Spruch
G316 2233213-1/31E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin Mag.a Katharina MUCKENHUBER über die Beschwerde von XXXX , vertreten durch Rechtsanwälte Dr. Gerhard HACKENBERGER und Mag. Jürgen GREILBERGER, gegen den Bescheid der GIS Gebühren Info Service GmbH (seit 01.01.2024 ORF-Beitrags Service GmbH) vom 29.05.2020 Teilnehmernummer: XXXX , zu Recht:
A) Der Beschwerde wird, soweit sie sich auf die Vorschreibung des Programmentgeltes bezieht, stattgegeben und der angefochtene Bescheid in diesem Umfang gemäß § 28 Abs. 1 und 2 VwGVG ersatzlos behoben.
B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
Entscheidungsgründe:
1. Feststellungen:
Mit Schreiben vom 12.06.2018 ersuchte XXXX (im Folgenden: BF) die GIS Gebühren Info Service GmbH (seit 01.01.2024 ORF-Beitrags Service GmbH) „die vermeintlich offene Gebührenschuld […] per Bescheid festzustellen, um deren Überprüfbarkeit zu ermöglichen“. Begründend wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass der BF die belangte Behörde bereits mehrfach ersucht habe, einen validen Rechtsgrund für die Vorschreibung des Programmentgeltes zu nennen.
Mit dem angefochtenen Bescheid vom 29.05.2020 sprach die belangte Behörde aus:
„Gem. §§ 1, 2, 3 Abs. 1 und 4 sowie § 6 Abs. 1 RGG idF BGBl. I Nr. 70/2016 iVm § 31 ORF Gesetz idF BGBl. I Nr. 32/2018, § 1 Kunstförderungsbeitragsgesetz BGBl. 573/1981 idF BGBl. I Nr. 15/2015, § 2 des Steiermärkischen Rundfunkabgabegesetz, LGBl.NR. 36/2000 i.d.g.F. wird [dem Beschwerdeführer] die Zahlung von Rundfunkgebühren samt der damit verbundenen Abgaben und Entgelte für den Betrieb von Rundfunkempfangseinrichtungen Radio und Fernsehen am Standort […], Teilnehmernummer […] für den Zeitraum vom 01. April 2017 bis 31. Mai 2020 in der Höhe von insgesamt € 1.015,74 vorgeschrieben. Davon hat der Rundfunkteilnehmer € 31,03 bereits entrichtet, der Betrag von € 984,71 ist noch zu entrichten. Der Betrag von Euro € 984,71 ist binnen 14 Tagen nach Rechtskraft des Bescheides zu bezahlen.“
Gegen diesen Bescheid erhob der BF fristgerecht Beschwerde.
Am 21.07.2020 wurde die Beschwerde samt dem maßgeblichen Verwaltungsakt dem Bundesverwaltungsgericht vorgelegt.
Mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 12.11.2021, Zl. W194 2233213-1/20E wurde die Beschwerde als unbegründet abgewiesen.
Mit Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom 27.02.2023 zu E 4603/2021-5 wurde das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 12.11.2021, W194 2233213-1/20E, hinsichtlich der Vorschreibung eines Programmentgeltes wegen Anwendung eines verfassungswidrigen Gesetzes aufgehoben. Im Übrigen wurde die Behandlung der Beschwerde abgelehnt und dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung abgetreten.
Die sodann eingebrachte außerordentliche Revision wurde mit Beschluss des Verwaltungsgerichtshofes vom 28.03.2025, Ra 2023/15/0042-5 zurückgewiesen.
Das Verfahren wurde aufgrund der zwischenzeitlichen Auflassung der Gerichtabteilung W194 der nunmehr zuständigen Gerichtabteilung G316 zugewiesen.
2. Beweiswürdigung:
Die Feststellungen zum maßgeblichen Sachverhalt ergeben sich aus dem Erkenntnis des Bundeverwaltungsgericht vom 12.11.2021, Zl. W194 2233213-1/20E sowie dem Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom 27.02.2023 zu E 4603/2021-5 und dem Beschluss des Verwaltungsgerichtshofes vom 28.03.2025, Ra 2023/15/0042-5. Der verfahrensmaßgebliche Sachverhalt konnte aufgrund der vorliegenden Aktenlage zweifelsfrei und vollständig festgestellt werden.
3. Rechtliche Beurteilung:
Zu A)
Der angefochtene Bescheid betrifft die Vorschreibung des Programmentgeltes für den Zeitraum von 01.04.2017 bis 31.05.2020.
Die damals geltende Fassung des § 31 des Bundesgesetzes über den Österreichischen Rundfunk (ORF-Gesetz – ORF-G) BGBl. Nr. 379/1984 idF BGBl. I Nr. 55/2014, lautete: „Programmentgelt
§ 31. (1) Jedermann ist zum Empfang der Hörfunk- bzw. Fernsehsendungen des Österreichischen Rundfunks gegen ein fortlaufendes Programmentgelt (Radioentgelt, Fernsehentgelt) berechtigt. Die Höhe des Programmentgelts wird auf Antrag des Generaldirektors vom Stiftungsrat festgelegt. Der Generaldirektor hat einen Antrag auf Neufestlegung des Programmentgelts nach Maßgabe der wirtschaftlichen Erfordernisse zu stellen, spätestens jedoch nach Ablauf von fünf Jahren ab dem letzten Antrag.
(2) Die Höhe des Programmentgelts ist so festzulegen, dass unter Zugrundelegung einer sparsamen, wirtschaftlichen und zweckmäßigen Verwaltung der öffentlich-rechtliche Auftrag erfüllt werden kann; hierbei ist auf die gesamtwirtschaftliche Entwicklung Bedacht zu nehmen. Die Höhe des Programmentgelts ist mit jenem Betrag begrenzt, der erforderlich ist, um die voraussichtlichen Nettokosten des öffentlich-rechtlichen Auftrags angesichts der zu erwartenden Zahl der zur Entrichtung des Programmentgelts Verpflichteten in einem Zeitraum von fünf Jahren ab Festlegung des Programmentgelts (Finanzierungsperiode) decken zu können. Der Berechnung der Höhe des Programmentgelts zu Grunde liegende Annahmen über zu erwartende Entwicklungen haben begründet und nachvollziehbar zu sein.
(3) Die Nettokosten des öffentlich-rechtlichen Auftrags entsprechen den Kosten, die zur Erbringung des öffentlich-rechtlichen Auftrags anfallen, unter Abzug der erwirtschafteten Nettoerlöse aus kommerzieller Tätigkeit im Zusammenhang mit öffentlich-rechtlicher Tätigkeit, sonstiger öffentlicher Zuwendungen, insbesondere der Zuwendung nach Abs. 11, sowie der in der Widmungsrücklage (§ 39 Abs. 2) gebundenen Mittel sowie unter Berücksichtigung allfälliger Konzernbewertungen. Verluste aus kommerziellen Tätigkeiten dürfen nicht eingerechnet werden.
(4) bis (9) (…)
(10) Das Programmentgelt ist unabhängig von der Häufigkeit und der Güte der Sendungen oder ihres Empfanges zu zahlen, jedenfalls aber dann, wenn der Rundfunkteilnehmer (§ 2 Abs. 1 RGG) an seinem Standort mit den Programmen des Österreichischen Rundfunks gemäß § 3 Abs. 1 terrestrisch (analog oder DVB-T) versorgt wird. Der Beginn und das Ende der Pflicht zur Entrichtung des Programmentgeltes sowie die Befreiung von dieser Pflicht richten sich nach den für die Rundfunkgebühren geltenden bundesgesetzlichen Vorschriften.
(11) bis (16) (..)
(17) Das Programmentgelt ist gleichzeitig mit den Rundfunkgebühren und in gleicher Weise wie diese einzuheben; eine andere Art der Zahlung tilgt die Schuld nicht.
(17a) (…)
(18) Rückständige Programmentgelte können zu Gunsten des Österreichischen Rundfunks von dem mit der Einbringung der Rundfunkgebühren beauftragten Rechtsträger in gleicher Weise wie rückständige Rundfunkgebühren im Verwaltungsweg hereingebracht werden.
(19) (…)“
Art 140 Abs. 7 Bundes-Verfassungsgesetz - B-VG, BGBl. Nr. 1/1930 idF BGBl. I Nr. 114/2013 lautet:
„(7) Ist ein Gesetz wegen Verfassungswidrigkeit aufgehoben worden oder hat der Verfassungsgerichtshof gemäß Abs. 4 ausgesprochen, dass ein Gesetz verfassungswidrig war, so sind alle Gerichte und Verwaltungsbehörden an den Spruch des Verfassungsgerichtshofes gebunden. Auf die vor der Aufhebung verwirklichten Tatbestände mit Ausnahme des Anlassfalles ist jedoch das Gesetz weiterhin anzuwenden, sofern der Verfassungsgerichtshof nicht in seinem aufhebenden Erkenntnis anderes ausspricht. Hat der Verfassungsgerichtshof in seinem aufhebenden Erkenntnis eine Frist gemäß Abs. 5 gesetzt, so ist das Gesetz auf alle bis zum Ablauf dieser Frist verwirklichten Tatbestände mit Ausnahme des Anlassfalles anzuwenden.“
Hebt der Verfassungsgerichtshof ein Gesetz wegen Verfassungswidrigkeit auf, ist nach Art 140 Abs. 7 B-VG das Gesetz mit „Ausnahme des Anlassfalles“ auf die vor der Aufhebung verwirklichten Tatbestände weiterhin anzuwenden. Nach der Judikatur des Verfassungsgerichtshofes ist ein Anlassfall nach Aufhebung einer Gesetzesbestimmung so zu entscheiden, als ob die aufgehobene Gesetzesstelle bereits im Zeitpunkt der Konkretisierung des maßgeblichen Sachverhaltes nicht mehr dem Rechtsbestand angehört hätte. Dieser Grundsatz gilt nicht nur für den Verfassungsgerichtshof selbst, sondern auch für die Behörden, die nach § 87 Abs. 2 Verfassungsgerichthofgesetz 1953 – VerfGG, verpflichtet sind, in dem betreffenden Fall mit den ihnen zu Gebote stehenden Mitteln den der Rechtsanschauung des VfGH entsprechenden Rechtszustand herzustellen (vgl. z.B. VfSlg. 7651/1975). Von der in § 87 Abs. 2 VerfGG statuierten Bindungswirkung sind auch die nach einer Entscheidungsbeschwerde gemäß Art 144 Abs. 1 B-VG fortgesetzten Verfahren vor den Verwaltungsgerichten umfasst.
Diesen in Art 140 Abs. 7 B-VG geregelten Anlassfällen, auf Grund derer das Gesetzesprüfungsverfahren eingeleitet wurde („Anlassfälle im engeren Sinn“), sind nach ständiger Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes Erkenntnisbeschwerden gleichgesetzt, in denen die als verfassungswidrig beurteilte Vorschrift anzuwenden war und die zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung im Gesetzesprüfungsverfahren oder bei Unterbleiben einer mündlichen Verhandlung zu Beginn der nichtöffentlichen Beratung beim Verfassungsgerichtshof anhängig waren - sogenannte „Quasi-Anlassfälle“ (VfSlg. 10.067/1984, 10.616/1985). Im Fall einer Beschwerde gegen eine Entscheidung eines Verwaltungsgerichtes, der ein auf Antrag eingeleitetes Verwaltungsverfahren vorausgegangen ist, muss der verfahrenseinleitende Antrag vor Bekanntmachung des zugrunde liegenden Prüfungsbeschlusses des Verfassungsgerichtshofes eingebracht worden sein um in den Genuss der Privilegierung dieser Gleichstellung zu gelangen (vgl. VfSlg. 17.687/2005, VfGH 26.11.2018, E3711/2017).
Die nichtöffentliche Sitzung im Gesetzesprüfungsverfahren zu G 226/2021, in welchem schlussendlich die Wortfolge „, jedenfalls aber dann, wenn der Rundfunkteilnehmer (§ 2 Abs. 1 RGG) an seinem Standort mit den Programmen des Österreichischen Rundfunks gemäß § 3 Abs. 1 terrestrisch (analog oder DVB-T) versorgt wird. Der Beginn und das Ende der Pflicht zur Entrichtung des Programmentgeltes sowie die Befreiung von dieser Pflicht richten sich nach den für die Rundfunkgebühren geltenden bundesgesetzlichen Vorschriften“ in § 31 Abs. 10 ORF-G sowie § 31 Abs. 17 und 18 ORF-G als verfassungswidrig aufgehoben wurden, begann am 22.06.2022. Zu dieser Zeit war die Beschwerde gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 12.11.2021, W194 2233213-1/20E beim Verfassungsgerichtshof bereits anhängig, weshalb sie nach der Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (VfSlG. 10.616/1985) einem Anlassfall gleichzuhalten ist.
In diesem Sinne stellte der Verfassungsgerichtshof fest, dass der BF durch das angefochtene Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes, soweit damit die Beschwerde gegen die Vorschreibung eines Programmentgeltes abgewiesen wurde, wegen Anwendung eines verfassungswidrigen Gesetzes in seinen Rechten verletzt worden sei und hob das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 12.11.2021, W194 2233213-1/20E, in diesem Umfang auf. Die mit Erkenntnis des VfGH vom 30. Juni 2022 zu G 22/2021 als verfassungswidrig aufgehobenen Gesetzesbestimmungen sind im nunmehr fortgesetzten Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht nicht mehr anzuwenden. Im konkreten Fall ist daher so zu entscheiden, als ob die betreffenden Gesetzesstellen bereits zum Zeitpunkt der Verwirklichung des zugrunde liegenden Sachverhaltes nicht in Geltung gestanden wären.
Im Übrigen wurde die Behandlung der Beschwerde abgelehnt und dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung abgetreten. Die sodann eingebrachte außerordentliche Revision wurde mit Beschluss des Verwaltungsgerichtshofes vom 28.03.2025, Ra 2023/15/0042-5 zurückgewiesen. Der in der Stellungnahme vom 11.06.2025 geforderten nochmaligen Übrprüfung des angefochtenen Bescheides über die Vorschreibung des Programmentgeltes hinaus steht das Prozesshindernis der entschiedenen Sache (res iudicata) entgegen und hat somit zu unterbleiben.
Es war daher spruchgemäß zu entscheiden und der bekämpfte Bescheid gemäß § 28 Abs. 1 VwGVG ersatzlos zu beheben.
Von der Durchführung einer mündlichen Verhandlung konnte im vorliegenden Fall gemäß § 24 Abs. 1 VwGVG abgesehen werden, da schon aufgrund der Aktenlage der angefochtene Bescheid ersatzlos zu beheben war.
Zu B) Unzulässigkeit der Revision:
Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. In diesem Zusammenhang ist insbesondere auf die Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur Bindungswirkung aufhebender Erkenntnisse des Verfassungsgerichtshofes nach § 87 Abs. 2 VerfGG zu verweisen (vgl. etwa VwGH 03.01.2022, Ro 2020/10/0032).