JudikaturBVwG

I419 2128618-2 – Bundesverwaltungsgericht Entscheidung

Entscheidung
24. Juni 2025

Spruch

I419 2128618-2/4E

Beschluss

Das Bundesverwaltungsgericht beschließt durch den Richter Dr. Tomas JOOS über die Beschwerde von XXXX alias XXXX , geb. XXXX , StA. MAROKKO, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (BFA) vom 18.06.2025, Zl. XXXX :

A) Die Aufhebung des faktischen Abschiebeschutzes ist gemäß § 12a Abs. 2 AsylG 2005 rechtmäßig.

B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

Begründung:

I. Verfahrensgang:

1. Am 10.06.2025 stellte der Beschwerdeführer einen Folgeantrag auf internationalen Schutz.

2. Mit dem im Spruch angeführten Bescheid hob das BFA gegenüber dem Beschwerdeführer den faktischen Abschiebeschutz auf und begründete das sinngemäß damit, dass der Beschwerdeführer keinen neuen glaubhaften Sachverhalt vorgebracht habe, der eine Asylrelevanz mit sich brächte. Die Rückkehrentscheidung sei aufrecht und würde keinen Eingriff in die in § 12a Abs. 2 Z. 3 AsylG 2005 genannten, durch Art. 2, 3 und 8 EMRK geschützten Rechte bedeuten.

Da sich auch die Lage im Herkunftsstaat nicht wesentlich geändert habe, sei der Folgeantrag voraussichtlich zurückzuweisen.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

Die Übermittlung des Akts gilt nach § 22 Abs. 10 AsylG 2005 als Beschwerde gegen die Aufhebung des Abschiebeschutzes, der Fremde somit als Beschwerdeführer im gerichtlichen Überprüfungsverfahren.

1. Feststellungen:

1.1 Zur Person des Beschwerdeführers:

1.1.1 Der Beschwerdeführer ist Mitte 30, kinderlos, Staatsangehöriger von Marokko, Sunnit und Berber. Er beherrscht sowohl die Muttersprache Berberisch (Tamazight) als auch Arabisch in Wort und Schrift sowie etwas Spanisch, Englisch, Italienisch sowie nach seinen Angaben sehr gut Griechisch, Französisch und Deutsch; auf Deutsch wurde auch die jüngste Einvernahme beim BFA durchgeführt. Im Herkunftsstaat wurde er in der Provinz XXXX in der Region XXXX geboren, wo er fünf Jahre lang die Grundschule besucht, eine Lehre als Kfz-Elektroniker abgeschlossen und zuletzt gelebt hat. Nach eigenen Angaben hielt er sich zeitweilig auch in XXXX auf.

Im Herkunftsstaat lebten bisher seine Eltern mit Mitte 50 und Mitte 60 sowie ein Bruder mit Mitte 20 und vier Schwestern von ca. 18 bis Anfang 30, von denen der Beschwerdeführer nun angibt, der Bruder sei verstorben und die anderen wären ausgewandert.

1.1.2 Seinen Angaben nach entschloss er sich 2010, Marokko zu verlassen, begab sich nach XXXX und flog im Oktober 2011 mit seinem marokkanischen Reisepass in die Türkei, gelangte von dort illegal nach Griechenland, wo er bis 2015 blieb, als er beschloss, nach Österreich zu gelangen, und daher wieder aufbrach. Er gelangte spätestens am 24.07.2015 illegal nach Ungarn, wo er internationalen Schutz beantragte, und anschließend spätestens am 01.09.2015 ebenso nach Österreich, wo er dies ebenfalls tat.

1.1.3 Das BFA wies den Antrag zur Gänze und verbunden mit einer Rückkehrentscheidung ab, was dieses Gericht im Beschwerdeverfahren bestätigte. (16.08.2016, I406 2128618-1) Darauf stellte der Beschwerdeführer am 28.12.2017 einen Asylfolgeantrag, den das BFA am 16.03.2018 wegen entschiedener Sache sowie verbunden mit einer Rückkehrentscheidung und einem siebenjährigen Einreiseverbot zurückwies, was unbekämpft rechtskräftig wurde.

1.1.4 Der Beschwerdeführer ist gesund sowie haft- und arbeitsfähig. Er nimmt keine Medikamente und benötigt keine Behandlung. Es ist daher kein Grund ersichtlich, warum der Beschwerdeführer seinen Lebensunterhalt nach seiner Rückkehr nicht bestreiten können sollte, selbst wenn ihn Angehörige nicht unterstützen, sei es mit einer bereits ausgeübten oder einer anderen Tätigkeit.

1.1.5 Der Beschwerdeführer wurde straffällig und mehrfach strafgerichtlich verurteilt, und zwar

- vom BG XXXX am 10.07.2017 zu drei Monaten bedingt nachgesehener Freiheitsstrafe wegen der Vergehen des Gebrauchs fremder Ausweise und der Körperverletzung, - vom LGS XXXX am 05.12.2017 zu 24 Monaten Freiheitsstrafe, 16 davon bedingt nachgesehen, wegen des Vergehens des unerlaubten Umgangs mit Suchtgiften durch Besitz zum persönlichen Gebrauch und des Verbrechens des Suchtgifthandels durch Überlassen in einer die Grenzmenge übersteigenden Menge, - am 06.11.2018 zu 15 Monaten Freiheitsstrafe wegen der Vergehen der Verleumdung und der falschen Beweisaussage, - vom LG XXXX am 06.11.2019 zu 18 Monaten Freiheitsstrafe wegen des Vergehens der Vorbereitung von Suchtgifthandel durch Besitz von Suchtgift in einer die Grenzmenge übersteigenden Menge mit dem Vorsatz, dass es in Verkehr gesetzt werde, - am 14.02.2020 zu zwei Monaten bedingt nachgesehener Freiheitsstrafe als Zusatzstrafe zur vorigen wegen des Vergehens des versuchten Widerstands gegen die Staatsgewalt, - vom BG XXXX am 03.12.2020 zu sieben Monaten Freiheitsstrafe wegen des Vergehens der Körperverletzung, - vom BG XXXX am 15.01.2024 zu vier Monaten Freiheitsstrafe wegen des Vergehens der Sachbeschädigung sowie - vom LGS XXXX am 06.12.2024 zu fünf Monaten Freiheitsstrafe wegen der Vergehen der Fälschung besonders geschützter Urkunden und des unerlaubten Umgangs mit Suchtgiften durch Überlassen sowie durch Besitzen zum persönlichen Gebrauch.

1.1.6 Aufgrund dessen und diverser Widerrufe der bedingten Nachsichten befand er sich in Justizhaft von 19.07. bis 28.10.2017, von 10.05.2019 bis 07.04.2023 und zuletzt von 05.07.2024 bis 02.06.2025. Anschließend verbüßte er eine dreitägige Ersatzfreiheitsstrafe und wurde danach in Schubhaft genommen, in der er den Folgeantrag stellte.

1.1.7 Im Inland ging er außerhalb der Haftzeiten keiner legalen Arbeit nach. Er war 2016 ehrenamtlich für die Caritas als Dolmetsch und Flüchtlingsbegleiter tätig.

Nach der Haftentlassung 2023 meldete er sich am 12.04.2023 in der Unterkunft einer rund zwei Jahre älteren, ledigen Österreicherin an, mit der er bis 05.07.2024 zusammenlebte, nach Angaben beider bereits 2016 eine Beziehung begann, und seinen Angaben nach bisher verlobt war. Diese bezieht seit 2019 eine Pension wegen geminderter Arbeitsfähigkeit. Abhängigkeiten von oder zum Beschwerdeführer bestehen daher und angesichts seiner Anhaltung seit bald einem Jahr nicht. Die Frau hat sich schriftlich an das BFA gewandt und erkundigt, ob der Beschwerdeführer Ausgang haben und zu ihr kommen könne, bevor er nach Marokko zurückgehe. Sie wünsche, dass er bei ihr bleiben dürfe, da er der einzige sei, mit dem sie zusammenleben wolle. Er hat dem BFA dagegen angegeben, dass die Beziehung keine Zukunft und er damit abgeschlossen habe.

1.1.8 Im Verfahren sind auch keine Umstände bekannt geworden, die nahelegen würden, dass für den Beschwerdeführer ein „reales Risiko“ einer gegen Art. 2 oder 3 EMRK verstoßenen Behandlung bzw. der Todesstrafe besteht.

Der Beschwerdeführer führt in Österreich kein im Sinne des Art. 8 EMRK geschütztes Familienleben und hat außer der Sprachbeherrschung keine gewichtigen privaten Integrationsmerkmale. Beim BFA gab er zuletzt an, am liebsten würde er seinen Folgeantrag zurückziehen und so schnell wie möglich nach Marokko überstellt werden. Mit der Aufhebung des faktischen Abschiebeschutzes sei er einverstanden.

1.1.9 Die Vertretung Marokkos hat für ihn Heimreisezertifikate erteilt, zuletzt ein seit 12.06.2025 gültiges. Seine Abschiebung ist für 05.07.2025 vorgesehen.

1.2 Zur Situation im Herkunftsstaat:

Marokko ist nach § 1 Z. 9 HStV ein sicherer Herkunftsstaat im Sinne des § 19 BFA-VG. Im angefochtenen Bescheid wurden die aktuellen Länderinformationen zu Marokko mit Stand 25.11.2024 zitiert. Im Beschwerdeverfahren sind keine entscheidenden Änderungen der Sachverhaltselemente bekannt geworden. Im gegebenen Zusammenhang sind mangels sonstiger Bezüge zum Vorbringen die folgenden Informationen von Relevanz und werden festgestellt:

1.2.1 Sicherheitslage

Marokko kann grundsätzlich als stabiles Land betrachtet werden (EDA 14.3.2024; vgl. FD 14.3.2024). Das französische Außenministerium rät bis auf einige Regionen zu normaler Aufmerksamkeit im Land. In den Grenzregionen zu Algerien wird zu erhöhter Aufmerksamkeit geraten (FD 14.3.2024). Die Grenze zu Algerien ist seit 1994 geschlossen (AA 12.7.2024; vgl. BMEIA 12.7.2024). [...]

Marokko kann als sicheres Land angesehen werden, nicht nur in Bezug auf Terrorismus. Ausnahme bildet nur die Westsahara, wo es immer wieder zu Zusammenstößen zwischen marokkanischen Truppen und der POLISARIO (Frente Popular para la Liberación de Saguía el Hamra y Río de Oro - Volksfront zur Befreiung von Saguía el Hamra und Río de Oro) kommt. Der letzte größere Terroranschlag fand im Jahr 2011 statt. 2018 gab es bei Morden mit mutmaßlich terroristischem Hintergrund zwei, im Jänner 2022 ein weiteres Todesopfer und einen Verletzten, im Dezember 2022 nochmals einen Toten. Die Bedrohung durch den Extremismus ist jedenfalls gegeben; es ist vor allem der Effektivität der Exekutive im Bereich der Terrorismusbekämpfung zu danken, dass terroristische Gruppen kaum aktiv werden können. Die Behörden, hier vor allem das Bureau central d‘investigation judiciaire (BCIJ), sind effektiv beim Erkennen und Verhindern potenzieller terroristischer Bedrohungen durch rechtzeitiges Ausheben von Terrorzellen. [...] Im Jahresvergleich 2021 zu 2022 kann eine weitere Verbesserung festgestellt werden, trotz kleinerer Vorfälle – dies zeigt auch die Auswertung des Global Terrorism Index der entsprechenden Jahre (STDOK 11.4.2023). [...]

1.2.2 Rechtsschutz / Justizwesen

Die Verfassung sieht eine unabhängige Justiz vor, aber die Regierung respektierte die Unabhängigkeit und Unparteilichkeit der Justiz nicht immer (USDOS 23.4.2024). In der Praxis unterliegt die Justiz jedoch weiterhin dem Einfluss der Exekutive und ist an die Interessen der Monarchie gebunden (BS 19.3.2024; vgl. FH 25.4.2024a), u.a. durch die Ausweitung der Zuständigkeit der Militärgerichte auf Zivilisten (ÖB Rabat 7.2024). Zudem wird diese Unabhängigkeit durch Korruption (USDOS 23.4.2024; vgl. AA 7.6.2024, FH 25.4.2024a) und außergerichtliche Einflüsse unterlaufen (USDOS 23.4.2024; vgl. FH 25.4.2024a). Das Gerichtssystem ist nicht unabhängig vom Monarchen, der dem Obersten Justizrat vorsitzt (FH 25.4.2024a; vgl.BS 19.3.2024). Marokko bekennt sich zu rechtsstaatlichen Grundsätzen, allerdings weist das Justizsystem Schwächen (mangelnde Unabhängigkeit der Richter, ausstehende Modernisierung der Justizverwaltung, bedenkliche Korruptionsanfälligkeit) auf. Die Einhaltung rechtsstaatlicher Grundsätze wird von staatlichen und nicht staatlichen Einrichtungen überwacht bzw. kritisch beobachtet (AA 7.6.2024).

Durch die Zusammenarbeit mit internationalen Partnerorganisationen (EU, Europarat, EU-Mitgliedstaaten) soll die Justiz effizienter, unabhängiger und weniger korruptionsanfällig gemacht werden. Noch liegt sie allerdings in ihrer Unabhängigkeit und Bindung an Recht und Gesetz hinter den in der Verfassung normierten Ansprüchen (Art. 107ff.) zurück. Mit dem in der Verfassung vorgesehenen und im April 2017 eingesetzten Conseil supérieur du pouvoir judiciaire (Oberster Rat der Rechtssprechenden Gewalt - Oberster Justizrat) wurden Richter- und Staatsanwaltschaft aus dem Verantwortungsbereich des Justizministeriums herausgelöst und verwalten sich nun selbst. Der Rat agiert als unabhängige Behörde. Mit der Herauslösung der Staatsanwaltschaft wurde formal die Unabhängigkeit der Ermittlungsbehörden von der Politik gestärkt. Es gibt jedoch Stimmen, die eine direkte Einflussnahme des Palastes befürchten, da sich Richterschaft und Staatsanwaltschaft nunmehr jeder demokratisch legitimierten Kontrolle entziehen (AA 7.6.2024).

Seit Jänner 2023 ist das neue Gesetz Nr. 38.15 über die Gerichtsorganisation in Kraft. Wichtige Neuerungen sind die Verkündung von Urteilen zu Terminen, die den Parteien bekannt sein müssen, die Implementierung von Schlichtungs- und Vermittlungsverfahren zur Beilegung von Streitigkeiten, die Regelung zu abweichenden Meinungen einzelner Richterinnen und Richter, die neue Rolle von „Sozialhilfebüros“ oder auch die Bezeichnung der Gerichte. Zu den Aufgaben der „Sozialhilfebüros“ gehören die juristische Orientierung und Begleitung bestimmter hilfsbedürftiger Gruppen, die Durchführung von sozialen Untersuchungen, die Vermittlung und Schlichtung von Fällen, Inspektionsbesuche in Haftanstalten, die Überwachung und Vollstreckung von Sanktionen und gerichtlichen Maßnahmen sowie die Betreuung von Opfern von Verbrechen, insbesondere von Frauen (ÖB Rabat 7.2024). [...]

1.2.3 Sicherheitsbehörden

Der Sicherheitsapparat verfügt über einige Polizei- und paramilitärische Organisationen, deren Zuständigkeitsbereiche sich teilweise überlappen. Die DGSN „Direction Générale de la Sûreté Nationale“ (Nationalpolizei) ist für die Umsetzung der Gesetze zuständig und untersteht dem Innenministerium (CIA 9.5.2024). Die Forces Auxiliaires sind eine paramilitärische Formation unter Führung des Innenministeriums (ÖB Rabat 7.2024), sie unterstützen die Gendarmerie und die Nationalpolizei, umfassen das Mobile Interventionskorps, eine motorisierte paramilitärische Sicherheitstruppe, die das Militär und die Polizei bei Bedarf ergänzt. Die Gendarmerie Royale ist zuständig für die Sicherheit in ländlichen Gegenden und patrouilliert auf Nationalstraßen. Sie untersteht dem Verteidigungsministerium (CIA 9.5.2024; AA 7.6.2024). Es gibt zwei Nachrichtendienste: den Auslandsdienst DGED (Direction Générale des Etudes et de Documentation) und den Inlandsdienst DGST (Direction Générale de la Surveillance du Territoire). 2015 kam es mit der Gründung des Bureau central d’investigation judiciaire (BCIJ), zu einer Stärkung der Schlagkraft des Polizeiapparats. Das BCIJ wurde zu einer auf Terrorismusbekämpfung und andere schwerer Delikte spezialisierte Organisationseinheit der Polizei aufgestellt, die besser ausgebildet und besser ausgerüstet ist. Anders als die Kriminalpolizei untersteht das BCIJ dem Inlandsgeheimdienst DGST (AA 7.6.2024; vgl. ÖB Rabat 7.2024). [...] Typisch für das marokkanische politische System ist, dass die Weisungskette der Polizeidienste an der Regierung vorbei unmittelbar zur Staatsspitze führt (ÖB Rabat 7.2024).

1.2.4 Korruption

Korruption stellt ein Problem dar (USDOS 23.4.2024). In Marokko gilt Korruption als endemisch und durchdringt die gesamte Gesellschaft, da unzureichende Kontrollmechanismen das Auftreten von Korruption selbst auf höchster Ebene nicht eindämmen können, zudem fördert eine ineffiziente Strafverfolgung die Korruption weiter. Das Gesetz sieht strafrechtliche Sanktionen für Beamte vor, die in korrupte Praktiken verwickelt sind (BS 19.3.2024; vgl. USDOS 23.4.2024), aber die Regierung setzt das Gesetz nicht wirksam um (USDOS 23.4.2024; vgl. BS 19.3.2024), was zu Straffreiheit führt (BS 19.3.2024). Eine strafrechtliche Verfolgung von Beamtinnen und Beamten wegen Korruption erfolgt selten (AA 7.6.2024). Es gibt immer wieder Berichte über Korruption in der Regierung (USDOS 23.4.2024). [...] Die Regierung erklärte, dass sie gegen Polizeibeamte ermittelt, die der Korruption beschuldigt werden (USDOS 23.4.2024). [...]

1.2.5 Ethnische Minderheiten

Marokko erkennt ausdrücklich in seiner Verfassung die Diversität der Nation an. Staatliche Diskriminierung gegenüber ethnischen Minderheiten ist nicht bekannt. Die Verfassung enthält auch die Anerkennung der berberischen Wurzeln, Traditionen und Sprache gleichberechtigt neben dem arabischen und jüdischen Kulturerbe. Die jüdischen Wurzeln der Nation werden geschützt und gepflegt (AA 7.6.2024).

Im Allgemeinen verweisen Berberstämmige mit Stolz auf ihre Abkunft, insbesondere, wenn sie zu den alteingesessenen Familien oder Clans der historischen Städte im Berbergebiet (Fes, Marrakesch, Ouarzazate usw.) gehören. Aussagen über den Anteil von Berbern in bestimmten Bereichen (öffentlicher Dienst, Militär, freie Berufe, Wirtschaftstreibende) sind nicht greifbar. Nach Einschätzung der Botschaft liegt ein generell diskriminierendes Verhaltensmuster gegen Berber nicht vor, Premierminister Akhannouch ist berber-stämmig. Der „Minderheitencharakter“ der Berber ist bei ca. 40 % der Bevölkerung mit berberischen Wurzeln relativ zu sehen (ÖB Rabat 7.2024). Viele der Regionen mit einer überwiegend amazighischen Bevölkerung sind unterentwickelt und verfügen nicht über grundlegende Dienstleistungen (BS 19.3.2024).

Etwa die Hälfte der Bevölkerung macht eine berberische/amazigh Abstammung geltend und spricht eine der drei in Marokko vertretenen Berbersprachen (AA 7.6.2024). Die Regierung betrachtete die Amazigh als einen Kernbestandteil der marokkanischen Identität (USDOS 23.4.2024). Die meisten Berber in Marokko sehen sich jedoch nicht als ethnische Minderheit. Seit der Verfassungsreform 2011 ist der berberische Dialekt Tamazight Amtssprache. Generell fördert der Staat sowohl Sprache als auch Kultur der Amazigh (AA 7.6.2024; vgl. FH 25.4.2024a). Mindestens 40 % der Bevölkerung sind Amazigh, und die Mehrheit der Marokkaner hat amazighische Wurzeln. Die Amazigh-Eliten haben Zugang zur Monarchie und ihre Interessen werden im Parlament vertreten, doch der Großteil der Amazigh-Bevölkerung ist sozial, wirtschaftlich und politisch marginalisiert. Die jüngsten Unruhen in der Rif-Region und in anderen Städten Marokkos, die unter dem Namen Hirak Rif zusammengefasst sind, sind größtenteils auf die Ungerechtigkeiten zurückzuführen, die viele Amazigh-Bewohner erleben, und auf ihre Unfähigkeit, ihren Missständen durch das politische System Abhilfe zu verschaffen (FH 25.4.2024a). Amazigh ist seit Mitte 2019 per Gesetz Unterrichtssprache (AA 7.6.2024). Der berberische Sprachunterricht im Schulsystem führt über die 6. Schulstufe nicht hinaus (d. h. keine höhere Bildung in berberischer Sprache möglich) (ÖB Rabat 7.2024).

1.2.6 Bewegungsfreiheit

Gesetzlich sind innerhalb des Landes Bewegungsfreiheit, Auslandsreisen, Emigration und Wiedereinbürgerung gewährleistet. Die Behörden respektieren diese Rechte im Allgemeinen, obwohl sie die Bewegungsfreiheit auf Gebiete beschränkt, in denen weitverbreitete Unruhen herrschen (USDOS 23.4.2024). Zudem wird dieses Recht auch in der Praxis eingeschränkt, begünstigt durch schlechte wirtschaftliche Bedingungen und Korruption (FH 25.4.2024a). [...]

1.2.7 Grundversorgung

Die Marokkanische Wirtschaft befindet sich in einem Transformationsprozess von einer Agrar- hin zu einer Industrie- und Dienstleistungsgesellschaft (WKO 7.10.2024). Im Dienstleistungsbereich hat sich Marokko zu einem wichtigen Finanzstandort entwickelt (ABG 8.2024). Für 2024 wird ein Wirtschaftswachstum von 3,2 % erwartet (WKO 7.10.2024). Die Herausforderungen sind groß (WKO 9.2024): Marokko gilt als sehr anfällig für den Klimawandel (BS 19.3.2024) - denn die zunehmende Anzahl an Dürrejahren beeinträchtigt die Landwirtschaft und stellt eine Herausforderung dar (ABG 8.2024). Wasserknappheit infolge einer seit sechs Jahren andauernden Dürreperiode, einhergehend mit geringer werdenden Wasserressourcen, wachsender Bevölkerung und steigenden Lebensstandards (WKO 9.2024). Im Wassersektor sind in den kommenden zehn Jahren u. a. Vorhaben zur Meerwasserentsalzung geplant. Zugleich bieten das wachsende Interesse an Strom aus erneuerbaren Energien und die Produktion von grünem Wasserstoff auch ein großes Entwicklungspotenzial (ABG 8.2024; vgl. WKO 9.2024). Der drittwichtigste Devisenbringer ist aber nach wie vor Phosphat (18 %) (WKO 9.2024).

Die Wirtschaft hängt von Landwirtschaft, Fischerei und Tourismus ab, die alle sehr stark vom Klimawandel betroffen sind. Probleme wie Wasserknappheit, Ernährungsunsicherheit, Wüstenbildung und Küstenerosion haben sich verschärft. Da die meisten Gebiete trocken oder halbtrocken sind, benötigt die Landwirtschaft rund 80 % der Wasserressourcen. Der Plan „Grünes Marokko“ verschleiert die Umweltschäden, die bereits vorhanden sind (BS 19.3.2024). Im Lebensmittelbereich konnte sich Marokko als wichtiger Lieferant von Gemüse nach Europa etablieren (Exportanteil 19 %) (WKO 9.2024). Kleinbauern haben mit dem Absinken des Grundwasserspiegels und der Verarmung der Böden zu kämpfen (BS 19.3.2024). [...]

Der Tourismus ist ebenfalls von Bedeutung. Dank Ausrichtung der Fußball-WM 2030 stehen zahlreiche Hoch- und Tiefbauprojekte an (ABG 8.2024). Die Weltmeisterschaft wird die Großprojekte der nächsten Jahre bestimmen – Ausbau des Eisenbahnnetzes und die Verlängerung der bestehende Hochgeschwindigkeits-Eisenbahnverbindung zwischen XXXX und Tanger über Marrakesch (Finanzierung steht bereits) nach XXXX (Finanzierung noch im Entstehen). Weiters werden Stadien renoviert und gebaut, Zugangsinfrastruktur neu geschaffen (WKO 9.2024).

Neben dem Ausbau an grüner Energie durch Wind und Solarkraft, die auf die Herstellung von grünem Wasserstoff abzielt. Allerdings liegt momentan die Produktionskapazität von erneuerbaren Energien bei 37 %, bis 2027 möchte man die 50 %-Marke des im Land erzeugten Stroms aus erneuerbaren Energiequellen erreichen. Alternative Energieformen wie Biogasanlagen und ähnliches werden ebenfalls verstärkt gefördert, setzen sich aber nur sehr langsam durch. Zudem kommen auch noch die rezenten Gaslagerstättenfunde vor der marokkanischen Küste hinzu, welchen den Bedarf an importierten, fossilen Brennstoffen langfristig vermindern (WKO 9.2024).

Ferner ist der Export von Phosphat einer der wichtigsten Devisenbringer. Um die Wertschöpfung zu erhöhen, möchte die staatliche OCP das Produkt durch Zusetzung von Ammoniak, das durch im Land erzeugten grünen Wasserstoff hergestellt werden soll, aufwerten. Bis 2027 soll das Projekt abgeschlossen sein. Es ist das Einzige bislang in Umsetzung befindliche Projekt im Bereich grüner Wasserstoff in Marokko. Für zukünftige Projekte zur Erzeugung von grünem Wasserstoff wurden 2024 die Rahmenbedingungen im Offre Maroc Hydrogène Vert veröffentlicht (WKO 9.2024).

Trotz Dezentralisierungsbemühen bestehen weiterhin Ungleichheiten beim Zugang zu grundlegenden Dienstleistungen (BS 19.3.2024).

Die marokkanische Wirtschaft hat sich angesichts verschiedener Herausforderungen als widerstandsfähig erwiesen, zu denen eine Verlangsamung der Weltwirtschaft, ein Inflationsschock und das Erdbeben in der Provinz Al Haouz gehören. Trotz dieser Hindernisse hat sich das Wirtschaftswachstum beschleunigt. Die wichtigsten Katalysatoren für diese Beschleunigung waren die Erholung des Tourismussektors, die exportorientierten Nischen des verarbeitenden Gewerbes, insbesondere der Automobil- und Luftfahrtsektor sowie die Erholung des privaten Konsums (WB 2024). Mittels robuster Steuerzuflüsse und graduellen Subventionsabbaus gelang es 2023, das Haushaltsdefizit von 5,2 auf 4,7 % vom BIP zurückzufahren. Gemäß dem aktuellen Haushaltsgesetz wird die Konsolidierung 2024 fortgesetzt bis hin zur völligen Streichung staatlicher Preisstürzen ab 2025 für Butangas, Weizen und Zucker. Zur sozialen Abfederung werden die staatliche Krankenversicherung ausgeweitet und Transferleistungen für die Bedürftigsten erbracht (GTAI 31.5.2024).

Allerdings haben die marokkanischen Unternehmen und Haushalte Schwierigkeiten, sich von den jüngsten Schocks zu erholen. Marokko verzeichnet einen starken Anstieg der Unternehmensinsolvenzen. Trotz beschleunigtem Wirtschaftswachstum blieb die Arbeitsmarktleistung im Jahr 2023 enttäuschend, wobei in ländlichen Gebieten fast 200.000 Arbeitsplätze verloren gingen. Als Ausdruck der kumulativen Auswirkungen der jüngsten Schocks auf das Wohlbefinden erreichte der Pro-Kopf-Verbrauch nicht wieder das Niveau vor der Pandemie. Das neue direkte Sozialhilfeprogramm der Regierung verspricht jedoch eine erhebliche Erleichterung für die ärmsten Haushalte (WB 2024).

Die Wirtschaft dürfte sich 2024 aufgrund einer schlechten Agrarkampagne leicht verlangsamen. Das Wirtschaftswachstum wird voraussichtlich auf 2,9 % sinken. Dies ist vor allem auf einen Rückgang der landwirtschaftlichen Wertschöpfung um 3,3 % aufgrund der schlechten Wetterbedingungen während des gesamten Wirtschaftsjahres 2023-2024 zurückzuführen. Das BIP außerhalb der Landwirtschaft wird widerstandsfähiger sein, da es von einer Erholung der Binnennachfrage und einem stärkeren Industriesektor getragen wird. Das Wachstum dürfte sich ab 2025 unter der Annahme einer normalen Agrarsaison beschleunigen. Das Leistungsbilanzdefizit dürfte sich bis 2024 auf 1,5 % des BIP ausweiten, während das Haushaltsdefizit in den kommenden Jahren allmählich auf das Niveau vor der Pandemie zurückgehen dürfte (WB 2024). Für 2024 und 2025 prognostiziert der Internationale Währungsfonds (IWF) sowie die Afrikanische Entwicklungsbank Wachstumsraten von rund 3,5 %. So sorgen verbesserte Ergebnisse in der Agrarproduktion, weiterhin die abflauende Inflation sowie soziale Transferleistungen für einen steigenden Konsum. Die privaten Investitionen profitieren insbesondere vom Wiederaufbau der vom Erdbeben 2023 zerstörten Gebiete, weiterhin von den umfangreichen Vorhaben in den Sektoren Wasser, Energie und Infrastruktur (GTAI 31.5.2024). [...]

Die Grundversorgung der Bevölkerung ist gewährleistet, Brot, Zucker und Gas werden subventioniert (AA 7.6.2024).

Die kumulativen Auswirkungen der jüngsten Schocks auf den Sozialschutz spiegeln sich darin wider, dass der Pro-Kopf-Verbrauch nur knapp das Niveau von vor der Pandemie erreicht hat. Der reale Pro-Kopf-Verbrauch der Haushalte erreichte erst 2023 wieder das Niveau vor der Pandemie. Die negativen Auswirkungen des Schocks dürften vulnerable, arme und einkommensschwache Gruppen stärker betreffen, da Lebensmittel, bei denen der Preisdruck stärker war, einen größeren Anteil am Warenkorb der armen und gefährdeten Haushalte ausmachen (WB 2024). In einer in drei Städten, XXXX , Marrakesch und Tanger, mit einem repräsentativen Sample, vom 3. bis zum 26.12.2023, durchgeführten Umfrage zur sozio-ökonomischen Lage gaben nur 32 % der Befragten an, ausreichend Lebensmittel für ihre Familien bereitstellen zu können. Weitere 36 % schaffen es gerade so, genug Nahrung zu kaufen, während 27 % Schwierigkeiten haben, genügend Lebensmittel zu beschaffen. Die Preise für Konsumgüter wie Kleidung und Schuhe stellen ebenfalls eine Belastung dar. Nur 31 % der Befragten können problemlos grundlegende Konsumgüter für ihre Familien bereitstellen. Weitere 27 % schaffen dies nur knapp, während 36 % große Schwierigkeiten haben, diese Güter zu erwerben. Die allgemeinen Lebenserhaltungskosten stellen ebenfalls eine große Herausforderung für viele Haushalte dar. Besonders die Wohnkosten (Miete, Heizung, Strom und Wasser) belasten viele Familien. Nur 41 % der Befragten in XXXX können ihre Wohnkosten problemlos decken, während 24 % große Schwierigkeiten haben und weitere 14 % diese Kosten überhaupt nicht tragen können. In Marrakesch und Tanger sieht es ähnlich aus: In Marrakesch schaffen es nur 30 %, ihre Wohnkosten problemlos zu decken, während es in Tanger 52 % der Befragten geling (STDOK 31.12.2023).

Seit Dezember 2023 gibt es im Marokko eine direkte finanzielle Sozialhilfe. Diese kommt sowohl bedürftigen sozialen Gruppen als auch schulpflichtigen und auch beeinträchtigten Kindern, Neugeborenen und Familien in prekären Situationen ohne schulpflichtige Kinder, insbesondere Menschen mit älteren Angehörigen, zugute (TBT 26.12.2023). Laut Premierminister Aziz Akhannouch werden die Begünstigten (Africa News 13.8.2024), nach seiner vollständigen Einführung im Jahr 2026 (WB 2024) wird es monatliche Zahlungen von 200 Dirham pro Kind mit einem Mindestbetrag von 500 Dirham pro Familie (entspricht 50 US-Dollar) gewähren, einschließlich derjenigen ohne Kinder. Die Umsetzung dieses Programms wird ein Budget von 25 Milliarden Dirham (etwa 2,5 Milliarden Euro) für 2024 erfordern, so Regierungssprecher Mustapha Baitas (Africa News 13.8.2024; vgl. WB 2024). Insgesamt wird erwartet, dass fast eine Million Familien davon profitieren werden. Diese gezielten Familienzuschüsse sind Teil einer umfassenderen Sozialreform, die von König Mohammed VI. im Jahr 2020 initiiert wurden (TBT 26.12.2023). Diese Initiative beinhaltet auch die Ausweitung der Sozialversicherung für alle Marokkaner (TBT 26.12.2023; vgl. Africa News 13.8.2024).

Diese Sozialreformen werden vor dem Hintergrund des wirtschaftlichen Rückgangs und der tiefgreifenden sozialen Ungleichheiten eingesetzt und um gezielte Hilfen für die Unterprivilegierten zu schaffen. Bislang ist die Sozialhilfe indirekt und nicht zielgerichtet, da Marokko bestimmte Konsumgüter über einen Ausgleichsfonds subventioniert (Africa News 13.8.2024; vgl. TBT 26.12.2023). Das neue direkte Sozialhilfeprogramm der Regierung dürfte für ärmere Haushalte eine wichtige Entlastung darstellen. Mit dem neuen Bargeldtransfer wird der Umfang der Finanzhilfe für marokkanische Haushalte erhöht, während gleichzeitig die Zielgenauigkeit durch das einheitliche Sozialregister verbessert und die Komplexität und Fragmentierung früherer Sozialschutzsysteme beseitigt wurde (WB 2024).

Die neue Regelung ist vergleichsweise großzügig, und die gesamte finanzielle Unterstützung, die durch das neue Programm mobilisiert wird, dürfte eine erhebliche Erleichterung bieten, um die sozialen Auswirkungen der jüngsten und künftigen Schocks abzumildern. Es wird daher erwartet, dass es zu einer deutlichen Verbesserung der Einkommensverteilung und der Armutsindikatoren führen wird. Zwischen dem 2.12.2023 und dem 31.3.2024 erhalten mehr als 3,5 Millionen Familien direkte Hilfe. Darüber hinaus erhielten mindestens 1,4 Millionen kinderlose Familien eine monatliche Pauschalbeihilfe von 500 Dirhams (WB 2024).

1.2.8 Rückkehr

Das Stellen eines Asylantrags im Ausland ist nicht strafbar und wird nach Erkenntnissen des Auswärtigen Amts von den Behörden nicht als Ausdruck oppositioneller Gesinnung gewertet (AA 7.6.2024).

Die Kontrollen an den offiziellen Grenzübergangspunkten sind gründlich und umfassend. Erforderlich für die Einreise ist ein Reisepass oder Sonderpapier für bestimmte Grenzgängerinnen und Grenzgänger oder ein von einer marokkanischen Auslandsvertretung ausgestellter Laissez-passer zur Rückreise. Jede Ein- oder Ausreise wird an den Grenzübertrittstellen erfasst und in einem zentralen Computersystem zusammengeführt; an den Flughäfen werden keine Handzettel mehr ausgefüllt. Jedes vorgelegte Reisedokument erhält einen Ein- bzw. Ausreisestempel mit Datumsangabe und Grenzübergangsstelle. Der EU-Laissez-Passer wird zur Einreise nicht anerkannt (AA 7.6.2024).

Migrantinnen und Migranten können bei der freiwilligen Rückkehr aus Österreich nach Marokko durch die BBU (Rückkehrberatung und Organisation der Reise), bzw. IOM (Organisation der Reise im Falle von vulnerablen Personen oder Personen mit legalem Aufenthaltstitel in Österreich), nach Bestätigung der Kostenübernahme durch das BFA, unterstützt werden. Freiwillige Rückkehrer/innen aus Österreich nach Marokko haben zudem die Möglichkeit, nach Bestätigung der Projektaufnahme durch das BFA und Erfüllung der Teilnahmekriterien, am Reintegrationsprojekt Frontex JRS, welches vom BMI in Österreich noch zumindest bis 2026 umgesetzt wird, teilzunehmen (IOM 26.7.2023).

Das Reintegrationsprogramm „Frontex − Joint Reintegration Services“ (FX JRS) bietet Rückkehren, in Kooperation mit einer lokalen Partnerorganisation Unterstützung bei Ihrer Reintegration in Ihr Heimatland an. Das Postarrival Paket im Wert von € 615 dient der unmittelbaren Unterstützung nach der Ankunft in Marokko. Es beinhaltet folgende Sofortleistungen: Nach der Begrüßung am Flughafen durch einen Reintegrationspartner und des Airports Pick-up, wie auch Unterstützung bei der Weiterreise (Organisation und Kostenübernahme), erhalten Rückkehrer u. a. eine prepaid SIM-Karte, Hygieneartikel (Zahnbürste, Zahnpasta, Seife, Shampoo, etc.), eine Flasche Wasser, ein warmes Essen (auch als Gutschein möglich), altersgerechtes Spielzeug für Kinder. Zudem wird eine temporäre Unterkunft für bis zu drei Tage nach der Ankunft bereitgestellt und nach Bedarf auch unmittelbare medizinische Unterstützung (BMI 2024).

Des Weiteren sollte die rückkehrende Person keine oder weniger Sofortleistungen benötigen, erhält sie den anteiligen Betrag der € 615 vom lokalen Partner in bar ausbezahlt (BMI 2024).

Zur längerfristigen Reintegrationsunterstützung erhalten Rückkehrer ein Postreturn Paket in der Höhe von Euro 2.000. Davon Euro 200 als Bargeld und Euro 1.800 in Form von Sachleistungen auf Grundlage eines Reintegrationsplans, der mithilfe der lokalen Partnerorganisation in den ersten sechs Monaten nach der Rückkehr erstellt wird. Zu den angebotenen Sachleistungen des Postreturnpakets gehören unter anderem: Unterstützung bei der Gründung eines Kleinunternehmens, Bildungsmaßnahmen, Trainings, Unterstützung beim Eintritt in den Arbeitsmarkt, bei der Einschulung von Kindern, wie auch rechtliche und administrative Beratungsleistungen, Familienzusammenführung, Unterstützung im Zusammenhang mit Wohnen und Haushalt (Einrichtung) und medizinische und psychosoziale Unterstützung (BMI 2024).

1.3 Zu den Fluchtmotiven des Beschwerdeführers:

1.3.1 Der Beschwerdeführer hat zu seinem neuen Folgeantrag erstbefragt angegeben, er habe seit neun Jahren eine namentlich genannte österreichische Verlobte, mit der er zusammenlebe, und auch Freunde in Österreich. In Marokko habe er niemanden mehr; seine Familie sei nach Saudi-Arabien ausgewandert, viele seien auch schon tot, wie sein Bruder und sein Großvater. Im Fall der Rückkehr habe er Angst vor seinem Vater. Die nunmehrigen Gründe seien ihm seit neun Jahren bekannt.

1.3.2 Beim BFA gab er an, er wolle den Folgeantrag am liebsten zurückziehen und so schnell wie möglich nach Marokko überstellt werden. Die Beziehung zu der Österreicherin habe keine Zukunft, weswegen er zurück nach Marokko gehe. In der Folge wiederholte er, dass er den Asylantrag zurückziehen wolle und zweimal, dass er schnellstmöglich nach Marokko zu gelangen wünsche. Mit der Aufhebung des faktischen Abschiebeschutzes sei er einverstanden.

Nach Verkündung des Bescheides, mit der diese verfügt wurde, erklärte der Beschwerdeführer, er sei einverstanden und bitte um ehestmögliche Überstellung nach Marokko.

1.3.3 Der Beschwerdeführer hat damit keinen Fluchtgrund behauptet, der seit der Entscheidung seines vorigen Asylverfahrens entstanden oder bekannt geworden wäre. Er hat kein neues Vorbringen erstattet, von dem anzunehmen wäre, dass es zu einer erheblichen Wahrscheinlichkeit beitrüge, ihn als Person mit Anspruch auf internationalen Schutz anzuerkennen. Eine entscheidungswesentliche Änderung der Ländersituation in Marokko ist seit der Entscheidung über den vorigen Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz nicht eingetreten, insbesondere nicht auf sein Vorbringen bezogen. Der Folgeantrag wird voraussichtlich zurückgewiesen werden.

1.3.4 Es ist nicht ersichtlich, dass eine Abschiebung des Beschwerdeführers nach Marokko eine reale Gefahr einer Verletzung von Art. 2 oder 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention bedeuten oder für ihn als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung seines Lebens oder seiner Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde, zumal Marokko nach § 1 Z. 9 HStV ein sicherer Herkunftsstaat ist.

2. Beweiswürdigung:

Der oben unter Punkt I. angeführte Verfahrensgang ergibt sich aus Akteninhalt des vorgelegten Verwaltungsakts des BFA und des Gerichtsaktes, ebenso die Feststellungen, soweit nicht unten eigens darauf eingegangen wird. Auskünfte aus dem Strafregister, dem Zentralen Melderegister (ZMR), dem Zentralen Fremdenregister und dem Betreuungsinformationssystem der Grundversorgung (GVS) wurden ergänzend eingeholt.

2.1 Zur Person des Beschwerdeführers

Die Feststellungen zu seinen Lebensumständen, seinem Gesundheitszustand, seiner Herkunft, seiner Volkszugehörigkeit sowie seiner Staatsangehörigkeit gründen sich auf die diesbezüglichen glaubhaften Angaben des Beschwerdeführers.

2.2 Zur Lage im Herkunftsstaat

Die getroffenen Feststellungen zur allgemeinen Lage im Herkunftsstaat entstammen dem Länderinformationsblatt samt den dort publizierten Quellen und Nachweisen. Dieser Bericht stützt sich auf Angaben verschiedener ausländischer Behörden, etwa die allgemein anerkannten Berichte des Deutschen Auswärtigen Amtes, als auch jene von internationalen Organisationen, wie z. B. dem UNHCR, sowie Berichte von allgemein anerkannten unabhängigen Nachrichtenorganisationen.

Angesichts der Seriosität und Plausibilität der angeführten Erkenntnisquellen sowie des Umstandes, dass diese Berichte auf einer Vielzahl verschiedener, voneinander unabhängigen Quellen beruhen und dennoch ein in den Kernaussagen übereinstimmendes Gesamtbild ohne wesentliche Widersprüche darbieten, besteht kein Grund, an der Richtigkeit der Angaben zu zweifeln.

Zu den Länderfeststellungen, die ihm das BFA mit der Ladung zur Einvernahme übermittelt hatte, gab der Beschwerdeführer beim BFA keine Stellungnahme ab, sondern erklärte bereits eingangs (und später mehrfach), er wünsche schnellstmöglich nach Marokko zu gelangen. Damit ist er diesen Länderfeststellungen nicht entgegengetreten.

2.3 Zu den Fluchtmotiven des Fremden

2.3.1 Der Beschwerdeführer hat zu seinem ersten Asylantrag vorgebracht, er sei homosexuell und habe sich im Herkunftsstaat für Touristen prostituiert. Als er gehört habe, dass sein Vater Kenntnis von seiner sexuellen Orientierung erlangt habe, sei er geflohen. Der Vater würde ihn getötet haben, weil er den Ruf der Familie ruiniert gehabt hätte.

2.3.2 Im vorigen Verfahren (zum ersten Folgeantrag) hat der Beschwerdeführer angegeben, dass seine Fluchtgründe weiterbestünden; seine Besuche bei den Touristen habe der Vater organisiert.

2.3.3 Die zum nunmehrigen Folgeantrag genannten Fluchtgründe sind damit kein neues Vorbringen, sondern – soweit es die behauptete Angst vor dem Vater betrifft – eine Wiederholung des bisherigen. Der Beschwerdeführer hat damit keinen neuen Fluchtgrund behauptet, der zutreffendenfalls Grund für Asyl oder subsidiären Schutz wäre. Er hat damit auch kein neues Vorbringen erstattet, von dem anzunehmen wäre, dass es zu einer erheblichen Wahrscheinlichkeit beitrüge, ihn als Person mit Anspruch auf internationalen Schutz anzuerkennen, auch vor dem Hintergrund der Länderfeststellungen zur Volksgruppe der Berber (oben 1.2.5).

2.3.4 Schließlich lässt sich den Länderfeststellungen auch nicht entnehmen, dass aus anderen Gründen wahrscheinlich wäre, dem Beschwerdeführer stünde Asyl oder subsidiärer Schutz zu.

Somit konnte die Feststellung getroffen werden, dass der Folgeantrag voraussichtlich zurückgewiesen werden wird.

3. Rechtliche Beurteilung:

Zu A) Rechtmäßigkeit der Aufhebung des faktischen Abschiebeschutzes

Nach § 12a Abs. 2 AsylG 2005 kann das BFA unter anderem dann den faktischen Abschiebe-schutz eines Fremden aufheben, der einen Folgeantrag gestellt hat, wenn dieser voraussichtlich zurückzuweisen ist, weil keine entscheidungswesentliche Änderung des maßgeblichen Sachverhalts eingetreten ist (Z. 2), und die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung keine reale Gefahr einer Verletzung von Art. 2, 3 oder 8 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention bedeuten und für ihn als Zivilperson keine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde (Z. 3).

Weiter ist vorausgesetzt, dass eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG, eine Anordnung zur Außerlandesbringung gemäß § 61 FPG, eine Ausweisung gemäß § 66 FPG oder ein Aufenthaltsverbot gemäß § 67 FPG besteht (Z. 1).

Eine Rückkehrentscheidung liegt den Feststellungen nach vor. Wie auch bereits dargetan, ist kein neues Vorbringen erstattet worden, von dem anzunehmen wäre, dass es beachtlich im Sinne einer materiellen Erledigung anstelle einer Zurückweisung wegen entschiedener Sache wäre.

Nach § 68 AVG hat die Behörde Anbringen von Beteiligten, die eine Abänderung eines formell rechtskräftigen Bescheides begehren, grundsätzlich wegen entschiedener Sache zurückzuweisen. Ausnahmen dazu bilden die Fälle der Wiederaufnahme des Verfahrens und der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nach §§ 69 und 71 AVG sowie die in § 68 Abs. 2 bis 4 AVG vorgesehenen Arten von Abänderungen und Behebungen, auf die kein Rechtsanspruch besteht.

Im Hinblick auf wiederholte Anträge auf internationalen Schutz entspricht es der ständigen Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes, dass nur eine solche behauptete Änderung des Sach-verhaltes die Behörde zu einer neuen Sachentscheidung - nach etwa notwendigen amtswegigen Ermittlungen - berechtigen und verpflichten kann, der rechtlich für sich allein oder in Verbindung mit anderen Tatsachen Relevanz zukäme; eine andere rechtliche Beurteilung des Antrages darf nicht von vornherein ausgeschlossen sein. Die behauptete Sachverhaltsänderung muss zumindest einen „glaubhaften Kern“ aufweisen, dem Relevanz zukommt. Ein Folgeantrag auf internationalen Schutz darf nicht allein deshalb wegen entschiedener Sache zurück-gewiesen werden, weil der nunmehr vorgebrachte Sachverhalt von der Rechtskraft einer früheren Entscheidung über einen Antrag auf internationalen Schutz erfasst sei, ohne dass die Prüfung im Sinn des Art. 40 Abs. 2 und Abs. 3 der Richtlinie 2013/32/EU (Verfahrensrichtlinie) vorgenommen worden wäre, ob „neue Elemente oder Erkenntnisse zutage getreten oder vom Antragsteller vorgebracht worden sind, die erheblich zu der Wahrscheinlichkeit beitragen, dass der Antragsteller nach Maßgabe der Richtlinie 2011/95/EU als Person mit Anspruch auf internationalen Schutz anzuerkennen ist“. (VwGH 25.08.2022, Ra 2021/19/0344, mwN)

Im vorliegenden Fall handelt es sich bei den vorgebrachten Tatsachenbehauptungen weder um glaubhafte nachträglich eingetretene Änderungen noch um – schon früher bekannte oder nachträglich hervorgekommene – Tatsachen oder Beweismittel, die geeignet wären, eine andere Entscheidung herbeizuführen.

Daraus ergibt sich, dass der Beschwerdeführer einen Folgeantrag im Sinne des § 2 Abs. 1 Z. 23 AsylG 2005 gestellt hat, und die Voraussetzungen des § 12a Abs. 2 Z. 1 bis 3 AsylG 2005 vor-liegen, weil dem Beschwerdeführer keine asylrelevante Verfolgung im Herkunftsstaat droht. Daher ist nach den Feststellungen davon auszugehen, dass die in § 68 AVG grundsätzlich vor-gesehene Zurückweisung als Erledigung des BFA zu erwarten ist.

Somit sind die Voraussetzungen des § 12a Abs. 2 AsylG 2005 gegeben, sodass die Aufhebung des faktischen Abschiebeschutzes nicht rechtswidrig ist. Damit hatte das Gericht wie im Spruch zu entscheiden.

Die Entscheidung war mit Beschluss zu treffen, da § 22 Abs. 10 AsylG 2005 dies so vorsieht. Nach § 22 Abs. 1 BFA-VG hatte auch keine Verhandlung stattzufinden.

Zu B) (Un)Zulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung zum faktischen Abschiebeschutz und den Voraussetzungen seiner Aufhebung in Folgeverfahren oder zur Zurückweisung wegen entschiedener Sache.

Weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.

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