W272 2261301-2/9E W272 2261300-2/9E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Mag. BRAUNSTEIN, MBA als Einzelrichter über die Beschwerde von 1. XXXX , geboren am XXXX und 2. XXXX , geboren am XXXX , beide Staatsangehörigkeit Russische Föderation, beide vertreten durch den Verein SUARA, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl, Regionaldirektion Wien, vom 01.04.2025, Zahlen: 1. XXXX und 2. XXXX , nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 17.06.2025, zu Recht:
A)
I. Die Beschwerden gegen die Spruchpunkte I. und II. werden mit der Maßgabe als unbegründet abgewiesen, dass der Antrag auf internationalen Schutz vom 27.03.2024 bzw. 01.08.2024 hinsichtlich der Zuerkennung des Status der Asylberechtigten und der subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 68 Abs. 1 AVG wegen entschiedener Sache zurückgewiesen wird.
II. Im Übrigen werden die Beschwerden gegen die Spruchpunkte III. bis VII. mit der Maßgabe, als unbegründet abgewiesen.
B)
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Entscheidungsgründe:
I. Verfahrensgang:
Der Erstbeschwerdeführer (in der Folge: BF1) ist der Vater der Zweitbeschwerdeführerin (in der Folge: BF2, beide zusammen die BF).
Antrag auf internationalen Schutz:
1. Der BF1, ein Staatsangehöriger der Russischen Föderation, stellte am 28.03.2004 einen Antrag auf internationalen Schutz im österreichischen Bundesgebiet.
Die BF2, ebenso eine russische Staatsangehörige, wurde am XXXX im Bundesgebiet geboren und stellte der BF1 für die BF2 am 24.08.2004 einen Antrag auf internationalen Schutz.
2. Das damalige Bundesasylamtes gab mit Bescheiden vom 05.11.2004 den Asylanträgen der BF gemäß § 7 AsylG 1997 statt, gewährte ihnen Asyl und stellte gemäß § 12 AsylG 1997 fest, dass ihnen kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt. Der BF2 wurde im Zuge der Erstreckung auf ihren Vater Asyl gewährt. Begründend wurde ausgeführt, dass der BF1 einen unter § 7 AsylG zu subsumierenden Sachverhalt vorgebracht habe, dem keine Ergebnisse des amtswegigen Ermittlungsverfahren entgegenstehen würden, sodass dieser als Feststellung dem Verfahren zugrunde gelegt werden könne.
3. Mit 28.11.2011 wurde jeweils der Hauptwohnsitz der BF im Bundesgebiet abgemeldet.
Statusaberkennungsverfahren
4. Die BF reisten im Jahr 2022 wieder nach Österreich. Mittels Aktenvermerken vom 03.08.2022 wurden vom Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (in der Folge: BFA oder belangte Behörde) Aberkennungsverfahren gegen die BF eingeleitet.
5. Mit Verfahrensanordnung vom 15.09.2022 wurden durch das BFA den BF Fragen zu ihrer aktuellen Situation in Österreich übermittelt und ihnen zur Wahrung des Parteiengehörs gemäß § 45 Abs. 3 AVG die Gelegenheit eingeräumt, binnen zwei Wochen ab Zustellung zum Ergebnis dieser Beweisaufnahme eine schriftliche Stellungnahme abzugeben.
6. Der BF1 gab per E-Mail vom 15.09.2022 stellungnehmend in Beantwortung der Fragen vom BFA unter anderem an, dass sowohl seine Tochter, die BF2, als auch er über einen russischen Reisepass verfügen. Er sei im Jahr 2011 nach Russland gefahren, um zu arbeiten und wegen seiner Eltern. Seine Tochter habe eine russische Schule besucht. Er lebe derzeit bei seinem Bruder in Wien und arbeite nicht.
7. Das BFA erkannte mit den Bescheiden vom 20.09.2022 (BF1) und 21.09.2022 (BF2) den jeweils mit Bescheid vom 05.11.2004, Zahl XXXX (BF1) bzw. Zahl XXXX (BF2) zuerkannten Status der Asylberechtigten gemäß § 7 Absatz 1 Ziffer 2 AsylG 2005 ab. Es stellte fest, dass den BF die Flüchtlingseigenschaft nicht mehr zukomme und erkannte den BF den Status der subsidiär Schutzberechtigten nicht zu. Das BFA erteilte den BF keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen, erließ gegen die BF eine Rückkehrentscheidung und stellte fest, dass die Abschiebung der BF in die Russische Föderation zulässig sei sowie dass die Frist für die freiwillige Ausreise 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung betrage.
Das Bundesamt führte begründend aus, dass dem BF1 im Jahr 2004 aufgrund des in Tschetschenien stattfindenden Krieges und der BF2 über Erstreckung vom Vater der Status von Asylberechtigten zuerkannt worden sei. Der Tschetschenien-Krieg, aufgrund dessen dem BF1 der Asylstatus zuerkannt worden sei, seit mit April 2009 offiziell für beendet erklärt worden. Die BF hätten sich zwischen dem Jahr 2011 und September 2022 aufgrund eigener Entscheidung und aus freiem Willen in der Russischen Föderation aufgehalten.
8. Dagegen erhoben die BF fristgerecht Beschwerden im vollen Umfang. Die im angefochtenen Bescheid enthaltenen Länderfeststellungen seien unvollständig und teilweise unrichtig. Diese würden sich kaum mit dem Fluchtvorbringen des BF1 befassen und seien für die Aberkennung des Status auf internationalen Schutz unvollständig. Es würden glaubhafte Berichte über die Einberufung von Personen, die das Rekrutierungsalter überschritten hätten und noch nie in die Armee eingezogen worden seien, aber im Rahmen der Teilmobilmachung rekrutiert würden, bestehen. Hinsichtlich der BF2 seien keine Feststellungen zur Lage von Frauen in Russland und im Nordkaukasus getroffen worden. Es sei auch bei der BF2 nicht ermittelt worden, was der Grund für die Ausreise in den Herkunftsstaat gewesen sei.
9. Die erhobenen Beschwerden wurden mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 23.11.2022, XXXX als unbegründet abgewiesen. Darin wurde festgehalten, dass die BF nachdem ihnen im Jahr 2004 Asyl zuerkannt worden sei, 2011 freiwillig in den Herkunftsstaat zurückgekehrt seien und sich (neuerlich) in der Russischen Föderation niedergelassen hätten und knapp elf Jahre gelebt hätten. Die BF hätten zwischen 28.11.2011 und 14.10.2022 über keine aufrechte Wohnsitzmeldung im Bundesgebiet verfügt. Das BVwG stellte des Weiteren fest, dass den BF in Tschetschenien respektive der Russischen Föderation keine Verfolgung aus Gründen der Rasse, der Religion, der Nationalität, der Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen ihrer politischen Ansichten drohe. Im Entscheidungszeitpunkt habe keine aktuelle Gefährdung der BF in der Russischen Föderation festgestellt werden können.
Der VwGH gewährte mit Beschluss vom 23.02.2023 die Beigebung einer Rechtsvertretung und Verfahrenshilfe für die Einbringung einer außerordentlichen Revision gegen dieses Erkenntnis. Es wurden keine weiteren Rechtsmittel erhoben und das Erkenntnis des BVwG vom 23.11.2022 erwuchs in Rechtskraft.
Gegenständliches Verfahren:
10. Die BF verblieben im Bundesgebiet, kamen ihrer Ausreiseverpflichtung nicht nach und der BF1 stellte am 27.03.2024 und die BF2 am 01.08.2024 den gegenständlichen Folgeantrag auf internationalen Schutz.
Bei der Erstbefragung durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes am selben Tag der jeweiligen Antragstellung gab der BF1 zur neuerlichen Asylantragstellung an, dass er nach seiner Ausreise von Österreich im Jahr 2011 in Russland aufhältig gewesen sei und dort sein Leben weitergeführt habe. Im September 2022 sei er wieder nach Österreich eingereist und nach seiner Einreise habe er von seinen Verwandten erfahren, dass er eine schriftliche Einberufungserklärung erhalten habe. Bei seiner Rückreise drohe ihm die Einberufung solange Putin an der Macht bleibe, werde er in den Krieg geschickt. Er habe Angst um sein Leben.
Die BF2 gab in Bezug auf die neuerliche Antragstellung auf internationalen Schutz an, dass es gefährlich sei nach Russland zurückzukehren, weil ihr Vater im Jahr 2022 einen Einberufungsbefehl bekommen habe. Sie befürchte gefangen genommen zu werden, um ihren Vater zu erpressen.
11. Am 16.07.2024 wurde der BF1 und am 29.01.2025 die BF2 im Beisein eines Dolmetschers bzw. einer Dolmetscherin für die Sprache Russisch und einer rechtlichen Vertretung vom BFA niederschriftlich einvernommen.
Hierbei gab der BF1 in Bezug seiner weiteren Asylantragstellung an, dass er Angst um sein Leben habe und das Leben seiner Verwandten. Im Falle einer Rückkehr würde er in den Krieg geschickt werden, aber er wolle nicht nach Hause und kämpfen. Zuletzt habe er in der Russischen Föderation in XXXX im Kreis Krasnodar gelebt. In Russland würden seine Eltern und drei Brüder leben. Seine Frau und Kinder würden sich in Georgien befinden. Sein Einberufungsbefehl sei Ende September wahrscheinlich von seinem Vater an seiner früheren Wohnadresse in Dagestan entgegengenommen worden. Als er schon etwa 2 Wochen in Österreich gewesen sei, habe er von seinem Bruder vom Einberufungsbefehl erfahren. In Bezug auf den Lebensverhältnissen gab der BF1 an, dass er ein bisschen ein Problem mit seiner Tochter habe. Sie hätte jetzt geheiratet, aber näheres wolle er nicht erklären. Finanziell sei er von niemanden abhängig und er arbeite seit 17.11.2022 durchgehend. Er lebe mit Arbeitskollegen zusammen.
Die BF2 gab im Zuge der Einvernahme an, dass sie sich im September 2022 in Moskau bei der Botschaft einen Reisepass ausstellen habe lassen. Sie hätte wegen ihrer Volksgruppenzugehörigkeit in Teilen der Russischen Föderation wo hauptsächlich die russische Bevölkerung leben, als Tschetschenin Probleme. Sie könne sich nicht normal behördlich melden und in Dagestan, wo traditionelle Tschetschenen wohnhaft seien, habe sie Schwierigkeiten mit heimischen Leuten wegen ihrer Mentalität und der Art und Weise wie sie sich kleide und wegen ihren Lebensstil. Die russische Bevölkerung habe sie auch wegen der Religionszugehörigkeit nicht akzeptiert. Sie sei in der Schulzeit ausgelacht und gemobbt worden. Ihre Mutter sei der Status des Asylberechtigten im Jahr 2023 aberkannt worden und lebe in Georgien. Wegen den Problemen ihrer Familie in Russland hätten sie immer wieder Pendeln müssen und bei Verwandten in Georgien kurzfristig gelebt und seien nach Russland zurück. Ihre Schwester und ihr Bruder würden bei ihrer Mutter in Georgien leben. Die BF2 sei als 7-Jährige im Jahr 2011 in die Russische Föderation gereist und im September 2022 über Istanbul wieder nach Österreich geflogen. Die Ausreise habe der BF1 organisiert. Den neuerlichen Asylantrag habe die BF2 gestellt, weil ihr Vater, der BF1, in den 90er Jahren beim Bundesheer in Tschetschenien gewesen sei und damals aus Tschetschenien geflüchtet sei. Zurück in der Russischen Föderation hätten sie wieder Probleme bekommen. Ihr Großvater sei von Russen mitgenommen worden und seitdem sein Aufenthalt unbekannt. Ihre Familie habe weder in Dagestan noch in Sotchi leben können, weil ihr Vater (BF1) auch dort von Anhängern Kadyrows verfolgt worden sei. Auch in der Arbeit habe der BF1 deswegen Probleme gehabt. Die BF2 habe selber viel politische Kritik auf Social Media gepostet und dies könne auch zu Probleme führen. Im Falle der Rückkehr habe die BF2 Angst als Geisel genommen zu werden und nach ihrem Vater verlangt werde.
Der BF1 legte im Rahmen der Einvernahme ein Konvolut an Lohnzettel vor.
12. Am 10.01.2025 erfolgte eine weitere Einvernahme des BF1 durch das BFA. Hierbei gab er wiederholt im Wesentlichen an, Probleme in seinem Herkunftsstaat wegen der Einberufung zu haben, weil er aufgrund seiner Religion nicht kämpfen wolle. Wenn man flüchtet, werde man in Russland gefunden, egal wo man sei und die Verwandten getötet. Er sei seit 13.09.2022 in Österreich und mit einem italienischen Visum legal eingereist. Nur der BF1 und seine Tochter, die BF2, hätten ein Touristenvisum bekommen, aber nicht die ganze Familie. Er sei von 2004 bis 2011 hier in Österreich gewesen und hätten Asylstatus bekommen. Sie hätten 11 Jahre ihre Eltern besucht und seien von März 2011 bis September 2022 in der Russischen Föderation aufhältig gewesen. Wenn er nach Russland zurückkehr, werde er zu 100 Prozent in den Krieg geschickt. Er sei in Russland Soldat der Reserve gewesen, deswegen könne man ihn einberufen. In der russischen Armee habe er nicht gedient, sondern nach dem ersten Krieg in Tschetschenien, habe es eine eigene Armee gegeben und dort sei er Soldat gewesen. Er sei einfacher Soldat von 1997 bis 1999 gewesen. Im Jahr 2011 im ersten Monat als er nach Russland zurückgekehrt sei, sei er mitgenommen, geschlagen und verhört worden, wie auch seine Familie und die Familie seiner Frau. Er habe einen Einberufungsbefehl 2018 in die Armee zum Reservedienst erhalten, aber er sei nicht hingegangen. Ende 2022 hätte er eine Ladung zur Mobilisierung erhalten.
Der BF1 legte Geburtsurkunden seiner Kinder, weitere Lohnzettel, eine Heiratsurkunde, einen Mietvertrag, einen Dienstvertrag, eine Anmeldung Sozialversicherung, eine Kopie seines russischen Reisepasses und ein Zeugnis zur Integrationsprüfung Sprachniveau B1 vor.
13. Das Bundesamt wies die gegenständlichen Folgeanträge der BF auf internationalen Schutz mit Bescheiden vom 01.04.2025 sowohl hinsichtlich der Zuerkennung des Status von Asylberechtigten als auch bezüglich der Zuerkennung des Status von subsidiär Schutzberechtigten ab (Spruchpunkt I. und II.). Es erteilte keine Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz (Spruchpunkt III.) und erlies eine Rückkehrentscheidung gegen die BF (Spruchpunkt IV.), stellte fest, dass die Abschiebung der BF in die Russische Föderation zulässig ist (Spruchpunkt V.), erkannte einer Beschwerde gegen diese Entscheidung die aufschiebende Wirkung ab (Spruchpunkt VI.) und gewährte eine Frist von 14 Tagen für die freiwillige Ausreise (Spruchpunkt VII.).
Das Bundesamt führte begründend zusammengefasst aus, dass nicht festgestellt werden habe können, dass die BF in ihrem Heimatland asylrelevanter Verfolgung oder Gefährdung ausgesetzt gewesen seien oder pro futuro ausgesetzt sein würden. Es könne nicht festgestellt werden, dass eine besondere Integrationsverfestigung in Österreich bestehe. Es seien keine Umstände amtsbekannt, dass im Heimatland der BF eine solche extreme Gefährdungslage bestünde, dass gleichsam jeder, der dorthin zurückkehre, einer Gefährdung im Sinne der Art. 2 und 3 EMRK ausgesetzt wäre, oder eine derartige humanitäre Katastrophe vorherrsche, dass das Überleben von Personen mangels Nahrung und Wohnraum tatsächlich in Frage gestellt wäre.
14. Gegen diese Bescheide erhoben die BF mit Schriftsatz vom 28.04.2025 bzw. 29.04.2025 (eingebracht am 29.04.2025) innerhalb offener Frist das Rechtsmittel der Beschwerde in vollem Umfang. Darin wurde zusammengefasst ausgeführt, dass der BF1 in den Jahren 1997 bis 1999 in der tschetschenischen Armee gedient hätte und dabei militärische Qualifikationen erworben habe. Nach der Rückkehr in die Russische Föderation im Jahr 2011 sei der BF1 bereits in den ersten Wochen nach seiner Ankunft von staatlichen Kräften verhört und misshandelt worden. Zudem sei im Jahr 2018 ein Einberufungsbefehl zum Reservedienst gegen den BF1 ausgesprochen worden. Im Jahr 2022 habe der BF1 infolge der Teilmobilmachung neuerlich einen Einberufungsbefehl zum Kriegseinsatz in der Ukraine erhalten und auch die BF2 sei bedroht worden, um Druck auf den BF1 auszuüben. Die belangte Behörde verkenne, dass gerade aufgrund der militärischen Qualifikationen des BF1 das Risiko besonders hoch sei, unmittelbar an Kriegshandlungen teilnehmen zu müssen.
Die BF2 habe zudem auf Telegram und Instagram politische Nachrichten verschickt, die das Regime kritisch hinterfragen und selbst private Online-Äußerungen würden angesichts der aktuellen Gesetzeslage in Russland zu Haftstrafen oder zu strafrechtlichen Konsequenzen bei der Einreise führen. Das BF habe zudem, das Vorbringen der BF2, bei einer Rückkehr nach Tschetschenien entführt zu werden nicht gewürdigt, obwohl die durch dokumentierte Fälle belegt sie. Die BF2 sei bereits im Jahr 2019 auf dem Schulweg von unbekannten Männern bedroht worden und hätten den BF1 verlangt, andernfalls würden sie die BF2 nach Tschetschenien entführen. Das BFA erlies gegen die BF eine Rückkehrentscheidung, aber die Verneinung des Vorliegens eines besonders schutzwürdigen Privat- und Familienlebens in Österreich werde der Lebensrealität der BF nicht gerecht und mit der gebotenen Verhältnismäßigkeitsprüfung unvereinbar. Der Lebensmittelpunkt der BF sei längst nach Österreich verlagert worden, ihr soziales Umfeld, ihre kulturelle Orientierung und ihre Lebensperspektive seien ganz klar auf Österreich ausgerichtet. Unter Berücksichtigung dieser Umstände überwiege das Interesse der BF am weiteren Aufenthalt in Österreich jenes der Republik an ihrer Außerlandesbringung.
15. Die Beschwerden und der bezughabende Verwaltungsakt langten am 06.05.20205 bzw. 09.05.2025 beim Bundesverwaltungsgericht ein und wurden der zuständigen Gerichtsabteilung zugewiesen.
16. Mit Eingabe vom 10.06.2025 übermittelten die BF ein Konvolut an Integrationsunterlagen (Deutschzertifikate, Kursteilnahmebestätigungen, Arbeitsbestätigungen, Versicherungsbestätigungen und Empfehlungsschreiben).
17. Das Bundesverwaltungsgericht führte am 17.06.2025 eine öffentliche mündliche Verhandlung unter Beiziehung eines Dolmetschers für die Sprache Russisch und Tschetschenisch durch, an welcher die BF sowie ihr Rechtsvertreter teilnahmen. Ein Vertreter der belangten Behörde nahm an der Verhandlung entschuldigt nicht teil (OZ 3). Ergänzend brachte das Bundesverwaltungsgericht aktuelle Länderinformationen zur Russischen Föderation in das Verfahren ein.
Es erfolgte keine weitere Stellungnahme im Rahmen der gewährten Frist bis zum 24.06.2025, warum keine Revision in Bezug auf die Statusaberkennung erfolgt sei.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat über die – zulässigen – Beschwerden erwogen:
Der entscheidungsrelevante Sachverhalt steht fest. Auf Grundlage der Vorverfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht, der Einvernahme der BF durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes und des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl, der Beschwerden gegen die angefochtenen Bescheide, der mündlichen Verhandlungen vor dem Bundesverwaltungsgericht und der Einsichtnahme in die Länderinformationen sowie in das Zentrale Melderegister, das Zentrale Fremdenregister, der GVS Auszug und Strafregister werden folgende Feststellungen getroffen und der Entscheidung zugrunde gelegt:
1. Feststellungen:
1.1. Zur Person der BF und zum rechtskräftigen Vorverfahren:
1.1.1. Die BF sind volljährige Staatsangehörige der Russischen Föderation und gehören der Volksgruppe der Tschetschenen sowie der islamisch-sunnitischen Glaubensrichtung an. Sie beherrschen Tschetschenisch als auch Russisch auf muttersprachlichen Niveau, außerdem sprechen sie etwas Englisch und Deutsch. Ihre Identität steht fest.
Der BF1 ist seit 2003 mit Milana ISRAILOVA verheiratet und der Vater der BF2. Der BF1 hat noch zwei weitere Kinder ( XXXX geboren XXXX geboren XXXX ), die gemeinsam mit seiner Ehefrau und Mutter der drei gemeinsamen Kinder in Georgien aufhältig sind.
Die BF2 ist ledig und hat keine Kinder.
1.1.2. Der BF1 ist am XXXX im Dorf XXXX , Rayon Chassawjurt, in der Teilrepublik Dagestan geboren und bei seinen Eltern und Geschwistern aufgewachsen. Er besuchte 10 Jahre die Grundschule und machte danach eine Ausbildung als Automechaniker. Seinen Lebensunterhalt finanzierte der BF durch Erwerbsarbeit als Lackierer. Nach der Heirat reiste er mit seiner Ehefrau erstmals aus Tschetschenien aus. Von 2004 bis 2011 hielt er sich in Österreich als Asylwerber und Asylberechtigter auf und kehrte 2011 freiwillig mit seiner Familie in die Russische Föderation nach Tschetschenien zurück. Zurück in der Russischen Föderation hielt sich der BF1 zum Teil gemeinsam oder auch getrennt von seiner Familie in Tschetschenien (Gudermes) und Dagestan sowie in Sotchi auf und ging verschiedenen beruflichen Tätigkeiten als Bäcker, Taxifahrer oder Bauarbeiter nach und finanzierte damit den Familienhaushalt. Am 11.09.2022 reiste er gemeinsam mit der BF2 mit dem Flugzeug und einem italienischen Visum von Sotchi aus der Russischen Föderation aus und über Istanbul erneut nach Österreich ein.
Die BF2 ist am XXXX in Österreich geboren und kehrte 2011 gemeinsam mit ihren Eltern und Geschwistern in die Russische Föderation zurück, wo sie den Pflichtschulabschluss machte und bis zur 10 Klasse im Zeitraum 2012 bis 2021 in Dagestan, in der Nähe von XXXX und in Tschetschenien (Gudermes oder Grosny) die Schule besuchte und mit ihrer Mutter und Geschwistern lebte. Die BF2 versucht ihre genauen Aufenthalte und Schulbildung in Dagestan bzw. Tschetschenien zu verschleiern. Es bestand kein durchgehender gemeinsamer Wohnsitz mit dem BF1, der sich aufgrund der Arbeit hauptsächlich in Tschetschenien aufhielt. Die BF2 reiste mit ihrer Mutter und Geschwistern auch wiederholt nach Georgien, wo sie sich auch kurzzeitig aufhielten bis sie mit dem BF1 2022 nach Sotchi reiste und aus der Russischen Föderation zuletzt ausreiste und bis nach Österreich kam.
1.1.3. In der Russischen Föderation, in Dagestan leben mit der Mutter und einem jüngeren Bruder und zwei Schwestern des BF1 sowie in Tschetschenien mit der Mutter und Geschwister (zwei Brüder und eine Schwester) seiner Ehefrau noch zahlreiche Verwandte der BF, zu welchen insbesondere der BF1 zu seiner Mutter und seinem Bruder Kontakt hat. Der Vater des BF1 ist im September 2024 verstorben. Der Bruder des BF1 ist als Zimmermann erwerbstätig und lebt gemeinsam mit der Mutter des BF1. Die Frau des BF1 und Mutter der BF2 lebt mit zwei weiteren Kindern des BF1 (Geschwister der BF2) in Georgien in XXXX und verrichtet manchmal Gelegenheitsjobs oder erhält für ein Kind finanzielle staatliche Unterstützung aus Russland. Zudem sind auch zwei Brüder des BF1 in XXXX aufhältig.
1.1.4. Die BF sind gesund und arbeitsfähig und im Bundesgebiet strafgerichtlich unbescholten.
1.1.5. Der BF1 reiste im Jahr 2004 nach Österreich und stellte erstmals am 28.03.2004 in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz. Die BF2 wurde am XXXX im Bundesgebiet geboren und stellte der BF1 für sie am 24.08.2004 einen ersten Asylantrag. Mit Bescheiden des Bundesasylamtes vom 05.11.2004 wurden den BF der Status der Asylberechtigten zuerkannt. Dieser Entscheidung zugrunde gelegt wurden die Angaben des BF1 im Verfahren, wonach er von der Miliz gestoppt und danach zusammengeschlagen wurde, weil diese einen Stempel in seinem Inlandsreisepass nicht gefunden haben. Der BF2 wurde abgeleitet vom BF1 Asyl gewährt.
Die BF kehrten 2011 freiwillig in den Herkunftsstaat zurück und lebten ca. 11 Jahre wieder in der Russischen Föderation. Die BF verfügten zwischen 28.11.2021 und 14.10.2022 über keine aufrechte Wohnsitzmeldung im Bundesgebiet.
1.1.6. Das BFA leitete mit Aktenvermerk vom 03.08.2022 ein Aberkennungsverfahren gegen die BF ein.
Die BF reisten am 11.09.2022 von Sotchi über Istanbul erneut mit einem russischen Reisepass und einem italienischen Visum nach Österreich ein und sind seit 14.10.2022 in Wien Wohnsitz gemeldet.
Das BFA erkannte mit den Bescheiden vom 20.09.2022 (BF1) und 21.09.2022 (BF2) den jeweils mit Bescheid vom 05.11.2004, Zahl XXXX (BF1) bzw. Zahl XXXX (BF2) zuerkannten Status der Asylberechtigten gemäß § 7 Absatz 1 Ziffer 2 AsylG 2005 ab. Es stellte fest, dass den BF die Flüchtlingseigenschaft nicht mehr zukommt und erkannte den BF den Status der subsidiär Schutzberechtigten nicht zu. Das BFA erteilte den BF keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen, erließ gegen die BF eine Rückkehrentscheidung und stellte fest, dass die Abschiebung der BF in die Russische Föderation zulässig ist und die Frist für die freiwillige Ausreise 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung beträgt.
Die dagegen erhobenen Beschwerden wurden mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 23.11.2022, Zl. XXXX als unbegründet abgewiesen.
Das Bundesverwaltungsgericht traf – auszugsweise – folgende Feststellungen zur Statusaberkennung der BF und ihren Fluchtgründen sowie Rückkehrbefürchtungen:
„Die Beschwerdeführer kehrten 2011 freiwillig in den Herkunftsstaat zurück und ließen sich (neuerlich) in der Russischen Föderation nieder, wo sie knapp elf Jahre lebten.
Beide Beschwerdeführer sind im Besitz russischer Reisepässe.
Festgestellt wird, dass den Beschwerdeführern in Tschetschenien respektive der Russischen Föderation keine Verfolgung aus Gründen der Rasse, der Religion, der Nationalität, der Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen ihrer politischen Ansichten droht. Im Entscheidungszeitpunkt konnte keine aktuelle Gefährdung der Beschwerdeführer in der Russischen Föderation festgestellt werden.
Festgestellt wird, dass den Beschwerdeführern im Fall ihrer Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung nach Tschetschenien respektive in die Russische Föderation nicht in ihrem Recht auf Leben gefährdet, der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung unterworfen oder von der Todesstrafe bedroht wären. Die Beschwerdeführer liefen dort nicht Gefahr, grundlegende und notwendige Lebensbedürfnisse wie Nahrung, Kleidung sowie Unterkunft nicht befriedigen zu können und in eine ausweglose bzw. existenzbedrohende Situation zu geraten.“
Zur Lebenssituation in Österreich wurde festgestellt, dass die BF abgesehen vom Bruder/Onkel über keine Familienangehörigen oder sonstigen Verwandten im Bundesgebiet verfügen. Zum Bruder/Onkel besteht kein besonderes Abhängigkeitsverhältnis. Der BF1 hat sich während seines Aufenthaltes im Bundesgebiet Deutschkenntnisse angeeignet und spricht inzwischen Deutsch und beherrscht sowohl Russisch als auch Tschetschenisch. Die BF2 spricht Tschetschenisch und Russisch. Die BF waren im Bundesgebiet nie legal erwerbstätig und haben sich nicht ehrenamtlich betätigt. Die BF meldeten erstmals seit 28.11.2011 am 14.10.2022 einen Wohnsitz im Bundesgebiet an.
Beweiswürdigend führte das Bundesverwaltungsgericht – auszugsweise –zu einer möglichen Rückkehr in den Herkunftsstaat der BF und den geänderten Umständen folgendes aus:
„Die Feststellungen zur Rückkehrsituation der Beschwerdeführer ergeben sich aus der Einsichtnahme in den Inhalt des Verwaltungsaktes über ihr im Jahr 2004 initiiertes Asylverfahren, die im gegenständlichen Verfahren herangezogenen Länderberichte zur aktuellen Sicherheits- und Menschrechtslage in der Russischen Föderation sowie der Stellungnahme des Erstbeschwerdeführers vom 15.09.2022.
Dem Erstbeschwerdeführer gelang es während des nunmehr gegenständlichen Verfahrens zu keinem Zeitpunkt glaubhaft zu machen, dass ihm nunmehr, rund 20 Jahre nachdem die Probleme, welche zur Asylgewährung im Jahr 2004 geführt haben, geschehen sind, nach wie vor Verfolgung in der Russischen Föderation drohen würde.
Das diesbezügliche Vorbringen des Erstbeschwerdeführers blieb während des gesamten Verfahrens äußerst vage. So gab der Beschwerdeführer in seiner Stellungnahme lediglich an, dass er einen Asylbescheid zur Beantragung eines Konventionsreisepasses benötige, um seine Frau und seine beiden Kinder nach Österreich bringen zu können.
Die Gründe, welche für die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten an die Beschwerdeführer ausschlaggebend gewesen sind, führen zum Entscheidungszeitpunkt demnach zu keiner Gefährdung der Beschwerdeführer mehr im Falle einer Rückkehr.
Die indirekt vorgebrachte Befürchtung, der Erstbeschwerdeführer könnte rekrutiert werden, erweist sich in Zusammenschau mit den Länderinformationen jedenfalls nicht als aktuell. Der Erstbeschwerdeführer befindet sich nicht im wehrdienstfähigen Alter.
Auch dafür, dass der Zweitbeschwerdeführer aufgrund ihrer Geschlechts eine Verfolgung drohen sollte, ist nicht hervorgekommen. Der Zweitbeschwerdeführerin war es elf Jahre lang möglich, sich im Herkunftsstaat unbehelligt aufzuhalten und die Schule zu besuchen.
Darüber hinaus haben die Beschwerdeführer selbst im nunmehrigen Verfahren keinerlei substantielle Befürchtungen hinsichtlich einer ihnen im Falle einer Rückkehr möglicherweise drohenden gezielten Verfolgung vorgebracht, auch die Beschwerden traten den Erwägungen im angefochtenen Bescheid zum Wegfall der Gründe für die Zuerkennung des Status nicht substantiell entgegen, indem sie etwa individuelle Fluchtgründe der Beschwerdeführer angeführt hätten. Die Beschwerdeführer haben sich knapp elf Jahre im Herkunftsstaat niedergelassen und war es ihnen möglich, dort ohne Gefahr zu leben, zu arbeiten und zur Schule zu gehen.
Da überdies infolge Beendigung des zweiten Tschetschenienkrieges eine nachhaltige Änderung der Sicherheits- und Menschenrechtslage im Nordkaukasus eingetreten ist, die Beschwerdeführer im gegenständlichen Verfahren keine aktuelle konkrete Furcht vor individueller Verfolgung oder einer sonstigen Gefährdung im Fall ihrer Rückkehr geäußert haben und es ihren Angehörigen unverändert möglich ist, im Herkunftsstaat zu leben, konnte im Fall der Beschwerdeführer keine aktuell bestehende Gefährdung im Fall einer Rückkehr prognostiziert werden. Die Beschwerdeführer haben sich die letzten elf Jahre im Herkunftsstaat aufgehalten und war es ihnen möglich, dort zu leben, einer Arbeit nachzugehen bzw. die Schule zu besuchen. Sie haben im nunmehrigen Verfahren keine konkreten Rückkehrbefürchtungen geäußert, welche ein Interesse russischer respektive tschetschenischer Sicherheitskräfte an ihrer Person im Falle einer nunmehrigen Rückkehr wahrscheinlich erscheinen ließen. Ebenso wenig haben sie eine Gefährdung durch Privatpersonen ins Treffen geführt, bezüglich derer die Behörden ihres Herkunftsstaates potentiell keine Schutzfähigkeit oder Schutzwilligkeit aufweisen würden.
Den diesbezüglichen Erwägungen der belangten Behörde wurde auch in der Beschwerde nicht entgegengetreten, zumal auch in dieser keine substantiellen Rückkehrbefürchtungen der Beschwerdeführer geäußert wurden, welche eine aktuelle staatliche oder private Verfolgung ihrer Personen indizieren würde und eine weitere mündliche Erörterung als geboten erscheinen ließe.
Aufgrund der dargelegten Umstände, welche bereits im angefochtenen Bescheid festgestellt wurden, ergibt sich, dass eine aktuelle Gefahr einer Verfolgung aus asylrelevanten Motiven nicht gegeben ist und auch darüber hinaus keine Gefährdung der Beschwerdeführer im Falle ihrer Rückkehr zu prognostizieren ist.
Dass die Beschwerdeführer freiwillig in den Herkunftsstaat zurückgekehrt sind und dort keiner aktuellen Gefährdung unterliegen, ergibt sich unzweifelhaft aus dem Umstand, dass sie trotz des ihnen zuerkannten Schutzstatus in den Herkunftsstaat zurückgereist sind und dort (neuerlich) ihren Lebensmittelpunkt begründeten. Die Beschwerdeführer haben das Bundesgebiet vor elf Jahren verlassen, lebten bis September 2022 im Herkunftsstaat und sind offensichtlich von keiner Verfolgungssituation oder einer sonstigen Notlage betroffen. Auch die Beschwerden haben eine Freiwilligkeit der Rückkehr und neuerlichen Niederlassung der Beschwerdeführer nicht substantiell bestritten. Das Bundesamt wies zutreffend darauf hin, dass eine tatsächlich von staatlicher Verfolgung betroffene Person keinesfalls eine freiwillige Niederlassung im Verfolgerstaat und erneute Begründung ihres Lebensmittelpunkts in ihrer früheren Heimatstadt erwägen würde.
Die nach Zuerkennung des Status der Asylberechtigten erfolgte Rückkehr in den Herkunftsstaat für rund elf Jahre wurde von den Beschwerdeführern nicht bestritten, sondern selbst vom Erstbeschwerdeführer vorgebracht. Ebenso wurde der Besitz von russischen Reisepässen vom Erstbeschwerdeführer bestätigt. Der Erstbeschwerdeführer sei im Herkunftsstaat in der Zeit, nachdem ihm bereits ein Asylstatus gewährt worden war, erwerbstätig gewesen, die Zweitbeschwerdeführerin habe in dieser Zeit eine Schule besucht. Der Umstand, dass sich die Beschwerdeführer rund elf Jahre im Herkunftsstaat aufgehalten haben, spricht für die Unterschutzstellungsabsicht. Dass die Beschwerdeführer in diesem Zeitraum Probleme mit den staatlichen Behörden oder sonstige Schwierigkeiten im Herkunftsstaat gehabt hätten, ist im Verfahren nicht hervorgekommen und wurde nicht behauptet, weshalb eine asylrelevante Verfolgung der Beschwerdeführer objektiv nicht mehr gegeben ist.
Auch der Umstand, dass es engen Verwandten der Beschwerdeführer, darunter auch der Ehefrau sowie einer Tochter und einem Sohn des Erstbeschwerdeführers, zum Entscheidungszeitpunkt laut Angaben des Erstbeschwerdeführers möglich ist, ohne Probleme in der Russischen Föderation zu leben, deutet darauf hin, dass die Beschwerdeführer keiner behördlichen Verfolgung in ihrer Heimat unterliegen.
Das Vorbringen in der Beschwerde, wonach sich an der Rückkehrbefürchtungen der Beschwerdeführer im Vergleich zum Zeitpunkt der Asylantragstellung nichts geändert habe, führt ins Leere, da sich daraus ein möglicher Zwang für den Aufenthalt in der Russischen Föderation nicht ergibt.
Die Feststellungen zum Vorliegen einer Existenzgrundlage in der Russischen Föderation ergeben sich daraus, dass es sich beim Erstbeschwerdeführer um einen gesunden und erwerbsfähigen Mann handelt, der zudem Russisch und Tschetschenisch spricht und der über eine Schulbildung verfügt. Dass in der Russischen Föderation die Grundversorgung der Bevölkerung gegeben ist und sohin auch für die Beschwerdeführer eine Existenzgrundlage vorliegt, ergibt sich aus den Länderfeststellungen und aus dem Amtswissen. Ferner ergibt sich aus den Länderfeststellungen, denen die Beschwerdeführer im Übrigen nicht substantiiert entgegengetreten sind, dass die Verhältnisse in der Russischen Föderation nicht das Ausmaß erreichen, um von einer Gefährdung ausgehen zu können, die in den Nahebereich des Art. 3 EMRK gelangen könnte.“
Das Erkenntnis wurde nachweislich am 24.11.2022 der Rechtsvertretung der BF und der belangten Behörde mittels elektronischer Zustellung zugestellt. Der Verwaltungsgerichtshof bewilligte mit Beschluss vom 23.02.2023 die Verfahrenshilfe. Eine außerordentliche Revision gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 23.11.2022 wurde nicht erhoben, das Erkenntnis erwuchs in Rechtskraft.
1.2. Zur erneuten Antragstellung auf internationalen Schutz der BF und ihren Lebensumständen in Österreich:
1.2.1. Die BF verblieben trotz rechtskräftig abgeschlossenen Statusaberkennungsverfahren und rechtskräftiger Rückkehrentscheidung mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 23.11.2022 weiterhin über eineinhalb Jahre rechtswidrig im Bundesgebiet und brachte der BF1 am 27.03.2024 und die BF2 am 01.08.2024 einen Folgeantrag auf internationalen Schutz ein. In Folge wies das BFA die Folgeanträge der BF auf internationalen Schutz mit gegenständlichen Bescheiden vom 01.04.2025 sowohl hinsichtlich der Zuerkennung des Status von Asylberechtigten als auch bezüglich der Zuerkennung des Status von subsidiär Schutzberechtigten ab (Spruchpunkt I. und II.). Es erteilte keine Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz (Spruchpunkt III.) und erlies eine Rückkehrentscheidung gegen die BF (Spruchpunkt IV.), stellte fest, dass die Abschiebung der BF in die Russische Föderation zulässig ist (Spruchpunkt V.), erkannte einer Beschwerde gegen diese Entscheidung die aufschiebende Wirkung ab (Spruchpunkt VI.) und gewährte keine Frist für die freiwillige Ausreise (Spruchpunkt VII.). Gegen diese Bescheide erhoben die BF fristgerecht Beschwerde. Die BF verfügten nie über ein Aufenthaltsrecht außerhalb des Asylverfahrens.
1.2.2. Das aktuelle Asylverfahren zu seinem Folgeantrag auf internationalen Schutz begründet der BF1 damit, dass er nach seiner erneuten Einreise in Österreich im September 2022 von Verwandten vom Erhalt eines Einberufungsbefehls bzw. einer Ladung zur Mobilisierung für Dagestan für die russische Armee erfahren hat und ein zwangsweiser Einsatz im Ukrainekrieg drohen würde. Im Laufe des Verfahrens wurde zudem vorgebracht, dass der BF1 im Jahr 2018 einen Einberufungsbefehl zum Reservedienst erhielt und aufgrund seiner Obsorgeverpflichtungen damals der Einberufung entgehen konnte.
Die BF2 stützt sich im aktuellen Folgeantragsverfahren auf das Fluchtvorbringen des BF1 und damit auch eine Verfolgungs- und Bedrohungsgefährdung der BF2 (Entführung) sowie auf allgemeine Probleme aufgrund ihrer Volksgruppenzugehörigkeit (Mentalität, Kleidung) und politisch kritische „Posts“ auf Soziale Medien, die zu Problemen führen könnten.
Der für die Entscheidung maßgebliche Sachverhalt hat sich seit Rechtskraft des vorangegangenen Asylverfahrens bzw. Statusaberkennungsverfahrens damit nicht geändert. Es ist nicht vom Vorliegen neuer Elemente oder Erkenntnisse auszugehen, die erheblich zu der Wahrscheinlichkeit beitragen, dass der BF1 und die BF2 als Person mit Anspruch auf internationalen Schutz anzuerkennen ist und der Folgeantrag auf internationale Schutz inhaltlich zu prüfen ist. Auch exilpolitische Betätigung mit kritischen Posts in Sozialen Medien der BF2 weist keinen glaubhaften Kern auf.
1.2.3. Die BF leiden auch an keinen schweren physischen oder psychischen lebensbedrohlichen und im Herkunftsstaat nicht behandelbaren Erkrankungen, die einer Rückführung in den Herkunftsstaat entgegenstehen würden.
1.2.4. Auch besteht keine maßgebliche Änderung der allgemeinen Situation im Herkunftsstaat seit rechtskräftigen Abschluss des vorangegangenen Statusaberkennungsverfahrens. Bei einer Rückkehr in die Russische Föderation drohen den BF keine reale Gefahr einer Verletzung von Art. 2, 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention noch besteht für sie als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes.
Auch im Hinblick auf den Angriffskrieg Russlands in der Ukraine besteht für den Herkunftsstaat Russische Föderation derzeit keine derartige Entwicklung, die im Hinblick auf eine Gefährdung nach Art. 3 EMRK eine entscheidungsrelevante Lageveränderung erkennen lässt.
1.2.5. Ein Bruder des BF1 und Onkel der BF2 lebt mit seiner Familie in Österreich. Zudem lebt auch noch eine Cousine der Mutter der BF2 im Bundesgebiet. Bis auf gegenseitige Besuche besteht kein gemeinsamer Wohnsitz mit den Verwandten noch ein besonderes Abhängigkeitsverhältnis. Die BF leben privat in einer Mietwohnung in Wien und der BF1 finanziert als Selbständiger (Reinigungstätigkeiten) den Lebensunterhalt der BF2 im Bundesgebiet. Der BF1 ist selbsterhaltungsfähig. Die BF2 geht keiner Beschäftigung nach. Die BF sind weder ehrenamtlich tätig noch Mitglied in einem Verein.
Der BF1 hat gute Deutschkenntnisse auf Niveau BF1. Die BF2 hat anfängliche Deutschkenntnisse auf Niveau A1-A2 und besucht im Bundesgebiet einen Deutschkurs. Darüber hinaus hat sie keine sonstige Aus- und Fortbildungsmaßnahmen gesetzt.
1.2.6. Zwischen rechtskräftigen Abschluss des Vorverfahrens und der Zurückweisung des gegenständlichen Folgeantrages wegen entschiedener Sache ist insgesamt keine wesentliche Änderung der Sach- oder Rechtslage im Herkunftsstaat oder der persönlichen Umstände der BF oder des Privat- und Familienlebens eingetreten.
1.3. Die allgemeine Lage in der Russischen Föderation stellt sich im Übrigen wie folgt dar:
Zur Situation im Herkunftsland wird von den vom Bundesverwaltungsgericht ins Verfahren eingeführten aktuellen Länderinformationen der Staatendokumentation, Version 16 vom 21.05.2025 ausgegangen:
Sicherheitslage
Aufgrund der militärischen Aggression Russlands gegen die Ukraine ist die Lage in Russland zunehmend unberechenbar (EDA 13.12.2024). Die allgemeine Sicherheitslage ist regional unterschiedlich (EAMFR 27.3.2025). In Russland gelten erhöhte Sicherheitsmaßnahmen, welche von lokalen Behörden getroffen werden und zu Einschränkungen der Versammlungs- und Bewegungsfreiheit, Ausgangssperren, Beschlagnahmung von Privateigentum sowie einer erhöhten Kommunikationsüberwachung führen können (GOV.UK 15.5.2025). In Moskau kommt es zu nächtlichen Drohnenangriffen (BMEIA 18.2.2025), das Abwehrsystem um Moskau wurde deutlich ausgebaut (AA 16.4.2025). Russland hat das Kriegsrecht über die von ihm annektierten ostukrainischen Regionen verhängt (Lenta 25.10.2023; vgl. EPEK RUSS 19.10.2022, AA 16.4.2025).
Anfang August 2024 fielen die ukrainischen Streitkräfte in die russische Region Kursk ein und besetzten Teile davon (ISW 7.8.2024). Die Ukraine verliert mehr und mehr Gebiete in Kursk durch Rückeroberungen durch Russland (ACLED 3.4.2025). Auf der folgenden Karte ist unter anderem der aktuelle Stand der Besetzung von Kursk durch die ukrainische Armee zu sehen. Die dunkelblau markierten Teile illustrieren den ukrainischen Vorstoß auf russisches Territorium. Die rot markierten Teile veranschaulichen, inwieweit die Rückeroberung russischen Territoriums durch Russland gelang (ISW 14.5.2025):
Ukrainischer Angriff auf die russische Region Kursk (aktueller Stand der Besetzung)
Quelle: ISW 14.5.2025
Intensität des Kampfgeschehens in der Region Kursk
Quelle: ACLED 8.5.2025
Obige Grafik illustriert die Häufigkeit des Kampfgeschehens in der russischen Region Kursk im Zeitraum zwischen August 2024 und April 2025. Es wird hier ersichtlich, dass ab März 2025 die Intensität der Kämpfe zwischen ukrainischen und russischen Streitkräften abrupt und signifikant abgenommen hat (ACLED 8.5.2025).
In der Russischen Föderation sind wiederholt Terrorakte verübt worden. Betroffen waren vor allem der Großraum des nördlichen Kaukasus und die Großstädte (EDA 13.12.2024). Am 22.3.2024 ereignete sich ein Terroranschlag auf eine Konzerthalle in der Moskauer Region, bei welchem in etwa 150 Personen getötet und zahlreiche weitere verletzt wurden. Zu diesem Terroranschlag bekannte sich der „Islamische Staat der Provinz Khorasan“ (ISKP), ein zentralasiatischer Ableger des sogenannten „Islamischen Staats“. Dennoch versuchten die russischen Behörden, der Ukraine eine Beteiligung an dem Anschlag zu unterstellen. Dutzende Verhaftungen in Russland und Tadschikistan folgten auf den Terroranschlag (ACLED 5.4.2024). Trotz verschärfter Sicherheitsmaßnahmen kann das Risiko weiterer Terrorakte nicht ausgeschlossen werden. Die russischen Sicherheitsbehörden weisen vor allem auf eine erhöhte Gefährdung durch Anschläge gegen öffentliche Einrichtungen und größere Menschenansammlungen hin (Untergrundbahn, Bahnhöfe und Züge, Flughäfen etc.) (EDA 13.12.2024). Einige Flughäfen in Südrussland sind geschlossen (AA 16.4.2025). Gemäß dem aktuellen Globalen Terrorismus-Index (2025), welcher die Einwirkung von Terrorismus je nach Land misst, belegt Russland den 16. von insgesamt 100 Rängen. Dies bedeutet, Russland befindet sich auf hohem Niveau, was den Einfluss von Terrorismus betrifft (IEP 3.2025).
Die folgende Karte stellt aktuelle sicherheitsrelevante Ereignisse innerhalb Russlands dar, wobei hier zwei Kategorien angezeigt werden: politische Gewalt (rot) und Demonstrationen (blau). Wie auf dieser Karte zu sehen ist, konzentrieren sich die sicherheitsrelevanten Ereignisse auf westliche Teile Russlands (ACLED 8.5.2025).
Sicherheitsrelevante Ereignisse innerhalb Russlands (Zeitraum April 2025)

Quelle: ACLED 8.5.2025[Quellenbeschreibung siehe Kapitel Länderspezifische Anmerkungen]
Nordkaukasus
Die Sicherheitslage im Nordkaukasus hat sich in den letzten Jahren stabilisiert. Die Zahl der Opfer gewalttätiger Zusammenstöße hat in den letzten Jahren abgenommen. Es ist nicht mehr von einer breiten islamistischen Bewegung im Nordkaukasus auszugehen, wenngleich es vereinzelt zu Anschlägen kommt, die von den Behörden auch mit dem sogenannten „Islamischen Staat“ (IS) in Verbindung gebracht werden (ÖB Moskau 1.7.2024). Im Nordkaukasus nehmen Angriffe auf Polizisten zu (KR 4.5.2024). Während die Bedrohung durch den bewaffneten Untergrund im Nordkaukasus im Zuge der Pandemie und zu Anfang der Vollinvasion gering blieb, scheint sie jetzt wieder größer zu werden. Die Bedrohung geht inzwischen von einer weit größeren Anzahl von verstreuten Akteuren aus, wobei diese kleinen Gruppierungen ihre Effektivität verbessert haben (Russland-Analysen/Chambers 26.7.2024). Niederschwellige militante terroristische Aktivitäten sowie vermehrte Anti-Terror-Aktivitäten und Bemühungen um eine politische Konsolidierung sind feststellbar (OSAC 8.2.2021). Gemäß dem Online-Medienportal „Kaukasischer Knoten“ fielen zwischen Jänner 2023 und Oktober 2024 insgesamt 69 Personen dem bewaffneten Konflikt im Nordkaukasus zum Opfer. Sechs dieser Personen wurden in Tschetschenien und 24 in Dagestan getötet (KK 8.11.2024; vgl. KK 9.10.2024, KK 5.8.2024, KK 29.4.2024b, KK 5.1.2024, KK 4.10.2023, KK 5.7.2023, KK 5.4.2023). Terroranschläge ziehen staatlicherseits unter anderem kollektive Bestrafungsformen nach sich. Dies bedeutet, Familienangehörige werden für die Taten ihrer Verwandten zur Verantwortung gezogen (RUSI/Zhirukhina 30.7.2021) und müssen gemäß gesetzlichen Vorgaben Schadenersatz leisten (USDOS 22.4.2024).
Tschetschenien
Die Sicherheitslage kann als stabil bezeichnet werden (AA 2.8.2024). Die tschetschenischen Sicherheitskräfte handeln außerhalb der russischen Verfassung und Gesetzgebung (Dekoder 10.2.2022). Tschetschenische Strafverfolgungsorgane werfen vermeintlichen Salafisten und Wahhabiten unbegründet terroristische Machenschaften vor und erzwingen Geständnisse durch Folter (USCIRF 26.10.2021). Regelmäßig wird aus Tschetschenien über Sabotage- und Terrorakte gegen Militär und Ordnungskräfte, über Feuergefechte mit Mitgliedern bewaffneter Gruppen, Entführungen sowie Druck auf Familienangehörige von Mitgliedern illegaler bewaffneter Formationen berichtet. In verschiedenen Teilen der Republik Tschetschenien werden in regelmäßigen Abständen Antiterroroperationen durchgeführt (KK 9.4.2025). Tschetschenische Behörden wenden regelmäßig kollektive Bestrafungsformen bei Familienangehörigen vermeintlicher Terroristen an, beispielsweise indem Familienangehörige zum Verlassen der Republik gezwungen werden (USDOS 22.4.2024). In Tschetschenien gibt es eine Antiterrorismus-Kommission, deren Vorsitzender das Republikoberhaupt Ramsan Kadyrow ist (NAK o.D.a).
Dagestan
Von offizieller Seite wurde im Jänner 2019 die praktisch vollständige Liquidierung des bewaffneten Widerstands in Dagestan verkündet, vereinzelt kommt es dennoch zu bewaffneten Zwischenfällen. Im Fokus der Sicherheitsbehörden stehen mutmaßliche Terroristen bzw. Anhänger extremistischer Überzeugungen (dazu zählen auch in Dagestan die Zeugen Jehovas) (ÖB Moskau 1.7.2024). In Dagestan nimmt der Widerstand immer mehr die Form von Sabotageakten und von Partisanen-Aktivitäten an (KK 6.3.2025). Obwohl es derzeit keine bewaffneten Aktivitäten im islamistischen Untergrund gibt, bleibt das Radikalisierungspotenzial in der Republik Dagestan bestehen (Russland-Analysen/Chambers 26.7.2024). Es gibt in Dagestan eine Antiterrorismus-Kommission, welche vom Republikoberhaupt Sergej Melikow geleitet wird (NAK o.D.b).
Rechtsschutz / Justizwesen
Gemäß der Verfassung sind die Rechte und Freiheiten der Menschen rechtlich geschützt, und die Russische Föderation ist ein Rechtsstaat. Richter sind unabhängig und unabsetzbar. Gerichtsverhandlungen sind mit Ausnahme gesetzlich geregelter Fälle öffentlich. Die Mitglieder des Verfassungsgerichtshofes und Obersten Gerichtshofes werden vom Föderationsrat auf Vorschlag des russischen Präsidenten ernannt. Mitglieder der anderen Gerichtshöfe auf föderaler Ebene werden vom russischen Präsidenten ernannt. Der Präsident der Russischen Föderation initiiert die Entlassung der Mitglieder des Verfassungsgerichtshofes und Obersten Gerichtshofes. Der Generalstaatsanwalt und sein Stellvertreter sowie die Staatsanwälte der Subjekte der Russischen Föderation werden nach Beratungen mit dem Föderationsrat vom russischen Präsidenten ernannt und von diesem entlassen. Föderale Gesetze gelten für das gesamte Territorium der Russischen Föderation. Gesetze und andere rechtliche Bestimmungen der Subjekte der Russischen Föderation dürfen föderalen Gesetzen nicht widersprechen. Im Falle eines Widerspruchs gilt das föderale Gesetz. Republiken haben ihre eigene Rechtsordnung, solange dadurch die Kompetenzen der Russischen Föderation unberührt bleiben. Gemäß der Verfassung werden Entscheidungen internationaler Institutionen, welche der Verfassung der Russischen Föderation widersprechen, in der Russischen Föderation nicht vollstreckt. Die Verfassung garantiert ein Doppelbestrafungsverbot (Verfassung RUSS 6.10.2022).
Die Rechtsstaatlichkeit wird von Russlands politischer Führung oft untergraben, um die Stabilität des politischen Systems aufrechtzuerhalten (BS 2022). Gemäß dem Rechtsstaatlichkeitsindex des World Justice Project nimmt Russland aktuell den 113. Rang von insgesamt 142 Ländern/Rängen ein und befindet sich zwischen Niger und Madagaskar (WJP o.D.). Das Justizwesen in Russland ist nicht unabhängig (SWP/Fischer 19.4.2022; vgl. UNHRCOM 1.12.2022, FH 2024) und wird von der Exekutive manipuliert und kontrolliert (BS 2024). Der Justiz mangelt es an Transparenz (FH 11.4.2024). Politisch wichtige Fälle werden vom Kreml überwacht, und Richter haben nicht genügend Autonomie, um den Ausgang zu bestimmen (ÖB Moskau 1.7.2024). Richter des Verfassungsgerichtshofes dürfen ihre abweichenden Meinungen nicht öffentlich machen (UNHRCOM 1.12.2022; vgl. FVGVFGH RUSS 31.7.2023).
Die Strafverfolgungs- oder Strafzumessungspraxis unterscheidet grundsätzlich nicht nach Merkmalen wie ethnischer Zugehörigkeit, Religion oder Nationalität. Es gibt jedoch selektive Strafverfolgung, die politisch oder auch durch wirtschaftliche Interessen motiviert sein kann (AA 2.8.2024). Das Justizwesen ist von Korruption befallen (BS 2024). Gemäß Berichten geraten seit Russlands Ukraine-Invasion Rechtsanwälte immer mehr ins Visier. Beispielsweise wird ihnen der Zugang zu Mandanten auf Polizeistationen und die Vertretung ihrer Mandanten bei Gerichtsverhandlungen verwehrt (EUAA 16.12.2022b). Es kommt vor, dass Rechtsanwälte ungerechtfertigten Disziplinarverfahren und strafrechtlicher Verfolgung ausgesetzt sind, insbesondere wenn sie Teilnehmer an Anti-Kriegsprotesten verteidigen (UNHRCOM 1.12.2022). Es gibt Berichte über Anwälte, welche verhaftet wurden, weil sie Opfer politischer Repressionen unterstützt haben (EUAA 16.12.2022b). Rechtsanwälte, welche Menschenrechtsfälle bearbeiten, sind mehr und mehr Verwaltungsschikanen sowie Schikanen disziplinarischer und strafrechtlicher Natur ausgesetzt (EEAS 29.5.2024).
Schutzmaßnahmen gegen willkürliche Verhaftung und andere Garantien zur Durchführung ordnungsgemäßer Verfahren werden regelmäßig verletzt (FH 2024). Gemäß den gesetzlichen Vorgaben dürfen Inhaftierte die Gesetzmäßigkeit ihrer Inhaftierung gerichtlich überprüfen lassen, jedoch stellen erfolgreiche Anfechtungen eine Seltenheit dar. Wegen der mangelnden Unabhängigkeit des Justizsystems schließen sich Richter für gewöhnlich der Ansicht des Ermittlers an und weisen Beschwerden Angeklagter ab (USDOS 22.4.2024). Für Angeklagte gilt laut der Verfassung die Unschuldsvermutung (Verfassung RUSS 6.10.2022) sowie das Recht auf ein faires, zeitnahes und öffentliches Gerichtsverfahren. Diese Rechte werden nicht immer respektiert (USDOS 22.4.2024). In Ermittlungsverfahren und vor Gericht kann nicht auf eine faire Behandlung bzw. einen fairen Prozess vertraut werden (AA 2.8.2024). Gerichtsverfahren enden sehr selten mit Freisprüchen (USDOS 22.4.2024). Das Vertrauen der Bevölkerung in die Justiz ist gering (Lewada 24.10.2024).
Am 16.3.2022 wurde Russland aus dem Europarat ausgeschlossen (CoE 16.3.2022). Zunächst hatte der Europarat wegen des bewaffneten russischen Angriffs auf die Ukraine die Mitgliedschaftsrechte Russlands im Europarat suspendiert (CoE 25.2.2022). Russland war dem Europarat 1996 beigetreten (CoE 16.3.2022). Seit 16.9.2022 ist Russland keine Vertragspartei der vom Europarat geschaffenen Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) mehr (CoE 16.9.2022; vgl. CoE o.D.a). Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) stellt die Einhaltung der EMRK sicher. Bürger können sich, nachdem die innerstaatlichen Rechtsbehelfe erschöpft sind, mit Beschwerden direkt an ihn wenden (CoE o.D.b). Seit 16.9.2022 haben russische Bürger kein Recht mehr, den EGMR anzurufen (SWP/Fischer 19.4.2022). Der EGMR ist weiterhin für die Bearbeitung von Beschwerden gegen Russland zuständig, welche bis 16.9.2022 eingereicht wurden. Das Ministerkomitee des Europarats überwacht weiterhin die Umsetzung der Urteile (CoE 16.9.2022). Gemäß einer von der Russischen Föderation verabschiedeten Gesetzesänderung vom Juni 2022 unterliegen Beschlüsse des EGMR, welche nach dem 15.3.2022 in Kraft traten, aber nicht mehr der Vollstreckung in der Russischen Föderation (FGÄSPGB RUSS 11.6.2022). Vor dem EGMR waren mit Stand 31.10.2024 7.750 Beschwerden gegen Russland anhängig (ECHR 31.10.2024).
Tschetschenien und Dagestan
Die Situation in Bezug auf die Rechtsstaatlichkeit in Tschetschenien und Dagestan ist problematisch. Vor allem bleiben schwerwiegende Menschenrechtsverletzungen, begangen von Vertretern der föderalen und regionalen Behörden, straffrei. Es kommt vor, dass Rechtsanwälte, welche ihre Mandanten verteidigen, Angriffen durch Strafverfolgungsbehörden im Nordkaukasus ausgesetzt sind (CoE-PACE 3.6.2022).
Tschetschenien
Tschetschenien verwaltet sich im Rechtsbereich weitgehend selbst (KAS/Perovic 12.12.2022). Gemäß der tschetschenischen Verfassung gibt es in Tschetschenien föderale Gerichte, den Verfassungsgerichtshof und Friedensgerichte. Friedensrichter sind als Gericht erster Instanz für die Überprüfung von Zivil-, Verwaltungs- und strafrechtlichen Fällen zuständig (Verfassung TSNE 23.3.2003). Behörden verletzen das Recht auf ein faires Gerichtsverfahren. Das Justizsystem dient als Vergeltungsmaßnahme gegen Personen, welche Fehlverhalten des tschetschenischen Republikoberhaupts Kadyrow aufdecken (USDOS 22.4.2024). Tendenzen zur Einführung von Scharia-Recht haben in den letzten Jahren zugenommen. Es herrscht ein Rechtspluralismus aus russischem Recht, traditionellem Gewohnheitsrecht (Adat; einschließlich der Tradition der Blutrache) und Scharia-Recht (AA 2.8.2024). Tschetscheniens Normen und Regeln entfalten oft Vorrang vor der russischen Gesetzgebung, vor allem wenn es um die tschetschenische Identität und den Islam geht (PONARS Eurasia/Ratelle/Iliyasov 18.12.2023). Gemäß Aussage von Einwohnern Tschetscheniens lautet das grundlegende Gesetz in Tschetschenien „Ramsan sagte“. Dies bedeutet, Kadyrows mündliche Aussagen sind einflussreicher als die Rechtssysteme und widersprechen diesen möglicherweise (CSIS/Kosterina 24.1.2020). Das Republiksoberhaupt ruft zu außergerichtlichen Bestrafungen auf (KR 4.1.2024).
Das Gewohnheitsrecht (Adat) umfasst zwischenmenschliche Beziehungen wie beispielsweise Vermögensverhältnisse, persönliche und verwandtschaftliche Beziehungen. Es variiert regional und von Sippe zu Sippe und beruht auf dem Prinzip der Wiedergutmachung von Unrecht anstatt Bestrafung (Gumppenberg/Steinbach 2018). Im Gegensatz zum islamischen Recht liegt dem Gewohnheitsrecht (Adat) die kollektive Verantwortung für Rechtsverletzungen zugrunde (RAPSI 4.4.2022). Da es im Rahmen des Gewohnheitsrechts keine individuelle Verantwortung gibt, steht nicht der Täter im Mittelpunkt, sondern dessen Familienclan. Dieser trägt die Verantwortung. Um Stammeskriege und die Ausrottung ganzer Gemeinschaften zu vermeiden, sieht das Gewohnheitsrecht bestimmte Verfahren vor, um die Sippe des Opfers zu versöhnen und Verletzung sowie Verlust auszugleichen (Gumppenberg/Steinbach 2018). In Tschetschenien ist die Praxis der kollektiven Verantwortung weitverbreitet (KR 2.3.2023). Zum Adat gehört beispielsweise der Brauch der Blutrache (RAPSI 4.4.2022; vgl. Gumppenberg/Steinbach 2018). Die Blutrache entstand zum Schutz der Ehre und des Vermögens im Rahmen der Sippenstruktur und verpflichtet die Angehörigen eines Ermordeten, sich an dem Mörder oder dessen Angehörigen zu rächen. Blutrache kennt keine Verjährungsfrist. Es gab Fälle, in welchen die Blutrache nach 50 oder 100 Jahren vollzogen wurde, als der Mörder und dessen nahe Verwandte bereits verstorben waren. Aus Gründen der Selbsterhaltung wurde eine Reihe von Methoden ausgearbeitet, um dem Morden ein Ende zu setzen. Als Alternative wurden Geldstrafen eingeführt. Im Jahr 2010 gründete Kadyrow die „Kommission für nationale Versöhnung“, welche auf die Lösung von Blutfehdekonflikten abzielte. In Tschetschenien existieren Versöhnungskommissionen zur Lösung von Konflikten (KK 27.6.2024). Die Versöhnung verfeindeter Familien geschieht häufig auf Druck der Behörden (KK 6.1.2024). Die Einstellung der tschetschenischen Führung zur Blutrache ist oft situationsabhängig (KR 27.2.2023). Gemäß dem russischen Strafgesetzbuch zieht Mord mit dem Motiv der Blutrache eine Freiheitsstrafe von 8-20 Jahren, eine lebenslange Freiheitsstrafe oder die Todesstrafe nach sich (StGB RUSS 9.11.2024). [zum Thema Todesstrafe siehe Kapitel Todesstrafe]
Im islamischen Rechtssystem (Scharia) trägt nur der Einzelne die Schuld für begangene Taten. Traditionelle Hauptanwendungsgebiete der Scharia sind Familien-, Erbrecht und teilweise Vermögensrecht (Gumppenberg/Steinbach 2018).
Bestimmte Gruppen genießen keinen effektiven Rechtsschutz in Tschetschenien. Hierzu gehören Menschenrechtsverteidiger, sexuelle Minderheiten, Oppositionelle, Regimekritiker, Frauen, welche mit den Wertvorstellungen ihrer Familie in Konflikt geraten, sowie Personen, die sich gegen das Republiksoberhaupt Kadyrow bzw. dessen Clan aufgelehnt haben. Kadyrow äußert regelmäßig Drohungen gegen Oppositionspolitiker, Menschenrechtsaktivisten und Minderheiten (AA 2.8.2024).
Dagestan
Gemäß der Verfassung Dagestans liegt das Rechtswesen der Republik Dagestan in den Händen von föderalen Gerichten sowie Gerichten der Republik Dagestan. Letztere sind der Verfassungsgerichtshof Dagestans und Friedensrichter. Die Mitglieder des Verfassungsgerichtshofes Dagestans werden von der Volksversammlung der Republik Dagestan auf Vorschlag des Republikoberhaupts ernannt. Friedensrichter werden von der Volksversammlung ernannt (Verfassung DAG 10.7.2003). In Dagestan hat sich, wie auch in Tschetschenien, der traditionelle Rechtspluralismus bis heute erhalten. Grund für die weitverbreitete Akzeptanz des Scharia-Rechts ist unter anderem das unzweckmäßige und korrupte staatliche Justizwesen, welches in hohem Maße durch Ämterkauf und Bestechung geprägt ist. Staatliche Rechtsschutzorgane und Scharia-Gerichte agieren nicht losgelöst voneinander, sondern die verschiedenen Rechtssphären nehmen aufeinander Bezug. Zu den Sitten und Gebräuchen des Adat, die befolgt werden, gehört auch die Blutrache. Zwar geht die Regionalregierung dagegen vor, doch sind nicht alle Clans bereit, auf die Blutrache zu verzichten (AA 2.8.2024).
Folter und unmenschliche Behandlung
Folter, Gewalt sowie unmenschliche bzw. grausame oder erniedrigende Behandlung und Strafen sind in Russland auf Basis der Verfassung verboten (Verfassung RUSS 6.10.2022). Die Konvention der Vereinten Nationen gegen Folter und andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Strafe wurde von Russland 1987 ratifiziert. Das Zusatzprotokoll hat Russland nicht unterzeichnet (OHCHR o.D.). Die Zufügung körperlicher oder seelischer Schmerzen durch systematische Gewaltanwendung wird gemäß dem Strafgesetzbuch mit Freiheitsbeschränkung von bis zu drei Jahren, Zwangsarbeit von bis zu drei Jahren oder Freiheitsentzug von bis zu drei Jahren bestraft. Wird dieselbe Tat beispielsweise von mehreren Personen oder mit besonderer Grausamkeit begangen, ist das Opfer eine minderjährige Person oder wird die Tat zum Beispiel aus politischen, ideologischen oder religiösen Motiven begangen, hat dies Freiheitsentzug von 3 - 7 Jahren zur Folge. Die Anwendung von Folter im Rahmen der Überschreitung von Amtsbefugnissen kann zu Freiheitsentzug von 4 - 15 Jahren führen (StGB RUSS 9.11.2024).
Trotz des gesetzlichen Rahmens werden immer wieder Vorwürfe über polizeiliche Gewalt bzw. Willkür gegenüber Verdächtigen laut (ÖB Moskau 1.7.2024). Folter und andere Misshandlungen in Gewahrsam sind nach wie vor weit verbreitet (AI 24.4.2024). Die dafür Verantwortlichen gehen straflos aus oder werden zu milden Strafen verurteilt (AI 24.4.2024; vgl. ÖB Moskau 1.7.2024). Foltervorwürfe werden nicht effektiv untersucht (UNHRCOM 1.12.2022). Gemäß Berichten kommt es vor, dass Journalisten und Aktivisten, welche über Folterfälle in Gefängnissen berichten, von Behörden strafrechtlich verfolgt werden (USDOS 22.4.2024). Der Umstand, dass russische Gerichte ihre Verurteilungen in Strafverfahren häufig nur auf Geständnisse der Beschuldigten stützen, scheint in vielen Fällen Grund für zum Teil schwere Misshandlungen im Rahmen von Ermittlungsverfahren oder in Untersuchungsgefängnissen zu sein (ÖB Moskau 1.7.2024). Gemäß zahlreichen Berichten erzwingen Strafverfolgungsbehörden und Sicherheitskräfte Geständnisse gewaltsam, durch Folter und Missbrauchshandlungen. Nur gelegentlich werden die Täter von den Behörden dafür zur Rechenschaft gezogen. Es kommt zu Todesfällen aufgrund von Folter (USDOS 22.4.2024). Das Problem der Folter und Erniedrigungen hat systemischen Charakter (Gulagu o.D.; vgl. UNGA 11.10.2024). Betroffene, welche vor Gericht Foltervorwürfe erheben, werden zunehmend unter Druck gesetzt, beispielsweise durch Verleumdungsvorwürfe. Die Dauer von Gerichtsverfahren zur Überprüfung von Foltervorwürfen ist kürzer geworden (früher fünf bis sechs Jahre), Qualität und Aufklärungsquote sind jedoch nach wie vor niedrig (AA 2.8.2024). Es existieren keine verlässlichen Statistiken zu Folter und Misshandlungen (UNHRCOM 1.12.2022).
Nordkaukasus/Tschetschenien
Im Nordkaukasus kommt es zu schwerwiegenden Menschenrechtsverletzungen, darunter Folter und Misshandlungen (UNHRCOM 1.12.2022). Gemäß weitverbreiteten Berichten begehen die Polizei und Sicherheitskräfte in nordkaukasischen Haftanstalten Missbrauchshandlungen und wenden Folter an (USDOS 22.4.2024). Um die Kontrolle über die Republik zu behalten, wendet das tschetschenische Regime unter dem Republiksoberhaupt Kadyrow unterschiedliche Formen von Gewalt an, wie beispielsweise Entführungen, Folter und außergerichtliche Tötungen (FH 2024). Die Bekämpfung von Extremisten geht mit Folter zur Erlangung von Geständnissen einher (AA 2.8.2024). In Tschetschenien herrscht Straflosigkeit (ÖB Moskau 1.7.2024).
Wehrdienst und Rekrutierungen
Überblick über die Armee
Die erstmalige militärische Registrierung von Staatsbürgern erfolgt zwischen Jänner und März desjenigen Jahres, in welches der 17. Geburtstag der jeweiligen Person fällt (VMR RUSS o.D.b; vgl. FGWW RUSS 2.10.2024). Von Registrierungsmaßnahmen in Kenntnis gesetzt werden die Betroffenen durch einen Einberufungsbefehl des Militärkommissariats. Ziele der militärischen Registrierung sind unter anderem die Feststellung der Tauglichkeit von Personen für den Militärdienst (Ausmusterung) sowie die Feststellung des Bildungsniveaus und vorhandener Spezialisierungen. Hierbei erfolgt eine medizinische und psychologische Untersuchung (VMR RUSS o.D.b). Gemäß dem föderalen Gesetz „Über die Wehrpflicht und den Wehrdienst“ unterliegen männliche russische Staatsbürger im Alter zwischen 18 und 30 Jahren der Einberufung zum Grundwehrdienst. Die Entscheidung, ob eine Person einberufen wird oder nicht, darf erst dann getroffen werden, wenn die betreffende Person mindestens 18 Jahre alt ist (FGWW RUSS 2.10.2024). Die Pflichtdienstzeit beträgt ein Jahr (ÖB Moskau 1.7.2024; vgl. FGWW RUSS 2.10.2024). Für gewöhnlich findet zweimal jährlich eine Stellung/Einberufung statt (FGWW RUSS 2.10.2024). Der Staatspräsident legt jährlich fest, wie viele der Stellungspflichtigen tatsächlich zum Wehrdienst eingezogen werden sollen. In der Regel liegt die Quote bei etwa einem Drittel der jährlich ins wehrdienstpflichtige Alter kommenden jungen Männer (ÖB Moskau 1.7.2024). Für Herbst 2022 wurden 120.000 Wehrpflichtige zum Militärdienst eingezogen (EPEMD11-12/22 RUSS 30.9.2022), für das Jahr 2023 insgesamt 277.000 (EPEMD4-7/23 RUSS 30.3.2023; vgl. EPEMD10-12/23 RUSS 29.9.2023) und für das Jahr 2024 283.000 Wehrpflichtige (EPEMD4-7/24 RUSS 31.3.2024; vgl. EPEMD10-12/24 RUSS 30.9.2024). Die Anzahl der aus Tschetschenien Einberufenen ist relativ gering, im Durchschnitt 500 Einberufene pro Einberufungsperiode (ÖB Moskau 21.2.2024). Die Tschetschenen werden über das ganze Land verteilt und verschiedenen Militäreinheiten zugewiesen (VQ RUSS1 4.12.2023).
Es existieren folgende Tauglichkeitskategorien (FGWW RUSS 2.10.2024):
A [A]: tauglich
Б [B]: tauglich mit geringfügigen Einschränkungen
В [W]: eingeschränkt tauglich
Г [G]: vorübergehend untauglich
Д [D]: untauglich
Verstöße gegen Militärregistrierungspflichten (darunter das Ignorieren eines Ladungstermins beim Militärkommissariat sowie Nichtbekanntmachung eines neuen Wohnorts) stellen Verwaltungsübertretungen dar und ziehen Geldstrafen nach sich (VStGB RUSS 12.11.2024). Gemäß dem föderalen Gesetz zur Aus- und Einreise dürfen zum Wehrdienst einberufene Staatsbürger das Land bis zur Beendigung des Wehrdiensts nicht verlassen (FGAE RUSS 8.8.2024). Darüber wird der Grenzschutz des Inlandsgeheimdienstes FSB (Föderaler Sicherheitsdienst) direkt informiert (BAMF 31.7.2023). Nach Ableistung des Grundwehrdiensts werden die Wehrpflichtigen als Reservisten registriert (EUAA 16.12.2022a; vgl. BBC 21.9.2022) und dürfen somit mobilisiert werden (MBZ 31.3.2023; vgl. FGMB RUSS 23.3.2024). Die Ableistung des Grundwehrdienstes ist Voraussetzung für bestimmte (vor allem staatliche) berufliche Laufbahnen (ÖB Moskau 1.7.2024; vgl. VMR RUSS o.D.c).
Gemäß den gesetzlichen Vorgaben sind unter anderem Personen vom Wehrdienst befreit, welche wegen ihres Gesundheitszustands untauglich oder eingeschränkt tauglich sind; Söhne oder Brüder von Personen, welche infolge der Ausübung ihrer militärischen Dienstpflichten verstarben; sowie Personen, die einer Straftat verdächtigt werden. Folgende Staatsbürger dürfen den Wehrdienst aufschieben: wer aus gesundheitlichen Gründen als vorübergehend untauglich eingestuft wurde (Aufschub bis zu einem Jahr); pflegende Angehörige; Alleinerziehende; Familien mit mehreren Kindern; Parlamentsabgeordnete; Studierende usw. (FGWW RUSS 2.10.2024). Viele junge Männer, insbesondere wohlhabenderen Gesellschaftsschichten entstammend, sowie Bewohner von Großstädten versuchen, dem Wehrdienst zu entgehen (EUAA 16.12.2022a).
Die russische Armee bietet die Möglichkeit eines Freiwilligendiensts auf Vertragsbasis (ÖB Moskau 1.7.2024). Seit mehreren Jahren sind Bemühungen im Gang, die Armee in Richtung eines Berufsheeres umzugestalten (ISW 5.3.2022; vgl. SWP/Klein/Schreiber 7.12.2022, GS o.D.).
Frauen sind nicht militärdienstpflichtig (Connection 8.10.2023), doch weiblichen Staatsbürgern steht ein freiwilliger Armeedienst auf Vertragsbasis offen (ÖB Moskau 1.7.2024). Frauen mit bestimmten beruflichen Spezialisierungen gehören [automatisch; Anm. der Staatendokumentation] der Reserve an (FGWW RUSS 2.10.2024). Arbeiten sie in kriegswichtigen Berufen, wie beispielsweise im medizinischen Bereich, können sie für einen Kriegseinsatz herangezogen werden (Connection 8.10.2023). [Eine Auflistung der in Bezug auf Frauen militärisch relevanten beruflichen Spezialisierungen findet sich in einem Regierungsbeschluss auf folgender Webseite: https://www.consultant.ru/document/cons_doc_LAW_64215/; Anm. der Staatendokumentation.]
Gemäß dem föderalen Gesetz „Über die Wehrpflicht und den Wehrdienst“ werden Einberufungsbefehle in schriftlicher Form und zusätzlich elektronisch übermittelt (FGWW RUSS 2.10.2024). Die elektronische Zustellung erfolgt über das Online-Portal Gosuslugi (VB Moskau 15.9.2023), was eine Registrierung auf https://www.gosuslugi.ru/ erfordert (Gosuslugi o.D.a). Die Registrierung geschieht auf freiwilliger Basis (objasnjaem 3.9.2023). Die Registrierung auf der Webseite gosuslugi.ru aus dem Ausland heraus ist derzeit offenbar auf zwei Arten möglich: (a) Onlinebanking mittels Bankkonto in Russland sowie (b) Registrierung durch eine russische Telefonnummer. Für eine Registrierung durch Onlinebanking muss bereits ein Bankkonto (einschließlich Onlinebanking) in der Russischen Föderation vorhanden sein. Potenzielle weitere Schritte der Registrierung konnten nicht erhoben werden. Eine Registrierung scheint nur mit staatsnahen Banken möglich zu sein. Die Registrierung durch eine russische Telefonnummer erfordert offenbar die Eingabe des Namens, eine russische Telefonnummer und E-Mail-Adresse. Der Zugriff auf ein schon bestehendes gosuslugi.ru-Konto (unter Verwendung eines russischen VPNs) ist möglich (VB Moskau 10.2.2025). Die Einberufungsbefehle werden vom Militärkommissariat per eingeschriebenem Brief verschickt. Möglich ist auch die persönliche Aushändigung des Einberufungsbefehls durch Mitarbeiter des Militärkommissariats oder durch andere für Militärregistertätigkeiten verantwortliche Personen (FGWW RUSS 2.10.2024). Eine (Ersatz-)Zustellung der Einberufung an Verwandte, im gleichen Haushalt lebende Personen oder Nachbarn wäre rechtswidrig (ÖB Moskau 13.11.2024). Ist die Zustellung eines Einberufungsbefehls nicht möglich, gilt der Einberufungsbefehl spätestens sieben Tage nach dessen Eintragung ins Einberufungsbefehlsregister als zugestellt (FGWW RUSS 2.10.2024). Diese Regelung ist seit 2023 in Kraft (FGWW RUSS 2.10.2024; vgl. ÖB Moskau 13.11.2024). Verweigert ein Bürger den Erhalt des per Post zugestellten oder persönlich ausgehändigten Einberufungsbefehls des Militärkommissariats, gilt der Einberufungsbefehl am Tag der Verweigerung als zugestellt (FGWW RUSS 2.10.2024). Das Einberufungsbefehlsregister (edinyj reestr powestok) ist laut Gesetz öffentlich zugänglich (Webseite: https://реестрповесток.рф). Dennoch ist laut Informationen der Webseite zum Einsehen der Einberufungsbefehle eine Kontoregistrierung im „Staatlichen Einheitlichen System der Identifizierungen und Autorisierungen“ erforderlich (ÖB Moskau 13.11.2024) [zum System der Identifizierungen und Autorisierungen siehe Webseite https://esia-gosuslugiru.ru/; Anm. der Staatendokumentation]. Die Regelung der elektronischen Zustellung von Einberufungsbefehlen eröffnet die Möglichkeit einer wirksamen Zustellung von Einberufungsbefehlen auch an im Ausland lebende russische Staatsangehörige (ÖB Moskau 13.11.2024).
Vom Einberufungsbefehlsregister ist das sogenannte einheitliche Wehrdienstregister (edinyj reestr woinskogo utscheta) zu unterscheiden. Dieses stellt ein geschlossenes Portal mit mehreren personenbezogenen Daten Wehrpflichtiger dar, auf welches nur gewisse Behörden Zugriff haben sollen (Verteidigungsministerium, FSB usw.). Einige russische Vertreter haben darauf hingewiesen, dass das vollwertige Funktionieren der beiden Register (Einberufungsbefehlsregister, Wehrdienstregister) ab 1. Jänner 2025 zu erwarten ist (ÖB Moskau 13.11.2024).
Im Militärregister aufscheinende Staatsbürger erhalten eine Bescheinigung, auch in elektronischer Form (ein provisorisches Militärbuch) (FGWW RUSS 2.10.2024). Prinzipiell erhalten alle Personen, welche den Wehrdienst abgeleistet haben, ein Militärbuch (ÖB Moskau 21.2.2024). Die Ausstellung eines Militärbuchs (woennyj bilet) erfolgt per Antrag. Das Militärbuch erhält man beim örtlichen Militärkommissariat (Armyhelp 24.3.2023). Es wird nicht zugestellt, sondern muss abgeholt werden. Meist werden Militärbücher zur Vorlage an einen Arbeitgeber benötigt (VB Moskau 15.9.2023). Hat eine Person den Militärdienst ohne gesetzlichen Grund nicht abgeleistet und wurde dies durch ein Gutachten der Einberufungskommission festgestellt, so erhält sie kein Militärbuch, sondern nur eine Bescheinigung (ÖB Moskau 27.8.2024).
Im Militärbereich ist Korruption weitverbreitet (USDOS 22.4.2024; vgl. SWP/Klein/Schreiber 7.12.2022, MoD@DefenceHQ 2.2.2024). Es wird über mehrere Fälle russischer Soldaten berichtet, welche ihre Kommandanten bestochen haben, um nicht in den Ukraine-Krieg ziehen zu müssen (WG 30.10.2023). In den russischen Militäreinheiten, welche in der Ukraine kämpfen, ist Bestechung weitverbreitet. Für Soldaten besteht die Möglichkeit, Verwundungen, Urlaub, Rotationen und die Nichtteilnahme an Angriffen zu „kaufen“ (NGE 28.11.2023). 2015 wurden die Aufgaben der Militärpolizei erheblich erweitert. Seitdem zählt hierzu ausdrücklich die Bekämpfung der Misshandlungen von Soldaten durch Vorgesetzte aller Dienstgrade sowie von Diebstählen innerhalb der Streitkräfte. Ein Problem ist hier die sogenannte Dedowschtschina („Herrschaft der Großväter“). Hierbei handelt es sich um ein System der Erniedrigung, Vergewaltigungen, der groben körperlichen Gewalt und Einschüchterungen von Rekruten durch dienstältere Mannschaften (AA 2.8.2024). NGOs gehen von Hunderten Gewaltverbrechen pro Jahr im Heer aus. Laut Menschenrechtsvertretern existiert Gewalt in den Kasernen zumindest in bestimmten Militäreinheiten als System und wird von den Befehlshabenden unterstützt bzw. geduldet (ÖB Moskau 1.7.2024). Die Diskreditierung der Armee kann gemäß dem Strafgesetzbuch unter anderem zu Geldstrafen, Zwangsarbeit oder Freiheitsentzug von bis zu sieben Jahren führen (StGB RUSS 9.11.2024). Für Strafverfahren gegen Militärangehörige sind Militärgerichte zuständig, welche in die zivile Gerichtsbarkeit eingegliedert sind. Freiheitsstrafen wegen Wehrstraftaten sind ebenso wie andere (zivile) Freiheitsstrafen in Haftanstalten oder Arbeitskolonien zu verbüßen. Militärangehörige können jedoch bis zu zwei Jahre in Strafbataillone, die in der Regel zu Schwerstarbeit eingesetzt werden, abkommandiert werden (AA 2.8.2024).
Laut der Verfassung ist der Präsident der Russischen Föderation Oberbefehlshaber der Streitkräfte (Verfassung RUSS 6.10.2022). Gemäß einem präsidentiellen Erlass vom 16.9.2024 wurde die russische Armee auf einen Personalstand von 2.389.130 Bediensteten aufgestockt, davon 1.500.000 bewaffnete Kräfte (EPPS RUSS24 16.9.2024). Die genauen Zahlen über die Stärke und Neuaufstellungen der russischen Armee sind schwer zugänglich (BAMF 7.8.2023). Im Jahr 2023 betrugen die Militärausgaben 5,9 % des Bruttoinlandsprodukts (SIPRI o.D.). Die Militarisierung der Gesellschaft schreitet schnell voran (ÖMZ/Goiser/Riemer 1.2024).
Mobilisierung
Teilmobilisierung
Am 21.9.2022 verkündete ein Erlass des Präsidenten Putin eine Teilmobilmachung in der Russischen Föderation. Mobilisierte genießen denselben Status wie Vertragssoldaten der Streitkräfte und sind auch hinsichtlich der Entlohnung gleichgestellt. Verträge der Vertragssoldaten behalten bis zum Abschluss der Teilmobilmachung ihre Gültigkeit. Während des Zeitraums der Teilmobilmachung dürfen gemäß dem präsidentiellen Erlass vom 21.9.2022 die Dienstverhältnisse des militärischen Vertragspersonals sowie mobilisierter Personen nur aus folgenden Gründen aufgelöst werden (EPVT RUSS 21.9.2022):
aus Altersgründen - nach Erreichen der Altersgrenze
aus gesundheitlichen Gründen
im Falle des Vorliegens eines rechtskräftigen Gerichtsurteils über Verhängung einer Freiheitsstrafe (EPVT RUSS 21.9.2022)
Punkt 7 des präsidentiellen Erlasses vom 21.9.2022 enthält ausschließlich den Hinweis „für den Dienstgebrauch“ (EPVT RUSS 21.9.2022). [Der Inhalt des Punkts 7 ist für die Öffentlichkeit nicht zugänglich. Der für die Öffentlichkeit zugängliche Teil des Erlasses enthält keinerlei Informationen über die Anzahl der zu mobilisierenden Personen, keine Altersgrenzen und auch keine präzise Definition der zu Mobilisierenden; Anm. der Staatendokumentation.] Im Rahmen eines Fernsehinterviews konkretisierte am 21.9.2022 der [damalige; Anm. der Staatendokumentation] Verteidigungsminister Sergej Schojgu, dass die Teilmobilmachung auf eine Einberufung von 300.000 Reservisten abzielt (RG 21.9.2022). Die zu Mobilisierenden sollten nach Angaben von Präsident Putin in den russischen Streitkräften gedient und bestimmte militärische Spezialisierungen erworben haben (RBK 28.9.2022; vgl. EUAA 16.12.2022a).
Der Reserve angehörende Personen werden im Allgemeinen in drei Kategorien unterteilt, für welche jeweils unterschiedliche Altersgrenzen gelten (FGWW RUSS 2.10.2024) [zu den Reservisten-Kategorien sowie der gesetzlichen Definition für den Reservistenbegriff siehe AnhangAnhang / Reservisten: Definition / Kategorisierung / Altersgrenzen]. Im Falle einer Mobilisierung werden zuerst die Reservisten der Kategorie 1 einberufen (RIA Nowosti 19.10.2022). Die ab September 2022 in Russland durchgeführte Teilmobilisierung betraf in erster Linie Reservisten der Kategorie 1 (TASS 21.9.2022). Gemäß der unabhängigen russischen Zeitung Nowaja gaseta, welche sich auf eine Quelle innerhalb der Präsidialverwaltung beruft, erlaubt der geheim gehaltene Punkt 7 des Erlasses vom 21.9.2022 dem Verteidigungsministerium eine Mobilisierung von bis zu einer Million Personen (NGE 22.9.2022). Den Subjekten (Regionen) der Russischen Föderation wird vom Erlass die Einberufung der zu Mobilisierenden auferlegt (EPVT RUSS 21.9.2022).
Punkt 9 des präsidentiellen Erlasses vom 21.9.2022 gewährt Staatsbürgern, die im Rüstungsindustriesektor beruflich tätig sind, das Recht auf einen Mobilisierungsaufschub (EPVT RUSS 21.9.2022). Das föderale Mobilisierungsgesetz gewährt unter anderem folgenden Bürgern ein Recht auf einen Mobilisierungsaufschub: Bürgern, deren Gesundheitszustand vorübergehend eine Mobilisierung nicht gestattet (Aufschub für eine Dauer von bis zu sechs Monaten); pflegenden Angehörigen; kinderreichen Familien und Alleinerziehenden; Kindern alleinerziehender, kinderreicher Mütter; Senatoren der Russischen Föderation und Duma-Abgeordneten; sowie Mitgliedern von Freiwilligenformationen. Weiteren Personen oder Personengruppen kann durch präsidentielle Erlässe ein Mobilisierungsaufschub gewährt werden (FGMB RUSS 23.3.2024). Der Herausgabe des präsidentiellen Erlasses zur Einleitung der Teilmobilisierung folgten diverse Erlässe und offizielle Verlautbarungen, welche die von der Mobilisierung ausgenommenen Personengruppen definierten (MBZ 31.3.2023). Ein Mobilisierungsaufschub wurde durch präsidentiellen Erlass Studierenden gewährt (EPGM RUSS 5.10.2022). Ausgeschlossen von der Mobilmachung wurden außerdem Mitarbeiter im Finanz- und Telekommunikationssektor, IT-Bereich sowie Mitarbeiter von Massenmedien (Garant 23.9.2022). Die von der Mobilisierung ausgenommenen Personengruppen waren örtlichen Rekrutierungsstellen nicht immer bekannt, oder aber sie standen in einem Widerspruch zur Gesetzgebung (MBZ 31.3.2023). Mehrmals wurden die Bedingungen für Mobilisierungsfreistellungen und -aufschübe geändert. Dies führte dazu, dass Rekrutierungsstellen landesweit uneinheitliche Mobilisierungskriterien anwandten (EUAA 16.12.2022a). Gemäß weitverbreiteten Berichten wurden Einberufungsbefehle durch die Behörden willkürlich zugestellt (Landinfo 10.8.2023). Es erfolgten Einberufungen von Personen, welche eigentlich von der Mobilmachung ausgenommen waren, darunter Schwerkranke (Kommersant 26.9.2022; vgl. UN News 27.9.2022a). Söhne der russischen Elite zahlten Berichten zufolge hohe Bestechungssummen, um nicht an die Front geschickt zu werden (Standard 28.9.2022). Der Kreml räumte Fehler bei der Umsetzung der Teilmobilmachung ein (Kommersant 26.9.2022).
Nur wenige Frauen werden auf russischer Seite im Ukraine-Krieg als Frontkämpfer eingesetzt (MoD@DefenceHQ 30.10.2023). Frauen befinden sich hauptsächlich als Ärztinnen und Köchinnen im Kriegseinsatz (WG 23.10.2023).
Mit 28.10.2022 erklärte der Verteidigungsminister die Teilmobilmachung für beendet (TASS 28.10.2022). Am 31.10.2022 bestätigte Putin mündlich das Ende der Teilmobilmachung (Kreml 31.10.2022). Jedoch ist gemäß einer schriftlichen Mitteilung der russischen Präsidialverwaltung vom 30.12.2022 der präsidentielle Erlass zur Einleitung der Teilmobilmachung (21.9.2022) nach wie vor in Kraft (Jabloko 17.1.2023). Auch Dmitrij Peskow, der Kreml-Pressesprecher, bestätigte dies (ISW 20.1.2023). [Der präsidentielle Erlass vom 21.9.2022 enthält keinerlei Hinweise auf das zeitliche Ende der Teilmobilmachung. Bis zum heutigen Tag veröffentlichte die russische Regierung keinen Erlass zur Beendigung der Teilmobilisierung; Anm. der Staatendokumentation.]
Die Mobilmachung führte in Russland zu Protesten, Festnahmen (UN News 27.9.2022a) sowie zu einer Ausreisebewegung. Im Zuge der Teilmobilmachung verließen mindestens 700.000 Bewohner Russlands ihr Land (ISW 23.12.2023). Manche Personen, die während der Mobilisierung die Flucht versuchten, trafen an der Grenze auf Sicherheitspersonal, welches ihnen Einberufungsbefehle aushändigte (FH 2023). Gemäß den gesetzlichen Vorgaben dürfen im Militärregister aufscheinende Bürger ab Verkündung einer Mobilmachung ihren Wohnort nur mit behördlicher Erlaubnis verlassen (FGMB RUSS 23.3.2024).
Bei Gerichten eingebrachte Beschwerden gegen Mobilisierungsentscheidungen entfalten keine aufschiebende Wirkung (EUAA 16.12.2022a).
Verdeckte Mobilisierung
Wegen der Unpopularität der Teilmobilmachung und der folgenden Massenemigration sind die russischen Behörden von einer Teilmobilmachung (ISW 23.12.2023) zu einer bis heute andauernden sogenannten verdeckten Mobilisierung übergegangen (ISW 23.12.2023; vgl. ISW 23.11.2024). Unter den Begriff der verdeckten Mobilisierung fallen die Rekrutierung Freiwilliger sowie Zwangseinberufungen von Migranten und kürzlich eingebürgerter russischer Staatsbürger (ISW 23.12.2023). Die Rekrutierung Freiwilliger erfolgt nicht selten durch die Ausnutzung von Machtgefällen, durch Täuschung und Zwang (SWP/Klein 7.6.2024). Lokale Behörden führen umfassende Kampagnen, um für den Vertragsdienst in der Armee zu werben. Beispielsweise wenden sich Rekrutierungsstellen direkt telefonisch an die Zielgruppen. Zudem finden sich Plakate in verschiedenen Städten, Werbung auf Social-Media-Plattformen usw. (EUAA 3.10.2023). In Bezug auf Rekrutierungsbüros in Moskau können Zwangsmaßnahmen nicht bestätigt werden und werden dem Vernehmen nach nicht durchgeführt. Es sind keinerlei Berichte bzw. Behauptungen evident, dass Personen zu einer Unterschrift gezwungen werden (ÖB Moskau 11.2.2025). Es werden verschiedene Anreize geschaffen, um Freiwillige als Kämpfer für den Ukraine-Krieg zu gewinnen (RIA Nowosti 20.11.2023). Mit dem Ziel der Planerfüllung konkurrieren Regionen miteinander und werben Vertragssoldaten mit attraktiven finanziellen Angeboten an (NGE 3.8.2023). Seit Beginn des Ukraine-Kriegs wurde der Militärdienst im Rahmen der russischen Streitkräfte immer lukrativer (MoD@DefenceHQ 29.8.2023). Gemäß einem behördeninternen Dokument sind Regionalbehörden angehalten, unter anderem folgende Personen als Vertragssoldaten für den Ukraine-Krieg zu gewinnen: Migranten, zahlungsunfähige Personen, Erwerbslose und andere vulnerable Bevölkerungsschichten (WG 2.11.2023).
Bewohner besetzter ukrainischer Gebiete sind Zwangsrekrutierungen durch die russische Besatzungsmacht ausgesetzt (ISW 6.11.2023). Russland ruft Bürger benachbarter Staaten dazu auf, sich den Kämpfen in der Ukraine anzuschließen (MoD@DefenceHQ 3.9.2023). In der Ukraine kämpfen auf russischer Seite Staatsangehörige verschiedener Länder, darunter von russischen Behörden angeworbene serbische Staatsbürger (ISW 12.1.2024), Kubaner (ISW 30.9.2023) und syrische Staatsbürger (USDOS 24.6.2024). Nordkoreanische Truppen nehmen gemeinsam mit den russischen Streitkräften an Kämpfen in der russischen Region Kursk teil (ISW 13.11.2024).
NGOs bieten juristische Beratung für Soldaten an (ÖB Moskau 1.7.2024; vgl. KK 12.10.2022).
Situation von Grundwehrdienern (Rekruten)
Rechtliche Ausgangssituation
Gemäß einem präsidentiellen Erlass müssen Wehrpflichtige einen mindestens viermonatigen Militärdienst und eine militärische Ausbildung absolviert haben, um zu Kampfeinsätzen entsandt werden zu können (EPMD RUSS 10.10.2024). Wird jedoch das Kriegsrecht ausgerufen, dürfen Wehrpflichtige bereits früher und nicht erst nach vier Monaten herangezogen werden (ISW 30.10.2022). Gemäß dem föderalen Gesetz „Über die Wehrpflicht und den Wehrdienst“ dürfen Militärbedienstete ab Ableistung des Militäreids, welche spätestens zwei Monate nach Beginn der militärischen Ausbildung erfolgt, an Kampfhandlungen teilnehmen (FGWW RUSS 2.10.2024). Laut dem föderalen Aus- und Einreisegesetz kann das Ausreiserecht russischer Staatsbürger, die zum Wehrdienst einberufen wurden, vorübergehend eingeschränkt werden. Diese Beschränkung gilt bis zur Beendigung des Wehrdiensts. Die betreffende Person hat für den Zeitraum der Ausreisebeschränkung ihren Reisepass bei der Behörde, die den Reisepass ausgestellt hat, abzugeben bzw. in Verwahrung zu geben (FGAE RUSS 8.8.2024). Ein Reisepass, der ohne stichhaltige Gründe innerhalb der vorgegebenen Frist nicht in Verwahrung gegeben wird, verliert seine Gültigkeit und kann an der Grenze beschlagnahmt werden (RS 11.12.2023). Gemäß den gesetzlichen Vorgaben dürfen russische Staatsbürger und auch Bürger anderer Staaten ab einem Alter von 18 Jahren einen Vertrag mit dem Militär abschließen (FGWW RUSS 2.10.2024).
Situation von Grundwehrdienern in der Praxis
Aktuell gibt es keine Hinweise auf eine Teilnahme russischer Grundwehrdiener an Kampfhandlungen in der Ukraine (ISW 29.12.2023; vgl. ÖB Moskau 21.2.2024, VQ RUSS1 4.12.2023). Angesichts der hohen Verluste unter den Rekruten in vorangegangenen Kriegen und der traditionell einflussreichen Stellung der Soldatenmütter in der russischen Gesellschaft gilt das Thema innenpolitisch als für die politische Führung ungewöhnlich heikel (BAMF 26.8.2024). Grundwehrdiener werden auf der von Russland besetzten ukrainischen Halbinsel Krim (EUAA 16.12.2022a) sowie für Grenzsicherungszwecke entlang der russisch-ukrainischen Grenze eingesetzt (BBC 5.8.2023; vgl. ISW 8.12.2023, EUAA 16.12.2022a, VQ RUSS1 4.12.2023). Im August 2024 wurden Grundwehrdiener in der russischen Region Kursk [grenzt an die Ukraine; Anm. der Staatendokumentation] im Kampfgebiet stationiert (MoD@DefenceHQ 27.9.2024), nachdem dort die ukrainische Armee eine Offensive begonnen hatte (BAMF 26.8.2024). Von einer weiterhin stattfindenden Entsendung von Grundwehrdienern in an die Ukraine angrenzende Regionen kann ausgegangen werden (ÖB Moskau 13.11.2024). Gemäß einem Nachrichtenartikel vom Oktober 2024, welcher einen Militärexperten zitiert, befinden sich in den an die Ukraine angrenzenden Regionen „nicht viele“ Grundwehrdiener (News.ru 1.10.2024). Ein Nachrichtenartikel berichtet im November 2024, dass mindestens 13 russische Grundwehrdiener in der Region Kursk seit Beginn der dortigen ukrainischen Offensive getötet wurden (KR 14.11.2024b). Wer in Kursk welche militärischen Tätigkeiten durchführt bzw. was genau Grundwehrdiener dort leisten, ist nicht feststellbar (ÖB Moskau 11.2.2025).
Auf Grundwehrdiener wird Druck ausgeübt, einen Vertrag mit dem Militär zu unterzeichnen (WG 29.11.2023). Immer wieder wird versucht, Grundwehrdiener von der Unterzeichnung eines Vertrags mit dem Militär zu überzeugen, um sie in den Krieg zu entsenden. Denjenigen Grundwehrdienern, welche eine Vertragsunterzeichnung verweigern, droht man mit einer Einberufung im Zuge einer Mobilisierung und mit Gerichtsverfahren (Holod 27.7.2023). Auch mittels Täuschung und Gewalt werden Grundwehrdiener oft zur Unterzeichnung eines Vertrags mit dem Militär gebracht. Darüber hinaus wird über Vertragsfälschungen berichtet (EUAA 21.11.2024).
NGOs bieten juristische Beratung für Grundwehrdiener an (ÖB Moskau 1.7.2024; vgl. KK 12.10.2022).
Situation in Tschetschenien
Tschetschenische Gruppierungen kämpfen in der Ukraine seit Kriegsbeginn (EUAA 16.12.2022a). Die von Putin am 21.9.2022 verkündete Teilmobilmachung (EPVT RUSS 21.9.2022) wurde in Tschetschenien nicht umgesetzt. Ramsan Kadyrow, das Oberhaupt der Republik Tschetschenien, begründete dies damit, dass Tschetschenien bereits überproportional viele Kämpfer in die Ukraine entsandt und somit die Quote übererfüllt hatte (KK 23.9.2022). Nach Verkündung der Teilmobilmachung durch Putin wandte sich Kadyrow an Kampfunwillige und nannte diese Feiglinge, Verräter und Menschen zweiter Klasse (KK 11.10.2023). Im Herbst 2022 befahl Kadyrow, Einberufungsbefehle an diejenigen Bevölkerungsteile zu versenden, welche sich der Einberufung zu entziehen versuchen (KR 11.10.2023). Die Bevölkerung Tschetscheniens unterstützt den Krieg größtenteils nicht (SOS-NK 8.6.2023). Gemäß einer aktuellen Umfrage wird der Ukraine-Krieg von 39 % der befragten Tschetschenen unterstützt. 71 % unterstützen einen Abzug der Truppen aus der Ukraine sowie Friedensverhandlungen (Holod 1.10.2024).
Rekrutierungsmethoden und Zielgruppen der Rekrutierung
In Tschetschenien finden Rekrutierungen von Kämpfern in einer allgemeinen Atmosphäre des Zwanges und unter Verletzung von Menschenrechtsstandards statt. In vielen Fällen erfolgen Zwangsrekrutierungen (EUAA 16.12.2022a; vgl. KR 8.6.2023). Auf Einzelpersonen in Tschetschenien wird Druck ausgeübt (ÖB Moskau 25.1.2023). Republiksoberhaupt Kadyrow betreibt in Bezug auf den Ukraine-Krieg eine intensive mediale Propaganda (VQ RUSS2 23.1.2024). Oft ruft er die Bewohner Tschetscheniens zur Teilnahme am Ukraine-Krieg auf (KK 14.12.2023). Kadyrow drohte Kampfunwilligen mit der „Hölle“ (KK 17.7.2022) und ordnete die Streichung von Sozialleistungen für Familien von Kriegsdienstverweigerern an (KK 25.8.2022).
Beamten, Imamen und Kommandanten in Tschetschenien sind Rekrutierungsquoten für den Ukraine-Krieg auferlegt. Um diese normativen Vorgaben erfüllen zu können, werden Tschetschenen in Geheimgefängnissen rechtswidrig festgehalten. So sie einen Kriegseinsatz ablehnen, werden Repressalien gegen ihre Verwandten angedroht (KR 7.8.2023). Häufig werden Einwohner Tschetscheniens von Behördenmitarbeitern (Silowiki) entführt, um ihre Kriegsteilnahme zu erzwingen (KR 7.8.2023; vgl. EUAA 17.2.2023). Einige der Entführten werden vor die Wahl gestellt, entweder in den Krieg zu ziehen (KR 7.8.2023; vgl. AI 28.3.2023, EUAA 17.2.2023) oder Lösegeld zu bezahlen (EUAA 17.2.2023), Folter über sich ergehen zu lassen und wegen fingierter Straftaten gerichtlich verurteilt zu werden (KR 7.8.2023; vgl. AI 28.3.2023, EUAA 17.2.2023). Gedroht wird außerdem mit der Entführung von Familienmitgliedern sowie der Demütigung weiblicher Verwandter. Die Entführten sind meistens junge Männer, welche bereits zuvor im Visier der Behörden waren (EUAA 17.2.2023).
Die meisten tschetschenischen Kriegsteilnehmer entstammen dem ländlichen Raum und leben mit ihren Familien in bescheidenen Verhältnissen. Die versprochenen hohen Geldsummen verleiten sie zu einem Kriegseinsatz. Weiters nehmen am Ukraine-Krieg tschetschenische Berufs- bzw. Vertragssoldaten teil. Diesen machte Kadyrow ein schlechtes Gewissen und erklärte ihnen, es sei nun an der Zeit, ihren in Friedenszeiten empfangenen „hohen“ Sold abzuarbeiten. Außerdem nehmen (noch nicht gerichtlich verurteilte) Gesetzesbrecher am Krieg teil, welchen man einen Kriegseinsatz als „Freiwillige“ nahelegt. Besonders betroffen davon sind Personen, welche sich des Drogenmissbrauchs und Alkoholismus schuldig gemacht haben, sowie Diebe (VQ RUSS2 23.1.2024). Ebenfalls unter den unfreiwillig Rekrutierten befinden sich Strafgefangene (EUAA 16.12.2022a). Gemäß Berichten kommt es im Zuge von Verkehrskontrollen und Streitigkeiten zwischen Verkehrspolizisten und Autofahrern zur Aushändigung von Einberufungsbefehlen (KK 24.11.2023). Tschetschenen, welchen eine homosexuelle Orientierung unterstellt wird, sind ebenfalls Zielgruppe von Kriegsentsendungen. Gleich ergeht es Personen, die spezielle politische Ansichten vertreten (VQ RUSS2 23.1.2024). Rekrutiert werden hauptsächlich Menschen, welche ihre Unzufriedenheit mit der tschetschenischen Führung oder dem Ukraine-Krieg ausdrückten, und auch Personen, die auf irgendeine Art und Weise in Ungnade gefallen sind (DIS 9.12.2022). In der Praxis kommt es zur Kriegsentsendung von Familienangehörigen illoyaler Tschetschenen (KR 9.8.2023). In Tschetschenien ist die Praxis der kollektiven Verantwortung weitverbreitet (KR 2.3.2023). Es wird über tschetschenische Frauen berichtet, welche als medizinisches Personal in die Ukraine entsandt werden (OFPRA 25.8.2023). Die Zwangsrekrutierungsmaßnahmen der tschetschenischen Behörden sind von einem hohen Grad an Unberechenbarkeit sowie Willkür gekennzeichnet und stellen ein Bestrafungsinstrument dar. Das Ausmaß der Zwangsrekrutierung ist schwer einzuschätzen. Fälle von Zwangsrekrutierungen von Tschetschenen außerhalb Tschetscheniens in der Russischen Föderation sind nicht bekannt, mit Ausnahme von Tschetschenen, die in Dagestan leben (DIS/Migrationsverket 4.2024).
Tschetschenische Kampfeinheiten in der Ukraine
Seit Beginn des Ukraine-Kriegs wurden in Tschetschenien mehrere Bataillone und Regimenter auf Linie des russischen Verteidigungsministeriums gebildet. Zusätzlich entstanden gemäß Kadyrow mehrere der Nationalgarde untergeordnete Einheiten (KK 18.9.2023). Im November 2022 forderte Kadyrow die tschetschenischen Sufismus-Vertreter auf, Kampfeinheiten nach dem Prinzip der Zugehörigkeit zu religiösen Bruderschaften zu bilden (KK 18.11.2022). Die sogenannten Kadyrowzy nahmen seit 2014 an Kampfhandlungen im ukrainischen Donbas-Gebiet teil (KK 16.5.2023b) [zum Begriff Kadyrowzy siehe Kapitel Sicherheitsbehörden]. Die Objektivität und Richtigkeit der von der tschetschenischen Führung angegebenen Zahlen tschetschenischer Kämpfer in der Ukraine werden von Experten angezweifelt (KR 4.8.2023).
Kadyrow hat sich sehr darum bemüht, die Tschetschenen nicht zum Kanonenfutter werden zu lassen, und hat für seine Kämpfer ein relativ sicheres Umfeld inmitten der Kriegshandlungen geschaffen (Nowaja gaseta/Milaschina 29.9.2022; vgl. VQ RUSS2 23.1.2024). Im Jahr 2023 gelang es Kadyrow nicht mehr, seine Kämpfer von der Front fernzuhalten. Dies vor dem Hintergrund, dass die frühere Wagner-Gruppe bzw. deren mittlerweile verstorbener Anführer Ewgenij Prigoschin damals den Wunsch äußerte, sich von der Front zurückzuziehen. Immer wieder nun ist Kadyrow gezwungen, der Verwendung seiner Truppen für Kampfhandlungen an der Frontlinie zuzustimmen. Verluste unter den in der Ukraine kämpfenden Tschetschenen stellen eine potenzielle Bedrohung der Stabilität des von Kadyrow in Tschetschenien etablierten Regimes dar (VQ RUSS2 23.1.2024). Kadyrow verschweigt die Anzahl der in der Ukraine gefallenen Tschetschenen (KR 18.2.2023).
Militärische Organisation (Ausbildung, Sold)
Eines der Ausbildungszentren für Ukraine-Kämpfer ist die sogenannte Russische Universität für Spezialkräfte (Rossijskij uniwersitet speznasa) in der tschetschenischen Stadt Gudermes (KK 1.7.2023), welche nach Kriegsbeginn zum größten Ausbildungszentrum für Söldner aus dem ganzen Land wurde (KR 29.6.2023). Die Zulassung zu dieser Ausbildungsstätte gestaltet sich zu Kriegszeiten nicht schwierig (WG 29.6.2023). Es ist ausreichend, sich beim Bürgermeisteramt in Grosnyj mit folgenden Worten zu melden: „Ich bin ein Freiwilliger.“ (KK 1.7.2023). Die Ausbildung ist kostenlos (KR 15.10.2023) und nicht anspruchsvoll (WG 29.6.2023). Nach einer Ausbildungsdauer von in etwa zehn Tagen werden die als Freiwillige bezeichneten Kämpfer in die Ukraine entsandt (KK 1.7.2023). Die regionale Einmalzahlung, welche in Tschetschenien Ukraine-Kriegsteilnehmern zuteilwird, beträgt RUB 400.000 [ca. EUR 3.859] (TH 23.9.2024). In Tschetschenien werden Kämpfern eine Versicherung sowie drei Millionen Rubel [ca. EUR 28.945] im Falle einer Kriegsverwundung versprochen (KR 23.11.2023). Gemäß Berichten werden die Versprechen nicht immer erfüllt (EUAA 16.12.2022a).
Kriegsdienstverweigerung
Die Führung Tschetscheniens leugnet Fälle tschetschenischer Soldaten, die den Kriegseinsatz in der Ukraine verweigern (KR 31.12.2022). 2023 bearbeitete das Militärgericht in Grosnyj 78 strafrechtliche Fälle, wovon 47 Fälle Kriegsdienstverweigerung, darunter Desertion, betrafen (KR 22.1.2024). Vermeintliche Straftäter werden in der Russischen Föderation aufgrund der territorialen gerichtlichen Zuständigkeit an ihren Wohnort zur weiteren Verhandlungsführung rückgeführt (ÖB Moskau 21.2.2024).
Unterstützungsmöglichkeiten durch NGOs
In Tschetschenien gibt es keine NGOs, welche eingezogene Personen unterstützen (EUAA 16.12.2022a; vgl. VQ RUSS2 23.1.2024).
Rekrutierung Strafgefangener
Das Verteidigungsministerium rekrutiert Strafgefangene (VQ RUSS1 4.12.2023) und stellte diesen bislang als Gegenleistung für einen Ukraine-Kriegseinsatz eine Begnadigung (ISW 20.9.2023; vgl. EUAA 16.12.2022a) sowie Geld in Aussicht (EUAA 16.12.2022a). Anstatt Begnadigungen ist man nun dazu übergegangen, kampfwilligen Strafgefangenen eine bedingte Freiheitsstrafe zu gewähren. Für Strafgefangene gelten jetzt an der Front dieselben Bedingungen wie für Vertragssoldaten. Der Kriegseinsatz der ehemaligen Strafgefangenen endet somit erst mit dem Ende des Ukraine-Kriegs (BBC 25.1.2024). Früher war der Kriegseinsatz der Strafgefangenen durch Halbjahresverträge zeitlich begrenzt. Die Behörden wenden regelmäßig Zwangsmaßnahmen an, um Strafgefangene zur Unterzeichnung von Verträgen zu bewegen (ISW 25.1.2024). Gemäß dem föderalen Mobilisierungsgesetz sind unter anderem folgende Straftäter von einer Mobilisierung ausgenommen: Terroristen; Geiselnehmer; Mitglieder illegaler bewaffneter Vereinigungen; Staatsverräter; Spione; Personen, welche in einen bewaffneten Aufstand oder in extremistische Tätigkeiten verwickelt waren; Saboteure; und Personen, die Minderjährige sexuell missbraucht haben (FGMB RUSS 23.3.2024).
Irreguläre Kampfverbände (private Militärunternehmen usw.)
Am Ukraine-Krieg nehmen auf russischer Seite folgende Gruppierungen teil:
• reguläre russische Streitkräfte (VMR RUSS 2.2.2024);
• irreguläre Formationen wie beispielsweise private Militärunternehmen und Freiwilligenverbände (ISW 16.12.2023);
• die Nationalgarde (Iswestija 21.1.2024)
Dutzende Söldnereinheiten, die von großen russischen Firmen finanziert werden, befinden sich als Kämpfer in der Ukraine (WG 4.3.2024). Laut der russischen Verfassung ist die Gründung bewaffneter Formationen verboten (Verfassung RUSS 6.10.2022). Die russische Militärführung ist bestrebt, Kontrolle über die irregulären Formationen auszuüben (ISW 30.12.2023). Bis Juli 2023 hatten die Freiwilligeneinheiten einen Vertrag mit dem Verteidigungsministerium abzuschließen (VMR RUSS 10.6.2023).
Die sogenannte Wagner-Gruppe, ein privates Militärunternehmen, zog sich im Juni 2023 aus der Ukraine zurück (KR 6.11.2023; vgl. MoD@DefenceHQ 29.9.2023) - wegen Meinungsverschiedenheiten zwischen dem Wagner-Anführer Ewgenij Prigoschin und dem Verteidigungsministerium. Nach dem bewaffneten Aufstand der Wagner-Gruppe vom Juni 2023 (KR 6.11.2023) löste sich diese faktisch auf (KR 6.11.2023; vgl. ISW 22.10.2023). Die Führungsriege der Wagner-Gruppe, darunter Ewgenij Prigoschin, kam bei einem Flugzeugabsturz nahe Moskau am 23.8.2023 ums Leben (BBC 27.8.2023). Zwischenzeitlich wurde die Wagner-Gruppe in die Kommandostruktur der russischen Nationalgarde eingegliedert (MoD@DefenceHQ 23.11.2023). Einige frühere Mitglieder der Gruppe kämpfen nun für verschiedene prorussische Einheiten (MoD@DefenceHQ 29.9.2023). Das Verteidigungsministerium ist um die Rekrutierung von Wagner-Kämpfern bemüht (ISW 15.11.2023). Gemäß dem tschetschenischen Republiksoberhaupt Ramsan Kadyrow sind mehr als 170 frühere Wagner-Kämpfer in die tschetschenische Sondereinheit Achmat eingetreten (KK 31.10.2023).
Die Grenze zwischen Söldnertruppen, sogenannten Freiwilligen und der regulären Armee ist im Krieg in der Ukraine verschwommen (DW 27.6.2023).
Wehr-/Kriegsdienstverweigerung/Desertion
Desertion
Gemäß dem russischen Strafgesetzbuch bedeutet Desertion das eigenmächtige Verlassen der Militäreinheit oder des Dienstorts mit dem Ziel, dem Wehrdienst zu entgehen. Desertion wird mit einer Freiheitsstrafe von bis zu sieben Jahren geahndet. Ersttäter können sich der strafrechtlichen Verantwortung entziehen, wenn die Desertion Folge schwieriger Umstände war. Desertion mit einer Waffe sowie die Desertion einer Personengruppe ziehen eine Freiheitsstrafe von bis zu zehn Jahren nach sich. Desertion während einer Mobilmachung, während Kriegsrecht herrscht, zu Kriegszeiten, im Rahmen bewaffneter Konflikte oder Kampfhandlungen wird mit einer Freiheitsstrafe von fünf bis fünfzehn Jahren geahndet (StGB RUSS 9.11.2024). Desertion ist schwer beweisbar (VQ RUSS1 4.12.2023; vgl. Moscow Times 4.12.2023), da sie im Gegensatz zu anderen Formen der Kriegsdienstverweigerung mit der Absicht verbunden ist, für immer dem Militärdienst den Rücken zu kehren (KK 26.12.2023; vgl. BOGMS RUSS 18.5.2023). Um als Desertion im Sinne des Strafgesetzbuches gelten zu können, ist Vorsatz erforderlich (ÖB Moskau 21.2.2024). Eine Desertion kann nur dann begangen werden, wenn bereits aktiver Wehrdienst geleistet wird. Eine Nichtbefolgung eines Einberufungsbefehls stellt daher nie eine Desertion dar (ÖB Moskau 9.2.2024). Deserteure können Wehrdienstleistende, Vertragssoldaten sowie Reservisten sein. Die bloße Ausreise eines Reservisten ohne Einberufungsbefehl stellt keine Desertion im Sinne des Strafgesetzbuches dar (ÖB Moskau 21.2.2024). Gemäß den gesetzlichen Vorgaben sind russische Staatsbürger jedoch zu einer Meldung an die Behörden verpflichtet, wenn sie für mehr als sechs Monate aus der Russischen Föderation ausreisen oder in die Russische Föderation einreisen (FGWW RUSS 2.10.2024). Das Ausreiserecht russischer Staatsbürger, die zum Wehrdienst einberufen wurden, darf vorübergehend eingeschränkt werden (bis zur Beendigung des Wehrdienstes) (FGAE RUSS 8.8.2024).
Reservisten können von Militärkommissariaten zu militärischen Übungen einberufen werden. Haben einberufene Reservisten an einer militärischen Übung noch nicht teilgenommen und erscheinen sie (ohne gerechtfertigten Grund) nicht zur Übung, so liegt keine Desertion vor, sondern eine Verwaltungsübertretung. Haben hingegen einberufene Reservisten an der militärischen Übung bereits teilgenommen und erscheinen sie nicht zum weiteren Dienst mit dem Vorsatz, sich auf Dauer dem Militär zu entziehen, liegt Desertion gemäß dem Strafgesetzbuch vor (ÖB Moskau 21.2.2024).
Es wird über tschetschenische Einheiten in der Ukraine berichtet, welche als sogenannte Sperrtrupps eingesetzt werden, um russische Deserteure aufzuhalten (ISW 11.9.2023; vgl. KR 18.12.2023, VQ RUSS2 23.1.2024).
Andere Formen der Wehr-/Kriegsdienstverweigerung
Das Strafgesetzbuch enthält mehrere Paragrafen, welche verschiedene Formen von Wehr-/Kriegsdienstverweigerung unter Strafe stellen (StGB RUSS 9.11.2024):
• § 328 StGB: Die Verweigerung der Wehrdiensteinberufung zieht folgende Strafen nach sich: Geldstrafen von bis zu RUB 200.000 [ca. EUR 1.930] oder in der Höhe von bis zu 18 Monatseinkommen, Zwangsarbeit von bis zu zwei Jahren, Arrest von bis zu sechs Monaten oder Freiheitsentzug von bis zu zwei Jahren.
• § 332 StGB: Wer in Zeiten des Kriegsrechts, zu Kriegszeiten, im Rahmen von Kampfhandlungen oder bewaffneten Konflikten den Befehl eines Vorgesetzten nicht befolgt und die Teilnahme an Kriegs- oder Kampfhandlungen verweigert, wird mit Freiheitsentzug von zwei bis drei Jahren bestraft. Sind die Taten nach § 332 mit schwerwiegenden Folgen verbunden, zieht dies eine Freiheitsstrafe von drei bis zehn Jahren nach sich.
• § 333 StGB: Auflehnung gegen einen Vorgesetzten, verbunden mit Gewalt oder einer Gewaltandrohung, während einer Mobilmachung, während Kriegsrecht herrscht, zu Kriegszeiten, im Rahmen bewaffneter Konflikte oder Kampfhandlungen wird mit einer Freiheitsstrafe von fünf bis fünfzehn Jahren geahndet.
• § 334 StGB: Gewaltanwendung gegen einen Vorgesetzten während einer Mobilmachung, während Kriegsrecht herrscht, zu Kriegszeiten, im Rahmen bewaffneter Konflikte oder Kampfhandlungen wird mit einer Freiheitsstrafe von fünf bis fünfzehn Jahren geahndet.
• § 337 StGB: Einberufene oder Vertragssoldaten, welche während einer Mobilmachung, während Kriegsrecht herrscht, zu Kriegszeiten, im Rahmen bewaffneter Konflikte oder Kampfhandlungen die Militäreinheit oder den Dienstort eigenmächtig verlassen und für eine Dauer von mehr als zwei Tagen bis max. zehn Tagen ungerechtfertigt nicht zum Dienst erscheinen, werden mit Freiheitsentzug von bis zu fünf Jahren bestraft. Einberufene oder Vertragssoldaten, welche während einer Mobilmachung, während Kriegsrecht herrscht, zu Kriegszeiten, im Rahmen bewaffneter Konflikte oder Kampfhandlungen die Militäreinheit oder den Dienstort eigenmächtig verlassen und für eine Dauer von mehr als einem Monat ungerechtfertigt nicht zum Dienst erscheinen, werden mit Freiheitsentzug von fünf bis zehn Jahren bestraft. Ersttäter können sich der strafrechtlichen Verantwortung entziehen, wenn die Tat Folge schwieriger Umstände war. Reservisten sind während Militärübungen strafrechtlich für Taten nach diesem Paragrafen (§ 337) verantwortlich.
• § 339 StGB: Wehrdienstverweigerung durch Betrug (Vortäuschung einer Krankheit, Selbstverletzung, Selbstverstümmelung, Fälschung von Dokumenten usw.) wird folgendermaßen geahndet: Wehrdienstbeschränkung von bis zu einem Jahr, Arrest von bis zu sechs Monaten oder Disziplinarhaft (Inhaftierung in einer militärischen Disziplinareinheit) von bis zu einem Jahr. Dieselbe Tat (jedoch mit dem Ziel, sich gänzlich den militärischen Pflichten zu entziehen) zieht eine Freiheitsstrafe von bis zu sieben Jahren nach sich. Taten gemäß § 339 StGB, die während einer Mobilmachung, während Kriegsrecht herrscht, zu Kriegszeiten, während bewaffneter Konflikte oder Kampfhandlungen begangen wurden, ziehen eine Freiheitsstrafe von fünf bis zehn Jahren nach sich. Zum oben verwendeten Begriff der Wehrdienstbeschränkung: Gemäß dem Strafgesetzbuch bedeutet Wehrdienstbeschränkung eine verminderte Besoldung sowie das Aussetzen dienstlicher Beförderungen.
• § 352.1 StGB: Wer sich freiwillig in Kriegsgefangenschaft begibt, wird mit Freiheitsentzug von drei bis zehn Jahren bestraft. Ersttäter können sich der strafrechtlichen Verantwortung entziehen, wenn sie Maßnahmen für ihre Befreiung ergriffen haben, zu ihrer Truppe oder Dienstort zurückgekehrt sind und wenn sie während der Kriegsgefangenschaft nicht andere Straftaten begangen haben.
Der oben dargestellte § 328 StGB bezieht sich gemäß dem Obersten Gerichtshof ausschließlich auf Personen, die zum Grundwehrdienst einberufen wurden (BOGPF RUSS 18.5.2023). Im Gegensatz zu mobilisierten Reservisten sind Grundwehrdiener bereits ab dem Augenblick eines ignorierten Einberufungsbefehls strafrechtlich belangbar. Mobilisierte Personen sind erst nach Registrierung bei der Rekrutierungsstelle und Zuordnung zu einer Militäreinheit strafrechtlich verantwortlich (MBZ 31.3.2023).
Als mildernde Umstände in Fällen der Kriegsdienstverweigerung werden ein der Straftat vorangegangener Ukraine-Kriegseinsatz sowie das Versprechen der Angeklagten, abermals in der Ukraine Kriegsdienst zu leisten, gewertet (KR 17.12.2023). Das Versprechen, sich erneut an die Front zu begeben, führt oft zu bedingten Haftstrafen, wodurch eine weitere Kriegsteilnahme unterstützt wird (KR 21.11.2023). Militärgerichtsverfahren enden kaum mit Freisprüchen, sondern hauptsächlich mit Schuldsprüchen (Moscow Times 4.12.2023). Da Gerichte nur einen geringen Teil ihrer Urteile veröffentlichen, gestaltet sich eine Gesamteinschätzung der Urteile schwierig (KR 15.6.2023). Gerichte führen Verfahren auch in absentia [d. h. Gerichtsverfahren in Abwesenheit des Angeklagten; Anm. der Staatendokumentation] (EUAA 17.2.2023).
Es wird über Fälle von Soldaten berichtet, welche vom russischen Militär wegen Befehlsverweigerung hingerichtet wurden. Weiters drohen russische Kommandanten mit der Hinrichtung ganzer Einheiten, so diese versuchen sollten, vor dem ukrainischen Beschuss zurückzuweichen (REU 27.10.2023). Das unabhängige russische Online-Medium Wjorstka berichtet über Fälle von Kriegsdienstverweigerern, welche zwangsweise an die Front in die Ukraine gebracht wurden (Wjorstka 3.6.2024). In Bezug auf den Umgang mit Personen, welche einen Einberufungsbefehl nicht befolgt haben, sind keine konkreten Fälle zu Haft mit Folter bekannt. Dies bedeutet jedoch nicht, dass es keine derartigen Fälle geben könnte (ÖB Moskau 13.11.2024).
Internationale und unabhängige russische Medien berichten über zahlreiche Fälle von Vertragssoldaten, welche die Entsendung in die Ukraine verweigern oder die Ukraine verlassen haben, um zu ihren Militäreinheiten in Russland zurückzukehren (EUAA 16.12.2022a). Über einen zahlenmäßigen Anstieg der Fälle von Personen, die einen Kriegseinsatz ablehnen, wird berichtet (Sib.R 4.9.2023; vgl. Moscow Times 4.12.2023). Es ist jedoch nicht möglich, genaue Zahlen in Bezug auf Desertion, Kriegsdienstverweigerung und Militärdienstentziehung zu erhalten (Connection 8.10.2023).
Organisationen wie Idite lesom unterstützen Personen, die eine Kriegsteilnahme vermeiden wollen (Moscow Times 4.12.2023; vgl. IL o.D.).
Wehrersatzdienst/Zivildienst
Das Recht auf einen zivilen Ersatzdienst (Zivildienst) aus Gewissens-, religiösen oder anderen Gründen wird durch die Verfassung garantiert (Verfassung RUSS 6.10.2022). Ein alternativer Zivildienst kann abgeleistet werden, falls der Wehrdienst gegen die persönliche (politische, pazifistische) Überzeugung bzw. Glaubensvorschriften einer Person spricht (ÖB Moskau 1.7.2024) oder diese Person zu einem indigenen Volk gehört, dessen traditionelle Lebensweise dem Wehrdienst widerspricht (ÖB Moskau 1.7.2024; vgl. FGZD RUSS 4.8.2023). Die Zivildienstzeit beträgt 18 Monate als ziviles Personal bei den russischen Streitkräften, hingegen 21 Monate in anderen staatlichen Einrichtungen (VMR RUSS o.D.a; vgl. FGZD RUSS 4.8.2023). Jährlich wird eine Liste von Tätigkeiten, Berufen und Organisationen erstellt, in welchen die Ableistung eines alternativen Zivildiensts möglich ist (FAAB o.D.).
Anträge auf Zivildienstableistung sind beim örtlichen Militärkommissariat spätestens sechs Monate vor den jährlichen Einberufungsterminen zu stellen und müssen eine Begründung enthalten. Die Anträge werden von der Einberufungskommission geprüft (FGZD RUSS 4.8.2023). Wer bereits den Wehrdienst ableistet, darf keinen Antrag auf Wehrersatzdienst mehr stellen (EUAA 16.12.2022a). Gemäß dem föderalen Gesetz „Über den alternativen Zivildienst“ kommen für den alternativen Zivildienst nur männliche Staatsbürger im Alter zwischen 18 und 30 Jahren infrage, welche nicht der Reserve angehören (FGZD RUSS 4.8.2023). Mit Stand August 2024 absolvierten laut Angaben des Föderalen Amts für Arbeit und Beschäftigung (Rostrud) 2.022 russische Staatsbürger einen alternativen Zivildienst. In Tschetschenien und Dagestan absolvierte gemäß dieser Statistik niemand den alternativen Zivildienst (FAAB 1.8.2024). Von Verletzungen des Rechts auf Wehrdienstverweigerung ist die Religionsgemeinschaft der Zeugen Jehovas betroffen (EBCO 12.5.2023; vgl. WHJW 21.3.2022). Lehnt die Einberufungskommission den Antrag einer Person auf Zivildienstableistung ab, kann diese Entscheidung gerichtlich angefochten werden. Eine solche Anfechtung (Beschwerde) entfaltet bis zur rechtskräftigen gerichtlichen Klärung eine aufschiebende Wirkung (FGZD RUSS 4.8.2023).
Das Recht Zivildienstleistender auf Ausreise aus der Russischen Föderation darf gesetzlich vorübergehend beschränkt werden. Diese Beschränkung gilt bis zur Beendigung des Wehrersatzdiensts. Die betreffende Person hat für den Zeitraum der Ausreisebeschränkung ihren Reisepass bei der Behörde, die den Reisepass ausgestellt hat, abzugeben bzw. in Verwahrung zu geben (FGAE RUSS 8.8.2024). Ein Reisepass, welcher ohne stichhaltige Gründe innerhalb der vorgegebenen Frist nicht in Verwahrung gegeben wird, verliert seine Gültigkeit und kann an der Grenze beschlagnahmt werden (RS 11.12.2023).
Die Verweigerung der Zivildienstableistung zieht gemäß dem Strafgesetzbuch folgende Strafen nach sich: Geldstrafen von bis zu RUB 80.000 [ca. EUR 772] oder in der Höhe von bis zu sechs Monatseinkommen, bis zu 480 Stunden Pflichtarbeiten oder Arrest von bis zu sechs Monaten (StGB RUSS 9.11.2024).
Wehrersatzdienst in Verbindung mit Mobilmachung
Wer den alternativen Zivildienst abgeleistet hat, zählt zur Reserve (FGWW RUSS 2.10.2024) und darf somit mobilisiert werden, so kein Recht auf einen Mobilisierungsaufschub besteht (FGMB RUSS 23.3.2024). Ehemalige Zivildiener unterliegen den allgemeinen Mobilisierungsvorschriften, das Verteidigungsministerium entscheidet über ihre Mobilisierung (ÖB Moskau 1.7.2024). Personen, die den Zivildienst abgeleistet haben, sind von Militärübungen befreit (FGWW RUSS 2.10.2024). Gemäß dem Mobilisierungsgesetz ist bei Verkündung einer Mobilmachung die Fortsetzung des zivilen Ersatzdienstes in Einrichtungen der russischen Streitkräfte sowie in anderen militärischen Einrichtungen gestattet. Staatsbürger, welche zu Zeiten einer Mobilmachung den zivilen Ersatzdienst in nichtmilitärischen Einrichtungen absolvieren, können als ziviles Personal in Einrichtungen der russischen Streitkräfte sowie in anderen militärischen Einrichtungen zum Einsatz kommen (FGMB RUSS 23.3.2024). Militärkommissariate und Gerichte lehnen Anträge von Personen, die für einen Ukraine-Einsatz eingezogen worden sind und stattdessen Zivildienst leisten wollen, routinemäßig ab. Zur Begründung heißt es (AI 28.3.2023; vgl. Forum 9.10.2023), dass keine spezifischen gesetzlichen Zivildienstregelungen in Zeiten einer Teilmobilmachung existieren (AI 28.3.2023; vgl. FH 24.5.2023, Forum 9.10.2023). Gemäß Medienberichten vom November 2023 hat der Oberste Gerichtshof einem Mobilisierten das Recht auf Ableistung eines alternativen Zivildienstes zugesprochen. Der Betreffende hatte sich auf seinen Glauben berufen (BAMF 27.11.2023; vgl. Meduza 23.11.2023).
Allgemeine Menschenrechtslage
Die Verfassung der Russischen Föderation garantiert gleiche Rechte und Freiheiten für alle Personen, unabhängig von Geschlecht, Ethnie, Nationalität, Sprache, Herkunft, sozialem Status, Wohnort, Religionszugehörigkeit, Überzeugungen usw. Gemäß der Verfassung dürfen die Rechte und Freiheiten der Menschen durch die föderale Gesetzgebung nur insoweit eingeschränkt werden, als dies aus folgenden Gründen notwendig ist: zum Schutz der Verfassung, der Moral, Gesundheit, der Rechte und gesetzlichen Interessen anderer Personen, zur Gewährleistung der Landesverteidigung sowie der nationalen Sicherheit (Verfassung RUSS 6.10.2022). Die Grundrechte werden in Russland zwar in der Verfassung garantiert, es besteht jedoch ein deutlicher Widerspruch zur Rechtswirklichkeit (AA 2.8.2024). Menschenrechtsaktivisten dokumentieren regelmäßig Fälle von Diskriminierung, welche auf Faktoren wie Geschlecht, Ethnie, Religion und politischen Präferenzen beruhen (BS 2024). Russland hat unter anderem folgende internationale Menschenrechtsverträge ratifiziert (OHCHR o.D.):
• Internationaler Pakt über bürgerliche und politische Rechte
• Internationaler Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte
• Konvention zur Beseitigung jeder Form von Diskriminierung der Frau
• Internationales Übereinkommen über die Beseitigung aller Formen ethnischer Diskriminierung
• Konvention gegen Folter und andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Strafe
• Kinderrechtskonvention
• Behindertenrechtskonvention
Aufgrund von Russlands Angriffskrieg in der Ukraine stimmte die UN-Generalversammlung im April 2022 für den Ausschluss Russlands aus dem UN-Menschenrechtsrat (UN News 7.4.2022). Die Menschenrechtslage in Russland hat sich im Laufe der vergangenen Jahre beträchtlich verschlechtert (EEAS 29.5.2024; vgl. UNHRC 13.9.2024). Russland wird von der NGO Freedom House als unfrei in Bezug auf politische Rechte und bürgerliche Freiheiten eingestuft (FH 2024). Freiheitsrechte wurden durch die russische Regierung immer weiter eingeschränkt (SWP/Fischer 19.4.2022), und Bürgerrechte werden systematisch verletzt (BS 2024). Zahlreiche Menschenrechtsorganisationen wurden aufgelöst oder werden in ihren Tätigkeiten beträchtlich behindert (UNHRCOM 1.12.2022). 2022 wurde Memorial, eine der ältesten russischen Menschenrechtsorganisationen, auf Grundlage einer Gerichtsentscheidung aufgelöst (ÖB Moskau 1.7.2024; vgl. Memorial o.D.a). Die Behörden nutzen neben der Gesetzgebung über „ausländische Agenten“ und „unerwünschte Organisationen“ verschiedene weitere Maßnahmen, um Menschenrechtsverteidiger unter Druck zu setzen. Im November 2022 schloss Präsident Putin mehrere prominente Menschenrechtsverteidiger aus dem Menschenrechtsrat des Präsidenten aus und ersetzte sie durch regierungsfreundliche Personen (AI 28.3.2023). Menschenrechtsanwälte geraten zunehmend unter Druck (UNHRC 13.9.2024; vgl. ÖB Moskau 1.7.2024), und Verteidiger sind strafrechtlicher Verfolgung ausgesetzt (UNHRC 13.9.2024). Mehreren Menschenrechtsanwälten wurde die Anwaltslizenz entzogen, ohne ihnen ein Beschwerderecht einzuräumen (EUAA 16.12.2022b). [zum Thema Europarat/Klagemöglichkeiten wegen Menschenrechtsverletzungen siehe das Kapitel Rechtsschutz / Justizwesen]
Ombudsperson
Die Ombudsperson für Menschenrechte wird laut der Verfassung der Russischen Föderation vom Parlament (Duma) ernannt und entlassen (Verfassung RUSS 6.10.2022). Gemäß den gesetzlichen Vorgaben ist die Ombudsperson bei der Ausübung ihrer Befugnisse unabhängig und keinem staatlichen Organ oder Amtsträger gegenüber rechenschaftspflichtig (FVGOPMR RUSS 29.5.2023). Zu den Aufgaben der Ombudsperson für Menschenrechte gehören die Kontrolle der Tätigkeiten staatlicher Organe sowie die Bearbeitung von Beschwerden, welche von Bürgern der Russischen Föderation, Staatenlosen oder anderen Personen eingereicht werden (OPMR RUSS o.D.a). Jährlich erstellt die Ombudsperson einen Tätigkeitsbericht (OPMR RUSS o.D.b). Die Befugnisse der Ombudsperson für Menschenrechte gelten als begrenzt (USDOS 22.4.2024; vgl. OSCE/ODIHR/Nußberger 22.9.2022). In allen Regionen gibt es außerdem regionale Ombudspersonen, deren Wirksamkeit sehr variiert. Örtliche Behörden untergraben oft die Unabhängigkeit der Ombudspersonen (USDOS 22.4.2024).
Menschenhandel
Gemäß dem Strafgesetzbuch zieht Menschenhandel eine Freiheitsstrafe von bis zu 15 Jahren nach sich (StGB RUSS 9.11.2024). Das Strafgesetzbuch definiert den Begriff Menschenhandelsopfer nicht. Die meisten der an Behörden gemeldeten Menschenhandelsfälle werden von der Regierung nicht als Menschenhandel anerkannt, sondern anderen Gesetzesparagrafen zugeschrieben. Dadurch wird das Ausmaß des Problems verschleiert. Regierungsbeamte und die Polizei lassen sich regelmäßig bestechen, um Menschenhandelsfälle zu vertuschen. Die Regierung zeigt wenig Bemühung zur Unterstützung von Menschenhandelsopfern. Auch existiert keine nationale Strategie zur Bekämpfung von Menschenhandel. Die Regierung hat Aktivitäten mehrerer zivilgesellschaftlicher Gruppen, die gegen Menschenhandel ankämpfen, unterbunden (USDOS 24.6.2024). Menschenhandelsopfer werden regelmäßig inhaftiert, abgeschoben und gerichtlich verfolgt (FH 2024). Die am weitesten verbreitete Form von Menschenhandel in Russland ist der Handel mit Arbeitskräften. Auch Sexhandel kommt vor. Zwangsarbeit ist weitverbreitet. Die Regierung stellt keine finanziellen Mittel für Bewusstseinskampagnen und andere Präventionstätigkeiten bereit (USDOS 24.6.2024). In der Russischen Föderation gibt es Unterkunftsmöglichkeiten für Opfer von Menschenhandel. Für gewöhnlich werden diese Unterkünfte von örtlichen NGOs verwaltet (IOM 8.2024).
Flüchtlinge
Russland hat die Genfer Flüchtlingskonvention ratifiziert (UNTC 29.11.2024) und gewährt laut der russischen Verfassung Asyl. Die Verfassung lässt die Auslieferung von Personen, welche aufgrund ihrer politischen Überzeugungen verfolgt werden, an andere Staaten nicht zu (Verfassung RUSS 6.10.2022). Personen, welche nicht als Flüchtlinge anerkannt werden, wird von der Regierung das Recht auf temporären Schutz eingeräumt (USDOS 22.4.2024; vgl. FGFLÜ RUSS 13.6.2023). In der Praxis wird dieses Prinzip von Behörden nicht konsequent umgesetzt (USDOS 22.4.2024). Für ausländische Flüchtlinge ist es de facto schwierig, einen endgültigen oder zeitlich begrenzten Flüchtlingsschutz zu erlangen (AA 2.8.2024). Die Anerkennungsrate von Asylwerbern, die nicht aus der Ukraine stammen, ist niedrig (UNHRCOM 1.12.2022). Mit Stand Juni 2023 besaßen ungefähr 36.500 Personen einen temporären Schutzstatus. Es mangelt an klaren Verfahrensregeln. Der Non-Refoulement-Begriff ist gesetzlich nicht ausdrücklich festgeschrieben (USDOS 22.4.2024). Für Personen mit besonderen Bedürfnissen sind keine besonderen Verfahrensmaßnahmen vorgesehen. Personen, welchen Asyl gewährt wurde, sind mit Integrationsschwierigkeiten konfrontiert (UNHRCOM 1.12.2022).
Gemäß Berichten sind Flüchtlinge aus der Ukraine in Russland in sogenannten Filtrationslagern interniert oder sonstigen Bewegungseinschränkungen ausgesetzt. Es wird über Fälle von Folter, geschlechtsspezifischer Gewalt und Erniedrigung ukrainischer Staatsangehöriger sowie über gewaltsame Deportation/Verschleppung ukrainischer Kinder nach Russland und in Russisch besetzte Gebiete berichtet (AA 2.8.2024). Mit Stand 31.12.2023 waren in der Russischen Föderation 1.227.555 Flüchtlinge aus der Ukraine registriert (UNHCR o.D.).
Tschetschenien, Kritiker, Tschetschenienkrieg-Kämpfer
In Tschetschenien stellt sich die Menschenrechtssituation als äußerst beunruhigend dar (FCDO 12.2022; vgl. AA 2.8.2024). Die weitverbreiteten Menschenrechtsverletzungen sind staatlichen Akteuren zuzuschreiben (EUAA 16.12.2022b). Um die Kontrolle über die Republik zu behalten (FH 2024), wendet das Regime von Republiksoberhaupt Kadyrow unterschiedliche Gewaltformen an, darunter Entführung, Folter und außergerichtliche Tötung (FH 2024; vgl. CoE-PACE 3.6.2022, UNGA 11.10.2024). Es kommt zu Massenrazzien und Massenentführungen (KR 27.3.2023). Auch kollektive Bestrafungen gelangen zur Anwendung (EUAA 16.12.2022b; vgl. UNGA 11.10.2024). Die Behörden gehen gegen Extremismusverdächtige menschenrechts- und rechtsstaatswidrig vor. Die kritische Zivilgesellschaft wird weitgehend unterdrückt. Die Bekämpfung von Extremisten geht mit rechtswidrigen Festnahmen, Sippenhaft, Kollektivstrafen, Verschwindenlassen, Folter zur Erlangung von Geständnissen, fingierten Straftaten, willkürlichen Tötungen und Geheimgefängnissen, in welchen gefoltert wird, einher (AA 2.8.2024). Frauen werden Opfer von Ehrenmorden (USDOS 22.4.2024). Mit der Unterstützung Moskaus wird gewaltsam gegen religiöse Minderheiten vorgegangen (USCIRF 26.10.2021). Nach Angaben des Innenministeriums verschwanden 2022-2023 in Tschetschenien 3.209 Personen spurlos. Genaue Angaben zur Anzahl der verschollenen Personen sind sehr schwierig zu eruieren, da die Tätigkeit von Menschenrechtsverteidigern und unabhängigen Ermittlern in der Region praktisch unmöglich ist (KR 30.8.2024). Tschetschenien gehört zu denjenigen Regionen, in welchen Verschwundene am seltensten wiedergefunden werden (KR 28.3.2023). Russland ist dem Internationalen Übereinkommen zum Schutz aller Personen vor dem Verschwindenlassen nicht beigetreten (OHCHR o.D.).
Schwerwiegende Menschenrechtsverletzungen, begangen von Vertretern der föderalen und regionalen Behörden, bleiben straffrei (CoE-PACE 3.6.2022; vgl. UNGA 11.10.2024). Bestimmte Gruppen genießen keinen effektiven Rechtsschutz. Hierzu gehören Menschenrechtsverteidiger, sexuelle Minderheiten, Oppositionelle, Regimekritiker, Frauen, welche mit den Wertvorstellungen ihrer Familie in Konflikt geraten, sowie Personen, die sich gegen das Republiksoberhaupt Kadyrow bzw. dessen Clan aufgelehnt haben. Kadyrow äußert regelmäßig Drohungen gegen Oppositionspolitiker, Menschenrechtsaktivisten und Minderheiten (AA 2.8.2024). Menschenrechtsaktivisten sind schweren Menschenrechtsverletzungen durch tschetschenische Sicherheitsorgane ausgesetzt, darunter Folter, Verschwindenlassen, rechtswidrige Festnahmen und Fälschung von Straftatbeständen (ÖB Moskau 1.7.2024; vgl. EEAS 31.7.2023). Entsprechende Vorwürfe werden kaum untersucht, die Verantwortlichen genießen Straflosigkeit (ÖB Moskau 1.7.2024). In Tschetschenien gibt es eine regionale Ombudsperson für Menschenrechte (OPMRT RUSS o.D.).
Kritiker
Tschetschenische Behörden unterdrücken alle Formen abweichender Meinungen, nehmen Kritiker ins Visier und bestrafen deren Familienangehörige. Zu den angewandten Methoden gehört die Zwangsrekrutierung von Männern zur Kampfteilnahme in der Ukraine (HRW 11.1.2024). Kadyrow droht denjenigen Personen öffentlich, welche ihn und seine Familie kritisieren (GOV.UK 12.8.2024). Mit der Unterstützung Moskaus wird gewaltsam gegen Kritiker des Kadyrow-Regimes vorgegangen (USCIRF 26.10.2021). Regimekritiker müssen mit Strafverfolgung aufgrund fingierter Straftaten sowie physischen Übergriffen bis hin zu Mord rechnen (AA 2.8.2024). Es kommt zu Folterungen (KR 27.3.2023). Auch Sippenhaft von Familienangehörigen ist möglich (AA 2.8.2024; vgl. UNGA 11.10.2024). Bürger, welche sich über örtliche Angelegenheiten beschweren (beispielsweise Krankenhausschließung), sind Belästigungen und Demütigungen ausgesetzt (GOV.UK 12.8.2024). Kritiker des Kadyrow-Regimes werden systematisch zu Entschuldigungen gezwungen (KK 8.8.2023).
Wer aus politischen Gründen strafrechtlich verfolgt wird, kann nicht mit einem fairen Gerichtsverfahren rechnen (GOV.UK 12.8.2024). Die Opposition hat sich wegen der Unmöglichkeit von Straßenprotesten in Tschetschenien in soziale Netze und Messenger verlagert. Einer der bekanntesten Oppositionskanäle ist der Telegram-Kanal 1ADAT. Die Inhalte von 1ADAT wurden gerichtlich als extremistisch eingestuft (KK 13.2.2022). 1ADAT steht dem tschetschenischen Republiksoberhaupt Kadyrow äußerst kritisch gegenüber (USDOS 20.3.2023) und lässt regelmäßig Stimmen tschetschenischer Dissidenten zu Wort kommen (HRW 12.1.2023). Der Kanal sammelt Informationen über Verbrechen in Tschetschenien und führt eine Entführungsstatistik. Mitarbeiter von 1ADAT sind Festnahmen und Folter durch Kadyrows Personal ausgesetzt (KK 13.2.2022).
Grundsätzlich können Tschetschenen ebenso wie andere russische Staatsangehörige auch an einem anderen Ort in der Russischen Föderation außerhalb Tschetscheniens leben bzw. sich dorthin flüchten, solange sie nicht neuerlich ins Blickfeld der tschetschenischen Sicherheitskräfte geraten. Wird eine Person allerdings gesucht, so ist es den Sicherheitsorganen möglich, diese zu finden. Tschetschenen stehen in größeren russischen Städten unter Beobachtung ihrer Landsleute, und „falsches“ Verhalten kann ebenfalls das Interesse der tschetschenischen Sicherheitsstrukturen wecken (ÖB Moskau 1.7.2024). Gemäß Berichten verfolgen in Einzelfällen die Familien der Betroffenen oder tschetschenische Behörden (welche Zugriff auf russlandweite Informationssysteme haben) Flüchtende in andere Landesteile. Die regionalen Strafverfolgungsbehörden können Tschetschenen in anderen Gebieten Russlands in Gewahrsam nehmen und nach Tschetschenien verbringen. Sofern keine Strafanzeige vorliegt, können Untergetauchte durch eine Vermisstenanzeige ausfindig gemacht werden (AA 2.8.2024). Die russische Regierung setzt Gesichtserkennungssoftware ein, um Personen festzunehmen (FH 16.10.2024). Es wird von verschiedenen Personengruppen berichtet, die gegen ihren Willen von einem innerstaatlichen Zufluchtsort nach Tschetschenien zurückgeholt und dort Opfer von Menschenrechtsverletzungen geworden sind. Zu den Betroffenen gehören Oppositionelle und Regimekritiker, darunter ehemalige Kämpfende und Mitglieder der tschetschenischen Unabhängigkeitsbewegung (AA 2.8.2024). In mehreren Fällen wurden Kritiker Kadyrows, welche außerhalb Russlands lebten, Opfer von Attentaten (KR 31.1.2023).
Tschetschenienkrieg-Kämpfer
Von einer Verfolgung von Kämpfern des ersten und zweiten Tschetschenienkrieges allein aufgrund ihrer Teilnahme an Kriegshandlungen ist heute im Allgemeinen nicht mehr auszugehen; es wurden in den letzten Jahren keine Fälle der Verfolgung bekannt. Prominentes Beispiel dafür ist der Kadyrow‐Clan selbst, welcher im Zuge der Tschetschenienkriege vom Rebellen‐ zum Vasallentum wechselte (ÖB Moskau 1.7.2024). Ein weiteres Beispiel stellt der tschetschenische Premierminister Magomed Daudow dar, welcher an den zwei Tschetschenienkriegen aufseiten der bewaffneten Kämpfer teilnahm, jedoch auf die Seite der föderalen Kräfte wechselte, nachdem ihm Achmat, der Vater von Ramsan Kadyrow, eine Amnestie versprochen hatte (WG 28.5.2024). Die Frauen von im Zusammenhang mit den zwei Tschetschenienkriegen verurteilten oder getöteten Militanten berichten teils von Stigmatisierung und differenzierter, mitunter illegaler Behandlung durch Strafverfolgungsbehörden, auch ihre Kinder betreffend (ÖB Moskau 1.7.2024).
Dagestan
Die Menschenrechtslage in Dagestan ist grundsätzlich besser als im benachbarten Tschetschenien. Jedoch auch in Dagestan gehen mit der Bekämpfung des islamistischen Untergrunds Menschenrechtsverletzungen durch lokale und föderale Sicherheitsbehörden einher, darunter Entführungen und Verschwindenlassen. Davon sind auch Menschenrechtsorganisationen, NGOs im sozialen/humanitären Bereich und regierungskritische Journalisten betroffen. Im Gegensatz zu Tschetschenien können NGOs in Dagestan tätig werden, sich mit Opfern von Menschenrechtsverletzungen treffen, vor Ort recherchieren und selbst Verfahren gegen Mitglieder der Sicherheitskräfte wegen Foltervorwürfen anstrengen. Die NGO „Komitee zur Verhinderung von Folter“ arbeitet mit den Sicherheitsbehörden in Dagestan im Rahmen des Strafvollzugs zusammen (AA 2.8.2024). In Dagestan gibt es eine regionale Ombudsperson für Menschenrechte (OPMRD RUSS o.D.).
Die Mobilisierung führte im September 2022 zu einer Protestwelle in Dagestan. Die Massenproteste hielten mehrere Tage an und wurden von den Behörden gewaltsam niedergeschlagen (HRW 12.1.2023). Es kam zu Massenverhaftungen (KK 17.2.2023). Einige Verhaftete berichteten über Folterungen durch die Polizei (KR 17.2.2023). Mehrere Strafverfahren gegen Protestteilnehmer wurden wegen angeblicher Gewalt gegen die Polizei eröffnet (HRW 12.1.2023).
Meinungs- und Pressefreiheit, Internetfreiheit
Die Verfassung der Russischen Föderation garantiert Meinungsfreiheit und verbietet Zensur (Verfassung RUSS 6.10.2022). Derzeit herrscht eine Kriegszensur (SWP/Fischer 19.4.2022). Presse- und Meinungsfreiheit sind eingeschränkt (BS 2024; vgl. UNHRCOM 1.12.2022), insbesondere in Bezug auf kriegskritische Aussagen (UNHRCOM 1.12.2022). Informationen über den Krieg werden von der Regierung massiv kontrolliert und manipuliert (AI 24.4.2024). Journalisten dürfen gemäß einer Entscheidung der Medienaufsichtsbehörde Roskomnadsor ausschließlich Informationen der russischen Regierung verwenden, wenn sie über den Ukraine-Krieg berichten. Ansonsten drohen Geldstrafen und die Blockierung von Webseiten (UNHRCOM 1.12.2022). Die Verwendung der Begriffe Krieg, Angriff und Invasion im Zusammenhang mit dem Ukraine-Krieg ist verboten. Stattdessen ist der Begriff der „militärischen Spezialoperation“ zu benutzen (SWP/Fischer 19.4.2022). Die Diskreditierung der Armee kann gemäß dem Strafgesetzbuch zu einer mehrjährigen Haftstrafe führen. Bei öffentlicher Verbreitung von Falschinformationen über die Armee droht eine Haftstrafe von bis zu 15 Jahren (StGB RUSS 9.11.2024). Der Begriff Diskreditierung ist nicht definiert (SFH 12.1.2023). Die Maßnahmen haben zur Folge, dass jegliche abweichende Meinung und alternative Informationen über den bewaffneten Konflikt in der Ukraine unterdrückt werden (FNS/Parchomenko 11.2022).
Die Medienaufsichtsbehörde Roskomnadsor, welche vom Ministerium für digitale Entwicklung kontrolliert wird, handelt oft intransparent (FH 16.10.2024). Immer weniger Medien in Russland sind tatsächlich unabhängig von staatlicher Kontrolle tätig (FNS/Parchomenko 11.2022). Laut Berichten betreiben unabhängige Medien in großem Stil Selbstzensur (USDOS 22.4.2024). Es gibt Berichte über Schikanierung von Journalisten, darunter strafrechtliche Verfolgung, Hausdurchsuchungen, Festnahmen, physische Angriffe und Drohungen, auch gegen Familienangehörige von Journalisten (UNHRCOM 1.12.2022). Diesbezüglich herrscht Straflosigkeit (AI 4.2023). Seit Kriegsbeginn wurde gegen Journalisten und Medienmitarbeiter, darunter Blogger, eine beträchtliche Anzahl straf- und verwaltungsrechtlicher Anklagen erhoben. Beinahe alle führenden unabhängigen Medien haben mittlerweile ihren Sitz ins Ausland verlegt. Nach Entziehung der Drucklizenz entzog der Oberste Gerichtshof im September 2022 der unabhängigen Nowaja Gaseta [„Neue Zeitung“] die Online-Medienlizenz. Die Nowaja Gaseta hatte alle ihre Aktivitäten in Russland bereits im März 2022 ausgesetzt. Mehrere Journalisten der Nowaja Gaseta gründeten einen Online-Vertrieb in Europa, welcher in Russland ebenfalls blockiert ist (EUAA 16.12.2022b). Mit Echo Moskwy wurde der einzig verbliebene landesweite und vom Kreml unabhängige Rundfunksender, mit TV Doschd der letzte unabhängige Fernsehkanal, gesperrt (AA 2.8.2024).
Zahlreiche Journalisten und unabhängige Medien wurden als „ausländische Agenten“ und „unerwünscht“ eingestuft, darunter Meduza, Bellingcat und Kaukasischer Knoten (FCDO 12.2022) [zur Gesetzgebung über „unerwünschte Organisationen“ siehe NGOs und Menschenrechtsaktivisten, Anm.]. Als „ausländische Agenten“ werden laut den gesetzlichen Vorgaben Personen oder Vereinigungen eingestuft, welche ausländische Unterstützung erhalten oder in irgendeiner anderen Form unter ausländischem Einfluss stehen. „Ausländische Agenten“ müssen sich in ein Register eintragen lassen. Die Entscheidung der Behörde über die Aufnahme ins Register kann gerichtlich angefochten werden (FGÜP RUSS 15.5.2024). Mit der Eintragung als „ausländischer Agent“ gehen umfassende Kennzeichnungs‐ und Berichtspflichten sowie zahlreiche Einschränkungen einher (ÖB Moskau 1.7.2024). Gemäß dem Strafgesetzbuch drohen bei Verstößen gegen diese Verpflichtungen unter anderem Geld- oder Haftstrafen von bis zu fünf Jahren (StGB RUSS 9.11.2024; vgl. EUAA 16.12.2022b). Die Gesetzgebung zu „ausländischen Agenten“ hat den Kreis betroffener Organisationen und Personen immer mehr erweitert, die Folgen einer Listung verschärft (AA 2.8.2024) und trägt zur Selbstzensur bei (FH 16.10.2024).
Die Regierung beschränkt und unterbricht den Zugang zum Internet, kontrolliert Online-Inhalte und überwacht die gesamte Internet-Kommunikation (USDOS 22.4.2024). Viele westliche Medien sind in Russland nicht mehr zugänglich (RSF o.D.). Soziale Netzwerke wie Facebook, Instagram und Twitter [nunmehr genannt X; Anm. der Staatendokumentation] wurden ebenfalls gesperrt. Der Facebook-Konzern Meta wurde als extremistische Organisation eingestuft (SWP/Fischer 19.4.2022). Die Anti-Extremismus-Gesetzgebung wird häufig dazu verwendet, die Meinungsfreiheit zu beschränken (UNHRCOM 1.12.2022). Webseiteneigentümer sind berechtigt, Entscheidungen gerichtlich anzufechten. Dafür sind aber oft nur kurze Zeiträume vorgesehen (FH 16.10.2024). VPN-Kanäle werden von russischer Seite immer wieder gezielt unterbrochen (AA 2.8.2024; vgl. FH 16.10.2024). Der Föderale Sicherheitsdienst (FSB) betreibt ein Spionagesystem, das sogenannte „System für operative Ermittlungsmaßnahmen“ (SORM), mit dem Telefongespräche, der Internetverkehr und soziale Medien in Russland überwacht werden (SFH 12.1.2023).
Auf der Rangliste der Pressefreiheit 2024 von Reporter ohne Grenzen rangiert Russland gegenwärtig auf Platz 162 von 180 gelisteten Staaten/Gebietseinheiten. Russland befindet sich damit zwischen Dschibuti und Nicaragua und verbesserte sich um zwei Plätze gegenüber der Reihung des Vorjahres (RSF 2024).
Religionsfreiheit
Die Bevölkerung des Landes weist eine religiöse Vielfalt auf. Ca. 68 % sind russisch-orthodox, 7 % Muslime, und 25 % gehören unter anderem folgenden Gemeinschaften an: Protestanten, Katholiken, Zeugen Jehovas, Buddhisten, Judentum, Bahai, indigene Religionen usw. (USCIRF 4.2022). Gemäß einer Umfrage des Lewada-Zentrums von April 2023 bekennen sich 72 % der Befragten zur Orthodoxie, 7 % zum Islam, 13 % zu keiner Religion, 5 % zum Atheismus und ca. 3 % zu anderen Glaubensrichtungen - vor allem Katholiken, Protestanten und Buddhisten (Lewada 16.5.2023). Verlässliche Zahlen zu den Mitgliedern bzw. Anhängern einzelner Gemeinschaften gibt es nicht, da ein System der Mitgliederregistrierung fehlt (missio/Renovabis/Elsner 2022; vgl. ÖB Moskau 1.7.2024).
Die Verfassung der Russischen Föderation garantiert Gewissens- und Glaubensfreiheit. Die Wahl des Religionsbekenntnisses steht frei. Auch wird die Freiheit eingeräumt, ohne Bekenntnis zu leben. Religiöse Überzeugungen dürfen frei verbreitet werden. Das Schüren von religiösem Hass ist verboten. Laut Verfassung ist die Russische Föderation ein säkularer (weltlicher) Staat, es gibt keine Staatsreligion und Staat und Religion sind voneinander getrennt (Verfassung RUSS 6.10.2022). Gemäß gesetzlichen Vorgaben darf die Gewissens- und Glaubensfreiheit nur aus folgenden Gründen eingeschränkt werden: zum Schutz der Verfassung, der Moral, der Gesundheit, der Rechte und gesetzlichen Interessen der Menschen und zur Gewährleistung der Landesverteidigung sowie der nationalen Sicherheit. Zur Gründung einer örtlichen religiösen Organisation sind mindestens zehn erwachsene Staatsbürger notwendig. Zentralisierte religiöse Organisationen bestehen aus mindestens drei örtlichen religiösen Organisationen. Religiöse Organisationen unterliegen einer staatlichen Registrierung. Die Verweigerung der staatlichen Registrierung einer religiösen Organisation kann gerichtlich angefochten werden. Religiöse Vereinigungen können aufgelöst werden, wenn sie extremistisch tätig sind (FGGF RUSS 6.4.2024). Die Anti-Extremismus-Gesetzgebung wird in Russland überschießend angewandt (UNHRCOM 1.12.2022) und wegen ihrer vagen Formulierungen kritisiert, welche breite Interpretationen sowie eine missbräuchliche Anwendung erlauben (EUAA 16.12.2022b). Blasphemie (Verletzung religiöser Gefühle) kann gemäß dem Strafgesetzbuch zu einer bis zu dreijährigen Haftstrafe führen (StGB RUSS 9.11.2024; vgl. EBL 29.9.2020). Beschwerden über den Umgang der Regierung mit dem Thema Religionsfreiheit nimmt die Ombudsperson entgegen (USDOS 30.6.2024).
Die Religionsfreiheit ist in Russland eingeschränkt (UNHRCOM 1.12.2022; vgl. Forum 13.3.2024). Behörden missbrauchen die Anti-Terrorismus- und Anti-Extremismus-Gesetzgebung, um friedliche religiöse Gruppen als terroristisch, extremistisch und unerwünscht einzustufen. Zu den betroffenen Gruppen gehören Zeugen Jehovas, vier protestantische Gruppen aus Lettland und der Ukraine, ein regionaler Zweig von Falun Gong sowie sieben mit Falun Gong verbundene NGOs. Solchen Gruppen ist die Religionsausübung verboten, und sie sind mit langen Haftstrafen, harten Haftbedingungen, Hausarrest, Razzien, Diskriminierung und Schikane konfrontiert (USDOS 22.4.2024). Viele Muslime wurden in den letzten Jahren wegen ihrer angeblichen Zugehörigkeit zu verbotenen islamistischen Gruppen inhaftiert (FH 2024). Sie berichten unter anderem über Folter, mangelnde medizinische Versorgung und Beschlagnahmung religiöser Materialien (USCIRF 5.2024). Mitglieder der islamischen Bewegung Hizb ut Tahrir werden wegen Anklagen, die sich auf Extremismus und Terrorismus beziehen, in unfairen Verfahren vor Gericht gestellt (AI 24.4.2024). Die Bewegung Hizb ut Tahrir strebt die Gründung eines Kalifats an, lehnt aber öffentlich Gewaltanwendung zur Erreichung dieses Ziels ab (HRW 11.1.2024). Hizb ut Tahrir wurde im Jahr 2003 in Russland als terroristische Organisation verboten (FSB 7.11.2024). Muslime, welche Anhänger des türkischen Theologen Said Nursi sind, werden des Extremismus angeklagt, strafrechtlich verfolgt und inhaftiert (Forum 13.3.2024). Die Regierung betrachtet unabhängige religiöse Gruppen als Bedrohung der politischen Stabilität (USCIRF 7.2023). Die Regierung unternimmt oft rechtliche Schritte gegen unabhängige Medien und Menschenrechtsorganisationen, welche Verstöße gegen die Religionsfreiheit überwachen und darüber berichten (USCIRF 5.2024).
Religiöse Minderheiten sind Diskriminierung ausgesetzt. Von den Massenmedien werden religiöse Minderheiten regelmäßig verleumdet (SOWA 5.3.2024). Orthodoxie, Islam, Judentum und Buddhismus gelten als sogenannte traditionelle Religionen (missio/Renovabis/Elsner 2022). Gesetzlich wird dem orthodoxen Christentum eine besondere Rolle eingeräumt (FGGF RUSS 6.4.2024). Die russisch-orthodoxe Kirche genießt Privilegien (FH 2024; vgl. BS 2024) und arbeitet im innen- und außenpolitischen Bereich eng mit der Regierung zusammen (FH 2024). Indigene Religionen wurden durch staatliche Programme unter einen gewissen Schutz gestellt. Sie sind jedoch, obwohl seit langer Zeit in Russland verwurzelt, nicht als traditionelle Religionen anerkannt. Ein Beispiel für eine indigene Religion stellt der Schamanismus dar. Die sogenannten traditionellen Religionen haben gesetzlich das Recht, an staatlichen Schulen Religionsunterricht anzubieten. Andere Religionsgemeinschaften dürfen an staatlichen Schulen nicht auftreten (missio/Renovabis/Elsner 2022). Seit Russlands Ukraine-Invasion betreiben Regierungsbeamte zunehmend antisemitische Rhetorik (USCIRF 5.2024), und auch die Massenmedien bedienen sich offen antisemitischer Rhetorik (USDOS 30.6.2024). Auf den in Russland wachsenden Antisemitismus wird von Regierungsseite nicht angemessen reagiert (USCIRF 5.2024). In etwa 60.000 Personen emigrierten seit Mai 2022 von Russland nach Israel (USDOS 30.6.2024).
Die Leitung der russisch-orthodoxen Kirche hat, mit verschiedenen Nuancen und Dynamiken, Russlands militärisches Handeln in der Ukraine seit dem 24.2.2022 unverändert unterstützt (Russland-Analysen/Elsner 23.2.2023). Die Regierung übt mit verschiedenen Methoden Druck auf religiöse Führer aus, um diese als Unterstützer der Ukraine-Invasion zu gewinnen (Forum 13.3.2024; vgl. FH 2024). Mehrere Geistliche haben in Bezug auf die Ukraine das Handeln der russischen Behörden kritisiert, was Bestrafungsmaßnahmen (zuweilen durch den Staat und zuweilen durch die jeweiligen religiösen Organisationen) nach sich gezogen hat. In einer Reihe von Fällen wurden die Geistlichen für ihre öffentlich kritische Haltung mit straf- oder verwaltungsrechtlichen Sanktionen belegt (SOWA 5.3.2024).
Nordkaukasus
Konvertiten, die vom Islam abgefallen sind, stehen unter großem Druck, ihrem neuen Glauben abzuschwören. So sind sie sehr häufig zur Verheimlichung ihrer neuen Religion gezwungen. Manche Konvertiten müssen fliehen oder Schutzunterkünfte aufsuchen. Familienangehörige nehmen Konvertiten beinahe immer die Kinder weg. Konvertiten sind dem Risiko von Entführungen und der Zwangsverheiratung mit Muslimen ausgesetzt (OpD 2.2024).
Ethnische Minderheiten
Die Verfassung der Russischen Föderation garantiert für alle ethnischen Gruppen gleiche Rechte und Freiheiten. Die Staatssprache der Russischen Föderation ist Russisch. Die einzelnen Republiken sind berechtigt, ihre eigenen Staatssprachen festzulegen, wobei als Behördensprache parallel das Russische gilt (Verfassung RUSS 6.10.2022). Das UN-Übereinkommen über die Beseitigung aller Formen ethnischer Diskriminierung wurde von Russland im Jahr 1969 ratifiziert (OHCHR o.D.). Der Vielvölkerstaat Russland umfasst mehr als 190 ethnische Minderheiten (Moscow Times 30.1.2023). In etwa 72 % der Bevölkerung sind ethnische Russen (AA 2.8.2024).
Innerhalb der russischen Gesellschaft und der Streitkräfte kommt es vermehrt zu interethnischen Spannungen (ISW 8.10.2023). Im Parlament, den Medien sowie in der Gesellschaft generell nimmt fremdenfeindliche, gegen Migranten gerichtete Rhetorik zu (HRW 11.1.2024). Menschenrechtsaktivisten dokumentieren regelmäßig Fälle ethnischer Diskriminierung (BS 2024). Fremdenfeindliche Ressentiments richten sich insbesondere gegen Kaukasier und Zentralasiaten. Viele Roma und Sinti berichten von ethnischer Diskriminierung und weitverbreiteten Vorurteilen in der Gesellschaft. Strukturelle Probleme beinhalten den Zugang zu Bildung, Anschluss von Häusern an die öffentliche Infrastruktur und Vorurteile bei der Arbeitssuche. Auch wird über strukturelle Benachteiligungen vor Gerichten berichtet. Vertreter von Völkern, die ihre Sprache und Identität fördern möchten, werden häufig der Entfachung von Hass gegen ethnische Russen bezichtigt (AA 2.8.2024). Es kommt zu Hassverbrechen gegen ethnische Minderheiten (USDOS 22.4.2024). Nach Angaben von Menschenrechtsorganisationen werden Ausländer und Personen fremdländischen Aussehens oft Opfer von Misshandlungen durch Mitarbeiter der Sicherheitsbehörden. Ein geringer Teil der Täter wird disziplinarisch oder strafrechtlich verfolgt (AA 2.8.2024). Einige regionale Behörden schränken die Wohnsitzregistrierung bei ethnischen Minderheiten und Migranten aus dem Kaukasus und Zentralasien ein (FH 2024).
Indigene Völker gehören zu den am meisten verarmten Bevölkerungsgruppen. Ihre soziale und wirtschaftliche Entwicklung sowie Lebenserwartung liegen weit unter dem Landesdurchschnitt (UNHRC 13.9.2024). Der Begriff „indigen“ wird rechtlich eng definiert und schließt indigene Völker mit mehr als 50.000 Mitgliedern aus. Insgesamt gibt es in etwa 190 indigene Gruppen (CERD 1.6.2023). In Russland sind 47 kleine indigene ethnische Minderheitengruppen per Regierungsbeschluss offiziell anerkannt (BRAIV RUSS 18.12.2021). Gemäß Berichten kommt es zu Verletzungen der Rechte indigener Völker. Diese haben bei Industrieprojekten unzureichende Mitspracherechte hinsichtlich ihrer Ressourcen und Land und Boden (UNHRCOM 1.12.2022; vgl. FA/Laruelle 9.12.2022). Der UN-Menschenrechtsausschuss zeigt sich besorgt über die Auflösung des „Zentrums zur Unterstützung indigener Völker des Nordens“. Indigene Menschenrechtsverteidiger sind Schikanen ausgesetzt (UNHRCOM 1.12.2022). Die Repräsentanten der indigenen Völker sind immer stärkeren Repressionen seitens der Behörden ausgesetzt. Im Juli 2024 setzte die Regierung 55 NGOs, die sich in Russland für die Rechte indigener Völker einsetzen, auf die Liste der extremistischen Organisationen (GfbV 9.8.2024). Die staatlichen Subventionen zur Förderung kleiner indigener Minderheiten wurden gekürzt (WG 30.1.2023).
Ethnische Minderheiten aus ärmeren Regionen Russlands waren überproportional von der Mobilisierungswelle betroffen (Standard 28.9.2022; vgl. ISW 17.10.2022, USDOS 22.4.2024). Die Mobilisierungsanstrengungen konzentrierten sich auf abgelegene und von Armut gezeichnete Regionen in Russlands Fernem Osten, Sibirien und Kaukasus (DIS 9.12.2022). Für viele russische Männer stellt ein Kriegseinsatz die einzige Möglichkeit dar, der Armut zu entfliehen. Bewohner armer Regionen zieht es besonders zur Armee. Vertragssoldaten verdienen durchschnittlich viel mehr Geld als andere Berufsgruppen (NGE 3.8.2023). In den wirtschaftlich erfolgreicheren ethnischen Republiken ist der Militärdienst ein weniger attraktiver Karriereweg für junge Männer, und dementsprechend ist die Zahl der militärischen Todesfälle pro Kopf der Bevölkerung viel niedriger. Der Begriff ethnische Republiken bezieht sich auf diejenigen russischen Regionen, welche einen höheren Autonomiestatus besitzen und in denen ethnische Minderheiten in der Regel die Mehrheit der regionalen Bevölkerung darstellen (Russland-Analysen/Bessudnow 21.12.2022). Das Risiko, im Krieg in der Ukraine zu fallen, ist für Soldaten einiger ethnischer Minderheiten höher als für ethnische Russen (Russland-Analysen/Bessudnow 21.12.2022; vgl. UNHRC 13.9.2024). Dem Moskauer Bürgermeister ist es gelungen, die relativ gut situierte Bevölkerung Moskaus von den direkten Auswirkungen des Ukraine-Konflikts fernzuhalten. Die Mehrheit russischer Verluste in der Ukraine entstammt ärmeren, an der Peripherie gelegenen Regionen (MoD@DefenceHQ 4.1.2024).
Migranten und kürzlich eingebürgerte russische Staatsbürger sind Zwangseinberufungen im Rahmen der aktuell durchgeführten sogenannten verdeckten Mobilmachung ausgesetzt (ISW 23.12.2023). So Betroffene sich weigern, einen Vertrag mit dem Militär abzuschließen, wird seitens der Behörden mit Abschiebung gedroht. Migranten ohne russische Staatsbürgerschaft wird im Falle eines Kriegseinsatzes in der Ukraine der Erwerb der russischen Staatsbürgerschaft in Aussicht gestellt (ISW 28.11.2023). Russische Behörden führen verstärkt Massenverhaftungen von Migranten durch, im Zuge derer sie Migranten mit russischer Staatsbürgerschaft Einberufungsbefehle aushändigen und eingebürgerten russischen Staatsbürgern die Entziehung der russischen Staatsbürgerschaft androhen (ISW 11.12.2023). Racial Profiling wird durch die Nutzung neuer Technologien intensiviert (UNHRCOM 1.12.2022) und angewandt, um Migranten zu identifizieren und sie dann zur Unterzeichnung eines Vertrags mit dem Militär zu bewegen, um sie im Ukraine-Krieg einzusetzen (UNGA 11.10.2024). Auch die Beschneidung der Arbeitsmöglichkeiten in Russland zwingt Migranten zur Militärdienstableistung (ISW 24.1.2024).
Relevante Bevölkerungsgruppen: Frauen
Russland hat die UN-Konvention zur Beseitigung jeder Form von Diskriminierung der Frau und auch das Zusatzprotokoll ratifiziert (OHCHR o.D.). Gemäß der Verfassung der Russischen Föderation haben Männer und Frauen gleiche Rechte und Freiheiten. Die Verfassung schreibt die Bewahrung traditioneller Familienwerte fest (Verfassung RUSS 6.10.2022). Es existiert eine Nationale Handlungsstrategie zur Förderung der Interessen von Frauen für den Zeitraum 2023-2030 (VORHSF RUSS 29.12.2022).
Gemäß dem Strafgesetzbuch kann Vergewaltigung eine lebenslange Freiheitsstrafe nach sich ziehen (StGB RUSS 9.11.2024). Vergewaltigung innerhalb der Ehe wird als Straftatbestand nicht ausdrücklich anerkannt (UNGA 11.10.2024). Manchmal weigern sich Polizeibeamte, auf Vergewaltigung oder häusliche Gewalt zu reagieren, wenn die Tat nicht unmittelbar lebensbedrohlich für das Opfer ist. Behörden stufen im Regelfall Vergewaltigung oder versuchte Vergewaltigung nicht als lebensbedrohlich ein (USDOS 22.4.2024). Häusliche Gewalt ist weitverbreitet (AA 2.8.2024). Eine gesetzliche Definition für den Begriff häusliche Gewalt fehlt (USDOS 22.4.2024; vgl. UNGA 11.10.2024). Auch gibt es kein Gesetz zur Vorbeugung gegen häusliche Gewalt (Russland-Analysen/Anonym 24.7.2024). Strafverfolgungsbehörden sind wenig gewillt, Fälle häuslicher Gewalt gerichtlich zu verfolgen (UNHRCOM 1.12.2022). Die Polizei ist nicht befugt, strafrechtliche Ermittlungen einzuleiten, wenn das Opfer keine Anzeige erstattet (USDOS 22.4.2024). Die Anzahl der an die Behörden gemeldeten Fälle ist niedrig, weil Polizei und Justiz nicht angemessen auf die Thematik reagieren (HRW 12.1.2023). Oft drängt die Polizei Opfer häuslicher Gewalt zur Aussöhnung mit den Tätern. Die meisten Fälle häuslicher Gewalt, welche an Behörden herangetragen werden, werden entweder nicht bearbeitet oder an Schlichtungsstellen weitergeleitet. Schlichtungsstellen werden von Friedensrichtern geleitet und verfolgen eher das Ziel des Familienerhalts anstatt Bestrafung der Täter (USDOS 22.4.2024). Ein Opferschutzsystem fehlt (UN-CEDAW 30.11.2021; vgl. UNGA 11.10.2024). Opfer häuslicher Gewalt, welche Täter in Notwehr töten, werden im Regelfall inhaftiert (FH 2024). Laut NGOs stellen von der Regierung betriebene Einrichtungen für Opfer häuslicher Gewalt Sozialwohnungen, medizinische stationäre Betreuungsmöglichkeiten sowie Notunterkünfte zur Verfügung. Der Zugang zu diesen Dienstleistungen ist oft kompliziert und erfordert die Vorlage bestimmter Dokumente, nämlich eine örtliche Wohnsitzbescheinigung und den Nachweis eines niedrigen Einkommens. In vielen Fällen werden diese Dokumente von den Tätern verwaltet und sind für Opfer nicht zugänglich (USDOS 22.4.2024). Für Opfer häuslicher Gewalt sind nicht genügend Notunterkünfte vorhanden (UNHRCOM 1.12.2022; vgl. UNGA 11.10.2024). Organisationen, die sich mit der Betreuung, Beratung und dem Schutz von Opfern häuslicher Gewalt beschäftigen, werden vermehrt als „ausländische Agenten“ eingestuft (AA 2.8.2024) [zum Begriff „ausländischer Agent“ siehe NGOs und Menschenrechtsaktivisten].
Diskriminierung von Frauen und Mädchen ist weit verbreitet und beruht auf der Rhetorik traditioneller Familienwerte (EEAS 31.7.2023). Patriarchalische Einstellungen und diskriminierende Stereotypen bzw. Rollenbilder halten sich hartnäckig (UN-CEDAW 30.11.2021). Vom Staat werden traditionelle Geschlechterrollen propagiert (ÖB Moskau 1.7.2024). In leitenden Positionen in Politik und Wirtschaft sind Frauen unterrepräsentiert (BS 2024). Die Politik thematisiert selten wichtige Angelegenheiten, welche Frauen betreffen (FH 2024). Frauen haben gleichen Zugang zu Bildung wie Männer (BS 2024). Bei der Kreditvergabe und auf dem Arbeitsmarkt erfahren Frauen Diskriminierung (USDOS 22.4.2024). Gesetzlich ist Frauen die Ausübung von 100 Berufen, welche als gefährlich und anstrengend eingestuft werden, verwehrt. Davon betroffen sind beispielsweise die Arbeitsbereiche Bergbau, Brandschutz und Fabriksarbeiten (USDOS 22.4.2024; vgl. VOAMABFV RUSS 13.5.2021). Frauen werden im Durchschnitt schlechter bezahlt als Männer (ÖB Moskau 1.7.2024). Das Armutsrisiko für Frauen ist hoch, so im Falle Alleinerziehender (VORHSF RUSS 29.12.2022).
Frauen im Nordkaukasus/Tschetschenien
Die Lage von Frauen im Nordkaukasus unterscheidet sich von der in anderen Regionen Russlands (ÖB Moskau 1.7.2024). Nordkaukasische Frauen befinden sich in einer sehr schwierigen sozioökonomischen Situation (CoE-PACE 3.6.2022). Die Lage von Frauen im Nordkaukasus wird durch die Koexistenz dreier Rechtssysteme in der Region – russisches Recht, Gewohnheitsrecht (Adat) und Scharia – zusätzlich erschwert. Gerichtsentscheidungen werden häufig nicht umgesetzt, lokale Behörden richten sich mehr nach der „Tradition“ als nach den russischen Rechtsvorschriften (ÖB Moskau 1.7.2024). Die Menschen im Nordkaukasus leben in einer geschlossenen, patriarchalischen Gesellschaft. Die lokalen und föderalen Behörden tolerieren Unterdrückung zur Aufrechterhaltung traditioneller Werte. Frauen im Nordkaukasus, welche sich traditionellen Werten nicht unterwerfen wollen, riskieren Folter und Ermordung. Es herrscht Straflosigkeit (CoE-PACE 3.6.2022). Die in Tschetschenien vorherrschende Islam-Interpretation dient als Rechtfertigung für die strikt patriarchalische Machtstruktur (USCIRF 26.10.2021). Das tschetschenische Republiksoberhaupt Kadyrow billigt, beruhend auf seinen religiösen Ansichten, schwerwiegende Menschenrechtsverstöße gegen Frauen (USCIRF 4.2022). Frauen, welche mit den Wertvorstellungen ihrer Familie in Konflikt geraten, genießen in Tschetschenien keinen effektiven Rechtsschutz (AA 2.8.2024).
Häusliche Gewalt ist im Nordkaukasus weitverbreitet (ÖB Moskau 1.7.2024; vgl. UNGA 11.10.2024). Opfer häuslicher Gewalt haben Schwierigkeiten, Schutz durch Behörden zu erlangen. Gemäß Berichten werden Frauen, die sich gegen häusliche Gewalt verteidigen, als Straftäter angeklagt (USDOS 22.4.2024). Im Nordkaukasus sind Ehrenmorde verbreitet (KK 12.2.2020; vgl. UNHRC 13.9.2024) und werden selten gemeldet oder als Ehrenmorde anerkannt. Die örtliche Polizei, Ärzte und Rechtsanwälte arbeiten oft mit den betroffenen Familien zusammen, um die Verbrechen zu vertuschen (USDOS 22.4.2024). Opfer von Ehrenmorden sind Frauen, deren Verhalten von ihren Familienangehörigen als Schande für die Sippe empfunden wird. Ehrenmorde begehen Familienangehörige (KK 12.2.2020; vgl. UNHRC 13.9.2024), meistens der Vater oder Bruder (KK 12.2.2020). Kadyrow rechtfertigt Ehrenmorde an geschiedenen oder unverheirateten Frauen mit dem tschetschenischen Gewohnheitsrecht (USCIRF 26.10.2021). Es existieren traditionelle Gesetze im Nordkaukasus, welche Frauen das Alleinleben ohne einen Mann nicht gestatten (USDOS 22.4.2024). Im Nordkaukasus kommen Zwangsverheiratungen häufig vor (CoE-PACE 3.6.2022; vgl. Ad Rem 2024). Unter den Zwangsverheirateten befinden sich Kinder. In Teilen des Nordkaukasus sind Frauen und Mädchen Brautentführungen, Polygamie, Jungfrauentests vor der Ehe sowie der verpflichtenden Befolgung islamischer Kleidungsvorschriften ausgesetzt (USDOS 22.4.2024). Das Schließen einer Ehe mit dem Opfer stellt sich als ein Ausweg für Gewalttäter und Brautentführer dar (KK 29.12.2023). Frauen in Tschetschenien haben Kopftücher zu tragen und sich sittsam zu kleiden (USCIRF 26.10.2021). Im Nordkaukasus kommt es zu Fällen weiblicher Genitalverstümmelung, vor allem in Dagestan (UNHRC 13.9.2024), aber auch in Tschetschenien (ÖB Moskau 1.7.2024). Geschätzt handelt es sich um 1.240 Fälle jährlich (UNHRC 13.9.2024). Gesetzlich ist weibliche Genitalverstümmelung nicht ausdrücklich verboten (USDOS 22.4.2024) und wird von mehreren Kliniken in Inguschetien und Moskau öffentlich angeboten (UNGA 11.10.2024).
Kadyrow gab 2017 die Anweisung, traditionelle Familienwerte zu stärken. In Tschetschenien wurden im selben Jahr „Kommissionen zur Harmonisierung von Ehe- und Familienbeziehungen“ geschaffen. Diese sind in allen Regionen tätig (KK 14.2.2023). Die Kommissionen bestehen unter anderem aus Religionsvertretern, Repräsentanten gesellschaftlicher Organisationen sowie örtlicher Strukturen und Vertretern des Innenministeriums (KK 23.4.2023). Die Wiedervereinigung von Familien in Tschetschenien geschieht unter Druck (KK 10.2.2023). Kadyrow unterstützt die erzwungene Versöhnung bzw. Wiederverheiratung geschiedener Paare und spricht sich für Polygamie aus (FH 2024). In polygamen Beziehungen lebende Frauen sind rechtlich und wirtschaftlich unzureichend geschützt. Betreffend Erbschaftsangelegenheiten gelten diskriminierende religiöse und gewohnheitsrechtliche Vorschriften (UN-CEDAW 30.11.2021; vgl. Ad Rem 2024).
Die Flucht in andere Regionen kann zu einer gewaltsamen Rückführung oder in manchen Fällen zu Ehrenmorden führen. Eine Flucht ins Ausland ist für Tschetscheninnen beinahe unmöglich, da Frauen unter 30 Jahren in Tschetschenien Reisedokumente nur mit Zustimmung eines männlichen Familienangehörigen, welcher für ihre Rückkehr bürgt, beantragen können (CoE-PACE 3.6.2022).
Das dagestanische Webportal daptar.ru setzt sich für Frauenrechte im Kaukasus ein (CoE-PACE 3.6.2022). Einige zivilgesellschaftliche Initiativen bieten psychologische, rechtliche und medizinische Hilfe an: zum Beispiel „Sintem“ in Tschetschenien und „Mat i ditja“ („Mutter und Kind“) in Dagestan (ÖB Moskau 1.7.2024).
Bewegungsfreiheit und Meldewesen
Gemäß der Verfassung der Russischen Föderation haben alle Personen, welche sich rechtmäßig auf dem Territorium der Russischen Föderation aufhalten, das Recht auf Bewegungsfreiheit sowie Wahl des Aufenthalts- und Wohnorts. Alle Personen sind laut der Verfassung berechtigt, aus der Russischen Föderation auszureisen. Bürger der Russischen Föderation haben das Recht, ungehindert in die Russische Föderation zurückzukehren. Bürger der Russischen Föderation dürfen nicht aus der Russischen Föderation ausgewiesen und nicht an einen anderen Staat ausgeliefert werden (Verfassung RUSS 6.10.2022). Gemäß den gesetzlichen Bestimmungen sind Einschränkungen des Rechts auf Bewegungsfreiheit, Wahl des Wohn- und Aufenthaltsorts nur auf gesetzlicher Grundlage möglich. Dieses Recht kann unter anderem dann eingeschränkt werden, wenn in den betreffenden Regionen der Ausnahmezustand oder das Kriegsrecht herrscht. Entscheidungen in Bezug auf Bewegungsfreiheit, Wahl des Wohn- und Aufenthaltsortes können von den Bürgern gerichtlich angefochten werden (GRFBF RUSS 22.6.2024).
Gemäß dem Gesetz „Über den Ablauf der Aus- und Einreise in die Russische Föderation“ darf das Recht der Staatsbürger auf Ausreise aus der Russischen Föderation vorübergehend beschränkt werden. Von solchen Beschränkungen sind Personen betroffen, die zum Wehrdienst einberufen oder zum Wehrersatzdienst entsandt wurden (bis zur Beendigung des Wehrdiensts oder Wehrersatzdiensts); Personen, die einer Straftat verdächtigt werden oder unter Anklage stehen; Personen, die wegen Begehung einer Straftat verurteilt wurden (bis die Strafe verbüßt oder eine Strafbefreiung eingetreten ist); Personen, die gegen gerichtlich auferlegte Verpflichtungen verstoßen; Mitarbeiter des Föderalen Sicherheitsdiensts (FSB); sowie Personen, die zahlungsunfähig bzw. insolvent sind (FGAE RUSS 8.8.2024). Gemäß den gesetzlichen Vorgaben dürfen im Militärregister aufscheinende Bürger ab Verkündung einer Mobilmachung ihren Wohnort nur mit behördlicher Erlaubnis verlassen (FGMB RUSS 23.3.2024). Die Regierung beschränkt Auslandsreisen ihrer Mitarbeiter, darunter Generalstaatsanwaltschaft, Innen- und Verteidigungsministerium usw. (USDOS 22.4.2024; vgl. Bell 7.4.2023). Die Grenz- und Zollkontrollen eigener Staatsangehöriger durch russische Behörden entsprechen in der Regel internationalem Standard (AA 2.8.2024). Im Zuge von Grenzkontrollen kommt es zu Befragungen Ausreisender durch Grenzkontrollorgane (ÖB Moskau 4.4.2022). Es liegen Hinweise vor, dass die Sicherheitsdienste einige Personen bei Ein- und Ausreisen überwachen (AA 2.8.2024).
Auf Grundlage eines EU-Ratsbeschlusses ist seit 12.9.2022 das Visaerleichterungsabkommen zwischen der EU und Russland vollständig ausgesetzt. Dies bedeutet nun unter anderem höhere Gebühren für einen Visumsantrag, Vorlage zusätzlicher Dokumente und längere Bearbeitungszeiten für Visa (Rat der EU 13.11.2024). Auch die USA verhängten Visabeschränkungen für mehrere Hundert russische Amtsträger, darunter Mitglieder des Föderationsrats und des russischen Militärs (USDOS 2.8.2022). Weitere Länder, darunter die baltischen Staaten und Tschechien, haben die Visavergabe an russische Staatsbürger eingeschränkt (DW 22.8.2022).
Meldewesen
Die Bürger der Russischen Föderation sind verpflichtet, ihren Aufenthalts- und Wohnort innerhalb des Landes registrieren zu lassen. Die Registrierung ist kostenlos (GRFBF RUSS 22.6.2024). Die örtlichen Stellen des Innenministeriums sind die Meldebehörden (GRFBF RUSS 22.6.2024; vgl. AA 2.8.2024). Voraussetzung für eine Registrierung ist die Vorlage des Inlandspasses. Wer über Immobilienbesitz verfügt, bleibt dort ständig registriert, mit Eintragung im Inlandspass. Mieter benötigen eine Bescheinigung ihres Vermieters und werden damit vorläufig ohne Eintragung im Inlandspass registriert (AA 2.8.2024). Das staatliche Melderegister der Russischen Föderation ist nicht öffentlich zugänglich. Informationen werden natürlichen und nicht staatlichen juristischen Personen auf deren Anfrage nur bei Vorhandensein der Zustimmung derjenigen Person, deren Daten angefragt werden, erteilt; staatlichen Organen, soweit dies zur Erfüllung ihrer gesetzlichen Aufgaben erforderlich ist (ÖB Moskau 1.2.2023).
Die Registrierung des Aufenthaltsortes hat binnen 90 Tagen nach Wohnungsnahme zu erfolgen. Von der Registrierung des Aufenthaltsortes bleibt die Wohnsitzregistrierung unberührt. Aufenthalte bis zu einer Dauer von 90 Tagen bedürfen keiner Registrierung. Beispiele für Aufenthaltsorte sind Hotels, Sanatorien, Campingplätze, medizinische Einrichtungen, Haftanstalten usw. (GRFBF RUSS 22.6.2024). Die Aufenthaltsregistrierung (temporäre Registrierung) wird durch eine Bescheinigung in elektronischer oder in Papierform bestätigt (Gosuslugi o.D.b). Temporär registrierte Personen haben Zugang zu medizinischer Notfallversorgung (ÖB Moskau 1.7.2024).
Bürger, welche ihren Wohnort wechseln, haben binnen sieben Tagen nach Wohnungsnahme die Registrierung zu veranlassen. Dabei ist unter anderem ein Pass oder ein anderes Identitätsdokument vorzulegen. Anträge können auch elektronisch eingebracht werden, beispielsweise über das Portal Gosuslugi. Die Meldebehörde hat spätestens drei Tage nach Antragstellung die Registrierung vorzunehmen (GRFBF RUSS 22.6.2024). Die Wohnsitzregistrierung (Propiska) wird im Pass durch einen Stempel vermerkt. Kinder bis zu einem Alter von 14 Jahren erhalten eine Registrierungsbescheinigung (Gosuslugi o.D.c). Eine permanente Registrierung ist Voraussetzung für stationäre medizinische Versorgung, Sozialhilfe, Arbeitslosengeld und Pensionszahlungen (ÖB Moskau 1.7.2024).
Kaukasus
Personen aus dem Nordkaukasus können grundsätzlich in andere Teile Russlands reisen (AA 2.8.2024). Einige regionale Behörden schränken die Wohnsitzregistrierung bei ethnischen Minderheiten und Migranten aus dem Kaukasus und Zentralasien ein (FH 2024).
Tschetschenen innerhalb und außerhalb der Russischen Föderation
Die Bevölkerungszahl Tschetscheniens beträgt gemäß offiziellen Zahlen in etwa 1,5 Millionen (Föderationsrat o.D.d). Die Furcht vor dem Erhalt eines Einberufungsbefehls fördert Migrationstendenzen junger Männer. Seit Beginn des Ukraine-Kriegs ist die Anzahl derjenigen Personen, welche Tschetschenien verlassen haben, beträchtlich gestiegen (DIS 9.12.2022; vgl. KR 15.2.2023). Die Bewegungsfreiheit der Tschetschenen wird verstärkt kontrolliert (SOS-NK 8.6.2023). Einwohner Tschetscheniens treffen auf Probleme beim Erhalt von Reisepässen (KR 19.7.2023; vgl. VQ RUSS2 23.1.2024). Gemäß Angaben von Menschenrechtsverteidigern begann die örtliche Bevölkerung, „massenhaft“ Anträge auf Reisepässe zu stellen, und mehrere der Antragsteller wurden angeblich entführt (KR 11.12.2023). Es wurde damit begonnen, Personen zu Militärübungen einzuberufen, die kürzlich einen Antrag auf einen Reisepass gestellt oder versucht hatten, ihre Meldeanschrift zu ändern (KR 11.10.2023). Wollen Männer im wehrpflichtigen Alter einen Reisepass erhalten, müssen sie mittlerweile über einen Bürgen verfügen und seit Kriegsbeginn außerdem eine Bescheinigung des Militärkommissariats vorlegen. Die Ausstellung einer solchen Bescheinigung zieht sich ohne Angabe von Gründen häufig in die Länge (KR 11.12.2023). Jedoch ist es gemäß Angaben einer vertraulichen Quelle möglich, diese Hürden durch Bestechung zu umgehen (VQ RUSS2 23.1.2024). In Tschetschenien wurden Listen aller ins Ausland ausgereisten Männer erstellt (KR 11.12.2023). Das tschetschenische Republiksoberhaupt hat damit gedroht, Ausgereisten eine spätere Rückkehr nach Tschetschenien zu verbieten (KR 19.2.2023).
Es gibt eine große tschetschenische Diaspora in allen russischen Großstädten. 200.000 Tschetschenen sollen allein in Moskau leben (AA 2.8.2024). Die tschetschenische Diaspora in Europa zählt nach verschiedenen Einschätzungen zwischen 150.000 und 300.000 Personen. Eine der größten tschetschenischen Gemeinschaften Europas befindet sich in Frankreich, wo um die 60.000 Tschetschenen leben. In Deutschland, Österreich und Belgien leben nach offiziellen Angaben jeweils zwischen 30.000 und 45.000 Tschetschenen (KK 16.5.2023a).
Die „Ständige Vertretung Tschetscheniens beim russischen Präsidenten“ vertritt laut Eigendarstellung die Interessen Tschetscheniens in den Bereichen Politik, Wirtschaft, Wissenschaft, Technik, Kultur und humanitäre Zusammenarbeit. Außerdem pflegt die Ständige Vertretung Kontakte mit Organisationen der tschetschenischen Diaspora und schützt deren soziale Rechte (SVTRPRF o.D.b). Um Belange der tschetschenischen Diaspora kümmern sich beispielsweise folgende Organisationen: der Wiener Rat der Tschetschenen und Inguschen (Zeit Online 29.4.2022), der Weltkongress des tschetschenischen Volks (PARLRT RUSS o.D.) und die Versammlung der Tschetschenen Europas (VTEUR o.D.). Generalsekretär des Weltkongresses des tschetschenischen Volks ist das tschetschenische Republiksoberhaupt Ramsan Kadyrow (PARLRT RUSS o.D.).
Grundversorgung und Wirtschaft
Wirtschaft
Die EU hat wirtschaftliche Sanktionen gegen Russland verhängt, um die wirtschaftliche Basis des Landes zu schwächen, Russland den Zugang zu kritischen Technologien und Märkten zu versperren und seine Fähigkeit zur Kriegsführung einzuschränken (Rat der EU 15.5.2025). Der Zugang Russlands zu den Kapital- und Finanzmärkten/Dienstleistungen der EU wurde beschränkt. Für alle russischen Flugzeuge ist der Luftraum der EU geschlossen. Ebenso sind EU-Häfen für alle russischen Schiffe geschlossen. Transaktionen mit der russischen Zentralbank sind verboten. Mehrere russische Banken wurden aus dem SWIFT-System ausgeschlossen. Neue Investitionen in den russischen Energiesektor wurden verboten. Es gilt ein Einfuhrverbot für Eisen und Stahl aus Russland in die EU sowie ein Einfuhrverbot für Kohle, Holz, Zement, Gold, Rohöl, raffinierte Erdölerzeugnisse, Zellstoff und Papier, Kunststoffe, Kosmetika usw. Zudem dürfen in Bereichen wie IT- und Rechtsberatung für Russland keine Dienstleistungen mehr erbracht werden (Rat der EU 24.2.2025). Sanktionen gegen Russland haben außerdem beispielsweise die USA, Kanada, das Vereinigte Königreich, Japan und die Schweiz verhängt. Der Sanktionsdruck ist in Russland in allen Branchen spürbar (WKO 4.2025). Die Isolation Russlands zwingt verstärkt zu einer Eigenproduktion kritischer Waren, darunter Medikamente, Anlagen und Computertechnik (WKO 4.2024). Aufgrund der Emigration verliert Russland qualifizierte Arbeitskräfte (EBRD 21.11.2023) [sogenannter Braindrain; Anm. der Staatendokumentation]. Es herrscht ein akuter Arbeitskräftemangel (SWP/Kluge 26.11.2024; vgl. Russland-Analysen/Yakovlev 27.2.2025, Jelzin Zentr 27.11.2024), ausgelöst durch mehrere Faktoren, wie beispielsweise die jahrzehntelangen demografischen Probleme, Emigration von schätzungsweise bis zu 900.000 russischen Bürgern seit 2022, sinkende Arbeitsmigrantenströme, Bedarf an Arbeitskräften in der russischen Rüstungsindustrie und Russlands wachsenden Bedarf an Soldaten für das Militär (ISW 19.2.2025). Eine Einschätzung der wirtschaftlichen Situation in Russland gestaltet sich schwierig, da der öffentliche Zugang zu Wirtschaftsstatistiken eingeschränkt wurde (FH 2025).
Der Index zur Messung der wirtschaftlichen Freiheit (Index of Economic Freedom) stuft die russische Wirtschaft als vorwiegend unfrei ein (HF 2.2025). Die Industrie wurde teilweise auf Kriegswirtschaft umgestellt (WKO 4.2024). Hohe Anstiege in der Rüstungsindustrie stehen Rückgängen in der zivilen Industrie gegenüber (WKO 4.2025). 2024 ist das Bruttoinlandsprodukt (BIP) um 4,3 % gewachsen. Es kam zu einer Überhitzung der Wirtschaft (WIIW o.D.). Laut behördlichen Angaben ist im 1. Quartal 2025 das BIP, verglichen mit dem Vorjahr, um 1,7 % gestiegen (RBK 1.5.2025). Das Wirtschaftswachstum verlangsamt sich (Jelzin Zentr 27.11.2024). Die Inflation betrug im März 2025 nach offiziellen Angaben 10,3 % (ZB RUSS o.D.). Es herrscht eine Geldwertinstabilität, und der Staat übt einen beträchtlichen Einfluss auf Preise aus (HF 2.2025). Die erhöhten Preise für Importwaren und die gesteigerte Inlandsnachfrage halten den Inflationsdruck hoch. Die Zentralbank hat den Leitzins im Oktober 2024 auf 21 % angehoben, was den Rubelkurs stabilisiert hat. Die hohen Zinsen bremsen merklich den Konsum und Investitionen im Privatsektor (WKO 4.2025). Die öffentliche Verschuldung betrug im Jahr 2024 14,4 % des Bruttoinlandsprodukts (WIIW o.D.). Die Staatsausgaben erhöhen sich durch die Kriegsproduktion (WKO 4.2025). Der Privatsektor wird durch extensive staatliche Einmischung (HF 2.2025) sowie durch unzureichenden Schutz von Eigentumsrechten gehemmt (BS 2024).
Innerhalb der letzten beiden Jahrzehnte ist Russland vom Importeur zum größten Weizenexporteur der Welt aufgestiegen (ZOiS/Götz 9.3.2023; vgl. Statista 2.1.2024). Die russische Wirtschaft ist wenig diversifiziert und von Rohstoffexporten stark abhängig (EBRD 21.11.2023). Russland gehört historisch zu den größten Erdölproduzenten weltweit. Öl- und Gasexporte machen traditionell mehr als zwei Drittel der russischen Ausfuhren aus (WKO 4.2024). Der Handel mit sogenannten "freundlichen" Staaten wie China und Indien wurde verstärkt (WKO 4.2025). Eine starke Abhängigkeit von China hat sich entwickelt (Russland-Analysen/Yakovlev 27.2.2025). Die sozioökonomische Entwicklung wird durch die weitverbreitete Korruption und die ausgedehnte Schattenwirtschaft behindert (BS 2024).
Grundversorgung
Ein beträchtlicher Teil der Bevölkerung ist armutsgefährdet (BS 2024). Im Jahr 2024 betrug nach offiziellen Angaben der Anteil der russischen Bevölkerung mit Einkommen unter der Armutsgrenze 7,2 % (10,5 Millionen Personen) (Rosstat o.D.b). Das Armutsausmaß in Russland ist regional unterschiedlich (RIA Nowosti 1.7.2024). Gemäß einer von staatlicher Seite durchgeführten Bewertung stellt sich die sozioökonomische Lage in Moskau und St. Petersburg als zufriedenstellend dar, im Gegensatz beispielsweise zur nordkaukasischen Region Inguschetien (Prawda RUSS 23.12.2024; vgl. RIA Rating 23.12.2024). Spezielle Regierungsprogramme, die sich dem Kampf gegen Armut im ländlichen Raum widmen, sind aufgrund der sich darstellenden massiven Probleme begrenzt erfolgreich. Es herrscht eine beträchtliche Ungleichheit im Land (BS 2024). Für viele Menschen steigen die Lebenshaltungskosten (AI 29.4.2025).
Gemäß der Weltbank hatten im Jahr 2022 76 % der Bevölkerung Russlands Zugang zu sicher verwalteten Trinkwasserdiensten (WB 2022a). Nach staatlichen Angaben werden 88,6 % der Bevölkerung des Landes mit hochwertigem Trinkwasser versorgt. Der dementsprechende Anteil für die Stadtbevölkerung beträgt 94,9 % (NPRU 2024). Gemäß dem Welthunger-Index 2024 belegt die Russische Föderation einen der ersten 22 Plätze von insgesamt 127 Ländern. Mit einem Wert von unter 5 fällt die Russische Föderation in die Schweregradkategorie niedrig. Weniger als 2,5 % der Bevölkerung sind laut dem Welthunger-Index unterernährt (GHI 10.10.2024). Laut der Weltbank hatten im Jahr 2022 89 % der Bevölkerung Russlands Zugang zu einer (zumindest) Basisversorgung im Sanitärbereich (WB 2022b). Ausreichender Wohnraum vor allem für Familien bleibt ein Dauerthema (AA 2.8.2024). Mietkosten variieren je nach Region. Durchschnittliche monatliche Nebenkosten liegen derzeit bei RUB 4.000 [ca. EUR 45] (IOM 8.2024). Russlands öffentliche Heizinfrastruktur ist zunehmend marode. Mangelhaft gewartete Heizkraftwerke fallen regelmäßig aus (Standard 19.1.2024).
Russische Staatsbürger haben überall im Land Zugang zum Arbeitsmarkt (IOM 8.2024). Der monatliche Durchschnittslohn lag im Februar 2025 bei ca. RUB 89.646 [ca. EUR 1.002] (KonsPljus o.D.). Die Realeinkommen stiegen 2024 um 7,3 % (WKO 4.2025). Die Verfassung garantiert einen Mindestlohn, welcher das Existenzminimum nicht unterschreiten darf (Verfassung RUSS 6.10.2022). Die Höhe des Mindestlohns wird durch ein föderales Gesetz jährlich angepasst und beträgt für das Jahr 2025 monatlich RUB 22.440 [ca. EUR 251] (FGML RUSS 29.10.2024). Der Mindestlohn kann in jeder Region durch regionale Abkommen individuell festgelegt werden. Jedoch darf die Höhe des regionalen Mindestlohns nicht niedriger als der national festgelegte Mindestlohn sein (ARBGB RUSS 8.8.2024). Im Jahr 2025 beträgt die Höhe des monatlichen Existenzminimums für die erwerbsfähige Bevölkerung RUB 19.329 [ca. EUR 216], für Kinder RUB 17.201 [ca. EUR 192] und für Pensionisten RUB 15.250 [ca. EUR 170] (BRHEM 2025 RUSS 12.6.2024). Die primäre Versorgungsquelle der russischen Bevölkerung bleibt ihr Einkommen (AA 2.8.2024). Weitverbreitet ist die Praxis, Löhne gar nicht oder verspätet auszuzahlen (USDOS 22.4.2024). Die Arbeitslosigkeit hat einen historischen Tiefststand erreicht (SWP/Kluge 26.11.2024). Nach staatlichen Angaben betrug die Arbeitslosenrate im Februar 2025 2,4 % (Rosstat o.D.c). Die Arbeitslosenquote kann von Region zu Region stark variieren (IOM 8.2024).
[Anm. der Staatendokumentation: Im Rahmen der Teilaktualisierung im Mai 2025 erfolgte die Währungsumrechnung mit folgendem Kurs: 1 RUB = 0,011178372 EUR (Stand 13.5.2025; https://www.xe.com/).]
Nordkaukasus
Die sozioökonomischen Unterschiede zwischen russischen Regionen sind beträchtlich. Die ländliche Peripherie, vor allem der Nordkaukasus, ist von großen Entwicklungsproblemen betroffen (BS 2024). Aufgrund des Ukraine-Kriegs verschlechtert sich die sozioökonomische Lage im Nordkaukasus (KR 4.5.2024). Dieser weist eine hohe Armutsrate (KR 19.5.2023) und eine hohe Arbeitslosigkeit auf (KR 6.10.2024; vgl. ÖB Moskau 1.7.2024). Das Einkommensniveau im Nordkaukasus ist sehr niedrig (KR 8.12.2023), die Höhe der Pensionen liegt unter dem Landesdurchschnitt (KR 8.2.2024). Der Nordkaukasus ist von einem hohen Niveau informeller Beschäftigung gekennzeichnet (KK 29.3.2023; vgl. BS 2024). Tschetschenien, Dagestan und andere nordkaukasische Gebiete gehören zu denjenigen Regionen Russlands, wo der Mittelschichtanteil unter der Bevölkerung am geringsten ist (Statista 7.2023). Mehrere ländliche Gegenden im Nordkaukasus haben begrenzten oder keinen Zugang zu Wasser, Stromversorgung und Sanitäreinrichtungen (BS 2024). Wirtschaftlich sind für die Region föderale Transferzahlungen wichtig (ÖB Moskau 1.7.2024).
Tschetschenien
Tschetschenien ist von großer Armut und Arbeitslosigkeit betroffen (Borgen Project 3.9.2021; vgl. AA 2.8.2024, KR 8.12.2023). Nach offiziellen Angaben betrug die Arbeitslosenrate Ende 2023 10,4 % (KR 4.3.2024). Im Jahr 2024 lebten gemäß offiziellen Angaben 15,2 % der Bevölkerung in Tschetschenien unter der Armutsgrenze (Rosstat 30.4.2025). Dank Zuschüssen aus dem russischen föderalen Budget haben sich die materiellen Lebensumstände für die Mehrheit der tschetschenischen Bevölkerung seit dem Ende des Tschetschenienkrieges deutlich verbessert (AA 2.8.2024). Tschetschenien ist von Moskau finanziell abhängig (ORF 30.3.2022) und wird in beträchtlichem Umfang subventioniert (KR 8.12.2023). Die Einkommensschere klafft weit auseinander (KK 10.5.2023). Im Jahr 2025 beträgt die Höhe des Existenzminimums für die erwerbsfähige Bevölkerung in Tschetschenien RUB 18.556 [ca. EUR 207], für Kinder RUB 16.513 [ca. EUR 185] und für Pensionisten RUB 14.641 [ca. EUR 164] (BRHEM TSNE 2025 RUSS 19.8.2024). Die Anzahl der Einwohner, deren Einkommen unter dem Existenzminimum liegt, beträgt nach offiziellen Angaben 17,4 % (KK 3.5.2024a). Pensionen sind sehr niedrig (KR 8.12.2023).
Dagestan
Dagestan zählt zu den von Armut betroffenen Regionen in Russland (Standard 21.5.2022). Im Jahr 2024 lebten gemäß offiziellen Angaben 11,8 % der Bevölkerung in Dagestan unter der Armutsgrenze (Rosstat 30.4.2025). Nach offiziellen Angaben betrug die Arbeitslosenrate Ende 2023 12,5 % (KR 4.3.2024). Die Einkommensschere klafft weit auseinander (KK 10.5.2023). Im Jahr 2025 beträgt die Höhe des Existenzminimums für die erwerbsfähige Bevölkerung in Dagestan RUB 17.589 [ca. EUR 197], für Kinder RUB 15.653 [ca. EUR 175] und für Pensionisten RUB 13.878 [ca. EUR 155] (BRHEM DAG 2025 RUSS 1.8.2024). Der Anteil der Einwohner, deren Einkommen unter dem Existenzminimum liegt, beträgt nach offiziellen Angaben 12,8 % (KK 3.5.2024a). In Machatschkala, der Hauptstadt Dagestans, und in anderen Städten Dagestans besteht seit vielen Jahren ein Problem mit der Wasserversorgung (KK 3.5.2024b). Die Trinkwasserqualität ist niedrig (KR 15.4.2023; vgl. KK 3.5.2024b). Dagestan wird in beträchtlichem Maße subventioniert (KR 8.12.2023).
Sozialbeihilfen
Die Verfassung definiert die Russische Föderation als Sozialstaat und garantiert Bürgern soziale Unterstützung sowie eine obligatorische Sozialversicherung (Verfassung RUSS 6.10.2022). Die Russische Föderation hat ein reguläres Sozialversicherungs-, Wohlfahrts- und Pensionssystem, welches bedürftigen Personen Hilfe anbietet. Zum Kreis schutzbedürftiger Personen zählen Familien mit mehr als drei Kindern, Menschen mit Beeinträchtigungen sowie ältere Personen (IOM 8.2024). Der Staat bietet verschiedene Sozialleistungen an, wovon unter anderem folgende Personengruppen profitieren: Veteranen, Waisenkinder, ältere Personen, Alleinerziehende, Erwerbslose, Landbewohner (AÜSU o.D.), Menschen mit Behinderungen, Familien, Pensionisten (SFR o.D.a), Bewohner des hohen Nordens sowie Familienangehörige Militärbediensteter und von infolge der Ausübung ihrer Dienstpflichten verstorbenen Bediensteten des Innenressorts (Regierung RUSS o.D.a). Das föderale Pensionsversorgungsgesetz zählt folgende staatliche Pensionsleistungen auf: Pensionen für langjährige Dienste; Alters-; Invaliditäts-; Hinterbliebenen- und Sozialpensionen (FGSP RUSS 28.2.2025). Gemäß dem russischen Sozialfonds erhalten alle Pensionisten, welche keiner Arbeit nachgehen, und deren finanzielle Mittel unter dem Existenzminimum für Pensionisten liegen, einen Sozialzuschlag zur Pension. Dadurch erfolgt eine Anhebung bis zur Höhe des Existenzminimums (SFR o.D.b).
Mit 1.1.2023 wurden der Pensions- und der Sozialversicherungsfonds zum neu geschaffenen „Fonds für Pensions- und Sozialversicherung der Russischen Föderation“ (kurz „Sozialfonds“) verschmolzen (SFR o.D.c). Zu den Aufgaben des neu geschaffenen Sozialfonds gehört die Auszahlung von Pensionen und staatlichen finanziellen Hilfen. In den einzelnen Subjekten der Russischen Föderation gibt es territoriale Abteilungen des Sozialfonds (SFR 31.3.2025a).
Medizinische Versorgung
Die Verfassung der Russischen Föderation garantiert russischen Staatsbürgern das Recht auf kostenlose medizinische Versorgung in öffentlichen Gesundheitseinrichtungen (Verfassung RUSS 6.10.2022). Eine gesetzliche Grundlage stellt das föderale Gesetz „Über die Grundlagen des Gesundheitsschutzes der Bürger in der Russischen Föderation“ dar (FGGS RUSS 26.9.2024). Es existiert eine durch präsidentiellen Erlass festgelegte Strategie der Entwicklung des Gesundheitswesens in der Russischen Föderation für den Zeitraum bis 2025 (EPSEGW 2025 RUSS 27.3.2023).
Das Basisprogramm der obligatorischen Krankenversicherung gewährleistet die kostenlose medizinische Versorgung für Bürger in allen Regionen Russlands. Das entsprechende Territorialprogramm umfasst Programme auf der Ebene der Subjekte der Russischen Föderation (FGOKV RUSS 29.10.2024). Der föderale Fonds der obligatorischen Krankenversicherung ist für die Umsetzung der staatlichen Politik zuständig (Regierung RUSS o.D.b). Es besteht die Möglichkeit einer freiwilligen Krankenversicherung, welche eine medizinische Versorgung auf höherem Niveau erlaubt (Sber-Vers o.D.). Für die zahlungspflichtigen Angebote öffentlicher und privater Kliniken gibt es Preislisten auf den jeweiligen Webseiten, so zum Beispiel die Poliklinik in Grosnyj/Tschetschenien: https://b6-grozny.ru/tarify-na-platnye-mediczinskie-uslugi/ (IOM 8.2024). Für Leistungen privater Krankenhäuser müssen die Kosten selbst getragen werden. Die Versorgung mit Medikamenten ist grundsätzlich bei stationärer Behandlung sowie Notfallbehandlungen kostenlos (ÖB Moskau 1.7.2024). Bestimmte Patientengruppen erhalten kostenlose oder preisreduzierte Medikamente. Befreit von Medikamentengebühren sind Kinder bis zu einem Alter von drei Jahren; Menschen mit Behinderungen; Veteranen; Patienten mit spezifischen Erkrankungen wie HIV/Aids, onkologischen Erkrankungen, Diabetes, psychiatrischen Erkrankungen usw. Die Verfügbarkeit von Medikamenten schwankt. Die Beschaffung und Verteilung medizinischer Vorräte ist unzuverlässig, was zu Medikamentenknappheit und starken Preisschwankungen führt. Ursachen dafür sind unter anderem politische Sanktionen, welche Importe begrenzen, und der damit verbundene Umstieg auf einheimische Arzneimittel (EUAA MedCOI 9.2022). Die vom Staat vorgegebenen Wartezeiten auf eine Behandlung werden an vielen Orten um das Mehrfache überschritten und können mehrere Monate betragen (AA 2.8.2024). Mitunter gibt es Probleme bei der Diagnose und Behandlung von Patienten mit besonders seltenen Krankheiten, da meist die finanziellen Mittel für die teuren Medikamente und Behandlungen in den Regionen nicht ausreichen (ÖB Moskau 1.7.2024).
Viele Leistungen müssen von Patienten selbst bezahlt werden, obwohl die medizinische Versorgung für russische Staatsangehörige kostenfrei sein sollte (AA 2.8.2024). Patienten dürfen Beschwerden einreichen, wenn öffentliche medizinische Einrichtungen Gebühren für eigentlich kostenfreie Dienstleistungen einzuheben versuchen. Patientengebühren tragen zu steigender Ungleichheit bei. Zuzahlungen werden entweder von unversicherten Personen geleistet oder dienen dazu, die Leistungsdeckung der obligatorischen oder freiwilligen/privaten Krankenversicherung zu erhöhen. Beispiele für Zuzahlungen sind offizielle Zahlungen im öffentlichen oder privaten Sektor oder informelle Zahlungen im öffentlichen Sektor, um beispielsweise eine spezielle Behandlung zu erhalten. Personen mit höherem Einkommen sowie Bewohner wohlhabenderer Städte wie Moskau und St. Petersburg leisten höhere Zuzahlungen, vor allem betreffend stationäre Behandlungen. Allerdings steigt gemäß einer Quelle aus dem Jahr 2018 die Höhe der Zuzahlungen für ambulante Leistungen für ärmere Bevölkerungsschichten rascher an (EUAA MedCOI 9.2022). 27,22 % der Ausgaben im Gesundheitssektor entfielen im Jahr 2021 auf Zuzahlungen (WB 15.4.2024). Das Gesundheitssystem ist zentralisiert. Öffentliche Gesundheitsdienstleistungen gliedern sich in drei Ebenen: Die Primärversorgung umfasst allgemeine medizinische Leistungen, Notfallversorgung sowie einige spezielle Dienstleistungen. Die Sekundärversorgung beinhaltet eine größere Bandbreite spezieller medizinischer Leistungen, und die Tertiärversorgung bietet medizinische Leistungen auf Hightechniveau an. Wegen Personalmangels sind Mitarbeiter auf der Primärversorgungsebene oft überlastet. Es fehlt an Koordination zwischen den Ebenen der Primär- und Sekundärversorgung. Dem öffentlichen Gesundheitssystem mangelt es an finanziellen Mitteln, Patientenorientierung sowie an Personal, vor allem in ländlichen Gebieten. Das medizinische Personal weist Ausbildungsdefizite auf. Viele Bedienstete im medizinischen Bereich sind wenig motiviert, was teilweise auf niedrige Gehälter zurückzuführen ist. Hinsichtlich verfügbarer Ressourcen und Dienstleistungen herrschen beträchtliche regionale Unterschiede (EUAA MedCOI 9.2022). Der Staat hat viele Finanzierungspflichten auf die Regionen abgewälzt, die in manchen Fällen mit einem unzureichenden Budget ausgestattet sind (ÖB Moskau 1.7.2024). Die medizinische Versorgung ist außerhalb der Großstädte in vielen Regionen auf einfachem Niveau und in ländlichen Gebieten nicht überall ausreichend. Ein Drittel der Ortschaften in ländlichen Gebieten verfügt über keinen direkten Zugang zu medizinischer Versorgung. Der Weg zum nächsten Arzt kann in manchen Fällen bis zu 400 Kilometer betragen (AA 2.8.2024). Einrichtungen, die hochmoderne Diagnostik sowie Behandlungen anbieten, sind vorwiegend in den Großstädten Moskau und St. Petersburg zu finden (EUAA MedCOI 9.2022).
Zurückkehrende russische Staatsbürger haben einen Anspruch auf kostenlose Leistungen innerhalb der obligatorischen Krankenversicherung. Jede Person kann gegen Vorlage eines gültigen russischen Passes oder einer Geburtsurkunde (für Kinder bis/unter 14 Jahren) eine Krankenversicherungskarte im nächstgelegenen Versicherungsbüro des Wohnortes erhalten. Zudem ist ein gültiger Wohnsitznachweis erforderlich (IOM 8.2024). Personen ohne Dokumente haben das Recht auf eine kostenlose medizinische Notfallversorgung (EUAA MedCOI 9.2022).
Die folgende Webseite enthält eine Auflistung medizinischer Einrichtungen in der Russischen Föderation mitsamt Kontaktdetails: https://gogov.ru/clinics (IOM 12.2022). Es gibt in Russland mehrere Wohltätigkeitsfonds, die (in manchen Fällen mit staatlicher bzw. regionaler Unterstützung) durch Spendensammlung oder sonstige Maßnahmen medizinische Hilfe für schwer kranke Personen organisieren, wie etwa „Rusfond“ oder „Dom s majakom“ (ÖB Moskau 1.7.2024).
Rückkehr
Gemäß der russischen Verfassung (Verfassung RUSS 6.10.2022) und im Einklang mit gesetzlichen Vorgaben haben russische Staatsbürger das Recht auf ungehinderte Rückkehr in die Russische Föderation (FGAE RUSS 8.8.2024). Jedoch kommt es de facto beispielsweise im Zuge von Grenzkontrollen zu Befragungen Einreisender durch Grenzkontrollorgane (ÖB Moskau 8.5.2024). Es liegen Hinweise vor, dass die Sicherheitsdienste einige Personen bei Ein- und Ausreisen überwachen. Bei der Einreise werden die international üblichen Pass- und Zollkontrollen durchgeführt. Personen ohne reguläre Ausweisdokumente wird in aller Regel die Einreise verweigert. Russische Staatsangehörige können grundsätzlich nicht ohne Vorlage eines russischen Reisepasses, Inlandspasses (wie Personalausweis) oder anerkannten Passersatzdokuments nach Russland einreisen. Russische Staatsangehörige, die kein gültiges Personaldokument vorweisen können, müssen eine Verwaltungsstrafe zahlen, erhalten ein vorläufiges Personaldokument und müssen beim Meldeamt die Ausstellung eines neuen Inlandspasses beantragen (AA 2.8.2024). Die Rückübernahme russischer Staatsangehöriger aus Österreich nach Russland erfolgt in der Regel im Rahmen des Abkommens zwischen der Europäischen Union und der Russischen Föderation über die Rückübernahme (ÖB Moskau 1.7.2024; vgl. EGRÜ 17.5.2007). Bei der Rückübernahme eines russischen Staatsangehörigen, nach welchem in der Russischen Föderation eine Fahndung läuft, kann diese Person in Untersuchungshaft genommen werden (ÖB Moskau 1.7.2024).
Rückkehrende haben - wie alle anderen russischen Staatsbürger - Anspruch auf Teilhabe am Sozialversicherungs-, Wohlfahrts- und Pensionssystem, solange sie die jeweiligen Bedingungen erfüllen. Zurückkehrende russische Staatsbürger haben einen Anspruch auf kostenlose Leistungen innerhalb der obligatorischen Krankenversicherung. Jede Person kann gegen Vorlage eines gültigen russischen Passes oder einer Geburtsurkunde (für Kinder bis 14 Jahren) eine Krankenversicherungskarte im nächstgelegenen Versicherungsbüro des Wohnortes erhalten. Zudem ist ein gültiger Wohnsitznachweis erforderlich (IOM 8.2024). Die wirtschaftlichen und sozialen Herausforderungen betreffen weite Teile der russischen Bevölkerung und können nicht als spezifische Probleme von Rückkehrern bezeichnet werden. Besondere Herausforderungen ergeben sich für Frauen aus dem Nordkaukasus, vor allem für junge Mädchen, wenn diese in einem westlichen Umfeld aufgewachsen sind. Eine allgemeine Aussage über die Gefährdungslage von Rückkehrern in Bezug auf eine mögliche politische Verfolgung durch die russischen bzw. die nordkaukasischen Behörden kann nicht getroffen werden, da dies stark vom Einzelfall abhängt (ÖB Moskau 1.7.2024).
Im Kontext der massenhaften Ausreise russischer Staatsangehöriger anlässlich des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine kam es durch russische Offizielle und hochrangige Politiker wiederholt zur Androhung von Strafverfolgung bei Wiedereinreise (AA 2.8.2024). In der Praxis sind derartige Fälle einer Strafverfolgung nicht bekannt. Im Internet recherchierbare Fälle verknüpfen meistens eine weitere Handlung. Die medial bekannten Fälle betreffen Personen, welche aufgrund regierungskritischer Aktivitäten oder anderer spezifischer Handlungen (wie beispielsweise Fotografieren von Militäreinrichtungen) verurteilt wurden. Aktuell gibt es keine bekannten bzw. bestätigten Berichte darüber, dass russische Staatsangehörige alleine wegen ihrer Ausreise und anschließenden Rückkehr strafrechtlich verfolgt werden (VB Moskau 10.2.2025). Eine erhöhte Gefährdung kann sich nach einem Asylantrag im Ausland bei Rückkehr nach Tschetschenien für diejenigen Personen ergeben, welche bereits vor der Ausreise Probleme mit den Sicherheitskräften hatten (ÖB Moskau 1.7.2024). Militärregistrierungen von Rückkehrern müssen nicht zwingend nur am ursprünglichen Wohnort erfolgen, sondern können auch an anderen Orten durchgeführt werden (ÖB Moskau 11.2.2025). Sollte ein Einberufungsbefehl ergangen sein, ist diesem bei Rückkehr Folge zu leisten. Nach Rückkehr in die Russische Föderation werden, bei Vorliegen eines Einberufungsbefehls, russische Staatsangehörige aus Tschetschenien - wie auch andere Bürger - eingezogen und nach einer Ausbildung auch im Ukraine-Krieg eingesetzt. In Bezug auf Zwangsrekrutierungen von Tschetschenen können, aufgrund des willkürlichen Charakters von Zwangsrekrutierungen, keine Aussagen dazu getroffen werden, ob sich das Vorgehen analog jenem bei Einberufungsbefehlen gestaltet (ÖB Moskau 8.5.2024). Die Frage, ob in die Russische Föderation rückkehrende Tschetschenen automatisch nach Tschetschenien rückgeführt werden oder aber sie sich in anderen Landesteilen niederlassen können, beantwortet die Österreichische Botschaft Moskau folgendermaßen: „Entsprechend [der] Verfassungsbestimmung haben aus dem Ausland zurückkehrende wehrpflichtige Personen die verfassungsgesetzlichen Rechte, ungehindert in die RF zurückzukehren und sich in der RF frei zu bewegen und den Aufenthalts- und Wohnort frei zu wählen. [...] Die Botschaft konnte anhand der ihr zugänglichen Informationen nicht feststellen, ob es rezente Verletzungen der gesetzlichen Regelungen gab. Dies bedeutet jedoch nicht, dass es keine nennenswerten Vorfälle geben könnte.“ (ÖB Moskau 15.11.2024).
Dokumente
Die von den staatlichen Behörden ausgestellten Dokumente sind in der Regel echt und inhaltlich richtig. Dokumente russischer Staatsangehöriger aus den russischen Kaukasusrepubliken (insbesondere Reisedokumente) enthalten hingegen nicht selten unrichtige Angaben. Gründe hierfür liegen häufig in mittelbarer Falschbeurkundung und unterschiedlichen Schreibweisen von beispielsweise Namen oder Orten. In Russland ist es möglich, Personenstands- und andere Urkunden zu kaufen, wie beispielsweise Staatsangehörigkeitsausweise, Geburts- und Heiratsurkunden, Vorladungen, Haftbefehle und Gerichtsurteile. Es gibt Fälschungen, die auf Originalvordrucken professionell hergestellt werden und nur mit speziellen Untersuchungen erkennbar sind. Nach Angaben des deutschen Auswärtigen Amts hat die Anzahl der im Asylverfahren vorgelegten Vorladungen, Urteile und Beschlüsse, die sich als Fälschungen herausgestellt haben, in der letzten Zeit erheblich zugenommen (AA 2.8.2024).
Der Verbindungsbeamte und die Österreichische Botschaft können die Bedeutung von Reisepassnummern, welche sich auf die ausstellenden Behörden beziehen, nicht nachvollziehen (VB Moskau 4.3.2021). [Ebenso ist die Staatendokumentation dazu nicht in der Lage; Anm. der Staatendokumentation]
Tschetschenien
Die Verwaltungsstrukturen in Tschetschenien sind größtenteils wiederaufgebaut, sodass die Echtheit von Dokumenten aus Tschetschenien grundsätzlich überprüft werden kann. Probleme ergeben sich allerdings dadurch, dass bei den kriegerischen Auseinandersetzungen viele Archive zerstört worden sind (AA 2.8.2024).
Anhang: Reservisten: Definition / Kategorisierung / Altersgrenzen
Gemäß dem föderalen Gesetz zur Wehrpflicht und zum Wehrdienst gibt es in Russland zwei Formen der Reserve: die Mobilisierungspersonalreserve (mobilisazionnyj ljudskoj reserw) und die Mobilisierungspersonalressource (mobilisazionnyj ljudskoj resurs). Die Mobilisierungspersonalressource umfasst alle Staatsbürger, welche Teil der Reserve (sapas) sind. Diese können sich auf freiwilliger Basis vertraglich verpflichten, Teil der Mobilisierungspersonalreserve zu werden (FGWW RUSS 2.10.2024). Angehörige der Mobilisierungspersonalreserve sind nicht nur aufgrund eines Mobilmachungsbefehls, sondern auch aufgrund einer Vorladung oder sonstigen Anordnung der Militärkommissariate verpflichtet, sich bei diesen zu melden, um Aufgaben wahrzunehmen. Auf Angehörige der Mobilisierungspersonalreserve kann jederzeit zurückgegriffen werden, auf Angehörige der Mobilisierungspersonalressource jedoch nur in Kriegs- oder Mobilisierungszeiten (ÖB Moskau 13.11.2024). Das föderale Gesetz zur Wehrpflicht und zum Wehrdienst listet auf, welche Bürger der Reserve (sapas) angehören, nämlich (FGWW RUSS 2.10.2024):
Bürger, die aus dem Militärdienst entlassen und der Reserve (sapas) zugeordnet wurden;
Bürger, die eine militärische Ausbildung an einer höheren Bildungseinrichtung erfolgreich absolviert (Ausbildung zum Unteroffizier (serschant), Maat (starschina), Soldat und Matrosen) und die eine höhere Ausbildung an einer föderalen staatlichen Bildungseinrichtung abgeschlossen haben;
Bürger, die eine militärische Ausbildung an einer höheren Bildungseinrichtung erfolgreich absolviert haben (Ausbildung zum Unteroffizier (serschant), Maat (starschina), Soldat und Matrosen);
Bürger, die den Militärdienst nicht absolviert haben – in Verbindung mit einer Befreiung von der Einberufung zum Militärdienst;
Bürger, die den Militärdienst nicht absolviert haben – in Verbindung mit der Gewährung eines Militärdienstaufschubs oder in Verbindung mit der Aufhebung der Entscheidung der Einberufungskommission durch eine regionale Einberufungskommission höherer Instanz, nachdem die betreffende Person ein Alter von 30 Jahren erreicht hat;
Bürger, die zum Militärdienst nicht einberufen wurden, nachdem sie ein Alter von 30 Jahren erreicht haben;
Bürger, die den Militärdienst nicht absolviert haben (und dies ohne eine gesetzliche Grundlage), im Einklang mit einer Entscheidung der Einberufungskommission, nachdem die betreffende Person ein Alter von 30 Jahren erreicht hat;
Bürger, die den Wehrersatzdienst (Zivildienst) absolviert haben;
Bürgerinnen, die einen militärrelevanten Beruf haben.
Militärische Ränge / Altersgrenzen je nach Reservekategorie (sapas)
Quelle : FGWW RUSS 2.10.2024
Zur Reserve zählende Frauen gehören der Kategorie 3 an. Für weibliche Offiziere gilt eine Altersgrenze von 50 Jahren, für alle anderen militärischen Ränge gilt in Bezug auf weibliche Militärbedienstete eine Altersgrenze von 45 Jahren (FGWW RUSS 2.10.2024).
Für Staatsbürger, welche Teil der sogenannten reserw sind, gelten je nach Dienstgrad bzw. militärischem Rang folgende Altersgrenzen (FGWW RUSS 2.10.2024):
höherer Offizier: 70 Jahre
Stabsoffizier (starschij ofizer): 65 Jahre
Nachwuchsoffizier (mladschij ofizer): 60 Jahre
andere Dienstgrade: 55 Jahre
Wer die Altersgrenze erreicht, scheidet aus der Reserve aus und wird aus dem Militärregister entfernt (FGWW RUSS 2.10.2024).
2. Beweiswürdigung:
Beweis wurde erhoben durch Einsicht in die Verwaltungsakten des Vorverfahrens insbesondere XXXX (Statusaberkennungsverfahren) vom 23.11.2022, des Verwaltungsaktes der belangten Behörde (Erstbefragung durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes vom 27.03.2024 (BF1) und vom 01.08.2024 (BF2), Einvernahme durch das Bundesamt vom 16.07.2024 und 10.01.2025 (BF1) sowie vom 29.01.2025 (BF2), der angefochtene Bescheid jeweils vom 01.04.2025, Beschwerdeschriftsatz vom 28./29.04.2025) sowie durch Sichtung der im Laufe des Verfahrens in Vorlage gebrachten bzw. vom Bundesverwaltungsgericht eingeholten Beweismittel.
2.1. Zu den Feststellungen zur Person der BF und zum rechtskräftigen Vorverfahren:
2.1.1. Die Feststellungen zur Staatsangehörigkeit, Volksgruppenzugehörigkeit sowie Religionszugehörigkeit der BF gründen auf den diesbezüglich schlüssigen und im Wesentlichen gleichbleibenden sowie unbedenklichen Angaben der BF im gesamten Verfahren, die mit den Feststellungen bereits im vorangegangenen Asylverfahren in Einklang stehen (Seite 1-2 des jeweiligen EB-Protokolls; Seite 4 des EV-Protokolls 2 (BF1); Seite 3-4 des EV-Protokolls (BF2); Seite 5 und 19 des VH-Protokolls; Seite 6 des Erkenntnisses vom 23.11.2022).
Die Feststellungen zu den Sprachkenntnissen der BF, stehen zudem aufgrund der aktuellen Aussagen der BF in der mündlichen Verhandlung und der Tatsache, dass alle Befragungen und Einvernahmen in der Sprache Russisch durchgeführt wurden, fest und basiert auf dem Umstand, dass sich die BF bereits seit 2004 bis 2011 im Bundesgebiet aufhielt (Seite 3 des VH-Protokolls). Wie im vorangegangenen rechtskräftigen Statusaberkennungsverfahren festgestellt wurde, hat sich der BF1 während seines Aufenthaltes im Bundesgebiet Deutschkenntnisse angeeignet und legte diesbezüglich auch im gegenständlichen Verfahren ein Zeugnis zur Integrationsprüfung Sprachniveau BF1 vom 08.09.2023 vor (Seite 6 des Erkenntnisses vom 23.11.2022; Beilage EV-Protokoll 2 (BF2) und Beschwerdeschriftsatz). Die BF2 hat sich inzwischen auch laut persönlichen Eindruck des erkennenden Richters in der mündlichen Verhandlung anfängliche Deutschkenntnisse angeeignet und legte gegenständlich auch eine Teilnahmebestätigung für einen A1 Plus Kurs vom 02.06.2023 sowie eine Deutschkurs-Bestätigung auf dem Niveau A2 vom 22.05.2025vor, wobei sie noch über kein Deutschzertifikat oder eine absolvierte Integrations- und Deutschprüfung verfügt (Seite 28 des VH-Protokolls; OZ 5).
Die Identität steht entgegen den Feststellungen der belangten Behörde aufgrund der vorgelegten Kopie ihres (gültigen) russischen Auslandsreisepasses fest (Auslandsreisepass des BF1 ausgestellt am 02.04.2019, gültig bis 02.04.2024, Nr. XXXX ; Auslandsreisepass der BF2 ausgestellt am 28.04.2022, gültig bis 28.04.2027, Nr. XXXX . Zudem legte die BF2 laut angefochtenen Bescheid des BFA auch ihre österreichische Geburtsurkunde vor, sodass mit der Vorlage (Seite 2 des EV-Protokolls (BF2); Seite 11 des angefochtenen Bescheides der BF2), die Identität feststeht.
Die Feststellungen zum Familienstand der BF ergeben sich aus ihren dahingehenden gleichbleibenden sowie unbedenklichen Angaben im behördlichen und verwaltungsgerichtlichen Verfahren sowie der vorgelegten Heiratsurkunde des BF1 samt Übersetzung (Seite 6 und Beilage des EV-Protokolls 2 (BF1); Seite 4 des EV-Protokolls (BF2); Seite 5 und 19 des VH-Protokolls). Dass sich die Ehefrau des BF1 und Mutter der BF2 mit den weiteren Kindern/Geschwistern des BF1 und der B2 aktuell in Georgien aufhalten, steht aufgrund ihren gleichbleibenden und übereinstimmenden Angaben fest (AS 111: EV-Protokolls 1 (BF1); Seite 5 des EV-Protokolls (BF2); Seite 5 des VH-Protokolls). Wobei aufgrund der äußerst widersprüchlichen Angaben des BF1 und der BF2 vor dem BFA und in der mündlichen Verhandlung nicht festgestellt werden konnte, seit wann sie sich in Georgien befinden (Seite 6-8 des VH-Protokolls).
2.1.2. Die Feststellungen zu den Lebensumständen des BF1 und der BF2 in der Russischen Föderation (Geburt, Schulbesuch, Erwerbstätigkeit, Lebensunterhalt) basieren auf einer Zusammenschau ihrer Angaben im behördlichen und verwaltungsgerichtlichen Verfahren (Seite 3 des EV-Protokolls 2; Seite 14 und 19f des VH-Protokolls). Wobei die sehr widersprüchlichen und unterschiedlichen Angaben des BF1 zu seinen Aufenthalten nach der freiwilligen Rückkehr in die Russische Föderation 2011 bis zur erneuten Ausreise und Einreise nach Österreich im September 2022 auffallend waren und unklar blieben. Trotz wiederholten Nachfragen konnte der BF1 zum Zeitraum nach der freiwilligen Rückkehr und seinem Leben in der Russischen Föderation von 2011-2022 keine chronologisch gleichbleibenden Angaben machen und verstrickte sich wiederholt in Unstimmigkeiten und Unklarheiten (Seite 7-15 des Verhandlungsprotokolls:
„RI: Bitte machen Sie genaue Angaben. Wo waren Sie, Ihre Frau und Ihre Kinder seit 2011?
BF: 2011 war es so, dass wir zuerst in Tschetschenien gelebt haben. Wir wollten dort leben. Aber 2014 begannen Probleme. Wir sind dann zusammen als Familie mit den Kindern nach XXXX gefahren. Wir haben dort ein Jahr gelebt und sind dann zurückgekommen, die ganze Familie.
[…]
RI: Wie ist es dann weitergegangen nach dem Jahr?
BF: Dann sind wir als Familie zurück nach Tschetschenien gekommen und nach eineinhalb Jahren sind wir wieder als Familie nach XXXX ausgereist, meine Frau und drei Kinder.
RI: Wie ist es dann weitergegangen?
BF: Wir waren dann in XXXX bis 2017 und dann sind wir wieder als Familie gemeinsam nach Tschetschenien gefahren, mit den Kindern. Wir haben dann bis 2021 in Tschetschenien gelebt und 2021 sind wir wieder nach XXXX gefahren. Dann ist die Familie dort ständig geblieben, meine Frau mit den drei Kindern. Ich bin dann zurück, aber nicht nach Tschetschenien, sondern in die Stadt Sotchi. Ich habe mich bemüht, dort ein Visum zu bekommen. Das war 2021. Das erste Mal haben wir eine ablehnende Antwort bekommen. 2022 haben wir wieder eingereicht und es kam ein Visum nur für mich und meine ältere Tochter XXXX (BF2).
[…]
RI: Wo haben Sie in Tschetschenien gelebt?
BF: In Tschetschenien habe ich auch in Gudermes gelebt und zwar mit der ganzen Familie.
RI: Alleine in einem Haus oder bei der Schwiegermutter?
BF: Wir haben eine Wohnung gemietet.
RI: Wovon haben Sie dann von 2011 weg gelebt bzw. was haben Sie gearbeitet?
BF: Vorwiegend habe ich auf Baustellen gearbeitet, sonst nichts.
RI: Wo auf Baustellen, in Tschetschenien?
BF: Nur in Tschetschenien.
RI: Das heißt, von 2011 bis 2022 bis zur Ausreise waren Sie nie in Dagestan, wo Sie auch geboren sind?
BF: Ich war schon dort.
RI: Wann? Sie haben gerade nicht davon berichtet.
BF: Sie haben auch nicht gefragt.
RI: Ich habe Sie befragt, wo Sie überall waren.
[…]
RI: Wann sind Sie von Sotchi weggeflogen?
BF: Am 11.09.2022.
RI: Wo haben Sie in Tschetschenien gelebt?
BF: In Tschetschenien habe ich auch in Gudermes gelebt und zwar mit der ganzen Familie.
RI: Alleine in einem Haus oder bei der Schwiegermutter?
BF: Wir haben eine Wohnung gemietet.
RI: Wovon haben Sie dann von 2011 weg gelebt bzw. was haben Sie gearbeitet?
BF: Vorwiegend habe ich auf Baustellen gearbeitet, sonst nichts.
RI: Wo auf Baustellen, in Tschetschenien?
BF: Nur in Tschetschenien.
RI: Das heißt, von 2011 bis 2022 bis zur Ausreise waren Sie nie in Dagestan, wo Sie auch geboren sind?
BF: Ich war schon dort.
RI: Wann? Sie haben gerade nicht davon berichtet.
BF: Sie haben auch nicht gefragt.
RI: Ich habe Sie befragt, wo Sie überall waren.
BF: Ich befand mich in Tschetschenien, Dagestan ist eine Nachbarrepublik. Manchmal bin ich zu meinen Eltern dorthin gefahren, zu meiner Mutter und meinem Vater.
[…]
RI: Sie haben gesagt, Sie waren von 2017 bis 2021 in Tschetschenien. Das sind vier Jahre und nur ein Jahr waren sie in der Schule.
BF: Nein, seit 2017 haben wir vorwiegend in XXXX gelebt.
RI: Das haben Sie heute anders gesagt. Und zwar: „Wir waren dann in XXXX bis 2017 und dann sind wir wieder als Familie gemeinsam nach Tschetschenien gefahren, mit den Kindern. Wir haben dann bis 2021 in Tschetschenien gelebt und 2021 sind wir wieder nach XXXX gefahren. Dann ist die Familie dort ständig geblieben, meine Frau mit den drei Kindern. Ich bin dann zurück, aber nicht nach Tschetschenien, sondern in die Stadt Sotchi.“
BF: Ich glaube, dass ich am Anfang gesagt habe, dass wir seit 2017 vorwiegend in XXXX gelebt haben. Das habe ich gesagt oder?“).
Da der BF1 auch zum Schulbesuch seiner Kinder oder den Aufenthalten seiner Ehefrau und Kinder kaum gleichbleibende und schlüssige Angaben machen konnte, sich gehäuft nicht nachvollziehbar ausdrückte, ist davon auszugehen, dass der BF1 und die BF2 in der Russischen Föderation nicht viel gemeinsam gelebt haben, was er teilweise auch auf Vorhalte in der mündlichen Verhandlung zugab (Seite 9-13 des VH-Protokolls).
Auch die Angaben der BF2 zu ihrem Leben in der Russischen Föderation (Aufenthalt, Schulbesuch) stimmten mit den Angaben des BF1 kaum überein und waren diese auffallend vage und widersprüchlich. So gab die BF2 noch bei der Einvernahme vor dem BFA an, bis zur 10 Klasse zum Pflichtschulabschluss die Schule besucht zu haben (Seite 4 des EV-Protokolls (BF2)). Im Unterschied hierzu gab die BF2 in der mündlichen Verhandlung vage an eine dagestanische Schule besucht zu haben. Auf Nachfrage gab sie an bis zur fünften oder sechsten Klasse und es sei eine tschetschenische Schule gewesen von 2012 bis 2016 oder 2017. Erst auf erneuter Nachfrage gab die BF2 dann an auch 2016-2017 eine Schule in Tschetschenien besucht zu haben, steht aber trotzdem noch im eklatanten Widerspruch zum ihren Angaben vor dem BFA, wonach sie bis zur 10. Klasse bis 2021 die Schule besucht hätte (Seite 20 des VH-Protokolls). Es ist nicht nachvollziehbar, dass die BF2 keine chronologisch gleichbleibenden Angaben zum Schulbesuch und ihren Aufenthalten in der Russischen Föderation machen konnte, sondern durchgehend äußerst vage und unstimmige Aussagen machte, die auch mit den Angaben ihres Vaters, den BF1, nicht übereinstimmten. So konnte die BF2 auch nicht angeben, ob und wo sie sich in Tschetschenien oder in Dagestan aufgehalten habe oder auch nicht nähere Angaben zu ihrer Schule machen, obwohl sie ca. 11 Jahre, ab dem 7. Lebensjahr bis zu ihrer Volljährigkeit, sohin ihre Kindheit und Jugend, verbracht hat (Seite 21-22 des Verhandlungsprotokolls). Dass der BF1 mit der BF2 und Familie im Jahr 2011 freiwillig in die Russische Föderation zurückkehrten und sich in der Russischen Föderation niederließen bis sie am 11.09.2022 von Sotchi über Istanbul wieder nach Österreich reisten, gab der BF1 gleichbleibend selbst an und steht auch mit den Feststellungen im vorangegangenen rechtskräftigen Erkenntnis im Einklang (Seite 8 des VH-Protokolls; Seite 6 des Erkenntnisses vom 23.11.2022). Sodass lediglich festgestellt werden konnte, dass die BF 2 in Dagestan aber auch in Tschetschenien, wenn auch für kurze Zeit die Schule besuchte.
2.1.3. Die weiteren Feststellungen zu den noch in der Russischen Föderation lebenden Familienangehörigen und Verwandten der BF waren gleichfalls nicht gleichbleibend und übereinstimmend und basieren auf einer Zusammenschau insbesondere der aktuellen Angaben des BF1 in der mündlichen Verhandlung. So gab der BF1 bei der Einvernahme an, dass er entfernte Verwandte Cousins und Cousinen in der Russischen Föderation hätte und seine Geschwister und Mutter seit 1996 in Georgien leben würden (Seite 7 des EV-Protokolls 2 (BF1)). Bei der ersten Einvernahme gab der BF1 im Widerspruch jedoch noch an, dass seine Eltern und drei Brüder sich in Russland befinden, zu seinen Schwestern machte er keine Angaben (AS 111). In der mündlichen Verhandlung gab er wiederrum an, dass sein Vater bereits verstorben sei und seine Mutter gemeinsam mit seinem jüngeren Bruder in Dagestan wohnen würde und erwerbstätig sei. Auch zwei Schwestern, eine davon verheiratet würden in Dagestan leben. Die anderen Brüder würden in Georgien bzw. einer in Österreich leben (Seite 14-15 des VH-Protokolls). Dass der BF1 über die Angehörigen seiner Ehefrau keine Informationen hätte ist nicht überzeugend und auch die BF2 reagierte befragt zu den Familienangehörigen in der Russischen Föderation durchgehend ausweichend und ist nicht nachvollziehbar, dass sie kaum Angaben zu den Familienangehörigen und ihren Aufenthalten machen konnte und auch kein Kontakt zumindest zu ihren Großeltern bestand auch nicht als sie von 2011 bis 2022 sohin ca. 11 Jahre in der Russischen Föderation aufhielt und auch ihre Mutter immer wieder ihre Mutter besuchte und auch der BF1 seine Eltern wiederholt in Dagestan nach eigenen Angaben besuchte und sich auch über Wochen oder Monate dort aufhielt (Seite 22-24 des VH-Protokolls). Auffallend war zudem, dass die BF2 auch nicht von sich aus angeben konnte, dass ihr Großvater vs. bereits verstorben sei. Dass der BF1 zumindest mit seiner Mutter und jüngeren Bruder auch von Österreich in Kontakt steht, gab er auf Vorhalt und wiederholten Nachfrage auch an und ist davon auszugehen, dass die BF Kontakt zu ihren Verwandten in Georgien, aber auch in der Russischen Föderation haben (Seite 18 des VH-Protokolls). Der Aufenthalt der Ehefrau und Kinder des BF1 und die Bestreitung ihres Lebensunterhalts beruht auf seinen Angaben hierzu in der mündlichen Verhandlung (Seite 18f des VH-Protokolls).
2.1.4. Dass die BF gesund sind, steht aufgrund ihren aktuellen Angaben in der mündlichen Verhandlung, wonach sie chronische oder akute Krankheiten oder andere Leiden oder Gebrechen verneinten, fest. Zudem legten sie keine medizinischen Unterlagen oder Befunde vor, die zu einer akuten schwerwiegenden oder lebensbedrohlichen Erkrankung führen (Seite 4 des VH-Protokolls).
Die Arbeitsfähigkeit der BF ergibt sich aus ihrem noch (jungen) arbeitsfähigen Alter (BF1: 46 Jahre und BF2: 20 Jahre) und ihrem Gesundheitszustand sowie der Tatsache, dass der BF1 in der Russischen Föderation als auch in Österreich erwerbstätig war bzw. ist und auch die BF2 zeitweise im Bundesgebiet, zwar ohne Beschäftigungsbewilligung und sohin nicht legal, gearbeitet hat (OZ 5).
Die strafgerichtliche Unbescholtenheit der BF ergibt sich aus einem eingeholten Strafregisterauszug.
2.1.5. Die Feststellungen zur Einreise des BF1 ins Bundesgebiet, der Geburt der BF2 im Bundesgebiet und der weitere Verfahrenslauf vom ersten Antrag auf internationalen Schutz, der Asylzuerkennung bis zur freiwilligen Rückkehr in die Russische Föderation im Jahr 2011 ergeben sich aus dem unzweifelhaften und unbestrittenen Akteninhalt, insbesondere aus dem Verfahrensgang und Feststellungen im vorangegangenen Erkenntnisses des BVwG vom 23.11.2022 sowie einem eingeholten Fremdenregisterauszug und GVS-Auszug.
Die Feststellungen zu den Wohnsitzmeldungen der BF im Bundesgebiet gründen auf einen ZMR-Auszug.
2.1.6. Ebenso gründen auch die weiteren Feststellungen zum Verfahrensgang und zur erneuten Einreise der BF im Jahr 2022 sowie erfolgten Statusaberkennung und rechtskräftig Erlassenen Rückkehrentscheidung, der Folgeantragstellung auf internationalen Schutz sowie die Feststellungen sowie Erwägungen in dem rechtskräftigen Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 23.11.2022 in dem vorangegangenen Asylaberkennungsverfahren auf dem unzweifelhaften und unbestrittenen Akteninhalt des vorgelegten Verwaltungsaktes und Gerichtsaktes des Bundesverwaltungsgerichtes.
Die Zustellung ergibt sich aus den Zustellungsnachweisen im Gerichtsakt XXXX .
2.2. Zu den Feststellungen zur erneuten Antragstellung auf internationalen Schutz der BF und ihren Lebensumständen in Österreich:
2.2.1. Dass die BF weiterhin ihrer Ausreiseverpflichtung nicht nachgekommen sind und ca. 1,5 Jahre nach rechtskräftiger Statusaberkennung einen Folgeantrag stellten sowie der weitere gegenständliche Verfahrenslauf bis zum Folgeantragverfahren auf internationalen Schutz basieren auf den unstrittigen Akteninhalt, sowie eines eingeholten ZMR-Auszuges, wonach die BF seit 14.10.2022 durchgehend über eine Meldeadresse verfügen.
Auch ergibt sich zweifelsfrei aus dem Akteninhalt und vorliegenden rechtskräftigen Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 23.11.2022, dass gegen die BF eine Rückkehrentscheidung erlassen wurde.
2.2.2. Dass den BF in Tschetschenien respektive der Russischen Föderation keine Verfolgung aus Konventionsgründen droht, ergibt sich bereits aus den rechtskräftigen, ihren Status der Asylberechtigten aberkennenden Bescheiden des Bundesamtes vom 20.09.2022 (BF1) bzw. 21.09.2022 (BF2) sowie dem Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 23.11.2022, XXXX , wo die Beschwerden gegen die Aberkennungsbescheide bis auf die Berichtigung eines Versehens im Spruchpunkt V. abgewiesen und somit bestätigt wurde. In der Zwischenzeit verblieben die BF unrechtmäßig im Bundesgebiet und kamen ihrer Ausreiseverpflichtung nicht nach.
Der BF1 bringt laut Erstbefragungsprotokoll vom 27.03.2024 und Einvernahmeprotokoll vom 16.07.2024 sowie vom 10.01.2025 und mündlichen Verhandlungsprotokoll als Verfolgungsgefährdung und Rückkehrbefürchtung zusammengefasst im gegenständlichen Folgeantrag auf internationalen Schutz vor, dass er nachdem er aus der Russischen Föderation ausgereist und im September 2022 wieder nach Österreich eingereist sei, zu Hause einen Einberufungsbefehl für die Mobilisierung bzw. eine Ladung zu einer militärischen Spezialoperation in der Ukraine erhalten hätte und ein zwangsweiser Einsatz im Ukrainekrieg drohen würde, er aber nicht gegen die Ukraine kämpfen wolle. Außerdem hätte er im Jahr 2018 einen Einberufungsbefehl zum Reservedienst erhalten, aber wurde aufgrund angegebener Obsorge über seinen Sohn nicht eingezogen (Seite 4 des EB-Protokolls; AS 109-112; Seite 7-10 des EV-Protokolls 2; Seite 32-37 des VH-Protokolls).
Auch die BF2 bezog sich im Wesentlichen auf das Fluchtvorbringen des BF1 und erachtet aus diesem Grund reflexartig bedroht und verfolgt zu werden. Zudem stützte sie ihren Folgeantrag auch auf allgemeine Probleme aufgrund ihrer Volksgruppenzugehörigkeit und befürchte sie eine Bedrohung und Verfolgung aufgrund politisch kritische „Posts“ auf Sozialen Medien (Seite 4 des EB-Protokolls; Seite 4 und 6-7 des EV-Protokolls; Seite 29-31 des VH-Protokolls).
Zur behaupteten Befürchtung im Krieg kämpfen zu müssen, bezieht sich der BF1 in der Erstbefragung als auch in der Einvernahme vor dem Bundesamt auf einen russischen Einberufungsbefehl, welche er nach seiner Ausreise im September 2022 erhalten hätte. Im Widerspruch hierzu behauptete der BF1 jedoch in der mündlichen Verhandlung Anfang September 2022 (05.09.2022) eine Ladung und Einberufung, sohin vor seiner Ausreise Mitte September (11.09.2022) erhalten zu haben. Ebenso gab er an, dass sein jüngerer Bruder den Einberufungsbefehl übernommen hätte und vor dem BFA schilderte er laut rückübersetzten und unterschriebenen Einvernahmeprotokoll, dass wahrscheinlich sein Vater den Einberufungsbefehl übernommen hätte (vgl. Seite 4 des EB-Protokolls; AS 111; Seite 9 des EV-Protokolls 2; Seite 4 des EV-Protokolls1; Seite 33-34 des VH-Protokolls). Hinzu kommt, dass der BF1 im gegenständlichen Verfahren zu der befürchteten Einberufung auch auf Nachfragen nur sehr grobe, vage und pauschale Angaben machte, weder sein Wehrdienstbuch, noch den Einberufungsbefehl von 2022 vorlegte und auf Vorhalt ausweichend reagierte und dadurch seiner Mitwirkungspflicht nicht ausreichend nachkam (Seite 35-36 des VH-Protokolls). Abgesehen von dem widersprüchlichen, vagen und unplausiblen Vorbringen des BF1 auch vor dem Hintergrund der Länderberichte steht bereits aufgrund des unstrittigen Akteninhaltes zweifelsfrei fest, dass der BF1 im vorangegangenen Aberkennungsverfahren und Bezugsverfahren bereits vorgebracht hat, dass er befürchte für den Ukrainekrieg zwangsweise eingezogen zu werden und vom erkennenden Richter im Vorverfahren die Befürchtung des BF1 rekrutiert zu werden nicht feststellte und in Zusammenschau mit den Länderinformationen und dem nicht mehr wehrfähigen Alter als nicht aktuell erachtete. Die Unterlagen von damals (Aberkennungsverfahren), welche aus einer Kopie des Wehrdienstbuches, einer Kopie eines Ausweises für Bürger, die der Einberufung unterliegen, eine Ladung und ein Schreiben, dass der BF1 gesucht werde, weil er der Einberufung nicht Folge leistet habe bestanden, hat der BF1 auch im gegenständlichen Verfahren nicht mehr vorgelegt und zum Teil auch davon trotz Nachfragen nichts mehr gewusst und auch keine Angaben hierzu gemacht (Seite 35-36 des Verhandlungsprotokolls:
„RI: Können Sie den Einberufungsbefehl von 2022 vorlegen?
BF: Wenn man das scannt und mir schickt.
RI: Warum haben Sie es in diesem Verfahren nicht vorgelegt?
BF: Es gab keine Notwendigkeit. Man hat mich nicht danach gefragt. Dass was ich hatte, habe ich vorgelegt.
RI: Was ist danach passiert, als Sie nicht erschienen sind?
BF: Als ich nicht dorthin kam, da war ich schon in Österreich. Dann passierte nichts wirklich. FSB hat meinen Bruder angerufen und gefragt, wo ich bin und sie wollten meine Telefonnummer haben. Bis jetzt rufen sie meinen Bruder an und man verlangt, dass ich zurück nach Hause komme. Das ist zu 100% so, aber ich habe keine Beweise dafür. Man könnte den Bezirksinspektor von XXXX anrufen, er würde das alles bestätigen. FSB sind keine einfachen Leute. Ich bin schon eine längere Zeit hier und man wird sich bestimmt dafür interessieren, warum ich nicht zurückgekommen bin.
RI: Was ist in Ihrem Einberufungsbefehl gestanden?
BF: Wortwörtlich kann ich es nicht sagen. Das ich an einem bestimmten Tag, zu einer bestimmten Uhrzeit mich stellig machen muss.
RI: Was wissen Sie noch? Wissen Sie, wann und wo Sie sich hätten hinbegeben sollen?
BF: Wohin? Meinen Sie in den Krieg?
RI: Nein, was in dem Einberufungsbefehl stand.
BF: Zur Rekrutierungsstelle XXXX . Das Dorf XXXX gehört nämlich zum Bezirk XXXX .
RI: Und dann?
BF: Das ist alles. Ich bin jetzt hier.
RI: Wann hätten Sie dort sein sollen?
BF: Das Datum weiß ich nicht mehr.
RI: Ds heißt, Sie wurden für Dagestan einberufen und nicht für Tschetschenien?
BF: Ja, in die russische Armee.
RI: Haben Sie sonst irgendein Schreiben, dass Sie dem Einberufungsbefehl nicht gefolgt sind oder, dass Sie gesucht werden?
BF: Nein, sonst gibt es nichts. Es gab nur Telefonate.).
Das Vorbringen des BF1, einen Einberufungsbefehl erhalten zu haben und zu befürchten zwangsweise in den Ukrainekrieg eingezogen zu werden, stellen sohin keine neue Sachverhaltselemente dar und ist nicht vom Vorliegen neuer Elemente oder Erkenntnisse auszugehen, die erheblich zu der Wahrscheinlichkeit beitragen, dass der BF1 als auch indirekt bzw. reflexartig die BF2 als Person mit Anspruch auf internationalen Schutz anzuerkennen ist und der Folgeantrag inhaltlich zu prüfen ist, weil die Unterlagen auf die sich der BF1 beruft bereits und nicht nachvollziehbar auch ausschließlich im vorangegangenen rechtskräftigen Statusaberkennungsverfahren vorgelegt und berücksichtigt wurden.
Die BF2 selbst konnte auch in der mündlichen Verhandlung kaum Angaben zu der drohenden Einberufung ihres Vaters machen und hatte selbst keine Wahrnehmungen hierzu. Dass es zu Problemen mit Tschetschenen bei der Ausreise am Flughafen gekommen sein soll, war widersprüchlich, nicht nachvollziehbar und auch nicht glaubhaft. Die BF haben laut gleichbleibenden Vorbringen die Russische Föderation über Sotchi, also über Russland verlassen, weshalb Probleme mit tschetschenische Beamte bei der Kontrolle keinesfalls nachvollziehbar erscheinen und konnte die BF2 weder angeben, um welchem Flughafen es sich noch ob es sich um Mitarbeiter oder einfache Leute, was wiederrum unplausibel ist, gehandelt hat (Seite 30-31 des VH-Protokolls). Im Widerspruch hierzu gab der BF1 vor dem BFA selbst an, dass es bei der Ausreise keine Probleme gegeben hat und dass sie legal mit ihrem Reisepass und einem italienischen Visum ausgereist sind.
Auch das vage, spekulative und pauschale Vorbringen der BF2, dass ihr aufgrund ihrer Volksgruppenzugehörigkeit oder aufgrund ihres Geschlechts eine Verfolgung drohen sollte, wurde bereits im vorangegangenen Verfahren behandelt und ist gemäß Erkenntnis vom 23.11.2022 keine Verfolgung hervorgekommen und stellen sohin keine neuen Sachverhaltselemente dar. Darüber hinaus weißen die spekulativen und vagen Behauptungen der BF2 hierzu keinen glaubhaften Kern auf, denn war es der BF2, wie auch bereits im Vorverfahren festgestellt, möglich, sich im Herkunftsstaat von 2011 bis 2022 sohin ca. 11 Jahre (ihre gesamte Kindheit und Jugend) unbehelligt in Dagestan und Tschetschenien aufzuhalten und auch die Schule zu besuchen. Wobei hierzu auch nochmals anzumerken ist, dass wie bereits ausgeführt wurde, aufgrund der widersprüchlichen und vagen Angaben der BF2, die auch mit den Angaben des BF1 nicht übereinstimmten, nicht genau festgestellt werden konnte, wo sie sich nach der freiwilligen Rückkehr in der Russischen Föderation genau bei wem aufgehalten hat und wo und wie lange sie die Schule besucht hat (vgl. Pkt. II.2.2.1.). Hinsichtlich dem Vorbringen der BF2 im behördlichen Verfahren und insbesondere im Beschwerdeschriftsatz viel Kritik über Politik auf Social Media gepostet zu haben und dies könne zu Problemen führen, konnte die BF2 selbst kaum konkretisieren was genau sie wo und wie oft oder wem geschrieben oder „gepostet“ hat und legte hierzu auch keinerlei Beweismittel vor (Seite 6-7 des EV-Protokolls). Zudem gab die BF2 vor dem BFA auf Nachfrage an, dass es sich um ihren privaten Instagramaccount handelt und sprach auch von privaten Nachrichten, die sie an Personen geschickt hätte, die sich auch mit Politikkommentare beschäftigt hätten. Wobei sie hierzu in der mündlichen Verhandlung keine Angaben oder Vorbringen mehr erstattete und aufgrund diesen Erwägungen eine neu vorgebrachte Verfolgungsgefährdung der BF2 aufgrund politisch kritischen Posts in Sozialen Medien keinen glaubhaften Kern aufweist. Aber auch bezüglich der Situation von Frauen im Nordkaukasus konnten keine Änderungen zum Vorverfahren fesgestellt werden. Die BF 2 brachte hierzu auch keine neuen Sachverhalte vor und ist eine Rückkehr mit dem Vater möglich und dadurch ein Schutz von etwaigen Gefahren für Frauen. Auch hatten die BF mit der tschtetschenischen Kultur keine Probleme und besuchten die Kinder auch in Dagestan eine tschetschenische Schule (Seite 12 des Verhandlungsprotokolls), dass es hier Probleme für die BF 2, aufgrund ihrer Herkunft, in der Schule oder Umgebung gab, kann daher nicht nachvollzogen werden und war daher eine diesbezüglichle Angabe vor dem BFA nicht glaubhaft. Ein entsprechendes Vorbringen gab es vor dem Verwaltungsgericht auch nicht mehr.
Schließlich ist auch in Bezug auf die Fragen der Rechtsvertretung in der mündlichen Verhandlung hinsichtlich einer Beziehung der BF2 mit einem armenischen Freund, kein kausaler Zusammenhang zu einer Verfolgungsgefährdung erkennbar und substantiiert vorgebracht worden, die einen glaubhaften Kern darlegen.
Insgesamt ist somit nicht vom Vorliegen neuer Elemente oder Erkenntnisse auszugehen, die erheblich zu der Wahrscheinlichkeit beitragen, dass der BF1 und die BF2 als Person mit Anspruch auf internationalen Schutz anzuerkennen sind (Einberufung in den Ukrainekrieg des BF1, Verfolgung der BF2 aufgrund ihres Geschlechts und/oder Volksgruppenzugehörigkeit) und weißt die neu behauptete Gefahr der BF2 aufgrund exilpolitischer Betätigung mit kritischen Posts in Sozialen Medien, keinen glaubhaften Kern auf.
2.2.3. Auch ergaben sich vor dem Hintergrund des Gesundheitszustandes der BF keine wesentlichen Änderungen bzw. Anhaltspunkte einer akuten schwerwiegenden oder lebensbedrohlichen Erkrankung der BF und daher zu den Feststellungen im Bezugserkenntnis, dass die BF unter keiner schweren oder lebensbedrohlichen physischen oder psychischen Erkrankung leiden, arbeitsfähig sind und keine Medikamente nehmen, abweichen würden. Sohin steht auch die gesundheitliche Verfassung der BF einer Rückführung in den Herkunftsstaat nicht entgegen (Seite 4 des VH-Protokolls; Seite 7des Erkenntnisses vom 23.11.2022).
2.2.4. Dass die allgemeine Situation in der Russischen Föderation seit rechtskräftigen Abschluss des Vorverfahrens (Statusaberkennungsverfahren) im Wesentlichen unverändert geblieben ist und keine maßgebliche Lageveränderung im Herkunftsstaat für die BF erkennen lässt auch nicht vor dem Hintergrund des Angriffskrieges in der Ukraine, ergibt sich aus den Feststellungen zum Herkunftsstaat Russische Föderation. Laut Länderfeststellungen ist das Gesundheitswesen fast flächendeckend gewährleistet und haben alle russischen Staatsbürger Zugang zu ärztlicher Versorgung. Die Sicherheitslage im Nordkaukasus hat sich verbessert und die Zahl der Opfer gewalttätiger Zusammenstöße hat in den letzten Jahren abgenommen. Es hat sich damit seitdem rechtskräftig abgeschlossenen Vorverfahren mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 23.11.2022 im Fall der BF keine entscheidungsrelevante Lageveränderung im Hinblick auf eine Gefährdung im Sinne des Art. 3 EMRK ergeben; dies wurde von den BF auch nicht glaubhaft behauptet. Laut den Länderfeststellungen besteht keine allgemeine Gefährdung für die körperliche Unversehrtheit von Rückkehrerinnen.
2.2.5. Die Feststellungen zu der persönlichen und familiären Situation der BF in Österreich (Familienangehörigen, Lebensunterhalt, Selbsterhaltungsfähigkeit, Deutschkenntnisse) gründen insbesondere auf ihren Angaben in der mündlichen Verhandlung (Seite 16-18 und 27-29 des VH-Protokolls) und den vorgelegten Integrationsunterlagen (u.a. AS 117ff des BF1: Lohn- und Gehaltszettel, Mietvertrag; OZ 6: Dienstzeugnis des BF1, GISA-Auszug und Gewerbeanmeldung des BF1, Zeugnis der Integrationsprüfung B1 vom BF1; Deutschkursbestätigungen der BF2 und ein Empfehlungsschreiben). Bis auf den weiteren Verbleib in Österreich der BF, trotz aufrechter Rückkehrentscheidungen und Ausreiseverpflichtung wurden bis auf die Aufnahme des BF1 einer legalen Beschäftigung aktuell als Selbstständiger und damit der Finanzierung des Lebensunterhalts und der Besuch von Deutschkursen der BF2 wurden keine maßgeblichen Sachverhaltsänderungen dargetan. Dass sich in Österreich der Bruder/Onkel der BF mit seiner Familie aufhält, zu dem bis auf regelmäßige Besuche, kein gemeinsamer Wohnsitz und kein besonderes Abhängigkeitsverhältnis besteht und auch die Deutschkenntnisse des BF1, wurde ebenso bereits im Vorverfahren gewürdigt. Es sind keine Anhaltspunkte für außergewöhnliche Integrationsmaßnahmen der BF hervorgetreten. Die BF2 geht keiner legalen Beschäftigung nach und ihr Lebensunterhalt wird vom BF1 finanziert.
Die Feststellungen zu den Deutschkenntnissen der BF gründen wie bereits oben ausgeführt auf ihren Angaben und auf dem persönlichen Eindruck in der mündlichen Verhandlung und den vorgelegten Zeugnissen der Integrationsprüfung des BF1 und zwei Deutschkurs-Teilnahmebestätigungen der BF2.
2.2.6. Sohin haben sich insgesamt aus all diesen Erwägungen und Einsicht in das Erkenntnis vom 23.11.2022 zwischen rechtskräftigen Abschluss des Statusaberkennungsverfahrens und letzten inhaltlich entschiedenen Vorverfahrens und des gegenständlichen Folgeantragsverfahrens keine wesentliche Änderung der Sach- oder Rechtslage im Herkunftsstaat oder des persönlichen Umstandes der BF oder des Privat- und Familienlebens ergeben.
2.3. Zu den Feststellungen zur Situation in der Russischen Föderation:
2.3.1. Die BF traten den Länderfeststellungen zu Grunde liegenden Berichten bzw. ihren Quellen, die bereits vom BFA und die aktuellere Version auch vom BVwG eingeführt wurden, nicht entgegen.
Die Feststellungen zur maßgeblichen Situation im Herkunftsstaat stützen sich auf die zitierten Quellen. Da diese aktuellen Länderberichte auf einer Vielzahl verschiedener, voneinander unabhängiger Quellen von regierungsoffiziellen und nicht-regierungsoffiziellen Stellen beruhen und dennoch ein in den Kernaussagen übereinstimmendes Gesamtbild ohne wesentliche Widersprüche darbieten, besteht im vorliegenden Fall für das Bundesverwaltungsgericht kein Anlass, an der Richtigkeit der getroffenen Länderfeststellungen zu zweifeln.
3. Rechtliche Beurteilung:
3.1. Zulässigkeit und Verfahren:
Gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG erkennen die Verwaltungsgerichte über Beschwerden gegen den Bescheid einer Verwaltungsbehörde wegen Rechtswidrigkeit.
Gemäß § 6 BVwGG entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist. Da im vorliegenden Verfahren keine Entscheidung durch Senate vorgesehen ist, liegt gegenständlich Einzelrichterzuständigkeit vor.
Das Verfahren der Verwaltungsgerichte mit Ausnahme des Bundesfinanzgerichtes ist durch das VwGVG geregelt (§ 1 leg.cit.). Gemäß § 58 Abs. 2 VwGVG bleiben entgegenstehende Bestimmungen, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Bundesgesetzes bereits kundgemacht wurden, in Kraft.
Gemäß § 17 VwGVG sind, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 B-VG die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles, die Bestimmungen der Bundesabgabenordnung, des Agrarverfahrensgesetzes und des Dienstrechtsverfahrensgesetzes 1984 und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.
Gemäß § 7 Abs. 1 Z 1 BFA-VG entscheidet das Bundesverwaltungsgericht über Beschwerden gegen Bescheide des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl.
Gemäß § 28 Abs. 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht, sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist, die Rechtssache durch Erkenntnis zu erledigen.
Gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG hat das Verwaltungsgericht über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG dann in der Sache selbst zu entscheiden, wenn der maßgebliche Sachverhalt feststeht oder die Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts durch das Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist.
Zu A)
3.2. Zur Abweisung der Beschwerden gegen die Spruchpunkte I. und II. der angefochtenen Bescheide mit der Maßgabe, dass die Anträge wegen entschiedener Sache zurückzuweisen gewesen wären:
3.2.1. Gemäß § 68 Abs. 1 AVG sind Anbringen von Beteiligten, die außer den Fällen der §§ 69 und 71 AVG die Abänderung eines der Berufung nicht oder nicht mehr unterliegenden Bescheides begehren, wegen entschiedener Sache zurückzuweisen, wenn die Behörde nicht Anlass zu einer Verfügung gemäß § 68 Abs. 2 bis 4 AVG findet. Diesem ausdrücklichen Begehren auf Abänderung steht ein Ansuchen gleich, das bezweckt, eine Sache erneut inhaltlich zu behandeln, die bereits rechtskräftig entschieden ist (VwGH vom 30.09.1994, 94/08/0183; 30.05.1995, 93/08/0207; 09.09.1999, 97/21/0913; 07.06.2000, 99/01/0321).
Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist bei der Prüfung des Vorliegens der „entschiedenen Sache“ iSd § 68 Abs. 1 AVG von der rechtskräftigen Vorentscheidung auszugehen, ohne die sachliche Richtigkeit derselben nochmals zu überprüfen. Identität der Sache liegt dann vor, wenn sich gegenüber der früheren Entscheidung weder die Rechtslage noch der wesentliche Sachverhalt geändert hat und sich das neue Parteibegehren im Wesentlichen mit dem früheren deckt (vgl. etwa VwGH vom 19.01.2022, Ra 2020/20/0100, mwN).
In Hinblick auf wiederholte Anträge auf internationalen Schutz entspricht es der ständigen Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes, dass nur eine solche behauptete Änderung des Sachverhaltes die Behörde zu einer neuen Sachentscheidung – nach etwa notwendigen amtswegigen Ermittlungen – berechtigen und verpflichten kann, der rechtlich für sich allein oder in Verbindung mit anderen Tatsachen Relevanz zukäme; eine andere rechtliche Beurteilung des Antrages darf nicht von vornherein ausgeschlossen sein. Die behauptete Sachverhaltsänderung muss zumindest einen „glaubhaften Kern“ aufweisen, dem Relevanz zukommt (vgl. etwa VwGH vom 29.11.2021, Ra 2020/19/0412, mwN). Die Beurteilung, ob die behauptete Sachverhaltsänderung einen „glaubhaften Kern“ aufweist, erfolgt stets im Rahmen der Beweiswürdigung (vgl. VwGH vom 09.12.2020, Ra 2019/19/0424, mwN).
In jenem Fall, in dem das Bundesamt den verfahrenseinleitenden Antrag gemäß § 68 Abs. 1 AVG zurückgewiesen hat, ist insoweit „Sache des Beschwerdeverfahrens“ vor dem Bundesverwaltungsgericht die Frage, ob diese Zurückweisung zu Recht erfolgt ist. Das Bundesverwaltungsgericht hat diesfalls zu prüfen, ob die Behörde aufgrund des von ihr zu berücksichtigenden Sachverhalts zu Recht zu dem Ergebnis gelangt ist, dass im Vergleich zum rechtskräftig entschiedenen früheren Asylverfahren keine wesentliche Änderung der maßgeblichen Umstände eingetreten ist. Die Prüfung der Zulässigkeit eines Folgeantrags aufgrund geänderten Sachverhalts hat – von allgemein bekannten Tatsachen abgesehen – im Beschwerdeverfahren nur anhand der Gründe, die von der Partei in erster Instanz zur Begründung ihres Begehrens vorgebracht wurden, zu erfolgen (vgl. VwGH vom 23.09.2020, Ra 2020/14/0175, mwN).
Dem geänderten Sachverhalt muss nach der ständigen Judikatur des VwGH Entscheidungsrelevanz zukommen (vgl. VwGH 15.12.1992, 91/08/0166; ebenso VwGH 16.12.1992, 92/12/0127; 23.11.1993, 91/04/0205; 26.04.1994, 93/08/0212; 30.01.1995, 94/10/0162). Die Verpflichtung der Behörde zu einer neuen Sachentscheidung wird nur durch eine solche Änderung des Sachverhalts bewirkt, die für sich allein oder in Verbindung mit anderen Tatsachen den Schluss zulässt, dass nunmehr bei Bedachtnahme auf die damals als maßgebend erachteten Erwägungen eine andere Beurteilung jener Umstände, die seinerzeit den Grund für die Abweisung des Parteienbegehrens gebildet haben, nicht von vornherein als ausgeschlossen gelten kann (VwSlg. 7762 A; VwGH 29.11.1983, 83/07/0274; 21.02.1991, 90/09/0162; 10.06.1991, 89/10/0078; 04.08.1992, 88/12/0169; 18.03.1994, 94/12/0034; siehe auch VwSlg. 12.511 A, VwGH 05.05.1960, 1202/58; 03.12.1990, 90/19/0072). Dabei muss die neue Sachentscheidung - obgleich auch diese Möglichkeit besteht - nicht zu einem anderen von der seinerzeitigen Entscheidung abweichenden Ergebnis führen. Die behauptete Sachverhaltsänderung hat zumindest einen "glaubhaften Kern" aufzuweisen, dem Asylrelevanz zukommt (VwGH 21.3.2006, 2006/01/0028, sowie VwGH 18.6.2014, Ra 2014/01/0029, mwN, VwGH 25.02.2016, Ra 2015/19/0267). Neues Sachverhaltsvorbringen in der Beschwerde gegen den erstinstanzlichen Bescheid nach § 68 AVG ist von der "Sache" des Beschwerdeverfahrens vor dem Bundesverwaltungsgericht nicht umfasst und daher unbeachtlich (VwGH vom 24.6.2014, Ra 2014/19/0018, mwN).
Als Vergleichsbescheid (Vergleichserkenntnis) ist der Bescheid (das Erkenntnis) heranzuziehen, mit dem zuletzt in der Sache entschieden wurde (vgl. in Bezug auf mehrere Folgeanträge VwGH 26.07.2005, 2005/20/0226, mwN). Die Behörde hat sich insoweit bereits bei der Prüfung der Zulässigkeit des (neuerlichen) Asylantrages mit der Glaubwürdigkeit des Vorbringens des BF (und gegebenenfalls mit der Beweiskraft von Urkunden) auseinander zu setzen. Ergeben die Ermittlungen der Behörde, dass eine Sachverhaltsänderung, die eine andere Beurteilung nicht von vornherein ausgeschlossen erscheinen ließe, entgegen den Behauptungen der Partei in Wahrheit nicht eingetreten ist, so ist der Asylantrag gemäß § 68 Abs. 1 AVG zurückzuweisen. (VwGH 21.10.1999, 98/20/0467; vgl. auch VwGH 17.09.2008, 2008/23/0684; 19.02.2009, 2008/01/0344).
Wird die seinerzeitige Verfolgungsbehauptung aufrechterhalten und bezieht sich der Asylwerber auf sie, so liegt nicht ein wesentlich geänderter Sachverhalt vor, sondern es wird der Sachverhalt bekräftigt (bzw. sein "Fortbestehen und Weiterwirken" behauptet; vgl. VwGH 20.03.2003, 99/20/0480), über den bereits rechtskräftig abgesprochen worden ist. Mit einem solchen Asylantrag wird daher im Ergebnis die erneute sachliche Behandlung einer bereits rechtskräftig entschiedenen Sache bezweckt (vgl. VwGH 07.06.2000, 99/01/0321).
Der Verwaltungsgerichtshof hat sich – nach Einholung einer Vorabentscheidung durch den Gerichtshof der Europäischen Union (vgl. EuGH vom 09.09.2021, C-18/20) – in seinem Erkenntnis vom 19. Oktober 2021, Ro 2019/14/0006, eingehend mit der Vereinbarkeit der asylrechtlichen Folgeanträge betreffenden Rechtslage mit den unionsrechtlichen Vorgaben der Richtlinie 2013/32/EU (Verfahrensrichtlinie) befasst. Gemäß § 43 Abs. 2 zweiter Satz VwGG wird auf die Entscheidungsgründe dieses Erkenntnisses verwiesen. Wie der Verwaltungsgerichtshof in diesem Erkenntnis ausgesprochen hat, darf ein Folgeantrag auf internationalen Schutz nicht allein deswegen wegen entschiedener Sache zurückgewiesen werden, weil der nunmehr vorgebrachte Sachverhalt von der Rechtskraft einer früheren Entscheidung über einen Antrag auf internationalen Schutz erfasst sei, ohne dass die Prüfung im Sinn des Art. 40 Abs. 2 und Abs. 3 Verfahrensrichtlinie vorgenommen worden wäre, ob „neue Elemente oder Erkenntnisse zutage getreten oder vom Antragsteller vorgebracht worden sind, die erheblich zu der Wahrscheinlichkeit beitragen, dass der Antragsteller nach Maßgabe der Richtlinie 2011/95/EU als Person mit Anspruch auf internationalen Schutz anzuerkennen ist“ (Rn 75).
Kommt bei dieser Prüfung hervor, dass – allenfalls entgegen den Behauptungen eines Antragstellers – solche neuen Elemente oder Erkenntnisse nicht vorliegen oder vom Antragsteller gar nicht vorgebracht worden sind, so ist eine Zurückweisung wegen entschiedener Sache weiterhin – in einem Verfahren, in dem auch die Vorgaben des Kapitels II der Verfahrensrichtlinie zu beachten sind – statthaft. Das gilt auch dann, wenn zwar neue Elemente oder Erkenntnisse vorliegen, die Änderungen aber lediglich Umstände betreffen, die von vornherein zu keiner anderen Entscheidung in Bezug auf die Frage der Zuerkennung eines Schutzstatus führen können. Der für die Entscheidung maßgebliche Sachverhalt hat nämlich in diesen Konstellationen keine Änderung erfahren (Rn. 76).
Ergibt aber die Prüfung des im Folgeantrag erstatteten Vorbringens, dass neue Elemente oder Erkenntnisse zutage getreten oder vom Antragsteller vorgebracht worden sind, die erheblich zu der Wahrscheinlichkeit beitragen, dass der Antragsteller nach Maßgabe der Richtlinie 2011/95/EU als Person mit Anspruch auf internationalen Schutz anzuerkennen ist, ist die Zurückweisung eines Antrages auf internationalen Schutz wegen entschiedener Sache nicht statthaft. Dies gilt im Besonderen auch dann, wenn das Vorbringen schon in einem früheren Verfahren hätte erstattet werden können und den Antragsteller ein Verschulden daran trifft, den fraglichen Sachverhalt nicht schon im früheren Verfahren geltend gemacht zu haben (Rn. 78)
3.2.2. Gegenständlich hat das BFA die Folgeanträge der BF auf internationalen Schutz inhaltlich geprüft und abgewiesen, aber nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs hat das Verwaltungsgericht dann, wenn der bei ihm in Beschwerde gezogene verwaltungsbehördliche Bescheid zu Unrecht eine Sachentscheidung beinhaltete, im Rahmen seiner Prüf- und Entscheidungsbefugnis einen Antrag zurückzuweisen (vgl. VwGH 06.04.2023, Ra 2023/14/0064, 0065).
Die letzte rechtskräftige inhaltliche Entscheidung und Vergleichsentscheidung, ist das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts im Statusaberkennungsverfahren vom 23.11.2022, XXXX .
Die BF brachten zur Begründung des gegenständlichen Folgeantrags auf internationalen Schutz den Erhalt eines Einberufungsbefehls des BF1 und ein drohender zwangsweiser Einsatz des BF1 im Ukrainekrieg vor, weshalb auch die BF2 reflexartig eine Gefährdung drohen würde und könnte es auch sein, dass es zu Probleme im Falle einer Rückkehr aufgrund der Volksgruppenzugehörigkeit und des Geschlechts der BF2 und etwaigen kritischen Posts in Sozialen Medien kommt.
Das Vorbringen der BF brachte keine Änderung des bereits im Bezugserkenntnis dargelegten Sachverhaltes vor, wo er auch einzig Unterlagen betreffend einer Einberufung vorlegte, bereits rechtskräftig festgestellt wurde, dass den BF in Tschetschenien bzw. in der Russischen Föderation keine Verfolgung aus Gründen der Rasse, der Religion, der Nationalität, der Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen ihrer politischen Ansichten droht und keine aktuelle Gefährdung der BF in der Russischen Föderation festgestellt werden konnten und ihnen deshalb der Status der Asylberechtigten aberkannt wurde, weil die Gründe für die Asylzuerkennung weggefallen sind und beim den BF kein Anlass für die Furcht vor Verfolgung in der Russischen Föderation mehr besteht.
Das Vorbringen der BF, dass der BF1 einen Einberufungsbefehl für den Ukrainekrieg erhalten hat und zwangsweise im Falle einer Rückkehr eingezogen wird und auch dadurch die BF2 bedroht wird, wurde bereits im vorangegangenen rechtskräftigen Verfahren behandelt und vor dem Hintergrund der einzig im Vorverfahren vorgelegten Unterlagen (Kopie eines Wehrdienstbuches, Kopie eines Ausweise für Bürger, die der Einberufung unterliegen, eine Ladung und ein Schreiben, dass nach dem BF1 gesucht wird, weil er der Einberufung nicht Folge geleistet hat) vom erkennenden Richter festgestellt, dass eine Einberufung nicht festzustellen ist. Im Gegenständlichen Verfahren legte der BF1 die Unterlagen von damals auch nicht mehr vor und damit das Vorbringen der BF in Bezug auf die Einberufung des BF1 zum Ukrainekrieg bereits von der Rechtskraft im Bezugserkenntnis abgedeckt. Auch das äußerst vage, unkonkrete und pauschale Vorbringen der BF2 in Bezug auf politisch kritische Posts in Sozialen Medien weist wie in der Beweiswürdigung näher ausgeführt keinen glaubhaften Kern auf. Dass die BF Angehörige der Volksgruppe der Tschetschenen sind wurde ebenso bereits im Vorverfahren festgestellt und aus diesem Grund keine Verfolgungsgefährdung erkannt, ebenso auch nicht aufgrund des Geschlechts der BF2.
Es ist somit nicht vom Vorliegen neuer Elemente oder Erkenntnisse auszugehen, die erheblich zu der Wahrscheinlichkeit beitragen, dass die BF als Person mit Anspruch auf internationalen Schutz anzuerkennen sind und der Folgeantrag der BF auf internationalen Schutz demnach auch nicht inhaltlich zu prüfen ist.
3.2.3. Ein auf das AsylG 2005 gestützter Antrag auf internationalen Schutz ist nicht bloß auf die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft, sondern hilfsweise - für den Fall der Nichtzuerkennung dieses Status - auch auf die Gewährung von subsidiärem Schutz gerichtet. Dies wirkt sich ebenso bei der Prüfung eines Folgeantrages nach dem AsylG 2005 aus: Asylbehörden sind verpflichtet, Sachverhaltsänderungen nicht nur in Bezug auf den Asylstatus, sondern auch auf den subsidiären Schutzstatus zu prüfen (vgl. VfGH 29.06.2011, U 1533/10; VwGH 19.02.2009, 2008/01/0344 mwN).
3.2.4. Im vorangegangenen Statusaberkennungsverfahrens wurde mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts die letzte inhaltliche Entscheidung um subsidiären Schutz der BF getroffen und stellt diese sohin das maßgebliche „Vergleichserkenntnis“ dar, in Bezug auf welche eine seither eingetretene Sachverhaltsänderung zu prüfen ist, die sich im Sinne der aufgezeigten Judikatur als relevant erweisen muss.
Im Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 23.11.2022 wurde insoweit ausgeführt, dass den BF im Fall ihrer Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung nach Tschetschenien respektive in die Russische Föderation nicht in ihrem Recht auf Leben gefährdet, der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung unterworfen oder von der Todesstrafe bedroht wären. Die BF liefen dort nicht Gefahr, grundlegende und notwendige Lebensbedürfnisse wie Nahrung, Kleidung sowie Unterkunft nicht befriedigen zu können und in eine ausweglose bzw. existenzbedrohende Situation zu geraten.
So ergeben sich aus den Feststellungen zur Person der BF und den Länderfeststellungen zur Russischen Föderation keine Gründe für die Annahme, dass jeder zurückkehrende Staatsbürger der reellen Gefahr einer Gefährdung gemäß Art. 3 EMRK ausgesetzt wäre. Die Lage im Herkunftsland – auch unter der Bedachtnahme des Angriffskrieges in der Ukraine seit Februar 2022 – seit der Entscheidung im vorangegangenen Asylaberkennungsverfahren vom November 2022 nicht wesentlich geändert –und vor allem nicht verschlechtert – hat, wo auch bereits der Angriffskrieg in der Ukraine berücksichtigt worden ist.
Auch hinsichtlich Gesundheitszustand haben sich seit Eintritt der Rechtskraft der vorangehenden inhaltlichen Entscheidung zum subsidiären Schutz keine wesentlichen Änderungen ergeben; weder aus den Angaben der BF noch wurden entsprechende medizinische Unterlagen vorgelegt. Die BF sind gesund und leiden an keinen schweren oder lebensbedrohlichen und im Herkunftsstaat nicht behandelbaren Erkrankungen, welche eine Rückkehr in den Herkunftsstaat entgegenstehen bzw. eine geänderte Lage zum Bezugserkenntnis darlegen.
Da weder in der maßgeblichen Sachlage, und zwar im Hinblick auf jenen Sachverhalt, der in der Sphäre der BF gelegen ist, noch auf jenen, welcher von Amts wegen aufzugreifen ist, noch in den anzuwendenden Rechtsnormen eine Änderung eingetreten ist, welche eine andere rechtliche Beurteilung des Anliegens nicht von vornherein als ausgeschlossen scheinen ließe, liegt entschiedene Sache vor, über welche nicht neuerlich meritorisch entschieden werden konnte.
3.2.5. Die Beschwerden gegen die Spruchpunkte I. und II. der angefochtenen Bescheide sind somit mit der Maßgabe, dass die Anträge hinsichtlich des Status der Asylberechtigten und der subsidiär Schutzberechtigten zurückzuweisen gewesen wären, somit als unbegründet abzuweisen.
3.3. Entscheidung über eine Rückkehrentscheidung und damit in Zusammenhang stehende Absprüche (Spruchpunkt III.-VII.):
3.3.1. Gemäß § 58 Abs. 1 Z 2 AsylG 2005 ist die Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 57 AsylG 2005 von Amts wegen zu prüfen, wenn ein Antrag auf internationalen Schutz sowohl hinsichtlich des Status des Asylberechtigten als auch hinsichtlich des Status des subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen wird. Dies gilt sinngemäß für eine Zurückweisung gemäß § 68 Abs. 1 AVG.
Im Bundesgebiet aufhältigen Drittstaatsangehörigen ist gemäß § 57 Abs. 1 AsylG 2005 von Amts wegen oder auf begründeten Antrag eine „Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz“ zu erteilen, wenn der Aufenthalt des Drittstaatsangehörigen im Bundesgebiet gemäß § 46a Abs. 1 Z 1 oder Z 3 FPG seit mindestens einem Jahr geduldet ist und die Voraussetzungen dafür weiterhin vorliegen, es sei denn, der Drittstaatsangehörige stellt eine Gefahr für die Allgemeinheit oder Sicherheit der Republik Österreich dar oder wurde von einem inländischen Gericht wegen eines Verbrechens (§ 17 StGB) rechtskräftig verurteilt (Z 1), wenn dies zur Gewährleistung der Strafverfolgung von gerichtlich strafbaren Handlungen oder zur Geltendmachung und Durchsetzung von zivilrechtlichen Ansprüchen im Zusammenhang mit solchen strafbaren Handlungen, insbesondere an Zeugen oder Opfer von Menschenhandel oder grenzüberschreitendem Prostitutionshandel notwendig ist (Z 2) oder wenn der Drittstaatsangehörige, der im Bundesgebiet nicht rechtmäßig aufhältig oder nicht niedergelassen ist, Opfer von Gewalt wurde, eine einstweilige Verfügung nach §§ 382b oder 382e EO erlassen wurde oder erlassen hätte werden können und der Drittstaatsangehörige glaubhaft macht, dass die Erteilung der „Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz“ zum Schutz vor weiterer Gewalt erforderlich ist (Z 3).
Die Voraussetzungen für die amtswegige Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 57 AsylG 2005 liegen nicht vor, wobei dies weder im Verfahren noch in der Beschwerde auch nur behauptet wurde.
3.4.2. Gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 ist eine Entscheidung nach diesem Bundesgesetz mit einer Rückkehrentscheidung oder einer Anordnung zur Außerlandesbringung gemäß dem 8. Hauptstück des FPG zu verbinden, wenn der Antrag auf internationalen Schutz sowohl bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen wird und von Amts wegen ein Aufenthaltstitel gemäß § 57 AsylG 2005 nicht zu erteilen ist. Dies gilt sinngemäß auch bei der Zurückweisung eines Folgeantragsnach § 68 Abs. 1 AVG, sofern keine mit einem Einreiseverbot verbundene aufrechte Rückkehrentscheidung vorliegt oder neue Tatsachen im Hinblick auf ein Einreiseverbot hervorkommen oder entstehen. Auch eine (negative) Entscheidung über einen Folgeantrag ist grundsätzlich mit einer Entscheidung über die Erlassung einer Rückkehrentscheidung zu verbinden. § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 iVm § 52 Abs. 2 Z 2 FrPolG 2005 stellt auch für den Fall der Zurückweisung eines Antrages auf internationalen Schutz wegen entschiedener Sache nach § 68 AVG die Rechtsgrundlage für die Verbindung dieser Entscheidung mit einer Rückkehrentscheidung dar (vgl. dazu ausführlich VwGH vom 19.11.2015, Ra 2015/20/0082 bis 0087; VwGH vom 10.09.2021, Ra 2021/14/0256).
Gemäß § 52 Abs. 2 FPG hat das Bundesamt gegen einen Drittstaatsangehörigen unter einem (§ 10 AsylG 2005) mit Bescheid eine Rückkehrentscheidung zu erlassen, wenn dessen Antrag auf internationalen Schutz sowohl bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen wird und ihm kein Aufenthaltsrecht nach anderen Bundesgesetzen zukommt. Dies gilt nicht für begünstigte Drittstaatsangehörige.
Die BF sind als Staatsangehörige der Russischen Föderation keine begünstigten Drittstaatsangehörige und es kommt ihnen kein Aufenthaltsrecht nach anderen Bundesgesetzen zu, weil mit der erfolgten Zurückweisung ihres Antrages auf internationalen Schutz das Aufenthaltsrecht nach § 13 AsylG 2005 mit der Erlassung dieser Entscheidung endet.
3.3.3. Ob eine Rückkehrentscheidung auf Dauer unzulässig ist, ergibt sich aus § 9 Abs. 1 bis 3 BFA-VG: Wird durch eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG in das Privat- oder Familienleben des Fremden eingegriffen, so ist nach § 9 Abs. 1 BFA-VG die Erlassung der Entscheidung zulässig, wenn dies zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten ist.
Bei der Beurteilung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK sind gemäß § 9 Abs. 2 BFA-VG insbesondere zu berücksichtigen: die Art und Dauer des bisherigen Aufenthaltes und die Frage, ob der bisherige Aufenthalt des Fremden rechtswidrig war (Z 1), das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens (Z 2), die Schutzwürdigkeit des Privatlebens (Z 3), der Grad der Integration (Z 4), die Bindungen zum Heimatstaat des Fremden (Z 5), die strafgerichtliche Unbescholtenheit (Z 6), Verstöße gegen die öffentliche Ordnung, insbesondere im Bereich des Asyl-, Fremdenpolizei- und Einwanderungsrechts (Z 7), die Frage, ob das Privat- und Familienleben des Fremden in einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren (Z 8) und die Frage, ob die Dauer des bisherigen Aufenthaltes des Fremden in den Behörden zurechenbaren überlangen Verzögerungen begründet war (Z 9).
Gemäß § 9 Abs. 3 BFA-VG ist über die Zulässigkeit der Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG jedenfalls begründet, insbesondere im Hinblick darauf, ob diese gemäß Abs. 1 auf Dauer unzulässig ist, abzusprechen. Die Unzulässigkeit einer Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG ist nur dann auf Dauer, wenn die ansonsten drohende Verletzung des Privat- und Familienlebens auf Umständen beruhen, die ihrem Wesen nach nicht bloß vorübergehend sind. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn die Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG schon allein auf Grund des Privat- und Familienlebens im Hinblick auf österreichische Staatsbürger oder Personen, die über ein unionsrechtliches Aufenthaltsrecht oder ein unbefristetes Niederlassungsrecht (§§ 45 und 48 oder §§ 51 ff. NAG) verfügten, unzulässig wäre.
Nach Art. 8 Abs. 2 EMRK ist der Eingriff in die Ausübung des Rechts auf Privat- und Familienleben nur statthaft, insoweit dieser Eingriff gesetzlich vorgesehen ist und eine Maßnahme darstellt, die in einer demokratischen Gesellschaft für die nationale Sicherheit, die öffentliche Ruhe und Ordnung, das wirtschaftliche Wohl des Landes, die Verteidigung der Ordnung und zur Verhinderung von strafbaren Handlungen, zum Schutze der Gesundheit und der Moral oder zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer notwendig ist.
Ob eine Verletzung des Rechts auf Schutz des Privat- und Familienlebens iSd Art. 8 EMRK vorliegt, hängt nach der ständigen Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte sowie des Verfassungs- und Verwaltungsgerichtshofes jeweils von den konkreten Umständen des Einzelfalles ab. Die Regelung erfordert eine Prüfung der Notwendigkeit und Verhältnismäßigkeit des staatlichen Eingriffes; letztere verlangte eine Abwägung der betroffenen Rechtsgüter und öffentlichen Interessen. In diesem Sinn darf eine Ausweisung nicht erlassen werden, wenn ihre Auswirkungen auf die Lebenssituation des Fremden schwerer wiegen, als die nachteiligen Folgen der Abstandnahme von ihrer Erlassung.
Die Verhältnismäßigkeit einer Rückkehrentscheidung ist dann gegeben, wenn der Konventionsstaat bei seiner aufenthaltsbeendenden Maßnahme einen gerechten Ausgleich zwischen dem Interesse des Fremden auf Fortsetzung seines Privat- und Familienlebens einerseits und dem staatlichen Interesse auf Verteidigung der öffentlichen Ordnung andererseits, also dem Interesse des Einzelnen und jenem der Gemeinschaft als Ganzes gefunden hat. Dabei variiert der Ermessensspielraum des Staates je nach den Umständen des Einzelfalles und muss in einer nachvollziehbaren Verhältnismäßigkeitsprüfung in Form einer Interessenabwägung erfolgen.
Bei dieser Interessenabwägung sind – wie in § 9 Abs. 2 BFA-VG unter Berücksichtigung der Judikatur der Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts ausdrücklich normiert wurde – die oben genannten Kriterien zu berücksichtigen (vgl. VfSlg. 18.224/2007; VwGH 26.06.2007, 2007/01/0479; 26.01.2006, 2002/20/0423).
Vom Begriff des „Familienlebens“ in Art. 8 EMRK ist nicht nur die Kernfamilie von Eltern und (minderjährigen) Kindern umfasst, sondern z. B. auch Beziehungen zwischen Geschwistern (EKMR 14.03.1980, Appl. 8986/80, EuGRZ 1982, 311) und zwischen Eltern und erwachsenen Kindern (etwa EKMR 06.10.1981, Appl. 9202/80, EuGRZ 1983, 215). Dies allerdings nur unter der Voraussetzung, dass eine gewisse Beziehungsintensität vorliegt. Es kann nämlich nicht von vornherein davon ausgegangen werden, dass zwischen Personen, welche miteinander verwandt sind, immer auch ein ausreichend intensives Familienleben iSd Art. 8 EMRK besteht, vielmehr ist dies von den jeweils gegebenen Umständen, von der konkreten Lebenssituation abhängig. Der Begriff des „Familienlebens“ in Art. 8 EMRK setzt daher neben der Verwandtschaft auch andere, engere Bindungen voraus; die Beziehungen müssen eine gewisse Intensität aufweisen. So ist etwa darauf abzustellen, ob die betreffenden Personen zusammenleben, ein gemeinsamer Haushalt vorliegt oder ob sie (finanziell) voneinander abhängig sind (vgl. etwa VwGH 26.01.2006, 2002/20/0423; 08.06.2006, 2003/01/0600; 26.01.2006, 2002/20/0235, worin der Verwaltungsgerichtshof feststellt, dass das Familienleben zwischen Eltern und minderjährigen Kindern nicht automatisch mit Erreichen der Volljährigkeit beendet wird, wenn das Kind weiter bei den Eltern lebt).
Der BF1 ist der Vater der BF2 und leben in einem gemeinsamen Haushalt. Zwar haben die BF mit einem Bruder/Onkel und Neffen und Nichten/Cousins und Cousinen hier Familienangehörige, leben mit denen aber nicht im gemeinsamen Haushalt und besteht auch darüber hinaus kein finanzielles Abhängigkeitsverhältnis.Darüber hinaus verfügen die BF über keine weiteren Familienangehörigen oder Verwandte oder sonstige familienähnliche Beziehungen zu denen ein Abhängigkeitsverhältnis besteht.
Die Beziehung der BF zueinander fällt sohin als schützenswertes Familienleben in den Schutzbereich des Art. 8 EMRK. Durch die gemeinsame Ausweisung bzw. Rückkehrentscheidung betreffend eine Familie bzw. dem Vater und seiner volljährigen Tochter wird nicht in das Familienleben der Fremden eingegriffen (VwGH 18.03.2010, 2010/22/0013; 19.09.2012, 2012/220143; 19.12.2012, 2012/22/0221; vgl. EGMR 09.10.2003, Fall Slivenko, NL 2003, 263).
Unter dem „Privatleben“ sind nach der Rechtsprechung des EGMR persönliche, soziale und wirtschaftliche Beziehungen, die für das Privatleben eines jeden Menschen konstitutiv sind, zu verstehen (vgl. EGMR 16.06.2005, Fall Sisojeva ua., Appl. 60654/00, EuGRZ 2006, 554).
Bei der Beurteilung der Frage, ob die BF in Österreich über ein schützenswertes Privatleben verfügen, spielt die zeitliche Komponente eine zentrale Rolle, da – abseits familiärer Umstände – eine von Art. 8 EMRK geschützte Integration erst nach einigen Jahren im Aufenthaltsstaat anzunehmen ist (vgl. Thym, EuGRZ 2006, 541). Ausgehend davon, dass der Verwaltungsgerichtshof bei einem dreieinhalbjährigen Aufenthalt im Allgemeinen von einer eher kürzeren Aufenthaltsdauer ausgeht (vgl. Chvosta, ÖJZ 2007/74 unter Hinweis auf VwGH 08.03.2005, 2004/18/0354; 27.03.2007, 2005/21/0378), und im Erkenntnis vom 26.06.2007, 2007/10/0479, argumentiert, "dass der Aufenthalt im Bundesgebiet in der Dauer von drei Jahren […] jedenfalls nicht so lange ist, dass daraus eine rechtlich relevante Bindung zum Aufenthaltsstaat abgeleitet werden könnte", und auch der Aufenthaltsdauer von weniger als fünf Jahren für sich betrachtet noch keine maßgebliche Bedeutung für die Interessensabwägung zukommt (VwGH 23.10.2019, Ra 2019/19/0289).
Die BF befinden sicher erst wieder seit September 2022 im Bundesgebiet und halten sich somit inzwischen seit knapp drei Jahren in Österreich auf, wobei sie aufgrund ihres gestellten Folgeantrages auf internationalen Schutz im März (BF1) und August (BF2) 2024 über ein bloß vorübergehendes, unsicheres Aufenthaltsrecht als Asylwerber verfügen und bis dahin trotz rechtskräftiger Rückkehrentscheidung nicht freiwillig ausreisten und ihrer Ausreiseverpflichtung nicht nachkamen. Bis zur gegenständlichen Folgeantragstellung verblieben die BF sodann entgegen ihrer Ausreiseverpflichtung von November 2022 bis März/August 2024 unrechtmäßig im Bundesgebiet. Die Aufenthaltsdauer der BF gestaltet sich somit insgesamt als nur kurz, stützt sich auf den Folgeantrag auf internationalen Schutz trotz vorangegangenen rechtskräftigen Statusaberkennungsverfahren Ende November 2022, sodass die Aufenthaltsdauer der BF nicht gegen eine Rückkehrentscheidung spricht. Zudem wurden hierdurch jegliche Integrationsschritte im Bewusstsein eines nur unsicheren Aufenthaltes gesetzt, wodurch deren Bedeutung weiter verringert wird.
Der BF1 verfügt über gute Deutschkenntnisse auf Niveau B1 und die BF2 hat einfache Kenntnisse der deutschen Sprache auf Anfängerniveau A1-A2. Darüber hinaus hat die BF2 auch keine sonstigen Aus- und Weiterbildungsmaßnahmen gesetzt. Der BF1 ist im Bundesgebiet legal erwerbstätig und selbsterhaltungsfähig und finanziert auch den Lebensunterhalt der BF2, die keiner legalen Beschäftigung nachgeht und im Bundesgebiet nicht selbsterhaltungsfähig ist. Die BF sind weder ehrenamtlich noch vereinsmäßig. Zwar stehen die BF mit ihren Familienangehörigen über Besuche regelmäßig in Kontakt, besteht darüber hinaus aber kein besonderes Abhängigkeitsverhältnis. Der Kontakt zu diesen Angehörigen wie auch mit ihren weiteren Verwandten und Familienangehörigen kann zum einen im Wege elektronischer Kommunikationsmittel in Kontakt bleiben, zum anderen sind auch gegenseitige Besuche in Drittstaaten möglich. Darüber hinaus ist es der BF (sowie ihrem Lebensgefährten) bei Erfüllung der allgemeinen aufenthaltsrechtlichen Regelungen des FPG bzw. NAG nicht verwehrt, wieder in das Bundesgebiet zurückzukehren. Die BF kehrten auch bereits im Jahr 2011 in die Russische Föderation zurück, trotz im Bundesgebiet aufhältiger Familienangehöriger und sind sie sohin eine Trennung von Familienangehörigen gewohnt. Insgesamt betrachtet hat der BF1 bereits insbesondere in sprachlicher und beruflicher Hinsicht Integrationsmaßnahmen gesetzt, die BF2 jedoch verfügt noch über keine maßgebliche Integration in sprachlicher, beruflicher und sozialer Hinsicht, zumal angesichts der erst kurzen Aufenthaltsdauer der BF seit ihrer erneuten Einreise im September 2022 keine außergewöhnliche Konstellation (vgl. VwGH 24.08.2021, Ra 2019/21/0286) vorliegt. Auch wenn der BF1 seit 2004 und die BF2 auch im Bundesgebiet geboren ist, reisten sie im Jahr 2011 in die Russische Föderation aus und verlegten ihren Wohnsitz für ca. 11 Jahre wieder in die Russische Föderation.
Zudem ist in die Interessensabwägung mit einzubeziehen, dass der BF1 in der Russischen Föderation geboren, aufgewachsen und zur Schule gegangen ist sowie dort gearbeitet und überhaupt trotz vorigen ca. 7-jährigen Aufenthalt (2004-2011) im Bundesgebiet den weitaus größten Teil seines Lebens in der Russischen Föderation verbracht hat. Auch hat die BF2, obwohl sie im Bundesgebiet geboren und die ersten 7 Jahre in Österreich gelebt hat, sodann ihre Kindheit und Jugend bis zum 18. Lebensjahr und damit auch den Großteil des Lebens in der Russischen Föderation verbracht, wo sie auch die Schule besuchte. Die BF sprechen fließend Tschetschenisch und Russisch auf muttersprachlichen Niveau, haben in der Russischen Föderation zudem nach wie vor breitgefächerte Verwandtschaft (Elternteile und Schwiegereltern/Großeltern, Geschwister/Onkeln, Tanten etc.), zu der weiterhin Kontakt besteht, sodass sie mit den Gepflogenheiten in ihrem Herkunftsstaat sehr gut vertraut sind und nicht die Rede davon sein kann, dass sie aus diesem entwurzelt wären.
Es ist demzufolge davon auszugehen, dass die Interessen der BF an einem Verbleib im Bundesgebiet gegenüber dem öffentlichen Interesse an der Einhaltung der die Einreise und den Aufenthalt von Fremden regelnden Bestimmungen aus der Sicht des Schutzes der öffentlichen Ordnung, dem nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ein hoher Stellenwert zukommt, in den Hintergrund treten. Die Verfügung der Rückkehrentscheidung war daher im vorliegenden Fall dringend geboten und erscheint auch nicht unverhältnismäßig.
Insgesamt haben sich damit gegenüber dem Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 23.11.2022, mit welchem das Statusaberkennungsverfahren abgeschlossen wurde, keine außergewöhnliche und maßgebliche zu Gunsten der BF zu wertende Veränderungen ergeben und lagen somit auch keine Gründe für eine anderslautende Entscheidung vor.
Die Erlassung einer Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG stellt sohin keine Verletzung der BF in ihrem Recht auf Privat- und Familienleben gemäß § 9 Abs. 2 BFA-VG iVm Art. 8 EMRK dar.
3.3.4. Gemäß § 52 Abs. 9 FPG ist mit einer Rückkehrentscheidung gleichzeitig festzustellen, ob die Abschiebung des Drittstaatsangehörigen gemäß § 46 in einen oder mehrere bestimmte Staaten zulässig ist. Eine (positive) Feststellung über die Zulässigkeit der Abschiebung ist in dieser Konstellation die Konsequenz der Nichtgewährung von Asyl und von subsidiärem Schutz und es kommt ihr nur die Funktion zu, den Zielstaat der Abschiebung festzulegen (VwGH 07.03.2019, Ra 2019/21/0044).
Infolge der Zurückweisung des Antrags der BF auf internationalen Schutz wegen entschiedener Sache war somit die Zulässigkeit ihrer Abschiebung in die Russische Föderation festzustellen. Im Sinne des § 50 Abs. 3 FPG steht der Abschiebung auch keine Empfehlung einer vorläufigen Maßnahme durch den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte entgegen.
3.3.5. Aufschiebende Wirkung
§ 16 BFA-VG
(2) Einer Beschwerde gegen eine Entscheidung, mit der
1. ein Antrag auf internationalen Schutz zurückgewiesen wird und diese mit einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme verbunden ist,
2. ein Antrag auf internationalen Schutz zurückgewiesen wird und eine durchsetzbare Rückkehrentscheidung bereits besteht oder
3. eine Anordnung zur Außerlandesbringung gemäß § 61 Abs. 1 Z 2 FPG erlassen wird,
sowie einem diesbezüglichen Vorlageantrag kommt die aufschiebende Wirkung nicht zu, es sei denn, sie wird vom Bundesverwaltungsgericht zuerkannt.
§ 17 BFA-VG
(1) Das Bundesverwaltungsgericht hat der Beschwerde gegen eine Entscheidung, mit der ein Antrag auf internationalen Schutz zurückgewiesen wird und
1. diese Zurückweisung mit einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme verbunden ist oder
2. eine durchsetzbare Rückkehrentscheidung bereits besteht
sowie der Beschwerde gegen eine Anordnung zur Außerlandesbringung gemäß § 61 Abs. 1 Z 2 FPG jeweils binnen einer Woche ab Vorlage der Beschwerde von Amts wegen durch Beschluss die aufschiebende Wirkung zuzuerkennen, wenn anzunehmen ist, dass eine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Fremden in den Staat, in den die aufenthaltsbeendende Maßnahme lautet, eine reale Gefahr einer Verletzung von Art. 2 EMRK, Art. 3 EMRK, Art. 8 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention bedeuten würde oder für ihn als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde. In der Beschwerde gegen den in der Hauptsache ergangenen Bescheid sind die Gründe, auf die sich die Behauptung des Vorliegens einer realen Gefahr oder einer ernsthaften Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit gemäß Satz 1 stützt, genau zu bezeichnen. § 38 VwGG gilt.
(2) Über eine Beschwerde gegen eine zurückweisende Entscheidung nach Abs. 1 oder gegen eine Anordnung zur Außerlandesbringung gemäß § 61 Abs. 1 Z 2 FPG hat das Bundesverwaltungsgericht binnen acht Wochen zu entscheiden.
(3) Bei der Entscheidung, ob einer Beschwerde gegen eine Anordnung zur Außerlandesbringung die aufschiebende Wirkung zuerkannt wird, ist auch auf die unionsrechtlichen Grundsätze der Art. 26 Abs. 2 und 27 Abs. 1 der Dublin-Verordnung und die Notwendigkeit der effektiven Umsetzung des Unionsrechtes Bedacht zu nehmen.
(4) Ein Ablauf der Frist nach Abs. 1 steht der Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung nicht entgegen.
§ 18 BFA-VG
(1) Einer Beschwerde gegen eine abweisende Entscheidung über einen Antrag auf internationalen Schutz kann das Bundesamt die aufschiebende Wirkung aberkennen, wenn
1. der Asylwerber aus einem sicheren Herkunftsstaat (§ 19) stammt,
2. schwerwiegende Gründe die Annahme rechtfertigen, dass der Asylwerber eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung darstellt,
3. der Asylwerber das Bundesamt durch falsche Angaben oder Dokumente oder durch Verschweigen wichtiger Informationen oder durch Zurückhalten von Dokumenten über seine Identität oder seine Staatsangehörigkeit zu täuschen versucht hat,
4. der Asylwerber Verfolgungsgründe nicht vorgebracht hat,
5. das Vorbringen des Asylwerbers zu seiner Bedrohungssituation offensichtlich nicht den Tatsachen entspricht,
6. gegen den Asylwerber vor Stellung des Antrags auf internationalen Schutz eine durchsetzbare Rückkehrentscheidung, eine durchsetzbare Ausweisung oder ein durchsetzbares Aufenthaltsverbot erlassen worden ist, oder
7. der Asylwerber sich weigert, trotz Verpflichtung seine Fingerabdrücke abnehmen zu lassen.
Hat das Bundesamt die aufschiebende Wirkung nicht aberkannt, so ist Abs. 2 auf diese Fälle nicht anwendbar. Hat das Bundesamt die aufschiebende Wirkung aberkannt, gilt dies als Aberkennung der aufschiebenden Wirkung einer Beschwerde gegen eine mit der abweisenden Entscheidung über einen Antrag auf internationalen Schutz verbundenen Rückkehrentscheidung.
Mit dem angefochtenen Bescheiden wurde einer Beschwerde gegen diese Entscheidung gemäß § 18 Abs. 1 Ziffer 6 BFA-VG die aufschiebende Wirkung aberkannt; dies erfolgte zu Recht, weil mit Erkenntnis des BVwG im Statusaberkennungsverfahren vom 23.11.2022 eine rechtskräftige und durchsetzbare Rückkehrentscheidung gegen die BF besteht.
Zudem kommt gemäß § 16 Abs. 2 BFA-VG einer Beschwerde gegen eine Entscheidung, mit der ein Antrag auf internationalen Schutz zurückgewiesen wird und diese mit einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme verbunden ist, die aufschiebende Wirkung nicht zu.
Seitens des Verwaltungsgerichtes ist nicht anzunehmen, dass eine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung der BF in den Staat, in den die aufenthaltsbeendende Maßnahme lautet, eine reale Gefahr einer Verletzung von Art. 2 EMRK, Art. 3 EMRK, Art. 8 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention bedeuten würde oder für sie als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde.
Daher sind den Beschwerden keine aufschiebende Wirkung zuzuerkennen und insofern die Beschwerden auch gegen Spruchpunkt VI. als unbegründet abzuweisen.
3.3.6. Gemäß § 55 Abs. 1 FPG wird mit einer Rückkehrentscheidung gemäß § 52 zugleich eine Frist für die freiwillige Ausreise festgelegt. Gemäß § 55 Abs. 1a FPG besteht eine Frist für die freiwillige Ausreise nicht für die Fälle einer zurückweisenden Entscheidung gemäß § 68 AVG sowie wenn eine Entscheidung auf Grund eines Verfahrens gemäß § 18 BFA-VG durchführbar wird.
Da der gegenständliche Folgeantrag gemäß § 68 AVG zurückgewiesen wird und den Beschwerden keine aufschiebende Wirkung zukommt, setzte das Bundesamt somit zurecht keine Frist für die freiwillige Ausreise.
Es sind daher insgesamt auch die Beschwerde gegen die Spruchpunkte III. bis VII. der angefochtenen Bescheide abzuweisen.
Es ist spruchgemäß zu entscheiden.
Zu B) Unzulässigkeit der Revision:
Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.
Die Revision gegen die gegenständliche Entscheidung ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen – im Rahmen der rechtlichen Beurteilung bereits wiedergegebenen – Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor. Konkrete Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung sind weder in der gegenständlichen Beschwerde vorgebracht worden noch im Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht hervorgekommen.
Es war spruchgemäß zu entscheiden.
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