JudikaturBVwG

G303 2296733-1 – Bundesverwaltungsgericht Entscheidung

Entscheidung
27. Juni 2025

Spruch

G303 2296733-1/5E

Schriftliche Ausfertigung des am 08.05.2025 mündlich verkündeten Erkenntnisses:

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag. Simone KALBITZER als Vorsitzende sowie die Richterin Dr. Eva WENDLER und den fachkundigen Laienrichter Herbert REITER als Beisitzer über die Beschwerde von XXXX , geboren am XXXX , vertreten durch Bevollmächtigte des Kriegsopfer-Behindertenverband, Wielandgasse 14-16/III, 8010 Graz, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Soziales und Behindertenwesen, Landesstelle Steiermark, vom 10.04.2024, OB: XXXX , betreffend die Abweisung des Antrages auf Vornahme der Zusatzeintragung „Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung“ in den Behindertenpass, nach Erlassung einer Beschwerdevorentscheidung vom 25.07.2024 und Vorlageantrag vom 30.07.2024, und nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 08.05.2025, zu Recht erkannt:

A) Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen und die Beschwerdevorentscheidung vom 25.07.2024 bestätigt.

B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig.

Text

Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang:

1. Der Beschwerdeführer (im Folgenden: BF) brachte am 25.05.2023 über die Zentrale Poststelle des Sozialministeriumservice beim Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen, Landesstelle Steiermark, (im Folgenden: belangte Behörde), einen Antrag auf Ausstellung eines Ausweises gemäß § 29b Straßenverkehrsordnung 1960 (Parkausweis) ein. Dem Antrag waren ein Schreiben des BF sowie ein Konvolut an medizinischen Beweismitteln angeschlossen.

Der Antrag auf Ausstellung eines Ausweises gemäß § 29b StVO gilt entsprechend dem Antragsformular der belangten Behörde auch als Antrag auf Ausstellung eines Behindertenpasses bzw. auf Vornahme der Zusatzeintragung "Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel" in den Behindertenpass.

2. Im Rahmen des seitens der belangten Behörde durchgeführten Ermittlungsverfahrens wurde ein medizinisches Sachverständigengutachten eingeholt.

2.1. In dem Gutachten von Dr. XXXX , Fachärztin für Innere Medizin und Allgemeinmedizin, vom 17.11.2023 (vidiert am selben Tag von Dr. XXXX ), wurde aufgrund einer persönlichen Untersuchung des BF am 31.08.2023 betreffend die beantragte und verfahrensgegenständliche Zusatzeintragung in den Behindertenpass zusammengefasst Folgendes festgehalten:

Es würden sich weiterhin keine Hinweise für eine derart hochgradige dauerhafte Funktionseinschränkung im Bewegungs- und Stützapparat, dem cardiopulmonalen System oder andere gleichrangige Einschränkungen finden, die die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel auf Dauer nicht zulassen würden. Auch das bekannte Vorhandensein einer Neoblase mit externer Ableitung (Urostoma) und entsprechend notwendiger Versorgung stelle weiterhin keine dauerhafte hochgradige Mobilitätseinschränkung dar, sodass das Benützen öffentlicher Verkehrsmittel weiterhin möglich sei, auch wenn es verständlich sei, dass die Harnbeutelentleerung und das Mitführen entsprechender Verbrauchsmaterialien im KFZ für den BF zu einer Erleichterung beitragen würden. Das Entleeren des Harnbeutels sei einfach und planbar und könne selbstständig vom BF auch in öffentlichen Toiletten durchgeführt werden. Eine schwere Erkrankung des Immunsystems liege nicht vor.

3. Mit Schreiben der belangten Behörde vom 28.11.2023 wurde dem BF das Ergebnis der Beweisaufnahme zur Kenntnis gebracht und mitgeteilt, dass die Voraussetzung für die Ausstellung eines Parkausweises der Besitz eines Behindertenpasses mit der Zusatzeintragung „Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung“ sei. Diese Voraussetzung würde jedoch derzeit nicht vorliegen.

Es wurde dem BF die Möglichkeit eingeräumt, dazu binnen zwei Wochen ab Zustellung eine schriftliche Stellungnahme einzubringen.

4. Mit Schreiben vom 10.12.2023, bei der belangten Behörde eingelangt am 12.12.2023, brachte der BF im Rahmen seines Parteiengehörs zusammengefasst vor, dass er wieder zur Kenntnis nehmen müsse, dass Urostoma Patienten Menschen zweiter Klasse seien und diese eklatant benachteiligt werden würden.

5. Am 11.01.2024 langte bei der belangten Behörde ein Schreiben des BF sowie ein Konvolut an aktuellen medizinischen Beweismitteln ein.

6. Die belangte Behörde ersuchte aufgrund der gemachten Einwendungen des BF die ärztliche Sachverständige Dr. XXXX um ein Sachverständigengutachten aufgrund der Aktenlage. In diesem Gutachten vom 05.04.2024 (vidiert am 08.04.2024 von Dr. XXXX ) wurde ausgeführt, dass es seit der letzten Begutachtung zu keiner Verschlechterung des Allgemeinzustandes gekommen sei, der die Unzumutbarkeit für die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel rechtfertigen würde. Sowohl ein Urostoma als auch ein Kolostoma würden keine Einschränkung im Hinblick auf die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel darstellen, auch wenn dies für den BF verständlicherweise nicht nachvollziehbar sei, nachdem er sich dadurch sehr eingeschränkt und in der Gesellschaft benachteiligt fühle.

7. Mit dem im Spruch angeführten Bescheid der belangten Behörde vom 10.04.2024 wurde der Antrag des BF vom 25.05.2023 auf Vornahme der Zusatzeintragung „Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung“ in den Behindertenpass abgewiesen.

Gestützt wurde die Entscheidung der belangten Behörde auf das Ergebnis des ärztlichen Begutachtungsverfahrens. Danach würden die Voraussetzungen für die verfahrensgegenständliche Zusatzeintragung nicht vorliegen. Die Ergebnisse des ärztlichen Begutachtungsverfahrens wurden zum Bestandteil der Begründung des Bescheides erklärt und die oben angeführten Gutachten von Dr. XXXX vom 17.11.2023 und vom 08.04.2024 wurden dem angefochtenen Bescheid als Beilagen angeschlossen. In der rechtlichen Begründung des angefochtenen Bescheides wurden die maßgeblichen Bestimmungen des Bundesbehindertengesetzes und der Verordnung über die Ausstellung von Behindertenpässen und von Parkausweisen zitiert. Des Weiteren wurden die maßgeblichen Kriterien, welche entsprechend der höchstgerichtlichen Judikatur für die gegenständliche Zusatzeintragung relevant sind, angeführt.

8. Gegen diesen Bescheid erhob der nunmehr durch den Kriegsopfer-Behindertenverband (im Folgenden: KOBV) rechtsfreundlich vertretene BF mit Schreiben vom 07.05.2024 fristgerecht Beschwerde. Darin wird zusammengefasst vorgebracht, dass dem BF aufgrund des Urostomas, der erforderlichen Entleerung des Harnbeutels mehrmals stündlich und der dabei stark erhöhten Infektionsgefahr die Benützung eines öffentlichen Verkehrsmittels nicht mehr zumutbar sei. Zudem sei das Mitführen aller benötigter Verbrauchsmaterialien inkl. Notfallset mit Stomaersatz und auch von Ersatzkleidungsstücken in einem öffentlichen Verkehrsmittel praktisch nicht möglich. Es wurden die Einholung von Gutachten aus den Fachbereichen Innere Medizin und Urologie sowie die Durchführung einer mündlichen Verhandlung beantragt. Mit der Beschwerde wurden eine Vertretungsvollmacht des KOBV sowie ein Konvolut an medizinischen Unterlagen vorgelegt.

9. Im Rahmen des Verfahrens zur Erlassung einer Beschwerdevorentscheidung holte die belangte Behörde eine Stellungnahme von Dr. XXXX , Fachärztin für Innere Medizin und Allgemeinmedizin, ein. In dieser Stellungnahme vom 08.07.2024 (vidiert am selben Tag von Dr. XXXX ), wurde betreffend die beantragte und verfahrensgegenständliche Zusatzeintragung zusammengefasst Folgendes festgehalten:

Es würden sich in den zusätzlich vorgelegten Befunden keine Hinweise auf rezidivierende Harnwegsinfekte durch Infektionen im Umgang mit dem Urostoma, welches regelmäßig zu entleeren sei, finden. Es sei auch nicht erforderlich den Stomabeutel bei jeder Entleerung zu wechseln, sondern nur abzulassen. Auch werde keine Undichtheit des Stomaverschlusses an der Halteplatte beschrieben, weswegen der BF eingeschränkt sei. Somit würde sich weiterhin kein Hinweis auf eine dauerhafte hochgradige Einschränkung der Mobilität, die die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel nicht zulassen würde, finden. Es sei weiterhin möglich in öffentlichen Toiletten die Harnbeutelentleerung geplant und hygienisch durchzuführen, auch wenn es verständlich sei, dass das Mitführen der Verbrauchsmaterialien für den BF aufwendig sei.

10. Mit Beschwerdevorentscheidung vom 25.07.2024 wurde die Beschwerde des BF gegen den oben angeführten Bescheid vom 10.04.2024 abgewiesen, da die Voraussetzungen für die Zusatzeintragung nicht vorliegen würden. Dies erfolgte unter Zugrundelegung der medizinischen Gutachten von Dr. XXXX vom 17.11.2023 und vom 08.04.2024 und ihrer medizinischen Stellungnahme vom 08.07.2024. Diese wurden der Beschwerdevorentscheidung angeschlossen und zum Bestandteil der Begründung dieses Bescheides erklärt. In der rechtlichen Begründung der Beschwerdevorentscheidung wurden die maßgeblichen Bestimmungen des Bundesbehindertengesetzes zitiert.

11. Mit Schreiben vom 30.07.2024 stellte der BF durch seine rechtsfreundliche Vertretung fristgerecht einen Vorlageantrag.

12. Die gegenständliche Beschwerde, der Vorlageantrag und die bezughabenden Verwaltungsakten wurden dem Bundesverwaltungsgericht von der belangten Behörde am 01.08.2024 vorgelegt.

13. Am 08.05.2025 fand vor dem Bundesverwaltungsgericht eine öffentliche mündliche Verhandlung statt, an welcher der BF, seine Rechtsvertretung und die Amtssachverständige Dr. XXXX , Ärztin für Allgemeinmedizin, teilnahmen. Nach Schluss der Verhandlung wurde das gegenständliche Erkenntnis mündlich verkündet.

14. Der BF brachte am 12.05.2025 durch seine Rechtsvertretung einen Antrag auf schriftliche Ausfertigung des Erkenntnisses ein.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

Der BF ist am XXXX geboren und ist im Besitz eines Behindertenpasses mit einem eingetragenen Grad der Behinderung in Höhe von 80 von Hundert.

Der BF leidet an folgenden behinderungsrelevanten Gesundheitsschädigungen:

- Zustand nach kombiniertem Harnblasen- und Prostatakarzinom mit ausgedehnter Organentfernung (01/2021) und Anlage einer Neoblase und Versorgung mit künstlichem Harnausgang (Urostoma)

- Generalisierte Erkrankung des Bewegungsapparates mit funktionellen Auswirkungen mittleren Grades

- Nierensteinleiden beidseits

- Diabetes mellitus, Typ II

- Inhalationsallergien mit Bedarfsmedikation und kleine nicht maligne Lungenrundherde

Erhebliche Einschränkungen der körperlichen Belastbarkeit sind nicht gegeben. Erhebliche Einschränkungen der unteren Extremitäten liegen nicht vor. Eine kurze Wegstrecke ist für den BF bewältigbar; das Ein- und Aussteigen in bzw. aus öffentlichen Verkehrsmittel ist dem BF bei üblichem Niveauunterschied ohne fremde Hilfe möglich. Der sichere Transport ist bei üblichen Transportbedingungen gewährleistet. Erhebliche psychische oder intellektuelle Einschränkungen, eine schwere anhaltende Immunerkrankung bzw. eine hochgradige Sehbehinderung, Blindheit oder Taubblindheit konnten nicht festgestellt werden.

Nach der Entfernung der Harnblase im Jahr 2021 besteht beim BF ein künstlicher Ausgang für die Harnausscheidung (Urostoma). Der Umgang mit dem Urostoma ist dem BF vertraut. Es konnten keine wesentlichen Komplikationen, wie zum Beispiel eine Undichtheit oder erhöhte Harnwegsinfektionen, festgestellt werden. Die Entleerungsintervalle für die Harnbeutelentleerung in bis zu stündlichen Abständen sind im Nahverkehr gut planbar und im Fernverkehr durch Vorhandensein von Toiletten in Bussen und Zügen ebenfalls durchführbar. Das Urostoma selbst wird vom BF einmal am Tag gewechselt. Einschränkungen in der Funktionsfähigkeit des Urostomas beschränken sich auf absolute Ausnahmefälle.

2. Beweiswürdigung:

Der oben unter Punkt I. angeführte Verfahrensgang, die Feststellungen zum Geburtsdatum des BF und zum Besitz des Behindertenpasses ergeben sich aus dem unzweifelhaften und unbestrittenen Akteninhalt der vorgelegten Verwaltungsakten der belangten Behörde, der Beschwerde, dem Vorlageantrag und dem vorliegenden Gerichtsakt des Bundesverwaltungsgerichtes. Die getroffenen Feststellungen beruhen auf den Ergebnissen des vom erkennenden Gericht in der mündlichen Verhandlung und aufgrund der vorliegenden Akten durchgeführten Ermittlungsverfahrens und werden in freier Beweiswürdigung der gegenständlichen Entscheidung als maßgeblicher Sachverhalt zugrunde gelegt. Die seitens der belangten Behörde eingeholten medizinische Sachverständigengutachten von Dr. XXXX vom 17.11.2023 und 08.04.2024, welche dem angefochtenen Bescheid zugrunde liegen, sind vollständig, schlüssig und widerspruchsfrei. Die festgestellten Gesundheitsschädigungen und deren Auswirkungen auf die Benützung von öffentlichen Verkehrsmitteln ergeben sich daraus. Die gutachterlichen Ausführungen der Amtssachverständigen Dr. XXXX , Ärztin für Allgemeinmedizin, in der mündlichen Verhandlung am 08.05.2025 stehen mit den oben angeführten Sachverständigengutachten in Einklang. Es konnte dadurch zweifelsfrei festgestellt werden, dass beim BF keine Einschränkungen und Erkrankungen, welche in der Verordnung des Bundesministers für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz über die Ausstellung von Behindertenpässen und von Parkausweisen genannt sind, vorliegen.

Erhebliche Einschränkungen des Stütz- und Bewegungsapparates oder der körperlichen Belastbarkeit konnten aufgrund der vorliegenden medizinischen Beweismittel nicht objektiviert werden und wurden vom BF auch nicht behauptet. Dadurch konnte angenommen werden, dass für den BF eine kurze Wegstrecke bewältigbar und das Ein- und Aussteigen in bzw. aus dem öffentlichen Verkehrsmittel bei üblichem Niveauunterschied ohne fremde Hilfe möglich ist. Es bestehen auch keine Anhaltspunkte dafür, dass der sichere Transport unter den üblichen Transportbedingungen nicht gewährleistet wäre.

Der BF begründet sein Begehren auf Feststellung der Unzumutbarkeit öffentlicher Verkehrsmittel ausschließlich damit, dass er ein Urostoma hat und der Harnbeutel zumindest stündlich entleert werden müsse und die Infektionsgefahr dadurch stark erhöht sei.

Die getroffenen Feststellungen bezüglich des vorhandenen Urostomas basieren einerseits auf die eingeholten Sachverständigengutachten im Verwaltungsverfahren und den gutachterlichen Ausführungen der Amtssachverständigen Dr. XXXX in der mündlichen Verhandlung und anderseits auf den Angaben des BF selbst.

So gab der BF in der mündlichen Verhandlung an, dass er sein Urostoma einmal am Tag wechsle, die Harnbeutelentleerung stündlich erfolge, derzeit keine erhöhten Harnwegsinfektionen vorliegen und lediglich zirka einmal im Jahr das Urostoma nicht funktioniere. Auch gab der BF auf Nachfrage an, dass er den Umgang mit dem Urostoma gut im Griff habe.

Aus Sicht des erkennenden Senates sind daher die Entleerungsintervalle für die Harnbeutelentleerung in bis zu stündlichen Abständen im Nahverkehr gut planbar und im Fernverkehr durch Vorhandensein von Toiletten in Bussen und Zügen ebenfalls durchführbar, insbesondere ergibt sich auch aus dem Sachverständigengutachten von Dr. XXXX vom 05.04.2024, dass die Entleerung des Harnbeutels einfach und planbar ist.

Die Einholung von weiteren ärztlichen Sachverständigengutachten der Fachbereiche Innere Medizin und Urologie – wie in der Beschwerde beantragt – , war aufgrund der Schlüssigkeit der eingeholten Gutachten der belangten Behörde und den gutachterlichen Ausführungen von Dr. XXXX im Rahmen der mündlichen Verhandlung und des dadurch geklärten Sachverhaltes nicht erforderlich. Zudem besteht auch kein Anspruch auf die Zuziehung eines Facharztes eines bestimmten medizinischen Teilgebietes (vgl. VwGH 24.06.1996, Zl. 96/08/0014=ZfVB 1998/5/1441).

3. Rechtliche Beurteilung:

3.1. Zuständigkeit und anzuwendendes Recht:

Gemäß § 6 des Bundesgesetzes über die Organisation des Bundesverwaltungsgerichtes (Bundesverwaltungsgerichtsgesetz – BVwGG, BGBl. I Nr. 10/2013 in der geltenden Fassung) entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist.

Gemäß § 45 Abs. 3 BBG (Bundesbehindertengesetz, BGBl. Nr. 283/1990 in der geltenden Fassung) hat in Verfahren auf Ausstellung eines Behindertenpasses, auf Vornahme von Zusatzeintragungen oder auf Einschätzung des Grades der Behinderung die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts durch den Senat zu erfolgen.

Bei Senatsentscheidungen in Verfahren gemäß § 45 Abs. 3 BBG hat eine Vertreterin oder ein Vertreter der Interessenvertretung der Menschen mit Behinderung als fachkundige Laienrichterin oder fachkundiger Laienrichter gemäß § 45 Abs. 4 BBG mitzuwirken.

Gegenständlich liegt somit Senatszuständigkeit vor.

Das Verfahren der Verwaltungsgerichte mit Ausnahme des Bundesfinanzgerichtes ist durch das Bundesgesetz über das Verfahren der Verwaltungsgerichte (Verwaltungsgerichts-verfahrensgesetz – VwGVG, BGBl. I Nr. 33/2013 in der geltenden Fassung) geregelt (§ 1 leg.cit.).

Gemäß § 58 Abs. 2 VwGVG bleiben entgegenstehende Bestimmungen, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Bundesgesetzes bereits kundgemacht wurden, in Kraft.

Gemäß § 17 VwGVG sind, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG, BGBl. Nr. 1/1930 in der geltenden Fassung) die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.

Im Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG steht es der Behörde im Rahmen einer Beschwerdevorentscheidung gemäß § 14 Abs. 1 VwGVG frei, den angefochtenen Bescheid innerhalb von zwei Monaten aufzuheben, abzuändern oder die Beschwerde zurückzuweisen oder abzuweisen. Abweichend davon beträgt die Frist zur Erlassung einer Beschwerdevorentscheidung gemäß § 46 BBG zwölf Wochen.

Gemäß § 15 VwGVG kann jede Partei binnen einer Frist von zwei Wochen nach Zustellung der Beschwerdevorentscheidung bei der Behörde den Antrag stellen, dass die Beschwerde dem Verwaltungsgericht zur Entscheidung vorgelegt wird (Vorlageantrag).

Gemäß § 27 VwGVG hat das Verwaltungsgericht, soweit nicht Rechtswidrigkeit wegen Unzuständigkeit der Behörde gegeben ist, den angefochtenen Bescheid aufgrund der Beschwerde (§ 9 Abs. 1 Z 3 und 4 VwGVG) zu überprüfen.

Gemäß § 28 Abs. 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht, sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist, die Rechtssache durch Erkenntnis zu erledigen.

Gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG hat das Verwaltungsgericht über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG dann in der Sache selbst zu entscheiden, wenn der maßgebliche Sachverhalt feststeht oder die Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts durch das Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist.

3.2. Zu Spruchteil A):

Unter Behinderung im Sinne des Bundesbehindertengesetzes ist gemäß § 1 Abs. 2 BBG die Auswirkung einer nicht nur vorübergehenden körperlichen, geistigen oder psychischen Funktionsbeeinträchtigung oder Beeinträchtigung der Sinnesfunktionen zu verstehen, die geeignet ist, die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft zu erschweren. Als nicht nur vorübergehend gilt ein Zeitraum von mehr als voraussichtlich sechs Monaten.

Der Behindertenpass hat gemäß § 42 Abs. 1 BBG den Vornamen sowie den Familien- oder Nachnamen, das Geburtsdatum eine allfällige Versicherungsnummer und den festgestellten Grad der Behinderung oder der Minderung der Erwerbsfähigkeit zu enthalten und ist mit einem Lichtbild auszustatten. Zusätzliche Eintragungen, die dem Nachweis von Rechten und Vergünstigungen dienen, sind auf Antrag des behinderten Menschen zulässig. Die Eintragung ist vom Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen vorzunehmen.

Gemäß § 45 Abs. 1 BBG sind Anträge auf Ausstellung eines Behindertenpasses, auf Vornahme einer Zusatzeintragung oder auf Einschätzung des Grades der Behinderung unter Anschluss der erforderlichen Nachweise bei dem Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen einzubringen.

Ein Bescheid ist gemäß § 45 Abs. 2 BBG nur dann zu erteilen, wenn einem Antrag gemäß Abs. 1 nicht stattgegeben, das Verfahren eingestellt (§ 41 Abs. 3 BBG) oder der Pass eingezogen wird. Dem ausgestellten Behindertenpass kommt Bescheidcharakter zu.

Gemäß § 1 Abs. 4 Z 3 der am 01. Jänner 2014 in Kraft getretenen Verordnung über die Ausstellung von Behindertenpässen und von Parkausweisen, BGBl. II Nr. 495/2013, ist auf Antrag des Menschen mit Behinderung jedenfalls einzutragen, die Feststellung, dass dem Inhaber/der Inhaberin des Passes die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung nicht zumutbar ist; die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel ist insbesondere dann nicht zumutbar, wenn das 36. Lebensmonat vollendet ist und

- erhebliche Einschränkungen der Funktionen der unteren Extremitäten oder

- erhebliche Einschränkungen der körperlichen Belastbarkeit oder

- erhebliche Einschränkungen psychischer, neurologischer oder intellektueller Fähigkeiten, Funktionen oder

- eine schwere anhaltende Erkrankung des Immunsystems oder

- eine hochgradige Sehbehinderung, Blindheit oder Taubblindheit nach § 1 Abs. 4 Z 1 lit. b oder d vorliegen.

Entscheidend für die Frage der Zumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel ist, wie sich eine bestehende Gesundheitsschädigung nach ihrer Art und Schwere auf die Zumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel auswirkt (VwGH vom 20.10.2011, Zl. 2009/11/0032).

Sofern nicht die Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel aufgrund der Art und der Schwere der Gesundheitsschädigung auf der Hand liegt, bedarf es in einem Verfahren über einen Antrag auf Vornahme der Zusatzeintragung „Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauernder Gesundheitsschädigung“ regelmäßig eines ärztlichen Sachverständigengutachtens, in dem die dauernde Gesundheitsschädigung und ihre Auswirkungen auf die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel in nachvollziehbarer Weise dargestellt werden (vgl. etwa VwGH 18.12.2006, Zl. 2006/11/0211; VwGH 20.04.2004, Zl. 2003/11/0078).

Dabei kommt es entscheidend auf die Art und die Schwere der dauernden Gesundheitsschädigung und deren Auswirkungen auf die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel im Allgemeinen an, nicht aber auf andere Umstände, wie etwa die Entfernung zwischen der Wohnung des BF und der nächstgelegenen Haltestelle öffentlicher Verkehrsmittel (vgl. VwGH 22.10.2002, Zl. 2001/11/0258; 27.05.2014, Zl. 2014/11/0030).

In den Erläuterungen zur Stammfassung der Verordnung über die Ausstellung von Behindertenpässen und von Parkausweisen, StF: BGBl. II Nr. 495/2013, wird betreffend § 1 Abs. 2 Z 3 (in der Stammfassung) unter anderem – soweit im gegenständlichen Fall in Betracht kommend – auszugsweise Folgendes ausgeführt:

„§ 1 Abs. 2 Z 3:

(…)

Durch die Verwendung des Begriffes „dauerhafte Mobilitätseinschränkung“ hat schon der Gesetzgeber (StVO-Novelle) zum Ausdruck gebracht, dass es sich um eine Funktionsbeeinträchtigung handeln muss, die zumindest 6 Monate andauert. Dieser Zeitraum entspricht auch den grundsätzlichen Voraussetzungen für die Erlangung eines Behindertenpasses.

(…)

Keine Einschränkung im Hinblick auf die Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel haben:

(…)

- gut versorgte Ileostoma, Colostoma und Ähnliches mit dichtem Verschluss. Es kommt weder zu Austritt von Stuhl oder Stuhlwasser noch zu Geruchsbelästigungen. Lediglich bei ungünstiger Lokalisation und deswegen permanent undichter Versorgung ist in Ausnahmefällen die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel unzumutbar,

- bei Inkontinenz, da die am Markt üblichen Inkontinenzprodukte ausreichend sicher sind und Verunreinigungen der Person durch Stuhl oder Harn vorbeugen. Lediglich bei anhaltend schweren Erkrankungen des Verdauungstraktes ist in Ausnahmefällen die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel unzumutbar.“

Es war aus den folgenden Gründen spruchgemäß zu entscheiden:

Auf Grund des durchgeführten Ermittlungsverfahrens und des festgestellten Sachverhaltes ergibt sich, dass bei dem BF die Voraussetzungen für die Feststellung, dass die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung nicht zumutbar ist, nicht vorliegen.

Einschränkungen und Erkrankungen, welche im § 1 Abs. 4 Z 3 der Verordnung des Bundesministers für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz über die Ausstellung von Behindertenpässen und von Parkausweisen für die Zusatzeintragung „Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung auf Grund einer Behinderung“, genannt sind, konnten im geforderten Ausmaß, nämlich im hochgradigen beziehungsweise erheblichen Ausmaß nicht festgestellt werden.

Die festgestellten Funktionseinschränkungen wirken sich - auch im Gesamtbild - nicht in erheblichem Ausmaß negativ auf die Benutzung der öffentlichen Verkehrsmittel aus.

Nach ständiger Judikatur des Bundesverwaltungsgerichts ist bei komplikationslosem Verlauf, gegebener Dichtheit und weitgehender Beschwerdefreiheit aufgrund eines bestehenden Urostomas im Allgemeinen von keiner Unzumutbarkeit der Benützung der öffentlichen Verkehrsmittel auszugehen (vgl. BVwG 12.10.2022, GZ: G309 2254385-1; 28.03.2019, GZ: W132 2205254-1; 06.12.2017, GZ: W262 2162221-1; 24.11.2015 GZ: W218 2110718-1).

Die Anlage eines Urostomas erschwert auch gegenständlich die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel nicht entscheidungsmaßgeblich in hohem Maße. Es konnten keine wesentlichen Komplikationen, wie zum Beispiel eine Undichtheit oder erhöhte Harnwegsinfektionen, festgestellt werden. Die Entleerungsintervalle für die Harnbeutelentleerung in bis zu stündlichen Abständen sind im Nahverkehr gut planbar und im Fernverkehr durch Vorhandensein von Toiletten in Bussen und Zügen ebenfalls durchführbar.

Der BF besitzt auch die konkrete Fähigkeit ein öffentliches Verkehrsmittel zu benützen. Eine höhergradige Einschränkung der Gehfähigkeit konnte nicht objektiviert werden. Insbesondere konnte festgestellt werden, dass die Bewältigung einer kurzen Wegstrecke für den BF selbstständig möglich ist. Das Ein- und Aussteigen in beziehungsweise aus öffentlichen Verkehrsmitteln kann bei einem üblichen Niveauunterschied ohne fremde Hilfe seitens des BF geleistet werden. Der sichere Transport im Fahrzeug ist unter den üblichen Transportbedingungen gewährleistet.

Es war daher spruchgemäß zu entscheiden und die Beschwerde als unbegründet abzuweisen und die Beschwerdevorentscheidung zu bestätigen.

Was schließlich den Antrag des BF betrifft, ihm einen Parkausweis nach § 29b StVO auszustellen, so ist diesbezüglich festzuhalten, dass die belangte Behörde über diesen Antrag ausdrücklich bescheidmäßig nicht abgesprochen hat.

Der äußerste Rahmen für die Prüfbefugnis des Bundesverwaltungsgerichtes ist die "Sache" des bekämpften Bescheides (VwGH 09.09.2015, Ra 2015/04/0012; 26.03.2015, Ra 2014/07/0077). Daher ist der Antrag des BF auf Ausstellung eines Parkausweises nach § 29b StVO mangels Vorliegens eines bekämpfbaren Bescheides nicht verfahrensgegenständlich. Vollständigkeitshalber ist jedoch anzumerken, dass, gegenständlich die grundsätzliche Voraussetzung dafür, nämlich der Besitz eines Behindertenpasses nach dem Bundesbehindertengesetz, der über die Zusatzeintragung "Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung" verfügt, fehlt.

3.3. Zu Spruchteil B): Zulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs. 1 des Verwaltungsgerichtshofgesetzes 1985 (VwGG) hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig, weil die Entscheidung von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Soweit ersichtlich, existiert keine Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zum Thema Zumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel im Hinblick auf die verfahrensgegenständliche Versorgung eines Besitzers eines Behindertenpasses mit einem Urostoma.

Rückverweise