JudikaturBVwG

W286 2290583-1 – Bundesverwaltungsgericht Entscheidung

Entscheidung
04. Juli 2025

Spruch

W286 2290583-1/14E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin Mag.a DEUTSCH-PERNSTEINER über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , StA. Somalia, vertreten durch die BBU GmbH, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 04.03.2024, Zl. 1375639801-232297713, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung zu Recht:

A)

Die Beschwerde gegen Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides wird gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 als unbegründet abgewiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang:

1. Die Beschwerdeführerin ist eine Staatsangehörige Somalias. Sie reiste spätestens im November 2023 in das österreichische Bundesgebiet ein und stellte am 02.11.2023 einen Antrag auf internationalen Schutz.

2. Die Erstbefragung fand am 03.11.2023 statt.

3. Am 29.02.2024 fand die Einvernahme der Beschwerdeführerin vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (im Folgenden: belangte Behörde) statt.

4. Mit Bescheid vom 04.03.2024 wies die belangte Behörde den Antrag der Beschwerdeführerin bezüglich der Zuerkennung des Status der Asylberechtigten ab (Spruchpunkte I.). Der Beschwerdeführerin wurde der Status einer subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt und ihr eine befristete Aufenthaltsberechtigung für ein Jahr erteilt (Spruchpunkt II. und III.).

5. Gegen den Bescheid vom 04.03.2024 brachte die Beschwerdeführerin rechtzeitig eine Beschwerde ein.

6. Die belangte Behörde legte die Beschwerde und die bezughabenden Verwaltungsakten am 19.04.2024 dem Bundesverwaltungsgericht vor.

7. Die Beschwerdeführerin brachte am 03.04.2025 und am 12.05.2025 Stellungnahmen ein.

8. Das Bundesverwaltungsgericht führte am 15.05.2025 eine öffentliche mündliche Verhandlung durch.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

1.1. Zur Person der Beschwerdeführerin:

1.1.1. Die Beschwerdeführerin ist eine Staatsangehörige Somalias, die im November 2023 ins österreichische Bundesgebiet einreiste und am 02.11.2023 einen Antrag auf internationalen Schutz stellte (AS 15ff). Sie führt den Namen XXXX und das Geburtsdatum XXXX (AS 15, AS 42, Protokoll der mV S. 4).

1.1.2. Die Beschwerdeführerin stammt aus XXXX in der Region Galmudug in Somalia. Sie wurde in XXXX geboren und verbrachte dort ihr gesamtes Leben bis kurz vor ihrer Ausreise aus Somalia (AS 15, AS 44f, Protokoll der mV S. 4f). Vor ihrer Ausreise hielt sie sich etwa ein bis zwei Wochen in Mogadischu auf (AS 54, Protokoll der mV S. 6) von wo aus sie Ende Juni 2023 Somalia mit dem Flugzeug Richtung Türkei verließ. Nach zwei Monaten Aufenthalt in der Türkei reiste sie über Serbien (Aufenthalt von ein bis zwei Monaten) und Ungarn weiter nach Österreich reiste (AS 19, AS 50).

1.1.3. Die Beschwerdeführerin ist nach wie vor verheiratet; sie ist nicht geschieden. Sie hat mit ihrem Ehemann sieben Kinder (AS 17, AS 44, Protokoll der mV S.10).

1.1.4. Der Bruder und die Mutter der Beschwerdeführerin leben nach wie vor in XXXX , dem Heimatort der Beschwerdeführerin, ebenso leben ihr Ehemann und ihre Kinder nach wie vor im Heimatort der Beschwerdeführerin in XXXX . Die Beschwerdeführerin steht in Kontakt zu ihrer Mutter in Somalia (Protokoll mV S. 11). Sie steht auch in Kontakt zu ihrem Bruder in Somalia. Auch zu ihrem Ehegatten und den gemeinsamen Kindern hat sie Kontakt.

1.1.5. Die Beschwerdeführerin gehört dem Clan der Tumal an und ist der sunnitisch-muslimischen Religion zugehörig (AS 15, AS 43, Protokoll der mV S. 6).

1.1.6. Die Beschwerdeführerin hat in Somalia für sieben Jahre die Grundschule besucht sowie für zwei Jahre die Koranschule und kann Somalisch lesen und schreiben (AS 15, AS 42f). Die Beschwerdeführerin hat keine Berufsausbildung. Sie hat im Herkunftsstaat Tee verkauft (AS 45, Protokoll der mV S. 11).

1.1.7. Die Beschwerdeführerin ist gesund (AS 43) und in Österreich strafgerichtlich unbescholten.

1.2. Zum Fluchtvorbringen der Beschwerdeführerin:

1.2.1. Die Beschwerdeführerin war in Somalia nicht gezwungen, ihre Ehe bzw. eine Beziehung mit einem Mann eines besser gestellten Clans zu verheimlichen – diese Ehe wurde weder von ihrem Schwiegervater noch von sonst jemanden missbilligt noch hatte diese Ehe irgendwelche negativen Konsequenzen für die Beschwerdeführerin. Sie wurde weder von ihrem Schwiegervater noch von anderen Familienmitgliedern ihres Ehemannes bedroht oder geschlagen. Der Vater der Beschwerdeführerin wurde nicht von einem Familienmitglied ihres Ehemannes umgebracht. Die Beschwerdeführerin wurde auch nicht wegen ihrer Ehe bzw. Beziehung zu ihrem Ehemann auf Veranlassung ihres Schwiegervaters in ein Gefängnis gesperrt und sodann geschlagen oder vergewaltigt. Ihr Ehegatte wurde nicht zur Scheidung gezwungen. Das Fluchtvorbringen der Beschwerdeführerin ist gänzlich unglaubwürdig. Die Beschwerdeführerin war und ist in Somalia weder durch ihren Schwiegervater noch durch andere Familienangehörige ihres Ehemannes noch durch irgendeinen anderen Akteur einer Gefahr ausgesetzt oder verfolgt.

1.2.2. An der Beschwerdeführerin wurde im Alter von XXXX Jahren eine Genitalverstümmelung des Typs FGM/C III vorgenommen (OZ 11, Protokoll der mV S. 19). Die Beschwerdeführerin hat sich im Bundesgebiet einer Deinfibulation unterzogen (OZ11), es droht jedoch keine Gefahr einer Reinfibulation oder einer weitergehenden Beschneidung im Herkunftsstaat.

Abgesehen von der Beschneidung war die Beschwerdeführerin in Somalia keiner geschlechtsspezifischen oder sexuellen Gewalt ausgesetzt und droht ihr eine solche auch im Fall ihrer Rückkehr nicht mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit. Eine maßgebliche Diskriminierung der Beschwerdeführerin bloß aufgrund der Tatsache, dass sie eine Frau ist, konnte ebenfalls nicht festgestellt werden.

1.2.3. Die Beschwerdeführerin verfügt in Somalia über ein verlässliches und stabiles familiäres Netzwerk, auf welches sie bei einer Rückkehr zurückgreifen kann und welches in der Lage ist, sie in allen Belangen zu unterstützen und wieder bei sich aufzunehmen. Es steht ihr Schutz durch männliche Verwandte, konkret durch ihren Ehemann sowie ihren Bruder, zur Verfügung. Die Beschwerdeführerin ist keine alleinstehende Frau, da sie im Herkunftsstaat über familiäre Anknüpfungspunkte in Form ihres Ehegatten und ihres Bruders und damit insbesondere über männliche Familienangehörige verfügt und sie in den Familienverband, bestehend aus ihrer Mutter, ihrem Ehemann samt den gemeinsamen Kindern und ihrem Bruder, zurückkehren kann. Sie läuft somit nicht Gefahr, im Falle einer Rückkehr in ein IDP-Lager gehen zu müssen. Es ist nicht maßgeblich wahrscheinlich, dass sie bei einer Rückkehr geschlechtsspezifischer Gewalt ausgesetzt ist.

1.2.4. Der Beschwerdeführerin drohen im Herkunftsstaat weder aufgrund ihrer Religionszugehörigkeit noch aufgrund ihrer Volksgruppen- bzw. Clanzugehörigkeit zu den Tumal oder aus politischen Gründen Probleme bzw. eine Verfolgung durch die somalischen Behörden. Die Beschwerdeführerin hat in Somalia an keinen politischen Demonstrationen teilgenommen und war nicht politisch aktiv.

1.3. Zur maßgeblichen Situation in Somalia:

Politische Lage

Letzte Änderung 2024-12-12 12:03

Galmudug (Galgaduud, Teile von Mudug)

Letzte Änderung 2024-12-13 09:13

Galmudug wurde im Jahr 2015 aus Galgaduud und Teilen der Region Mudug geschaffen (ICG 25.9.2023). Der Bundesstaat ist hinsichtlich der Clanzusammensetzung sehr heterogen. Den Großteil der Bevölkerung stellen dort elf Subclans aus drei der großen Clanfamilien (Sahan/Abdi 12.7.2021; vgl. ICG 25.9.2023). Neun der elf stammen von den Hawiye, namentlich Murosade, Sheikhal, Hawadle, Abgal / Wayeclse sowie fünf Unterclans der Habr Gedir - Ayr, Sa'ad, Salebaan, Sarur und Duduble. Zusätzlich gibt es Dir (Qubeys und Fiqi Mohamed) und Darod / Marehan sowie eine kleinere Anzahl an Yahar, Midgan und Tumal (ICG 25.9.2023). Beherrschend sind v. a. die Habr Gedir, Marehan, Murusade und Duduble (Sahan/Abdi 12.7.2021). Viele Menschen in Galmudug sind Anhänger des Sufismus (ICG 25.9.2023).

Das Budget des Bundesstaats hat sich von 2019 bis 2022 auf 32 Millionen US-Dollar verzehnfacht. Viel davon kommt von externen Unterstützungsprogrammen, die eigenen Einnahmen sind gering. Zudem unterstützt die Bundesregierung Galmudug finanziell (ICG 25.9.2023; vgl. Sahan/SWT 17.1.2024). Die Regierung hat Schwierigkeiten, ihre Autorität durchzusetzen oder die Stabilität wiederherzustellen. Wichtige Institutionen - in der Exekutive, im Parlament und in der Judikative - sind noch im Anfangsstadium und verfügen nur über geringe Kapazitäten oder Unabhängigkeit. Die Verwaltung hat Schwierigkeiten, im gesamten Staat grundlegende Dienste (z. B. Justiz) bereitzustellen. Galmudug versucht, öffentliche Dienste durch die Bildung von Bezirksräten zu dezentralisieren. Dabei wurden den zehn bestehenden Bezirken neun neue hinzugefügt, etwa Galinsoor für die Sacad / Reer Jalaf oder Baxdo als weiteren Bezirk für die Salebaan (ICG 25.9.2023).

Im Feber 2020 wurde Ahmed Abdi Kariye ‚Qoorqoor‘ zum Präsidenten gewählt. Hierbei kam es zu Anschuldigungen hinsichtlich einer Einmischung der Bundesregierung und zum Boykott der Wahl durch Oppositionskandidaten (ICG 25.9.2023). Im September 2022 hat das Parlament von Galmudug seine eigene Amtszeit und die von Präsident Qoorqoor um ein weiteres Jahr auf fünf Jahre verlängert (HIPS 24.3.2023). In Position für Neuwahlen steht Mahad Salad als Kandidat der Damul Jadiid, der einflussreichen Fraktion der Muslimbruderschaft, der auch Präsident Hassan Sheikh angehört. Hinsichtlich des Postens des Präsidenten von Galmudug gibt es eine inoffizielle Rotation zwischen den Hawiye / Habr Gedir / Sa'ad, den Suleiman und den Ayr. Am Zuge wären die Ayr, denen Mahad Salad angehört (Sahan/SWT 17.1.2024).

Die ASWJ (Ahlu Sunna Wal Jama'a) ist nach einer kurzen Phase der Reorganisierung [siehe Sicherheitslage / Süd-/Zentralsomalia, Puntland / Galmudug] de facto ausgeschaltet und zerschlagen. Sie trat 2022 zwar in Erscheinung, um Unterstützung für die Operation gegen al Shabaab zu zeigen, ist aber weiterhin in Galmudug kein politischer Faktor. Ansonsten ist der Kampf gegen al Shabaab aktuell der bestimmende Faktor in Galmudug (BMLV 1.12.2023).

Quellen

BMLV - Bundesministerium für Landesverteidigung [Österreich] (1.12.2023): Auskunft eines Länderexperten an die Staatendokumentation, per e-Mail

HIPS - Heritage Institute for Policy Studies (24.3.2023): State of Somalia 2022 Report, Year in Review, https://8v90f1.p3cdn1.secureserver.net/wp-content/uploads/2023/03/SOS-REPORT-2022-The-Year-in-Review.pdf, Zugriff 4.10.2023

ICG - International Crisis Group (25.9.2023): Avoiding a New Cycle of Conflict in Somalia's Galmudug State, https://icg-prod.s3.amazonaws.com/s3fs-public/2023-09/b193-somalia-galmudug-state_0.pdf, Zugriff 30.1.2024

Sahan/Abdi - Sahan (Herausgeber), Rashid Abdi (Autor) (12.7.2021): Galmudug: It Didn’t Have to be This Way, in: The Somali Wire Issue No. 182, per e-Mail [kostenpflichtig, Login erforderlich]

Sahan/SWT - Somali Wire Team (Autor), Sahan (Herausgeber) (17.1.2024): Galmudug elections gather steam, in: The Somali Wire Issue No. 636, per e-Mail [kostenpflichtig, Login erforderlich]

Sicherheitslage und Situation in den unterschiedlichen Gebieten

Letzte Änderung 2025-01-09 08:04

Zwischen Nord- und Süd-/Zentralsomalia sind gravierende Unterschiede bei den Zahlen zu Gewalttaten zu verzeichnen (ACLED 2023). Auch das Maß an Kontrolle über bzw. Einfluss auf einzelne Gebiete variiert. Während Somaliland die meisten der von ihm beanspruchten Teile kontrolliert, wird die Lage über die Kontrolle geringer Teilgebiete von Puntland von al Shabaab beeinflusst (und in noch geringeren Teilen vom sogenannten Islamischen Staat in Somalia), während es hauptsächlich an Clandifferenzen liegt, wenn Puntland tatsächlich keinen Zugriff auf gewisse Gebiete hat. In Süd-/Zentralsomalia ist die Situation noch viel komplexer. In Mogadischu und den meisten anderen großen Städten hat al Shabaab keine Kontrolle, jedoch eine Präsenz. Dahingegen übt al Shabaab über weite Teile des ländlichen Raumes Kontrolle aus. Zusätzlich gibt es in Süd-/Zentralsomalia große Gebiete, wo unterschiedliche Parteien Einfluss ausüben; oder die von niemandem kontrolliert werden; oder deren Situation unklar ist (BMLV 7.8.2024).

Laut einer Quelle der FFM Somalia 2023 sind Hargeysa, Berbera, Burco, Garoowe und – in gewissem Maße – Dhusamareb sichere Städte. Alle anderen Städte variieren demnach von einem Grad zum anderen. Auch Kismayo selbst ist sicher, aber hin und wieder gibt es Anschläge. Bossaso ist im Allgemeinen sicher, es kommt dort aber zu gezielten Attentaten. Dies gilt auch für Galkacyo (INGO-F/STDOK/SEM 4.2023). Laut einer weiteren Quelle sind auch Baidoa, Jowhar und Belet Weyne diesbezüglich innerhalb des Stadtgebietes wie Kismayo zu bewerten (BMLV 7.8.2024). Laut einer anderen Quelle sind alle Hauptstädte der Bundesstaaten relativ sicher (UNOFFX/STDOK/SEM 4.2023).

Eine Quelle gibt die Lage mit Stand 28.6.2024 folgendermaßen wieder:

Das Bild zeigt eine Landkarte von Somalia, in welcher verzeichnet ist, welche Teile von welchem Akteur beeinflusst oder kontrolliert werden

Quelle: PGN 28.6.2024

Critical Threats bietet einen Überblick über die spezifisch auf al Shabaab bezogene Situation für Somalia und Kenia (Karte vom April 2024):

Landkarte zeigt Gebiete der al Shabaab in Somalia

Quelle: CT/Karr/AEI 23.9.2024

ACLED bietet einen Überblick über die Vorfälle in Somalia innerhalb vier unterschiedlicher Monate des Jahres 2024:

ACLED Vorfälle auf Landkarten notiert für vier Monate

Quelle: (ACLED 29.11.2024; ACLED 28.10.2024; ACLED 30.9.2024; ACLED 31.7.2024)

Quellen

ACLED - Armed Conflict Location and Event Data (29.11.2024): Al-Shabaab targets civilians in Somalia in retaliation for installing CCTV cameras - Situation Update, November 2024, https://reliefweb.int/attachments/7d28f21b-bb6b-4195-8234-d959f6e1cc7b/Al-Shabaab targets civilians in Somalia in retaliation for installing CCTV cameras - Situation Update - November 2024.pdf, Zugriff 13.12.2024

ACLED - Armed Conflict Location and Event Data (28.10.2024): Controversy over electoral reform sparks debate in Somalia amid al-Shabaab operation, Situation Update, October 2024, https://acleddata.com/2024/10/28/controversy-over-electoral-reform-sparks-debate-in-somalia-amid-al-shabaab-operation-october-2024/, Zugriff 13.12.2024

ACLED - Armed Conflict Location and Event Data (30.9.2024): State officials in Somalia crack down on clan militia checkpoints, Situation Update, https://reliefweb.int/attachments/69de2b9e-8074-4e50-9d5c-f3cfbe0af1fc/acleddata.com-State officials in Somalia crack down on clan militia checkpoints.pdf, Zugriff 13.11.2024

ACLED - Armed Conflict Location and Event Data (31.7.2024): The looming threat: A resurgence of Islamic State and inter-clan fighting in Somalia, Situation Update, July 2024, https://acleddata.com/2024/07/31/the-looming-threat-a-resurgence-of-islamic-state-and-inter-clan-fighting-in-somalia-july-2024/, Zugriff 13.12.2024

ACLED - Armed Conflict Location and Event Data (2023): Curated Data - Africa (6 January 2022), https://acleddata.com/curated-data-files/, Zugriff 16.1.2023 [kostenpflichtig, Login erforderlich]

BMLV - Bundesministerium für Landesverteidigung [Österreich] (7.8.2024): Auskunft eines Länderexperten an die Staatendokumentation, per e-Mail

CT/Karr/AEI - Liam Karr (Autor), American Enterprise Institute (Herausgeber), Critical Threats (Herausgeber) (23.9.2024): Africa File Special Edition - External Meddling for the Red Sea Exacerbates Conflicts in the Horn of Africa, https://www.criticalthreats.org/analysis/africa-file-special-edition-external-meddling-for-the-red-sea-exacerbates-conflicts-in-the-horn-of-africa, Zugriff 13.12.2024

INGO-F/STDOK/SEM - Staatssekretariat für Migration [Schweiz] (Herausgeber), Staatendokumentation des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl [Österreich] (Herausgeber), Internationale NGO F, Senior Aid Official (Autor) (4.2023): Interview im Rahmen der FFM Somalia 2023

PGN - Political Geography Now (28.6.2024): Preliminary Somalia Control Map – Approximate Territorial Control, per e-Mail [kostenpflichtig, Login erforderlich]

UNOFFX/STDOK/SEM - Staatssekretariat für Migration [Schweiz] (Herausgeber), Staatendokumentation des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl [Österreich] (Herausgeber), Senior UN Official X (Autor) (4.2023): Interview im Rahmen der FFM Somalia 2023

Galmudug (Galgaduud, Teile von Mudug)

Letzte Änderung 2025-01-10 07:11

Generell hat die Regierung von Galmudug die Kontrolle über die Städte Dhusamareb, Cadaado, Matabaan und Cabudwaaq. Die Städte Dhusamareb und Guri Ceel sind weitgehend frei von al Shabaab. In Dhusamareb befindet sich das Hauptquartier einer Division der Bundesarmee sowie eine Garnison von ATMIS-Truppen aus Dschibuti; letztere soll allerdings mittelfristig abgezogen werden. Die Städte Cadaado und Galkacyo können hinsichtlich einer Anwesenheit von (staatlichem) Sicherheitspersonal und etablierter Verwaltung als konsolidiert erachtet werden (BMLV 7.8.2024). Auch Dhusamareb gilt als weitgehend sicher und konsolidiert (BMLV 7.8.2024; vgl. INGO-F/STDOK/SEM 4.2023; UNOFFX/STDOK/SEM 4.2023). Ende August 2023 ist es in mehreren Städten von Galmudug (u. a. in Galkacyo, Guri Ceel, Cabudwaaq und Balanbaale) zu öffentlichen Demonstrationen gegen al Shabaab und in Unterstützung der Regierungsoffensive gekommen (Halqabsi 28.8.2023).

In Galmudug wurden die Bemühungen, lokale Kräfte zu rekrutieren (Darawish und Polizei), nie mit dem gleichen Nachdruck betrieben wie z. B. in Jubaland (BMLV 7.8.2024). Da der Bundesstaat so große Mühe hat, einen robusten Sicherheitsapparat aufzubauen (ICG 25.9.2023), ist Galmudug im Sicherheitsbereich stark von Kräften der Bundesregierung abhängig. Darawish und Polizei sind in Anzahl und Kapazitäten begrenzt (ICG 25.9.2023; vgl. BMLV 7.8.2024; Sahan/SWT 17.1.2024). Die Bundesregierung kontrolliert teilweise die Polizei, allerdings wurden im Rahmen eines Ausbildungsprogramms der UN 400 Polizisten für Galmudug ausgebildet. Präsident Qoorqoor versucht, Clanmilizen in die Darawish einzubinden. Hierbei gibt es aber nur geringe Fortschritte, und die örtlichen Sicherheitskräfte basieren nach wie vor überwiegend auf Clans. Generell ist Galmudug bei den Sicherheitskräften von der Bundesregierung abhängig. In Dhusamareb findet sich die 21. Division der Bundesarmee, in die ehemalige ASWJ-Kämpfer integriert wurden. Auch Teile von Danaab und Gorgor sind in Galmudug stationiert (ICG 25.9.2023).

Ahlu Sunna Wal Jama’a (ASWJ): Die Gruppe spielt gegenwärtig weder militärisch noch politisch eine Rolle (BMLV 7.8.2024). Die im Juni 2024 erstellte Lagekarte von PGN verortete nirgends mehr verbliebene Kräfte der ASWJ (PGN 28.6.2024).

Clans: In Galmudug kommt es regelmäßig zu Clankonflikten, die oft zu kleinen, aber tödlichen Zusammenstößen führen. Die Streitigkeiten konzentrieren sich typischerweise auf den Wettbewerb um Wasser, Weide- und Ackerland. Die Regierung des Bundesstaates hat versucht, einige dieser Probleme anzugehen, allerdings mit gemischtem Erfolg (ICG 25.9.2023). Zwischen 26.6. und 2.7.2024 wurden bei Auseinandersetzungen in den Bereichen Galdogob und Jariiban (Mudug) mehr als 26.000 Menschen vertrieben (UNSC 28.10.2024; vgl. SMN 3.12.2024). Im April 2024 haben sich Clans der Dir und Marehan im Bereich zwischen Xeraale und Cabudwaaq bekämpft, mehr als zehn Menschen wurden dabei getötet (Halqabsi 28.4.2024). Zuvor starben bei Auseinandersetzungen zwischen Clans im Bereich Towfiiq (Mudug) ebenfalls mindestens zehn Menschen (Halqabsi 12.3.2024). Auch im Juni 2024 gab es im Bereich Labi Maygaag (Mudug) zwischen Milizen Kampfhandlungen mit mehreren Dutzend Toten und Verletzten (HO 25.6.2024c). Ebenfalls im Juni 2024 starben erneut im Bereich Xeraale und Cabudwaaq bei Kämpfen zwischen den Milizen der Dir und Marehan mehrere Dutzend Menschen, mehr als 155 sollen verletzt worden sein. Grund für die Auseinandersetzungen war Streit um Weideland und Wasserstellen, aber auch Rache. Die Bundesregierung und die Regierung von Galmudug versuchen zu intervenieren - u. a. unter Entsendung von Truppen (VOA/O. Hassan 10.6.2024; vgl. UNGA 23.8.2024). Nach anderen Angaben verfügt Galmudug über keine Truppen, um bei Clankämpfen maßgeblich intervenieren zu können (BMLV 7.8.2024). Die Vereinten Nationen unterstützen Galmudug dabei, Waffenstillstandsabkommen und Versöhnung zwischen Clans zu fördern - so z. B. zwischen Sa'ad und Lelkase (UNSC 27.9.2024).

Die Zahl an Rachemorden ist in Galmudug im Steigen begriffen (HO 28.1.2024; vgl. SMN 23.1.2024). So wurden etwa am 22.1.2024 20 km von Dhusamareb entfernt vier Personen und im November 2023 in Dhusamareb selbst zwei Männer im Zuge von Clanrache getötet (SMN 23.1.2024). Am 27.1.2024 wurden in einer Fehde weitere fünf Menschen getötet, darunter zwei Frauen und zwei Kinder (HO 28.1.2024). Die Verwaltung ist nicht in der Lage, gegen diese Clanfehden vorzugehen (SMN 23.1.2024).

Gebietskontrolle und al Shabaab: Cadaado, Dhusamareb, Cabudwaaq, Hobyo, Xaradheere und Ceel Dheere befinden sich unter Kontrolle von ATMIS und/oder Regierungstruppen (PGN 28.6.2024). Ceel Buur, Wabxo, Osweyne, Budbud und Galcad werden von al Shabaab kontrolliert. Dies gilt auch für den größten Teil der südlichen Hälfte Galgaduuds (PGN 28.6.2024; vgl. UNSC 28.10.2024). Al Shabaab wurde von der Hauptverbindungsroute Belet Weyne - Dhusamareb abgedrängt. Im Zentrum der Region Mudug (westlich der Linie Wisil - Miroon bzw. südlich der Achse Baxdo - Dhusamareb befinden sich noch Räume von al Shabaab. Gleiches gilt in Galgaduud für die Gebiete im Nordwesten der gedachten Linie Ceel Dheere - Galcad - Maxaas. Der Großraum Ceel Buur bis Xiindheere gilt als Gebiet der al Shabaab (BMLV 7.8.2024). Die Kontrolle von al Shabaab beschränkt sich damit auf den Bezirk und die Stadt Ceel Buur sowie auf Teile der Bezirke Ceel Dheere und Xaradheere (PGN 28.6.2024; vgl. BMLV 7.8.2024).

Nach Gebietsgewinnen für die Regierungstruppen im Jahr 2023 gestaltet sich die Frontlage Mitte 2024 im wesentlich so, wie sie sich Anfang 2023 gezeigt hatte. Die gemachten Geländegewinne in Galmudug sind durch al Shabaab nahezu gänzlich wieder rückgängig gemacht worden (BMLV 4.7.2024). Die Gruppe konnte in Mudug und Galgaduud mehrere Gebiete und Ortschaften wieder einnehmen (Horn 18.3.2024). Im Oktober 2024 versuchten Regierungskräfte und Clanmilizen der Abgaal zum dritten Mal nach Feber und Juni, die Kontrolle über den Bezirk Ceel Dheere (Galgaduud) zu erlangen. Die Kräfte wurden dabei von Luftschlägen unterstützt (ACLED 28.10.2024; vgl. CT/Karr/AEI 24.10.2024). Auch im Bereich Xaradheere (Mudug) kam es im Oktober 2024 zu Operationen. In beiden Gebieten griff al Shabaab die somalischen Kräfte vermehrt an (CT/Karr/AEI 24.10.2024).

Galkacyo: Puntland und Galmudug haben im Juni 2020 eine Einigung erzielt, um vergangene Streitpunkte beizulegen (PGN 10.2020). Die Sicherheitslage in Galkacyo hat sich seit Anfang 2021 stabilisiert. Generell hat sich die Kooperation zwischen den Verwaltungen und Sicherheitskräften von Galmudug und Puntland wesentlich verbessert, dadurch konnten auch Mitglieder der al Shabaab in Galkacyo aufgespürt und verhaftet werden (BMLV 7.8.2024). Eine Quelle der FFM Somalia 2023 bezeichnet Galkacyo als nicht stabil (MAEZA/STDOK/SEM 4.2023). Zwei Quellen erklären, dass sich die Situation in der Stadt gebessert hat, nicht aber am Stadtrand und in den Dörfern des Umlandes (INGO-C/STDOK/SEM 4.2023; vgl. BMLV 1.12.2023). Es gibt dort immer noch Einfluss von und Angst vor al Shabaab, und auch nach wie vor Clankonflikte (MAEZA/STDOK/SEM 4.2023; vgl. INGO-C/STDOK/SEM 4.2023). Laut einer anderen Quelle hat die Gruppe im Norden von Galmudug einen schwächeren Zugriff als im Süden des Landes (IO-D/STDOK/SEM 4.2023). Al Shabaab verübt weiterhin Attentate in der Stadt (INGO-C/STDOK/SEM 4.2023; vgl. INGO-F/STDOK/SEM 4.2023). Ob al Shabaab in Galkacyo Steuern eintreibt, ist unklar; es kommt sehr selten zu Attentaten. Die Gruppe hat dort an Kraft eingebüßt und konnte weder im Nord- noch im Südteil der Stadt die Unterstützung der Bevölkerung mobilisieren (BMLV 7.8.2024). Eine Quelle vom August 2024 erklärt, dass die Unsicherheit in der Stadt zugenommen hat, dass aber seitens der jeweiligen Verwaltungen entsprechende Schritte (etwa Waffentrageverbot) unternommen worden sind, um dem entgegenzutreten (Halqabsi 16.8.2024).

Vorfälle: In den beiden Regionen Galgaduud (689.872) und Mudug (1,317.403) leben nach Angaben einer Quelle 2,007.275 Einwohner (IPC 13.12.2022). Im Vergleich dazu meldete die ACLED-Datenbank im Jahr 2022 insgesamt 51 Zwischenfälle, bei welchen gezielt Zivilisten getötet wurden (Kategorie "Violence against Civilians"). Bei 33 dieser 51 Vorfälle wurde jeweils ein Zivilist oder eine Zivilistin getötet. Im Jahr 2023 waren es 58 derartige Vorfälle (davon 41 mit je einem Toten) (ACLED 12.1.2024). In der Zusammenschau von Bevölkerungszahl und Violence against Civilians ergeben sich für 2023 folgende Zahlen (Vorfälle je 100.000 Einwohner): Galgaduud 5,80; Mudug 1,37;

In der Folge eine Übersicht für die Jahre 2013-2023 zur Gesamtzahl an Vorfällen mit Todesopfern sowie zur Subkategorie "Violence against Civilians", in welcher auch "normale" Morde inkludiert sind. Die Zahlen werden in zwei Subkategorien aufgeschlüsselt: Ein Todesopfer; mehrere Todesopfer. Es bleibt zu berücksichtigen, dass es je nach Kontrolllage und Informationsbasis zu over- bzw. under-reporting kommen kann; die Zahl der Todesopfer wird aufgrund der Schwankungsbreite bei ACLED nicht berücksichtigt:

Dieses Bild zeigt Grafiken zur Entwicklung der gewaltsamen Vorfälle in den Regionen Galgaduud und Mudug in den Jahren 2013 bis 2023.

ACLED 12.1.2024

Quellen

ACLED - Armed Conflict Location and Event Data (28.10.2024): Controversy over electoral reform sparks debate in Somalia amid al-Shabaab operation, Situation Update, October 2024, https://acleddata.com/2024/10/28/controversy-over-electoral-reform-sparks-debate-in-somalia-amid-al-shabaab-operation-october-2024/, Zugriff 13.12.2024

ACLED - Armed Conflict Location and Event Data (12.1.2024): Curated Data - Africa (14 January 2022), https://acleddata.com/curated-data-files/, Zugriff 23.1.2024 [Login erforderlich]

BMLV - Bundesministerium für Landesverteidigung [Österreich] (7.8.2024): Auskunft eines Länderexperten an die Staatendokumentation, per e-Mail

BMLV - Bundesministerium für Landesverteidigung [Österreich] (4.7.2024): Interview der Staatendokumentation mit einem Länderexperten

BMLV - Bundesministerium für Landesverteidigung [Österreich] (1.12.2023): Auskunft eines Länderexperten an die Staatendokumentation, per e-Mail

CT/Karr/AEI - Liam Karr (Autor), American Enterprise Institute (Herausgeber), Critical Threats (Herausgeber) (24.10.2024): Africa File, October 24, 2024: JNIM Strikes Northern Niger; DRC Peace Talks and M23 Offensive; Egypt-Djibouti Cooperation; Ethiopia-Somalia AUSSOM Tug-of-War; Central Somalia Offensive, https://www.criticalthreats.org/analysis/africa-file-october-24-2024, Zugriff 13.12.2024

Halqabsi - Halqabsi News (16.8.2024): Puntland and Mudug Officials Announce Joint Operation to Disarm Civilians in Galkayo, https://halqabsi.com/2024/08/puntland-and-mudug-officials-announce, Zugriff 16.12.2024

Halqabsi - Halqabsi News (28.4.2024): Over 10 Killed in Clan Clashes in Galmudug, https://halqabsi.com/2024/04/over-10-killed-in-clan-clashes-in-galmudug, Zugriff 7.5.2024

Halqabsi - Halqabsi News (12.3.2024): Clashes between Tribes in Mudug Region Result in Ten Fatalities, https://halqabsi.com/2024/03/clashes-between-tribes-in-mudug, Zugriff 7.5.2024

Halqabsi - Halqabsi News (28.8.2023): Demonstrations Across Galmudug Show Support for Anti-Al-Shabaab Offensive, https://halqabsi.com/2023/08/demonstrations-in-galmudug-support-anti-alshabaab-offensive/, Zugriff 7.11.2023

HO - Hiiraan Online (25.6.2024c): Puntland and Galmudug to deploy military force amid deadly clan conflict in Mudug, https://www.hiiraan.com/news4/2024/Jun/196840/puntland_and_galmudug_to_deploy_military_force_amid_deadly_clan_conflict_in_mudug.aspx?utm_source=hiiraan utm_medium=SomaliNewsUpdateFront, Zugriff 27.6.2024

HO - Hiiraan Online (28.1.2024): Five killed, six injured in suspected clan revenge attack in Mudug region, https://www.hiiraan.com/news4/2024/Jan/194790/five_killed_six_injured_in_suspected_clan_revenge_attack_in_mudug_region.aspx?utm_source=hiiraan utm_medium=SomaliNewsUpdateFront, Zugriff 19.4.2024

Horn - Horn Observer (18.3.2024): Al-Shabaab seizes control of towns and villages abandoned by Somali army, militia, https://hornobserver.com/articles/2676/Al-Shabaab-seizes-control-of-towns-and-villages-abandoned-by-Somali-army-militia, Zugriff 16.12.2024

ICG - International Crisis Group (25.9.2023): Avoiding a New Cycle of Conflict in Somalia's Galmudug State, https://icg-prod.s3.amazonaws.com/s3fs-public/2023-09/b193-somalia-galmudug-state_0.pdf, Zugriff 30.1.2024

INGO-C/STDOK/SEM - Internationale NGO C (Autor), Staatssekretariat für Migration [Schweiz] (Herausgeber), Staatendokumentation des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl [Österreich] (Herausgeber) (4.2023): Interview im Rahmen der FFM Somalia 2023

INGO-F/STDOK/SEM - Staatssekretariat für Migration [Schweiz] (Herausgeber), Staatendokumentation des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl [Österreich] (Herausgeber), Internationale NGO F, Senior Aid Official (Autor) (4.2023): Interview im Rahmen der FFM Somalia 2023

IO-D/STDOK/SEM - Staatssekretariat für Migration [Schweiz] (Herausgeber), Staatendokumentation des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl [Österreich] (Herausgeber), Internationale Organisation D (Autor) (4.2023): Interview im Rahmen der FFM Somalia 2023

IPC - Integrated Food Security Phase Classification (13.12.2022): Nearly 8.3 million people across Somalia face Crisis (IPC Phase 3) or worse acute food insecurity outcomes, https://reliefweb.int/attachments/fc2d405c-ca29-4526-ad96-6618c2756192/Multi-Partner-Technical-Release-on-Updated-IPC-Analysis-for-Somalia-fo-October-2022-to-June-2023-Final-(English)-13-Dec-2022.pdf, Zugriff 10.10.2023

MAEZA/STDOK/SEM - Staatssekretariat für Migration [Schweiz] (Herausgeber), Staatendokumentation des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl [Österreich] (Herausgeber), Mitarbeiter einer Organisation für bilaterale Entwicklungszusammenarbeit (Autor) (4.2023): Interview im Rahmen der FFM Somalia 2023

PGN - Political Geography Now (28.6.2024): Preliminary Somalia Control Map – Approximate Territorial Control, per e-Mail [kostenpflichtig, Login erforderlich]

PGN - Political Geography Now (10.2020): Somalia Control Map Timeline - October 2020, per e-Mail, https://controlmaps.polgeonow.com/2020/10/somalia-map-of-al-shabaab-control/, Zugriff 7.7.2022 [kostenpflichtig, Login erforderlich]

Sahan/SWT - Somali Wire Team (Autor), Sahan (Herausgeber) (17.1.2024): Galmudug elections gather steam, in: The Somali Wire Issue No. 636, per e-Mail [kostenpflichtig, Login erforderlich]

SMN - Shabelle Media Network (3.12.2024): Land disputes: 39 killed in Somalia inter-clan clashes in 2 months – UN, https://shabellemedia.com/land-disputes-39-killed-in-somalia-inter-clan-clashes-in-2-months-un, Zugriff 5.12.2024

SMN - Shabelle Media Network (23.1.2024): Four killed in suspected clan revenge in central Somalia, https://shabellemedia.com/four-killed-in-suspected-clan-revenge-in-central-somalia, Zugriff 24.1.2024

UNGA - United Nations General Assembly (23.8.2024): Report of the Independent Expert on the situation of human rights in Somalia, Isha Dyfan (A/HRC/57/80) [EN/AR/RU/ZH] - Somalia, https://reliefweb.int/attachments/de0a5efb-ba80-4c3f-9692-054f1a04f1cc/g2414208.pdf, Zugriff 13.11.2024

UNOFFX/STDOK/SEM - Staatssekretariat für Migration [Schweiz] (Herausgeber), Staatendokumentation des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl [Österreich] (Herausgeber), Senior UN Official X (Autor) (4.2023): Interview im Rahmen der FFM Somalia 2023

UNSC - United Nations Security Council (28.10.2024): Letter dated 15 October 2024 from the Chair of the Security Council Committee pursuant to resolution 2713 (2023) concerning Somalia addressed to the President of the Security Council, https://digitallibrary.un.org/record/4066421/files/S_2024_748-EN.pdf?ln=en, Zugriff 3.12.2024

UNSC - United Nations Security Council (27.9.2024): Situation in Somalia - Report of the Secretary-General [S/2024/698], https://www.ecoi.net/en/file/local/2116024/n2426310.pdf, Zugriff 14.11.2024

VOA/O. Hassan - Mohamed Olad Hassan (Autor), Voice of America (Herausgeber) (10.6.2024): ’Dozens dead’ in Somalia clan clashes, https://www.voanews.com/a/dozens-dead-in-somalia-clan-clashes-/7650081.html, Zugriff 28.6.2024

Allgemeine Menschenrechtslage

Süd-/Zentralsomalia, Puntland

Letzte Änderung 2024-12-04 12:55

In der somalischen Verfassung ist der Schutz der Menschenrechte ebenso verankert wie die prägende Rolle der Scharia als Rechtsquelle (AA 23.8.2024). Die Vereinten Nationen sind besorgt, dass durch die Vorrangstellung der Scharia die Menschenrechte in Somalia ausgehebelt werden (UNHRCOM 6.5.2024). Zudem stellt die Einhaltung internationaler Menschenrechtsverpflichtungen für die Bundesregierung keine Priorität dar. Diese konzentriert sich auf den Kampf gegen al Shabaab und humanitäre Krisen. Menschenrechtserfolge werden nicht immer als Teil der Lösung dieser Probleme betrachtet (ÖB Nairobi 10.2024).

Generell werden Grund- und Menschenrechte regelmäßig und systematisch verletzt. Im Wettstreit stehende, politische Akteure in Süd-/Zentralsomalia sind in schwere und systematische Menschenrechtsverbrechen involviert (BS 2024; vgl. AI 24.4.2024). Zivilisten tragen die Last des bewaffneten Konflikts in Somalia, willkürliche Angriffe und die unverhältnismäßige Anwendung von Gewalt gibt es in allen Landesteilen (BS 2024). Die schwersten Menschenrechtsverletzungen sind: willkürliche und ungesetzliche Tötungen; Entführungen und Verschwindenlassen; Rekrutierung und Verwendung von Kindersoldaten; Folter und andere grausame Behandlung; harte Haftbedingungen; willkürliche und politisch motivierte Verhaftungen (USDOS 22.4.2024; vgl. BS 2024). Al Shabaab ist für die Mehrheit der schweren Menschenrechtsverletzungen (USDOS 22.4.2024) und für den größten Teil ziviler Todesopfer verantwortlich (BS 2024). Bei Kämpfen unter Beteiligung der African Transition Mission in Somalia (ATMIS), Regierung, Milizen und al Shabaab kommt es zur Tötung, Verletzung und Vertreibung von Zivilisten sowie zu anderen Kriegsverbrechen, welche durch alle Konfliktbeteiligten verübt werden (USDOS 22.4.2024; vgl. ÖB Nairobi 10.2024). Es gibt zahlreiche Berichte, wonach die Regierung und ihre Handlanger Personen willkürlich und außergesetzlich töten (USDOS 22.4.2024). Nach anderen Angaben stellen extralegale Tötungen bei den Sicherheitskräften kein strukturelles Problem dar (AA 23.8.2024). Jedenfalls werden Sicherheitskräfte beschuldigt, Zivilisten bei Streitigkeiten um Land, bei Checkpoints, bei Zwangsräumungen und anderen Gelegenheiten willkürlich angegriffen zu haben (BS 2024). In solchen Fällen ist aufgrund des dysfunktionalen Justizsystems häufig von Straflosigkeit auszugehen (AA 23.8.2024).

Zahlen zu getöteten Zivilisten finden sich im Kapitel Süd-/Zentralsomalia, Puntland

Es gibt keine Berichte über von der Regierung gesteuertes Verschwindenlassen (USDOS 22.4.2024).

Es kommt zu willkürlichen Verhaftungen durch Bundes- und Regionalbehörden sowie durch alliierte Milizen (USDOS 22.4.2024; vgl. BS 2024). Die Regierung schiebt bei derartigen Verhaftungen oft den Vorwurf der Mitgliedschaft bei al Shabaab vor (USDOS 22.4.2024).

Die Regierung macht zwar glaubwürdige Schritte, um einige öffentlich Bedienstete strafrechtlich zu verfolgen und zu bestrafen, generell bleibt Straflosigkeit aber die Norm (USDOS 22.4.2024).

Al Shabaab verletzt in den Gebieten unter ihrer Kontrolle systematisch Grundrechte, verhaftet, schlägt und exekutiert Zivilisten (BS 2024). Die Gruppe ist für die Mehrheit schwerer Menschenrechtsverletzungen verantwortlich. Al Shabaab verübt terroristische Anschläge gegen Zivilisten; begeht Morde und Attentate; begeht Vergewaltigungen; Bürgerrechte und Bewegungsfreiheit werden eingeschränkt. Die Gruppe rekrutiert Kindersoldaten und entführt Menschen (USDOS 22.4.2024).

In von al Shabaab kontrollierten Gebieten werden regelmäßig grausame Körperstrafen verhängt und öffentlich vollstreckt, z. B. Auspeitschen oder Stockschläge, Handamputationen für Diebe. Regelmäßig richtet die Gruppe ohne ordentliches Verfahren Menschen hin, denen Kooperation mit der Regierung, internationalen Organisationen oder westlichen Hilfsorganisationen vorgeworfen wird (AA 23.8.2024), bzw. Zivilisten, die zu Abtrünnigen oder Spionen deklariert werden (BS 2024). Al Shabaab übt teils Rache an der Bevölkerung von Gebieten, die zuvor „befreit“ aber danach von al Shabaab wieder eingenommen worden waren. Die Gruppe wendet u. a. auch das Mittel von Zwangsvertreibungen an, um sich an sich widersetzenden oder nicht die eigenen Regeln befolgenden Bevölkerungsgruppen zu rächen (UNSC 6.10.2021).

Quellen

AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (23.8.2024): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Bundesrepublik Somalia, https://milo.bamf.de/otcs/cs.exe/app/nodes/30275841, Zugriff 4.9.2024 [Login erforderlich]

AI - Amnesty International (24.4.2024): The State of the World’s Human Rights - Somalia 2023, https://www.ecoi.net/de/dokument/2107967.html, Zugriff 29.4.2024

BS - Bertelsmann Stiftung (2024): BTI 2024 Country Report - Somalia, https://bti-project.org/fileadmin/api/content/en/downloads/reports/country_report_2024_SOM.pdf, Zugriff 18.3.2024

ÖB Nairobi - Österreichische Botschaft Nairobi [Österreich] (10.2024): Asylländerbericht zu Somalia, https://www.ecoi.net/en/file/local/2116331/SOMA_ÖB-Bericht_2024_10.pdf, Zugriff 22.10.2024 [Login erforderlich]

UNHRCOM - United Nations Human Rights Committee (6.5.2024): Concluding observations on the initial report of Somalia [CCPR/C/SOM/CO/1], https://www.ecoi.net/en/file/local/2108970/G2405613.pdf, Zugriff 24.5.2024

UNSC - United Nations Security Council (6.10.2021): Letter dated 5 October 2021 from the Chair of the Security Council Committee pursuant to resolution 751 (1992) concerning Somalia addressed to the President of the Security Council: Final report of the Panel of Experts on Somalia (S/2021/849), https://reliefweb.int/attachments/17a953bc-861a-348a-a59b-1e182f053030/S_2021_849_E.pdf, Zugriff 12.10.2023

USDOS - United States Department of State [USA] (22.4.2024): 2023 Country Report on Human Rights Practices - Somalia, https://www.state.gov/reports/2023-country-reports-on-human-rights-practices/somalia, Zugriff 23.4.2024

Minderheiten und Clans

Letzte Änderung 2025-01-16 14:12

Das westliche Verständnis der Zivilgesellschaft ist im somalischen Kontext irreführend, da kaum zwischen öffentlicher und privater Sphäre unterschieden wird. In ganz Somalia gibt es starke Traditionen sozialer Organisation außerhalb des Staates, die vor allem auf sozialem Vertrauen innerhalb von Verwandtschaftsgruppen fußen. Seit Beginn des Bürgerkriegs haben sich die sozialen Netzwerkstrukturen neu organisiert und gestärkt, um das Überleben ihrer Mitglieder zu sichern (BS 2024).

Clans [zu Clanschutz siehe auch Rechtsschutz, Justizwesen ]: Der Clan ist die relevanteste soziopolitische und ökonomische Einheit in Somalia. Für den Somali stellt er die wichtigste Identität dar, für die es zu streiten und zu sterben gilt (NLM/Barnett 7.8.2023). Clans kämpfen für das einzelne Mitglied. Gleichzeitig werden alle Männer im Clan als Krieger erachtet (AQSOM 4 6.2024). Der Clan bildet aber eine volatile, vielschichtige Identität mit ständig wechselnden Allianzen (NLM/Barnett 7.8.2023). Er bestimmt das Leben des Individuums, seinen Zugang zu Sicherheit und Schutz, Ressourcen (z. B. Arbeit, Geschäfte, Land) und bildet das ultimative Sicherheitsnetz (AQSOM 4 6.2024; vgl. SPC 9.2.2022). Clanälteste dienen als Vermittler zwischen Staat und Gesellschaft. Sie werden nicht einfach aufgrund ihres Alters gewählt. Autorität und Führungsposition werden verdient, nicht vererbt. Ein Clanältester repräsentiert seine Gemeinschaft, ist ihr Interessensvertreter gegenüber dem Staat. Innerhalb der Gemeinschaft dienen sie als Friedensstifter, Konfliktvermittler und Wächter des traditionellen Rechts (Xeer). Bei Streitigkeiten mit anderen Clans ist der Clanälteste der Verhandler (Sahan/SWT 26.10.2022).

Clanwissen: Laut Experten gibt es bis auf sehr wenige Waisenkinder in Somalia niemanden, der nicht weiß, woher er oder sie abstammt (ACCORD 31.5.2021, S. 2f/37/39f). Das Wissen um die eigene Herkunft, die eigene Genealogie, ist von überragender Bedeutung. Dieses Wissen dient zur Identifikation und zur Identifizierung (Shukri/TEL 3.5.2021). Auch junge Menschen im urbanen Umfeld kennen ihren Clan, allerdings fehlen ihnen manchmal die Details - etwa zu Clanältesten. Laut einer Quelle der FFM Somalia 2023 betrifft dies tendenziell eher junge Frauen (SOMNAT/STDOK/SEM 5.2023).

Diskriminierung im Clanwesen: Diskriminierung steht in Somalia generell oft nicht mit ethnischen Erwägungen in Zusammenhang, sondern vielmehr mit der Zugehörigkeit zu bestimmten Minderheitenclans oder Clans, die in einer bestimmten Region keine ausreichende Machtbasis und Stärke besitzen (AA 23.8.2024). Die meisten Bundesstaaten fußen auf einer fragilen Balance zwischen unterschiedlichen Clans. In diesem Umfeld werden weniger mächtige Clans und Minderheiten oft vernachlässigt (BS 2024). Selbst relativ starke Clans können von einem lokalen Rivalen ausmanövriert werden, und es kommt zum Verlust der Kontrolle über eine Stadt oder eine regionale Verwaltung. Meist ist es die zweitstärkste Lineage in einem Bezirk oder einer Region, welche über die Verteilung von Macht und Privilegien am unglücklichsten ist (Sahan/SWT 30.9.2022). Gleichzeitig mag auf einer Ebene innerhalb eines Clans oberflächlich betrachtet Einheit herrschen, doch wenn man näher heranzoomt, treten Konflikte zwischen den unteren Clanebenen zutage (NLM/Barnett 7.8.2023).

Ohnehin marginalisierte Gruppen werden diskriminiert und stoßen auf Schwierigkeiten, ihr Recht auf Teilhabe an wirtschaftlichen, sozialen, kulturellen und politischen Prozessen wahrzunehmen (UNSOM 5.8.2023; vgl. BS 2024). Die Marginalisierung führt zu einer ungerechten und diskriminierenden Verteilung der Ressourcen (UNSOM 5.8.2023) - etwa beim Zugang zu humanitärer Hilfe (AA 23.8.2024). Menschen, die keinem der großen Clans angehören, sehen sich in der Gesellschaft signifikant benachteiligt. Dies gilt etwa beim Zugang zur Justiz (UNHCR 22.12.2021b, S. 56); und auch von Politik und Wirtschaft werden sie mitunter ausgeschlossen. Minderheiten und berufsständische Kasten werden in mindere Rollen gedrängt - trotz des oft sehr relevanten ökonomischen Beitrags, den genau diese Gruppen leisten (BS 2024). Mitunter kommt es auch zu physischer Belästigung (UNHCR 22.12.2021b, S. 56). Insgesamt ist allerdings festzustellen, dass es hinsichtlich der Vulnerabilität und Kapazität unterschiedlicher Minderheitengruppen signifikante Unterschiede gibt (UN OCHA 14.3.2022).

Recht [siehe hierzu auch Rechtsschutz, Justizwesen]: Die Übergangsverfassung und Verfassungen der Bundesstaaten verbieten die Diskriminierung und sehen Minderheitenrechte vor (UNHCR 22.12.2021b, S. 56). Weder Xeer (SEM 31.5.2017, S. 42) noch Polizei und Justiz benachteiligen Minderheiten systematisch. Faktoren wie Finanzkraft, Bildungsniveau oder zahlenmäßige Größe einer Gruppe können Minderheiten dennoch den Zugang zur Justiz erschweren (SEM 31.5.2017, S. 42; vgl. ÖB Nairobi 10.2024). Von Gerichten Rechtsschutz zu bekommen, ist für Angehörige von Minderheiten noch schwieriger als für andere Bevölkerungsteile (FIS 7.8.2020b, S. 21). Es kommt mitunter zu staatlicher Diskriminierung. So wurde beispielsweise in Mogadischu ein Strafprozess, bei welchem Rahanweyn und Bantu als Kläger gegen einen Polizeioffizier, der von einem großen Clan stammt, aufgetreten waren, vom Gericht ohne Weiteres eingestellt (Horn 6.5.2024).

Auch im Xeer sind Schutz und Verletzlichkeit einer Einzelperson eng verbunden mit der Macht ihres Clans (SEM 31.5.2017, S. 31). Weiterhin ist es für Minderheitsangehörige aber möglich, sich im Rahmen formaler Abkommen (Gashanbuur) einem anderen Clan anzuschließen bzw. sich unter Schutz zu stellen (AQSOM 4 6.2024; vgl. DI 6.2019, S. 11). Diese Resilienzmaßnahme wurde von manchen Gruppen etwa angesichts der Hungersnot 2011 und der Dürre 2016/17 angewendet (DI 6.2019, S. 11). Aufgrund dieser Allianzen werden auch Minderheiten in das System des Xeer eingeschlossen. Wenn ein Angehöriger einer Minderheit, die mit einem großen Clan alliiert ist, einen Unfall verursacht, trägt auch der große Clan zu Mag/Diya (Kompensationszahlung) bei (SEM 31.5.2017, S. 33). Gemäß einer Quelle haben schwächere Clans und Minderheiten trotzdem oft Schwierigkeiten – oder es fehlt überhaupt die Möglichkeit – ihre Rechte im Xeer durchzusetzen (LIFOS 1.7.2019, S. 14).

Netzwerke abseits von Clans: Die Mitgliedschaft in islamischen Organisationen und Verbänden gewinnt immer mehr an Bedeutung. Sie bietet eine Möglichkeit zur sozialen Organisation über Clangrenzen hinweg. Mit einer Mitgliedschaft kann eine "falsche" Clanzugehörigkeit in eingeschränktem Ausmaß kompensiert werden. Zumindest in bestimmten Teilen Somalias entsteht auch eine Form von Sozialkapital unter Mitgliedern der jüngeren Generation, die biografische Erfahrungen und Interessen (Bildung oder Beruf) teilen und manchmal in Jugendorganisationen organisiert sind oder sich in informellen Diskussionsgruppen und online treffen (BS 2024).

Quellen

AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (23.8.2024): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Bundesrepublik Somalia, https://milo.bamf.de/otcs/cs.exe/app/nodes/30275841, Zugriff 4.9.2024 [Login erforderlich]

ACCORD - Austrian Centre for Country of Origin and Asylum Research and Documentation (31.5.2021): Somalia - Al-Schabaab und Sicherheitslage; Lage von Binnenvertriebenen und Rückkehrer·innen [sic]; Schutz durch staatliche und nicht-staatliche Akteure; Dokumentation zum COI-Webinar mit Markus Höhne und Jutta Bakonyi am 5. Mai 2021, https://www.ecoi.net/en/file/local/2052555/20210531_COI-Webinar Somalia_ACCORD_Mai 2021.pdf, Zugriff 17.5.2022

AQSOM 4 - Anonymisierte Quelle Somalia 4 (6.2024): Expertengespräche

BS - Bertelsmann Stiftung (2024): BTI 2024 Country Report - Somalia, https://bti-project.org/fileadmin/api/content/en/downloads/reports/country_report_2024_SOM.pdf, Zugriff 18.3.2024

DI - Development Initiatives (6.2019): Towards an improved understanding of vulnerability and resilience in Somalia, https://reliefweb.int/sites/reliefweb.int/files/resources/Report_Towards-an-improved-understanding-of-vulnerability-and-resilience-in-Somalia.pdf, Zugriff 15.12.2023

FIS - Finnische Einwanderungsbehörde [Finnland] (7.8.2020b): Somalia: Fact-Finding Mission to Mogadishu in March 2020, https://migri.fi/documents/5202425/5914056/Somalia Fact-Finding Mission to Mogadishu in March 2020.pdf/2f51bf86-ac96-f34e-fd02-667c6ae973a0/Somalia Fact-Finding Mission to Mogadishu in March 2020.pdf?t=1602225617645, Zugriff 12.10.2023

Horn - Horn Observer (6.5.2024): Controversial Somali court decision grants immunity to perpetrator of human rights abuses, https://hornobserver.com/articles/2744/Controversial-Somali-court-decision-grants-immunity-to-perpetrator-of-human-rights-abuses, Zugriff 7.5.2024

LIFOS - LIFOS-Migrationsverket [Schweden] (1.7.2019): Somalia - Rätts- och säkerhetssektorn Version 1.0, https://www.ecoi.net/en/file/local/2012758/190704400.pdf, Zugriff 3.6.2024

NLM/Barnett - James Barnett (Autor), New Lines Magazine (Herausgeber) (7.8.2023): Inside the Newest Conflict in Somalia’s Long Civil War, https://newlinesmag.com/reportage/inside-the-newest-conflict-in-somalias-long-civil-war/, Zugriff 2.10.2023

ÖB Nairobi - Österreichische Botschaft Nairobi [Österreich] (10.2024): Asylländerbericht zu Somalia, https://www.ecoi.net/en/file/local/2116331/SOMA_ÖB-Bericht_2024_10.pdf, Zugriff 22.10.2024 [Login erforderlich]

Sahan/SWT - Somali Wire Team (Autor), Sahan (Herausgeber) (26.10.2022): The deaths of clan elders in the struggle against Al-Shabaab, in: The Somali Wire Issue No. 468, per e-Mail [kostenpflichtig, Login erforderlich]

Sahan/SWT - Somali Wire Team (Autor), Sahan (Herausgeber) (30.9.2022): Winning the war of grievances, in: The Somali Wire Issue No. 458, per e-Mail [kostenpflichtig, Login erforderlich]

SEM - Staatssekretariat für Migration [Schweiz] (31.5.2017): Focus Somalia – Clans und Minderheiten, https://www.sem.admin.ch/dam/data/sem/internationales/herkunftslaender/afrika/som/SOM-clans-d.pdf, Zugriff 12.3.2024

Shukri/TEL - The Elephant (Herausgeber), Saeed Shukri (Autor) (3.5.2021): Unrecognized Vote: Somaliland’s Democratic Journey, https://www.theelephant.info/long-reads/2021/05/03/unrecognized-vote-somalilands-democratic-journey/, Zugriff 13.10.2023

SOMNAT/STDOK/SEM - Staatssekretariat für Migration [Schweiz] (Herausgeber), Staatendokumentation des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl [Österreich] (Herausgeber), Somaliland National (Autor) (5.2023): Interview im Rahmen der FFM Somalia 2023

SPC - Somalia Protection Cluster (9.2.2022): Protection Analysis Update, February 2022, https://reliefweb.int/sites/reliefweb.int/files/resources/SOM_PAU_Somalia-Protection-Analysis_Feb2022.pdf, Zugriff 15.11.2023

UNHCR - United Nations High Commissioner for Refugees (22.12.2021b): Citizenship and Statelessness in the Horn of Africa, https://www.ecoi.net/en/file/local/2065866/61c97bea4.pdf, Zugriff 6.10.2023

UN OCHA - UN Office for the Coordination of Humanitarian Affairs (14.3.2022): Somalia Humanitarian Bulletin, February 2022, https://reliefweb.int/sites/reliefweb.int/files/resources/OCHA SOMALIA HUMANITARIAN BULLETIN - FEBRUARY 2022.pdf, Zugriff 12.3.2024

UNSOM - United Nations Assistance Mission in Somalia (5.8.2023): Muna Mohamed Abdi: Helping include marginalised communities in Kismayo, https://unsom.unmissions.org/muna-mohamed-abdi-helping-include-marginalised-communities-kismayo, Zugriff 17.1.2024

Bevölkerungsstruktur

Letzte Änderung 2024-12-04 10:43

Somalia ist eines der wenigen Länder in Afrika, wo es eine dominante Mehrheitskultur und -Sprache gibt. Die Mehrheit der Bevölkerung findet sich innerhalb der traditionellen somalischen Clanstrukturen (UNHCR 22.12.2021a). Die Landesbevölkerung ist nach Angabe einer Quelle ethnisch sehr homogen; allerdings ist der Anteil ethnischer Minderheiten an der Gesamtbevölkerung demnach unklar (AA 23.8.2024). Gemäß einer Quelle teilen mehr als 85 % der Bevölkerung eine gemeinsame ethnische Herkunft (USDOS 22.4.2024). Eine andere Quelle besagt, dass die somalische Bevölkerung aufgrund von Migration, ehemaliger Sklavenhaltung und der Präsenz von nicht nomadischen Berufsständen divers ist (Wissenschaftl. Mitarbeiter GIGA 3.7.2018). Es gibt weder eine Konsistenz noch eine Verständigungsbasis dafür, wie Minderheiten definiert werden (UN OCHA 14.3.2022). Die UN gehen davon aus, dass ca. 30 % aller Somali Angehörige von Minderheiten sind (MBZ 6.2023). Abseits davon trifft man in Somalia auf Zersplitterung in zahlreiche Clans, Subclans und Sub-Subclans, deren Mitgliedschaft sich nach Verwandtschaftsbeziehungen bzw. nach traditionellem Zugehörigkeitsempfinden bestimmt (AA 18.4.2021, S. 12). Diese Unterteilung setzt sich fort bis hinunter zur Kernfamilie (SEM 31.5.2017).

Insgesamt ist das westliche Verständnis einer Gesellschaft im somalischen Kontext irreführend. Dort gibt es kaum eine Unterscheidung zwischen öffentlicher und privater Sphäre. Zudem herrscht eine starke Tradition der sozialen Organisation abseits des Staates. Diese beruht vor allem auf sozialem Vertrauen innerhalb von Abstammungsgruppen. Seit dem Zusammenbruch des Staates hat sich diese soziale Netzwerkstruktur reorganisiert und verstärkt, um das Überleben der einzelnen Mitglieder zu sichern (BS 2024). Die Zugehörigkeit zu einem Clan ist der wichtigste identitätsstiftende Faktor für Somalis. Sie bestimmt, wo jemand lebt, arbeitet und geschützt wird. Darum kennen Somalis üblicherweise ihre exakte Position im Clansystem (SEM 31.5.2017). Insgesamt gibt es keine physischen Charakteristika, welche die Zugehörigkeit zu einem bestimmten Clan erkennen ließen (Landinfo 4.4.2016).

Große Clanfamilien: Die sogenannten "noblen" Clanfamilien können (nach eigenen Angaben) ihre Abstammung auf mythische gemeinsame Vorfahren und den Propheten Mohammed zurückverfolgen. Die meisten Minderheiten sind dazu nicht in der Lage (SEM 31.5.2017). Somali sehen sich als Nation arabischer Abstammung, "noble" Clanfamilien sind meist Nomaden:

Darod gliedern sich in die drei Hauptgruppen: Ogaden, Marehan und Harti sowie einige kleinere Clans. Die Harti sind eine Föderation von drei Clans: Die Majerteen sind der wichtigste Clan Puntlands, während Dulbahante und Warsangeli in den zwischen Somaliland und Puntland umstrittenen Grenzregionen leben. Die Ogaden sind der wichtigste somalische Clan in Äthiopien, haben aber auch großen Einfluss in den südsomalischen Juba-Regionen sowie im Nordosten Kenias. Die Marehan sind in Süd-/Zentralsomalia präsent.

Hawiye leben v. a. in Süd-/Zentralsomalia. Die wichtigsten Hawiye-Clans sind Habr Gedir und Abgaal, beide haben in und um Mogadischu großen Einfluss.

Dir leben im Westen Somalilands sowie in den angrenzenden Gebieten in Äthiopien und Dschibuti, außerdem in kleineren Gebieten Süd-/Zentralsomalias. Die wichtigsten Dir-Clans sind Issa, Gadabursi (beide im Norden) und Biyomaal (Süd-/Zentralsomalia).

Isaaq sind die wichtigste Clanfamilie in Somaliland, wo sie kompakt leben. Teils werden sie zu den Dir gerechnet (SEM 31.5.2017). Sie selbst erachten sich nicht als Teil der Dir (AQSOM 4 6.2024).

Rahanweyn bzw. Digil-Mirifle sind eine weitere Clanfamilie (SEM 31.5.2017).

Territorien: Alle Mehrheitsclans sowie ein Teil der ethnischen Minderheiten – nicht aber die berufsständischen Gruppen – haben ihr eigenes Territorium. Dessen Ausdehnung kann sich u. a. aufgrund von Konflikten verändern (SEM 31.5.2017).

Minderheiten: Als Minderheiten werden jene Gruppen bezeichnet, die aufgrund ihrer geringeren Anzahl schwächer als die "noblen" Mehrheitsclans sind. Dazu gehören Gruppen anderer ethnischer Abstammung; Gruppen, die traditionell als unrein angesehene Berufe ausüben; sowie die Angehörigen "nobler" Clans, die nicht auf dem Territorium ihres Clans leben oder zahlenmäßig klein sind (SEM 31.5.2017).

Quellen

AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (23.8.2024): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Bundesrepublik Somalia, https://milo.bamf.de/otcs/cs.exe/app/nodes/30275841, Zugriff 4.9.2024 [Login erforderlich]

AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (18.4.2021): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Bundesrepublik Somalia, https://www.ecoi.net/en/file/local/2050118/Auswärtiges_Amt,_Bericht_über_die_asyl-_und_abschieberelevante_Lage_in_der_Bundesrepublik_Somalia_(Stand_Januar_2021),_18.04.2021.pdf, Zugriff 17.10.2024 [Login erforderlich]

AQSOM 4 - Anonymisierte Quelle Somalia 4 (6.2024): Expertengespräche

BS - Bertelsmann Stiftung (2024): BTI 2024 Country Report - Somalia, https://bti-project.org/fileadmin/api/content/en/downloads/reports/country_report_2024_SOM.pdf, Zugriff 18.3.2024

Landinfo - Referat für Länderinformationen der Einwanderungsbehörde [Norwegen] (4.4.2016): Practical issues and security challenges associated with travels in Southern Somalia, https://landinfo.no/asset/3569/1/3569_1.pdf, Zugriff 12.3.2024

MBZ - Außenministerium der Niederlande [Niederlande] (6.2023): General country of origin information report on Somalia, https://www.ecoi.net/en/file/local/2103761/General_COI_report_Somalia_June_2023.pdf, Zugriff 29.4.2024

SEM - Staatssekretariat für Migration [Schweiz] (31.5.2017): Focus Somalia – Clans und Minderheiten, https://www.sem.admin.ch/dam/data/sem/internationales/herkunftslaender/afrika/som/SOM-clans-d.pdf, Zugriff 12.3.2024

UNHCR - United Nations High Commissioner for Refugees (22.12.2021a): Citizenship and Statelessness in the Horn of Africa, https://www.ecoi.net/en/file/local/2065866/61c97bea4.pdf, Zugriff 12.3.2024

UN OCHA - UN Office for the Coordination of Humanitarian Affairs (14.3.2022): Somalia Humanitarian Bulletin, February 2022, https://reliefweb.int/sites/reliefweb.int/files/resources/OCHA SOMALIA HUMANITARIAN BULLETIN - FEBRUARY 2022.pdf, Zugriff 12.3.2024

USDOS - United States Department of State [USA] (22.4.2024): 2023 Country Report on Human Rights Practices - Somalia, https://www.state.gov/reports/2023-country-reports-on-human-rights-practices/somalia, Zugriff 23.4.2024

Wissenschaftl. Mitarbeiter GIGA - Wissenschaftlicher Mitarbeiter am German Institute of Global and Area Studies (3.7.2018): Sachverständigengutachten zu 10 K 1802/14A

Berufsständische Minderheiten, aktuelle Situation

Letzte Änderung 2025-01-16 14:11

Berufsständische Gruppen unterscheiden sich weder durch Abstammung noch durch Sprache und Kultur von der Mehrheitsbevölkerung (SEM 31.5.2017). Sie sind somalischen Ursprungs, wurden aber von den traditionellen Clan-Lineages ausgeschlossen (UNHCR 22.12.2021a). Im Gegensatz zu den „noblen“ Clans wird ihnen nachgesagt, ihre Abstammungslinie nicht auf Prophet Mohammed zurückverfolgen zu können (SEM 31.5.2017). Ihre traditionellen Berufe werden als unrein oder unehrenhaft erachtet (UNHCR 22.12.2021a, S. 57; vgl. SEM 31.5.2017) - etwa Jäger, Lederverarbeiter, Schuster, Friseure, Töpferinnen, traditionelle Heiler oder Hebammen (MBZ 6.2023). Diese Gruppen stehen damit auf der untersten Stufe der sozialen Hierarchie in der Gesellschaft. Sie leben verstreut in allen Teilen des somalischen Kulturraums, mehrheitlich aber in Städten. Ein v. a. im Norden bekannter Sammelbegriff für einige berufsständische Gruppen ist Gabooye, dieser umfasst etwa die Tumal, Madhiban, Muse Dheriyo und Yibir (SEM 31.5.2017; vgl. AQSOM 4 6.2024). Ein anderer Sammelbegriff ist Midgan (UNHCR 22.12.2021a).

Diskriminierung: Für die Gabooye hat sich die Situation im Vergleich zur Jahrtausendwende, als sie nicht einmal normal die Schule besuchen konnten, gebessert. Insbesondere unter jungen Somali ist die Einstellung zu ihnen positiver geworden; mittlerweile ist es für viele Angehörige der Mehrheitsclans üblich, auch mit Angehörigen berufsständischer Gruppen zu sprechen, zu essen, zu arbeiten und Freundschaften zu unterhalten. Es gibt keine gezielten Angriffe gegen oder Misshandlungen von Gabooye (SEM 31.5.2017). In Mogadischu sind Angehörige von Minderheiten keiner systematischen Gewalt ausgesetzt. Allerdings sind all jene Personen, welche nicht einem dominanten Clan der Stadt angehören, potenziell gegenüber Kriminalität vulnerabler (Landinfo 21.5.2019b). Ein Experte erklärt, dass Gabooye zwar nicht angegriffen werden, diese aber davor Angst haben. Minderheiten werden demnach nicht aufgrund ihrer Zugehörigkeit zu einer Minderheit angegriffen, es sei denn, dass sie bei einem Vorhaben im Weg stehen (AQSOM 4 6.2024).

Allerdings sind Angehörige berufsständischer Kasten Belästigung und Ausbeutung ausgesetzt (Sahan/SWT 1.12.2023). Sie werden als Bürger zweiter Klasse erachtet (BS 2024; vgl. AQSOM 4 6.2024). Zu ihrer Diskriminierung trägt bei, dass sie sich weniger strikt organisieren und sie viel ärmer sind. Daher sind sie nur in geringerem Maß in der Lage, Kompensation zu zahlen oder Blutrache anzudrohen (Wissenschaftl. Mitarbeiter GIGA 3.7.2018; vgl. SEM 31.5.2017). Es kommt zu Beschimpfungen, Ausschluss von bestimmten Berufen, Einschränkungen beim Landbesitz sowie zu Diskriminierung im Bildungs- und Gesundheitssystem (AQSOM 4 6.2024). Insgesamt ist die soziale Stufe und die damit verbundene Armut für viele das Hauptproblem. Hinzu kommt, dass diese Minderheiten in der Regel eine tendenziell schlechtere Kenntnis des Rechtssystems haben. Der Zugang berufsständischer Gruppen zur Bildung ist erschwert, weil an ihren Wohnorten z. B. Schulen fehlen. Außerdem verlassen viele Kinder die Schule früher, um zu arbeiten. Viele Familien sind auf derartige Einkommen angewiesen. Die meist schlechtere Bildung wiederum führt zur Benachteiligung bei der Arbeitssuche, bei der die Clanzugehörigkeit ohnehin oft zu Diskriminierung führen kann. Da berufsständische Gruppen nur über eine kleine Diaspora verfügen, profitieren sie zudem in geringerem Ausmaß von Remissen als Mehrheitsclans (SEM 31.5.2017).

Aufgrund der oft schlechten Ausbildung treffen Gabooye außerhalb ihrer traditionellen Berufe am Arbeitsmarkt auf Schwierigkeiten (MBZ 6.2023). Dennoch sind vereinzelt auch Angehörige berufsständischer Gruppen wirtschaftlich erfolgreich. Auch wenn sie weiterhin die ärmste Bevölkerungsschicht stellen, finden sich einzelne Angehörige in den Regierungen, im Parlament und in der Wirtschaft (SEM 31.5.2017).

Mischehe: In dieser Frage kommt es weiterhin zu einer gesellschaftlichen Diskriminierung, da Mehrheitsclans Mischehen mit Angehörigen berufsständischer Gruppen meist nicht akzeptieren. Dies gilt insbesondere dann, wenn eine Mehrheitsfrau einen Minderheitenmann heiratet. Der umgekehrte Fall ist weniger problematisch (SEM 31.5.2017; vgl. ÖB Nairobi 10.2024). Aufgrund dieser Stigmatisierung (FH 2024a) kommen Mischehen äußerst selten vor (SEM 31.5.2017; vgl. FIS 5.10.2018). Diesbezüglich bestehen aber regionale Unterschiede: Im Clan-mäßig homogeneren Norden des somalischen Kulturraums sind Mischehen seltener und gleichzeitig stärker stigmatisiert als im Süden (ÖB Nairobi 10.2024; vgl. SEM 31.5.2017). Hawiye und Rahanweyn sehen die Frage der Mischehe weniger eng. Außerdem ist der Druck auf Mischehen insbesondere in ländlichen Gebieten ausgeprägt (SEM 31.5.2017). In Mogadischu sind Mischehen möglich (FIS 5.10.2018). Auch al Shabaab hat Hindernisse für Mischehen beseitigt, in ihren Gebieten kommt es zunehmend zu solchen Eheschließungen (ICG 27.6.2019a). Die Gruppe hat Fußsoldaten, die zu Gruppen mit niedrigem Status gehören, dazu ermutigt, Frauen und Mädchen von "noblen" Clans (z. B. Hawiye, Darod) zu heiraten (Ingiriis 2020).

Eine Mischehe führt so gut wie nie zu Gewalt oder gar zu Tötungen. Seltene Vorfälle, in denen es etwa in Somaliland im Zusammenhang mit Mischehen zu Gewalt kam, sind in somaliländischen Medien dokumentiert (SEM 31.5.2017). Trotzdem können diese Ehen negative Folgen für die Ehepartner mit sich bringen – insbesondere, wenn der Mann einer Minderheit angehört (ÖB Nairobi 10.2024). So kommt es häufig zur Verstoßung des aus einem "noblen" Clan stammenden Teils der Eheleute durch die eigenen Familienangehörigen. Letztere besuchen das Paar nicht mehr, kümmern sich nicht um dessen Kinder oder brechen den Kontakt ganz ab; es kommt zu sozialem Druck (SEM 31.5.2017). Diese Art der Verstoßung kann vor allem in ländlichen Gebieten vorkommen. Eine Mischehe sorgt auf jeden Fall für Diskussionen und Getratsche, nach einer gewissen Zeit wird sie nach Angaben einer Quelle aber meist akzeptiert (FIS 5.10.2018).

Quellen

AQSOM 4 - Anonymisierte Quelle Somalia 4 (6.2024): Expertengespräche

BS - Bertelsmann Stiftung (2024): BTI 2024 Country Report - Somalia, https://bti-project.org/fileadmin/api/content/en/downloads/reports/country_report_2024_SOM.pdf, Zugriff 18.3.2024

FH - Freedom House (2024a): Freedom in the World 2024 - Somaliland, https://www.ecoi.net/de/dokument/2109065.html, Zugriff 8.7.2024

FIS - Finnische Einwanderungsbehörde [Finnland] (5.10.2018): Somalia: Fact-Finding Mission to Mogadishu and Nairobi, January 2018, https://migri.fi/documents/5202425/5914056/Somalia_Fact_Finding Mission to Mogadishu and Nairobi January 2018.pdf/2abe79e2-baf3-0a23-97d1-f6944b6d21a7/Somalia_Fact_Finding Mission to Mogadishu and Nairobi January 2018.pdf.pdf, Zugriff 12.3.2024

ICG - International Crisis Group (27.6.2019a): Women and Al-Shabaab’s Insurgency, https://www.ecoi.net/en/file/local/2011897/b145-women-and-al-shabaab_0.pdf, Zugriff 12.3.2024

Ingiriis - M.H. Ingiriis (2020): The anthropology of Al-Shabaab: the salient factors for the insurgency movement’s recruitment project, in: Small Wars Insurgencies, Vol. 31/2, 2020, pp. 359-380, zitiert in: EASO - European Asylum Support Office (9.2021): Somalia – Targeted Profiles, S.18, https://www.ecoi.net/en/file/local/2060580/2021_09_EASO_COI_Report_Somalia_Targeted_profiles.pdf

Landinfo - Referat für Länderinformationen der Einwanderungsbehörde [Norwegen] (21.5.2019b): Somalia Rer Hamar-befolkningen i Mogadishu, https://www.ecoi.net/en/file/local/2009629/Respons_Somalia_Rer_Hamar-befolkningen_i_Mogadishu_21052019.pdf, Zugriff 12.3.2024

MBZ - Außenministerium der Niederlande [Niederlande] (6.2023): General country of origin information report on Somalia, https://www.ecoi.net/en/file/local/2103761/General_COI_report_Somalia_June_2023.pdf, Zugriff 29.4.2024

ÖB Nairobi - Österreichische Botschaft Nairobi [Österreich] (10.2024): Asylländerbericht zu Somalia, https://www.ecoi.net/en/file/local/2116331/SOMA_ÖB-Bericht_2024_10.pdf, Zugriff 22.10.2024 [Login erforderlich]

Sahan/SWT - Somali Wire Team (Autor), Sahan (Herausgeber) (1.12.2023): Clans and displacement in Somalia, in: The Somali Wire Issue No. 622, per e-Mail [kostenpflichtig, Login erforderlich]

SEM - Staatssekretariat für Migration [Schweiz] (31.5.2017): Focus Somalia – Clans und Minderheiten, https://www.sem.admin.ch/dam/data/sem/internationales/herkunftslaender/afrika/som/SOM-clans-d.pdf, Zugriff 12.3.2024

UNHCR - United Nations High Commissioner for Refugees (22.12.2021a): Citizenship and Statelessness in the Horn of Africa, https://www.ecoi.net/en/file/local/2065866/61c97bea4.pdf, Zugriff 12.3.2024

Wissenschaftl. Mitarbeiter GIGA - Wissenschaftlicher Mitarbeiter am German Institute of Global and Area Studies (3.7.2018): Sachverständigengutachten zu 10 K 1802/14A

Angehörige anderer Clans in der Position als Minderheit, Clanlose

Letzte Änderung 2024-12-04 11:37

Auch Angehörige starker Clans können zu Minderheiten werden. Dies ist dann der Fall, wenn sie in einem Gebiet leben, in dem ein anderer Clan dominant ist. Dies kann Einzelpersonen oder auch ganze Gruppen betreffen. So sehen sich beispielsweise die Biyomaal als exponierter Dir-Clan in Südsomalia manchmal in dieser Rolle. Generell gerät eine Einzelperson immer dann in die Rolle der Minderheit, wenn sie sich auf dem Gebiet eines anderen Clans aufhält. Sie verliert so die mit ihrer Clanzugehörigkeit verbundenen Privilegien. Die Position als "Gast" ist schwächer als jene des "Gastgebers". Im System von "hosts and guests" sind Personen, die sich außerhalb des eigenen Clanterritoriums niederlassen, gegenüber Angehörigen des dort ansässigen Clans schlechter gestellt. In Mogadischu gelten etwa Angehörige der Isaaq, Rahanweyn und Darod als "Gäste". Dieses System gilt auch für IDPs (SEM 31.5.2017, S. 11f/32f). Ein Beispiel derartiger Auswirkungen stammt aus Puntland. Dort haben Sicherheitskräfte mehrere junge Männer festgenommen, von denen angenommen wird, dass sie hinter einer Reihe von Angriffen auf Mitglieder der Ogadeni [Anm.: Der in Jubaland und kenianischen Somali-Gebieten vorherrschende Clan] in Garoowe stecken. Die Übergriffe wurden ausgelöst, weil eine Gruppe Jugendlicher in Nairobi einen jungen Mann aus Garoowe angegriffen und die Tat gefilmt hat. Die Angriffe in Garoowe gelten als Vergeltung für den Angriff in Nairobi (HO 8.9.2024).

Diskriminierung: In den meisten Gegenden schließt der dominante Clan andere Gruppen von einer effektiven Partizipation an Regierungsinstitutionen aus. Diskriminierung erfolgt etwa auch beim Zugang zum Arbeitsmarkt oder zu Gerichtsverfahren (USDOS 22.4.2024). Angehörige eines (Sub-)Clans können in von einem anderen (Sub-)Clan dominierten Gebiete auf erhebliche Schwierigkeiten stoßen, insbesondere in Konfliktsituationen bezüglich Unfällen, Eigentum oder Wasser (AA 18.4.2021, S. 12). Auch kann es vorkommen, dass Personen, die einer kleinen Gruppe innerhalb eines großen Clans angehören, von den Nachbarn als Minderheit wahrgenommen und diskriminiert werden (AQSOM 4 6.2024).

Menschen aus Somaliland werden in Süd-/Zentralsomalia nicht diskriminiert. Sie haben Vertreter im System, in der Regierung, im Parlament. Einige junge Somaliländer gehen trotz der schlechten Sicherheitslage der Möglichkeiten wegen nach Süd-/Zentralsomalia, insbesondere im humanitären Bereich (SOMNAT/STDOK/SEM 5.2023).

Ashraf und Sheikhal werden als religiöse Clans bezeichnet. Die Ashraf beziehen ihren religiösen Status aus der von ihnen angegebenen Abstammung von der Tochter Mohammeds; die Sheikhal aus einem vererbten religiösen Status. Beide Clans werden traditionell respektiert und von den Clans, bei welchen sie leben, geschützt. Die Sheikhal sind außerdem eng mit dem Clan der Hawiye / Hirab assoziiert und nehmen sogar einige Sitze der Hawiye im somalischen Parlament ein. Ein Teil der Ashraf lebt als Teil der Benadiri in den Küstenstädten, ein Teil als Clan der Digil-Mirifle in den Flusstälern von Bay und Bakool (EASO 8.2014, S. 46f/103).

Für eine Person ohne Clanidentität ist gesellschaftlicher Schutz nicht vorhanden. Dies führt nicht automatisch zu Misshandlung, fördert aber die Vulnerabilität. Sollte eine Person ohne Clanidentität und ohne Ressourcen zurückkehren, wird es im gegenwärtigen somalischen Kontext für diese physisch und wirtschaftlich sehr schwierig, zu überleben. Allerdings gibt es laut Experten so gut wie niemanden, der nicht weiß, woher er oder sie abstammt (ACCORD 31.5.2021, S. 2f/37/39f).

Quellen

AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (18.4.2021): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Bundesrepublik Somalia, https://www.ecoi.net/en/file/local/2050118/Auswärtiges_Amt,_Bericht_über_die_asyl-_und_abschieberelevante_Lage_in_der_Bundesrepublik_Somalia_(Stand_Januar_2021),_18.04.2021.pdf, Zugriff 17.10.2024 [Login erforderlich]

ACCORD - Austrian Centre for Country of Origin and Asylum Research and Documentation (31.5.2021): Somalia - Al-Schabaab und Sicherheitslage; Lage von Binnenvertriebenen und Rückkehrer·innen [sic]; Schutz durch staatliche und nicht-staatliche Akteure; Dokumentation zum COI-Webinar mit Markus Höhne und Jutta Bakonyi am 5. Mai 2021, https://www.ecoi.net/en/file/local/2052555/20210531_COI-Webinar Somalia_ACCORD_Mai 2021.pdf, Zugriff 17.5.2022

AQSOM 4 - Anonymisierte Quelle Somalia 4 (6.2024): Expertengespräche

EASO - European Asylum Support Office (8.2014): South and Central Somalia: Country Overview, https://euaa.europa.eu/sites/default/files/publications/EASO-COIreport-Somalia_EN.pdf, Zugriff 18.10.2024

HO - Hiiraan Online (8.9.2024): Puntland security arrests youth over TikTok-inspired clan attacks, https://www.hiiraan.com/news4/2024/Sept/197917/puntland_security_arrests_youth_over_tiktok_inspired_clan_attacks.aspx?utm_source=hiiraan utm_medium=SomaliNewsUpdateFront, Zugriff 18.10.2024

SEM - Staatssekretariat für Migration [Schweiz] (31.5.2017): Focus Somalia – Clans und Minderheiten, https://www.sem.admin.ch/dam/data/sem/internationales/herkunftslaender/afrika/som/SOM-clans-d.pdf, Zugriff 12.3.2024

SOMNAT/STDOK/SEM - Staatssekretariat für Migration [Schweiz] (Herausgeber), Staatendokumentation des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl [Österreich] (Herausgeber), Somaliland National (Autor) (5.2023): Interview im Rahmen der FFM Somalia 2023

USDOS - United States Department of State [USA] (22.4.2024): 2023 Country Report on Human Rights Practices - Somalia, https://www.state.gov/reports/2023-country-reports-on-human-rights-practices/somalia, Zugriff 23.4.2024

Relevante Bevölkerungsgruppen

Frauen – allgemein

Letzte Änderung 2024-12-02 12:53

Sowohl im Zuge der Anwendung der Scharia als auch bei der Anwendung traditionellen Rechtes sind Frauen nicht in Entscheidungsprozesse eingebunden. Die Scharia wird ausschließlich von Männern angewendet, die oftmals zugunsten von Männern entscheiden (USDOS 22.4.2024). Zudem gelten die aus der Scharia interpretierten Regeln des Zivil- und Strafrechts. In der Scharia gelten für Frauen andere gesetzliche Maßstäbe als für Männer (z. B. halbe Erbquote). Insgesamt gibt es hinsichtlich der grundsätzlich diskriminierenden Auslegungen der zivil- und strafrechtlichen Elemente der Scharia keine Ausweichmöglichkeiten, diese gelten auch in Somaliland (AA 23.8.2024).

Auch im Rahmen der Ausübung des Xeer (traditionelles Recht) haben Frauen nur eingeschränkt Einfluss. Verhandelt wird unter Männern, und die Frau wird üblicherweise von einem männlichen Familienmitglied vertreten (SPC 9.2.2022; vgl. ÖB Nairobi 10.2024). Oft werden Gewalttaten gegen Frauen außerhalb des staatlichen Systems zwischen Clanältesten geregelt, sodass ein Opferschutz nicht gewährleistet ist (AA 23.8.2024). Auch Vergewaltigungsfälle werden oft im Rahmen kollektiver Clanverantwortung abgehandelt (ÖB Nairobi 11.1.2024; vgl. AQ21 11.2023; SPC 9.2.2022). Diesbezüglich geschaffene Gesetze haben zwar Signalwirkung, diese wendet sich aber insbesondere nach Außen (ÖB Nairobi 11.1.2024). Viele Fälle werden auch gar nicht gemeldet. Weibliche Opfer befürchten, von ihren Familien oder Gemeinden verstoßen zu werden, sie fürchten sich z. B. auch vor einer Scheidung oder einer Zwangsehe. Anderen Opfern sind die formellen Regressstrukturen schlichtweg unbekannt (SPC 9.2.2022). Im traditionellen System werden Vergewaltigungen oft mittels Blutgeld zwischen den betroffenen Clans ausverhandelt. Dabei darf das Opfer nach Angaben einer Quelle über die Höhe des Betrags mitentscheiden (ÖB Nairobi 11.1.2024). Andererseits werden Frauen im Falle von Clankonflikten oft als neutral erachtet, da es für sie leichter möglich ist, sich an unterschiedliche Clans zu wenden, um z. B. eine Waffenruhe zu erbitten. Folglich sind Frauen aufgrund der Verwandtschaftsverhältnisse beim Peace Building durchaus mächtig (AQ21 11.2023).

Während Frauen in Somalia zunehmend entscheidende wirtschaftliche Rollen übernehmen und häufig als Hauptverdiener ihrer Familien auftreten, stoßen sie bei der Suche nach politischen und wirtschaftlichen Möglichkeiten auf Hindernisse. Oft finden sie sich in schlecht bezahlten Positionen wieder (BS 2024). Gemäß einer Studie zum Gender-Gap in Süd-/Zentralsomalia und Puntland verfügen Frauen dort nur über 50 % der Möglichkeiten der Männer – und zwar mit Bezug auf Teilnahme an der Wirtschaft; wirtschaftliche Möglichkeiten; Politik; und Bildung (SOMSUN 6.4.2021). Viele traditionelle und religiöse Eliten stellen sich vehement gegen eine stärkere Beteiligung von Frauen am politischen Leben (AA 23.8.2024). Auf allen politischen Ebenen herrscht dementsprechend eine Absenz von Frauen. Insgesamt ist dies auf die patriarchale, auf Clans basierende Gesellschaft zurückzuführen (Sahan/SWT 19.1.2024; vgl. AA 23.8.2024). Trotzdem finden sich bei Behörden, bei den Macawiisley, in der Bundesarmee, bei der NISA und den Darawish Frauen, bei der Polizei sind es ca. 10 % (AQ21 11.2023; vgl. Sahan/SWT 9.9.2022).

Quellen

AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (23.8.2024): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Bundesrepublik Somalia, https://milo.bamf.de/otcs/cs.exe/app/nodes/30275841, Zugriff 4.9.2024 [Login erforderlich]

AQ21 - Anonyme Quelle 21 (11.2023): Expertengespräche

BS - Bertelsmann Stiftung (2024): BTI 2024 Country Report - Somalia, https://bti-project.org/fileadmin/api/content/en/downloads/reports/country_report_2024_SOM.pdf, Zugriff 18.3.2024

ÖB Nairobi - Österreichische Botschaft Nairobi [Österreich] (10.2024): Asylländerbericht zu Somalia, https://www.ecoi.net/en/file/local/2116331/SOMA_ÖB-Bericht_2024_10.pdf, Zugriff 22.10.2024 [Login erforderlich]

ÖB Nairobi - Österreichische Botschaft Nairobi [Österreich] (11.1.2024): Informationen der Botschaft, per e-Mail

Sahan/SWT - Somali Wire Team (Autor), Sahan (Herausgeber) (19.1.2024): Elections and women's representation in Somalia, in: The Somali Wire Issue No. 637, per e-Mail [kostenpflichtig, Login erforderlich]

Sahan/SWT - Somali Wire Team (Autor), Sahan (Herausgeber) (9.9.2022): Sports, women and the struggle for visibility in Somalia, in: The Somali Wire Issue No. 449, per e-Mail [kostenpflichtig, Login erforderlich]

SOMSUN - Somaliland Sun (6.4.2021): In All Sectors Women have Nearly Half the Opportunities Afforded to Men - Oxfam, https://www.somalilandsun.com/somalia-in-all-sectors-women-have-nearly-half-the-opportunities-afforded-to-men-oxfam/, Zugriff 20.6.2024

SPC - Somalia Protection Cluster (9.2.2022): Protection Analysis Update, February 2022, https://reliefweb.int/sites/reliefweb.int/files/resources/SOM_PAU_Somalia-Protection-Analysis_Feb2022.pdf, Zugriff 15.11.2023

USDOS - United States Department of State [USA] (22.4.2024): 2023 Country Report on Human Rights Practices - Somalia, https://www.state.gov/reports/2023-country-reports-on-human-rights-practices/somalia, Zugriff 23.4.2024

Süd-/Zentralsomalia, Puntland

Letzte Änderung 2025-01-16 14:10

Diskriminierung: Die Diskriminierung von Frauen ist gesetzlich verboten (USDOS 22.4.2024). Die aktuelle Verfassung betont in besonderer Weise die Rolle und die Menschenrechte von Frauen und Mädchen und die Verantwortung des Staates in dieser Hinsicht. Tatsächlich ist deren Lage jedoch weiterhin besonders prekär (AA 23.8.2024). Sie genießen nicht die gleichen Rechte und den gleichen Status wie Männer und leiden unter Diskriminierung bei Kreditvergabe, Bildung, Politik, Unterbringung und am Arbeitsmarkt (USDOS 22.4.2024; vgl. FH 2024b). Bei der politischen Entscheidungsfindung werden Frauen marginalisiert (UNSC 2.2.2024).

Andererseits ist es der Regierung gelungen, Frauenrechte etwas zu fördern: Immer mehr Mädchen gehen zur Schule, die Zahl an Frauen im öffentlichen Dienst wächst (ICG 27.6.2019a, S. 3).

Wirtschaft und Arbeit: Siehe dazu Grundversorgung/Wirtschaft / Süd-/Zentralsomalia / Wirtschaft und Arbeit

Frauen in der Politik: Die eigentlich vorgesehene 30-Prozent-Frauenquote für Abgeordnete im somalischen Parlament wird nicht eingehalten. Aktuell liegt diese bei 54 Sitzen (knapp 20 %) im Unterhaus (FH 2024b; vgl. UNSC 13.5.2022; BS 2024) und 26 % im Oberhaus (14 von 54 Sitzen) (FH 2024b; vgl. UNSC 8.2.2022). In der neuen Regierung nehmen Frauen 10 Sitze ein, was einen Anteil von 13 % ausmacht (UNSC 1.9.2022b). Die stellvertretende Sprecherin des Unterhauses ist weiblich (BS 2024). Unter den in Puntland Anfang 2024 vereidigten 66 Parlamentsabgeordneten findet sich nur eine Frau (Sahan/SWT 19.1.2024).

Gewalt gegen Frauen: Gewalt gegen Frauen ist gesetzlich verboten (USDOS 22.4.2024). Trotzdem bleibt häusliche Gewalt ein großes Problem (USDOS 22.4.2024; vgl. BS 2024; AA 23.8.2024). Bezüglich Gewalt in der Ehe – darunter auch Vergewaltigung – gibt es keine speziellen Gesetze (USDOS 22.4.2024). Auch generell ist sexuelle Gewalt gegen Frauen ein großes Problem - IDPs sind spezifisch betroffen (FH 2024b; vgl. USDOS 22.4.2024; ÖB Nairobi 10.2024; HRW 11.1.2024). Auch weibliche Angehörige von Minderheiten sind häufig unter den Opfern geschlechtsspezifischer Gewalt. NGOs haben eine diesbezügliche Systematik dokumentiert (USDOS 22.4.2024). So waren z. B. sieben von zwölf in einem UN-Bericht für das erste Jahresdrittel 2024 erwähnten weiblichen Opfer konfliktverursachter sexueller Gewalt Angehörige von Minderheiten, drei waren IDPs (UNSC 3.6.2024). Frauen, die aus Minderheiten stammen, sind dementsprechend besonders vulnerabel hinsichtlich sexueller Gewalt, Kriminalität, Ausbeutung und Diskriminierung und haben gleichzeitig kaum Zugang zu Justiz oder Clanschutz (ÖB Nairobi 10.2024).

Zur Veranschaulichung: Im Jahr 2021 setzten sich die Fälle geschlechtsspezifischer Gewalt laut UNFPA wie folgt zusammen: 62 % physische Gewalt; 11 % Vergewaltigungen; 10 % sexuelle Übergriffe; 7 % Verweigerung von Ressourcen; 6 % psychische Gewalt; 4 % Zwangs- oder Kinderehe. 53 % der Fälle ereigneten sich im Wohnbereich der Opfer (UNFPA 14.4.2022). Zudem werden Frauen und Mädchen Opfer, wenn sie Wasser holen, Felder bewirtschaften oder auf den Markt gehen. Klassische Muster sind: a) die Entführung von Mädchen und Frauen zum Zwecke der Vergewaltigung oder der Zwangsehe. Hier sind die Täter meist nicht-staatliche Akteure; und b) Vergewaltigungen und Gruppenvergewaltigungen durch staatliche Akteure, assoziierte Milizen und unbekannte Bewaffnete. Insgesamt gaben bei einer Untersuchung aber 59 % der befragten Frauen an, dass die meiste Gewalt gegen Frauen von Ehemännern ausgeht (USDOS 22.4.2024). UNFPA berichtete 2021 von jährlich 80 % Zuwachs bei der Zahl an gemeldeten Fällen (Sahan/SWT 9.2.2024). Frauen und Mädchen bleiben den Gefahren bezüglich Vergewaltigung, Verschleppung und systematischer sexueller Versklavung ausgesetzt (AA 23.8.2024).

Sexuelle Gewalt - Gesetzeslage: Das Strafgesetzbuch befasst sich hinsichtlich sexueller Gewalt weniger mit Körperverletzung, sondern beschreibt diese eher im Sinne einer Verletzung der Sittlichkeit und der sexuellen Ehre (BS 2024). Nicht die körperliche Integrität, sondern Anstand und Ehre stehen im Vordergrund (HRW 11.1.2024). Nach anderen Angaben ist Vergewaltigung gesetzlich verboten (AA 23.8.2024). Die Strafandrohung beträgt 5-15 Jahre, vor Militärgerichten auch den Tod (USDOS 22.4.2024). Vergewaltigung bzw. Übergriffe in der Ehe sind hingegen nicht verboten. Insgesamt ist die Gesetzeslage unklar und wird auch uneinheitlich angewendet (Sahan/SWT 9.2.2024) bzw. setzt die Regierung bestehende Gesetze nicht effektiv um (USDOS 22.4.2024).

Sexuelle Gewalt - staatlicher Schutz: Fälle sexueller und geschlechtsspezifischer Gewalt werden häufig als Kavaliersdelikte abgetan, eine Verurteilung der Täter mithilfe von Bestechung oder Kompensationszahlungen verhindert (AA 23.8.2024). Denn wenn eine Frau - trotz Angst vor sozialer Ächtung - z. B. Beschwerden über ihren Ehemann vorbringt, dann handelt üblicherweise nicht die Polizei, sondern Älteste oder Familienangehörige (Horn 6.2.2024). Folglich kann bei Vergewaltigungen von staatlichem Schutz nicht ausgegangen werden (ÖB Nairobi 10.2024; vgl. BS 2024). Eine strafrechtliche Verfolgung von Vergewaltigungen erfolgt in der Praxis kaum (AA 23.8.2024; vgl. USDOS 22.4.2024; ÖB Nairobi 10.2024), die Aufklärungsrate ist verschwindend gering (AA 23.8.2024).

Insgesamt wird Gewalt gegen Frauen aber aufgrund des Stigmatisierungsrisikos und mangelnder Reaktionen der von Männern dominierten Strafverfolgungs- und Justizsysteme oft gar nicht erst gemeldet (SW 3.2023; vgl. Sahan/SWT 9.2.2024; USDOS 22.4.2024; AA 23.8.2024; ÖB Nairobi 10.2024). Die Tabuisierung von Vergewaltigungen führt u. a. dazu, dass kaum Daten zur tatsächlichen Prävalenz vorhanden sind (SIDRA 6.2019a, S. 2). Vergewaltigungsopfer leiden oft unter ihrer angeschlagenen Reputation. Zudem untersucht die Polizei Fälle sexueller Gewalt nur zögerlich; manchmal verlangt sie von den Opfern, die Untersuchungen zu ihrem eigenen Fall selbst zu tätigen (USDOS 22.4.2024). Manchmal übergibt die Polizei ohne Zustimmung des Opfers oder der Familie des Opfers einen Vergewaltigungsfall an traditionelle Rechtsinstrumente (UNSC 6.10.2021).

Sexuelle Gewalt - traditionelles Recht (Xeer): Zum größten Teil (95 %) werden Fälle sexueller Gewalt – wenn überhaupt – im traditionellen Rechtsrahmen erledigt (SIDRA 6.2019a, S. 5ff; vgl. Sahan/SWT 13.3.2023; MBZ 6.2023), wo Frauen sich von einem männlichen Verwandten repräsentieren lassen müssen (Sahan/SWT 9.2.2024). Xeer stellt aber die Interessen des Clans und Clanbeziehungen in den Vordergrund (MBZ 6.2023). Dort getroffene Einigungen beinhalten Kompensationszahlungen an die Familie des Opfers (SIDRA 6.2019a, S. 5ff), oder aber das Opfer wird gezwungen, den Täter zu ehelichen (USDOS 22.4.2024). Das patriarchalische Clansystem und Xeer an sich bieten Frauen also keinen Schutz, denn wird ein Vergehen gegen eine Frau gemäß Xeer gesühnt, wird der eigentliche Täter nicht bestraft (SEM 31.5.2017, S. 49; vgl. ÖB Nairobi 10.2024; SIDRA 6.2019a, S. 5ff).

Sexuelle Gewalt - Maßnahmen: Nach Angaben einer Quelle nimmt die Zahl erfolgreicher Strafverfolgung bei Vergewaltigungen und anderer Formen sexueller Gewalt zu. Mädchen und Frauen haben demnach Vertrauen gewonnen und zeigen Fälle an, auch wenn es noch zahlreiche Mängel und Hürden gibt (UNFPA 14.4.2022). Bei der Armee wurden einige Soldaten wegen des Vorwurfs von Vergewaltigung verhaftet (USDOS 22.4.2024). In Baidoa wurde ein Mann, der eine Frau ermordet hatte, zum Tode verurteilt und Anfang Juni 2022 exekutiert (GN 7.6.2022). In zwei Vergewaltigungsfällen von Minderjährigen in Jubaland und Galmudug wurden die Täter (ein Soldat und ein Clanmilizionär) verhaftet (UNSC 1.9.2022b).

Sexuelle Gewalt - Unterstützung: Insgesamt gibt es für Opfer sexueller Gewalt beachtliche Hürden, um notwendige Unterstützung in Anspruch nehmen zu können (USDOS 22.4.2024). Somalische Frauen und Mädchen haben nur äußerst begrenzten Zugang zu Programmen, die sie vor Gewalt schützen (Sahan/SWT 13.3.2023), es gibt kaum rechtliche oder medizinische Unterstützungsangebote (Sahan/SWT 9.2.2024). Laut einer Studie erhielten 17 % der von geschlechtsspezifischer Gewalt betroffenen Frauen und Mädchen Unterstützung (USDOS 22.4.2024). UNFPA treibt die Einrichtung sogenannter One-Stop-Center und Women and Girls' Safe Spaces voran und unterhält diese. Opfer geschlechtsspezifischer Gewalt sollen umfassend betreut werden. Sie können in solchen Einrichtungen in Sicherheit auf medizinische, psychosoziale, rechtliche und andere Hilfe zurückgreifen. UNFPA hat mit ihren Partnern im Jahr 2022 fast 9.000 Opfern geschlechtsspezifischer Gewalt einen Safe Space zur Verfügung gestellt; im gleichen Jahr wurden mehr als 22.000 Opfer betreut (UNFPA 16.6.2023). IDPs, die von geschlechtsspezifischer Gewalt betroffen sind, werden mitunter von UNHCR mit u. a. psychosozialen Diensten und einer Fallbetreuung unterstützt (UNHCR 23.1.2024; vgl. UNHCR 23.6.2024). Hierzu gehören u. a. auch ein sog. Safe House, Verpflegung, Geldaushilfe und medizinische Versorgung (UNHCR 23.6.2024). In Mogadischu gibt es mindestens ein Frauenhaus. Dort werden Opfer von geschlechtsspezifischer Gewalt oder von Zwangsehen aufgenommen - auch Frauen, die vor einer Ehe schwanger geworden sind (Love Does 20.10.2023). Die NGO Elman Peace betreibt unter dem Titel "Sister Somalia" Krisenzentren für Opfer geschlechtsspezifischer Gewalt. Auch dort gibt es psychosoziale, medizinische und Trauma-Betreuung (Elman o.D.c). Die NGO SWSC bietet in Jubaland psychosoziale und rechtliche Unterstützung, die NGO SWDC tut dies in Mogadischu und im Bundesstaat SWS (SW 11.2023). Insgesamt mangelt es allerdings an Schutzeinrichtungen. In Puntland gibt es einige Frauenhäuser, in Süd-/Zentralsomalia hingegen gibt es nur sehr wenige derartige Einrichtungen für Opfer geschlechtsspezifischer Gewalt (UNFPA 14.4.2022). Die im Violence Observatory System erfassten Fälle in Mogadischu, Baidoa und Kismayo zeigen eine geographische Ungleichverteilung: Während in Baidoa 98 % der Fälle nicht an einen Safe Space verwiesen wurden, waren es in Kismayo 71 % und in Mogadischu 66 %. Noch ungleicher gestaltet sich die Antwort auf die Frage, ob Opfer Rechtsschritte ergreifen möchten: 80 % der Opfer in Baidoa schlossen rechtliche Schritte gegen den Täter aus; dahingegen waren es in Kismayo nur 23 % und in Mogadischu nur 8 % (SW 11.2023).

Sexuelle Gewalt - Puntland: Nur in Puntland kriminalisiert ein Gesetz alle Formen sexueller Gewalt (MBZ 6.2023; vgl. UNFPA 14.4.2022), Vergewaltigung ist explizit verboten (Sahan/SWT 9.2.2024). Es gibt eine von UNFPA unterstützte, mobile Rechtshilfe-Klinik, die Frauen und Mädchen aus vulnerablen und marginalisierten Gruppen berät und rechtlich unterstützt (GN 10.11.2022a). Insgesamt wird das o. g. Gesetz aber nicht ausreichend implementiert, manche Gerichte entscheiden weiterhin nach dem alten Strafgesetz (MBZ 6.2023). Zudem überwiegt oft der Druck der Ältesten, wonach ein Opfer den Täter heiraten muss, oder aber Kompensation bezahlt wird (AQ21 11.2023).

Alleinstehende Frauen sind insbesondere dann gefährdet, wenn sie in IDP-Lagern leben. Dort haben sie ein erhöhtes Risiko, sexuelle Gewalt zu erfahren. Für Frauen, die einem Minderheitenclan angehören, ist das Risiko noch höher. Die Hauptquelle für Schutz liegt in der erweiterten Familie der Frau. Wenn eine Frau nicht bei ihrer Großfamilie lebt, verringert sich ihre Sicherheit. Frauen, die einem Mehrheitsclan angehören, können daher mit einem gewissen Schutz rechnen (MBZ 6.2023).

Frauen - al Shabaab: In den von ihr kontrollierten Gebieten gelingt es al Shabaab, Frauen und Mädchen ein gewisses Maß an physischem Schutz hinsichtlich sexueller Gewalt und Entführung zukommen zu lassen (ICG 27.6.2019a, S. 2/6; vgl. SW 3.2023). Die Gruppe interveniert z. B. auch in Fällen häuslicher Gewalt (ICG 27.6.2019a, S. 2/6). Al Shabaab hat Vergewaltiger zum Tode verurteilt (USDOS 22.4.2024). Dies ist auch ein Grund dafür, warum es in den Gebieten von al Shabaab nur vergleichsweise selten zu Vergewaltigungen kommt (ICG 27.6.2019a, S. 6; vgl. DI 6.2019, S. 9).

Andererseits legen Berichte nahe, dass sexualisierte Gewalt von al Shabaab selbst gezielt als Taktik im bewaffneten Konflikt eingesetzt wird (AA 23.8.2024). In den Gebieten unter ihrer Kontrolle zwingt die Gruppe Mädchen und Frauen im Alter von 14 bis 20 Jahren zur Ehe. Diese sowie deren Familien haben generell kaum eine Wahl (USDOS 22.4.2024). Nach anderen Angaben werden die meisten Ehen mit Mitgliedern der al Shabaab freiwillig eingegangen, auch wenn der Einfluss von Eltern und Clan sowie das geringe Alter bei der Eheschließung nicht gering geschätzt werden dürfen. Eine solche Ehe bietet der Ehefrau und ihrer Familie ein gewisses Maß an finanzieller Stabilität, selbst Witwen beziehen eine Rente (ICG 27.6.2019a, S. 8). Demgegenüber stehen Berichte, wonach viele Eltern ihre Töchter in Städte gebracht haben, um sie vor dem Zugriff durch al Shabaab in Sicherheit zu bringen (DI 6.2019, S. 9).

Zur (Zwangs-)Rekrutierung von Frauen und Mädchen durch al Shabaab siehe Wehrdienst / Al Shabaab - (Zwangs-)Rekrutierungen und Kindersoldaten

Laut Eigendarstellung ermöglicht al Shabaab Fortbildungsmöglichkeiten – auch für Frauen. In Jilib gehen demnach Mädchen

zur Schule, und Frauen werden von al Shabaab durchaus ermutigt, einer Arbeit nachzugehen (C4/Jamal 15.6.2022). Nach anderen Angaben schränkt al Shabaab die Freiheit und die Möglichkeiten von Frauen auf dem Gebiet unter ihrer Kontrolle signifikant ein (SW 3.2023; vgl. TEL/Warah 11.3.2019). Die Anwendung einer extremen Form der Scharia resultiert in einer entsprechend weitgehenden Diskriminierung von Frauen (AA 23.8.2024). Diese werden etwa insofern stärker ausgeschlossen, als ihre Beteiligung an ökonomischen Aktivitäten als unislamisch erachtet wird (USDOS 22.4.2024), und Frauen vom Prinzip her nicht arbeiten dürften (AQ21 11.2023). Allerdings hat al Shabaab hier einen pragmatischen Zugang (ICG 27.6.2019a, S. 11). Einschränkungen werden oft nicht streng überwacht, oder aber Frauen müssen eine Sondergebühr dafür bezahlen, wenn sie ein "Business" besitzen (AQ21 11.2023). Da immer mehr Familien vom Einkommen der Frauen abhängig sind, tendiert die Gruppe dazu, sie ihren wirtschaftlichen Aktivitäten nachgehen zu lassen. Und dies, obwohl Frauen nominell das Verlassen des eigenen Hauses nur unter Begleitung eines männlichen Verwandten erlaubt ist (ICG 27.6.2019a, S. 11).

Quellen

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AQ21 - Anonyme Quelle 21 (11.2023): Expertengespräche

BS - Bertelsmann Stiftung (2024): BTI 2024 Country Report - Somalia, https://bti-project.org/fileadmin/api/content/en/downloads/reports/country_report_2024_SOM.pdf, Zugriff 18.3.2024

C4/Jamal - Channel 4 (Herausgeber), Osman Jamal (Autor) (15.6.2022): Inside Al Shabaab: The extremist group trying to seize Somalia (Video), https://www.channel4.com/news/inside-al-shabaab-the-extremist-group-trying-to-seize-somalia, Zugriff 10.10.2023

DI - Development Initiatives (6.2019): Towards an improved understanding of vulnerability and resilience in Somalia, https://reliefweb.int/sites/reliefweb.int/files/resources/Report_Towards-an-improved-understanding-of-vulnerability-and-resilience-in-Somalia.pdf, Zugriff 15.12.2023

Elman - Elman Peace (o.D.c): Sister Somalia, http://elmanpeace.org/our-work/sister-somalia, Zugriff 21.6.2024

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GN - Goobjoog News (7.6.2022): Man who killed woman in Baidoa and dumped body in sewer executed by firing squad, https://goobjoog.com/english/man-who-killed-woman-in-baidoa-and-dumped-body-in-sewer-executed-by-firing-squad/, Zugriff 20.6.2024

Horn - Horn Observer (6.2.2024): Third woman and children rescued amid a rising tide of femicide in Somalia, https://hornobserver.com/articles/2640/Third-woman-and-children-rescued-amid-a-rising-tide-of-femicide-in-Somalia, Zugriff 19.4.2024

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USDOS - United States Department of State [USA] (22.4.2024): 2023 Country Report on Human Rights Practices - Somalia, https://www.state.gov/reports/2023-country-reports-on-human-rights-practices/somalia, Zugriff 23.4.2024

Mädchen / Frauen - Weibliche Genitalverstümmelung und -Beschneidung (FGM/C)

Letzte Änderung 2024-12-03 13:46

Arten bzw. Typen der Beschneidung: Gudniin ist die allgemeine somalische Bezeichnung für Beschneidung – egal ob bei einer Frau oder bei einem Mann (HEART/Crawford/Ali 2 2015, S. 65f). Laut einer in Puntland gemachten Studie gibt es auch noch andere Namen für FGM/C, etwa Dhufaanid (Kastration) oder Tolid (Zunähen) (UNFPA 4.2022). In Somalia herrschen zwei Formen von FGM/C vor:

a) Einerseits die am meisten verbreitete sogenannte Pharaonische Beschneidung (Gudniinka Fircooniga), welche weitgehend dem WHO Typ III (Infibulation) entspricht (UNFPA 4.2022; vgl. LIFOS 16.4.2019, S. 13f; HEART/Crawford/Ali 2 2015, S. 66f) und von der somalischen Bevölkerung unter dem - mittlerweile auch dort geläufigen - Synonym "FGM" verstanden wird (UNFPA 4.2022; vgl. HEART/Crawford/Ali 2 2015, S. 68).

b) Andererseits die Sunna (Gudniinka Sunna) (LIFOS 16.4.2019, S. 13f; vgl. HEART/Crawford/Ali 2 2015, S. 66f), welche laut einer Quelle generell dem weniger drastischen WHO Typ I entspricht (LIFOS 16.4.2019, S. 13f), laut einer anderen Quelle WHO Typ I und II (AV 2017, S. 29), laut einer dritten Quelle WHO Typ IV (MoHDSL/UNFPA 2021) und schließlich laut einer vierten Quelle eine breite Palette an Eingriffen umfasst (HEART/Crawford/Ali 2 2015, S. 41ff/66f). Demnach wird die Sunna nochmals unterteilt in die sog. große Sunna (Sunna Kabir) und die kleine Sunna (Sunna Saghir); es gibt auch Mischformen (LIFOS 16.4.2019, S. 14f; vgl. HEART/Crawford/Ali 2 2015, S. 41ff/66f). De facto kann laut Quellen unter dem Begriff „Sunna“ jede Form – von einem kleinen Schnitt bis hin zur fast vollständigen pharaonischen Beschneidung – gemeint sein, die von der traditionellen Form von FGM (Infibulation) abweicht (FIS 5.10.2018, S. 30; vgl. LIFOS 16.4.2019, S. 39). Aufgrund der Problematik, dass es keine klare Definition der Sunna gibt (LIFOS 16.4.2019, S. 14f; vgl. FIS 5.10.2018, S. 31), wissen Eltern laut einer Quelle oft gar nicht, welchen Eingriff die Beschneiderin genau durchführen wird (LIFOS 16.4.2019, S. 14f). Allgemein wird die Sunna von Eltern und Betroffenen als harmlos erachtet, mit dieser Form werden nur geringfügige gesundheitliche Komplikationen in Zusammenhang gebracht (UNFPA 4.2022).

Bei einer Studie aus Somaliland wird die Sunna hingegen als WHO Typ IV bezeichnet ("... andere verletzende Prozeduren an den weiblichen Genitalien für nicht-medizinische Zwecke, z. B. einstechen, durchstechen, einritzen, ausschaben, verätzen."). Teilnehmer der Studie beschreiben zwei Arten der Sunna: Einerseits jene Form, bei welcher eine eingeschränkte Beschneidung ("Small Cut") sowie ein Vernähen mit ein oder zwei Stichen erfolgt; andererseits eine mildere Form, bei welcher die Klitoris mit einer Nadel eingestochen wird und keine weiteren Misshandlungen erfolgen - insbesondere kein Vernähen (MoHDSL/UNFPA 2021).

Dahingegen beschreiben Crawford und Ali für Somalia folgende Formen von FGM/C (HEART/Crawford/Ali 2 2015, S. 66ff):

Beschreibung der Formen von FGM/C in Somalia nach Crawford Quelle: HEART/Crawford/Ali 2 2015, S. 66ff

Prävalenz [siehe auch Unterkapitel]: FGM ist in Somalia auch weiterhin weit verbreitet (USDOS 22.4.2024; vgl. AA 23.8.2024) und bleibt die Norm (Landinfo 14.9.2022, S. 16). Lange Zeit wurde die Zahl betroffener Frauen mit 98 % angegeben. Diese Zahl ist laut somalischem Gesundheitsministerium bis 2015 auf 95 % und bis 2018 auf 90 % gefallen (FIS 5.10.2018, S. 29). UN News berichtet von "mehr als 90 %" (UNN 4.2.2022). Gemäß einer Studie aus dem Jahr 2017 sind rund 13 % der 15-17-jährigen Mädchen nicht beschnitten (STC 9.2017). In der Altersgruppe von 15-49 Jahren liegt die Prävalenz hingegen bei 98 %, jene der Infibulation bei 77 %, wie eine andere Studie besagt (BMC/Yussuf/et al. 2020, S. 1f). Laut einer anderen Quelle sind 88 % der 5-9-jährigen Mädchen bereits beschnitten oder verstümmelt (CARE 4.2.2022). Insgesamt gibt es diesbezüglich nur wenige aktuelle Daten. Generell ist von einer Rückläufigkeit auszugehen (LIFOS 16.4.2019, S. 19f; vgl. STC 9.2017).

Form von FGM nach ausgewählten Bezirken und Altersgruppen Quelle:(STC 9.2017)

Trend weg von der Infibulation und hin zu Sunna [siehe auch Unterkapitel]: Die Infibulation ist insgesamt zurückgedrängt worden, dies wird von zahlreichen Quellen bestätigt (Omer2/ALRC 17.3.2023; vgl. HEART/Crawford/Ali 2 2015; FGMCRI o.D.; Landinfo 14.9.2022; LIFOS 16.4.2019, S. 14f/39; DIS 1.2016, S. 7; FIS 5.10.2018, S. 30f; PC/Powell/Yussuf 1.2018, S. 22ff; BMC/Yussuf/et al. 2020, S. 1f). Der Trend geht in Richtung Sunna (UNFPA 4.2022):

Entwicklung der unterschiedlichen Formen von FGM nach Altersgruppe Quelle: DNS/Gov Som 2020, S. 220

Sowohl der finanzielle wie auch der Bildungshintergrund spielen bei der Entscheidung hinsichtlich der Form des Eingriffs eine Rolle:

Grafik hinsichtlich finanziellem und Bildungshintergrund nach Form der vorgenommenen FGM Quelle: DNS/Gov Som 2020, S. 214

Hinsichtlich geografischer Verbreitung scheint die Infibulation 2006 in Süd-/Zentralsomalia mit 72 % am wenigsten verbreitet gewesen zu sein; in Puntland war sie mit 93 % am verbreitetsten (LIFOS 16.4.2019, S. 21). Es wird davon ausgegangen, dass die Rate an Infibulationen in ländlichen Gebieten höher ist als in der Stadt (HEART/Crawford/Ali 2 2015, S. 69). Viele Menschen – v. a. in städtischen Gebieten – erachten die extremeren Formen von FGM zunehmend als inakzeptabel, halten aber an Typ I fest (UNICEF 29.6.2021; vgl. UNFPA 4.2022), der gesellschaftlich auf Akzeptanz trifft (Landinfo 14.9.2022). So werden in Mogadischu junge Mädchen nicht mehr der Infibulation, sondern hauptsächlich der Sunna ausgesetzt (HEART/Crawford/Ali 2 2015, S. 70).

Eine Rolle spielen hierbei religiöse Überlegungen. Bei einer Studie in Somaliland haben religiöse Führer angegeben, dass alle Rechtsschulen des Islam die Infibulation bzw. die pharaonische Beschneidung verbieten. Demgegenüber ist die Sunna gemäß der in Somalia am meisten verbreiteten Shafi'i-Schule obligatorisch, während z. B. die Hanafiya eine Beschneidung zwar zulässt, diese aber nicht fordert (MoHDSL/UNFPA 2021).

Gesellschaft [siehe auch Unterkapitel]: Außerdem sprachen sich in einer Umfrage aus dem Jahr 2017 42,6 % gegen die Tradition von FGM aus (AV 2017, S. 19). Allerdings gaben nur 15,7 % an, dass in ihrer Gemeinde („Community“) FGM nicht durchgeführt wird (AV 2017, S. 25). Bei einer Studie im Jahr 2015 wendete sich die Mehrheit der Befragten gegen die Fortführung der Infibulation, während es kaum Unterstützung für eine völlige Abschaffung von FGM gab (CEDOCA 9.6.2016, S. 7). Die Unterstützung für FGM/C ist jedenfalls gesunken (BMC/Yussuf/et al. 2020, S. 2). Zum Beispiel wurden in Cadaado (Mudug) im November 2020 nur noch 28 von 278 Eingriffen als Infibulation ausgeführt, im Dezember waren es 22 von 222. Dahingegen sind es Anfang 2019 noch über 200 Infibulationen pro Monat gewesen. Auch hier hat sich die Sunna durchgesetzt (RE 15.2.2021). Bei der Bewertung dieses Trends muss aber berücksichtigt werden, dass in manchen Fällen davon auszugehen ist, dass einfach nur nicht so weit zugenäht wird wie früher; der restliche Eingriff aber de facto einer Infibulation entspricht - und trotzdem von den Betroffenen als Sunna bezeichnet wird (HEART/Crawford/Ali 2 2015, S. 70).

Wer eine Beschneidung veranlasst bzw. entscheidet: Nach Angaben mehrerer Quellen liegt üblicherweise die Entscheidung darüber, ob eine Beschneidung stattfinden soll, bei der Mutter (FIS 5.10.2018, S. 30; vgl. CEDOCA 9.6.2016, S. 17f; Landinfo 14.9.2022, S. 11; HEART/Crawford/Ali 2 2015, S. 85; MoHDSL/UNFPA 2021). Der Vater hingegen wird wenig eingebunden (Landinfo 14.9.2022, S. 11; vgl. HEART/Crawford/Ali 2 2015, S. 85) bzw. wird die Entscheidung "manchmal" gemeinsam getroffen (MoHDSL/UNFPA 2021). Laut einer Quelle geht es bei dieser Entscheidung aber weniger um das "ob" als vielmehr um das "wie und wann" (Landinfo 14.9.2022, S. 11). Eine Studie aus dem Jahr 2022 in Puntland bestätigt, dass Mütter die Entscheidung hinsichtlich von FGM und Väter jene hinsichtlich der Beschneidung der Söhne treffen. Tendenziell können Väter neuerdings mehr Mitsprache halten. Insgesamt ist es aber die Mutter, die für die Jungfräulichkeit, Reinheit und Ehefähigkeit ihrer Töchter verantwortlich ist (UNFPA 4.2022).

Es kann zu – teils sehr starkem – psychischem Druck auf eine Mutter kommen, damit eine Tochter beschnitten wird. Um eine Verstümmelung zu vermeiden, kommt es auf die Standhaftigkeit der Mutter an. Spricht sich auch der Kindesvater gegen eine Verstümmelung aus, und bleibt dieser standhaft, dann ist es leichter, dem psychischen Druck seitens der Gesellschaft und gegebenenfalls durch die Familie standzuhalten (DIS 1.2016, S. 8ff). Manchmal wird der Vater von der Mutter bei der Entscheidung übergangen (UNFPA 4.2022; vgl. LIFOS 16.4.2019, S. 25f/42f) oder aber eine vermeintlich gemeinsame Entscheidung für eine mildere Sunna wird nachträglich von der Mutter - ohne Wissen des Vaters - zu einer Infibulation "korrigiert" (MoHDSL/UNFPA 2021). Nach anderen Angaben liegt es an den Eltern, darüber zu entscheiden, welche Form von FGM an der Tochter vorgenommen wird. Manchmal halten Großmütter oder andere weibliche Verwandte Mitsprache. In ländlichen Gebieten können Großmütter eher Einfluss ausüben (LIFOS 16.4.2019, S. 25f/42f; vgl. FIS 5.10.2018, S. 30). Dort ist es mitunter auch schwieriger, FGM infrage zu stellen (FIS 5.10.2018, S. 30f). Gemäß Angaben anderer Quellen sind Großmütter oft maßgeblich in die Entscheidung involviert (Landinfo 14.9.2022, S. 11; vgl. MoHDSL/UNFPA 2021; HEART/Crawford/Ali 2 2015, S. 85) bzw. üben sie signifikanten Einfluss aus (UNFPA 8.10.2023). Laut anderen Angaben kann es vorkommen, dass eine Mutter bei weiblichen Verwandten Ratschläge einholt (UNFPA 4.2022). In einer somaliländischen Studie wird angegeben, dass Mütter die Schlüsselrolle spielen, an zweiter Stelle stehen die Großmütter. Manchmal fordern Mädchen auch selbst eine Beschneidung ein (MoHDSL/UNFPA 2021).

Dass Mädchen ohne Einwilligung der Mutter von Verwandten einer FGM unterzogen werden, ist zwar nicht auszuschließen, aber unwahrscheinlich. Keine Quelle des Danish Immigration Service konnte einen derartigen Fall berichten (DIS 1.2016, S. 10ff). Quellen der schwedischen COI-Einheit Lifos nennen als diesbezüglich annehmbare Ausnahme (theoretisch) den Fall, dass ein bei den Großeltern lebendes Kind von der Großmutter FGM zugeführt wird, ohne dass es dazu eine Einwilligung der Eltern gibt (LIFOS 16.4.2019, S. 26).

Motivation: Der Hauptantrieb, weswegen Mädchen weiterhin einer FGM/C unterzogen werden, ist der Druck, sozialen Erwartungen und Normen gerecht zu werden (MoHDSL/UNFPA 2021; vgl. HEART/Crawford/Ali 2 2015, S. 82). FGM gilt als Tradition, die von Generation zu Generation weitergegeben wird. Die somalische Kultur gelten die "drei weiblichen Schmerzen" als integraler Bestandteil des Frauseins: Die Beschneidung, die Hochzeitsnacht und das Gebären. Nicht zuletzt glauben viele Frauen, dass die Beschneidung im Islam verpflichtend vorgesehen ist (MoHDSL/UNFPA 2021).

Frauen fürchten sich vor einem gesellschaftlichen Ausschluss und vor Diskriminierung - ihrer selbst und ihrer Töchter. Eine Beschneidung bringt hingegen soziale Vorteile und sichert der Familie und dem Mädchen die Integration in die Gesellschaft (UNFPA 4.2022; vgl. MoHDSL/UNFPA 2021). So gibt es etwa Berichte über erwachsene Frauen, die sich einer Infibulation unterzogen haben, da sie sich durch (sozialen) Druck dazu gezwungen sahen (HEART/Crawford/Ali 2 2015, S. 73). Es herrscht die Angst vor Stigmatisierung und Diskriminierung (MoHDSL/UNFPA 2021). Mitunter üben nicht-beschnittene Mädchen aufgrund des gesellschaftlichen Drucks selbst Druck auf Eltern aus, damit die Verstümmelung vollzogen wird (UNFPA 4.2022; vgl. MoHDSL/UNFPA 2021; HEART/Crawford/Ali 2 2015, S. 83; LIFOS 16.4.2019, S. 42f/26; ACCORD 31.5.2021, S. 41).

Die Beschneidung wird als Ehre für ein Mädchen erachtet, als Investition in die Zukunft. Das Mädchen wird dadurch von der Gesellschaft akzeptiert, gilt als züchtig und verheiratbar und gewährleistet voreheliche Jungfräulichkeit (MoHDSL/UNFPA 2021; vgl. LIFOS 16.4.2019, S. 38f; Landinfo 14.9.2022, S. 11). Außerdem gilt eine Infibulation als ästhetisch (Landinfo 14.9.2022, S. 10; vgl. UNFPA 4.2022).

Durchführung: Die Mehrheit der Beschneidungen wird von traditionellen Beschneiderinnen (Guddo) vorgenommen (MoHDSL/UNFPA 2021). Mädchen werden zunehmend von medizinischen Fachkräften beschnitten (UNFPA 4.2022; vgl. MoHDSL/UNFPA 2021; FGMCRI o.D.). Bei einer Studie in Somaliland gaben nur 5 % der Mütter an, selbst von einer Fachkraft beschnitten worden zu sein; bei den Töchtern waren es hingegen schon 33 % (Landinfo 14.9.2022, S. 11). Diese "Medizinisierung" von FGM/C ist v. a. im städtischen Bereich und bei der Diaspora angestiegen (UNICEF 29.6.2021; vgl. MoHDSL/UNFPA 2021) und in erster Linie dann, wenn die Eltern nur eine Sunna durchführen lassen wollen (MoHDSL/UNFPA 2021). FGM/C erfolgt also zunehmend im medizinischen Bereich – in Spitälern, Kliniken oder auch bei Hausbesuchen. In Mogadischu gibt es sogar Straßenwerbung für "FGM Clinics". Insgesamt sind die Ausführenden aber immer noch oft traditionelle Geburtshelferinnen, Hebammen und Beschneiderinnen (HEART/Crawford/Ali 2 2015, S. 73f).

Der Eingriff wird an Einzelnen oder auch an Gruppen von Mädchen vorgenommen. In ländlichen Gebieten Puntlands und Somalilands üblicherweise in Gruppen. Auch in Mogadischu ist das die übliche Praxis. Oft gibt es danach für die Mädchen eine Feier (HEART/Crawford/Ali 2 2015, S. 73f). Auch eine somaliländische Quelle berichtet, dass die Beschneidung mit einer Feier in der Nachbarschaft verbunden ist (MoHDSL/UNFPA 2021). Eine traditionelle Beschneiderin verlangt üblicherweise 20 US-Dollar für einen Eingriff, bei finanzschwachen Familien kann dieser Preis auf 5 US-Dollar reduziert werden (UNFPA 4.2022).

Alter bei der Beschneidung: Diesbezüglich gibt es unterschiedliche Angaben. Die meisten Quellen der schwedischen COI-Einheit Lifos sowie UNFPA nennen ein Alter von 5-10 bzw. 5-9 Jahren (LIFOS 16.4.2019, S. 20/39; vgl. UNFPA 8.10.2023). Eine größere Studie aus dem Jahr 2020 nennt für Somalia folgende Zahlen: 71 % der Frauen im Alter von 15-49 Jahren ist im Alter von 5-9 Jahren beschnitten worden, 28 % im Alter von 10-14 Jahren und jeweils unter 1 % unter 5 und über 15 Jahren (DNS/Gov Som 2020). UNICEF wiederum nennt ein Alter von 4-14 Jahren als üblich; die NGO IIDA gibt an, dass die Beschneidung üblicherweise vor dem achten Geburtstag erfolgt (CEDOCA 9.6.2016, S. 6). Eine Studie aus dem Jahr 2017 nennt für ganz Somalia die Gruppe der 10-14-Jährigen (STC 9.2017), dieses Alter erwähnt auch eine NGO (FGMCRI o.D.). Eine andere Quelle nennt ein Alter von 10-13 Jahren (AA 23.8.2024). Gemäß einer Quelle werden Mädchen, welche die Pubertät erreicht haben, nicht mehr einer FGM unterzogen, da dies gesundheitlich zu riskant ist. Hat ein Mädchen die Pubertät erreicht, fällt demnach auch der Druck durch die Verwandtschaft weg (DIS 1.2016, S. 11). Laut einer Quelle sind aus der Diaspora zum Zwecke von FGM nach Somalia geschickte Mädchen meist älter als allgemein üblich (Landinfo 14.9.2022).

In Puntland und Somaliland erfolgt die Beschneidung laut einer Studie aus dem Jahr 2011 meist im Alter von 10-14 Jahren (LIFOS 16.4.2019, S. 20). Eine Studie aus dem Jahr 2022 hingegen besagt für Puntland, dass Mädchen bis zum 13. Geburtstag der Praktik unterzogen sein müssen, wenn die Mutter Hänseleien entgehen will (UNFPA 4.2022). In einer Studie aus dem Jahr 2020 werden für Somaliland folgende Zahlen genannt: 57 % der Mädchen wurden im Alter von 5-9 Jahren beschnitten, 41 % zwischen 10 und 14 Jahren, 1 % noch danach (MoPNDSL 2021).

Eine Quelle erklärt, dass das Beschneidungsalter immer weiter sinkt (CARE 4.2.2022). Auch in der Studie aus dem Jahr 2020 ist dieser Trend zu erkennen [siehe Grafik unten]. Unter den 40-49-jährigen Frauen wurden 67 % im Alter von 5-9 Jahren beschnitten, bei der Gruppe der 15-19-jährigen sind es hingegen 73 % (DNS/Gov Som 2020). Auch in Somaliland ist das Alter im Zuge des Wechsels hin zur Sunna laut Angaben einer Quelle auf 5-8 Jahre gesunken (PC/Powell/Yussuf 1.2018, S. 22). In den Zahlen einer Studie aus dem Jahr 2020 ist ein derartiger Trend hingegen nicht ablesbar (MoPNDSL 2021).

Eine Grafik über Beschneidungstypen nach Altersgruppen Quelle: DNS/Gov Som 2020

Bei den Benadiri und arabischen Gemeinden in Somalia, wo grundsätzlich die Sunna praktiziert wird, scheint die Beschneidung bei der Geburt stattzufinden, möglicherweise auch nur als symbolischer Schnitt (DIS 1.2016, S. 6).

Abolition: In der Diaspora nimmt die Praktik ab. Der Druck sinkt mit der Distanz zur Heimat und zur Familie (Landinfo 14.9.2022, S. 17). In manchen Gemeinden und Gemeinschaften z. B. in Borama, Garoowe oder Mogadischu, wo Aufklärung bezüglich FGM stattgefunden hat, stellen sich die Haushalte gemeinschaftlich gegen jegliche Art von FGM (ÖB Nairobi 10.2024; vgl. HEART/Crawford/Ali 2 2015, S. 65). Von jenen, die nicht von Aufklärungskampagnen betroffen waren, gab es nur eine kleine Minderheit aus gut gebildeten Menschen und Personen der Diaspora, die sich von allen Formen von FGM verabschiedet hat (HEART/Crawford/Ali 2 2015, S. 65; vgl. Landinfo 14.9.2022). Eine Expertin erklärt, dass hinsichtlich FGM kein Zwang herrscht, dass allerdings eine Art Gruppendruck besteht (ACCORD 31.5.2021, S. 41). So kann es auch vorkommen, dass in der Diaspora lebende Mädchen „nach Hause“ oder in bestimmte europäische Städte geflogen werden, wo FGM vollzogen wird (GN 3.11.2022). Andererseits nimmt der Druck in der jüngeren Generation ab, manche junge Menschen sehen keinen Grund für die Stigmatisierung und Diskriminierung von Unbeschnittenen (MoHDSL/UNFPA 2021).

Eine andere Quelle erklärt, dass der Verzicht auf jegliche Form von FGM in Somalia eine radikale Entscheidung darstellt, die gegen grundlegende Normen verstößt. Damit sich Eltern aus eigener Initiative gegen eine Beschneidung ihrer Tochter wehren können, müssen sie über Kenntnisse und Einwände gegen die Praxis sowie über genügend Robustheit und Ressourcen verfügen, um die Einwände für Familie, Netzwerke und lokale Gemeinschaften zu fördern (Landinfo 14.9.2022). Jedenfalls gibt es trotz aller Widrigkeiten sowohl in urbanen als auch in ländlichen Gebieten Eltern, die ihre Töchter nicht verstümmeln lassen (DIS 1.2016, S. 9) und auch Frauen, die sich offen dazu bekennen. So berichtet etwa eine Studienteilnehmerin, dass sie als Kind sehr an ihrer Verstümmelung gelitten hat. Deswegen hat sie ihre Töchter nicht beschneiden lassen und drängt auch andere Eltern zu diesem Schritt. Einige wenige Teilnehmerinnen an der besagten Studie haben offen erklärt, ihre Töchter nicht anrühren zu wollen (MoHDSL/UNFPA 2021). Manche Mütter in Gemeinden, wo Aufklärung hinsichtlich der negativen Folgen einer Genitalverstümmelung stattgefunden hat, bekennen sich offen dazu, dass an ihren Töchtern eine solche nicht vorgenommen worden ist (ÖB Nairobi 10.2024).

Mehrere Studien zeigen, dass 2-4 von 100 Frauen nicht beschnitten sind (MoHDSL/UNFPA 2021; vgl. DNS/Gov Som 2020). Beschneiderinnen berichten von einem geringeren Einkommen, weil Eltern ihre Dienste nicht mehr in Anspruch nehmen (MoHDSL/UNFPA 2021).

Leben ohne Beschneidung: Laut Quellen der finnischen FFM im Jahr 2018 ist es gerade in Städten kein Problem mehr, sich einer Beschneidung zu widersetzen. Demnach steigt dort die Zahl unbeschnittener Mädchen (FIS 5.10.2018, S. 31). Nach anderen Angaben hängt die Akzeptanz unbeschnittener Frauen bzw. jener, die nicht einer Infibulation unterzogen wurden, maßgeblich von der Familie ab. Generell steht man ihnen in urbanen Gebieten eher offen gegenüber (LIFOS 16.4.2019, S. 23). Eine weitere Quelle erklärt, dass es in der Stadt kein Problem ist, zuzugeben, dass die eigene Tochter nicht beschnitten ist. Auf dem Land ist das demnach anders (CEDOCA 9.6.2016, S. 21). Nach älteren Angaben "bekennen" nur wenige Mütter, dass sie ihre Töchter nicht beschneiden haben lassen; und diese stammen v. a. aus Gemeinden, die zuvor Aufklärungskampagnen durchlaufen hatten (HEART/Crawford/Ali 2 2015, S. 65).

Die in der Gemeinde zirkulierte Information, wonach eine Frau nicht infibuliert ist, wirkt sich auf das Ansehen und letztendlich auf die Heiratsmöglichkeiten der Frau und anderer Töchter der Familie aus (LIFOS 16.4.2019, S. 38f; vgl. Landinfo 14.9.2022, S. 11). Wird der unbeschnittene Status eines Mädchens bekannt, kann dies zu Hänseleien und zur Stigmatisierung führen (LIFOS 16.4.2019, S. 39). Kulturell gilt die Klitoris als "schmutzig" (Landinfo 14.9.2022, S. 10; UNFPA 4.2022). Folglich werden unbeschnittene Frauen mitunter als schmutzig oder un-somalisch (Landinfo 14.9.2022, S. 16), als abnormal und schamlos (HEART/Crawford/Ali 2 2015, S. 82f) oder aber als un-islamisch bezeichnet. Sie werden u. a. in der Schule gehänselt und drangsaliert, sie und ihre Familie als Schande für die Gemeinschaft erachtet. Ein diesbezügliches Schimpfwort ist hier Buurya Qab (UNFPA 4.2022), ein Weiteres leitet sich vom Wort für Klitoris (Kintir) ab: Kinitrey. Allerdings gaben bei einer Studie in Somaliland nur 14 von 212 Frauen an, überhaupt eine (völlig) unbeschnittene Frau zu kennen (Landinfo 14.9.2022, S. 16). Die Sunna als Alternative zur Infibulation wird laut einer rezenten Studie aus Puntland jedoch akzeptiert (UNFPA 4.2022).

Eine andere Option ist es, dass eine Familie, die sich gegen FGM entschieden hat, versucht, die Tatsache geheim zu halten (FIS 5.10.2018, S. 30f). In größeren Städten ist es auch möglich, den unbeschnittenen Status ganz zu verbergen. Die Anonymität ist eher gegeben, die soziale Interaktion geringer; dies ist in Dörfern mitunter sehr schwierig (DIS 1.2016, S. 24/9; vgl. LIFOS 16.4.2019, S. 39). Es kommt zu keinen körperlichen Untersuchungen, um den Status hinsichtlich einer vollzogenen Verstümmelung bei einem Mädchen festzustellen (DIS 1.2016, S. 12f; vgl. ACCORD 31.5.2021, S. 41). Dies gilt auch für Rückkehrer aus dem Westen. In ländlichen Gebieten wird wahrscheinlich schneller herausgefunden, dass ein Mädchen nicht verstümmelt ist (DIS 1.2016, S. 12f). Menschen sprechen miteinander, sie könnten ein betroffenes Mädchen z. B. fragen, wo es denn beschnitten worden sei (ACCORD 31.5.2021, S. 41).

Nach anderen Angaben ist es nicht unüblich, dass eine Gemeinschaft darüber Bescheid weiß, welche Mädchen beschnitten sind und welche nicht. Grund dafür ist, dass gleichaltrige Mädchen einer Nachbarschaft oder eines Ortes oft gleichzeitig beschnitten werden (Landinfo 14.9.2022, S. 16). Gleichzeitig ist FGM auch unter den Mädchen selbst ein Thema. Es sprechen also nicht nur Mütter untereinander darüber, ob ihre Töchter bereits beschnitten wurden; auch Mädchen reden untereinander darüber (HEART/Crawford/Ali 2 2015, S. 83).

Eine Mutter kann den Status ihrer Tochter verschleiern, indem sie vorgibt, dass diese einer Sunna unterzogen worden ist (DIS 1.2016, S. 12f). Eine Mutter berichtet in einer somaliländischen Studie, dass sie von den eigenen Töchtern zu einer Beschneidung gedrängt worden ist. Sie hat diese in eine medizinische Einrichtung gebracht, wo u. a. unter Verwendung von Fake-Anästhetika und Kunstblut ein Eingriff vorgegaukelt worden ist. Seither gelten die Töchter als beschnitten (MoHDSL/UNFPA 2021).

Quellen

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CARE - CARE International (4.2.2022): Somalia - Betroffene von Genitalverstümmelung werden immer jünger, https://care.at/presse/somalia-betroffene-von-genitalverstummelung-werden-immer-junger/, Zugriff 25.6.2024

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PC/Powell/Yussuf - Richard A. Powell (Autor), Mohamed Yussuf (Autor), Population Council (Herausgeber) (1.2018): Changes in FGM/C in Somaliland: Medical narrative driving shift in types of cutting. Evidence to End FGM/C: Research to Help Women Thrive, https://www.popcouncil.org/uploads/pdfs/2018RH_FGMC-Somaliland.pdf, Zugriff 25.6.2024

RE - Radio Ergo (15.2.2021): Fewer Somali girls in Adado being subjected to full cut, https://radioergo.org/en/2021/02/15/fewer-somali-girls-in-adado-being-subjected-to-the-full-cut/, Zugriff 26.6.2024

STC - Save the Children (9.2017): Changing Social Norms in Somalia: Exploring the Role of Community Perception in FGM/C, Fact Sheet No. 6, https://somalia.savethechildren.net/sites/somalia.savethechildren.net/files/library/FS06_FGM_SNaP.pdf, Zugriff 26.6.2024

UNFPA - United Nations Population Fund (8.10.2023): Landmark innovation bootcamp empowers girls to fight FGM in Somalia, https://arabstates.unfpa.org/en/news/landmark-innovation-bootcamp-empowers-girls-fight-fgm-somalia, Zugriff 14.3.2024

UNFPA - United Nations Population Fund (4.2022): Community Knowledge, Attitudes and Practices on FGM Puntland, https://somalia.unfpa.org/sites/default/files/pub-pdf/community_knowledge_attitudes_and_practices_on_fgm_puntland.pdf, Zugriff 26.6.2024

UNICEF - United Nations International Children’s Emergency Fund (29.6.2021): Ending child marriage and female genital mutilation in Eastern and Southern Africa: Case studies of promising practices from across the region, https://reliefweb.int/sites/reliefweb.int/files/resources/Ending-Child-Marriage-FGM-Case-Studies-ESA-2021 (1).pdf, Zugriff 26.6.2024

UNN - UN News (4.2.2022): Daughters of Somalia, a continuous pledge to end female genital mutilation, https://news.un.org/en/story/2022/02/1111242, Zugriff 26.6.2024

USDOS - United States Department of State [USA] (22.4.2024): 2023 Country Report on Human Rights Practices - Somalia, https://www.state.gov/reports/2023-country-reports-on-human-rights-practices/somalia, Zugriff 23.4.2024

Süd-/Zentralsomalia, Puntland

Letzte Änderung 2024-12-03 14:05

Rechtliche Lage: In der Übergangsverfassung steht, dass eine Beschneidung von Mädchen eine grausame und erniedrigende Praktik ist, die der Folter gleichkommt und daher verboten ist (HRW 29.3.2024; vgl. USDOS 22.4.2024; AA 23.8.2024). Allerdings mangelt es an einer Definition von "Beschneidung" und es ist unklar, ob damit FGM gemeint ist (HRW 29.3.2024). Zudem wird kein Strafmaß genannt. Das Strafgesetz aus dem Jahr 1964 sieht zwar Strafen für die Verletzung einer Person vor, es sind aber keine Fälle bekannt, wo FGM/C dahingehend einer Strafverfolgung zugeführt worden wäre – selbst dann, wenn ein Mädchen an den Folgen der Verstümmelung verstorben ist (LIFOS 16.4.2019, S. 28f). Laut einer Quelle wurden im März 2024 im Bundesstaat Galmudug alle Formen von FGM verboten (Halqabsi 24.3.2024).

Insgesamt gibt es jedenfalls keine nationale Gesetzgebung, welche FGM ausdrücklich verbietet oder kriminalisiert (Landinfo 14.9.2022; vgl. TEA 17.12.2022; UNFPA 5.3.2021). Gesetzesvorschläge scheiterten wiederholt an der fehlenden Zustimmung des Parlaments (AA 23.8.2024). Denn es gibt zwei unterschiedliche Agenden: Die eine will jegliche Form von FGM/C ausrotten. Die andere richtet sich gegen die schweren Formen und ist für die Erhaltung der Sunna (PC/Powell/Yussuf 1.2018, S. 24).

Es gibt keine Strafverfolgung (MBZ 6.2023). Generell mangelt es den Behörden landesweit an Integrität und Kapazität, um eine für die Beschneidung eines Mädchens verantwortliche Person rechtlich zu verfolgen. Es gibt folglich auch keine Beispiele dafür, wo eine solche Person bestraft worden wäre (LIFOS 16.4.2019, S. 42).

Rechtliche Lage - Puntland: In Puntland hingegen wurde im Juni 2021 die sogenannte FGM Zero Tolerance Bill vom Präsidenten unterzeichnet und vom Ministerkabinett verabschiedet. Damit sind alle Formen von FGM verboten worden. Nicht nur Beschneiderinnen, sondern auch an einer FGM beteiligtes medizinisches Personal, Eltern und Helfershelfer werden mit dem Gesetz kriminalisiert (UNFPA 6.10.2021). Schon 2013 hatten religiöse Führer und Akademiker eine Fatwa veröffentlicht, wonach jede Form von FGM verboten ist (UNFPA 4.2022; vgl. LIFOS 16.4.2019, S. 29). Das neue Gesetz hatte bislang allerdings wenig praktische Änderungen zur Folge (AA 23.8.2024).

Al Shabaab hatte ursprünglich jede Form von FGM verboten. Mittlerweile gilt das Verbot für die Infibulation, während die Sunna akzeptiert wird (LIFOS 16.4.2019, S. 22/41f). Generell ist al Shabaab nicht willens, dieses Verbot auf dem von ihr kontrollierten Gebiet auch durchzusetzen. Die Gruppe unterstützt die Tradition nicht, geht aber auch nicht aktiv dagegen vor (DIS 1.2016, S. 8). So zeigt das Verbot auf dem Gebiet von al Shabaab kaum einen Effekt (Landinfo 14.9.2022, S.15).

Gesellschaft: Bei einer Studie aus dem Jahr 2020 gaben 76 % der Befragten an, dass es weiterhin Beschneidungen geben sollte. Allerdings wurde bei dieser Studie nicht nach spezifischen Typen gefragt. Im urbanen Raum sprechen sich 70 % der Frauen für eine Fortführung aus, bei den Nomaden sind es 83 %. Auch der finanzielle und der Bildungsstatus spielen eine Rolle: Nur 64 % der reicheren Frauen gaben an, dass FGM fortgeführt werden sollte, bei den Ärmsten waren es 81 %; bei jenen mit der meisten Bildung 44 %, bei jenen ohne Bildung 78 % (DNS/Gov Som 2020).

Prävalenz: Bei einer umfassenden Studie aus dem Jahr 2020 haben 99 % der befragten somalischen Frauen angegeben, einer Form von FGM/C unterzogen worden zu sein. Die Quote in den unterschiedlichen Altersgruppen sinkt nur langsam: Bei den 45-49-Jährigen liegt die Beschnittenenquote bei fast 99,8 %, bei den 15-19-Jährigen bei 98,8 % (DNS/Gov Som 2020).

Typen: Insgesamt haben 64 % der Frauen eine Infibulation erlitten, 12 % eine Zwischenform und 22 % wurden der Sunna unterzogen. Hier gibt es keine relevanten Unterschiede hinsichtlich des Lebensraumes (urban, ländlich, nomadisch). Bei jüngeren Frauen und Mädchen ist die Sunna verbreiteter. Bei der Gruppe der 15-19-Jährigen sind es 37 %, bei den 45-49-jährigen Frauen hingegen nur 9 %. Dafür erlitten in der Alterskohorte 45-49 82 % eine Infibulation. Frauen mit höherer Bildung haben eher eine Sunna (52 %), jene mit niedriger oder keiner Bildung eher eine Infibulation (70 %). Eine ähnliche Situation gilt für reich (51 % Infibulation) vs. arm (71 %) (DNS/Gov Som 2020).

Gleichzeitig gibt es in Süd-/Zentralsomalia auch Bevölkerungsgruppen oder Gemeinschaften, wo generell keine Infibulation durchgeführt wird. Dies betrifft etwa einige ländliche Gemeinden der Rahanweyn sowie einige Bantugruppen an der äthiopischen Grenze, aber auch die städtischen Gemeinschaften der Reer Xamar und Reer Baraawe. Dort gibt es zwar die Sunna, nicht aber die Infibulation. Jedenfalls sind solche Gruppen die Ausnahme und nicht die Regel (HEART/Crawford/Ali 2 2015, S. 71f).

Prävalenz und Typen - Puntland: Bereits im Jahr 2011 erhobene Zahlen für Puntland zeigten eine rückläufige FGM-Rate. In der Altersgruppe 45-49 waren 2011 97,8 % der Frauen von irgendeiner Form von FGM betroffen, in jener von 15-19 Jahren waren es 97,3 %, in der Gruppe 10-14 waren es 82,3 % (CEDOCA 9.6.2016, S. 15). Die Infibulationsrate ist von 93,2 % im Jahr 2005 auf 86,7 % im Jahr 2011 zurückgegangen (CEDOCA 9.6.2016, S. 10; vgl. LIFOS 16.4.2019, S. 14). Dementgegen gaben bei einer puntländischen Studie im Jahr 2018 nur 65 % der befragten Frauen an, selbst beschnitten zu sein; nur ein Drittel gab an, dass die eigene Tochter beschnitten sei (LIFOS 16.4.2019, S. 20).

Maßnahmen: Internationale und lokale NGOs führen Sensibilisierungsprogramme durch (UNFPA 4.2022). Mit durch internationale Organisationen finanzierten Kampagnen wird landesweit gegen FGM angekämpft, auch einige Ministerien sind aktiv. UNFPA gibt an, dass 890 somalische Gemeinden zwischen 2014 und 2017 die Durchführung von FGM aufgegeben haben (LIFOS 16.4.2019, S. 31). UNFPA führt die Kampagne Dear Daughter, mit welcher Eltern – und v. a. Mütter – hinsichtlich der Folgen von FGM sensibilisiert werden. Während das Thema früher als Tabu erachtet wurde, sprechen Politiker und Persönlichkeiten sich heute öffentlich gegen FGM aus (TEA 17.12.2022).

Quellen

AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (23.8.2024): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Bundesrepublik Somalia, https://milo.bamf.de/otcs/cs.exe/app/nodes/30275841, Zugriff 4.9.2024 [Login erforderlich]

CEDOCA - Center for Documentation and Research of the Office of the Commissioner General for Refugees and Stateless Persons [Belgien] (9.6.2016): Somalië - Vrouwelijke genitale verminking (VGV) in Somaliland en Puntland; Dokument liegt bei der Staatendokumentation auf.

DIS - Danish Immigration Service [Denmark] (1.2016): South Central Somalia - Female Genital Mutilation/Cutting, https://www.ecoi.net/en/file/local/1061775/1226_1455786226_fgmnotat2016.pdf, Zugriff 25.6.2024

DNS/Gov Som - Directorate of National Statistics [Somalia] (Autor), Federal Government of Somalia [Somalia] (Herausgeber) (2020): The Somali Health and Demographic Survey 2020, https://somalia.unfpa.org/sites/default/files/pub-pdf/FINAL SHDS Report 2020_V7_0.pdf, Zugriff 26.6.2024

Halqabsi - Halqabsi News (24.3.2024): UNSOM Welcomes Galmudug’s Ban on FGM, https://halqabsi.com/2024/03/unsom-welcomes-galmudugs-ban-on-fgm, Zugriff 17.10.2024

HEART/Crawford/Ali 2 - Health and Education Advice and Resource Team (Herausgeber), Sheena Crawford (Autor), Sagal Ali (Autor) (2015): Assignment Report. Situational analysis of FGM/C stakeholders and interventions in Somalia, https://assets.publishing.service.gov.uk/media/57a0899140f0b64974000154/Situational-analysis-if-FGM-stakholders-and-interventions-somalia-UN.pdf, Zugriff 26.6.2024

HRW - Human Rights Watch (29.3.2024): Somalia: Constitutional Proposals Put Children at Risk, https://www.ecoi.net/de/dokument/2106432.html, Zugriff 19.4.2024

Landinfo - Referat für Länderinformationen der Einwanderungsbehörde [Norwegen] (14.9.2022): Kjønnslemlestelse av kvinner [FGM], https://landinfo.no/wp-content/uploads/2022/09/Somalia-temanotat-Kjonnslemlestelse-av-kvinner-03032021_oppdatert-16112021_13092022.pdf, Zugriff 25.6.2024

LIFOS - LIFOS-Migrationsverket [Schweden] (16.4.2019): Somalia - Kvinnlig könsstympning (version 1.0), https://www.ecoi.net/en/file/local/2007150/190416400.pdf, Zugriff 21.6.2024

MBZ - Außenministerium der Niederlande [Niederlande] (6.2023): General country of origin information report on Somalia, https://www.ecoi.net/en/file/local/2103761/General_COI_report_Somalia_June_2023.pdf, Zugriff 29.4.2024

PC/Powell/Yussuf - Richard A. Powell (Autor), Mohamed Yussuf (Autor), Population Council (Herausgeber) (1.2018): Changes in FGM/C in Somaliland: Medical narrative driving shift in types of cutting. Evidence to End FGM/C: Research to Help Women Thrive, https://www.popcouncil.org/uploads/pdfs/2018RH_FGMC-Somaliland.pdf, Zugriff 25.6.2024

TEA - The East African (17.12.2022): Alarm as 20 Somali girls subjected to FGM in Somalia's Kismayu, https://www.theeastafrican.co.ke/tea/news/east-africa/alarm-as-20-girls-undergo-fgm-in-somalia-4058338, Zugriff 25.6.2024

UNFPA - United Nations Population Fund (4.2022): Community Knowledge, Attitudes and Practices on FGM Puntland, https://somalia.unfpa.org/sites/default/files/pub-pdf/community_knowledge_attitudes_and_practices_on_fgm_puntland.pdf, Zugriff 26.6.2024

UNFPA - United Nations Population Fund (6.10.2021): A tribute to Puntland for bold actions to eliminate Female Genital Mutilation, https://reliefweb.int/report/somalia/tribute-puntland-bold-actions-eliminate-female-genital-mutilation, Zugriff 25.6.2024

UNFPA - United Nations Population Fund (5.3.2021): Overview of Gender Based Violence in Somalia, https://somalia.unfpa.org/sites/default/files/resource-pdf/somalia_gbv_advocacy_brief_05march21.pdf, Zugriff 25.6.2024

USDOS - United States Department of State [USA] (22.4.2024): 2023 Country Report on Human Rights Practices - Somalia, https://www.state.gov/reports/2023-country-reports-on-human-rights-practices/somalia, Zugriff 23.4.2024

Reinfibulation, Deinfibulation

Letzte Änderung 2024-12-04 09:06

Die Thematik der Reinfibulation (Wiederherstellung einer Infibulation, Wiederzunähen) betrifft jene Frauen und Mädchen, die bereits einer Infibulation unterzogen und später deinfibuliert wurden. Letzteres erfolgt z. B. im Rahmen einer Geburt, zur Erleichterung des Geschlechtsverkehrs (LIFOS 16.4.2019, S. 35/12; vgl. Landinfo 14.9.2022, S. 9/12) oder aber z. B. auf Wunsch der Familie, wenn bei der Menstruation Beschwerden auftreten (LIFOS 16.4.2019, S. 32; vgl. Landinfo 14.9.2022, S. 12). Es gibt zudem anekdotische Berichte, wonach eine neue Intervention durchgeführt wurde, weil die Familie eine umfassendere Intervention als die ursprüngliche gewünscht hat (Landinfo 14.9.2022; vgl. HEART/Crawford/Ali 2 2015, S. 74).

Eine Reinfibulation kommt v. a. dann vor, wenn Frauen - üblicherweise noch vor der ersten Eheschließung - eine bestehende Jungfräulichkeit vorgeben wollen (DIS 1.2016, S. 23). Obwohl es vor einer Ehe gar keine physische Untersuchung der Jungfräulichkeit gibt (LIFOS 16.4.2019, S. 40f), kann es bei jungen Mädchen, die z. B. Opfer einer Vergewaltigung wurden, zu Druck oder Zwang seitens der Eltern kommen, sich einer Reinfibulation zu unterziehen (HEART/Crawford/Ali 2 2015, S. 73/76; vgl. CEDOCA 13.6.2016, S. 9). Vergewaltigungsopfer werden oft wieder zugenäht (HO 27.2.2019; vgl. Landinfo 14.9.2022, S. 12). Es gibt anekdotische Berichte über Fälle, in denen unverheiratete Mädchen oder junge Frauen aus der Diaspora nach Somalia geschickt wurden, um eine Reinfibulation durchzuführen (Landinfo 14.9.2022).

Eine Quelle gibt an, dass es Folgen - bis hin zur Scheidung - haben kann, wenn ein Ehemann in der Hochzeitsnacht feststellt, dass eine Deinfibulation bereits vorliegt. Eine Scheidung kann in diesem Fall zu einer indirekten Stigmatisierung infolge von "Gerede" führen. Generell können zur Frage der Reinfibulation von vor der Ehe deinfibulierten Mädchen und jungen Frauen nur hypothetische Angaben gemacht werden, da z. B. den von der schwedischen COI-Einheit LIFOS befragten Quellen derartige Fälle überhaupt nicht bekannt waren (LIFOS 16.4.2019, S. 40f).

Als weitere Gründe, warum sich Frauen für eine Reinfibulation im Sinne einer weitestmöglichen Verschließung entscheiden, werden in einer Studie aus dem Jahr 2015 folgende genannt: a) nach einer Geburt: Manche Frauen verlangen z. B. eine Reinfibulation, weil sie sich nach Jahren an ihren Zustand gewöhnt hatten und sich die geöffnete Narbe ungewohnt und unwohl anfühlt; b) manche geschiedene Frauen möchten als Jungfrauen erscheinen; c) Eltern von Vergewaltigungsopfern fragen danach; d) in manchen Bantu-Gemeinden in Süd-/Zentralsomalia möchten Frauen, deren Männer für längere Zeit von zu Hause weg sind, eine Reinfibulation als Zeichen der Treue (HEART/Crawford/Ali 2 2015, S. 76; vgl. CEDOCA 9.6.2016, S. 11).

Gesellschaftlich verliert die Frage einer Deinfibulation oder Reinfibulation nach einer Eheschließung generell an Bedeutung, da die Vorgabe der Reinheit/Jungfräulichkeit irrelevant geworden ist (LIFOS 16.4.2019, S. 40). Für verheiratete oder geschiedene Frauen und für Witwen gibt es keinen Grund, eine Jungfräulichkeit vorzugeben (CEDOCA 13.6.2016, S. 6).

Wird eine Frau vor einer Geburt deinfibuliert, kann es vorkommen, dass nach der Geburt eine Reinfibulation stattfindet. Dies obliegt i.d.R. der Entscheidung der betroffenen Frau (LIFOS 16.4.2019, S. 40; vgl. CEDOCA 9.6.2016, S. 26). Die Gesellschaft hat kein Problem damit, wenn eine Deinfibulation nach einer Geburt bestehen bleibt, und es gibt üblicherweise keinen Druck, sich einer Reinfibulation zu unterziehen. Viele Frauen fragen aber offenbar von sich aus nach einer (manchmal nur teilweisen) Reinfibulation (CEDOCA 13.6.2016, S. 9f/26). Gemäß Angaben einer Quelle ist eine derartige - von der Frau verlangte - Reinfibulation in Somalia durchaus üblich. Manche Frauen unterziehen sich demnach mehrmals im Leben einer Reinfibulation (HEART/Crawford/Ali 2 2015, S. 73/75f). Nach anderen Angaben kann ein derartiges Neu-Vernähen der Infibulation im ländlichen Raum vorkommen, ist in Städten aber eher unüblich (FIS 5.10.2018, S. 29). Die Verbreitung variiert offenbar auch geographisch: Bei Studien an somalischen Frauen in Kenia haben sich 35 von 57 Frauen einer Reinfibulation unterzogen. Gemäß einer anderen Studie entscheiden sich in Puntland 95 % der Frauen nach einer Geburt gegen eine Reinfibulation (CEDOCA 9.6.2016, S. 13f). Insgesamt gibt es zur Reinfibulation keine Studien, die Prävalenz ist unbekannt. Eine Wissenschaftlerin, die sich seit Jahren mit FGM in Somalia auseinandersetzt, sieht keine Grundlage dafür, dass nach einer Geburt oder Scheidung systematisch eine Reinfibulation durchgeführt wird – weder in der Vergangenheit noch in der heutigen Zeit. Im somalischen Kontext wird demnach eine Infibulation durchgeführt, um die Jungfräulichkeit vor der Ehe zu „beweisen“. Dementsprechend macht es keinen Sinn, eine verheiratete Frau nach der Geburt zu reinfibulieren (Landinfo 14.9.2022, S. 12f).

Freilich kann es vorkommen, dass eine Frau – wenn sie z. B. physisch nicht in der Lage ist, eine Entscheidung zu treffen – auch gegen ihren Willen einer Reinfibulation unterzogen wird; die Entscheidung treffen in diesem Fall weibliche Verwandte oder die Hebamme. Es kann auch nicht völlig ausgeschlossen werden, dass Frauen durch Druck von Familie, Freunden oder dem Ehemann zu einer Reinfibulation gedrängt werden. Insgesamt hängt das Risiko einer Reinfibulation also zwar vom Lebensumfeld und der körperlichen Verfassung der Frau nach der Geburt ab, aber generell liegt die Entscheidung darüber bei ihr selbst. Sie kann sich nach der Geburt gegen eine Reinfibulation entscheiden. Es kommt in diesem Zusammenhang weder zu Zwang noch zu Gewalt. Keine der zahlreichen, von der schwedischen COI-Einheit LIFOS dazu befragten Quellen hat jemals davon gehört, dass eine deinfibulierte Rückkehrerin nach Somalia dort zwangsweise reinfibuliert worden wäre (LIFOS 16.4.2019, S. 41).

Quellen

CEDOCA - Center for Documentation and Research of the Office of the Commissioner General for Refugees and Stateless Persons [Belgien] (13.6.2016): Somalië - Defibulatie en herinfibulatie bij geïnfibuleerde vrouwen in Zuid- en Centraal-Somalië; Dokument liegt bei der Staatendokumentation auf.

CEDOCA - Center for Documentation and Research of the Office of the Commissioner General for Refugees and Stateless Persons [Belgien] (9.6.2016): Somalië - Vrouwelijke genitale verminking (VGV) in Somaliland en Puntland; Dokument liegt bei der Staatendokumentation auf.

DIS - Danish Immigration Service [Denmark] (1.2016): South Central Somalia - Female Genital Mutilation/Cutting, https://www.ecoi.net/en/file/local/1061775/1226_1455786226_fgmnotat2016.pdf, Zugriff 25.6.2024

FIS - Finnische Einwanderungsbehörde [Finnland] (5.10.2018): Somalia: Fact-Finding Mission to Mogadishu and Nairobi, January 2018, https://migri.fi/documents/5202425/5914056/Somalia_Fact_Finding Mission to Mogadishu and Nairobi January 2018.pdf/2abe79e2-baf3-0a23-97d1-f6944b6d21a7/Somalia_Fact_Finding Mission to Mogadishu and Nairobi January 2018.pdf.pdf, Zugriff 12.3.2024

HEART/Crawford/Ali 2 - Health and Education Advice and Resource Team (Herausgeber), Sheena Crawford (Autor), Sagal Ali (Autor) (2015): Assignment Report. Situational analysis of FGM/C stakeholders and interventions in Somalia, https://assets.publishing.service.gov.uk/media/57a0899140f0b64974000154/Situational-analysis-if-FGM-stakholders-and-interventions-somalia-UN.pdf, Zugriff 26.6.2024

HO - Hiiraan Online (27.2.2019): Somali refugee’s fight against ’silent killer’ of FGM inspires film, https://www.hiiraan.com/news4/2019/feb/162482/somali_refugee_s_fight_against_silent_killer_of_fgm_inspires_film.aspx, Zugriff 28.6.2024

Landinfo - Referat für Länderinformationen der Einwanderungsbehörde [Norwegen] (14.9.2022): Kjønnslemlestelse av kvinner [FGM], https://landinfo.no/wp-content/uploads/2022/09/Somalia-temanotat-Kjonnslemlestelse-av-kvinner-03032021_oppdatert-16112021_13092022.pdf, Zugriff 25.6.2024

LIFOS - LIFOS-Migrationsverket [Schweden] (16.4.2019): Somalia - Kvinnlig könsstympning (version 1.0), https://www.ecoi.net/en/file/local/2007150/190416400.pdf, Zugriff 21.6.2024

2. Beweiswürdigung:

2.1. Zur Person der Beschwerdeführerin:

2.1.1. Die Feststellungen zur Staatsangehörigkeit und Identität der Beschwerdeführerin ergeben sich aus den gleichbleibenden Angaben der Beschwerdeführerin im Verfahren (AS 15, AS 42, Protokoll der mV S. 4). Die Beschwerdeführerin konnte keine Identitätsdokumente in Vorlage bringen, sodass lediglich Verfahrensidentität vorliegt. Das Datum der Stellung eines Antrags auf internationalen Schutz in Österreich ergibt sich aus dem Akteninhalt. Der Zeitpunkt ihrer Ausreise ergab sich aus ihren glaubhaften Angaben in der Erstbefragung (AS 15ff).

2.1.2. Dass die Beschwerdeführerin aus XXXX in der Region Galmudug stammt, ergibt sich aus ihren Angaben im Verfahren (AS 15, AS 44f, Protokoll der mV S. 4f). Zwar gab die Beschwerdeführerin sowohl vor der belangten Behörde als auch in der Beschwerdeverhandlung an, dass sie von 2009 bis 2021 samt ihren Kindern (die allesamt dort zur Welt gekommen wären) in XXXX bei ihrer Großmutter gelebt hätte (AS 45, Protokoll der mV 4f). Diesen Wohnortwechsel stellte sie in den Kontext mit ihrem Vorbringen zu einer von ihrem Schwiegervater (auch: „Ex-Schwiegervater“, wird in diesem Erkenntnis mangels Glaubhaftigkeit der Scheidung als Schwiegervater bezeichnet) ausgehenden Gefährdung bzw. Verfolgung insbesondere wegen einer angeblich nicht akzeptierten Beziehung Bzw. Ehe der Beschwerdeführerin (AS 48). Dieses Vorbringen aber erwies sich – wie sogleich unter Punkt 2.2.1. dargestellt werden wird – jedoch als umfassend unglaubwürdig. Infolgedessen ist es auch nicht glaubwürdig, dass die Beschwerdeführerin aufgrund des Bekanntwerdens ihrer ersten Schwangerschaft den Heimatort verlassen und zu ihrer Großmutter nach XXXX ziehen hätten müssen, sondern ist vielmehr davon auszugehen, dass die Beschwerdeführerin bis zu ihrer Ausreise im Familienverband am Heimatort in XXXX lebte.

Die Feststellungen zu ihrem kurzen Aufenthalt in Mogadischu unmittelbar vor ihrer Ausreise aus dem Herkunftsstaat und der weiteren Reiseroute ergeben sich aus den Angaben der Beschwerdeführerin in der Erstbefragung sowie vor der belangten Behörde und dem Bundesverwaltungsgericht, sie sind angesichts der dargetanen Ausreise aus dem Luftweg glaubhaft (AS 19, AS 54, Protokoll der mV S. 6).

2.1.3. Dass die Beschwerdeführerin sieben Kinder hat gab sie im gesamten Verfahren gleichbleibend an, sodass dies entsprechend ihren Angaben festgestellt wird (AS 17, AS 44, Protokoll mV S.10). Die Beschwerdeführerin behauptete, dass sie nur bis Ende des Jahres 2021 verheiratet war und dann im Haus des Schwiegervaters eine erzwungene mündliche Scheidung stattgefunden hätte (AS 43, Protokoll mV S. 7). Als Grund für die angebliche Scheidung führte die Beschwerdeführerin an, dass ihr Schwiegervater, die Scheidung verlangt hätte, da er mit der Ehe nicht einverstanden gewesen wäre. Dieses Vorbringen aber erwies sich – wie sogleich unter Punkt 2.2.1. dargestellt werden wird – jedoch als umfassend unglaubwürdig. Es war daher festzustellen, dass die Beschwerdeführerin nach wie vor verheiratet ist und – da sie eine Scheidung eben nicht glaubhaft machte – nicht geschieden ist.

2.1.4. Zu ihrer Familie in Somalia brachte die Beschwerdeführerin zwar sowohl vor der belangten Behörde als auch in der Beschwerdeverhandlung vor, dass sie in Somalia keinen familiären Anschluss mehr hätte, da ihr Mann und ihr Bruder geflüchtet wären bzw. den Herkunftsort verlassen hätten, man nicht wisse, wo sie sich aufhalten würden und sie weder Kontakt zu ihrem Bruder noch zu ihrem Mann oder ihrer Mutter hätte (AS 46, AS 49, Protokoll der mV S. 9ff). Diesen Kontaktabbruch stellte sie jedoch in den Kontext mit ihrem Fluchtvorbringen, welches sich – wie sogleich unter Punkt 2.2.1. dargestellt werden wird – jedoch als umfassend unglaubwürdig erwies. Zum Kontaktabbruch zu ihrem Bruder vermochte die Beschwerdeführerin überdies in der mündlichen Beschwerdeverhandlung kein schlüssiges Vorbringen zu erstatten. So gab sie darüber befragt im Wesentlichen an, dass ihr damals XXXX Bruder im Jahr 2009 die alleinstehende Mutter verlassen und sich seitdem nie wieder gemeldet hätte und niemand wisse wo er sich befinde; er hätte nach dem Tod des Vaters fluchtartig den Ort verlassen müssen, weil man ihn wegen der Clanzugehörigkeit beschimpft hätte (Protokoll der mV S. 9f). Es ist jedoch lebensfremd, dass der Bruder der Beschwerdeführerin – weil er aufgrund seiner Clanzugehörigkeit immer beschimpft worden sei – die alleinstehende Mutter alleine lassen und sich nicht mehr melden würde.

Insgesamt zeigen die gravierenden Widersprüche und Unstimmigkeiten im gesamten Vorbringen der Beschwerdeführerin, dass sie das gesamte Fluchtvorbringen rein gedanklich konstruierte. Das Ermittlungsverfahren ergab, dass sie keinesfalls in der behaupteten aus dem behaupteten Grund und in der behaupteten Weise durch die Familie ihres Ehemannes oder andere Akteure bedroht ist. Aufgrund dessen, insbesondere, weil überhaupt keine Gefährdung von Seiten ihres Schwiegervaters anzunehmen ist, ist es unglaubwürdig, dass der Kontakt der Beschwerdeführerin zu ihrem Ehemann (auch: „Ex-Mann“, wird in diesem Erkenntnis mangels Glaubhaftigkeit der Scheidung als Ehemann bezeichnet), ihrem Bruder und ihrer Mutter abgebrochen wäre. Es hat sich, anders gewendet, kein Grund ergeben, warum die Beschwerdeführerin den Kontakt zu diesen hätte abbrechen sollen bzw. warum dieser abreißen hätte sollen. Vielmehr ist davon auszugehen, dass sie nach wie vor in Kontakt zu diesen steht, diesen Umstand aber im gegenständlichen Verfahren zu verheimlichen versuchte, um damit das völlig unglaubwürdige Fluchtvorbringen zu untermauern und den in Somalia bestehenden familiären Rückhalt zu verbergen. In der Beschwerdeverhandlung machte die Beschwerdeführerin auf die erkennende Richterin den Eindruck, dass sie bestrebt war, sämtliche Bindungen, die sie in Somalia tatsächlich hat, zu verschleiern – sie erwies sich in diesem Kontext als persönlich unglaubwürdig. Dementsprechend war sie auch insofern unglaubwürdig, als sie behauptete, sie hätte (nur) über eine Freundin, die am Heimatort lebe, Kontakt zu ihren Kindern aufnehmen können. Ihre Darstellung, dass diese zwei Mal ihr Handy zu ihren Kindern gebracht hätte, sodass sie mit diesen telefonieren habe können, und dass diese aber nunmehr nicht mehr erreichbar wäre und ihr allenfalls etwas angetan worden wäre, vermochte nicht zu überzeugen – vielmehr entstand in der Beschwerdeverhandlung der Eindruck, dass die Beschwerdeführerin mit dieser Darstellung ihr unglaubwürdiges Vorbringen zu untermauern versuchte (Protokoll der mV S. 11). Da allerdings das Ermittlungsverfahren ergab, dass das gesamte Vorbringen zur „verbotenen Ehe“ unglaubwürdig ist, gab es keinen Anhaltspunkt dafür, dass der Ehemann der Beschwerdeführer nicht mehr am Heimatort leben würde oder die Beschwerdeführerin zu ihm oder den gemeinsamen Kindern keinen Kontakt mehr hätte – vor diesem Hintergrund ist davon auszugehen, dass dieser Kontakt tatsächlich noch besteht. Gleiches gilt für den Weggang den Abbruch des Kontakts zu ihrem Bruder.

2.1.5. Die Volksgruppen- und Religionszugehörigkeit der Beschwerdeführerin wurde anhand der im Verfahren gleichgebliebenen Angaben festgestellt (AS 15, AS 43, Protokoll der mV S. 6).

2.1.6. Die Beschwerdeführerin machte im gesamten Verfahren im Wesentlichen gleichbleibende Angaben zum Besuch einer Grund- und einer Koranschule, sowie dazu, keine Berufsausbildung und Berufserfahrung lediglich als Teeverkäuferin zu haben, weswegen dahingehende Feststellungen getroffen wurden. Ebenso verhält es sich mit ihren Angaben im Verfahren, Somalisch lesen und schreiben zu können (AS 15, AS 42f, AS 45, Protokoll der mV S. 11).

2.1.7. Der Gesundheitszustand der Beschwerdeführer (AS 43) sowie ihre strafgerichtliche Unbescholtenheit in Österreich konnten aufgrund ihrer entsprechenden Angaben im Verfahren und dem Auszug aus dem Strafregister (OZ 2) festgestellt werden.

2.2. Zum Fluchtvorbringen der Beschwerdeführerin:

2.2.1. Das Fluchtvorbringen der Beschwerdeführerin, dass ihr seitens der Familie ihres Ehemannes, insbesondere von ihrem Schwiegervater, Gefahr und Verfolgung drohe, weil dieser mit der Beziehung bzw. der Ehe der Beschwerdeführerin mit seinem Sohn nicht einverstanden wäre, und das daran anknüpfende Vorbringen zur (erzwungenen) Scheidung und Inhaftierung und der im Rahmen dieser erlittenen Vergewaltigungen erwies sich aus folgenden Gründen als unglaubwürdig:

Schon zum Zeitpunkt ihrer Heirat machte die Beschwerdeführerin divergierende Angaben. Vor der belangten Behörde gab sie zunächst an, im Jahr 2009 geheiratet zu haben (AS 43) und konkretisierte später, dass sie im vierten bis fünften Monat schwanger gewesen sei, als sie alleine zu ihrer Großmutter nach XXXX übersiedelt wäre, und dass sie dort ihr erstes Kind zur Welt gebracht hätte. Erst zwei Monate nach der Geburt des ersten Kindes wäre ihr späterer Ehemann nach XXXX gekommen und hätte sie dort geheiratet (AS 48). Nach der Rückübersetzung des Protokolls korrigierte die Beschwerdeführerin ihr Aussage insofern, als sie angab, dass Anfang 2011 geheiratet habe und nicht 2009 – 2009 sei sie mit dem ersten Kind schwanger geworden (AS 55). Zu diesen Daten verstrickte die Beschwerdeführerin sich in der Beschwerdeverhandlung in grobe Widersprüche: hier gab sie nämlich an, im Jahr 2009, bevor ihr erstes Kind (im Jahr 2010) zur Welt gekommen sei, geheiratet zu haben (Protokoll der mV S.7). Dass sie sich gerade dazu, wann (2009, 2010, Anfang 2011) und in welcher Situation (vor oder nach Geburt des ersten gemeinsamen Kindes), derart widersprach, macht vielmehr deutlich, dass sie eine nicht tatsächlich erlebte Situation darzustellen versuchte. Da es sich hier um Lebensereignisse handelt, die jedenfalls in Erinnerung bleiben, nämlich Geburt des ersten Kindes und die eigene Eheschließung, müsste die Beschwerdeführerin, wenn sie von tatsächlich Erlebten spräche, imstande sein, diese zeitlich stringent und gleichbleibend einzuordnen. Dass die Beschwerdeführerin nicht einmal gleichbleibend angeben kann, ob sie vor oder nach der Geburt ihres ersten Kindes geheiratet hat, zeigt, dass sie versuchte, um eine fiktive Bedrohungslage herum einen Sachverhalt darzustellen, der so tatsächlich nicht passiert ist. Ihre Behauptungen zu einer heimlichen Eheschließung und dem getrennten Leben von ihr und den Kindern einerseits und dem Ehemann andererseits waren daher unglaubwürdig. Infolgedessen erwies sich – auch vor dem Hintergrund der noch folgenden Widersprüche – die Behauptung der Beschwerdeführerin, dass ihr Vater von der Schwiegerfamilie getötet worden wäre (AS 48), als unglaubwürdig. Hinzu kommt, dass sie diese Behauptung nur in den Raum stellte, aber nicht substantiieren konnte – es ist lebensfremd, dass sie nie in Erfahrung gebracht hätte, wer von der Familie ihres Ehemannes ihren eigenen Vater getötet hätte (AS 48) und trotzdem die Ehe geschlossen hätte (AS 51). In der Beschwerdeverhandlung machte die Beschwerdeführerin, insbesondere aufgrund ihrer ausweichenden und vagen Antworten (Protokoll der mV S. 8) einen persönlich unglaubwürdigen Eindruck.

Die Beschwerdeführerin machte zudem krass widersprüchliche Angaben dazu, wann ihre Schwiegerfamilie von der Heirat erfahren hätte. So brachte sie in ihrer Einvernahme vor der belangten Behörde im Wesentlichen vor, dass sie über Jahre hinweg heimlich mit ihrem Ehemann verheiratet gewesen wäre (AS 49: „…dass ich heimlich mit dem Mann verheiratet bin…“): Die Heirat hätte in XXXX stattgefunden, nachdem sie dorthin geflohen wäre, über Jahre hinweg hätte sie ihr Ehemann dort nur sporadisch besucht und mit ihr sieben Kinde gezeugt, die sie alleine großgezogen hätte. Erst zwölf Jahre nach der Eheschließung, weil sie ihre Kinder nicht ausreichend versorgen hätte können, wäre sie mit ihren sieben Kindern zu ihrem Schwiegervater in ihren Heimatort XXXX gegangen um ihm seine Enkelkinder zu zeigen, in der Hoffnung, er würde sie und die Kinder akzeptieren, woraufhin der Schwiegervater seinen Sohn (den Ehegatten der Beschwerdeführerin) zur Rede gestellt hätte und ihn gefragt hätte, ob er mit der Beschwerdeführerin verheiratet sei – daraufhin hätte ihr Ehemann sowohl die Ehe mit der Beschwerdeführerin als auch die Vaterschaft zu den Kindern bestätigt (AS 48 und 49). Dies hätte im Jahr 2021 (AS 43ff) stattgefunden. In der Beschwerdeverhandlung gab die Beschwerdeführerin im krassen Gegensatz dazu an, dass ihre Schwiegerfamilie bereits seit dem Jahr 2009 von der Heirat gewusst hat (Protokoll der mV S. 12). Dass die Beschwerdeführerin einerseits vor der belangten Behörde die Situation so darstellte, als wäre die Ehe erst im Jahr 2021, als sie dies dem Schwiegervater offenbart und ihr Ehemann diese bestätigt hätte, bekannt geworden (dieser hätte ihren dortigen Behauptungen zufolge sogar gedacht, dass sie bereits tot sei, AS 49), andererseits aber in der Beschwerdeverhandlung vorbrachte, dass die Schwiegerfamilie bereits seit 2009 von der Heirat gewusst hätte, zeigt deutlich, dass die Beschwerdeführerin ein Vorbringen rein gedanklich konstruierte. Unglaubwürdig ist in diesem Lichte auch die Behauptung der Beschwerdeführerin, dass ihr Ehemann mit einer anderen Frau verheiratet wäre und auch mit dieser Kinder hätte.

Die Beschwerdeführerin brachte zudem vor, dass ihr Schwiegervater (der auch Bezirksvorsteher wäre, AS 50) sie, nachdem sie ihm 2021 alles offenbart hätte, ihre Inhaftierung veranlasst hätte und sie für eineinhalb Jahre inhaftiert gewesen wäre, bevor ihr die Flucht gelungen wäre – auch dieses Vorbringen stellte sich als grob widersprüchlich heraus:

Zu diesem Vorbringen fällt zunächst auf, dass die Beschwerdeführerin dies ihrer Erstbefragung mit keinem Wort erwähnte (AS 20). In ihrer Einvernahme vor der belangten Behörde brachte sie erstmals vor, dass sie für eineinhalb Jahre in einem Gefängnis eingesperrt gewesen sei und man sie in dieser Zeit täglich vergewaltigt hätte (AS 49). Der Verwaltungsgerichtshof hat zwar wiederholt Bedenken gegen die unreflektierte Verwertung von Beweisergebnissen der Erstbefragung erhoben, weil sich diese Einvernahme nicht auf die näheren Fluchtgründe zu beziehen hat (vgl. etwa VwGH vom 14.6.2017, Ra 2017/18/0001, mwN). Gleichwohl ist es aber nicht generell unzulässig, sich auf eine Steigerung des Fluchtvorbringens zwischen der Erstbefragung durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes und der weiteren Einvernahme eines Asylwerbers zu stützen (VwGH 21.11.2019, Ra 2019/14/0429). Im konkreten Fall ist es nicht nachvollziehbar, dass die Beschwerdeführerin derart einschneidende Erfahrungen wie eine lange Inhaftierung samt vielfachen Vergewaltigungen und die gelungene Flucht aus dieser eigentlich ausweglosen Situation nicht erwähnen würde – schließlich sind diese Erlebnisse gravierend und hätten sich in der Zeit direkt vor ihrer Ausreise aus Somalia abgespielt, außerdem wären sie in einem konkreten Zusammenhang mit der behaupteten Furcht vor einer Verfolgung durch den Schwiegervater (der ja die Inhaftierung veranlasst hätte) gestanden.

Die Beschwerdeführerin machte zu dem Mann, der sie festgenommen, im Gefängnis gefangen gehalten sowie in seinem Haus regelmäßig vergewaltigt hätte, unterschiedliche Angaben. In ihrer Einvernahme vor der belangten Behörde sprach die Beschwerdeführerin davon, dass dies ein Angestellter ihres Schwiegervaters gewesen wäre (AS 49) – sie erwähnte hier weder eine besondere (hohe) Stellung dieser Person im Gefängnis noch sonst irgendeine Verbindung dieser Person zu ihrer Schwiegerfamilie. In der Beschwerdeverhandlung hingegen brachte sie vor, dass es sich dabei um den Chef des Gefängnisses, der gleichzeitig der Cousin ihres Mannes bzw. der Neffe ihres Schwiegervaters gewesen sein soll, gehandelt hätte (Protokoll der mV S. 17f). Auffällig ist insbesondere, dass die Beschwerdeführerin in ihrer Erzählung vor der belangten Behörde davon spricht, ihr Schwiegervater hätte einem „Angestellten“ befohlen, sie ins Gefängnis zu bringen und dass „der Mann“, der sie damals festgenommen hätte, hätte sie jede Nacht in seinem Haus vergewaltigt (AS 49). Es ist nicht nachvollziehbar, dass die Beschwerdeführerin an dieser Stelle mit keinem Wort ein Verwandtschaftsverhältnis erwähnt und lediglich neutral von „einem Angestellten“ und „einem Mann“ bzw. – zusammengefasst – „dem Mann, der sie festgenommen und vergewaltigt habe“ spricht. Es ist konkret nicht nachvollziehbar, dass die Beschwerdeführerin eine derart zentrale Information wie ein Verwandtschaftsverhältnis zwischen der Person, die sie ins Gefängnis gebracht und vielfach vergewaltigt hätte, und der Familie ihres Mannes vor der belangten Behörde nicht erwähnt hätte. Auch dass sie hinsichtlich der Stellung dieser Person recht unterschiedliche Angaben machte, indem sie diese Person vor der belangten Behörde lediglich als Angestellten des Schwiegervaters (AS 49) bzw. als Gefängnismitarbeiter (AS 53) bezeichnete, in der Beschwerdeverhandlung aber als Chef des Gefängnisses darstellte, zeigt, dass sie auch hier einen Sachverhalt nach und nach rein gedanklich konstruiert. Es ist nicht nachvollziehbar, dass sie familiäre Verstrickungen und die hierarchisch hohe Position dieser Person nicht bereits vor der belangten Behörde vorgebracht hätte, wenn diese Behauptungen der Realität entsprechen würden.

Unplausible Angaben machte die Beschwerdeführerin ferner zu ihrer Flucht aus der Gefangenschaft. Die Beschwerdeführerin brachte in diesem Zusammenhang vor der belangten Behörde vor, dass der Mann, der sie festgenommen hätte, sie damals jede Nacht aus dem Gefängnis zu sich nach Hause gebracht hätte, um sie zu vergewaltigen (AS 49f). Zu ihrer Flucht gab sie vor der belangten Behörde dazu zunächst an, dass sie „von diesem Gefängnis geflüchtet“ wäre (AS 44 oben), sodass sie damit darstellte, aus eben dem Gebäude des Gefängnisses entflohen zu sein. Später brachte sie jedoch vor der belangten Behörde vor, aus dem Haus des Vergewaltigers durch ein offenes Fenster geflohen zu sein (AS 50). Damit stehen ihre Aussagen dazu, von wo konkret (Gefängnis vs. Haus des Vergewaltigers) aus ihr die Flucht gelungen wäre, in einem Spannungsverhältnis. Auch mit der Darstellung ihrer Flucht konnte die Beschwerdeführerin nicht überzeugen – dass der Täter wegen eines Dienstes schnell das Haus verlassen hätte müssen und sie deshalb dort einsperrt hätte, jedoch das Fenster offen gelassen hätte, erscheint insbesondere deshalb lebensfremd, weil die Unterkunft sehr klein (zwei Zimmer, eine Tür, nur ein Erdgeschoss) und damit sehr überschaubar gewesen wäre, sodass ein offenes Fenster gerade einer Person, die darauf bedacht gewesen wäre, eine andere Person in dieser Unterkunft gefangen zu halten (arg.: „Er hat die Tür dann versperrt.“, Protokoll der mV S.17), auffallen hätten müssen.

Divergenzen ergaben sich auch in den Angaben der Beschwerdeführerin dahingehend, wer sie nach ihrer Flucht aus der Gefangenschaft, während sie sich in Mogadischu aufgehalten habe, verfolgt hätte. Vor der belangten Behörde führte die Beschwerdeführerin – zur Frage, ob sie in Mogadischu erneut Bedrohung erfahren hätte – aus, dass sie von dem Gefängnismitarbeiter, vor dem sie geflohen wäre, viele telefonische Drohnachrichten bekommen hätte (AS 53f – er würde sie zurückholen wollen, egal, wohin sie gehe). Über Nachfrage, ob sie darüberhinausgehende Bedrohung erfahren hätte, gab die Beschwerdeführerin an (AS 54): „Nein, ich wurde ja nicht gesehen.“ In der Beschwerdeverhandlung behauptete sie hingegen, dass ihr Schwiegervater – nachdem sie aus dem Gefängnis entkommen und nach Mogadischu geflohen wäre – nach ihr gesucht hätte (Protokoll der mV S.16). Darin liegt eine unglaubwürdige Steigerung ihres Vorbringens – es ist nämlich nicht nachvollziehbar, dass die Beschwerdeführerin vor der belangten Behörde nicht erwähnt hätte, dass ihr Schwiegervater nach ihr gesucht hätte, wenn dies tatsächlich der Fall gewesen wäre. Die Beschwerdeführerin machte dadurch, dass sie in der Beschwerdeverhandlung ihrem Vorbringen ein neues Sachverhaltselement (Suche durch den Schwiegervater) hinzufügte, einen persönlich unglaubwürdigen Eindruck, der die Unglaubwürdigkeit des gesamten Fluchtvorbringens unterstreicht. Im weiteren Verlauf der Beschwerdeverhandlung führte die Beschwerdeführerin aus, dass der Gefängniswärter bzw. Cousin ihres Ehemannes, sie in Mogadischu angerufen und mit dem Umbringen bedroht hätte (Protokoll der mV S. 18). Auch diese Angabe steht im Widerspruch zum Vorbringen der Beschwerdeführerin vor dem Bundesamt, wonach der Gefängniswärter ihr lediglich Nachrichten per Telefon geschickt haben soll (ein Telefonat erwähnte sie damals nicht) und ihr darin im Wesentlichen mitgeteilt habe, dass man nach ihr suche und dass er sie überall finden und zurückholen würde (AS 54 – eine Todesdrohung erwähnte sie hier nicht). Auch diese Unstimmigkeiten unterstreichen, dass die Beschwerdeführerin das Vorbringen nur gedanklich konstruiert und dann nicht in der Lage ist, gleichbleibende Angaben zu machen. Es müsste ihr nämlich, wenn sie das Behauptete tatsächlich erlebt hätte, möglich sein, gleichbleibend wiederzugeben, wer sie in welcher Form in Mogadischu verfolgt hätte. Abgesehen von den aufgezeigten Divergenzen ist es in diesem Zusammenhang lebensfremd, dass die Tante der Beschwerdeführerin einer gerade aus dem Gefängnis entflohenen Person, eine SIM-Karte auf deren Namen besorgt (Protokoll der mV S.19) und der Verfolger die Beschwerdeführerin binnen kürzester Zeit – sie sei zu dem Zeitpunkt der ersten Nachrichten erst zwei bis drei Tage in Mogadischu gewesen (Protokoll der mV S.18) – ausfindig machen würde.

Insgesamt erweckte die Beschwerdeführerin in der Beschwerdeverhandlung aufgrund ihrer widersprüchlichen Aussagen einen persönlich unglaubwürdigen Eindruck. Zusammenschauend zeigt die Vielzahl an Widersprüchen und Unzulänglichkeiten im Vorbringen der Beschwerdeführerin, dass ihr Fluchtvorbringen zur Gänze unwahr ist; es ist damit unglaubwürdig, dass sie im Herkunftsstaat durch ihren Schwiegervater oder andere Familienangehörige ihres Ehemannes einer Gefahr ausgesetzt ist. Sie wurde weder von ihrem Schwiegervater oder von anderen Familienmitgliedern ihres Ehemannes bedroht oder geschlagen noch wurde sie auf Anordnung ihres Schwiegervaters in ein Gefängnis gesperrt und im Zuge dessen geschlagen und vergewaltigt. Es ist daher gänzlich unglaubwürdig, dass von der Familie ihres Mannes eine Bedrohung oder Verfolgung der Beschwerdeführerin ausgeht. Vielmehr ist, da das Fluchtvorbringen völlig unglaubwürdig ist, davon auszugehen, dass von den Genannten keinerlei Bedrohung für die Beschwerdeführerin ausgeht. Es war daher festzustellen, dass das Fluchtvorbringen gänzlich unglaubwürdig ist und die Beschwerdeführerin weder durch ihren Schwiegervater, noch durch andere Familienmitglieder ihres Mannes noch sonst von irgendeinem Akteur aufgrund der Heirat mit ihrem Mann oder aus irgendeinem anderen Grund bedroht oder verfolgt wird. Festzustellen war zudem, dass die Beschwerdeführerin nach wie vor mit ihrem Ehemann verheiratet ist, der mit den gemeinsamen Kindern am Heimatort lebt.

2.2.2. Die Beschwerdeführerin gab in der Beschwerdeverhandlung glaubhaft an, dass sie in ihrem Herkunftsstaat beschnitten wurde (Protokoll der mV S. 19) und legte dazu ärztliche Befunde vor, wonach an ihr im Kindesalter eine Genitalverstümmelung des Typs FGM/C III, also eine pharaonische Beschneidung, vorgenommen wurde (OZ 11, Protokoll der mV S. 19). Weiters geht aus den vorgelegten Unterlagen hervor, dass sich die in Österreich einer Deinfibulation unterzogen hat (OZ11).

Der Beschwerdeführerin droht jedoch keine Gefahr einer Reinfibulation oder einer weitergehenden bzw. nochmaligen Genitalverstümmelung im Herkunftsstaat. Dazu ist zunächst darauf hinzuweisen, dass die Beschwerdeführerin derartige Befürchtungen – auch auf konkrete Nachfrage zu Rückkehrbefürchtungen – in der mündlichen Beschwerdeverhandlung nicht vorbrachte (Protokoll der mV S. 14, S. 18, 19). Dass die Beschwerdeführerin der Gefahr einer Reinfibulation oder weiteren Beschneidung ausgesetzt wäre, findet zudem vor dem Hintergrund der Länderinformationen keine Deckung. Die Thematik der Reinfibulation (Wiederherstellung einer Infibulation, Wiederzunähen) betrifft grundsätzlich jene Frauen und Mädchen, die bereits einer Infibulation unterzogen und später deinfibuliert wurden (LIB S.260). Den Länderberichten zufolge verliert die Frage einer Deinfibulation gesellschaftlich nach einer Eheschließung generell an Bedeutung, da die Vorgabe der Reinheit/Jungfräulichkeit irrelevant geworden ist. Die somalische Gesellschaft hat demnach kein Problem damit, wenn eine Deinfibulation nach einer Geburt bestehen bleibt, und es gibt üblicherweise keinen Druck, sich einer Reinfibulation zu unterziehen, wobei viele Frauen offenbar von sich aus eine (manchmal nur teilweisen) Reinfibulation verlangen (LIB S.261). In manchen Fällen – wenn eine Frau z. B. physisch nicht in der Lage ist, eine Entscheidung zu treffen – kann es vorkommen, dass sie auch gegen ihren Willen einer Reinfibulation unterzogen wird; die Entscheidung treffen in diesem Fall weibliche Verwandte oder die Hebamme. Es kann auch nicht völlig ausgeschlossen werden, dass Frauen durch Druck von Familie, Freunden oder dem Ehemann zu einer Reinfibulation gedrängt werden. Insgesamt hängt das Risiko einer Reinfibulation also zwar vom Lebensumfeld und der körperlichen Verfassung der Frau nach der Geburt ab, aber generell liegt die Entscheidung darüber bei ihr selbst (LIB S.261). Unter Berücksichtigung der vorliegenden Berichte und der persönlichen Situation der Beschwerdeführerin als entscheidungsfähige, verheiratete Frau (die durch ihren Ehegatten Schutz erfahren kann) und Mutter von sieben Kindern, die sich nun konkret für eine Deinfibulation entschieden hat (OZ11), ist es daher unplausibel, dass ihr im Falle einer hypothetischen Rückkehr nach Somalia eine Reinfibulation gegen ihren Willen drohen würde. Dadurch, dass sie verheiratet ist, hat nämlich die Frage einer Deinfibulation schon an Bedeutung verloren, und es steht aufgrund der bestehenden Ehe auch keine neue Eheschließung an. Zudem hat die Beschwerdeführerin schon sieben Kinder zur Welt gebracht, und gibt es nach Geburten keinen gesellschaftlichen Druck hinsichtlich einer Reinfibulation. Vor diesem Hintergrund ist es nicht maßgeblich wahrscheinlich, dass die Beschwerdeführerin in Somalia einer Reinfibulation oder einer noch weiteren Genitalverstümmelung bedroht wäre.

Mangels Vorbringens und mangels Hervorkommens tragfähiger Anhaltspunkte für gegenteilige Feststellungen war auch festzustellen, dass abgesehen von der Beschneidung die Beschwerdeführerin in Somalia keiner geschlechtsspezifischen oder sexuellen Gewalt ausgesetzt war und ihr eine solche auch im Fall ihrer Rückkehr nicht mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit droht. Eine maßgebliche Diskriminierung der Beschwerdeführerin bloß aufgrund der Tatsache, dass sie eine Frau ist, konnte ebenfalls nicht festgestellt werden, insbesondere nicht vor dem Hintergrund der festgestellten Länderberichte.

2.2.3. Die Beschwerdeführerin brachte in ihrer Beschwerde vor, eine alleinstehende Frau ohne Clanschutz oder Schutz ihrer Familie zu sein, die in Somalia mit hoher Wahrscheinlichkeit einer geschlechtsspezifischen Verfolgung ausgesetzt sei. Da die Beschwerdeführerin ihr gesamtes Fluchtvorbringen zu einer heimlichen, nicht erlaubten Ehe mit einem Mann, der einem höheren Clan angehört nicht glaubhaft machen konnte, sondern sich ihr Fluchtvorbringen als gänzlich unglaubwürdig erwies, ist, wie schon oben ausgeführt, davon auszugehen, dass Beschwerdeführerin in Somalia nach wie vor über ihr familiäres Netzwerk in Form ihres Ehemannes (und ihrer Kinder) sowie ihrer Mutter und ihrem Bruder verfügt, auf das sie nach einer Rückkehr zurückgreifen kann und dort - wie vor der Ausreise - Unterkunft, Verpflegung und Schutz finden kann. Wie bereits in Punkt 2.1.4. ausgeführt ist es auch nicht glaubhaft, dass der Kontakt zu ihren Familienangehörigen abgebrochen wäre (auf obenstehende Ausführungen wird verwiesen). Es ist im Gegenteil davon auszugehen, dass die Beschwerdeführerin nach wie vor zu diesen in Kontakt steht und ihr auch eine Rückkehr in den Familienverband, in dem sie schon bis zu ihrer Ausreise aus dem Herkunftsstaat lebte, möglich ist. Die Beschwerdeführerin verfügt dabei insbesondere auch über männliche Verwandte in Form ihres Mannes und ihres Bruders. Die Beschwerdeführerin ist im Falle einer Rückkehr nach Somalia nicht als alleinstehende Frau und auch nicht als de-facto-alleinstehende Frau zu qualifizieren. Sie ist auch nicht gezwungen, in ein Lager für Binnenvertrieben zu gehen, da ihr eine Rückkehr in ihren Familienverband möglich ist, in dem sie auch schon vor der Ausreise geschützt lebte, sodass ihr Vorbringen zu den in diesen Lagern vorherrschenden Gefahren ins Leere geht.

2.2.4. Aus den Länderinformationen der Staatendokumentation geht hervor, dass Gewalt gegen Frauen in Form von häuslicher und sexueller Gewalt weiterhin ein großes Problem in Somalia darstellt. Mehr als die Hälfte der Vorfälle ereignet sich im Wohnbereich der Opfer. Auch wenn Vergewaltigung gesetzlich verboten ist, bleiben Vergewaltigungen und versuchte Vergewaltigungen in der Regel straffrei. Weibliche Angehörige von Minderheiten sind dabei häufig unter den Opfern geschlechtsspezifischer Gewalt (LIB S. 229 ff).

Das Risiko, als Frau Opfer geschlechtsspezifischer Gewalt in Somalia zu werden, stellt sich für Frauen, die durch ihre Lebenssituation besonders vulnerabel sind, wie z.B. IDPs und Minderheiten, um ein Vielfaches höher dar. Eine maßgebliche Wahrscheinlichkeit, dass jede Frau in Somalia Opfer geschlechtsspezifischer Gewalt wird, ist den Länderinformationen aber nicht zu entnehmen. Die Beschwerdeführerin würde im Falle einer Rückkehr zudem nicht als alleinstehende Frau zurückkehren, da sie im Herkunftsland über männliche Familienangehörige, insbesondere in Form ihres Ehemannes verfügt, mit dem sie wieder im gemeinsamen Haushalt leben kann, weshalb sie nicht als alleinstehende Frau in einem IDP-Lager einer erhöhten Gefahr geschlechtsspezifischer Gewalt ausgesetzt sein wird.

Es wird auch nicht übersehen, dass Frauen in Somalia in der Realität kaum politische Rechte haben, in Entscheidungsprozesse nicht eingebunden sind und entgegen dem gesetzlichen Verbot der Diskriminierung von Frauen, diese nach wie vor bei Kreditvergabe, Bildung, Politik und Unterbringung Diskriminierung erfahren. Frauen verfügen einer Studie zum Gender-Gap in Süd-/Zentralsomalia und Puntland zufolge nur über 50 % der Möglichkeiten der Männer – und zwar in Bezug auf die Teilnahme an der Wirtschaft, wirtschaftliche Möglichkeiten; Politik; und Bildung (LIB S. 229-230 f). Im Parlament ist eine verpflichtende Frauenquote von 30 % weiblicher Abgeordneter vorgesehen, jedoch stemmen sich viele traditionelle und religiöse Eliten vehement gegen eine stärkere Beteiligung von Frauen am politischen Leben.

Zusammengefasst stellt sich daher die Lage für Frauen in Somalia als problematisch, gewaltbetroffen und diskriminierend dar. Die Intensität der Diskriminierung und das Ausmaß der Gewaltbetroffenheit hängen jedoch maßgeblich von der individuellen Situation der Frauen, insbesondere von ihrer Herkunft, Clanzugehörigkeit und ihrem familiären und ökonomischen Umfeld ab. Auch wenn nach wie vor in ganz Somalia eine systematische Unterordnung der Frauen unter die Männer besteht, ist eine allgemeine und jede Frau in Somalia gleichermaßen betreffende schwerwiegende Diskriminierung oder geschlechtsspezifische Gewalt nicht feststellbar. Eine individuelle Betroffenheit ergibt sich aufgrund des individuellen familiären und ökonomischen Hintergrunds der Beschwerdeführerin nicht.

2.2.5. Zwar gab die Beschwerdeführerin auch im gesamten Verfahren an, der Volksgruppe der Tumal anzugehören, sie brachte jedoch zu keinem Zeitpunkt im Verfahren substantiiert vor, in asylrelevanter Intensität diskriminiert worden oder Verfolgungshandlungen ausgesetzt gewesen zu sein, die aufgrund ihrer Clanzugehörigkeit gegen sie geübt worden wären. Die Tumal gehören zu den berufsständischen Minderheiten und werden als eine der Volksgruppen innerhalb der Gabooye gesehen. Dem Länderinformationsblatt kann der Gabooye entnommen werden, dass sich ihre Position im Vergleich zur Jahrtausendwende, als diese nicht einmal die Schule besuchen konnten, gebessert hat. Zudem ist insbesondere unter jungen Somali die Einstellung zu ihnen positiver geworden und mittlerweile ist es für viele Angehörige des Mehrheitsclans üblich, auch mit Angehörigen berufsständischer Gruppen zu sprechen, zu essen, zu arbeiten und Freundschaften zu unterhalten. Dem Länderinformationsblatt kann zudem entnommen werden, dass es keine gezielten Angriffe gegen oder Misshandlungen von Gabooye gibt. Berufsständische Kasten werden jedoch diskriminiert und als Bürger zweiter Klasse erachtet. Zu ihrer Diskriminierung trägt dabei etwa bei, dass sie sich weniger strikt organisieren und viel ärmer sind. Insgesamt ist daher die soziale Stufe und die damit verbundene Armut für viele das Hauptproblem (LIB S. 222f). Die Beschwerdeführerin machte keine Angaben, die auf eine Verfolgung aufgrund ihrer Clanzugehörigkeit schließen lassen würden und eine solche ergibt sich wie dargelegt auch nicht aus den zitierten Länderinformationen.

Es war daher festzustellen, dass der Beschwerdeführerin im Herkunftsstaat weder aufgrund ihrer Religionszugehörigkeit noch aufgrund ihrer Volksgruppen- bzw. Clanzugehörigkeit oder aus politischen Gründen Probleme bzw. eine Verfolgung durch die somalischen Behörden drohen. Die Beschwerdeführerin machte im Verfahren keine Angaben dazu, im Herkunftsstaat an Demonstrationen teilgenommen zu haben oder politisch aktiv gewesen zu sein, sodass dies ebenfalls entsprechend festzustellen war.

2.3. Zur maßgeblichen Situation in Somalia

Angesichts der Seriosität und Plausibilität der angeführten Erkenntnisquellen sowie dem Umstand, dass diese Berichte auf eine Vielzahl verschiedener, voneinander unabhängiger Quellen beruhen und dennoch ein in den Kernaussagen übereinstimmendes Gesamtbild ohne wesentliche Widersprüche darbieten, besteht kein Grund, an der Richtigkeit der Angaben zu zweifeln. Darüber hinaus sind im Beschwerdeschriftsatz der Beschwerdeführerin keine Länderberichte enthalten, die den Feststellungen des erkennenden Gerichtes zur Lage im Herkunftsstaat der Beschwerdeführerin entgegenstünden oder eine andere Beurteilung erfordern würden. Die seitens des Bundesverwaltungsgerichtes in das Verfahren eingeführten Länderberichte blieben schlussendlich unbestritten.

3. Rechtliche Beurteilung:

Zu Spruchteil A)

Abweisung der Beschwerde gegen Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides:

3.1. Gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 ist einem Fremden, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz im Sinne des § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 gestellt hat, soweit dieser Antrag nicht bereits gemäß §§ 4, 4a oder 5 AsylG 2005 zurückzuweisen ist, der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft ist, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention – GFK, droht.

Flüchtling im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 der GFK ist anzusehen, wer sich aus wohlbegründeter Furcht, aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung verfolgt zu werden, außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen; oder wer staatenlos ist, sich infolge obiger Umstände außerhalb des Landes seines gewöhnlichen Aufenthaltes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, in dieses Land zurückzukehren.

Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist zentrales Element des Flüchtlingsbegriffes die wohlbegründete Furcht vor Verfolgung. Wohlbegründet kann eine Furcht nur dann sein, wenn sie im Licht der speziellen Situation des Asylwerbers und unter Berücksichtigung der Verhältnisse im Verfolgerstaat objektiv nachvollziehbar ist (VwGH 17.03.2009, 2007/19/0459; 28.05.2009, 2008/19/1031). Es kommt nicht darauf an, ob sich eine bestimmte Person in einer konkreten Situation tatsächlich fürchtet, sondern ob sich eine mit Vernunft begabte Person in dieser Situation (aus Konventionsgründen) fürchten würde (VwGH 28.05.2009, 2008/19/1031; 06.11.2009, 2008/19/0012). Unter Verfolgung ist ein ungerechtfertigter Eingriff von erheblicher Intensität in die zu schützende persönliche Sphäre des Einzelnen zu verstehen. Erhebliche Intensität liegt vor, wenn der Eingriff geeignet ist, die Unzumutbarkeit der Inanspruchnahme des Schutzes des Heimatstaates bzw. der Rückkehr in das Land des vorigen Aufenthaltes zu begründen. Die Verfolgungsgefahr steht mit der wohlbegründeten Furcht in engstem Zusammenhang und ist Bezugspunkt der wohlbegründeten Furcht. Eine Verfolgungsgefahr ist dann anzunehmen, wenn eine Verfolgung mit einer maßgeblichen Wahrscheinlichkeit droht; die entfernte Möglichkeit einer Verfolgung genügt nicht (VwGH 25.01.2001, 2001/20/0011; 28.05.2009, 2008/19/1031; 02.09.2019, Ro 2019/01/0009, mwN). Die Verfolgungsgefahr muss ihre Ursache in einem der Gründe haben, welche Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK nennt (VwGH 15.03.2001, 99/20/0128; 23.11.2006, 2005/20/0551); sie muss Ursache dafür sein, dass sich der Asylwerber außerhalb seines Heimatlandes bzw. des Landes seines vorigen Aufenthaltes befindet. Relevant kann aber nur eine aktuelle Verfolgungsgefahr sein; sie muss vorliegen, wenn der Asylbescheid (bzw. das Asylerkenntnis) erlassen wird; auf diesen Zeitpunkt hat die Prognose abzustellen, ob der Asylwerber mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit Verfolgung aus den genannten Gründen zu befürchten habe (VwGH 09.03.1999, 98/01/0318; 19.10.2000, 98/20/0233).

Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (VwGH 17.09.2003, 2001/20/0177; 28.10.2009, 2006/01/0793; 30.08.2017, Ra 2017/18/0119; 28.11.2019, Ra 2018/19/0203) ist eine Verfolgungshandlung nicht nur dann relevant, wenn sie unmittelbar von staatlichen Organen (aus Gründen der GFK) gesetzt worden ist, sondern auch dann, wenn der Staat nicht gewillt oder nicht in der Lage ist, Handlungen mit Verfolgungscharakter zu unterbinden, die nicht von staatlichen Stellen ausgehen, sofern diese Handlungen - würden sie von staatlichen Organen gesetzt - asylrelevant wären. Eine von dritter Seite ausgehende Verfolgung kann nur dann zur Asylgewährung führen, wenn sie von staatlichen Stellen infolge nicht ausreichenden Funktionierens der Staatsgewalt nicht abgewendet werden kann (VwGH 22.03.2000, 99/01/0256).

Von einer mangelnden Schutzfähigkeit des Staates kann nicht bereits dann gesprochen werden, wenn der Staat nicht in der Lage ist, seine Bürger gegen jedwede Übergriffe Dritter präventiv zu schützen (VwGH 13.11.2008, 2006/01/0191; 28.10.2009, 2006/01/0793). Für die Frage, ob eine ausreichend funktionierende Staatsgewalt besteht - unter dem Fehlen einer solchen ist nicht zu verstehen, dass die mangelnde Schutzfähigkeit zur Voraussetzung hat, dass überhaupt keine Staatsgewalt besteht (VwGH 22.03.2000, 99/01/0256) -, kommt es darauf an, ob jemand, der von dritter Seite (aus den in der GFK genannten Gründen) verfolgt wird, trotz staatlichen Schutzes einen - asylrelevante Intensität erreichenden - Nachteil aus dieser Verfolgung mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit zu erwarten hat (VwGH 13.11.2008, 2006/01/0191; 28.10.2009, 2006/01/0793). Für einen Verfolgten macht es nämlich keinen Unterschied, ob er auf Grund staatlicher Verfolgung mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit einen Nachteil zu erwarten hat oder ob ihm dieser Nachteil mit derselben Wahrscheinlichkeit auf Grund einer Verfolgung droht, die von anderen ausgeht und die vom Staat nicht ausreichend verhindert werden kann. In diesem Sinn ist die Formulierung zu verstehen, dass der Herkunftsstaat nicht gewillt oder nicht in der Lage sei, Schutz zu gewähren (VwGH 26.02.2002, 99/20/0509). In beiden Fällen ist es dem Verfolgten nicht möglich bzw. im Hinblick auf seine wohlbegründete Furcht nicht zumutbar, sich des Schutzes seines Heimatlandes zu bedienen (VwGH 13.11.2008, 2006/01/0191; 28.10.2009, 2006/01/0793).

3.2. Gemäß § 3 Abs. 1 AsylG liegt es an der beschwerdeführenden Partei, entsprechend glaubhaft zu machen, dass ihm im Herkunftsstaat eine Verfolgung im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK droht.

3.2.1. Wie beweiswürdigend dargelegt, hat die Beschwerdeführerin ihr gesamtes Fluchtvorbringen und die dort behauptete Verfolgung durch die Familie ihres Ehemannes, insbesondere durch ihren Schwiegervater, der gegen die Beziehung zwischen der Beschwerdeführerin und seinem Sohn gewesen sei, sowie auch die damit zusammenhängende Ermordung ihres Vaters, die Flucht ihres Bruders und ihre eigene Inhaftierung und die Vergewaltigungen nicht glaubhaft gemacht. Um Wiederholungen zu vermeiden, wird dazu auf Punkt 2.2.1. der Beweiswürdigung verwiesen. Erachtet die zur Entscheidung über einen Asylantrag zuständige Instanz - wie im gegenständlichen Fall - im Rahmen der Beweiswürdigung die Angaben des Asylwerbers grundsätzlich als unwahr, dann können die von ihm behaupteten Fluchtgründe nicht als Feststellung der rechtlichen Beurteilung zugrunde gelegt werden und es ist auch deren Eignung zur Glaubhaftmachung wohlbegründeter Furcht vor Verfolgung nicht näher zu beurteilen (VwGH 09.05.1996, Zl.95/20/0380). Wie in der Beweiswürdigung dargetan, ergibt sich der Schluss auf die Unglaubwürdigkeit der Beschwerdeführerin in Bezug auf ihre Fluchtgründe aus einer Gesamtschau ihrer Angaben, zudem aus dem in der Beschwerdeverhandlung gewonnenen persönlichen Eindruck.

3.2.2. In den UNHCR-Richtlinien zu Somalia wurden zur Gruppe der Frauen besondere Risikogruppen für Verfolgung herausgearbeitet. So sind Frauen, die bereits Opfer von Gewalt, Zwangsheirat oder Beschneidung wurden, den UNHCR-Richtlinien zufolge einem erhöhten Risiko, erneut Opfer von Gewalt zu werden, ausgesetzt (UNHCR-RL Somalia, 94ff). Für die Beurteilung der Verfolgungsgefahr sind individuelle Umstände zu berücksichtigen, aus denen sich eine erhöhte Vulnerabilität der Beschwerdeführerin in Bezug auf geschlechtsspezifische Gewalt, die sexuelle Gewalttaten, Gewalt in der Familie/häusliche Gewalt, erzwungene Familienplanung, Verstümmelung der weiblichen Geschlechtsorgane, Bestrafung wegen Verstößen gegen den Sittenkodex und Diskriminierung von Homosexuellen umfasst, ergeben kann (vgl. UNHCR-Richtlinien: Geschlechtsspezifische Verfolgung, Pkt. 3 mit Hinweis auf die Unvollständigkeit der Aufzählung).

Wie bereits beweiswürdigend ausgeführt, legte die Beschwerdeführerin nicht glaubwürdig dar, dass sie, abgesehen von der erfolgten Beschneidung, bereits Opfer von Gewalt wurde, weshalb sie aus diesem Grund nicht unter eine in den UNHCR-Richtlinien zu Somalia angeführten Risikogruppen zu subsumieren ist. Im Zusammenhang mit der in Österreich erfolgten Deinfibulation, kann, wie bereits beweiswürdigend ausgeführt, keine fortgesetzte und in Zukunft maßgeblich wahrscheinliche Gewaltausübung, z.B. in Form einer Reinfibulation, festgestellt werden (verwiesen wird hierzu auf die Beweiswürdigung unter Punkt 2.2.2.). Andere Vulnerabilitäten, hervorgerufen durch die Zugehörigkeit zu einer Minderheit, die Tatsache, eine Behinderung zu haben oder als Binnenvertriebene auf Hilfe angewiesen zu sein, liegen in der Person der Beschwerdeführerin ebenfalls nicht vor. Auch war sie bisher keiner sexuellen Gewalt oder Zwangsheirat in Somalia ausgesetzt.

Aus einem aktuellen Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofs vom 24.02.2025, E 3687/2024, ergibt sich zudem im Fall einer minderjährigen somalischen Staatsangehörigen, die vorbrachte, keine Familie in Somalia zu haben und ledig zu sein, dass die Würdigung des Bundesverwaltungsgerichtes, wonach ein „innerfamiliärer Zusammenhalt“ bestehe und keine Bedrohungssituation vorliege, nicht schlüssig war. Es wäre demnach Aufgabe des Bundesverwaltungsgerichts gewesen zu prüfen, ob die Minderjährige im Falle einer Rückkehr nach Somalia, wie von ihrer gesetzlichen Vertreterin bzw. von ihr selbst vorgebracht, als „alleinstehend“ gelte und ob sie Schutz durch Familienangehörige erhalten könne.

Bei der Beschwerdeführerin handelt es sich – wie bereits beweiswürdigend festgehalten – nicht um eine alleinstehende und auch nicht um eine de-facto-alleinstehende Frau, zumal sie im Herkunftsstaat über männliche Verwandte in Form ihres Ehemannes und auch ihres Bruders verfügt. Sie kann zudem in ihren Familienverband zurückkehren und – wie bereits vor ihrer Ausreise – bei diesen leben, und bei diesen Obdach, Verpflegung und Schutz finden. Die Gefahr, als alleinstehende Frau in einem IDP-Camp erhöhter geschlechtsspezifischer Gewalt ausgesetzt zu sein, kann hinsichtlich der Beschwerdeführerin daher nicht erkannt werden. Verwiesen wird hierzu, um Wiederholungen zu vermeiden, auf die Beweiswürdigung unter den Punkten 2.2.3. und 2.2.4.

Eine begründete Furcht vor Verfolgung, die in einer schwerwiegenden Verletzung grundlegender Menschenrechte oder in einer Kumulierung von Maßnahmen mit erheblicher Eingriffsintensität besteht, konnte von der Beschwerdeführerin nicht glaubhaft gemacht werden; dies insbesondere auch nicht wegen ihrer bloßen Zugehörigkeit zum weiblichen Geschlecht.

3.2.3. Die Tatsache der weiblichen Geschlechtszugehörigkeit allein führt den Feststellungen zufolge in Somalia nicht mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit zu einer Verfolgung. Die Situation von Frauen ist wesentlich bestimmt von der familiären und wirtschaftlichen Situation und von ihrer Clanzugehörigkeit sowie dem Bildungsniveau der Frauen. Es ist auch nicht jede Frau von geschlechtsspezifischer Gewalt betroffen, das individuelle Risiko hängt von der Lebenssituation der Frau ab.

Die Beschwerdeführerin gehört nicht zur Gruppe jener Frauen, die alleinstehend in Somalia sind. Sie hat vor ihrer Ausreise im Familienverband mit ihrem Ehemann und Kindern bzw. mit ihrer Mutter und ihrem Bruder gelebt. Sie war bisher keiner maßgeblichen Diskriminierung und, abgesehen von der Infibulation, keiner sexuellen Gewalt ausgesetzt. Die Beschwerdeführerin würde im Falle einer Rückkehr entsprechend den getroffenen Feststellungen und den Ausführungen nicht als alleinstehende oder de-facto-alleinstehende, erwachsene Frau zurückkehren. Sie verfügt in Somalia über ein familiäres Netz, dem erwachsene, männliche Familienangehörige angehören.

Wie bereits beweiswürdigend ausgeführt droht der Beschwerdeführerin im Falle einer (aufgrund des subsidiären Schutzstatus hypothetischen) Rückkehr auch keine Gefahr einer erneuten oder schwereren Beschneidung, z.B. in Form einer Reinfibulation mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit.

Die Beschwerdeführerin weist, abgesehen von ihrer Geschlechtszugehörigkeit, keine zusätzlichen unveränderlichen Merkmale oder verinnerlichten Haltungen auf, die sie mit anderen Frauen gemein hat und die zur Wahrnehmung dieser Gruppe als abgegrenzte Identität führen und Ursache einer schwerwiegenden Verfolgung dieser Gruppe sein können.

3.2.4. Die Beschwerdeführerin ist auch keiner Diskriminierung in Somalia ausgesetzt, die die Schwelle von Art. 9 Abs. 1 lit b der Statusrichtlinie 2011/95 überschreitet. Eine solche brachte sie auch nicht konkret vor. Der Beschwerdeführerin droht keine Diskriminierung, die in ihren kumulativen Maßnahmen eine Intensität erreicht, die ihre absolut geschützten Rechte gemäß Art. 15 Abs. 2 EMRK verletzten könnte.

3.2.5. Aus den in der Beweiswürdigung dargelegten Gründen machte die Beschwerdeführerin auch keine asylrelevante Verfolgung aufgrund einer Zugehörigkeit zum Minderheitenclan der Tumal glaubhaft, dies war auch vor dem Hintergrund der Länderinformationen nicht zu objektivieren. Auch sonst ergaben sich keine Gründe für die Annahme einer maßgeblichen Wahrscheinlichkeit einer Verfolgung der Beschwerdeführerin in Somalia aus Konventionsgründen. Um Wiederholungen zu vermeiden, wird dazu auf Punkt 2.2.2. der Beweiswürdigung verwiesen.

Nachteile, die auf die in einem Staat allgemein vorherrschenden politischen, wirtschaftlichen und sozialen Lebensbedingungen zurückzuführen sind, stellen keine Verfolgung im Sinne der GFK dar. In allgemeinen schlechten wirtschaftlichen und sozialen Bedingungen kann keine Verfolgung gesehen werden (vgl. VwGH 08.06.2000, Zl. 99/20/0597 unter Bezugnahme auf VwGH 24.10.1996, Zl. 95/20/0321, 0322; VwGH 17.02.1993, Zl. 92/01/0605) und ist auch eine existenzgefährdende Schlechterstellung der Beschwerdeführerin aus Gründen der GFK nicht ersichtlich.

3.2.6. Demzufolge lässt sich eine aktuelle Verfolgungsgefahr der Beschwerdeführerin im Falle ihrer Rückkehr aus einem der in der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Gründe nicht erkennen.

3.2.7. Aufgrund der getroffenen Feststellungen und der durchgeführten Beweiswürdigung ist die Entscheidung der belangten Behörde hinsichtlich der Nichtzuerkennung des Status der Asylberechtigten zu bestätigen und war die Beschwerde gegen Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides abzuweisen.

3.3. Zu Spruchteil B) Unzulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Das Bundesverwaltungsgericht legte der gegenständlichen Entscheidung insbesondere folgende Rechtsprechung zugrunde: zur Notwendigkeit der Glaubhaftmachung der behaupteten Fluchtgründe (VwGH 09.05.1996, Zl.95/20/0380); zur maßgeblichen Wahrscheinlichkeit bzw. dem Ungenügen einer entfernten Möglichkeit einer Verfolgung (VwGH 25.01.2001, 2001/20/0011; 28.05.2009, 2008/19/1031; 02.09.2019, Ro 2019/01/0009, mwN).

Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.

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