. Zum Fluchtvorbringen des Beschwerdeführers
Der Beschwerdeführer war nie politisch tätig und hat insbesondere keine verinnerlichte politisch-oppositionelle Gesinnung gegenüber den Syrian Democratic Forces (SDF) oder der HTS bzw. der syrischen Übergangsregierung.
Für den Beschwerdeführer besteht keine Gefährdung im Zusammenhang mit einer Einziehung in einen Wehrdienst durch die syrische Übergangsregierung. Sollte der Beschwerdeführer mit den SDF in Kontakt kommen und die „Selbstverteidigungspflicht“ der kurdischen Milizen verweigern, droht ihm keine Verfolgung wegen der Unterstellung einer oppositionellen Gesinnung. Auch droht dem Beschwerdeführer keine Verfolgung wegen der Unterstellung einer oppositionellen Gesinnung durch die syrische Übergangsregierung.
Schließlich besteht für den Beschwerdeführer an seinem Herkunftsort derzeit keine Gefahr einer Verfolgung aufgrund seiner Volksgruppenzugehörigkeit.
Auch ist der Beschwerdeführer nicht aus einer inneren Überzeugung vom (sunnitischen) Islam abgefallen. So würde sich der Beschwerdeführer bei einer Rückkehr nach Syrien weder privat noch öffentlich vom islamischen Glauben lossagen.
1.3. Zur hier relevanten Situation in Syrien:
1.3.1. Politische Lage
Am 8.12.2024 erklärten die Oppositionskräfte in Syrien die 24-jährige Herrschaft von Präsident Bashar al-Assad für beendet. Zuvor waren Kämpfer in die Hauptstadt eingedrungen, nachdem Oppositionsgruppierungen am 27.11.2024 eine Offensive gegen das Regime gestartet und innerhalb weniger Tage die Städte Aleppo, Hama und große Teile des Südens eingenommen hatten. Al-Assad war aus Damaskus geflohen (AJ 8.12.2024). Ihm und seiner Familie wurde Asyl in Russland gewährt (VB Moskau 10.12.2024). Er hatte das Land seit 2000 regiert, nachdem er die Macht von seinem Vater Hafez al-Assad übernommen hatte, der zuvor 29 Jahre regiert hatte (BBC 8.12.2024a). Er kam mit der Baath-Partei an die Macht, die in Syrien seit den 1960er-Jahren Regierungspartei war (NTV 9.12.2024). Bashar al-Assad hatte friedliche Proteste gegen sein Regime im Jahr 2011 gewaltsam unterdrückt, was zu einem Bürgerkrieg führte. Mehr als eine halbe Million Menschen wurden getötet, sechs Millionen weitere wurden zu Flüchtlingen (BBC 8.12.2024a). Die Offensive gegen al-Assad wurde von der Hay'at Tahrir ash-Sham (HTS) angeführt (BBC 9.12.2024). Die HTS wurde ursprünglich 2012 unter dem Namen Jabhat an-Nusra (an-Nusra Front) gegründet, änderte ihren Namen aber 2016 nach dem Abbruch der Verbindungen zur al-Qaida in Hay'at Tahrir ash-Sham. Sie festigte ihre Macht in den Provinzen Idlib und Aleppo, wo sie ihre Rivalen, darunter Zellen von al-Qaida und des Islamischen Staates (IS), zerschlug. Sie setzte die sogenannte Syrische Heilsregierung (Syrian Salvation Government - SSG) ein, um das Gebiet nach islamischem Recht zu verwalten (BBC 9.12.2024). Die HTS wurde durch die von der Türkei unterstützte Syrische Nationale Armee (Syrian National Army - SNA), lokale Kämpfer im Süden und andere Gruppierungen unterstützt (Al-Monitor 8.12.2024). Auch andere Rebellengruppierungen erhoben sich (BBC 8.12.2024b), etwa solche im Norden, Kurdenmilizen im Nordosten, sowie Zellen der Terrormiliz IS (Tagesschau 8.12.2024). Im Süden trugen verschiedene bewaffnete Gruppierungen dazu bei, die Regierungstruppen aus dem Gebiet zu vertreiben. Lokale Milizen nahmen den größten Teil der Provinz Dara'a sowie die überwiegend drusische Provinz Suweida ein (Al-Monitor 8.12.2024). Die Abteilung für Militärische Operationen (Department for Military Operations - DMO) dem auch die HTS angehört, kontrollierte mit Stand 11.12.2024 70 % des syrischen Territoriums (Arabiya 11.12.2024).
In der ersten Woche nach der Flucht al-Assads aus dem Land gelang es Syrien, ein vollständiges Chaos, zivile Gewalt und den Zusammenbruch des Staates abzuwenden (MEI 19.12.2024). Ehemalige Regimeoffiziere sollen viele Regierungsgebäude niedergebrannt haben, um Beweise für ihre Verbrechen zu verstecken, nachdem sie nach dem Sturz des Regimes von Präsident Bashar al-Assad aus dem Innenministerium geflohen waren (Araby 16.12.2024). Die neuen de-facto-Führer Syriens bemühten sich um Sicherheit, Stabilität und Kontinuität. Obwohl es Berichte über Plünderungen in der Zentralbank und über Menschen gab, die den persönlichen Wohnsitz al-Assads und die Botschaft des Iran, seines Hauptunterstützers, durchwühlten, standen am 9.12.2024 Rebellenkämpfer vor Regierungsgebäuden in der gesamten Hauptstadt Wache. Die neuen Behörden verbreiteten auch Bilder von Sicherheitspersonal, das durch die Straßen von Damaskus patrouillierte, in den sozialen Medien (NYT 12.12.2024).
Der HTS-Anführer Mohammed al-Joulani, der mittlerweile anstelle seines Kampfnamens seinen bürgerlichen Namen Ahmad ash-Shara' verwendet (Nashra 8.12.2024), traf sich am 9.12.2024 mit dem ehemaligen Ministerpräsidenten und Vizepräsidenten von al-Assad, um die Modalitäten für eine Machtübergabe zu besprechen (DW 10.12.2024). Bis zu ihrer Übergabe blieben die staatlichen Einrichtungen Syriens unter seiner Aufsicht (REU 8.12.2024). Die Macht des Assad-Regimes wurde auf ein Übergangsgremium übertragen, das vom Premierminister der SSG, Mohammed al-Bashir, geleitet wurde (MEI 9.12.2024). Al-Bashir kündigte am ersten Tag seiner Ernennung an, dass die Prioritäten seiner Regierung folgende seien: Gewährleistung von Sicherheit, Bereitstellung von Dienstleistungen und Aufrechterhaltung der staatlichen Institutionen. (AJ 27.1.2025a). Am 29.1.2025 wurde de-facto-Herrscher Ahmed ash-Shara' zum Übergangspräsidenten ernannt (Standard 29.1.2025).
Die Übergangsregierung ließ laut Medienberichten die Verwaltungsbeamten auf ihren Posten (LTO 9.12.2024). Eine diplomatische Quelle eines europäischen Staates wiederum berichtet von einer Beurlaubung aller Staatsbeamten: Durch die Beurlaubung aller Staatsbeamter gibt es in Syrien zwar nun (interimistische) Minister, aber kaum Beamte, soll heißen, keine funktionierende Verwaltung. Mit ganz wenigen Ausnahmen stehen die Ministerien leer. Die einzigen Ordnungskräfte sind diejenigen Gruppen, die aus Idlib mitgekommen sind und die sich – personell überlastet – um ein Minimum an Ordnung in den Städten bemühen. Die kommunale Versorgung ist nicht vorhanden bzw. derzeit auf Privatinitiativen reduziert (SYRDiplQ1 5.2.2025). In Damaskus und anderen Orten kam es häufig zu Gewaltausbrüchen, weil Polizei und Armee nicht über genügend Personal verfügen, um die Ordnung aufrechtzuerhalten. Die Straßen sind oft mit Müll übersät, und anstelle der Polizei leiten Teenager den Verkehr (FT 25.3.2025). Syrienexperte Daniel Gerlach sagte, dass die leitende Beamtenebene im Land fehlt, die zwischen politischen Entscheidungsträgern und der Verwaltung – die ihre Arbeit wieder aufgenommen hat – steht. Es fehlen diejenigen, die mit den Verwaltungsträgern in Kontakt sind und die Politik umsetzen. Diejenigen, die in Syrien politische Entscheidungen träfen, seien ungefähr 15 bis 16 Personen, schätzt Gerlach (AC 23.1.2025). Alle Minister der Übergangsregierung waren aus dem 7. Kabinett der SSG, das im Februar 2024 ernannt worden war (AlMon 11.12.2024). Ash-Shara' und der Interims-Premierminister haben Loyalisten zu Gouverneuren in mehreren Provinzen und zu Ministern in der Übergangsregierung ernannt (ISW 19.12.2024). Al-Bashir hat gegenüber Al Jazeera erklärt, dass die Minister der SSG vorerst die nationalen Ministerämter übernehmen werden (AJ 15.12.2024a). Ash-Shara', sagte, dass in den ersten 100 Tagen keine internen und externen Parteien berücksichtigt werden. Er hat allen seinen Kameraden, die der HTS oder anderen Gruppierungen angehören, sehr deutlich gemacht, dass er diese Phase nur Leuten anvertraut, die sein persönliches Vertrauen haben. Er hat seine Partner und Freunde gebeten, ihm in dieser Phase beizustehen und sich darauf vorzubereiten, die Form einer neuen Regierung zu diskutieren (Akhbar 31.12.2024). Die HTS, die in der neuen Regierung erheblichen Einfluss hat, verfügt einem Bericht des Atlantic Council zufolge nicht über ausreichende technokratische Fachkenntnisse, um eine so komplexe Nation wie Syrien zu verwalten (AC 23.1.2025).
Die Regierung hat keinen Zeitplan für die Durchführung von Wahlen festgelegt. Ash-Shara' stellte am 16.12.2024 fest, dass Syrien nicht bereit für Wahlen sei. Die Amtszeit der Übergangsregierung wurde bis März 2025 festgesetzt (ISW 16.12.2024). Am 29.3.2025 ernannte der Präsident die neue syrische Regierung. Diese besteht aus Technokraten, ethnischen Minderheiten und mehreren engen Vertrauten ash-Shara's. Fast die Hälfte der Ernannten steht in keiner Verbindung zur HTS. Unter den Ernannten ist eine Frau, ein Angehöriger der drusischen Minderheit, ein Kurde und ein Alawit (FT 30.3.2025). Das einzige weibliche Kabinettsmitglied ist katholische Christin (VN 1.4.2025). Keiner davon erhielt ein wichtiges Ressort. Syrien-Experte Fabrice Balanche erklärte, dass wichtige Ressorts an „ehemalige Mitstreiter vergeben wurden, die bereits Teil der Syrischen Heilsregierung in der Provinz Idlib“ im Nordwesten Syriens waren (AlMon 30.3.2025). Der Verteidigungsminister und der Außenminister der Übergangsregierung behielten ihre Ämter. Innenminister Khattab war zuvor Leiter des Geheimdienstes (Independent 29.3.2025). Auch Außenminister ash-Shaibani behielt sein Amt (AlMon 30.3.2025). Mehrere der neuen Minister waren unter dem Assad-Regime tätig. Zu den ehemaligen Assad-Beamten gehören Yarab Badr, der neue Verkehrsminister, und Nidal ash-Sha'r, der zum Wirtschaftsminister ernannt wurde (NYT 30.3.2025). Die Mitglieder sind für fünf Jahre bestellt (FT 30.3.2025). Das Kabinett hat keinen Premierminister, da gemäß der vorläufigen Verfassung die Regierung einen Generalsekretär haben wird (Independent 29.3.2025). Ein neues Gremium, das Ende März per Dekret bekannt gegeben wurde, das Generalsekretariat für politische Angelegenheiten, gewährte ash-Shara's Stellvertreter, Außenminister ash-Shaibani, weitreichende Befugnisse über die Führung von Ministerien und Regierungsbehörden – ähnlich der Rolle eines Premierministers (FT 30.3.2025).
Die Kurden im Nordosten Syriens stellen sich gegen die neu vorgestellte syrische Regierung. Das Kabinett spiegele nicht die Vielfalt des Landes wider, teilte die Demokratische Autonome Verwaltung Nord- und Ostsyriens (DAANES) mit. Man sehe sich daher nicht an die Entscheidungen der neuen Regierung gebunden (Zeit Online 30.3.2025; vgl. Standard 30.3.2025; K24 30.3.2025). Obwohl der neuen Regierung mit Bildungsminister Mohammad Turko ein Kurde angehört, sind keine Vertreter der DAANES ins neue Kabinett berufen worden (MEE 30.3.2025). Einige Kritiker weisen auf die Diskrepanz zwischen ash-Shara's Rhetorik bei Treffen mit internationalen Vertretern und dem vermeintlichen Fehlen eines integrativen Diskurses mit einheimischen Akteuren hin (Etana 10.1.2025). In den ersten fünfzig Tagen der neuen Regierung wurden in den Regierungsinstitutionen eine Reihe von Ernennungen vorgenommen, darunter neben den Ministern auch die meisten Gouverneure und Direktoren der wichtigsten Regierungsbehörden und Abteilungen, die eine hoheitliche Dimension haben, wie der Geheimdienst, die Zentralbank und der Kassationshof (AJ 27.1.2025a). Die Problematik besteht darin, dass der Kreis der Entscheidungsträger – zumindest derzeit - ein besonders kleiner, ausschließlich aus engsten Vertrauten aus Idlib bestehender ist, d. h. ein in sich geschlossener Kreis. Hinzu kommen bereits interne Unstimmigkeiten: So mancher militärischen Gruppierung und manchem Weggefährten aus Idlib geht der moderate Zugang der Übergangsbehörden bereits zu weit. War man in den ersten euphorischen Wochen nach der Machtübernahme noch zuversichtlich-optimistisch bzw. vielmehr überzeugt, die Erfahrungen aus dem Modell Idlib auf das ganze Land übertragen zu können (die Argumentation dabei: Idlib als erfolgreicher Mikrokosmos Gesamtsyriens, da ja bewaffnete Gruppen aus dem ganzen Land nach Idlib transferiert worden waren), so hat 50 Tage nach dem Fall des Regimes Assad die Realität die neuen Machthaber eingeholt. Das katastrophale administrative Erbe, die schlechte Wirtschaftslage, die schiere Größe und Vielfalt des Landes, sowie der Mangel an allem, auch an eigenem Fachwissen und Erfahrung. Die Verwaltung eines Stadtstaates (Idlib) hat eine ganz andere Dimension als die eines komlpexen, zerstörten Landes (SYRDiplQ1 5.2.2025).
Die Übergangsregierung kündigte an, dass eine umfassende nationale Dialogkonferenz, eine vorläufige Verfassungserklärung abgeben, einen Ausschuss zur Ausarbeitung einer neuen Verfassung bilden und eine Übergangsregierung bestätigen wird, die die Macht von al-Bashirs Regierung übernehmen wird (AJ 27.1.2025a). Am 12.2.2025 bestätigten Quellen gegenüber Al Jazeera, dass die syrische Präsidentschaft das Vorbereitungskomitee für die Nationale Konferenz gebildet hat bestehend aus fünf Männern und zwei Frauen (AJ 12.2.2025; vgl. Sky News 12.2.2025). Zur Vorbereitung der Konferenz hat das siebenköpfige Vorbereitungskomitee Anhörungen in den Gouvernements organisiert und manchmal mehrere zweistündige Sitzungen pro Tag abgehalten, um die 14 Provinzen Syriens in einer Woche abzudecken. Fünf Mitglieder des Komitees gehörten der HTS an oder stehen ihr nahe. Vertreter der Drusen oder Alawiten, zwei der großen Minderheiten in Syrien, waren nicht dabei (BBC 25.2.2025). Mit 12.2.2025 nahm dieses Komitee seine Arbeit auf, um die nationale Konferenz vorzubereiten und die Einladungen an die Teilnehmer zu verschicken (AJ 12.2.2025). Die sieben Mitglieder des Vorbereitungskomitees haben etwa 4.000 Menschen in ganz Syrien konsultiert, um Meinungen einzuholen, die bei der Ausarbeitung einer Verfassungserklärung, eines neuen Wirtschaftsrahmens und eines Plans für institutionelle Reformen helfen sollen, teilte das Komitee am 23.2.2025 Reportern mit (REU 23.2.2025; vgl. AlHurra 23.2.2025). Am 25.2.2025 fand die Konferenz zum Nationalen Dialog in Damaskus statt. Hunderte von Vertretern verschiedener gesellschaftlicher Gruppen waren anwesend, aber viele andere Persönlichkeiten und Gruppierungen waren nicht anwesend (AlHurra 25.2.2025). Ca. 400 Vertreter der Zivilgesellschaft, der Glaubensgemeinschaften, der Opposition und der Künstler nahmen teil (AlHurra 25.2.2025). Laut BBC waren es sogar 600 Teilnehmer (BBC 25.2.2025). Die Kurdische Autonomieverwaltung (Demokratische Autonome Administration von Nord- und Ostsyrien - DAANES) und ihr militärischer Arm, die SDF, haben keine Einladung zur Teilnahme an der Konferenz erhalten. Die Organisatoren hatten zuvor mitgeteilt, dass keine militärischen Einheiten oder Formationen, die noch ihre Waffen behalten, eingeladen wurden (AlHurra 25.2.2025). Nach der Eröffnung der Konferenz wurden die Teilnehmer in sechs Workshops eingeteilt, die sich mit zentralen Themen befassten, darunter „persönliche Freiheiten“, „Verfassungsaufbau“ und „Übergangsjustiz“. In der Abschlusserklärung der Konferenz wurde die rasche Bildung des provisorischen Legislativrats gefordert, der die Aufgaben der Legislative nach „Kriterien der Kompetenz und der gerechten Vertretung“ übernehmen soll (BBC 25.2.2025). Das Komitee der Dialogkonferenz gibt Empfehlungen heraus und erlässt keine Entscheidungen (AJ 21.2.2025). Diese Empfehlungen sollen in die Verfassungserklärung und den Plan für institutionelle Reformen einfließen, versichert der Sprecher des Komitees (AlHurra 23.2.2025; vgl. BBC 23.2.2025). Auf der Konferenz wurden mehrere Erklärungen abgegeben, darunter die Bildung eines Legislativrats, ein Bekenntnis zur Übergangsjustiz, zu den Menschenrechten und zur Gewährleistung der Meinungsfreiheit. Eine am Ende der eintägigen Konferenz veröffentlichte Erklärung – die nur wenige Tage zuvor angekündigt wurde und vielen potenziellen Teilnehmern nur wenig Vorbereitungszeit ließ – ebnete den Weg für die Bildung eines siebenköpfigen Ausschusses, der mit der Ausarbeitung einer Übergangserklärung zur Verfassung beauftragt wurde (TNA 3.3.2025). Am 2.3.2025 gab die neue Regierung die Bildung dieses siebenköpfigen Ausschusses bekannt. Der Ausschuss besteht aus einem Expertenkomitee, dem auch zwei Frauen angehören und dessen Aufgabe es ist, die Verfassungserklärung, die die Übergangsphase regelt, in Syrien zu entwerfen. Das Komitee werde „seine Vorschläge dem Präsidenten vorlegen“, hieß es in einer Erklärung, ohne einen Zeitrahmen anzugeben (FR24 2.3.2025; vgl. BBC 3.3.2025). Weniger als zwei Stunden nach dieser Entscheidung wurden die Texte der Artikel, die in diese Erklärung aufgenommen werden sollen, bekannt, was bei den Syrern sowohl Bestürzung als auch Spott hervorrief, zumal die Informationen von arabischen Satellitenkanälen und nicht von lokalen Sendern stammten (Nahar 4.3.2025). Der Ausschuss stellte fest, dass die Verfassungserklärung die allgemeinen Grundlagen des Regierungssystems festlegen wird, um Flexibilität und Effizienz bei der Verwaltung des Staates in dieser sensiblen Zeit zu gewährleisten, um die politische und soziale Einheit und die territoriale Integrität des Landes zu bewahren. Die Ideen aus den nationalen Dialogen und Diskussionen, die in den Workshops zur Verfassungsgebung während der Nationalen Dialogkonferenz stattgefunden haben, sollen vom Ausschuss berücksichtigt werden (SANA 3.3.2025).
Am 13.3.2025 unterzeichnete ash-Shara' die angekündigte Verfassungserklärung (NYT 14.3.2025). Das vorläufige Dokument besteht aus vier Kapiteln und 53 Artikeln (AlHurra 14.3.2025). Es sieht eine fünfjährige Übergangsphase vor (BBC 14.3.2025). Nach dieser Übergangsphase soll eine dauerhafte Verfassung verabschiedet und Wahlen für den Präsidenten abgehalten werden (NYT 14.3.2025). Die Erklärung legt fest, dass der syrische Präsident Muslim sein muss, wie es schon in der vorherigen Verfassung geschrieben stand. Anders als in der Verfassung von 2012, schreibt diese Verfassungserklärung die islamische Rechtslegung als wichtigste Quelle der Gesetzgebung fest. Daneben werden die Gewaltenteilung und die Unabhängigkeit der Justiz verankert sowie die Rechte der Frauen garantiert (BBC 14.3.2025). Der Präsident ist jedoch allein für die Ernennung der Richter des neuen Verfassungsgerichts Syriens verantwortlich. Die Richter müssen unparteiisch sein (NYT 14.3.2025). Für die Rechenschaftspflicht des Präsidenten wird in der Verfassung keine Möglichkeit eingeräumt. Der Erklärung zufolge wird ash-Shara' neben dem Präsidenten der Republik die folgenden Ämter bekleiden: Premierminister, Oberbefehlshaber der Armee und der Streitkräfte und Vorsitzender des Nationalen Sicherheitsrates. In Artikel 41 räumt die Verfassungserklärung dem Präsidenten die Möglichkeit ein, mit Zustimmung des Nationalen Sicherheitsrates, dessen Mitglieder er selbst auswählt, den Ausnahmezustand auszurufen (AlHurra 14.3.2025). Der neu gebildete Nationale Sicherheitsrat setzt sich aus Shara'-Getreuen zusammen, darunter Verteidigungsminister Murhaf Abu Qasra, Innenminister Ali Keddah, Außenminister As'ad ash-Shaibani und Geheimdienstchef Anas Khattab (ISW 13.3.2025).
Der Meinung des Syrienexperten Fabrice Balanche nach ist der Nationale Sicherheitsrat „die eigentliche Regierung“ (AlMon 30.3.2025). Die Erklärung garantiert Meinungs-, Ausdrucks-, Informations-, Veröffentlichungs- und Pressefreiheit. Allerdings können alle Rechte, einschließlich der Religionsfreiheit, eingeschränkt werden, wenn sie unter anderem als Verstoß gegen die nationale Sicherheit oder die öffentliche Ordnung angesehen werden. Die Verpflichtung zur Gewährleistung der Meinungs-, Ausdrucks-, Informations-, Veröffentlichungs- und Pressefreiheit ist mit einigen Ausnahmen verbunden, darunter die Verherrlichung des Assad-Regimes (NYT 14.3.2025). Auch die Symbole des Assad-Regimes sind unter Strafe gestellt sowie seine Verbrechen zu leugnen, zu loben, zu rechtfertigen oder zu verharmlosen (AlHurra 14.3.2025). Die Verfassungserklärung garantiert Frauen das Recht auf Bildung und Arbeit und fügt hinzu, dass sie volle soziale, wirtschaftliche und politische Rechte haben werden (NYT 14.3.2025). Aussagen eines Mitglieds des Ausschusses für die Verfassungserklärung zufolge werde eine neue Volksversammlung die volle Verantwortung für die Gesetzgebung tragen. Zwei Drittel ihrer Mitglieder würden von einem vom Präsidenten ausgewählten Ausschuss ernannt, ein Drittel vom Präsidenten selbst. Außerdem werde ein Ausschuss gebildet, der eine neue dauerhafte Verfassung ausarbeiten solle (BBC 14.3.2025). Diese temporäre Verfassung konzentriert viel Macht in den Händen des Präsidenten. So werden dem Präsidenten die Exekutivgewalt und die Befugnis, den Ausnahmezustand zu erklären, gewährt (NYT 14.3.2025). Das Parlament ist nicht befugt, den Präsidenten anzuklagen, Minister zu ernennen oder zu entlassen oder die Exekutive zu kontrollieren (HRW 25.3.2025). Immerhin spricht die Verfassungserklärung dem Präsidenten die Befugnis ab, allgemeine Amnestiegesetze zu erlassen, die al-Assad zuvor für sich monopolisiert hatte (AlHurra 14.3.2025).
In der Verfassung ist Syrien als „arabische“ Republik definiert mit Arabisch als einziger Amtssprache (LSE 28.3.2025). Sie löste innerhalb Syriens viele Diskussionen aus. Umstritten sind insbesondere jene Passagen, die dem Präsidenten ein Machtmonopol einräumen (AlHurra 14.3.2025). Der Syrische Demokratische Rat, der politische Arm der kurdisch geführten Kräfte, die den Nordosten Syriens kontrollieren, erklärte, das neue Dokument sei „eine neue Form des Autoritarismus“ und kritisierte die seiner Meinung nach unkontrollierten Exekutivbefugnisse (NYT 14.3.2025). Das International Centre for Dialogue Initiatives schreibt, dass diese Reformen einseitig von einem ebenfalls vom Präsidenten ernannten Verfassungsausschuss ausgearbeitet wurden, der dann behauptete, ihre Legitimität stamme aus einem Dialogprozess. Die sogenannte Nationale Dialogkonferenz wurde so zu einem politischen Deckmantel für vorab festgelegte Verfassungsänderungen, die unter dem Deckmantel der Reform die autoritäre Herrschaft festigten (ICDI 4.4.2025). Trotz der weitverbreiteten Kritik an der aktuellen Verfassung ist keine kurzfristige Überarbeitung vorgesehen. Die vorliegende Fassung ist das Ergebnis eines beschleunigten Verfahrens, das unmittelbar nach der Nationalen Dialogkonferenz im Februar 2025 in Gang gesetzt wurde. Ein siebenköpfiges Gremium erarbeitete die Verfassung in kürzester Zeit und wird in ihrer aktuellen Form noch nicht ihren Ansprüchen für einen pluralistischen, freien und gerechten Staat gerecht (AdRev 3.4.2025).
Als Reaktion auf die neue Verfassung gründeten 34 verschiedene syrische Parteien und Organisationen am 22.3.2025 eine Allianz, die Allianz für gleiche Staatsbürgerschaft in Syrien (Syrian Equal Citizenship Alliance bzw. Tamasuk). Zu den Organisationen der Allianz gehört der Syrische Demokratische Rat (ISW 24.3.2025), die Partei des Volkswillens, die Demokratische Ba'ath-Partei und die Kommunistische Arbeiterpartei (TNA 23.3.2025) sowie andere kurdische, christliche und drusische Gruppierungen (ISW 24.3.2025). Das Bündnis bezeichnet sich selbst nicht als Opposition und verlangt eine dezentrale Machtverteilung (TNA 23.3.2025).
Die Verfassung und das Parlament wurden während der dreimonatigen Übergangszeit ausgesetzt, so die interimistischen Behörden (Almodon 8.1.2025). Laut Leaks wird der Übergangspräsident die Volksversammlung innerhalb von 60 Tagen nach der Veröffentlichung der Verfassungserklärung ernennen. Die Volksversammlung wird 100 Mitglieder umfassen, wobei eine gerechte Vertretung der Komponenten und Kompetenzen berücksichtigt wird, und wird vom Präsidenten der Republik durch ein republikanisches Dekret für eine Amtszeit von zwei Jahren ernannt (AlHurra 3.3.2025). Am 29.12.2024 sagte ash-Shara' in einem Interview, dass die Durchführung legitimer Wahlen eine umfassende Volkszählung benötige (Arabiya 29.12.2024). In einem Interview gab er an, dass es damit in Syrien freie, faire und integre Wahlen abgehalten werden können, einer Volkszählung, der Rückkehr der im Ausland lebenden Menschen, der Öffnung der Botschaften und der Wiederherstellung des legalen Kontakts mit der Bevölkerung bedarf. Darüber hinaus sind viele der Menschen, die innerhalb des Landes vertrieben wurden oder in Lagern in den Nachbarländern leben, nicht bei den Flüchtlingskommissionen registriert usw. (Economist 3.2.2025). Abgesehen von der wiederholten Aussage, dass Ausschüsse gebildet und Fachleute hinzugezogen würden, gab al-Shara nicht viel Aufschluss darüber, wie der Wahlprozess aussehen würde (NYT 30.12.2024). Ash-Shara' hatte angemerkt, dass die Einrichtung dieser Ausschüsse in naher Zukunft unwahrscheinlich sei. Er teilte der BBC am 18.12.2024 mit, dass ein syrisches Komitee von Rechtsexperten zusammentreten werde, um eine Verfassung zu verfassen und über eine Reihe nicht näher bezeichneter rechtlicher Fragen, darunter den Alkoholkonsum, zu entscheiden. Es ist unklar, auf welche Rechtsexperten sich ash-Shara' bezieht und ob diese Experten repräsentativ für die multiethnische, sektiererische und religiöse Bevölkerung Syriens sind oder ob es sich um HTS-nahe sunnitische Gelehrte handelt (ISW 19.12.2024).
Am 29.1.2025 versammelten sich die Führer der militärischen Gruppierungen, die an der militärischen Kampagne zum Sturz Assads beteiligt waren, zu einer Zeremonie im Präsidentenpalast, um den Sieg zu erklären. In der Siegeserklärung kündigten sie neun Schritte an, die in drei Hauptthemen unterteilt sind, wie beispielsweise: 1. Füllen des Machtvakuums durch die Annullierung der Verfassung von 2012, die Aussetzung aller Ausnahmegesetze, die Auflösung der während der Zeit des vorherigen Regimes gebildeten Volksversammlung und aller aus ihr hervorgegangenen Komitees und die Ernennung des Befehlshabers des militärischen Operationskommandos, Ahmed ash-Shara', zum Präsidenten des Landes während der Übergangszeit. Bei der Zeremonie wurde die Auflösung von vier Institutionen, welche die Säulen der Herrschaft und Kontrolle des früheren Regimes darstellten und die Schaffung eines neuen Regimes behindern, angekündigt, nämlich: die Armee, die Sicherheitsdienste mit ihren verschiedenen Zweigen und alle damit verbundenen Milizen, die Arabische Sozialistische Ba'ath-Partei, die Parteien der Nationalen Progressiven Front und die ihnen angeschlossenen Organisationen, Institutionen und Komitees und das Verbot ihrer Wiedererrichtung auch unter einem anderen Namen und Rückgabe ihrer Vermögenswerte an den syrischen Staat (AJ 31.1.2025a). Die Ba'ath-Partei des gestürzten syrischen Machthabers Bashar al-Assad stellte nach eigenen Angaben mit 12.12.2024 sämtliche Aktivitäten ein. Dies gelte bis auf Weiteres, hieß es in einer auf der Website der Parteizeitung veröffentlichten Erklärung. Die Vermögenswerte und die Gelder der Partei würden unter die Aufsicht des Finanzministeriums gestellt, Fahrzeuge und Waffen sollen nach Parteiangaben an das Innenministerium übergeben werden. Die Ba'ath-Partei war seit 1963 in Syrien an der Macht (Tagesschau 12.12.2024). Viele Mitglieder der Parteiführung sind untergetaucht und einige aus dem Land geflohen. In einem symbolischen Akt haben die neuen Machthaber Syriens das ehemalige Hauptquartier der Partei in Damaskus in ein Zentrum umgewandelt, in dem ehemalige Mitglieder der Armee und der Sicherheitskräfte Schlange stehen, um sich registrieren zu lassen und ihre Waffen abzugeben (AP 30.12.2024). Am 11.2.2025 gab das Präsidialamt bekannt, dass die wichtigsten Oppositionsgremien Syriens, die im Exil tätig waren, Damaskus die von ihnen bearbeiteten Akten übergeben haben, als Teil der Bemühungen, die während des Konflikts gebildeten Institutionen „aufzulösen“. Dieser Schritt kommt der Abschaffung der wichtigsten unbewaffneten Oppositionsgruppen Syriens gleich und erinnert an ash-Shara's Versuch, alle bewaffneten Gruppen aufzulösen und in die Armee zu integrieren (FR24 12.2.2025). Für die in den Kriegsjahren im und aus dem Ausland tätige Opposition hat man nur Geringschätzung (SYRDiplQ1 5.2.2025).
Während ash-Shara' ein gewisses Maß an Pragmatismus gezeigt hat, insbesondere im Umgang mit lokalen Gemeinschaften, sind die Strukturen der Übergangsregierung nach wie vor zentralisiert und hierarchisch, wobei die Macht in einem kleinen Führungskreis konzentriert ist. Dies schränkt die Möglichkeiten für eine integrative Entscheidungsfindung ein und verstärkt die Wahrnehmung der Ausgrenzung von Minderheiten und Frauen (AC 20.12.2024). HTS hat in Idlib einerseits bemerkenswerte Zugeständnisse an die lokale Bevölkerung gemacht. So erlaubte sie beispielsweise Christen, Gottesdienste abzuhalten und Frauen, Universitäten zu besuchen und Autos zu fahren – Maßnahmen, die angesichts der radikalen dschihadistischen Vergangenheit der Gruppe bemerkenswert sind. Darüber hinaus hat HTS Zivilisten in seine Regierungsverwaltung integriert und einen technokratischen Regierungsstil eingeführt, selbst in sensiblen ideologischen Bereichen wie Bildung und Religion, in denen die Gruppe ursprünglich ausschließlich eigenes Personal ernennen wollte. Andererseits ist die mangelnde Bereitschaft, politische Opposition zuzulassen, nach wie vor besorgniserregend. In Idlib hat HTS nach und nach die Macht monopolisiert und agierte praktisch als Einparteienstaat. Politische Opposition und zivilgesellschaftlicher Aktivismus wurden unterdrückt (DIIS 16.12.2024). Zu den ersten Entscheidungen der Übergangsregierung unter al-Bashir gehörten die Entsendung von Polizeikräften in Großstädte und das Verbot von Rauchen und Alkoholkonsum (MAITIC 17.12.2024). Der HTS wurden unter anderem von Human Rights Watch, immer wieder schwere Menschenrechtsverletzungen gegen Oppositionelle, Frauen und religiöse Minderheiten vorgeworfen. Es kam auch zu groß angelegten Protesten gegen die HTS und ihren Anführer, ash-Shara' (Rosa Lux 17.12.2024). Laut Terrorismusexperte Peter Neumann haben die Kämpfer der HTS für ein islamistisches Regime gekämpft. Er hält es für möglich, dass es zu einer Opposition in der eigenen Bewegung kommen könnte (Spiegel 11.12.2024). Auch Terrorismusexperte Hans-Jakob Schindler spricht von Videos von Personen aus dem Umfeld der HTS, die ein Kalifat aufbauen wollen (WiWo 9.12.2024). Alberto M. Fernandez, Vizepräsident des Middle East Media Research Institutes, wiederum sieht nicht so sehr die Gefahr, dass Syrien nun ein islamischer Staat sein wird, sondern dass es ein gescheiterter Staat sein wird. Die Gefahr besteht eher darin, dass die Anarchie die Oberhand gewinnt und nicht das Scharia-Recht. Dennoch sehen auch sie, al-Shara', seine Organisation die HTS und viele ihrer Verbündeten als Hardcore-Islamisten. Der beste Vergleich sind nicht der Islamische Staat (IS) und al-Qaida, sondern die Taliban und die Hamas, politische Projekte, die sowohl islamistisch als auch nationalistisch sind (MEMRI 9.12.2024). Etwa 70 % der syrischen Bevölkerung sind sunnitische Muslime, darunter auch Kurden, die etwa 10 % der Bevölkerung ausmachen. Die arabischen Sunniten sind sich jedoch in ihren Zielen nicht einig, und viele wünschen sich für die Zukunft Syriens keinen islamischen Staat (SWI 13.2.2025).
Trotz der Kritik ergab eine im März 2025 im Auftrag von „The Economist“ durchgeführte Umfrage, an der 1.500 Syrer aus allen Provinzen und konfessionellen Gruppen des Landes teilnahmen, dass 81 % die Herrschaft von ash-Shara' befürworten. Nur 22 % sind der Meinung, dass seine Vergangenheit als al-Qaida-Führer ihn für eine Führungsrolle disqualifiziert. Eine große Zahl der Befragten gibt an, dass sie seine neue Ordnung als sicherer, freier und weniger konfessionell geprägt empfinden als das Regime von al-Assad. Etwa 70 % sind optimistisch, was die allgemeine Richtung des Landes angeht. Die zufriedenste Provinz ist Idlib, ash-Shara's ehemaliges Machtgebiet, wo 99 der 100 Befragten sich optimistisch äußern. Tartus, wo Anfang März 2025 mehrere Massaker an der alawitschen Minderheit stattgefunden haben, ist die pessimistischste Provinz. Selbst dort gaben 49 % an, optimistisch zu sein, während 23 % sich pessimistisch äußerten. (Economist 2.4.2025).
Anfänglich drängten die Vereinten Nationen (VN) auf eine Rückkehr zum lange stagnierenden politischen Übergang auf der Grundlage der Resolution 2254 (National 9.12.2024). Die 2015 verabschiedete Resolution 2254 des Sicherheitsrates, die einen politischen Übergang in Syrien durch Verhandlungen zwischen der Regierung des gestürzten Regimes und der Opposition forderte, ist inzwischen gegenstandslos geworden, da das Regime, mit dem verhandelt werden sollte, gestürzt ist (AJ 28.12.2024a). Ash-Shara' sieht keine Notwendigkeit mehr für den Arbeitsmechanismus der Vereinten Nationen in Syrien und macht keinen Hehl aus seiner mangelnden Bewunderung für den UN-Gesandten Geir Pedersen. Die neue Regierung hat kein Interesse mehr an der Resolution 2254 und ihren Bestimmungen. Ash-Shara' sagte, dass die vergangenen Jahre die Ineffektivität der VN gezeigt hätten, weshalb er die Resolution mit dem Sturz des Regimes als hinfällig betrachte (Akhbar 31.12.2024).
Syrien steht auf der US-amerikanischen Liste der Länder, die den Terrorismus unterstützen und HTS wird von der Europäischen Union, der Türkei und den USA als ausländische terroristische Organisation eingestuft (AJ 15.12.2024a). HTS wurde im Mai 2014 auf die Terrorliste der UN gesetzt, als der Sicherheitsausschuss zu dem Schluss kam, dass es sich um eine terroristische Organisation mit Verbindungen zur al-Qaida handelt. Sie unterliegen drei Sanktionsmaßnahmen: Einfrieren von Vermögenswerten, Reiseverbot und Waffenembargo. Das bedeutet, dass international von allen Mitgliedstaaten erwartet wird, dass sie diese Maßnahmen einhalten. Um HTS nicht mehr als Terrororganisation zu listen, müsste ein Mitgliedstaat die Streichung von der Liste vorschlagen, und dieser Vorschlag würde dann an den zuständigen Ausschuss des Sicherheitsrats weitergeleitet. Der Ausschuss, der sich aus Vertretern aller 15 Länder zusammensetzt, die den Sicherheitsrat bilden, müsste dann einstimmig beschließen, den Vorschlag zu genehmigen (UN News 12.12.2024). Die internationale Gemeinschaft akzeptierte in bilateralen und multilateralen Formaten, dass HTS, trotz ihrer Einstufung als terroristische Vereinigung, einen Platz am Verhandlungstisch benötigt (MEI 9.12.2024).
Das Präsidium der syrischen Übergangsregierung hat einen Beschluss zur Einrichtung einer Allgemeinen Behörde für Land- und Seehäfen gefasst, die verwaltungstechnisch und finanziell unabhängig und direkt mit dem Premierminister verbunden ist. Die Behörde für Land- und Seehäfen wird die Generalgesellschaft des Hafens von Tartus, die Generalgesellschaft des Hafens von Latakia, die Generaldirektion der Häfen und andere umfassen, erklärte das Präsidium in einer separaten Entscheidung und ernannte Qutaiba Ahmad Badawi zum Leiter der Behörde. Die neue Behörde wird die Ein- und Ausfahrt von Passagieren und Fracht und alles, was diese Aufgabe erleichtert, überwachen und organisieren, sagte sie. Die Behörde wird auch die Seeschifffahrt, die kommerziellen maritimen Angelegenheiten, die Häfen und den Seeverkehr beaufsichtigen und die für ihre Arbeit notwendigen kommerziellen Schiffe und Immobilien besitzen und leasen (LBCI 1.1.2025).
Ash-Shara's Regierung kontrolliert begrenzte Teile Syriens, darunter die meisten westlichen Städte und Teile des ländlichen Raums (TWI 28.2.2025). Nordostsyrien wird von einer Kombination aus den kurdisch geführten Syrischen Demokratischen Kräften (Syrian Democratic Focres - SDF) und arabischen Stammeskräften regiert (MEI 19.12.2024). Die SDF führen Gespräche mit ash-Shara', bleiben aber vorsichtig, was seine Absichten angeht (TWI 28.2.2025). Nord-Aleppo wird von der von der Türkei unterstützten Syrischen Übergangsregierung kontrolliert (MEI 19.12.2024). Die von der Türkei unterstützten Rebellengruppierungen innerhalb der SNA kontrollieren Teile Nordsyriens nahe der türkischen Grenze, darunter 'Afrin, Suluk und Ra's al-'Ain. Diese Gebiete hat die SNA 2018 und 2019 von den kurdisch geführten Syrischen Demokratischen Kräften (Syrian Democratic Forces - SDF) erobert (Al-Monitor 8.12.2024). Am 29.1.2025 zwang die Türkei den Anführer dieser Gruppe, Sayf Abu Bakr, nach Damaskus zu reisen und dem neuen Präsidenten persönlich zu gratulieren, aber dies ist das einzige Zugeständnis, das er ash-Shara' bisher gemacht hat. Die beiden Anführer haben eine lange Geschichte gegenseitiger Feindseligkeit, insbesondere da viele Kämpfer der Syrischen Nationalarmee Veteranen des blutigen Krieges sind, den HTS 2017–2020 um die Kontrolle über die Provinz Idlib führte (TWI 28.2.2025).
Ash-Shara's politisches Projekt eines zentralisierten Syriens steht im Widerspruch zur aktuellen Realität vor Ort. Er glaubt, dass der Föderalismus die „Nation“ spalten könnte – eine Auffassung, die zum Teil auf der antiisraelischen Stimmung in der syrischen Bevölkerung beruht (TWI 28.2.2025).
Ahmed ash-Shara' wurde 1982 (Rosa Lux 17.12.2024) als Ahmed Hussein ash-Shara' in Saudi-Arabien als Kind syrischer Expatriates geboren. Ende der 1980er-Jahre zog seine Familie zurück nach Syrien (NYT 12.12.2024). Als junger Mann radikalisierte er sich während der blutigen zweiten Intifada, als die israelische Regierung auf palästinensische Selbstmordattentate mit brutaler Gewalt antwortete. Auch der 11.9.2001 prägte ihn (Rosa Lux 17.12.2024). Er ging 2003 in den Irak, um sich al-Qaida anzuschließen und gegen die US-Besatzung zu kämpfen. Arabischen Medienberichten und US-Beamten zufolge verbrachte er mehrere Jahre in einem amerikanischen Gefängnis im Irak. Zu Beginn des Bürgerkriegs tauchte er in Syrien auf und gründete die Jabhat an-Nusra, aus der sich schließlich Hay'at Tahrir ash-Sham entstand (NYT 12.12.2024). 2003 nahm er den Kriegsnamen Abu Mohammad al-Jolani an (Rosa Lux 17.12.2024). In einem vor einigen Jahren mit dem US-amerikanischen Sender PBS geführten Interview gab ash-Shara' zu, dass er bei seiner Rückkehr nach Syrien finanzielle Unterstützung durch den sogenannten Islamischen Staat (IS) erhielt, der zu diesem Zeitpunkt weite Teile des Iraks und Syriens besetzt hielt (DW 18.12.2024). Im Januar 2017 gründete er mit der HTS ein neues Bündnis verschiedener islamistischer Milizen, das sich dezidiert von der dschihadistischen al-Qaida und ihrem Ziel eines globalen Dschihads gegen den Westen lossagte (Rosa Lux 17.12.2024). Seit dem Bruch mit al-Qaida haben er und seine Gruppierung versucht, internationale Legitimität zu erlangen, indem sie globale dschihadistische Ambitionen ablehnten und sich auf eine organisierte Regierungsführung in Syrien konzentrierten (NYT 12.12.2024). 2013 setzten die USA ihn auf ihre Terrorliste und lobten später sogar ein Kopfgeld in Höhe von zehn Millionen für Hinweise zu seiner Ergreifung aus. 2018 wurde dann auch die HTS von den Vereinigten Staaten als terroristische Vereinigung eingestuft, die Vereinten Nationen folgten (Rosa Lux 17.12.2024).
Als Teil des Übergangs von der Revolution zum Staatsaufbau arbeitet die neue syrische Regierung daran, diesen Aufbau zu stärken und zu konsolidieren, indem sie eine nationale Armee aufbaut, die alle militärischen Formationen und Gruppierungen umfasst, die sich aufgrund bestimmter Umstände und Fakten während der syrischen Revolution gebildet haben (AJ 29.1.2025).
(Länderinformationsblatt der Staatendokumentation zu Syrien vom 8. Mai 2025, S. 10 ff)
1.3.2. Wehr- und Reservedienst
Die Syrische Arabische Armee wurde noch von al-Assad vor seiner Flucht nach Mitternacht am 8.12.2024 per Befehl aufgelöst. Die Soldaten sollten ihre Militäruniformen gegen Zivilkleidung tauschen und die Militäreinheiten und Kasernen verlassen (AAA 10.12.2024). Aktivisten des Syrian Observatory for Human Rights (SOHR) in Damaskus haben berichtet, dass Hunderte von Regimesoldaten ihre Militäruniformen ausgezogen haben, nachdem sie darüber informiert wurden, dass sie entlassen wurden, da das Assad-Regime gestürzt war (SOHR 8.12.2024). Ca. 2.000 syrische Soldaten sind in den Irak geflohen. Einem Beamten aus dem Irak zufolge sollen 2.150 syrische Militärangehörige, darunter auch hochrangige Offiziere, wie Brigadegeneräle und Zollangestellte, in einem Lager in der Provinz al-Anbar untergebracht sein. Die Mehrheit soll nach Syrien zurückkehren wollen (AlMada 15.12.2024). Syrischen Medien zufolge verhandelte die syrische Übergangsregierung mit der irakischen Regierung über die Rückführung dieser Soldaten (ISW 16.12.2024). Am 19.12.2024 begannen die irakischen Behörden damit, die syrischen Soldaten nach Syrien auszuliefern (TNA 19.12.2024). Die Mehrheit der führenden Soldaten und Sicherheitskräften des Assad-Regimes sollen sich noch auf syrischem Territorium befinden, jedoch außerhalb von Damaskus (Stand 13.12.2024) (AAA 10.12.2024). Nach der Auflösung der ehemaligen Sicherheits- und Militärinstitutionen verloren Hunderttausende ihren Arbeitsplatz und ihr Einkommen – vor allem in den Küstenregionen. Zehntausende wurden auch aus staatlichen und zivilen Einrichtungen entlassen, ohne alternative Einkommens- oder Arbeitsmöglichkeiten. Darüber hinaus wurden Mitgliedern der aufgelösten Armee, Polizei und Sicherheitsdienste Umsiedlungsmaßnahmen aufgezwungen, was zu wachsender Unzufriedenheit und Wut in den Reihen dieser Männer führte (Harmoon 17.3.2025).
Nach dem Umsturz in Syrien hat die von Islamisten angeführte Rebellenallianz eine Generalamnestie für alle Wehrpflichtigen verkündet. Ihnen werde Sicherheit garantiert und jegliche Übergriffe auf sie seien untersagt, teilte die Allianz auf Telegram mit (Presse 9.12.2024). HTSAnführer ash-Shara’ kündigte in einem Facebook-Post an, dass die Wehrpflicht der Armee abgeschafft wird, außer für einige Spezialeinheiten und „für kurze Zeiträume“. Des Weiteren kündigte er an, dass alle Gruppierungen aufgelöst werden sollen und über Waffen nur mehr der Staat verfügen soll (CNBC Ara 15.12.2024a; vgl. MEMRI 16.12.2024). Unklar ist, wie eine Freiwilligenarmee finanziert werden soll (ISW 16.12.2024). Auch die Auflösung der Sicherheitskräfte kündigte ash-Shara’ an (REU 11.12.2024a). In einem Interview am 10.2.2025 wiederholte ash-Shara’, dass er sich für eine freiwillige Rekrutierung entschieden habe und gegen eine Wehrpflicht. Bereits Tausende von Freiwilligen hätten sich der neuen Armee angeschlossen (Arabiya 10.2.2025a; vgl. AJ 10.2.2025a). Wehrpflichtigen der Syrischen Arabischen Armee (Syrian Arab Army - SAA) wurde eine Amnestie gewährt (REU 11.12.2024b). Ahmed ash-Shara’ hat versprochen, dass die neue Führung die höchsten Ränge des ehemaligen Militärs und der Sicherheitskräfte wegen Kriegsverbrechen strafrechtlich verfolgen wird. Was dies jedoch für die Fußsoldaten des ehemaligen Regimes bedeuten könnte oder wo die diesbezüglichen Grenzen gezogen werden, bleibt unklar (Guardian 13.1.2025). Die neue Übergangsregierung Syriens hat sogenannte „Versöhnungszentren“ eingerichtet, sagte Abu Qasra, neuer syrischer Verteidigungsminister. Diese wurden bereits gut genutzt, auch von hochrangigen Personen, und die Nutzer erhielten vorübergehende Niederlassungskarten. Eine beträchtliche Anzahl habe auch ihre Waffen abgegeben (Al Majalla 24.1.2025). Der Hauptsitz des Geheimdienstes in Damaskus ist jetzt ein „Versöhnungszentrum“, wo die neuen syrischen Behörden diejenigen, die dort gedient haben, auffordern, sich zu stellen und ihre Waffen im Geheimdienstgebäude abzugeben. Im Innenhof warten Menschenschlangen darauf, Zettel zu erhalten, die besagen, dass sie sich offiziell ergeben und mit der neuen Regierung versöhnt haben, während ehemalige Aufständische in neuen Uniformen im Militärstil die abgegebenen Pistolen, Gewehre und Munition untersuchen. Ehemalige Offiziere, die sich für die neue Regierung Syriens als nützlich erweisen könnten, beispielsweise, weil sie Informationen über Personen haben, die international gesucht werden, haben wenig zu befürchten, solange sie kooperieren (Guardian 13.1.2025). In diesen „Versöhnungszentren“ erhielten die Soldaten einen Ausweis mit dem Vermerk „desertiert“. Ihnen wurde mitgeteilt, dass man sie bezüglich ihrer Wiedereingliederung kontaktieren würde (Chatham 10.3.2025) Die Rolle der übergelaufenen syrischen Armeeoffiziere in der neuen Militärstruktur ist unklar. Während ihr Fachwissen beim Aufbau einer Berufsarmee von unschätzbarem Wert sein könnte, bestehen weiterhin Bedenken hinsichtlich ihrer Marginalisierung innerhalb der neuen Machtstruktur (DNewsEgy 3.2.2025). Unter al-Assad war die Einberufung in die Armee für erwachsene Männer obligatorisch. Wehrpflichtige mussten ihren zivilen Ausweis abgeben und erhielten stattdessen einen Militärausweis. Ohne einen zivilen Ausweis ist es schwierig, einen Job zu finden oder sich frei im Land zu bewegen, was zum Teil erklärt, warum Zehntausende in den „Versöhnungszentren“ in verschiedenen Städten aufgetaucht sind (BBC 29.12.2024). Ehemalige Soldaten und Geheimdienstmitarbeiter des Assad-Regimes, ca. 4.000 bis 5.000 Männer in Latakia und Tartus, haben sich diesen „Versöhnungsprozessen“ entzogen. Einige von ihnen wurden im Rahmen einer landesweiten Kampagne mit täglichen Suchaktionen und gezielten Razzien gefasst, andere jedoch haben sich zu bewaffnetem Widerstand gegen die Übergangsregierung entschlossen (MEI 13.3.2025).
Der Übergangspräsident Ahmed ash-Shara’ hat die Vision einer neuen „Nationalen Armee“ geäußert, die alle ehemaligen Oppositionsgruppen einbezieht. Diese Vision beinhaltet einen Prozess der Entwaffnung, Demobilisierung und Wiedereingliederung, bei dem Hay’at Tahrir ash-Sham (HTS) angeblich die Führung übernehmen soll (DNewsEgy 3.2.2025). Der syrische Verteidigungsminister Abu Qasra kündigte am 6.1.2025 den Beginn von Sitzungen mit militärischen Gruppierungen an, um Schritte zu deren Integration in das Verteidigungsministerium zu entwickeln (Arabiya 6.1.2025b). Hochrangige Beamte des neuen Regimes führten Gespräche über die Eingliederung von Milizen in das Verteidigungsministerium und die Umstrukturierung der syrischen Armee mit Vertretern unterschiedlicher bewaffneter Gruppierungen, wie Fraktionen der von der Türkei unterstützten Syrischen Nationalen Armee (Syrian National Army - SNA) (MAITIC 9.1.2025). Die Behörden gaben Vereinbarungen mit bewaffneten Rebellengruppen bekannt, diese aufzulösen und in die vereinte syrische Nationalarmee zu integrieren (UNSC 7.1.2025). Die einzige Möglichkeit, eine kohärente militärische Institution aufzubauen, besteht laut Abu Qasra darin, die Gruppierungen vollständig in das Verteidigungsministerium unter einer einheitlichen Struktur zu integrieren. Die Grundlage für diese Institution muss die Rechtsstaatlichkeit sein (Al Majalla 24.1.2025). Es bleibt abzuwarten, wie die neue Armee Syriens aussehen wird und ob sie auf einer anderen Struktur als die Armee des Assad-Regimes basieren wird.
Die Umstrukturierung des syrischen Militärs hat gerade erst begonnen. Der neue de-facto-Führer hat versprochen, die neue Armee in eine professionelle, auf Freiwilligen basierende Truppe umzuwandeln, um die Professionalität in den Reihen zu fördern und sich von der Wehrpflichtpolitik zu entfernen, die das zusammengebrochene Assad-Regime charakterisierte (TR-Today 8.1.2025). Medienberichten zufolge wurden mehrere ausländische islamistische Kämpfer in hohe militärische Positionen berufen. Ash-Shara’ hatte Berichten zufolge außerdem vorgeschlagen, ausländischen Kämpfern und ihren Familien aufgrund ihrer Rolle im Kampf gegen al-Assad die Staatsbürgerschaft zu verleihen (UNSC 7.1.2025).
Syrische Medien berichten, dass die neue Regierung aktiv Personen für die Armee und die Polizei rekrutiert. Damit soll der dringende Bedarf an Kräften gedeckt werden. Neue Soldaten, Unteroffiziere und Offiziere werden Berichten zufolge durch intensive Programme rekrutiert, die von den traditionellen akademischen und Ausbildungsstandards abweichen. Der Prozess der Vorbereitung von Militär- und Sicherheitskadern wird beschleunigt, um den Bedürfnissen des neuen Staates gerecht zu werden (SCI o.D.). Am 10.2.2025 gab Übergangspräsident ash-Shara’ an, dass sich Tausende von Freiwilligen der neuen Armee angeschlossen haben (Arabiya 10.2.2025a). Viele junge Männer ließen sich einem Bericht des syrischen Fernsehsenders Syria TV zufolge für die neue Armee rekrutieren. Insbesondere seien junge Männer in Idlib in dieser Hinsicht engagiert. Die Rekrutierungsabteilung der neuen syrischen Verwaltung in der Provinz Deir ez-Zour gab bekannt, dass wenige Wochen nach der Übernahme der Kontrolle über die Provinz durch den Staat etwa 1.200 neue Rekruten in ihre Reihen aufgenommen wurden. In den ländlichen Gebieten von Damaskus treten junge Männer vor allem der Kriminalpolizei bei (Syria TV 21.2.2025). Die Rekrutierungsabteilung von Aleppo teilte am 12.2.2025 mit, dass bis zum 15.2.2025 eine Rekrutierung in die Reihen des Verteidigungsministeriums läuft. Dort ist die Aufnahmebedingung für junge Männer, dass sie zwischen 18 und 22 Jahre alt, ledig und frei von chronischen Krankheiten und Verletzungen sein müssen (Enab 12.2.2025). Das syrische Verteidigungsministerium hat am 17.3.2025 mehrere Rekrutierungszentren im Gouvernement Dara’a in Südsyrien eröffnet (NPA 17.3.2025). Das Innenministerium hat seitdem Rekrutierungszentren in allen von der Regierung kontrollierten Gebieten eröffnet (ISW 16.4.2025). Berichten zufolge verlangt die neue Regierung von neuen Rekruten eine 21-tägige Scharia-Ausbildung (FDD 28.1.2025).
Ende Februar 2025 verbreiteten Facebook-Seiten die Behauptung, die Allgemeine Sicherheit habe in Jableh, Banyas und Qardaha Checkpoints eingerichtet, um jeden zu verhaften, der eine Siedlungskarte besitzt. Die Seiten behaupten, dass die Allgemeine Sicherheit die Verhafteten nach Südsyrien verlegt, wo es zu einer Eskalation durch die israelische Besatzung kommt. Die syrische Regierung dementierte die Durchführung von Rekrutierungskampagnen in den Provinzen Latakia und Tartus. Die Rekrutierung basiere weiterhin auf Freiwilligkeit (Syria TV 26.2.2025).
(Länderinformationsblatt der Staatendokumentation zu Syrien vom 8. Mai 2025, S. 139 ff)
1.3.3. Wehr- und Reservedienst in den Gebieten unter der Kontrolle der kurdisch dominierten SDF - Demokratische Autonome Administration von Nord- und Ostsyrien (DAANES)
Wehrdienst
Der Gesellschaftsvertrag von 2023 regelt in der Demokratischen Autonomen Administration von Nord- und Ostsyrien (DAANES) in Abschnitt 5 die Selbstverteidigungspflicht. Artikel 111 besagt, dass Selbstverteidigung eine Garantie und Fortsetzung des Lebens, und basierend auf dem Recht und der Pflicht ist, die Existenz zu verteidigen. Sie erfordert die Einrichtung eines Selbstschutzsystems, das auf dem Bewusstsein der legitimen Selbstverteidigung und der organisierten demokratischen Gesellschaft in Nord- und Ostsyrien beruht. Einerseits gibt es die Community Protection Forces, die für den Schutz Nord- und Ostsyriens und die Gewährleistung des Schutzes von Leben und Eigentum der Bürger vor allen Angriffen und Besatzungen verantwortlich sind. Die Community Protection Forces werden unter Beteiligung aller Bürger organisiert. Selbstverteidigung ist ein Recht und eine Pflicht für jeden Bürger. Es ist die Pflichtorganisierter ethnischer und religiöser Gruppen, sich wirksam am Selbstverteidigungssystem zu beteiligen, angefangen bei Stadtvierteln, Dörfern, Städten und allen Wohneinheiten. Anderseits erwähnt Artikel 111 auch die Syrischen Demokratischen Kräfte (Syrian Democratic Forces - SDF). Sie sind die legitimen Verteidigungskräfte in der Demokratischen Autonomen Verwaltung Nord- und Ostsyriens. Sie nehmen den freiwilligen Beitritt der Söhne und Töchter des Volkes und die Pflicht zur Selbstverteidigung an. Ihre Aktivitäten werden vom Demokratischen Volksrat und der Verteidigungskommission überwacht. Sie organisieren sich autonom innerhalb des Demokratischen Konföderalen Systems Nord- und Ostsyrien und haben die Aufgabe, die DAANES und alle syrischen Gebiete zu verteidigen und sie vor jeglichen potenziellen Angriffen oder Gefahren von außen zu schützen (RIC 14.12.2023). Laut Gesetz Nr. 1 zur Selbstverteidigung gelten Männer mit Vollendung des 18. Lebensjahres als wehrpflichtig und müssen den Selbstverteidigungsdienst bis zum vierzigsten Lebensjahr vollendet haben (Artikel 13). Wehrpflichtig ist jeder männliche Bewohner der Region Nord- und Ostsyrien, der das gesetzliche Alter für die Ausübung des Selbstverteidigungsdienstes erreicht hat, bzw. jeder, der seit mehr als drei Jahren dauerhaft in Nord- und Ostsyrien ansässig ist und die syrische Staatsangehörigkeit besitzt (Artikel 1) (AANES-GC 22.2.2024). Zwei Quellen, die vom Danish Immigration Service (DIS) befragt wurden, äußerten jedoch Zweifel an der konsequenten Einberufung von Personen von außerhalb der DAANES in allen Regionen (DIS 6.2024). Frauen in den von der Autonomen Verwaltung kontrollierten Gebieten können freiwillig Wehrdienst leisten (Enab 22.2.2024). Wladimir van Wilgenburg, Journalist und Autor, und ein Experte für syrische Kurdenhaben noch von keinem Fall gehört, in dem Frauen zwangsweise zur Selbstverteidigung eingezogen wurden (DIS 6.2024).
Das sogenannte Verteidigungsbüro des Exekutivrats der „Demokratischen Autonomen Verwaltung von Nord- und Ostsyrien“ hat die für die Wehrpflicht erforderlichen Geburtsjahrgänge festgelegt, während die Verhaftungskampagnen gegen junge Menschen für die Einberufung in die Reihen der SDF weitergehen. Die Erklärung wurde vom Verteidigungsbüro der Autonomen Verwaltung an alle Verteidigungsbüros in der Region verteilt. Darin steht, dass wer zwischen dem 1.1.1998 und dem 31.12.2005 für den Dienst der Selbstverteidigung wehrpflichtig ist (Shaam 10.1.2024). Bereits vier Tage nach dem Erlass der Richtlinien, in der die Geburtsjahrgänge für die Selbstverteidigungspflicht bekannt gemacht wurden, nahmen die SDF eine Rekrutierungskampagne in al-Hasaka im Juni 2024 wieder auf, nachdem sie im Monat zuvor, am 8.5.2024 die Rekrutierungsprozesse eingestellt hatten (Enab 27.6.2024a). Anfang Juli 2024 wurden beispielsweise 240 Personen in den Provinzen Deir ez-Zour, al-Hasaka und ar-Raqqa gefangen genommen, um sie für den Militärdienst zu rekrutieren (SO 2.7.2024). Die Dienstzeit im Selbstverteidigungsdienst beträgt laut Artikel 2 des Gesetzes Nr. 1 über die Selbstverteidigungspflicht zwölf volle Monate beginnend mit dem Datum der Einschreibung des Wehrpflichtigen (AANESGC22.2.2024).
2014 wurde die Zwangsrekrutierung von den Volksschutzeinheiten (Yekîneyên Parastina Gel - YPG), einer militärischen Säule der SDF, im Anschluss an das Dohuk-Abkommen, bei dem sich die kurdischen Parteien in der irakischen Stadt Dohuk getroffen hatten, um eine Einigung über die Verwaltung der Region zu erzielen, eingeführt (Enab 22.2.2024).
Araber und Kurden werden laut von ACCORD befragten Experten vor dem Gesetz gleichbehandelt. Fabrice Balanche erklärt jedoch, dass mehr Flexibilität gegenüber Arabern gezeigt werden würde, um einen Aufstand zu vermeiden. Arabische Stammesführer hätten lokal die Macht und würden für bestimmte junge Araber Ausnahmen und Aufschiebungen erwirken. Einem Syrienexperten zufolge seien die speziellen Konsequenzen für Araber von Region zu Region unterschiedlich. Nicht alle von den SDF kontrollierten Gebiete stünden unter derselben Art von Kontrolle. In den vornehmlich arabisch besiedelten Stammesregionen von Deir ez-Zour hätten die SDF beispielsweise nicht die Kapazität, eine direkte Rekrutierung wie in der Provinz al-Hasaka durchzusetzen. Anders als Balanche meint Muhsen Al-Mustafa, Forscher am Omran Center for Strategic Studies, dass arabische Wehrdienstverweigerer bei der Festnahme anders behandelt werden und Beleidigungen und Gewalt ausgesetzt sein könnten (ACCORD 6.9.2023). Quellen des Danish Immigration Service (DIS) zufolge ist DAANES bei der Umsetzung des Gesetzes zur Selbstverteidigung in Gebieten mit überwiegend arabischer Bevölkerung vorsichtig. Ebenso werden Christen in der Praxis nicht der gleichen Durchsetzung des Gesetzes zur Selbstverteidigung unterworfen wie Kurden, so eine weitere Quelle. Daher nehmen christliche Jugendliche in der Regel nicht an der Selbstverteidigungspflicht teil, sondern treten stattdessen für drei Jahre der christlichen Polizeitruppe Sutoro bei. Dieser Dienst befreit sie von der Selbstverteidigungspflicht (DIS 6.2024).
Mehrere Quellen des DIS, darunter ein ehemaliger Rekrut, der seine Wehrpflicht vor zwei Jahren erfüllt hat, berichteten, dass der Selbstverteidigungsdienst mit einem grundlegenden theoretischen und praktischen militärischen Ausbildungsprogramm beginnt. Während des theoretischen Teils erhalten die Wehrpflichtigen Unterricht in allgemeiner Geschichte der Nationalen Streitkräfte sowie in Kultur und Ethik. Sie erhalten auch eine theoretische Einführung in militärische Themen, einschließlich militärischer Begriffe und Waffen. Im praktischen Teil des Ausbildungsprogramms absolvieren die Wehrpflichtigen ein körperliches Training und eine Waffenausbildung. Während der ersten Phase der Grundausbildung haben die Wehrpflichtigen keinen einzigen Tag frei. Nach Abschluss ihrer Ausbildung haben sie acht bis zehn Tage frei, bevor sie in ihren jeweiligen Einheiten und Aufgabenbereichen eingesetzt werden. Anschließend haben die Wehrpflichtigen für den Rest ihres Dienstes alle zehn Tage einen Tag frei. Nach der Ausbildungszeit, die bis zu zwei Monate dauert, werden die Wehrpflichtigen verschiedenen Aufgaben in unterschiedlichen Zentren oder Einheiten zugewiesen, wo sie für den Rest ihres Dienstes tätig sind. Die Ausbildung oder Qualifikationen der Wehrpflichtigen werden bei der Zuweisung ihrer Aufgaben oft berücksichtigt. So werden beispielsweise diejenigen mit einem besseren Bildungshintergrund und besseren Fähigkeiten Aufgaben in Büros oder Einrichtungen zugewiesen, die von ihren Fähigkeiten profitieren könnten. Wehrpflichtige mit niedrigem oder ohne Bildungshintergrund werden oft für Aufgaben im Zusammenhang mit der Bewachung oder dem Schutz öffentlicher Gebäude eingesetzt. Im Allgemeinen werden die Wehrpflichtigen nicht in Kampfsituationen eingesetzt. Es gab jedoch Fälle, in denen die Wehrpflichtigen in Kampfsituationen verwickelt waren, z. B. während der Schlacht um Afrin im Jahr 2018, bei schweren Kämpfen in Deir ez-Zour im Sommer 2023, bei den Kämpfen in Tell Abyad und bei Angriffen des Islamischen Staats (IS) auf das Gefängnis von al-Hasaka (2022), das hauptsächlich von Wehrpflichtigen bewacht wurde (DIS 6.2024).
Aufschub und Befreiung
Die Gesetzgebung erlaubt es Personen, die zur Selbstverteidigung verpflichtet sind, ihren Dienst aufzuschieben oder sich davon befreien zu lassen, je nach ihren individuellen Umständen. Diese Regeln, die unter anderem Ausnahmen aus medizinischen Gründen und Aufschübe für Studierende oder im Ausland lebende Personen vorsehen, werden von der DAANES aufrechterhalten und durchgesetzt. Einer Person, der eine Befreiung oder Entlassung von der Selbstverteidigungspflicht gewährt wurde, wird dies in ihrem Selbstverteidigungsheft vermerkt (DIS 6.2024). Das Gesetz Nr. 1 über die Selbstverteidigungspflicht erlaubt es durch Artikel 16 Studierenden, wenn diese die erforderlichen Unterlagen vorlegen, ihre Einberufung jeweils für ein akademisches Jahr, beginnend mit 15. März jeden Jahres, aufzuschieben (AANES-GC 22.2.2024). Im September 2023 nahm die Selbstverwaltung im Nordosten Syriens Änderungen im Gesetz zur Selbstverteidigung vor. Die Änderungen legen eine bestimmte Altersgrenze für den Aufschub des Studiums fest, und zwar für jede einzelne Ausbildungsstufe. So kann ein Masterstudent den Dienst bis zum Alter von 32 Jahren aufschieben und hat kein Recht auf Aufschub nach diesem Alter, auch wenn er seine Studien oder einen weiteren Studienzweig noch nicht abgeschlossen hat. Ein neuer Artikel Nr. 30 wurde dem Gesetz hinzugefügt, der vorsieht, dass Ärzte und Apotheker, die ihr Studium abgeschlossen haben und sich zum Dienst auf dem Land verpflichten, ihren Wehrdienst um ein volles Jahr aufschieben können, sofern der Antragsteller das 30. Lebensjahr nicht überschritten hat. Bereits im Jahr 2018 wurde das Gesetz geändert, beispielsweise wurde ein Aufschub von Universitätsstudenten, des einzigen Kindes in der Familie, wie von Familien der Gefallenen und derjenigen, die Brüder in den Inneren Sicherheitskräften (Assayish) und der YPG haben (Enab 22.2.2024). Laut Artikel 17 wird Studenten, die einen Studienaufschub erhalten haben und das Alter für die Aufnahme des Studiums noch nicht erreicht haben, wie z. B. Studenten, die einen Studienaufschub erhalten haben, während sie noch 17 Jahre alt waren, dieses Jahr nicht als eines der Aufschubjahre gezählt. (AANES-GC 22.2.2024). Darüber hinaus stellte eine Quelle des Verteidigungsministeriums der DAANES klar, dass Studierende nicht an Bildungseinrichtungen innerhalb der DAANES eingeschrieben sein müssen, um für eine Aussetzung ihrer Selbstverteidigungspflicht infrage zu kommen. Sie können auch an Einrichtungen in von der syrischen Regierung kontrollierten Gebieten oder in den Nachbarländern Syriens, einschließlich der Türkei, des Irak, des Libanon und Jordaniens, eingeschrieben sein (DIS 6.2024).
Gemäß Artikel 25 des Gesetzes Nr. 1 über die Selbstverteidigungspflicht wird Brüdern von Wehrpflichtigen derselben Mutter innerhalb der Selbstverteidigungspflicht, die den Ausbildungskurs abgeschlossen haben, ein Aufschub gewährt. Dieser Aufschub wird zweimal für jeweils sechs Monate gewährt. Artikel 26 regelt administrative Aufschübe. So kann, wer frisch von außerhalb Syriens zurückgekehrt ist, eine Aufschiebung für maximal sechs Monate bekommen. Der einzige Bruder eines Vermissten kann einen Aufschub für zwei Jahre bekommen. Geschwister, die das 18. Lebensjahr noch nicht vollendet haben und deren Eltern verstorben oder behindert sind, können ein Jahr aufschieben. Die genannten Aufschübe werden nach einer Überprüfung durch das Zentrum für Selbstverteidigungsaufgaben und der Genehmigung durch die Abteilung für Selbstverteidigungsaufgaben gewährt (AANES-GC 22.2.2024). Personen, die mindestens drei Jahre lang in einer Einrichtung oder Truppe unter dem DAANES gedient haben, können von der Selbstverteidigungspflicht befreit werden. Dies gilt für bezahlte, auf einem Vertrag basierende Dienste in jeder vom DAANES anerkannten Einrichtung, wie z. B. der Verkehrspolizei. Ehemalige Mitglieder der Internen Sicherheitskräfte (Assayish) oder der SDF sind vom Selbstverteidigungsdienst befreit, wenn sie bereits zwischen 2012 und 2015 mindestens zwei Jahre lang bei der Assayish oder der SDF gedient haben. Auch Personen, die derzeit drei bis fünf Jahre lang bei der Assayish oder der SDF dienen, können eine Befreiung beantragen. Junge Männer, die nicht dienen wollen, können alternative Wege in Betracht ziehen, um die Vorschriften des Gesetzes über die Selbstverteidigungspflicht zu erfüllen. Eine Möglichkeit besteht darin, drei Jahre lang bei der Verkehrspolizei zu dienen, wodurch sie sich für eine Befreiung von ihrer Selbstverteidigungspflicht qualifizieren würden (DIS 6.2024).
Von der Pflicht zur Selbstverteidigung befreit sind laut Artikel 29 des Gesetzes Nr. 1 über die Selbstverteidigungspflicht: Kinder und Geschwister von Märtyrern, die offiziell in den Registern der Märtyrer-Familien-Kommission eingetragen sind und eine Bescheinigung über das Märtyrertum besitzen, Personen mit besonderen Bedürfnissen und Patienten mit Krankheiten, die sie an der Ausübung ihrer Pflicht hindern, gemäß den medizinischen Berichten des militärmedizinischen Zentrums und der Genehmigung der Verteidigung in den autonomen und zivilen Verwaltungen, der einzige Sohn von Eltern oder eines Elternteils, unabhängig davon, ob beide leben oder tot sind, ein Findelkind, dessen Abstammung nicht bekannt ist. Alle männlichen Geschwister mit besonderen Bedürfnissen werden gemäß den Berichten des militärmedizinischen Zentrums als das einzige Geschwisterkind behandelt (AANES-GC 22.2.2024). Je nach Art der Erkrankung kann eine Person entweder von der Dienstpflicht befreit oder von ihr zurückgestellt werden. Medizinische Befreiungen werden bei körperlichen und psychischen Erkrankungen gewährt, die die betreffende Person daran hindern, der Selbstverteidigungspflicht nachzukommen. In solchen Fällen wird eine medizinische Untersuchung durchgeführt, um die Dienstfähigkeit der Person festzustellen. Gemäß Artikel 29 des Gesetzes über die Selbstverteidigungspflicht können Personen mit besonderen Bedürfnissen und Patienten mit Krankheiten, die sie an der Erfüllung der Selbstverteidigungspflicht hindern, von der Pflicht befreit werden, wenn sie über einen genehmigten medizinischen Bericht des Militärmedizinischem Zentrums und die Genehmigung der Verteidigungsämter in Verwaltungs- und Zivilabteilungen verfügen. Ein syrischer Universitätsprofessor teilte dem Danish Immigration Service mit, dass die Regeln für medizinische Ausnahmen weiterhin von den DAANES-Behörden umgesetzt und eingehalten werden (DIS 6.2024).
Gemäß Artikel 27 des Gesetzes Nr. 1 über die Selbstverteidigungsdienstpflicht müssen Einwohner und Inhaber einer Aufenthaltserlaubnis aus allen Ländern mit Ausnahme der Länder, die eine Landgrenze zu Syrien haben, eine jährliche Aufschubgebühr von 400 US-Dollar für jedes Jahr ab Inkrafttreten des Gesetzes zahlen (AANES-GC 22.2.2024). Die Stundung durch Zahlung dieser Gebühr kann insgesamt zweimal in Anspruch genommen werden. Einzelpersonen können sich innerhalb der DAANES frei bewegen, ohne nach Zahlung der Gebühr zur Selbstverteidigung eingezogen zu werden. Einzelpersonen aus den DAANES, die in den Nachbarländern Syriens leben, können eine Stundung aus Bildungsgründen erhalten, z. B. wenn sie an einer Bildungseinrichtung in der Türkei eingeschrieben sind (DIS 6.2024). Gemäß Artikel 36 des Gesetzes Nr. 1 über die Selbstverteidigungsdienstpflicht sind Personen nicht verpflichtet, den Selbstverteidigungsdienst zu leisten, wenn sie eine nicht-syrische Staatsbürgerschaft erhalten (AANES-GC 22.2.2024). Männer in der entsprechenden Altersgruppe, die Syrien verlassen haben, aber nach Überschreitung des Höchstalters für den Dienst zurückkehren, erhalten in der Regel Amnestie. Es kann jedoch eine Geldstrafe von bis zu 300 US-Dollar verhängt werden (DIS 6.2024).
Wehrpflichtverweigerer und Deserteure
Gemäß Artikel 15 des Gesetzes Nr. 1. über die Selbstverteidigungspflicht wird jeder säumige Soldat, der eingezogen wird, bestraft, indem er einen Monat auf das Ende seiner Dienstzeit angerechnet bekommt (AANES-GC 22.2.2024). Dass die Bestrafung mit einem zusätzlichen Monat auch in der Praxis so gehandhabt wird, bestätigten die von der Danish Immigration Service befragten Quellen. Die Namen der Wehrdienstverweigerer werden veröffentlicht und an Checkpoints weitergegeben. Dort wird nach ihnen gesucht, nicht aber in ihren Wohnhäusern (DIS 6.2024). Diejenigen, die auf frischer Tat beim illegalen Überschreiten der Grenze ertappt werden, werden direkt in das Ausbildungszentrum gebracht, um ihre Pflicht zur Selbstverteidigung zu erfüllen, besagt Artikel 28 im Gesetz Nr. 1 zur Selbstverteidigungspflicht (AANES-GC 22.2.2024). Gemäß Quellen des Danish Immigration Service (DIS) werden Wehrdienstverweigerer, wenn sie an Checkpoints aufgegriffen werden, vorübergehend festgenommen und zur Ableistung ihres Dienstes geschickt. Die Familie des Betroffenen wird über seine Festnahme und Einberufung informiert. Den Quellen des DIS waren keine Fälle von Gewalt oder Misshandlung von Wehrdienstverweigerern oder Deserteuren bekannt, die an Kontrollpunkten gefasst wurden. Das Leben ist für diejenigen, die sich der Selbstverteidigungspflicht in den Nationalen Sicherheitskräften entziehen, eine Herausforderung, da viele junge Männer Kontrollpunkte meiden und auf Fluchtmöglichkeiten warten. Quellen berichteten von Entflohenen, die sich jahrelang versteckt hielten. In arabisch dominierten Gebieten kann die Flucht länger andauern, da die Behörden vorsichtig vorgehen, um keine Spannungen zu provozieren, indem sie diejenigen suchen und verhaften, die ihrer Pflicht nicht nachgekommen sind (DIS 6.2024). Al-Mustafa, Forscher am Omran Center for Strategic Studies, schreibt in einer E-Mail an ACCORD vom September 2023, dass alle Wehrdienstverweigerer unter die Bestimmungen des Gesetzes zur Selbstverteidigungspflicht fallen würden und dem Gesetz entsprechend behandelt würden. Die Assayish würden den Wohnort von zum Dienst gesuchten Personen durchsuchen, an Checkpoints Rekrutierungslisten überprüfen und die Gesuchten verhaften. Nach dem Gesetz werde jede Person, die dem Dienst fernbleiben, verhaftet und mit einer Verlängerung des Dienstes um einen Monat bestraft. Ein von ACCORD kontaktierter Syrienexperte gibt in einer E-Mail-Auskunft vom August 2023 an, dass die Konsequenzen bei Verweigerung des Dienstes in den Selbstverteidigungskräften vom Profil des Wehrpflichtigen und der Region, aus der er stamme, abhingen. Je strenger die kurdische Kontrolle, desto höher sei die Wahrscheinlichkeit, dass Rekruten nicht das Risiko eingehen würden, offen Einwände gegen den Selbstverteidigungsdienst zu zeigen. In al-Hasaka beispielsweise könnten Personen im dienstfähigen Alter verhaftet und zum Dienst gezwungen werden (ACCORD 6.9.2023).
Die SDF definieren einen Deserteur im Selbstverteidigungsgesetz als einen Kämpfer, der nach seinem Eintritt 15 aufeinanderfolgende Tage des Dienstes versäumt hat, während die volle Dienstzeit zwölf Monate beträgt (Enab 22.2.2024). Laut zwei vom DIS befragten Quellen werden Deserteure zwar nicht zusätzlich bestraft, aber es werden Ermittlungen zu ihren Motiven für die Desertion durchgeführt. Deserteure entscheiden sich oft dafür, die Region aus Angst vor möglichen Konsequenzen zu verlassen, obwohl die Einzelheiten dieser Konsequenzen unklar bleiben. Sowohl für Wehrdienstverweigerer als auch für Deserteure werden regelmäßig Amnestien angekündigt, vorausgesetzt, sie melden sich zum Wehrdienst und leisten ihn ab. Die jüngste Amnestie wurde Anfang Mai 2024 erlassen. Junge Menschen kommen ihren Verpflichtungen zur Selbstverteidigung in der Regel umgehend nach, wenn in der DAANES eine stabile Sicherheitslage herrscht, während sie sich bei anhaltenden externen Sicherheitsbedrohungen aktiv um eine Dienstverweigerung bemühen können (DIS 6.2024).
Familienangehörige von Wehrdienstverweigerern und Deserteuren werden nicht bestraft. Den Quellen des DIS waren keine Fälle bekannt, in denen Familienmitglieder von Wehrdienstverweigerern und Deserteuren aufgrund der Wehrdienstverweigerung oder Desertion ihrer Verwandten Schikanen oder anderen Verstößen ausgesetzt waren, selbst in Fällen, in denen der Wehrdienstverweigerer an einem Checkpoint festgenommen wurden (DIS 6.2024).
(Länderinformationsblatt der Staatendokumentation zu Syrien vom 8. Mai 2025, S. 144 ff)
1.3.4. Kurden
Kurden sind die größte ethnische Minderheit. Es gibt keine offiziellen Statistiken über die Zahl der Kurden in Syrien, aber die meisten Schätzungen gehen davon aus, dass es sich um zwei bis drei Millionen Menschen handelt, die sich in den Gebieten al-Hasaka, Qamishli, 'Ain al-'Arab, 'Afrin und in den Vierteln von Damaskus und Aleppo aufhalten, so das Jusoor Centre for Studies. Die aufeinanderfolgenden Regierungen haben die kurdische Identität nicht anerkannt, und der Staat hat sie daran gehindert, die kurdische Sprache in ihren Schulen oder in Zeitungen und Büchern zu verwenden. Etwa 300.000 Kurden haben seit den 1960er-Jahren nicht die syrische Staatsbürgerschaft erhalten, und kurdisches Land wurde konfisziert und an Araber verteilt, um die kurdischen Gebiete zu „arabisieren“. Die Mehrheit der Kurden sind sunnitische Muslime, mit einer kleinen Anzahl von Christen und Jesiden (BBC 12.12.2024). In den letzten Jahren ist im Nordwesten Syriens eine autonome kurdische Region entstanden, die jedoch von der syrischen Regierung nicht anerkannt wird (MRG 1.2025).
Im Norden verteidigten syrische Kurden, unterstützt von anderen Minderheiten, ihre autonome Enklave, die auf Kurdisch Rojava genannt wird und 2012 gegründet wurde. Die autonome Verwaltung führte positive Praktiken ein, die die Rechte sprachlicher und religiöser Minderheiten respektierten, und verwendete drei offizielle Sprachen (Kurdisch, Arabisch und Aramäisch). Es gab jedoch Berichte über kurdische bewaffnete Gruppen, die arabische und turkmenische Häuser in der Region zerstörten und ihre Bewohner vertrieben (MRG 1.2025).
Übergangspräsident ash-Shara' unterscheidet zwischen der kurdischen Gemeinschaft und der Kurdischen Arbeiterpartei (Partiya Karkerên Kurdistanê - PKK), zu der er auch die Syrischen Demokratischen Kräfte (Syrian Democratic Forces - SDF) zählt, weil sie ebenfalls Gruppierungen mit Verbindungen zum militärischen Arm der PKK umfassen. Die Kurden sieht er als Teil des Heimatlandes an und verspricht ein friedliches Zusammenleben ohne Unterdrückung der Kurden (MEMRI 16.12.2024). Bei einem Treffen zwischen ash-Shara' und einer Delegation der kurdisch dominierten SDF erklärten sich die Kurden nur bereit, den neuen syrischen Sicherheitskräften als unabhängige Einheit beizutreten, forderten den größten Anteil an den Öleinnahmen und beantragten die Selbstverwaltung in Gebieten mit kurdischer Mehrheit als Teil einer syrischen Föderation. Ash-Shara' stimmte einer gewissen Dezentralisierung der Verwaltung, einer proportionalen Verteilung der Öleinnahmen auf die von den Kurden kontrollierten Gebiete und der Anerkennung der kulturellen Rechte der Kurden, einschließlich des Kurdischunterrichts an Schulen, zu. Regierungsvertreter bestanden jedoch darauf, dass die militärische Integration individuell unter dem Verteidigungsministerium erfolgen würde (MAITIC 9.1.2025). SDF-Kommandant 'Abdi reicht die Zusicherung ash-Shara's, den Kurden kulturelle Rechte in der neuen Verfassung zuzusprechen, nicht aus. Er verlangt politische Rechte, wie die Verwaltung von Städten durch Kurden. Außerdem sollen kurdische Kommandanten und Anführer bei einer Integration in eine neue syrische Armee nach denselben Standards in Führungspositionen gebracht werden, wie es mit HTS-Kommandanten erfolgt ist (FAZ 28.1.2025).
(Länderinformationsblatt der Staatendokumentation zu Syrien vom 8. Mai 2025, S. 207 ff)
Kurden
In Bezug auf die kurdische Gemeinschaft hielt Al-Sharaa nach der Übernahme der Kontrolle ein erstes Treffen mit einer hochrangigen SDF-Delegation ab, um die Grundlage für künftige Gespräche zu schaffen. Seine Äußerungen deuteten darauf hin, dass die Übergangsverwaltung nicht mit dem Anti-SDF-Ansatz der von der Türkei unterstützten SNA übereinstimmte. Dennoch bezeichnete Mohammed A. Salih, ein auf kurdische und regionale Fragen spezialisierter Wissenschaftler, seine Äußerungen als unklar und nicht unterstützend für die kurdischen Ziele. Nach der raschen Einnahme von Aleppo durch die von der HTS geführte Offensive Ende November zwangen die SNA-Kräfte Tausende von kurdischen Zivilisten zur Flucht westlich des Euphrat. In Aleppo hatten die Kurden in erster Linie mit der HTS zu tun, die sich moderat und offen für einen Dialog gezeigt hat. Im Gegensatz dazu geriet die SNA in Manbij immer wieder in Konflikt mit den SDF. Die ständige Existenz der SDF wurde von den Organisatoren der Nationalen Dialogkonferenz als Grund für den Ausschluss der halbautonomen kurdischen Verwaltung und der ihr nahestehenden Einrichtungen von der Konferenz angegeben.
Während des gesamten Jänners kam es zu weiteren Verletzungen von Wohnraum und Eigentum, als vertriebene kurdische Einwohner versuchten, nach Afrin, einer mehrheitlich kurdisch bewohnten Region im Umland von Aleppo, und in die umliegenden Gebiete zurückzukehren. Berichten zufolge wurden sie von den SNA-Kräften gezwungen, bis zu 10.000 USD für die Rückgabe ihrer Häuser zu zahlen. Gleichzeitig nahmen SNA-Gruppierungen im Jänner mindestens zehn Kurden in Afrin fest, wobei die Lösegeldforderungen für die Freilassung auf über 1.000 USD pro Person anstiegen. Bis Mitte Februar hatte sich für die Kurden in Afrin trotz des Einsatzes von Sicherheitskräften aus Damaskus in der Stadt am 7. Februar nur wenig geändert. Berichten zufolge hielten die Misshandlungen durch verschiedene Gruppierungen in Afrin an. Zurückkehrende Bewohner stellten fest, dass ihre Häuser von Kämpfern oder Zivilisten besetzt waren, die für ihre Abreise erhebliche Geldsummen verlangten, obwohl die früheren Bewohner von der Übergangsverwaltung förmliche Zusicherungen für ihre Rückkehr erhalten hatten. Gegen Ende Februar besuchte Al-Sharaa Afrin und traf sich mit lokalen kurdischen Vertretern, die ihre Beschwerden vortrugen; daraufhin sagte er zu, die Gruppierungen in der Stadt durch offizielle Sicherheitskräfte zu ersetzen und die gegen die kurdische Gemeinschaft gerichteten Übergriffe anzugehen.
(EUAA Syria: Country Focus aus März 2025, S. 31 – eigene Übersetzung mit Hilfe des KI-Instruments „DeepL“)
1.3.5. Bewegungsfreiheit
In Syrien gibt es fünf zivile Flughäfen, von denen nur Damaskus und Aleppo in Betrieb sind. Die beiden Flughäfen funktionieren gut. Der Flughafen Hmeimim in Latakia könnte laut syrischem Verkehrsminister bald in Betrieb genommen werden. Der Flughafen funktioniert, aber aufgrund der Präsenz der russischen Basis wird erst ein Plan entwickelt, um dieses Problem bezüglich ihrer Anwesenheit zu lösen. Daneben gibt es noch den zivilen Flughafen Deir ez-Zour, der jedoch stark beschädigt ist und Wartungskosten erfordert (Rudaw 1.2.2025). Am 8.1.2025 landete der erste internationale kommerzielle Flug seit dem Sturz des ehemaligen syrischen Präsidenten Bashar al-Assad auf dem Flughafen von Damaskus (AJ 7.1.2025). Der Internationale Flughafen von Damaskus wurde in der Nacht vom 7. auf den 8.12.2024 geplündert, nachdem die Flughafenwachen geflohen waren, als Oppositionskräfte die Hauptstadt einnahmen. Der Großteil der technischen und ingenieurwissenschaftlichen Ausrüstung und des Zubehörs wurde gestohlen. Am 18.12.2024 wurde der Flughafen teilweise wiedereröffnet, als ein Inlandsflug in die nördliche Stadt Aleppo startete. Beamte des Flughafens gaben damals an, dass die Wiedereröffnung aufgrund von Vandalismus und Diebstählen nur teilweise erfolgte. Der Hauptflughafen Syriens in der Hauptstadt Damaskus nahm seinen vollen Betrieb am 8.1.2025 wieder auf (DS 7.1.2025). Es gibt nur sehr wenige syrische Flugzeuge. Der Staat besitzt nur zwei einsatzfähige Flugzeuge und es gibt einige Flugzeuge, die gewartet werden müssen, was vielleicht so teuer ist wie der Wert des Flugzeugs selbst. Zusätzlich gibt es ein unabhängiges syrisches Unternehmen, das vielleicht fünf oder sechs einsatzfähige Flugzeuge hat, und es gibt Verträge mit vielen Unternehmen. Das Problem liegt nicht in der Verfügbarkeit syrischer Flugzeuge, sondern in den Beschränkungen des Regimes für Verträge, in die der Luftfahrtsektor investieren könnte. In der nächsten Phase sollen die Flughäfen von Damaskus und Aleppo eine gute Anzahl von Flugzeugen erhalten (Rudaw 1.2.2025). Nur wenige Fluggesellschaften fliegen Syrien wieder an oder haben angekündigt, ihre Flüge ins Land wieder aufzunehmen (NTV 18.1.2025). Die Zahl der Flüge nach Damaskus nehme laut syrischem Verkehrsminister jeden Tag zu. Der Flughafen in Qamishli wurde drei Tage nach der Befreiung Syriens vom Assad-Regime von den SDF übernommen. Sie unterbrachen die Kommunikation mit Damaskus. Nach der Befreiung des Gebiets von den SDF, wird der Flughafen Qamishli aktiviert werden, so der Verkehrsminister (Rudaw 1.2.2025).
Grenzübergänge
Am 16.12.2024 kündigte die Hay'at Tahrir ash-Sham (HTS) an, alle Grenzübergänge zu den Nachbarländern auf syrischer Seite zu schließen, bis es ihnen gelungen sei, eine Art Organisation aufzubauen, um die Grenzen wieder zu besetzen und um wieder über Visastempel zu verfügen (PBS 16.12.2024). Mit Stand 1.2.2025 gibt es elf aktive Grenzübergänge, die der Generalbehörde für Land- und Seegrenzen gehören (Rudaw 1.2.2025). Der Direktor für lokale und internationale Beziehungen bei der Generalbehörde für Land- und Seegrenzen, erklärte gegenüber Al Jazeera, dass die Grenzübergänge seit der Befreiung Syriens vom gestürzten Regime nicht nur Syrer empfangen, die ihr Land besuchen wollen, ob als Einwohner oder Besucher, sondern auch arabische und ausländische „Brüder und Freunde“, die Syrien nach der Befreiung besuchen wollen. Die Grenzübergänge seien stark belastet worden, sagte er. Die meistbenützten Übergänge sind: Jdaydat Yabous/ Masna' zum Libanon, an dem in den letzten zwei Monaten mehr als 630.000 Bürger ein- und ausgereist sind, Nassib/ al-Jaber zu Jordanien, der mehr als 175.000 Bürger empfangen hat, davon 110.000 bei der Einreise und 65.000 bei der Ausreise, Bab al-Hawa/ Reyhanlı zur Türkei, wo mehr als 75.000 Bürger empfangen wurden, darunter 63.000 Ankünfte und 12.000 Ausreisen, al-Bu Kamal/ al-Qa'im zum Irak, der etwa 5.500 Bürger aufnahm. Daneben gab es Einreisen von Zehntausenden an den übrigen Grenzübergängen zur Türkei, wie Kassab/ Yayladağı, al-Hamam/ Hatay Hammami, Bab as-Salama/ Öncüpınar und Jarabulus/ Karkamış (AJ 13.2.2025a).
Irak
Die Bewegung von Syrern über den Grenzübergang Faysh Khabour zwischen Syrien und der Kurdistan Region Irak (KRI) setzte sich fort, wobei Berichten zufolge täglich etwa 300 bis 400 Menschen in den Irak einreisten. Aus Stichprobeninterviews geht hervor, dass die meisten Syrer, die über diesen Grenzübergang in den Irak einreisen, kurdischer Abstammung sind und entweder vorübergehend für Familienbesuche in die Kurdistan Region Irak kommen oder die Kurdistan Region Irak als Transitpunkt für Besuche an anderen Orten nutzen und planen, danach nach Syrien zurückzukehren. Der Grenzübergang al-Qa'im/ al-Bu Kamal bleibt für die Einreise in den Irak weiterhin geschlossen (UNHCR 2.1.2025). Mitte Dezember erklärte ein irakischer Abgeordneter, dass die Sicherheit an der irakisch-syrischen Grenze verstärkt wurde. Grund dafür waren Angriffe der Terrorgruppierung Islamischer Staat (IS) ca. 50 km von der Grenze zum Irak entfernt auf syrischer Seite (BagTod 18.12.2024). Der Grenzübergang al-Qa'im/ al-Bu Kamal auf irakischer Seite war am 7.1.2025 bereit, die Arbeit wieder aufzunehmen, und wartete auf die Öffnung des Übergangs von syrischer Seite (Jeebal 7.1.2025). Der Bürgermeister von al-Qa'im erwartete die Wiedereröffnung mit Mitte Februar. Syrer dürften über den Grenzübergang dann in ihr Land aus dem Irak ausreisen, aber nicht mehr aus Syrien in den Irak zurück. Die einzigen, die zurück in den Irak reisen dürfen, sind irakische Staatsbürger (BagTod 3.2.2025). Das arabischsprachige Medium Waradana bestritt eine Grenzöffnung. Aus unbekannten Gründen hat Bagdad entschieden, die Öffnung des Grenzübergangs bis auf Weiteres zu verschieben. Die syrische Seite wurde über die Verschiebung informiert und zeigte sich überrascht über diese Entscheidung. Der Bürgermeister soll diesem Medium zufolge bestreiten, dass es Ausnahmen beim Passieren des Grenzübergangs al-Qa'im/ al-Bu Kamal zwischen dem Irak und Syrien gibt, bestätigte aber, dass die Wiederaufnahme des Transits zwischen dem Irak und Syrien im Februar beginnen wird. Der Irak macht keine Ausnahmen für ausländische oder arabische Staatsangehörige, die über den Grenzübergang aus Syrien in den Irak kommen. Die einzige Ausnahme gilt nur für Iraker (Wara 1.2.2025). Al Jazeera schrieb dazu am 11.2.2025, dass obwohl Syrien die Kontrolle über die meisten seiner Grenzübergänge zu den Nachbarländern wiedererlangt hat, der Grenzübergang al-Bu Kamal zum Irak geschlossen bleibt (AJ 11.2.2025). Der Grenzübergang, der die Stadt Al-Bu Kamal in der syrischen Provinz Deir ez-Zour mit dem irakischen Bezirk al-Qa'im in der Provinz al-Anbar verbindet, war Anfang Dezember geschlossen, wurde aber vorübergehend geöffnet, um am 19.12.2024 Tausenden von Soldaten die Rückkehr in ihr Land zu ermöglichen. Der syrische Verkehrsminister gibt an, dass daran gearbeitet werde, diesen wieder zu öffnen. Ihm zufolge können auch weitere Grenzübergänge geöffnet werden, wenn „die Probleme in den Gebieten um al-Hasaka gelöst sind“ (Rudaw 1.2.2025).
Jordanien
Die jordanisch-syrische Grenze wurde mit 6.12.2024 von jordanischer Seite aus grundsätzlich für den Personenverkehr in beide Richtungen geschlossen. Syrischen Staatsbürgern ist die Ausreise aus Jordanien nach Syrien nach Grenzabfertigung gestattet, allerdings erlischt der Aufenthaltsstatus in Jordanien und bei neuerlicher Einreise muss ein neuer Einreise- oder Aufenthaltstitel beantragt werden (VB Amman 17.12.2024). Mit 9.1.2025 wurde der Grenzübergang al-Jaber/ Nassib wieder geöffnet und der Personenverkehr wieder aufgenommen. Syrische Staatsbürgern wurde die Einreise wieder gestattet, wenn diese über einen Visumtermin für ein Drittland in Amman verfügen und die die Hin- und Rückfahrt zwischen Syrien und Jordanien über ein Reisebüro organisiert ist (VB Amman 9.1.2025). Die Generalbehörde für Land- und Seegrenzen hat am 19.2.2025 den Zeitplan für die Bewegung von Reisenden über den Grenzübergang al-Jaber/ Nassib zu Jordanien festgelegt. Die Behörde teilte in einem Beitrag auf ihrem Telegram-Kanal mit, dass der Transitverkehr am Grenzübergang al-Jaber/ Nassib ab 20.2.2025, täglich von 8:30 Uhr bis 22:00 Uhr möglich sein wird (SANA 19.2.2025). Diese Regelung erfolgte in Abstimmung mit dem jordanischen Innenministerium (JorZad 20.2.2025). Reisende müssen sich im Voraus über eine spezielle Online-Plattform registrieren. Darüber hinaus dürfen jene syrischen Kleinbusse, welche bereits zuvor nach Jordanien einreisen durften, bis zum 1.4.2025 weiterhin operieren, sofern sie sich an strenge Auflagen halten. Diese erlauben ausschließlich den Personentransport und untersagen den Transport von Waren (VB Amman 12.1.2025). Syrische Staatsangehörige mit Aufenthaltserlaubnis in den Ländern des Golf-Kooperationsrates (Golf Cooperation Council - GCC), den USA, Kanada, Australien, Japan, der Republik Korea und allen europäischen Ländern dürfen laut jordanischem Innenministerium ohne vorherige Genehmigung nach Jordanien einreisen. Dies gilt für Personen, die eine gültige Aufenthaltserlaubnis von mindestens vier Monaten für das jeweilige Land besitzen (VB Amman 30.1.2025).
Libanon
Der Libanon und Syrien teilen sich eine 330 Kilometer lange Grenze, die vor allem im Nordosten des Landes weitgehend unbefestigt ist, was es Schmugglern, Jägern und Flüchtlingen leicht macht, hier einzudringen (Arabiya 10.2.2025b). Mitte Februar fanden Kämpfe zwischen den syrischen Streitkräften, die der neuen Regierung in Damaskus angehören, und libanesischen Schmugglerbanden an der Grenze, insbesondere im westlichen Umland von Homs in Zentralsyrien, statt. Die syrischen Behörden gaben bekannt, dass sie damit begonnen haben, Landminen an illegalen Grenzübergängen und Straßen zum Libanon zu verlegen, nachdem eine Sicherheitsüberprüfung der Gebiete zu Zusammenstößen geführt hatte. Dieser Schritt zielt darauf ab, den Schmuggel nach Syrien einzudämmen und weitere grenzbezogene Spannungen zwischen den beiden Ländern zu verhindern, so die Behörden (TNA 11.2.2025). Der Abreiseverkehr über die offiziellen Grenzübergänge ist nach wie vor gering, aber konstant, vor allem über den Übergang Masna'/ Jdeydat Yabous, einschließlich derer, die möglicherweise nur für kurze Zeit einreisen, um die Lage in Syrien zu beurteilen. In den letzten zehn Tagen (Stand 2.1.2025) hielten sich maximal 100 bis 200 Personen gleichzeitig im Niemandsland auf, entweder um in den Libanon einzureisen oder um nach Syrien zurückzukehren (UNHCR 2.1.2025). Der offizielle Grenzübergang Masna'/ Jdeydat Yabous in Bekaa' ist nach wie vor der einzige für den Fahrzeugverkehr geöffnete Grenzübergang (UNHCR 23.1.2025). Die libanesische Armee hat Anfang Februar 2025 bekannt gegeben, dass sie außergewöhnliche Sicherheitsmaßnahmen entlang der Grenze ergriffen hat, indem sie Beobachtungsposten aufstellte und Patrouillen durchführte, nachdem Spannungen in diesem Gebiet eskaliert waren (Arabiya 10.2.2025b).
Türkei
Der türkische Innenminister gab bekannt, dass sechs aktive Grenzübergänge nun rund um die Uhr in Betrieb sind, um einen reibungslosen und effizienten Prozess zu gewährleisten. Die tägliche Bearbeitungskapazität beträgt insgesamt 19.000 Personen, was einer deutlichen Steigerung gegenüber der vorherigen Kapazität von 3.020 Personen entspricht. Die Regierung bestätigte außerdem, dass vom 1.1. bis zum 1.7.2025 Besichtigungsbesuche an zwei Grenzübergängen (Zeytindalı/Jinderes in Hatay und Çobanbey/Al Ra'i in Kilis) organisiert werden (UNHCR 2.1.2025). Der Direktor für lokale und internationale Beziehungen bei der Allgemeinen Behörde für Land- und Seehäfen sagte gegenüber dem staatlichen Medium SANA, dass Rückkehrer über die Grenzübergänge Bab al-Hawa/ Reyhanlı, Bab as-Salama/Öncüpınar, Kassab/Yayladağı und Jarabulus/ Karkamış nach Syrien reisen. Die syrische Verwaltung sorgt dafür, dass ihnen alle Dienstleistungen und Einrichtungen kostenlos zur Verfügung stehen und sie von jeglichen Gebühren für ihr Gepäck und ihre Möbel, die sie während ihrer Rückkehr mitführen, befreit sind (AAA 11.2.2025).
(Länderinformationsblatt der Staatendokumentation zu Syrien vom 8. Mai 2025, S. 226 ff)
2. Beweiswürdigung
Der festgestellte Sachverhalt stützt sich auf die im Rahmen der Feststellungen jeweils in Klammer angeführten Beweismittel und im Übrigen auf nachstehende Beweiswürdigung.
2.1. Zum Beschwerdeführer:
Die Feststellungen zur Person des Beschwerdeführers beruhen auf seinen Angaben vor der belangten Behörde (vgl. Einvernahme vor dem BFA [EV] vom 20. Oktober 2023, S. 4) und auf den vorgelegten syrischen Dokumenten (Heiratsurkunde, syrischer Personalausweis, Geburtsurkunde). Vor der belangten Behörde und in der gegenständlichen Beschwerde, gab der Beschwerdeführer an, aus der Stadt XXXX zu stammen und lediglich nach XXXX geflohen zu sein. In der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht behauptete er hingegen erstmals, aus XXXX zu stammen. Dem widersprach der Beschwerdeführer jedoch durch seine übrigen Aussagen in der mündlichen Verhandlung. Demnach sei er aus XXXX geflüchtet und habe (lediglich) drei Jahre – zunächst nur in Zelten – in XXXX gelebt (vgl. Verhandlungsniederschrift [VHS] vom 27. Juni 2025, S. 4). In Anbetracht dessen ist das Vorbringen, der Beschwerdeführer habe eine enge Bindung zu XXXX , nicht glaubwürdig. Abgesehen davon stellte das Bundesverwaltungsgericht im Erkenntnis vom 20. März 2023, Zl. L503 2275792-1 (siehe Beilage 3 zur VHS), bereits fest, dass der Bruder bzw. die Familie des Beschwerdeführers aus der Stadt XXXX stammt.
Dass der Beschwerdeführer nach dem Tod seiner Großmutter im Dezember 2017 nach XXXX zurückkehrte, gab er zunächst selbst an (vgl. VHS, S. 5). Zwar „korrigierte“ er diese Aussage anschließend, konnte jedoch – auch über mehrmalige Nachfrage – nicht darlegen, inwiefern er die Frage „falsch verstanden“ habe (vgl. VHS, S. 5 f).
Die derzeitigen Wohnorte der Familienangehörigen des Beschwerdeführers ergeben sich aus seinen gleichbleibenden Angaben im bisherigen Verfahren (vgl. EV, S. 5 sowie erneut das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 20. März 2023, Zl L503 2275792-1, Beilage 3 zur VHS).
2.2. Zum Fluchtvorbringen:
Zunächst ist festzuhalten, dass die Möglichkeit einer Verfolgung des Beschwerdeführers durch das Assad-Regime wegen der Verweigerung des Wehrdienstes oder der illegalen Ausreise aus Syrien in den Jahren 2015 und 2018 in Anbetracht des – sich aus den Länderinformationen zu Syrien unzweifelhaft ergebenden – Machtwechsels in Syrien jedenfalls nicht (mehr) anzunehmen ist.
In Bezug auf allfällige Befürchtungen einer (Zwangs-)Rekrutierung durch die syrische Übergangsregierung ist darauf hinzuweisen, dass diese nach den aktuellen Länderinformationen die Wehrpflicht abgeschafft hat und aus der syrischen Armee eine Armee aus Freiwilligen machen möchte (vgl. oben Punkt II.1.3.2.). Demnach ist es nicht maßgeblich wahrscheinlich, dass der Beschwerdeführer von der syrischen Übergangsregierung zwangsrekrutiert werden würde. Überdies geht aus den Länderinformationen in keinster Weise hervor, dass die syrische Übergangsregierung eine Verweigerung des Wehrdienstes als Ausdruck einer oppositionellen Gesinnung ansehen würde.
Für den (unwahrscheinlichen) Fall, dass der Beschwerdeführer mit den kurdischen Sicherheitsbehörden in Kontakt kommen sollte, müsste er die „Selbstverteidigungspflicht“ ableisten. Aus den Länderinformationen geht jedoch nicht hervor, dass die Verweigerung dieser „Selbstverteidigungspflicht“ von den kurdischen Autonomiebehörden als Ausdruck einer bestimmten politischen Gesinnung angesehen wird (vgl. Punkt II.1.3.3.).
Die Feststellungen zum nicht erfolgten Glaubensabfall vom Islam gründen auf folgende Überlegungen:
In der mündlichen Verhandlung legte der Beschwerdeführer erstmals eine Bescheinigung über den Austritt aus der Islamischen Glaubensgemeinschaft Österreich vom 7. Mai 2025 vor. Diesem Schreiben kommt jedoch keinerlei Beweiskraft für die Frage zu, ob der Beschwerdeführer tatsächlich aus einer inneren Überzeugung vom islamischen Glauben abgefallen ist. Auch konnte er im gesamten Verfahren weder eine tiefgreifende kritische Auseinandersetzung mit dem Islam, noch einen nachvollziehbaren Grund für einen – aus einer inneren Überzeugung erfolgten – Abfall von diesem Glauben darlegen. So führte er – hinsichtlich einer befürchteten Verfolgung seitens der syrischen Übergangsregierung befragt – lediglich an, dass er nicht „an ihre Religion, an ihren Islam“ glaube (siehe VHS, S. 7 f). Begründen konnte er dies jedoch nur schlagwortartig damit, dass der Islam „Vergewaltigung, Ermordung und Raub“ bedeuten würde, und er „ausgetreten“ sei, da er „diese Sache nicht akzeptieren“ könne (siehe VHS, S. 8). In Anbetracht der Aussage, sich schon „seit er ein Kind gewesen“ sei bzw. „vor langem“ gegen den Islam als seinen Glauben entschieden zu haben (vgl. VHS, S. 8), ist nicht nachvollziehbar, dass der (mittlerweile) XXXX jährige Beschwerdeführer dieses Vorbringen erst in der mündlichen Verhandlung erstattete. Da somit nicht von einem – aus einer inneren Überzeugung erfolgten – Abfall des Beschwerdeführers vom islamischen Glauben auszugehen ist, ist auch nicht maßgeblich wahrscheinlich, dass sich der Beschwerdeführer bei einer Rückkehr nach Syrien öffentlich vom islamischen Glauben lossagen würde.
Vielmehr stellen die – erstmals am Ende der mündlichen Verhandlung erstatteten – Aussagen zum vorgeblichen Abfall vom Islam eine wesentliche – in Anbetracht des Wegfalls des ursprünglich vorgebrachten Fluchtgrundes nachvollziehbare, jedoch unglaubwürdige – Steigerung des Fluchtvorbringens dar.
Auch eine sonstige Verfolgung des Beschwerdeführers durch die HTS bzw. die syrische Übergangsregierung ist unwahrscheinlich. In Bezug auf allfällige Befürchtungen einer asylrelevanten Verfolgung durch diese ist darauf hinzuweisen, dass aus dem Verfahren keine oppositionelle Gesinnung oder Tätigkeit des Beschwerdeführers der HTS bzw. der syrischen Übergangsregierung gegenüber hervorgegangen ist. Vielmehr gab der Beschwerdeführer in der mündlichen Verhandlung zu, mit keiner der Konfliktparteien etwas zu tun gehabt zu haben oder sich über eine der Parteien negativ zu äußern (vgl. VHS, S. 7).
Dass dem Beschwerdeführer in den von der HTS bzw. der syrischen Übergangsregierung kontrollierten Gebieten nicht mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit eine Verfolgung aufgrund seiner Volksgruppenzugehörigkeit droht, ergibt sich aus den aktuellen Länderinformationen (siehe oben Punkt II.1.3.4.). Zwar geht daraus hervor, dass die Kurden in Syrien (nach wie vor) Diskriminierungen ausgesetzt sind. Diese sind jedoch nicht als derart gravierend bzw. als eine derart erhebliche Intensität erreichend anzusehen, dass von einer asylrelevanten Verfolgung auszugehen wäre.
Weiters ist in Anbetracht der aktuellen Länderinformationen anzunehmen, dass der Beschwerdeführer an seinen Herkunftsort, welcher derzeit von der syrischen Übergangsregierung kontrolliert wird, zurückkehren könnte (vgl. oben Punkt II.1.3.5).
2.3. Die Feststellungen zur Situation in Syrien beruhen auf den genannten – in das Verfahren eingeführten – Quellen. Das KI-Instrument „DeepL“ wurde als Übersetzungstool für den Bericht der EUAA „Syria: Country Focus“ aus März 2025 herangezogen, weil es derzeit eines der besten europäischen Übersetzungstools ist. Angesichts der Seriosität dieser Quellen und der Plausibilität ihrer Aussagen besteht für das Bundesverwaltungsgericht kein Grund, an deren Richtigkeit zu zweifeln. Auch brachten die Verfahrensparteien nichts Gegenteiliges vor.
3. Rechtliche Beurteilung
3.1. Zu Spruchpunkt A)
3.1.1. Gemäß § 3 Abs. 1 AsylG ist einem Fremden, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, soweit dieser Antrag nicht bereits gemäß §§ 4, 4a oder 5 zurückzuweisen ist, der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft ist, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention (GFK) droht und keiner der in Art. 1 Abschnitt C oder F GFK genannten Endigungs- oder Ausschlussgründe vorliegt. Gemäß § 3 Abs. 3 AsylG ist der Antrag abzuweisen, wenn dem Fremden eine innerstaatliche Fluchtalternative (§ 11 AsylG) offensteht oder er einen Asylausschlussgrund (§ 6 AsylG) gesetzt hat.
Flüchtling im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK ist, wer sich „aus wohlbegründeter Furcht, aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung verfolgt zu werden, außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen; oder wer staatenlos ist, sich außerhalb des Landes seines gewöhnlichen Aufenthaltes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Flucht nicht gewillt ist, in dieses Land zurückzukehren.“
3.1.2. Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist zentraler Aspekt der in Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK definierten Verfolgung im Herkunftsstaat die wohlbegründete Furcht davor. Eine Furcht kann nur dann wohlbegründet sein, wenn sie im Licht der speziellen Situation des Asylwerbers unter Berücksichtigung der Verhältnisse im Verfolgerstaat objektiv nachvollziehbar ist. Es kommt nicht darauf an, ob sich eine bestimmte Person in einer konkreten Situation tatsächlich fürchtet, sondern ob sich eine mit Vernunft begabte Person in dieser Situation aus Konventionsgründen fürchten würde. Unter Verfolgung ist ein ungerechtfertigter Eingriff von erheblicher Intensität in die zu schützende persönliche Sphäre des Einzelnen zu verstehen. Erhebliche Intensität liegt vor, wenn der Eingriff geeignet ist, die Unzumutbarkeit der Inanspruchnahme des Schutzes des Heimatstaates zu begründen. Die Verfolgungsgefahr steht mit der wohlbegründeten Furcht in engstem Zusammenhang und ist Bezugspunkt der wohlbegründeten Furcht. Eine Verfolgungsgefahr ist dann anzunehmen, wenn eine Verfolgung mit einer maßgeblichen Wahrscheinlichkeit droht; die entfernte Möglichkeit einer Verfolgung genügt nicht.
Relevant kann nur eine aktuelle Verfolgungsgefahr sein; sie muss bei Erlassung der Entscheidung vorliegen. Auf diesen Zeitpunkt hat die der „Asylentscheidung“ immanente Prognose abzustellen, ob der Asylwerber mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit Verfolgung aus den in Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK genannten Gründen zu befürchten habe.
Art. 9 Abs. 3 der Richtlinie 2011/95/EU (Statusrichtlinie) verlangt eine Verknüpfung zwischen den als Verfolgung eingestuften Handlungen oder dem Fehlen von Schutz vor solchen Handlungen einerseits und den Verfolgungsgründen andererseits. Dafür reicht es zwar nach der jüngeren Ansicht des UNHCR aus, dass der Konventionsgrund ein maßgebender beitragender Faktor ist und er nicht als einziger oder überwiegender Grund für die Verfolgung oder das Fehlen von Schutz vor solchen Handlungen nachgewiesen werden muss. Das bedeutet aber nicht, dass für die Gewährung von Asyl auf die Prüfung eines kausalen Zusammenhanges zwischen der Verfolgungshandlung (oder dem Fehlen von Schutz vor Verfolgung) und einem Verfolgungsgrund im Sinn der GFK verzichtet werden könnte (vgl. zum Fehlen eines solchen kausalen Zusammenhanges etwa VwGH 13.12.2018, Ra 2018/18/0336 bis 0341, m.w.N., wonach eine nur auf kriminellen Motiven beruhende Verfolgung keinem der in Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK genannten Gründe zugeordnet werden kann und eine allein auf einem solchen Grund beruhende Verfolgung die Asylgewährung nicht zu rechtfertigen vermag).
Es bedarf unter Bedachtnahme auf die Verhältnisse in Syrien immer einer Beurteilung unter Einbeziehung aller konkreten Umstände des Einzelfalls, ob im Fall der Verweigerung der Ableistung des Militärdienstes eine Verfolgung mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit aus asylrechtlich relevanten Gesichtspunkten droht. Da nach der Rechtsprechung die entfernte Möglichkeit einer Verfolgung nicht genügt, ist es für die Gewährung von Asyl nicht ausreichend, derselben eine bloß theoretisch denkbare Möglichkeit eines Verfolgungsszenarios zugrunde zu legen (siehe zum Ganzen VwGH 28.02.2024, Ra 2023/20/0619, m.w.N.).
Aus asylrechtlicher Sicht kann es nicht darauf ankommen, ob die Einreise in einen verfolgungs-sicheren Landesteil aus der Sicht des potentiellen Verfolgers legal stattfindet, sondern nur, ob die den Grenzübergang beherrschenden Autoritäten eine Einreise in das sichere Gebiet zulassen (siehe VwGH 10.06.2024, Ra 2024/01/0003).
Zur Bestimmung der Heimatregion kommt der Frage maßgebliche Bedeutung zu, wie stark die Bindungen des Asylwerbers an ein bestimmtes Gebiet sind. Hat er vor seiner Ausreise aus dem Herkunftsland nicht mehr in dem Gebiet gelebt, in dem er geboren wurde und aufgewachsen ist, ist der neue Aufenthaltsort als Heimatregion anzusehen, soweit der Asylwerber zu diesem Gebiet enge Bindungen entwickelt hat (siehe VwGH 29.02.2024, Ra 2023/18/0370, m.w.H.).
3.1.3. Für den gegenständlichen Fall bedeutet dies:
Vorab ist festzuhalten, dass der Beschwerdeführer aus seinem Geburtsort – an welchem er auch den Großteil seines Lebens verbrachte – nach XXXX flüchtete und dort lediglich drei Jahre (teilweise in Zelten) verbrachte. Es ist daher nicht von einer engen Bindung des Beschwerdeführers zu XXXX und daher von der Stadt XXXX als Herkunftsort des Beschwerdeführers auszugehen.
Weiters erkannte die belangte Behörde dem Beschwerdeführer in Spruchpunkt II. des angefochtenen Bescheides (bereits) den Status des subsidiär Schutzberechtigten aufgrund des Krieges und der vorherrschenden allgemein schlechten Sicherheitslage in Syrien zu.
Umstände, wonach dem Beschwerdeführer auch der Status eines Asylberechtigten zu gewähren wäre, haben sich hingegen (weiterhin) nicht ergeben.
Wie festgestellt und in der Beweiswürdigung ausgeführt, droht dem Beschwerdeführer keine asylrelevante Verfolgung aufgrund einer (zumindest unterstellten) oppositionellen Gesinnung oder seiner Volksgruppenzugehörigkeit. Auch ist der Beschwerdeführer, wie festgestellt und in der Beweiswürdigung dargelegt, nicht aus einer inneren Überzeugung vom islamischen Glauben abgefallen.
Damit fehlt es für die Zuerkennung des Status eines Asylberechtigten an einem Konnex zu einem in der GFK genannten Grund. Dabei ist auch darauf hinzuweisen, dass dem Schutz vor drohenden willkürlichen Zwangsakten die – dem Beschwerdeführer bereits zuteil gewordene – Gewährung subsidiären Schutzes dient (vgl. wieder VwGH 28.02.2024, Ra 2023/20/0619).
Darüber hinaus brachte der Beschwerdeführer keine sonstigen relevanten Gründe für eine (allfällige) asylrelevante Verfolgung vor bzw. haben sich solche auch nicht ergeben.
Somit ist es dem Beschwerdeführer nicht gelungen, eine ihm drohende asylrelevante Verfolgung im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK glaubhaft zu machen, weshalb die Voraussetzungen für die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten nicht vorliegen.
Folglich ist die Beschwerde als unbegründet abzuweisen.
3.2. Zu Spruchpunkt B)
3.2.1. Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.
3.2.2. Die Revision ist nicht zulässig, weil keine Rechtsfrage im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG zu beurteilen war, der grundsätzliche Bedeutung zukommt: Dass dem Beschwerdeführer keine asylrelevante Verfolgung droht, entspricht der oben angeführten Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes.