JudikaturBVwG

W261 2315068-1 – Bundesverwaltungsgericht Entscheidung

Entscheidung
07. Juli 2025

Spruch

W261 2315068-1/5E

BESCHLUSS

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag.a Karin GASTINGER, MAS als Vorsitzende und die Richterin Mag.a Karin RETTENHABER-LAGLER sowie die fachkundige Laienrichterin Dr.in Christina MEIERSCHITZ als Beisitzerinnen über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , gegen den Bescheid des Sozialministeriumservice, Landesstelle Wien, vom 11.06.2025, betreffend die Abweisung des Antrages auf Ausstellung eines Behindertenpasses beschlossen:

A)

In Erledigung der Beschwerde wird der angefochtene Bescheid behoben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an das Sozialministeriumservice, Landesstelle Wien, zurückverwiesen.

B)

Die Revision ist nicht zulässig.

Text

Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang:

1. Der Beschwerdeführer stellte am 17.06.2023 beim Sozialministeriumservice (in der Folge „belangte Behörde“ genannt) einen Antrag auf Ausstellung eines Ausweises gemäß § 29b Straßenverkehrsordnung (StVO) (Parkausweis), der entsprechend dem von der belangten Behörde zur Verfügung gestellten und vom Beschwerdeführer ausgefüllten Antragsformular auch als Antrag auf Vornahme der Zusatzeintragung „Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung" in den Behindertenpass gilt und legte eine Reihe von ärztlichen Befunden vor.

2. Die belangte Behörde holte ein Sachverständigengutachten einer Fachärztin für Psychiatrie und Ärztin für Allgemeinmedizin ein. In dem auf Grundlage einer persönlichen Untersuchung des Beschwerdeführers am 08.11.2023 erstatteten Gutachten vom 18.12.2023 stellte die medizinische Sachverständige die Funktionseinschränkungen „Posttraumatische Belastungsstörung PTSD – Störung leichten Grades“, Position 03.05.01 der Anlage der Einschätzungsverordnung (EVO) mit einem Grad der Behinderung (GdB) von 20 % fest.

3. Die belangte Behörde holte ein weiteres medizinisches Sachverständigengutachten einer Fachärztin für Innere Medizin ein. In deren Sachverständigengutachten vom 13.03.2024, beruhend auf einer persönlichen Untersuchung des Beschwerdeführers am selben Tag, kommt die medizinische Sachverständige zum Ergebnis, dass nach den vorliegenden internistischen Befunden ein POTS nicht befundbelegt sei, ebenso seien die angeführte Fructose/Histamin Intoleranz sowie Urtikaria (Nesselsucht) mittels aktuellen Befunden nicht belegt. Es könne kein Grad der Behinderung ermittelt werden.

4. Die befasste medizinische Sachverständige aus dem Fachbereich der Inneren Medizin erstellte am 15.03.2024 eine Gesamtbeurteilung, wonach der Beschwerdeführer an einer „Posttraumatischen Belastungsstörung PTSD – Störung leichten Grades“, Position 03.05.01 der Anlage der EVO, GdB 20 % leiden würde.

5. Die belangte Behörde übermittelte dem Beschwerdeführer dieses Sachverständigengutachten mit Schreiben vom 19.03.2024 im Rahmen des Parteiengehörs und räumte diesem eine Frist zur Abgabe einer Stellungnahme ein.

6. Der Beschwerdeführer gab am 01.04.2024 eine schriftliche Stellungnahme ab und legte ein Konvolut an medizinischen Befunden vor, welche er Großteils bereits vorgelegt hatte. In seiner Stellungnahme führte der Beschwerdeführer aus, dass er der Ansicht sei, dass er die Voraussetzungen für die Ausstellung eines Behindertenpasses sehr wohl erfüllen würde. In den medizinischen Sachverständigengutachten seien wichtige Aspekte seiner Erkrankung nicht berücksichtigt worden. Es seien nicht alle aktuellen medizinischen Befunde berücksichtigt und seien diese nicht ausreichend gewürdigt worden. Der Beschwerdeführer legte auch ein Übereinkommen zwischen Israel und Österreich über soziale Sicherheit vor. Er habe in Israel eine 100%ige Invalidität zuerkannt erhalten.

7. Über Ersuchen der belangten Behörde erstellte der medizinische Sachverständige aus dem Fachbereich der Inneren Medizin am 25.05.2024 (vidiert am 27.05.2024) ein Aktengutachten. Sie führte darin aus, dass die vom Beschwerdeführer nachgereichten Befunde durchwegs älter seien. Aus internistischer Sicht sei keine Änderung eingetreten.

8. In der Gutachten aufgrund der Aktenlage vom 27.08.2024 führte die medizinische Sachverständige aus dem Fachbereich der Psychiatrie aus, dass sich bei neuerlicher Prüfung sämtlicher vorgebrachten Beschwerden, des eigenen klinischen Befundes vom 18.12.2023 und der nachgereichten Befunde keine geänderte Beurteilung ergeben würde.

9. Die befasste medizinische Sachverständige aus dem Fachbereich der Inneren Medizin erstellte am 28.08.2024 neuerlich eine Gesamtbeurteilung, wonach der Beschwerdeführer an einer „Posttraumatischen Belastungsstörung PTSD – Störung leichten Grades“, Position 03.05.01 der Anlage der EVO mit einem GdB von 20 % leiden würde.

10. Die belangte Behörde übermittelte dem Beschwerdeführer dieses Sachverständigengutachten mit Schreiben vom 02.09.2024 im Rahmen des Parteiengehörs und räumte diesem eine Frist zur Abgabe einer Stellungnahme ein.

11. Der Beschwerdeführer gab eine weitere Stellungnahme ab, welche am 17.09.2024 bei der belangten Behörde einlangte. Darin führte er aus, dass er an einer Reihe von Erkrankungen und Behinderungen leiden würde. Zum Beweis hierfür legte der Beschwerdeführe eine Reihe von medizinischen Befunden vor. Er schloss dieser Stellungnahme auch seine Krankenakte aus Israel an, welche ihm eine Erwerbsunfähigkeit von 61 % und eine Arbeitsunfähigkeit von 100% zusprechen würde. Er bitte darum, das Sozialversicherungsabkommen zwischen dem Staat Israel und der Republik Österreich zu berücksichtigen, welches die Wahrung seiner Rechte in beiden Ländern versprechen würde.

12. Die befasste medizinische Sachverständige gab über Ersuchen der belangten Behörde am 29.10.2024 eine Stellungnahme ab, wonach der Beschwerdeführer keine aktuellen aussagekräftigen Befunde vorgelegt habe. Daher sei aus ihrem Fachgebiet betreffend eine Änderung des Gutachtens nicht vertretbar. Sie würde jedoch eine psychiatrische Stellungnahme empfehlen.

13. Der Beschwerdeführer legte am 05.12.2024 den ärztlichen Entlassungsbericht der XXXX vom 31.10.2024 vor, wonach er als Hauptdiagnose an einem POTS Syndrom incl. orthostatischer Dysregulationsstörung und rezidvierenden Tachykardien G90.8, und als Nebendiagnosen an einem Fibromyalgie Syndrom, M79.9, Posttraumatische Belastungsstörung, F 43.1 und an einer Laktoseintoleranz, E73.9 leiden würde.

14. Die befasste medizinische Sachverständige aus dem Fachbereich der Psychiatrie erstellte über Ersuchen der belangten Behörde am 06.03.2025 ein Sachverständigengutachten aufgrund der Aktenlage. Darin stellte die medizinische Sachverständige unter anderem fest, dass der Beschwerdeführer an einer „posttraumatische Belastungsstörung, somatoforme autonome Funktionsstörung, Panikstörung und rezidivierende depressive Störung (ggw. mittelgradig)“, Position 03.05.04 der Anlage der EVO mit einem GdB von 40 % leiden würde. Eine Erhöhung des GdB sei aus dem Grund erfolgt, weil trotz laufender Therapie keine Besserung eingetreten sei.

15. Die belangte Behörde übermittelte dem Beschwerdeführer dieses Sachverständigengutachten mit Schreiben vom 07.03.2025 im Rahmen des Parteiengehörs und räumte diesem eine Frist zur Abgabe einer Stellungnahme ein.

16. Der Beschwerdeführer gab am 24.03.2025 eine schriftliche Stellungnahme ab. Darin führte er im Wesentlichen aus, dass er mit dem Ergebnis der Beweisaufnahme, insbesondere mit den Ausführungen der namentlich zitierten Sachverständigen aus dem Fachbereich der Inneren Medizin nicht einverstanden sei. Er gab an, dass er ein weiteres medizinisches Gutachten eingeholt habe, welches seiner Auffassung nach bestätigen würde, dass die Voraussetzungen für die Ausstellung eines Behindertenpasses vorliegen würden. Dieses werde ihm am 25.03.2025 vorliegen. Er ersuche, seine Stellungnahme und die Einreichung des zusätzlichen Gutachtens bei der Entscheidung zu berücksichtigen.

17. Der Beschwerdeführer legte mit Emailnachricht vom 25.03.2025 einen Patientenbrief einer Fachärztin für Innere Medizin und Kardiologie vom 24.03.2025 vor. In diesem Patientenbrief sind Diagnosen ebenso aufgelistet, jene Medikamente, welche der Beschwerdeführer regelmäßig einnimmt.

18. Die befasste medizinische Sachverständige gab über Ersuchen der belangten Behörde am 26.05.2025 eine Stellungnahme ab, wonach weiterhin keine aussagekräftigen Befunde einer internistischen Erkrankung vorliegen würden, weswegen es zu keiner Änderung des Begutachtungsergebnisses komme.

19. Mit dem angefochtenen Bescheid vom 11.06.2025 wies die belangte Behörde den Antrag des Beschwerdeführers auf Ausstellung eines Behindertenpasses ab und stellte fest, dass beim Beschwerdeführer ein Gesamtgrad der Behinderung von 40 v.H. vorliegen würde. Die belangte Behörde übermittelte mit dem Bescheid das ärztliche Sachverständigengutachten aufgrund der Aktenlage der medizinischen Sachverständigen aus dem Fachbereich der Psychiatrie vom 06.023.2025 und die letztgenannte Stellungnahme der medizinischen Sachverständigen aus dem Fachbereich der Inneren Medizin an.

20. Der Beschwerdeführer erhob fristgerecht das Rechtsmittel der Beschwerde. Darin brachte er im Wesentlichen vor, dass die Einschätzung, wonach sein Gesamtgrad der Behinderung lediglich mit 40 v.H. festgestellt werde, sowohl in medizinischer als auch in rechtlicher Hinsicht grob fehlerhaft und willkürlich sei und ihn in seinen Rechten verletzen würde. Es würde die Gesamtheit und die Schwere seiner gesundheitlichen Beeinträchtigungen verkennen, welche kausal auf ein schweres Kriegstrauma zurückzuführen seien und würde schlüssige und übereinstimmende Facharztbefunde ignorieren.

Er stelle den Antrag, den angefochtenen Bescheid aufzuheben, seinen Grad der Behinderung unter Beachtung auf die tatsächliche Schwere seiner Leiden und der vollen Aktenlage mit mindestens 60 v.H. neu festzusetzen und die Ausstellung eines Behindertenpasses anzuordnen.

Das Gutachten der belangten Behörde würde unter einem gravierenden Begründungsmangel leiden. Es sei verabsäumt worden, auf die schlüssigen, detaillierten und übereinstimmenden Befunden seiner behandelnden Fachärzte auseinanderzusetzen und eine nachvollziehbare Begründung zu liefern, warum von deren Einschätzung abgewichen werde. Die medizinische Sachverständige habe den wellenartigen Krankheitsverlauf und der Belastungstoleranz verkannt. Die EVO sei fehlerhaft angewendet worden. Seine Leidensgeschichte sei nicht nur eine einfache PTBS. Als junger Sanitäter habe er einen traumatischen Terroranschlag erlebt, bei dem er unter Lebensgefahr Menschenleben gerettet habe. Seine Psychiaterin habe ihm eine komplexe PTBS diagnostiziert. Diese Diagnose in Kombination mit der Panikstörung, der rezidivierenden depressiven Störung (mittelgradig) und der schweren somatoformen autonomen Funktionsstörung würde bei weitem die Kriterien für einen höheren Rahmensatz, nämlich jenen für „Störungen mittleren Grades mit deutlichen Einflüssen auf die soziale Anpassungsfähigkeit“, was einem GdB von 50 – 70 v.H. entsprechen würde. Darüber hinaus seien seine schweren physischen Erkrankungen (POTS, CFS/ME, MCAS, Fibromyalgie, etc.) im Gutachten faktisch mit 0 bewertet worden. Das sei medizinisch unhaltbar und würde den von ihm vorgelegten medizinischen Befunden seiner namentlich genannten behandelnden Ärzte widersprechen.

Die belangte Behörde habe das Sozialversicherungsabkommen mit Israel missachtet. Besonders gravierend sei die krasse Diskrepanz zur Einschätzung durch den Staat Israel. Die israelische Sozialversicherung habe nach jahrelangen intensiven Prüfungen eine dauerhafte medizinische Behinderung von 61 v.H. und eine 100%ige Arbeitsunfähigkeit festgestellt. Dies sei auf Basis weniger Diagnosen als jenen, die heute in Österreich gesichert seien, geschehen. Gemäß dem Abkommen zwischen der Republik Österreich und dem Staat Israel über Soziale Sicherheit seien die Träger beider Staaten zur Zusammenarbeit verpflichtet. Während die israelische Einschätzung formell nicht bindend sei, stelle sie dennoch ein gewichtiges Beweismittel dar, das vom der belangten Behörde nicht ohne triftige nachvollziehbare Gründe ignoriert werden dürfe. Wie könne es sein, dass zwei entwickelte Rechtsstaaten bei einer identischen Person und sich verschlechternde Gesundheitszustand zu derart fundamental unterschiedlichen Ergebnissen gekommen werden können?

Schließlich führte der Beschwerdeführer zu seinem persönlichen Hintergrund und die Bedeutung des Behindertenpasses aus. Hinter den juristischen und medizinischen Argumenten würde eine menschliche Tragödie stehen. Er habe sein Leben dem Dienst an den Anderen gewidmet. Trotz seiner schweren, unsichtbaren Krankheiten habe er eine weltweit anerkannte Patientenorganisation gegründet, und habe hierfür unzählige Anerkennungen bekommen. Er habe sein Trauma und seinen Schmerz in eine Kraft verwandelt, die anderen Hoffnung geben würde.

Dass ihm nun in Österreich, dem Land, in dem seine Familie unter dem NS-Regime gelitten habe und zu dem er eine neue, positive Beziehung habe aufbauen wollen, ihm die grundlegende Anerkennung seines Leidens verwehre, sei eine zutiefst verletzende und diskriminierende Erfahrung. Der Behindertenpass sei für ihn kein Privileg, sondern eine existentielle Notwendigkeit. Es sei das Minimum an Sicherheit und Nachteilsausgleich, welches ihm ein Leben in Würde und Fortführung seines Engagements in jenen Phasen, in denen es ihm seine Gesundheit erlauben würde, ermöglichen würde.

Er ersuche, dass das Bundesverwaltungsgericht, die Aktenlage einer sorgfältigen und gerechten Prüfung zu unterziehen und die fehlerhafte Entscheidung der belangten Behörde zu korrigieren.

21. Die belangte Behörde legte das Beschwerdeverfahren dem Bundesverwaltungsgericht mit Schreiben vom 27.06.2025 zur Entscheidung vor, wo dieser am 30.06.2025 einlangte.

22. Das Bundesverwaltungsgericht holte am 30.06.2025 einen Auszug aus dem Zentralen Melderegister ein, wonach der Beschwerdeführer rumänischer und israelischer Staatsbürger ist und seinen ordentlichen Wohnsitz im Inland hat.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

Zu A)

Gemäß § 28 Abs. 2 Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz (in der Folge VwGVG) hat das Verwaltungsgericht über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG dann in der Sache selbst zu entscheiden,

1. wenn der maßgebliche Sachverhalt feststeht oder

2. die Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts durch das Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist.

Liegen die Voraussetzungen des Abs. 2 nicht vor, hat das Verwaltungsgericht gemäß § 28 Abs. 3 VwGVG im Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG in der Sache selbst zu entscheiden, wenn die Behörde dem nicht bei der Vorlage der Beschwerde unter Bedachtnahme auf die wesentliche Vereinfachung oder Beschleunigung des Verfahrens widerspricht. Hat die Behörde notwendige Ermittlungen des Sachverhalts unterlassen, so kann das Verwaltungsgericht den angefochtenen Bescheid mit Beschluss aufheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an die Behörde zurückverweisen. Die Behörde ist hiebei an die rechtliche Beurteilung gebunden, von welcher das Verwaltungsgericht bei seinem Beschluss ausgegangen ist.

Das Modell der Aufhebung des Bescheides und Zurückverweisung der Angelegenheit an die Behörde folgt konzeptionell jenem des § 66 Abs. 2 AVG, allerdings mit dem Unterschied, dass die Notwendigkeit der Durchführung einer mündlichen Verhandlung nach § 28 Abs. 3 VwGVG nicht erforderlich ist. Voraussetzung für eine Aufhebung und Zurückverweisung ist allgemein (nur) das Fehlen behördlicher Ermittlungsschritte. Sonstige Mängel, abseits jener der Sachverhaltsfeststellung, legitimieren nicht zur Behebung auf Grundlage von § 28 Abs. 3 2. Satz VwGVG (Fister/Fuchs/Sachs, Verwaltungsgerichtsverfahren (2013), § 28 VwGVG, Anm. 11.).

§ 28 Abs. 3 2. Satz VwGVG bildet damit die Rechtsgrundlage für eine kassatorische Entscheidung des Verwaltungsgerichtes, wenn die Behörde notwendige Ermittlungen des Sachverhalts unterlassen hat.

Wie der Verwaltungsgerichtshof in seinem Erkenntnis vom 26.06.2014, Ro 2014/03/0063, zur Auslegung des § 28 Abs. 3 2. Satz ausgeführt hat, ist vom prinzipiellen Vorrang einer meritorischen Entscheidungspflicht der Verwaltungsgerichte auszugehen. Nach der Bestimmung des § 28 Abs. 2 Z 1 VwGVG kommt bereits nach ihrem Wortlaut die Aufhebung eines Bescheides einer Verwaltungsbehörde durch ein Verwaltungsgericht nicht in Betracht, wenn der für die Entscheidung maßgebliche Sachverhalt feststeht (vgl. auch Art. 130 Abs. 4 Z 1 B-VG). Dies wird jedenfalls dann der Fall sein, wenn der entscheidungsrelevante Sachverhalt bereits im verwaltungsbehördlichen Verfahren geklärt wurde, zumal dann, wenn sich aus der Zusammenschau der im verwaltungsbehördlichen Bescheid getroffenen Feststellungen (im Zusammenhalt mit den dem Bescheid zu Grunde liegenden Verwaltungsakten) mit dem Vorbringen in der gegen den Bescheid erhobenen Beschwerde kein gegenläufiger Anhaltspunkt ergibt.

Ist die Voraussetzung des § 28 Abs. 2 Z 1 VwGVG erfüllt, hat das Verwaltungsgericht (sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist) "in der Sache selbst" zu entscheiden.

Das im § 28 VwGVG insgesamt normierte System, in dem insbesondere die normative Zielsetzung der Verfahrensbeschleunigung bzw. der Berücksichtigung einer angemessenen Verfahrensdauer ihren Ausdruck findet, verlangt, dass von der Möglichkeit der Zurückverweisung nur bei krassen bzw. besonders gravierenden Ermittlungslücken Gebrauch gemacht wird.

Wie der Verwaltungsgerichtshof im oben angeführten Erkenntnis ausgeführt hat, wird eine Zurückverweisung der Sache an die Verwaltungsbehörde zur Durchführung notwendiger Ermittlungen daher insbesondere dann in Betracht kommen, wenn die Verwaltungsbehörde jegliche erforderliche Ermittlungstätigkeit unterlassen hat, wenn sie zur Ermittlung des maßgebenden Sachverhalts (vgl. § 37 AVG) lediglich völlig ungeeignete Ermittlungsschritte gesetzt oder bloß ansatzweise ermittelt hat. Gleiches gilt, wenn konkrete Anhaltspunkte annehmen lassen, dass die Verwaltungsbehörde (etwa schwierige) Ermittlungen unterließ, damit diese dann durch das Verwaltungsgericht vorgenommen werden (etwa im Sinn einer "Delegierung" der Entscheidung an das Verwaltungsgericht, vgl. Holoubek, Kognitionsbefugnis, Beschwerdelegitimation und Beschwerdegegenstand, in: Holoubek/Lang (Hrsg), Die Verwaltungsgerichtsbarkeit, erster Instanz, 2013, Seite 127, Seite 137; siehe schon Merli, Die Kognitionsbefugnis der Verwaltungsgerichte erster Instanz, in Holoubek/Lang (Hrsg), Die Schaffung einer Verwaltungsgerichtsbarkeit erster Instanz, 2008, Seite 65, Seite 73 f).

Der angefochtene Bescheid erweist sich in Bezug auf den zu ermittelnden Sachverhalt aus folgenden Gründen als grob mangelhaft:

a) Zu den physischen Leiden des Beschwerdeführers und den von ihm vorgelegten medizinischen Befunden

Ganz grundsätzlich führte die beigezogene medizinische Sachverständige aus dem Fachbereich der Inneren Medizin in deren Sachverständigengutachten vom 13.03.2024 (vidiert am 14.03.2024), beruhend auf einer persönlichen Untersuchung des Beschwerdeführers am selben Tag, vom 25.05.2024 aufgrund der Aktenlage und in deren Stellungnahme vom 29.10.2024 richtig aus, dass jene physischen Leiden, welche der Beschwerdeführer angibt, nicht durch entsprechende aktuelle medizinische Befunde objektiviert sind.

Das ärztliche Gutachten von XXXX datiert vom 29.06.2016 und ist damit nicht mehr aktuell.

Das ärztliche Attest seiner Hausärztin Dr.in XXXX datiert vom 06.03.2023 enthält zwar Diagnosen, jedoch keinen klinischen Status/Fachstatus, welche diese Diagnosen auch medizinisch nachvollziehbar und damit objektivierbar machen würde.

Dies gilt auch für den Bericht der Schmerz Ordination von Priv. Doz. Dr. XXXX , MMMSc. Vom 11.04.2023. Auch diesem Befund ist zwar eine Diagnose zu entnehmen, es wird ein Verlauf und das weitere Vorgehen und die empfohlene Therapie beschrieben, was auch bei diesem Befund fehlt, ist ein klinischer Status/Fachstatus, welcher die Diagnosen nachvollziehbar und damit medizinisch objektivierbar machen würden.

Der Befundbericht von XXXX vom 13.02.2023 enthält Diagnosen und eine Art Anamnese, jedoch wiederum keinen klinischen Status/Fachstatus.

Der Auszug aus der Kartei seiner Hausärztin vom 11.09.2024 enthält wiederum eine Reihe von Diagnosen, es ist jedoch nicht medizinisch objektiviert, aufgrund welchem klinischen Status/Fachstatus diese Diagnosen beruhen.

Auch der in Englisch verfasste Bericht über einen Folgebesuch vom 10.09.2024 der Schmerz Ordination von Priv. Doz. Dr. XXXX , MMMSc. enthält wiederum zwar eine Beschreibung des Verlaufs, jedoch keinen klinischen Status/Fachstatus.

Dies gilt auch für den Befundbericht von XXXX vom 11.09.2024.

Die Bestätigung seiner Psychotherapeutin XXXX vom 06.09.2024 bestätigt zwar die Anzahl der Psychotherapieeinheiten, es findet sich auch in dieser Bestätigung kein klinischer Status, Fachstatus, welcher die dort erstellte Diagnose „ICD-11 6B41“ medizinisch objektivieren würde.

Der fachärztliche Befund des psychosozialen Zentrums XXXX vom 06.09.2024 enthält zwar eine ausführliche Anamnese, auch hier fehlt ein klinischer Status/Fachstatus.

Der Befund von Dr.in XXXX , FA für Innere Medizin und Kardiologie vom 23.03.2025 enthält auch eine Art Anamnese bzw. eine Wiedergabe der vom Beschwerdeführer genannten Beschwerden, auch hier fehlt ein klinischer Satus/Fachstatus, welcher diese Beschwerden auch nachvollziehbar medizinisch objektivieren würden.

Der Patientenbrief von Dr.in XXXX , FA für Innere Medizin und Kardiologie vom 24.03.2025 enthält Diagnosen und eine Auflistung der aktuellen Dauermedikation des Beschwerdeführers, was auch hier fehlt ist ein klinischer Status/Fachstatus.

Dies ist deshalb von Bedeutung, weil ärztliche Atteste, die lediglich Schlussfolgerungen enthalten, aber keinen Befund, aus dem diese Schlussfolgerungen nachvollziehbar ableitbar wären, nicht geeignet sind, Bedenken gegen das vollständige und schlüssige Gutachten eines Amtssachverständigen zu erwecken (VwGH 02.05.2001, 95/12/0260; 22.03.1995, 94/12/0245).

Entgegen dem Vorbringen des Beschwerdeführers in seiner Beschwerde sind die oben genannten medizinischen Befunde für den erkennenden Senat weder schlüssig noch nachvollziehbar. Daher hat die medizinische Sachverständige aus dem Fachbereich der Inneren Medizin grundsätzlich richtigerweise diese Befunde nicht entsprechend berücksichtigt und als Grundlage für ihre Einschätzung nach der EVO herangezogen. Es wäre am Beschwerdeführer gelegen, im Rahmen der ihn treffenden Mitwirkungsverpflichtung entsprechende medizinische Befunde vorzulegen, welche auch einen klinischen Status/Fachstatus enthalten.

Das oben Ausgeführte gilt jedoch nicht für den vom Beschwerdeführer am 05.12.2024 vorgelegten ärztlichen Entlassungsbericht der XXXX vom 31.10.2024. Hier findet sich ein Status bei der Aufnahme und ein Status bei der Entlassung, aus welchem die Diagnosen bei der Entlassung nachvollzogen werden können. In diesem ärztlichen Entlassungsbericht ist als Hauptdiagnose „G90.8 POTS Syndrom incl. orthostatischer Dysregulationsstörung und rez. Tachykardien“ und sind als Nebendiagnosen „M79.9 Fibromyalgie Syndrom, F43.1 Posttraumatische Belastungsstörung und E73.9 Laktoseintoleranz“ angeführt.

Es ist für den erkennenden Senat nicht nachvollziehbar, aus welchen Gründen die befasste medizinische Sachverständige aus dem Fachbereich der Inneren Medizin diesen schlüssigen und nachvollziehbaren Ärztlichen Entlassungsbericht nicht in deren Stellungnahme vom 26.05.2025 miteinbezogen hat.

Es gibt für den erkennenden Senat Hinweise darauf, dass beim Beschwerdeführer auch medizinisch objektivierte physische Leiden bestehen, welche von der medizinischen Sachverständigen aus dem Fachbereich der Inneren Medizin nicht entsprechend berücksichtigt wurden.

Das Sachverständigengutachten der Fachärztin für Innere Medizin hätte daher von der belangten Behörde nicht ohne Ergänzung seiner Entscheidung zugrunde gelegt werden dürfen. (VwGH vom 08.07.2015, Ra 2015/11/0036)

b) Zu den psychischen Leiden des Beschwerdeführers

Die medizinische Sachverständige aus dem Fachbereich der Psychiatrie stellte in deren Gutachten aufgrund der Aktenlage vom 06.03.2025 fest, dass sich der Gesundheitszustand des Beschwerdeführers im Vergleich zum Vorgutachten verschlechtert habe und nunmehr ein GdB von 40 v.H. bestehen würde.

Es ist für den erkennenden Senat nicht nachvollziehbar, wie es der medizinischen Sachverständigen aus dem Fachbereich der Psychiatrie möglich gewesen ist, den psychischen Zustand des Beschwerdeführers und die damit im Zusammenhang stehenden Funktionseinschränkungen festzustellen, ohne sich ein aktuelles Bild von seinem psychischen Gesundheitszustand gemacht zu haben. Hinzu kommt, dass seit der letzten Untersuchung des Beschwerdeführers durch die befasste medizinische Sachverständige am 08.11.2023 stattgefunden hat. Die Gutachtenserstellung erfolgte im März 2025, sohin liegt zwischen der Untersuchung und dem aktuellen Gutachten ein Zeitraum von mehr als eineinhalb Jahren. Innerhalb dieses Zeitraums hat sich der Gesundheitszustand des Beschwerdeführers ganz offensichtlich geändert.

Aus einer von der belangten Behörde im Jahr 2017 herausgegebenen Arbeitsunterlage zum Thema „Das ärztliche Gutachten“ wird zu Aktengutachten ausdrücklich festgehalten, dass Aktengutachten zur Einschätzung von Funktionseinschränkungen bei psychiatrischen Erkrankungen nicht möglich sind. Das eingeschätzte Leiden des Beschwerdeführers ist ein psychiatrisches Leiden, woraus folgt, dass nach den eigenen Vorgaben der belangten Behörde für die Erstellung von medizinischen Sachverständigengutachten bei dieser Art von Funktionseinschränkungen kein Aktengutachten hätte erstellt und der Entscheidung zugrunde gelegt werden dürfen.

Sohin ist das Verfahren vor der belangten Behörde mit einem groben Verfahrensmangel behaftet.

Im fortgesetzten Verfahren wird von der belangten Behörde sohin einerseits ein medizinisches Sachverständigengutachten aus dem Fachbereich Inneren Medizin und ein medizinisches Sachverständigengutachten aus dem Fachbereich der Psychiatrie, beide jeweils beruhend auf einer persönlichen Untersuchung des Beschwerdeführers einzuholen sein.

Dabei wird auf alle physischen und psychiatrischen Leidenszustände des Beschwerdeführers in nachvollziehbarer Weise einzugehen sein.

Nach Vorliegen dieser beiden medizinischen Sachverständigengutachten wird von einem/einer der beiden Sachverständigen eine Gesamtbeurteilung vorzunehmen sein, wobei insbesondere auch zu prüfen ist, ob und inwieweit durch das Zusammenwirken aller zu berücksichtigenden Funktionsbeeinträchtigungen eine höhere Einschätzung des Grades der Behinderung gerechtfertigt ist.

Von den Ergebnissen des weiteren Ermittlungsverfahrens wird der Beschwerdeführer mit der Möglichkeit zur Abgabe einer Stellungnahme in Wahrung des Parteiengehörs in Kenntnis zu setzen sein.

Eine Nachholung des durchzuführenden Ermittlungsverfahrens durch das Bundesverwaltungsgericht kann - im Lichte der oben zitierten Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes zu § 28 VwGVG - nicht im Sinne des Gesetzes liegen. Dass eine unmittelbare weitere Beweisaufnahme durch das Bundesverwaltungsgericht "im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden" wäre, ist - angesichts des mit dem bundesverwaltungsgerichtlichen Beschwerdeverfahren als Mehrparteienverfahren verbundenen erhöhten Aufwandes und angesichts der im gegenständlichen Fall unterlassenen Sachverhaltsermittlungen - nicht ersichtlich.

Die Voraussetzungen des § 28 Abs. 2 VwGVG sind somit im gegenständlichen Beschwerdefall nicht gegeben. Da der maßgebliche Sachverhalt im Fall des Beschwerdeführers noch nicht feststeht und vom Bundesverwaltungsgericht auch nicht rasch und kostengünstig festgestellt werden kann, war in Gesamtbeurteilung der dargestellten Erwägungen der angefochtene Bescheid gemäß § 28 Abs. 3 2. Satz VwGVG zu beheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an die belangte Behörde zurückzuverweisen.

Abschließend wird der guten Ordnung halber festgehalten, dass die Vereinbarung zur Durchführung des Abkommens zwischen der Republik Österreich und dem Staat Israel über Soziale Sicherheit, BGBl. Nr. 7/1975 für das gegenständliche Verfahren vor der belangten Behörde und vor dem Bundesverwaltungsgericht nicht von Relevanz ist. Der Inhalt dieser Vereinbarung bezieht sich nicht auf Verfahren nach dem Bundesbehindertengesetz, wie der Beschwerdeführer in seiner Beschwerde ohnehin einräumte. Auch der ihm vom Staat Israel zuerkannte Grad der Behinderung von 61% und die Bestätigung der Arbeitsunfähigkeit von 100% für das gegenständliche Verfahren nicht von Relevanz sind. Diese Beurteilung erfolgte anhand der Kriterien, welche der Staat Israel festgelegt hat. Die belangte Behörde hat die Einschätzung nach den Kriterien der in Österreich geltenden EVO vornehmen zu lassen. Ob dieselben Leiden und Funktionseinschränkungen von Israel und den medizinischen Sachverständigen der belangten Behörde jeweils anders beurteilt werden, hängt von den jeweiligen Kriterien ab, nach welchen die Einschätzungen der Leiden und Funktionseinschränkungen vorzunehmen sind. Sohin geht dieses Argument des Beschwerdeführers ins Leere.

Von der Durchführung einer mündlichen Beschwerdeverhandlung wird gemäß § 24 Abs. 4 VwGVG abgesehen, zumal aus dem Beschwerdeakt ersichtlich ist, dass eine mündliche Erörterung der Rechtssache mangels ausreichender Sachverhaltserhebungen und Feststellungen der belangten Behörde eine weitere Klärung der Rechtssache nicht erwarten lässt.

Zu Spruchteil B)

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.

Konkrete Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung sind weder in der gegenständlichen Beschwerde vorgebracht worden noch im Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht hervorgekommen. Das Bundesverwaltungsgericht konnte sich bei allen erheblichen Rechtsfragen auf Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes bzw. auf eine ohnehin klare Rechtslage stützen.

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