Spruch
W604 2303355-1/8E
IM NAMEN DER REPUBLIK
Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Herbert PLESCHBERGER als Vorsitzenden und die Richterin Mag.a Ulrike SCHERZ sowie den fachkundigen Laienrichter Robert ARTHOFER als Beisitzende über die Beschwerde der XXXX , geboren am XXXX , gegen den Bescheid des Bundesamtes für Soziales und Behindertenwesen (Landesstelle XXXX ) vom 08.10.2024, GZ. XXXX betreffend die Abweisung des Antrages auf Vornahme der Zusatzeintragung „Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung“ in den Behindertenpass gemäß §§ 42 und 45 Bundesbehindertengesetz (BBG) zu Recht erkannt:
A)
Der Beschwerde wird Folge gegeben und der Spruch des angefochtenen Bescheides geändert, sodass er wie folgt zu lauten hat:
Dem Antrag der XXXX , geboren am XXXX , auf Vornahme der Zusatzeintragung „Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung“ in den Behindertenpass vom 08.05.2024 wird stattgegeben.
B)
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
Entscheidungsgründe:
I. Verfahrensgang:
1. Die belangte Behörde, das Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen (Kurzbezeichnung: Sozialministeriumservice), hat der Beschwerdeführerin am 06.11.2016 einen unbefristeten Behindertenpass ausgestellt und einen Grad der Behinderung in Höhe von 50 vH eingetragen.
2. Am 08.05.2024 stellte die Beschwerdeführerin einen Antrag auf Ausstellung eines Ausweises gem. § 29b StVO, welcher auch als Antrag auf Vornahme der Zusatzeintragung „Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung“ in den Behindertenpass gilt.
3. Mit Bescheid vom 08.10.2024 hat die belangte Behörde den Antrag auf Vornahme der beschriebenen Zusatzeintragung in den Behindertenpass gemäß §§ 42 und 45 BBG unter Hinweis auf die wesentlichen Ergebnisse des abgeführten medizinischen Beweisverfahrens abgewiesen.
4. Gegen diesen Bescheid richtet sich die am 21.11.2024 erhobene Beschwerde, mittels welcher die Beschwerdeführerin auf ihre Unfähigkeit zur Zurücklegung längerer Gehstrecken verweist. Sie beziehe eine Berufsunfähigkeitspension und sei nicht in der Lage, eine Wegstrecke von 300 bis 400 Meter zurückzulegen, zudem bestehe Sturzgefahr beim Ein- und Aussteigen. Die vorgelegten Befunde hätten keine Beachtung gefunden, ein Untersuchungszimmer sei nicht geeignet, die bestehenden Einschränkungen zu objektivieren, da weder körperliche Erschöpfung noch Terrain in die Beurteilung einfließen würden.
5. Zur Überprüfung der medizinischen Gegebenheiten holte das Bundesverwaltungsgericht ein Gutachten einer Sachverständigen der Fachrichtungen Neurologie und Psychiatrie auf Basis einer persönlichen Untersuchung der Beschwerdeführerin mit dem Ergebnis ein, dass die Voraussetzungen für die Vornahme der begehrten Zusatzeintragung vorlägen.
6. Im Rahmen des erteilten Parteiengehörs hat weder die belangte Behörde noch die Beschwerdeführerin Einwendungen erhoben.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen:
1.1. Die Beschwerdeführerin, XXXX , geboren am XXXX , hat ihren Wohnsitz im Inland und verfügt über einen Behindertenpass. Am 08.05.2024 beantragte sie die Vornahme der Zusatzeintragung „Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung“ in den Behindertenpass. Die von der Beschwerdeführerin gegen den Bescheid des Bundesamtes für Soziales und Behindertenwesen vom 08.10.2024 mit Einlangen am 21.11.2024 erhobene Beschwerde wurde dem Bundesverwaltungsgericht mit Erledigung vom 26.11.2024, eingelangt am 27.11.2024, vorgelegt. Gegen das von Seiten des Bundesverwaltungsgerichtes eingeholte medizinische Sachverständigengutachten wurden keine Einwendungen erhoben.
1.2. Bei der Beschwerdeführerin liegt folgende Gesundheitsschädigung vor:
1.2.1. Multiple Sklerose mit spastisch ataktischer Gangstörung und Fallneigung
1.3. Auswirkungen der festgestellten Gesundheitsschädigungen auf die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel:
1.3.1. Die bei der Beschwerdeführerin vorliegende Multiple Sklerose erschwert die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel in erheblichem Ausmaß. Es besteht eine erhebliche Einschränkung der Gesamtmobilität mit maßgeblicher Gangbildbeeinträchtigung. Die Beschwerdeführerin ist nicht in der Lage, eine kurze Wegstrecke (ungefähr 300 bis 400 Meter) aus eigener Kraft ohne fremde Hilfe, allenfalls unter Verwendung zweckmäßiger Behelfe, ohne maßgebende Unterbrechung zurückzulegen, Niveauunterschiede sicher zu überwinden und sich während der Beförderung in öffentlichen Verkehrsmitteln ausreichend stabil festzuhalten. Ein sicherer Transport im öffentlichen Verkehrsmittel ist nicht möglich.
2. Beweiswürdigung:
2.1. Die Identität der Beschwerdeführerin sowie deren inländischer Wohnsitz ergeben sich wie auch die Daten zur Antragstellung und der Beschwerdevorlage aus den diesbezüglich unbedenklichen, widerspruchsfreien und unbestrittenen Aktenunterlagen. Entsprechende Umstände finden sich in zweifelsfreier aktenkundiger Dokumentation. Die Verfahrensparteien sind der gutachterlichen Beurteilung im Rahmen des vom Bundesverwaltungsgericht erteilten Parteiengehörs nicht entgegengetreten, entsprechende Eingaben sind nicht erfolgt.
2.2. Die Feststellungen zur vorliegenden Gesundheitsschädigung stützen sich auf das durch das Bundesverwaltungsgericht eingeholte Gutachten der medizinischen Sachverständigen Univ. Prof. Dr.in XXXX , Fachärztin für Neurologie und Psychiatrie. Das Gutachten ist hinsichtlich der festgestellten Funktionseinschränkungen - basierend auf der persönlichen Untersuchung der Beschwerdeführerin am 03.04.2025 und den vorgelegten medizinischen Beweismitteln - vollständig, schlüssig, nachvollziehbar und frei von Widersprüchen. Es wird auf die Art der bestehenden Leiden und deren Ausmaß eingegangen und sind die vorgelegten Beweismittel in die Beurteilung eingeflossen, die befasste Sachverständige hat sich damit auseinandergesetzt und einen umfassenden klinischen Befund erhoben. Die Untersuchungsergebnisse wurden im Hinblick auf gegebene Funktionseinschränkungen bewertet, die Krankengeschichte der Beschwerdeführerin umfassend und differenziert nach den konkret vorliegenden Krankheitsbildern auch im Zusammenwirken zueinander berücksichtigt.
2.3. Die Feststellungen zu den Auswirkungen der bei der Beschwerdeführerin bestehenden Funktionseinschränkungen auf die Benützbarkeit öffentlicher Verkehrsmittel beruhen auf dem eingeholten Sachverständigengutachten Dris. XXXX vor dem Hintergrund der klinischen Untersuchung und in Zusammenschau mit den vorgelegten medizinischen Beweismitteln. Das eingeholte Sachverständigengutachten steht mit den Erfahrungen des Lebens, der ärztlichen Wissenschaft und den Denkgesetzen nicht in Widerspruch. Auch ist dem Vorbringen sowie den vorliegenden Beweismitteln kein überzeugender Anhaltspunkt zu entnehmen, die Tauglichkeit der befassten Sachverständigen oder deren Beurteilung beziehungsweise Feststellungen in Zweifel zu ziehen. Die Abweichung zur behördlichen Beurteilung resultiert aus dem nunmehr fachärztlich neurologisch objektivierten Ausmaß des Gesundheitszustandes der Beschwerdeführerin unter Berücksichtigung der vorgelegten medizinischen Beweismittel.
2.3.1. Die befasste Sachverständige erläutert zur bei der Beschwerdeführerin bestehenden Multiplen Sklerose anschaulich, dass diese mit einer spastisch ataktischen Gangstörung und Fallneigung einhergehe. Sie beschreibt vor dem Hintergrund der erfolgten persönlichen Untersuchung und den vorliegenden medizinischen Beweismitteln schlüssig, dass infolge der bestehenden Grunderkrankung, welche einen langsamen progredienten Verlauf zeige, eine erhebliche Unsicherheit beim Gehen bestehe, die auch mit einer Sturzgefahr einhergehe. Einerseits liege eine leichte Schwäche in den Beinen vor und der Muskeltonus sei erhöht, wodurch das Gangbild spastisch imponiere. Andererseits komme eine ataktische Komponente hinzu, welche zum Schwanken beim Gehen führe und die Fallneigung weiter erhöhe. Insgesamt sei der Beschwerdeführerin daher das Zurücklegen einer Wegstrecke von 300 bis 400 m nicht mehr möglich, auch für kurze Wegstrecken die Verwendung von Hilfsmitteln erforderlich und das Gangbild deutlich verlangsamt. Die Sachverständige beschreibt dazu ergänzend, dass die Beschwerdeführerin Walkingstöcke verwende, um eine Stabilisierung bzw. Minderung der Sturzgefahr zu erreichen, ihr aber dennoch die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel nicht möglich sei. Das Gehen sei bereits auf geraden Strecken unsicher, sehr verlangsamt und erfordere hohe Konzentration. Unebenheiten könnten nur schwer und sehr langsam überwunden werden, was beim Ein– und Aussteigen bei öffentlichen Verkehrsmitteln noch maßgeblich verstärkt werde. Insgesamt sei durch die Verlangsamung und die Fallneigung ein sicherer und gefährdungsfreier Transport in öffentlichen Verkehrsmitteln nicht gewährleistet. Diese Beurteilung steht im Einklang mit dem von der Beschwerdeführerin vorgelegten Befund der Neurologischen Ambulanz des XXXX , in welchem dargestellt wird, dass die Beschwerdeführerin aufgrund der Paraspastik auch auf kurzen Strecken nur mit Unterstützung und Unterbrechungen wenige Schritte zurücklegen könne und ihr sowohl das Erreichen als auch die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel aufgrund der erforderlichen Gehstrecken und der Sturzneigung nicht zumutbar sei.
Das Unvermögen der Beschwerdeführerin, kürzere Wegstrecken ohne maßgebliche Unterbrechung und ohne fremde Hilfe zurückzulegen, öffentliche Verkehrsmittel zu besteigen bzw. diesen zu entsteigen sowie in diesen gefährdungsfrei transportiert zu werden, steht angesichts vorstehender Ausführungen nicht in Zweifel.
3. Rechtliche Beurteilung:
Gemäß § 45 Abs. 3 BBG hat in Verfahren auf Ausstellung eines Behindertenpasses, auf Vornahme von Zusatzeintragungen oder auf Einschätzung des Grades der Behinderung die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts durch den Senat zu erfolgen. Gegenständlich liegt somit Senatszuständigkeit vor.
Gemäß § 17 VwGVG sind, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.
Gemäß § 28 Abs. 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht, sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist, die Rechtssache durch Erkenntnis zu erledigen. Gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG hat das Verwaltungsgericht über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG dann in der Sache selbst zu entscheiden, wenn der maßgebliche Sachverhalt feststeht oder die Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts durch das Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist.
3.1. Zu Spruchpunkt A):
3.1.1. Zur Entscheidung in der Sache:
Unter Behinderung im Sinne des Bundesbehindertengesetzes (BBG), BGBl. Nr. 283/1990, ist die Auswirkung einer nicht nur vorübergehenden körperlichen, geistigen oder psychischen Funktionsbeeinträchtigung oder Beeinträchtigung der Sinnesfunktionen zu verstehen, die geeignet ist, die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft zu erschweren. Als nicht nur vorübergehend gilt ein Zeitraum von mehr als voraussichtlich sechs Monaten (§ 1 Abs. 2 BBG).
Behinderten Menschen mit Wohnsitz oder gewöhnlichem Aufenthalt im Inland und einem Grad der Behinderung oder einer Minderung der Erwerbsfähigkeit von mindestens 50vH (50%) ist nach Maßgabe der in § 40 Abs. 1 BBG näher bezeichneten Voraussetzungen auf Antrag vom Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen ein Behindertenpass auszustellen. Zusätzliche Eintragungen, die dem Nachweis von Rechten und Vergünstigungen dienen, sind auf Antrag des behinderten Menschen zulässig. Die Eintragung ist vom Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen vorzunehmen (§ 42 Abs. 1 BBG).
Anträge auf Ausstellung eines Behindertenpasses, auf Vornahme einer Zusatzeintragung oder auf Einschätzung des Grades der Behinderung sind unter Anschluss der erforderlichen Nachweise beim Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen einzubringen (§ 45 Abs. 1 BBG). Ein Bescheid ist nur dann zu erlassen, wenn einem Antrag gemäß Abs. 1 nicht stattgegeben, das Verfahren eingestellt (§ 41 Abs. 3) oder der Pass eingezogen wird.
Dem ausgestellten Behindertenpass kommt Bescheidcharakter zu (§ 45 Abs. 2 BBG).
Auf Antrag des Menschen mit Behinderung ist nach § 1 Abs. 4 der zum BBG ergangenen Verordnung über die Ausstellung von Behindertenpässen und von Parkausweisen, BGBl. II Nr. 495/2013, u.a. jedenfalls einzutragen:
3. die Feststellung, dass dem Inhaber/der Inhaberin des Passes die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung nicht zumutbar ist;
Die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel ist insbesondere dann nicht zumutbar, wenn das 36. Lebensmonat vollendet ist und
- erhebliche Einschränkungen der Funktionen der unteren Extremitäten oder
- erhebliche Einschränkungen der körperlichen Belastbarkeit oder
- erhebliche Einschränkungen psychischer, neurologischer oder intellektueller Fähigkeiten, Funktionen oder
- eine schwere anhaltende Erkrankung des Immunsystems oder
- eine hochgradige Sehbehinderung, Blindheit oder Taubblindheit nach § 1 Abs. 4 Z 1 lit. b oder d
vorliegen.
Grundlage für die Beurteilung, ob die Voraussetzungen für die in Abs. 4 genannten Eintragungen erfüllt sind, bildet ein Gutachten eines/einer ärztlichen Sachverständigen des Sozialministeriumservice. Soweit es zur ganzheitlichen Beurteilung der Funktionsbeeinträchtigungen erforderlich erscheint, können Experten/Expertinnen aus anderen Fachbereichen beigezogen werden. Bei der Ermittlung der Funktions-beeinträchtigungen sind alle zumutbaren therapeutischen Optionen, wechselseitigen Beeinflussungen und Kompensationsmöglichkeiten zu berücksichtigen (§ 1 Abs. 5 Verordnung über die Ausstellung von Behindertenpässen und von Parkausweisen).
In den Erläuterungen zur Verordnung über die Ausstellung von Behindertenpässen und von Parkausweisen wird u.a. Folgendes ausgeführt:
Zu § 1 Abs. 2 Z 3 (auszugsweise):
Mit der vorliegenden Verordnung sollen präzisere Kriterien für die Beurteilung der Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel festgelegt werden. Die durch die Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes bisher entwickelten Grundsätze werden dabei berücksichtigt.
Grundsätzlich ist eine Beurteilung nur im Zuge einer Untersuchung des Antragstellers/der Antragstellerin möglich. Im Rahmen der Mitwirkungspflicht des Menschen mit Behinderung sind therapeutische Möglichkeiten zu berücksichtigen. Therapierefraktion – das heißt keine therapeutische Option ist mehr offen – ist in geeigneter Form nachzuweisen. Eine Bestätigung des Hausarztes/der Hausärztin ist nicht ausreichend.
Durch die Verwendung des Begriffes „dauerhafte Mobilitätseinschränkung“ hat schon der Gesetzgeber (StVO-Novelle) zum Ausdruck gebracht, dass es sich um eine Funktionsbeeinträchtigung handeln muss, die zumindest 6 Monate andauert. Dieser Zeitraum entspricht auch den grundsätzlichen Voraussetzungen für die Erlangung eines Behindertenpasses.
Nachfolgende Beispiele und medizinische Erläuterungen sollen besonders häufige, typische Fälle veranschaulichen und richtungsgebend für die ärztlichen Sachverständigen bei der einheitlichen Beurteilung seltener, untypischer ähnlich gelagerter Sachverhalte sein. Davon abweichende Einzelfälle sind denkbar und werden von den Sachverständigen bei der Beurteilung entsprechend zu begründen sein.
Die Begriffe „erheblich“ und „schwer“ werden bereits jetzt in der Einschätzungsverordnung je nach Funktionseinschränkung oder Erkrankungsbild verwendet und sind inhaltlich gleichbedeutend.
Unter erheblicher Einschränkung der Funktionen der unteren Extremitäten sind ungeachtet der Ursache eingeschränkte Gelenksfunktionen, Funktionseinschränkungen durch Erkrankungen von Knochen, Knorpeln, Sehnen, Bändern, Muskeln, Nerven, Gefäßen, durch Narbenzüge, Missbildungen und Traumen zu verstehen. Zusätzlich vorliegende Beeinträchtigungen der oberen Extremitäten und eingeschränkte Kompensations-möglichkeiten sind zu berücksichtigen. Eine erhebliche Funktionseinschränkung wird in der Regel ab einer Beinverkürzung von 8 cm vorliegen.
Nach der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes ist die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel u.a. dann unzumutbar, wenn eine kurze Wegstrecke nicht aus eigener Kraft und ohne fremde Hilfe, allenfalls unter Verwendung zweckmäßiger Behelfe zurückgelegt werden kann oder wenn die Verwendung der erforderlichen Behelfe die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel in hohem Maße erschwert (die Wegstrecke von 300 bis 400m anerkennend VwGH 27.01.2015, GZ. 2012/11/0186; 27.05.2014, GZ. Ro 2014/11/0013; zu Prüfungserfordernissen hinsichtlich der zurückzulegenden Gehstrecke VwGH 23.05.2012, 2008/11/0128). Die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel ist auch dann nicht zumutbar, wenn sich die dauernde Gesundheitsschädigung auf die Möglichkeit des Ein- und Aussteigens und die sichere Beförderung in einem öffentlichen Verkehrsmittel unter Berücksichtigung der beim üblichen Betrieb dieser Verkehrsmittel gegebenen Bedingungen auswirkt. Zu prüfen ist die konkrete Fähigkeit, öffentliche Verkehrsmittel zu benützen. Zu berücksichtigen sind insbesondere zu überwindende Niveauunterschiede beim Aus- und Einsteigen, Schwierigkeiten beim Stehen, bei der Sitzplatzsuche, bei notwendig werdender Fortbewegung im Verkehrsmittel während der Fahrt (VwGH 22.10.2002, GZ. 2001/11/0242; 14.05.2009, 2007/11/0080).
Um die Frage der Zumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel beurteilen zu können, hat die Behörde zu ermitteln, ob der Antragsteller dauernd an seiner Gesundheit geschädigt ist und wie sich diese Gesundheitsschädigung nach ihrer Art und ihrer Schwere auf die Zumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel auswirkt. Sofern nicht die Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel auf Grund der Art und der Schwere der Gesundheitsschädigung auf der Hand liegt, bedarf es in einem Verfahren über einen Antrag auf Vornahme der Zusatzeintragung "Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauernder Gesundheitsschädigung" regelmäßig eines ärztlichen Sachverständigengutachtens, in dem die dauernde Gesundheitsschädigung und ihre Auswirkungen auf die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel in nachvollziehbarer Weise dargestellt werden. Nur dadurch wird die Behörde in die Lage versetzt, zu beurteilen, ob dem Betreffenden die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauernder Gesundheitsschädigung unzumutbar ist (VwGH 23.05.2012, GZ. 2008/11/0128, und die dort angeführte Vorjudikatur sowie 22. Oktober 2002, GZ. 2001/11/0242, 27.01.2015, GZ. 2012/11/0186).
Im vorliegenden Fall wurde der Beschwerdeführerin ein Behindertenpass ausgestellt. Im Mittelpunkt der Überlegungen zur beantragten Zusatzeintragung befinden sich die bestehenden Leidenszustände, Art und Ausmaß der damit einhergehenden Funktionsbeeinträchtigungen sowie deren konkrete Auswirkungen auf die Benützbarkeit öffentlicher Verkehrsmittel. Mit Blick auf den feststehenden Sachverhalt ist die Beschwerdeführerin auch unter Zuhilfenahme einer Gehhilfe nicht in der Lage, erforderliche Wegstrecken ohne erhebliche Pausen zurückzulegen, geringe Niveauunterschiede zu überwinden, sich während der Fahrt in öffentlichen Verkehrsmitteln festzuhalten und sohin sicher befördert zu werden. Die Voraussetzungen zur Vornahme der begehrten Zusatzeintragung liegen damit im Ergebnis vor, weshalb dem dahingehenden Antrag zu entsprechen und der Beschwerde Folge zu geben ist.
3.1.2. Zum Entfall einer mündlichen Verhandlung:
Das Verwaltungsgericht hat auf Antrag oder, wenn es dies für erforderlich hält, von Amts wegen eine öffentliche mündliche Verhandlung durchzuführen (§ 24 Abs. 1 VwGVG). Die Verhandlung kann u.a. entfallen, wenn der das vorangegangene Verwaltungsverfahren einleitende Antrag der Partei oder die Beschwerde zurückzuweisen ist oder bereits auf Grund der Aktenlage feststeht, dass der mit Beschwerde angefochtene Bescheid aufzuheben oder die angefochtene Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt für rechtswidrig zu erklären ist (§ 24 Abs. 2 Z 1 VwGVG).
Der Beschwerdeführer hat die Durchführung einer Verhandlung in der Beschwerde oder im Vorlageantrag zu beantragen. Den sonstigen Parteien ist Gelegenheit zu geben, binnen angemessener, zwei Wochen nicht übersteigender Frist einen Antrag auf Durchführung einer Verhandlung zu stellen. Ein Antrag auf Durchführung einer Verhandlung kann nur mit Zustimmung der anderen Parteien zurückgezogen werden (§ 24 Abs. 3 VwGVG).
Soweit durch Bundes- oder Landesgesetz nicht anderes bestimmt ist, kann das Verwaltungsgericht ungeachtet eines Parteiantrags von einer Verhandlung absehen, wenn die Akten erkennen lassen, dass die mündliche Erörterung eine weitere Klärung der Rechtssache nicht erwarten lässt, und einem Entfall der Verhandlung weder Art. 6 Abs. 1 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten, BGBl. Nr. 210/1958, noch Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union, ABl. Nr. C 83 vom 30.03.2010 S. 389 entgegenstehen (§ 24 Abs. 4 VwGVG).
Das Verwaltungsgericht kann von der Durchführung (Fortsetzung) einer Verhandlung absehen, wenn die Parteien ausdrücklich darauf verzichten. Ein solcher Verzicht kann bis zum Beginn der (fortgesetzten) Verhandlung erklärt werden. (§ 24 Abs. 5 VwGVG)
Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) hat mit Blick auf Art. 6 EMRK die Auffassung vertreten, dass eine Verhandlung nicht in jedem Fall geboten ist, und zwar insbesondere dann nicht, wenn keine Fragen der Beweiswürdigung auftreten oder die Tatsachenfeststellungen nicht bestritten sind, sodass eine Verhandlung nicht notwendig ist und das Gericht aufgrund des schriftlichen Vorbringens und der schriftlichen Unterlagen entscheiden kann (u.a. VwGH 01.09.2022, Ra 2021/03/0163 unter Verweis auf EGMR 18.7.2013, Nr. 56422/09, Schädler-Eberle/Liechtenstein, Rz 97 ff; EGMR 08.11.2016, Nr. 64160/11, Pönkä/Estland).
Maßgebend für die gegenständliche Beschwerdeentscheidung über den Antrag auf Vornahme der Zusatzeintragung „Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel“ in den Behindertenpass sind die Art und das Ausmaß der bei der Beschwerdeführerin festgestellten Gesundheitsschädigungen und deren Auswirkungen auf die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel. Zur Klärung des diesbezüglichen Sachverhaltes hat das Bundesverwaltungsgericht vom Sachverständigenbeweis Gebrauch gemacht und ein weiteres auf persönlicher Untersuchung basierendes neurologisch-psychiatrisches Sachverständigengutachten eingeholt. Im Rahmen des gerichtlich veranlassten Parteiengehörs haben die Verfahrensparteien vom zugrunde gelegten Sachverständigenbeweis vollinhaltlich Kenntnis erlangt, bei dieser Gelegenheit aber keine Einwendungen erhoben oder ein entgegenstehendes sachverhaltsbezogenes Vorbringen erstattet, sodass Bestreitungen der entscheidungswesentlichen Tatsachen oder der diese stützenden beweiswürdigenden Erwägungen damit nicht länger zu sehen sind.
Im Ergebnis ist der Sachverhalt geklärt und lässt die Aktenlage mit Blick auf die vorstehenden Erwägungen erkennen, dass eine weitere Klärung der Rechtssache durch eine mündliche Erörterung nicht zu erwarten ist. Die Durchführung einer mündlichen Verhandlung kann daher unterbleiben (vgl. zum Entfall der mündlichen Verhandlung u.a. VwGH 20.02.2023, Ra 2022/11/0144; zu den verfassungsgesetzlichen Implikationen vgl. etwa VfGH E 1873/2020; VfGH 09.06.2017, E 1162/2017).
3.2. Zur Unzulässigkeit der Revision in Spruchpunkt B):
Gemäß § 25a Abs. 1 des Verwaltungsgerichtshofgesetzes 1985 (VwGG) hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
Konkrete Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung sind weder in der gegenständlichen Beschwerde vorgebracht worden noch im Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht hervorgekommen. Die vorliegende Entscheidung hängt von im Einzelfall zu beurteilenden Tatsachenfragen ab, maßgebend sind die Art der festgestellten Funktionsbeeinträchtigungen, deren Ausmaß und die im konkreten Fall bestehenden Auswirkungen auf die Benützbarkeit öffentlicher Verkehrsmittel. Das Bundesverwaltungsgericht kann sich bei allen erheblichen Rechtsfragen auf eine ständige in Klammern zitierte Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes bzw. auf eine ohnehin klare Rechtslage stützen.