JudikaturBVwG

L501 2311515-1 – Bundesverwaltungsgericht Entscheidung

Entscheidung
16. Juni 2025

Spruch

L501 2311515-1/4E BESCHLUSS

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag. Irene ALTENDORFER als Vorsitzende und den Richter Mag. Hermann LEITNER sowie den fachkundigen Laienrichter Reg. Rat Johann PHILIPP als Beisitzer über die Beschwerde von Herrn XXXX gegen den Bescheid des Sozialministeriumservice vom 08.01.2025, OB XXXX , betreffend Abweisung des Antrages auf Feststellung der Zugehörigkeit zum Kreis der begünstigten Behinderten beschlossen:

A)

In Erledigung der Beschwerde wird der bekämpfte Bescheid behoben und die Angelegenheit gemäß § 28 Abs. 3 2. Satz Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz (VwGVG) zur Erlassung eines neuen Bescheides an das Sozialministeriumservice zurückverwiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

Begründung:

I. Verfahrensgang:

Mit dem am 27.11.2024 beim Sozialministeriumservice (in der Folge „belangte Behörde“) eingelangten Schreiben brachte die nunmehr beschwerdeführende Partei (in der Folge „bP“) einen Antrag auf Feststellung der Zugehörigkeit zum Personenkreis der begünstigten Behinderten ein.

In dem hierauf von der belangten Behörde eingeholten medizinischen Sachverständigengutachten aufgrund der Aktenlage vom 03.12.2024 aus dem Bereich Neurologie wurde im Wesentlichen wie folgt ausgeführt:

Begründung für den Gesamtgrad der Behinderung: Führend ist das Leiden Nummer 1 mit 30 %. Die restlichen Leiden steigern aufgrund von Geringfügigkeit nicht weiter

Mit dem verfahrensgegenständlichen Bescheid wies die belangte Behörde den Antrag auf Feststellung der Zugehörigkeit zum Personenkreis der begünstigten Behinderten gemäß §§ 2 und 14 Abs. 1 und 2 BEinstG ab. Nach Zitierung der rechtlichen Grundlagen wurde festgehalten, dass gemäß dem eingeholten medizinischen Sachverständigengutachten, welches zum Bestandteil der Begründung erklärt und beigefügt wurde, ein Grad der Behinderung von 30 vH vorliegt.

In der fristgerecht erhobenen Beschwerde erklärt die bP, sie leide sehr unter der Diagnose und Erkrankung „Multiple Sklerose“, die damit verbundenen psychischen Probleme, Belastungsstörungen, Kopfschmerzen, Angststörung, Erschöpfung, Panik und Schlafprobleme würden sie sehr belasten. Sie sei in Psychotherapie. Sie werde Befunde von ihrem HNO Arzt, Urologen und Orthopäden übermitteln.

Mit Schreiben vom 23.04.2025 wurde die Beschwerde samt Akt dem Bundesverwaltungsgericht weitergeleitet.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

Im gegenständlichen Verfahren wurden die notwendigen Ermittlungen bzw. die Feststellung des maßgeblichen Sachverhaltes unterlassen. Hinsichtlich des Verfahrensgangs, der Ausführungen im Sachverständigengutachten und des Vorbringens der bP wird auf Punkt I. verwiesen.

2. Beweiswürdigung:

Der Verfahrensgang und die Feststellungen ergeben sich zweifelsfrei aus dem zur gegenständlichen Rechtssache vorliegenden Verwaltungsakt der belangten Behörde sowie des Gerichtsaktes.

3. Rechtliche Beurteilung:

Gemäß § 6 des Bundesgesetzes über die Organisation des Bundesverwaltungsgerichtes (Bundesverwaltungsgerichtsgesetz – BVwGG) entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist. Gemäß § 19b Abs. 1 BEinstG entscheidet das Bundesverwaltungsgericht in Verfahren über Beschwerden in Rechtssachen in den Angelegenheiten des § 14 Abs. 2 durch den Senat. Gegenständlich liegt somit Senatszuständigkeit vor.

Gemäß § 17 VwGVG sind, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles, […], und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.

Gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG hat das Verwaltungsgericht über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG dann in der Sache selbst zu entscheiden, wenn der maßgebliche Sachverhalt feststeht oder die Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts durch das Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist. Hat die Behörde notwendige Ermittlungen des Sachverhalts unterlassen, so kann das Verwaltungsgericht den angefochtenen Bescheid mit Beschluss aufheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an die Behörde zurückverweisen. Die Behörde ist hierbei an die rechtliche Beurteilung gebunden, von welcher das Verwaltungsgericht bei seinem Beschluss ausgeht

Zu A) Aufhebung und Zurückverweisung

3.1 zu ermittelnder Sachverhalt

Gemäß § 14 Abs. 2 BEinstG hat auf Antrag des Menschen mit Behinderung das Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen unter Mitwirkung von ärztlichen Sachverständigen den Grad der Behinderung nach den Bestimmungen der Einschätzungsverordnung (BGBl. II Nr. 261/2010) einzuschätzen und bei Zutreffen der im § 2 Abs. 1 angeführten sonstigen Voraussetzungen die Zugehörigkeit zum Kreis der nach diesem Bundesgesetz begünstigten Behinderten (§ 2) sowie den Grad der Behinderung festzustellen.

3.2. Kassation

Der Verwaltungsgerichtshof hat mit Erkenntnis vom 26.06.2014, Ro 2014/03/0063, ausgesprochen, dass angesichts des in § 28 VwGVG insgesamt verankerten Systems die nach § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG bestehende Zurückverweisungsmöglichkeit eine Ausnahme von der grundsätzlichen meritorischen Entscheidungszuständigkeit der Verwaltungsgerichte darstellt. Nach dem damit gebotenen Verständnis steht diese Möglichkeit bezüglich ihrer Voraussetzungen nicht auf derselben Stufe wie die im ersten Satz des § 28 Abs. 3 VwGVG verankerte grundsätzliche meritorische Entscheidungskompetenz der Verwaltungsgerichte. Eine Zurückverweisung der Sache an die Verwaltungsbehörde zur Durchführung notwendiger Ermittlungen kommt insbesondere dann in Betracht, wenn diese jegliche erforderliche Ermittlungstätigkeit unterlassen hat, wenn sie zur Ermittlung des maßgebenden Sachverhalts (vgl. § 37 AVG) lediglich völlig ungeeignete Ermittlungsschritte gesetzt oder bloß ansatzweise ermittelt hat. Gleiches gilt, wenn konkrete Anhaltspunkte annehmen lassen, dass die Verwaltungsbehörde (etwa schwierige) Ermittlungen unterließ, damit diese dann durch das Verwaltungsgericht vorgenommen werden (etwa im Sinne einer "Delegierung" der Entscheidung an das Verwaltungsgericht).

Im vorliegenden Fall war das Sozialministeriumservice dazu verhalten, den Grad der Behinderung nach der Einschätzungsverordnung, BGBl. II 261/2010, unter Mitwirkung von ärztlichen Sachverständigen zu ermitteln. Die Behörde hat das eingeholte Gutachten auf seine Vollständigkeit, seine Widerspruchsfreiheit und seine Schlüssigkeit zu überprüfen. Stützt sie sich auf ein unschlüssiges, widersprüchliches oder unvollständiges Gutachten, kommt sie ihrer Pflicht zur Erhebung des maßgeblichen Sachverhalts nicht nach (VwSlg. 12.654 A/1988; Hengstschläger/Leeb, AVG [2005] § 52 Rz 62). Maßgeblich für die Schlüssigkeit ist die Beachtung der inhaltlichen Anforderungen an ein Gutachten (Befund mit Anführung der tatsächlichen Grundlagen und der Art ihrer Beschaffung, sowie Gutachten im engeren Sinn; siehe dazu zB Hengstschläger/Leeb aaO Rz 59). Zu den inhaltlichen Anforderungen gehört, dass erkennbar ist, auf welche Tatsachenannahmen sich der Sachverständige als Grundlage seiner Beurteilung bezieht, und dass der Teil, der als Gutachten im engeren Sinn (bzw. Schlussfolgerung) anzusehen ist, so verfasst ist, dass eine Überprüfung der Aussagen des Sachverständigen auf ihre Schlüssigkeit möglich ist, dass also vom Sachverständigen dargelegt wird, auf welche Weise er zu seinem Urteil gekommen ist, wobei es ihm obliegt, die Erfahrungssätze seines Fachgebietes in ihrer konkreten Anwendung auf den zu beurteilenden Einzelfall in einer für nicht Sachkundige einsichtigen Weise offen zu legen (Hengstschläger/Leeb aaO Rz 60).

Legt man diese Anforderungen auf das Vorgehen der belangten Behörde im Beschwerdefall um, zeigt sich, dass diese ihrer Ermittlungspflicht nicht nachgekommen ist. Die Einschätzungen des Sachverständigen basieren auf keiner klinischen Untersuchung seinerseits, sondern wurden diese aufgrund der Aktenlage erstellt. Es handelt sich sohin nicht um ein Gutachten im Rechtssinne, es scheint kein Befund auf und mangelt es sohin an Schlüssigkeit und Nachvollziehbarkeit.

Das vorliegende Gutachten, das sich in der Abgabe eines Urteiles (eines Gutachtens im engeren Sinn) erschöpft, aber weder die Tatsachen, auf die sich dieses Urteil gründet, noch die Art, wie diese Tatsachen ermittelt wurden, erkennen lässt, ist mit einem wesentlichen Mangel behaftet und als Beweismittel unbrauchbar (vgl. VwGH vom 17.02.2004, 2002/06/0151).

Das Verwaltungsgericht hätte daher nicht nur Ergänzungen des im behördlichen Verfahren erhobenen Sachverhalts vorzunehmen, sondern sehr viel weitreichendere Erhebungen zu pflegen, insbesondere ein Sachverständigengutachten im Rechtssinne einzuholen. Der für eine rechtlich einwandfreie Entscheidung notwendige maßgebliche Sachverhalt ist daher in der erforderlichen Gesamtschau als nur im Ansatz ermittelt anzusehen.

Ausgehend von diesen Überlegungen ist daher im gegenständlichen Fall das dem Bundesverwaltungsgericht gemäß § 28 Abs. 3 2. Satz VwGVG eingeräumte Ermessen im Sinne einer kassatorischen Entscheidung auszuüben und das Verfahren an die belangte Behörde zurückzuverweisen, welches das Ermittlungsverfahrens unter Beachtung obiger Ausführungen durchzuführen und sodann neuerlich in der Sache zu entscheiden hat.

Zu B) Unzulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs. 1 des Verwaltungsgerichtshofgesetzes 1985 (VwGG) hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig. Konkrete Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung sind weder in der gegenständlichen Beschwerde vorgebracht worden noch im Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht hervorgekommen. Das Bundesverwaltungsgericht konnte sich bei allen erheblichen Rechtsfragen auf eine ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes bzw. auf eine ohnehin klare Rechtslage stützen. Es handelt sich um eine einzelfallbezogene Beurteilung, welche im Rahmen der von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze vorgenommen wurde.

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