JudikaturBVwG

I419 2301938-1 – Bundesverwaltungsgericht Entscheidung

Entscheidung
30. Juni 2025

Spruch

I419 2301938-1/8E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Dr. Tomas JOOS als Vorsitzenden sowie die fachkundigen Laienrichter MMag. Marc Deiser und Thomas Geiger MBA als Beisitzer über die Beschwerde von XXXX , vertreten durch die Arbeiterkammer Tirol, gegen den Bescheid des AMS XXXX vom 27.08.2024, Zl. XXXX , wegen Einstellung der Notstandshilfe, zu Recht erkannt:

A) Der Beschwerde wird Folge gegeben und der angefochtene Bescheid abgeändert, sodass der Spruch lautet:

„Gemäß § 33 in Verbindung mit § 24 Abs. 1, §§ 7 und 12 AlVG wird die Notstandshilfe mangels Arbeitslosigkeit vom 01.08.2024 bis 12.08.2024 eingestellt.“

B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang:

1. Mit dem bekämpften Bescheid der belangten Behörde wurde der Beschwerdeführerin die Notstandshilfe mangels Arbeitslosigkeit ab dem 01.08.2024 eingestellt.

Begründend wurde ausgeführt, dass die Beschäftigung beim Verein Z. aufgrund ihrer Überschneidung mit der vollversicherten Beschäftigung bei der S. OHG bis 12.08.2024 der Pflichtversicherung in der Arbeitslosenversicherung (sowie Pensionsversicherung) unterlegen sei.

2. In der Beschwerde wird vorgebracht, das Dienstverhältnis zum Verein bestehe unverändert seit 01.02.2022 und sei daher keine „neue“ Beschäftigung. Der Beschwerdeführerin stehe ab dem 19.08.2024 eine Leistung aus der Arbeitslosenversicherung in der gesetzlichen Höhe zu.

3. Die belangte Behörde legte die Beschwerde mit der Stellungnahme vor, dass sich bedingt durch ein genanntes Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes die Beurteilung der Arbeitslosenversicherungspflicht im Zusammenhang mit geringfügigen Beschäftigungen in diversen Konstellationen komplett geändert habe. Für den Zeitraum des Zusammentreffens einer geringfügigen mit einer vollversicherten Beschäftigung liege eine Vollversicherung vor - somit auch Arbeitslosenversicherung für das geringfügige Dienstverhältnis, die mit dem vollversicherten Dienstverhältnis beginne und ende. Somit sei die geringfügige Beschäftigung der Beschwerdeführerin beim Verein im Zeitraum von 01. bis 12.08.2024 arbeitslosenversicherungspflichtig. Da die Beschwerdeführerin diese geringfügige Beschäftigung weiterhin ausübe, ergebe sich „die Problematik“ des § 12 Abs. 3 lit. h AlVG, da diese Beschäftigung übergangslos von arbeitslosenversicherungspflichtig als nunmehr geringfügig fortgeführt worden sei.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

Der Verfahrensgang wird festgestellt, wie eben in I. wiedergegeben. Ferner wird festgestellt:

1. Die Beschwerdeführerin steht seit 01.02.2022 in einem geringfügigen Dienstverhältnis beim Verein Z. und stand von 01. bis 12.08.2024 zugleich in einem vollversicherungspflichtigen Dienstverhältnis bei der S. OHG. Das monatliche Einkommen aus dem geringfügigen Dienstverhältnis lag und liegt unter der im Jahr 2024 gültigen monatlichen Geringfügigkeitsgrenze von € 518,44.

2. Bei der Wiedermeldung der Beschwerdeführerin am 16.08.2024 hat das AMS sie über die AlVG-Versicherungspflicht des geringfügigen Dienstverhältnisses im Fall mehrerer gleichzeitiger Beschäftigungen informiert, deren Entgelte die „Geringfügigkeitsgrenze“ zusammen überschreiten, worauf sie ankündigte, das geringfügigen Dienstverhältnis zum Verein beenden zu wollen. Bei einem weiteren Kontakt drei Tage später, bei dem die Möglichkeit Thema war, im Fall anderer Beschäftigungen als der beim Verein jene bei diesem zu unterbrechen, gab sie an, zu fürchten, dass sie die beim Verein dann gänzlich verlöre.

3. Vor ihrer Beschäftigung bei der S. OHG und danach bezog die Beschwerdeführerin Notstandshilfe, also bis 31.07. und ab 13.08.2024 (bis 18.09.2024).

2. Beweiswürdigung:

Beweis wurde erhoben durch Einsichtnahme in den vorgelegten Verwaltungsakt der belangten Behörde, den Gerichtsakt sowie in das Register der Sozialversicherungszeiten Auszug.

Als Datum der Wiedermeldung war der 16.08.2024 heranzuziehen, zumal als Erstellungsdatum im Vermerk der belangen Behörde der 16.08.2024 ersichtlich ist und ausschließlich in diesem Vermerk von der Wiedermeldung der Beschwerdeführerin die Rede ist.

3. Rechtliche Beurteilung:

Zu A) Stattgebung der Beschwerde:

3.1 Arbeitslos ist, wer eine (unselbständige oder selbständige) Erwerbstätigkeit (Beschäftigung) beendet hat (Z. 1); nicht mehr der Pflichtversicherung in der Pensionsversicherung unterliegt oder dieser ausschließlich auf Grund eines Einheitswertes, der kein Einkommen über der Geringfügigkeitsgrenze erwarten lässt, unterliegt oder auf Grund des Weiterbestehens der Pflichtversicherung für den Zeitraum, für den Kündigungsentschädigung gebührt oder eine Ersatzleistung für Urlaubsentgelt oder eine Urlaubsabfindung gewährt wird (§ 16 Abs. 1 lit. k und l), unterliegt (Z. 2) und keine neue oder weitere (unselbständige oder selbständige) Erwerbstätigkeit (Beschäftigung) ausübt (Z. 3).

Gemäß § 12 Abs. 3 lit. h AlVG liegt Arbeitslosigkeit dann nicht vor, wenn bei Aufnahme einer geringfügigen Beschäftigung beim selben Dienstgeber zwischen einer vorhergehenden vollversicherten Beschäftigung und der neuen geringfügigen Beschäftigung kein Zeitraum von mindestens einem Monat gelegen ist.

Hingegen gilt jedoch jemand nach § 12 Abs. 6 AlVG als arbeitslos, wer aus einer oder mehreren Beschäftigungen ein Entgelt erzielt, das die im § 5 Abs. 2 ASVG angeführten Beiträge nicht übersteigt.

3.2 Aus dem Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom 06.03.2023, G 296/2022, mit der Aufhebung der Wortfolge „Abs. 2“ in § 1 Abs. 4 AlVG (betreffend die Abgrenzung des Kreises der in der Arbeitslosenversicherung Pflichtversicherten) ergibt sich zufolge der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes, dass dass nun alle Dienstnehmerinnen und Dienstnehmer, die aus einer oder mehreren Beschäftigungen ein Entgelt erzielen, das die Geringfügigkeitsgrenze des § 5 Abs. 2 ASVG übersteigt, gemäß § 1 Abs. 1 lit. a AlVG arbeitslosenversichert sind. Die Pflichtversicherung in der Arbeitslosenversicherung besteht also auch für geringfügige Beschäftigungsverhältnisse, wenn das daraus zustehende Entgelt zusammen mit dem Entgelt aus weiteren (geringfügigen oder vollversicherten) Beschäftigungsverhältnissen über der Geringfügigkeitsgrenze liegt. Das bedeutet aber nicht, dass dem formell unveränderten § 12 Abs. 1 iVm Abs. 6 lit. a AlVG nun ein anderer Inhalt beizumessen wäre. Weiterhin steht daher eine (sei es nicht beendete, sei es neu aufgenommene) bloß geringfügige Beschäftigung der Arbeitslosigkeit grundsätzlich nicht entgegen. Es genügt somit, dass gemäß § 12 Abs. 1 Z. 1 AlVG (zumindest) eine anwartschaftsbegründende Erwerbstätigkeit beendet wird und gemäß Z. 2 keine Pflichtversicherung in der Pensionsversicherung mehr besteht sowie mit dem/den verbleibenden oder/und neu hinzukommenden Entgeltanspruch/Entgeltansprüchen insgesamt nicht (mehr) die Geringfügigkeitsgrenze überschritten wird. (VwGH 19.11.2024, Ra 2024/08/0103, Rz. 11 f, mwN)

3.3 Folglich war die Beschwerdeführerin – deren Einkommen nur während ihrer vollversicherungspflichtigen Beschäftigung bei der S. OHG die Geringfügigkeitsgrenze überschritt – auch nur in der Zeit vom 01.08.2024 bis 12.08.2024 nicht arbeitslos.

3.4 Das AMS bringt dazu vor, es ergebe sich die „Problematik“ des § 12 Abs. 3 lit. h AlVG, weil die Beschäftigung beim Verein übergangslos von arbeitslosenversicherungspflichtig „als nunmehr geringfügig“ fortgeführt worden sei. Diese Bestimmung ist aber schon ihrem klaren Wortlaut nach nicht auf eine Konstellation wie die hier vorliegende anzuwenden. Die Aufnahme einer geringfügigen Beschäftigung beim selben Dienstgeber - also eine bestimmte vertragliche Gestaltung - kann nicht mit dem Wegfall der Vollversicherungspflicht wegen des Nichtüberschreitens der Geringfügigkeitsgrenze infolge der Beendigung einer anderen Beschäftigung gleichgesetzt werden. (VwGH 19.11.2024, Ra 2024/08/0103, Rz. 14)

3.5 Hat die arbeitslose Person den Eintritt eines Unterbrechungs- oder Ruhenstatbestandes wie z. B. die bevorstehende Aufnahme eines Dienstverhältnisses ab einem bestimmten Tag mitgeteilt, so wird nach § 46 Abs. 6 AlVG der Bezug von Arbeitslosengeld ab diesem Tag unterbrochen. Erfolgt (von Ausnahmen abgesehen) die Wiedermeldung nicht binnen einer Woche nach der Unterbrechung, so gebührt dieser Bestimmung zufolge das Arbeitslosengeld erst wieder ab dem Tag der Wiedermeldung. Da für die Notstandshilfe nichts anderes bestimmt ist, gilt das nach § 38 AlVG auch für diese.

3.6 Nach §§ 46 Abs. 6 iVm 38 AlVG gebührt der Beschwerdeführerin demnach ab dem 13.08.2024 wiederum Notstandshilfe, zumal sie sich binnen einer Woche nach der Unterbrechung (bis 12.08.2024), nämlich am 16.08.2024, bei der regionalen Geschäftsstelle wieder gemeldet hat.

3.7 Somit war der Beschwerde spruchgemäß stattzugeben und auszusprechen, dass die Einstellung der Notstandshilfe lediglich für den Zeitraum der vollversicherungspflichtigen Beschäftigung (01. bis 12.08.2024) gilt. Ab dem Ende der vollversicherungspflichtigen Beschäftigung (13.08.2024) gebührt der Beschwerdeführerin sohin wiederum Notstandshilfe im gesetzlich vorgesehen Umfang.

4. Zum Unterbleiben einer Verhandlung:

Gemäß § 24 Abs. 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht auf Antrag oder, wenn es dies für erforderlich hält, von Amts wegen eine öffentliche mündliche Verhandlung durchzuführen.

Nach § 24 Abs. 4 VwGVG kann das Verwaltungsgericht, soweit durch Bundes- oder Landesgesetz nicht anderes bestimmt ist, ungeachtet eines Antrages von einer Verhandlung absehen, wenn die Akten erkennen lassen, dass die mündliche Erörterung eine weitere Klärung der Rechtssache nicht erwarten lässt, und einem Entfall der Verhandlung weder Art. 6 Abs. 1 der Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten, BGBl. Nr. 210/1958, noch Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union, ABl. Nr. C 83 vom 30.03.2010 S. 389 entgegenstehen.

Fallbezogen liegt dem Bundesverwaltungsgericht ein umfassender Verwaltungsakt mit einem ausreichenden Ermittlungsverfahren und entsprechenden Ermittlungsergebnissen vor.

Eine mündliche Erörterung und die Einvernahme der Parteien hätte daher keine weitere Klärung der Rechtssache erwarten lassen. Der Sachverhalt war entscheidungsreif im Sinne des eben angeführten § 24 Abs. 4 VwGVG. Im vorliegenden Fall war lediglich die Rechtsfrage des Vorliegens der Arbeitslosigkeit gemäß § 12 AlVG zu klären, die sich aufgrund der eindeutigen Rechtslage auch nicht als besonders komplex erwies.

Zu B) (Un)Zulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung zur Arbeitslosenversicherungspflicht beim Zusammentreffen mehrerer Einkommen, von denen mindestens eines geringfügig ist, und die zusammen die Geringfügigkeitsgrenze überschreiten. Weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.

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