JudikaturBVwG

W278 2295951-1 – Bundesverwaltungsgericht Entscheidung

Entscheidung
28. Mai 2025

Spruch

W278 2295951-1/3E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Mag. Dominik HABITZL als Einzelrichter über die Beschwerde der XXXX , StA. Afghanistan, vertreten durch die BBU, gegen Spruchpunkt I. des Bescheides des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 15.05.2024, XXXX , zu Recht:

A)

Der Beschwerde wird stattgegeben und XXXX gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 der Status der Asylberechtigten zuerkannt.

Gemäß § 3 Abs. 5 AsylG 2005 wird festgestellt, dass XXXX damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang:

Die Beschwerdeführerin stellte am XXXX den gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz.

Am 21.04.2023 fand vor einem Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes die niederschriftliche Erstbefragung der Beschwerdeführerin statt. Zu ihrem Fluchtgrund befragt gab die Beschwerdeführerin an, sie habe Afghanistan verlassen da ihr Vater dort Probleme gehabt habe. Das Leben der Beschwerdeführerin und ihrer Familie sei in Gefahr gewesen. Ihr Vater sei während der Flucht im Iran zurückgeblieben.

Am 26.03.2024 wurde die Beschwerdeführerin vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (in der Folge: BFA) im Beisein eines Dolmetschers für die Sprache Paschtu niederschriftlich einvernommen. Zu ihren Fluchtgründen befragt, gab die Beschwerdeführerin im Wesentlichen an, dass ihr Cousin Probleme mit den XXXX gehabt hätte. Angehörige dieser Gruppierung hätten gewollt, dass ihnen der Vater den Cousin übergebe. Sie hätten ihren Vater dabei nicht in Ruhe gelassen. Darüberhinaus habe die Beschwerdeführerin geäußert ihr eigenes Leben und das Leben ihrer Familie wäre im Falle einer Rückkehr wegen der Probleme mit der Taliban in Gefahr. Als Frau habe man in Afghanistan keine Möglichkeit auf eine schulische Ausbildung. Sie habe das Haus nie verlassen dürfen und sich nicht frei bewegen können. Auch zum Wasser holen, habe sie immer eine Burka tragen müssen.

Mit Bescheid des BFA vom 15.05.2024 wurde der Antrag der Beschwerdeführerin auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status der Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 abgewiesen (Spruchpunkt I.) und ihr gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 34 Abs. 3 AsylG 2005 der Status der subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt (Spruchpunkt II.). Der Beschwerdeführerin wurde eine befristete Aufenthaltsberechtigung für subsidiär Schutzberechtigte für ein Jahr gemäß § 8 Abs. 4 AsylG 2005 erteilt (Spruchpunkt III.).

Das BFA traf umfassende herkunftsstaatsbezogene Feststellungen zur allgemeinen Lage in Afghanistan, stellte die Identität der Beschwerdeführerin nicht fest und begründete im angefochtenen Bescheid die abweisende Entscheidung im Wesentlichen damit, dass ihr Fluchtvorbringen nicht glaubhaft sei. Die Beschwerdeführerin habe kein individuelles, sie persönlich betreffendes Bedrohungs- bzw. Verfolgungsszenario vorgetragen.

Gegen Spruchpunkt I. dieses Bescheides wurde fristgerecht Beschwerde erhoben und im Wesentlichen ein mangelhaftes Ermittlungsverfahren, mangelhafte Länderfeststellungen, eine mangelhafte Beweiswürdigung und die inhaltliche Rechtswidrigkeit gerügt.

Beantragt wurde unter anderem, eine mündliche Beschwerdeverhandlung durchzuführen.

Die gegenständliche Beschwerde und der Bezug habende Verwaltungsakt wurden vom BFA vorgelegt und sind am 19.07.2024 beim Bundesverwaltungsgericht eingelangt.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

1.1. Zur Person und zu den Fluchtgründen der Beschwerdeführerin:

Die Beschwerdeführerin ist eine ledige, afghanische Staatsangehörige, hat keine Kinder, gehört der Volksgruppe der Paschtunen an und ist muslimischen Glaubens. Sie spricht muttersprachlich Paschtu.

Die Beschwerdeführerin stammt aus dem Distrikt XXXX , Provinz Nangarhar, Afghanistan.

Der Vater ist unbekannten Aufenthalts. Mütterlicherseits leben drei Onkel, vier Tanten und die Großmutter der Beschwerdeführerin nach wie vor in Afghanistan. Väterlicherseits leben noch zwei Tanten und die Großmutter der Beschwerdeführerin in Afghanistan. Es besteht Kontakt zur Familie mütterlicherseits.

Die Beschwerdeführerin hat vier Geschwister, welche sich gemeinsam mit der Mutter in Österreich befinden.

Die Beschwerdeführerin reiste in Begleitung ihrer Mutter im Herbst 2022 aus Afghanistan aus, reiste über mehrere Länder am XXXX illegal nach Österreich ein und stellte am selben Tag einen Antrag auf internationalen Schutz.

Als afghanischer Frau drohen der Beschwerdeführerin im Falle einer Rückkehr nach Afghanistan aufgrund der aktuellen Verhältnisse seitens der Taliban tatsächlich und spezifisch Verfolgungshandlungen aufgrund ihres Geschlechts.

Sie hat keine asylfremden Motive hinsichtlich ihrer Antragstellung auf internationalen Schutz vorgebracht.

Die Beschwerdeführerin ist in Österreich subsidiär schutzberechtigt und strafgerichtlich unbescholten.

1.2. Zur maßgeblichen Situation in Afghanistan:

Aus dem Länderinformationsblatt Afghanistan der Staatendokumentation des BFA, Stand: 30.01.2025

„Politische Lage

Die politischen Rahmenbedingungen in Afghanistan haben sich mit der Machtübernahme durch die Taliban im August 2021 grundlegend verändert (AA 26.6.2023). Die Taliban sind zu der ausgrenzenden, auf die Paschtunen ausgerichteten, autokratischen Politik der Taliban-Regierung der späten 1990er-Jahre zurückgekehrt (UNSC 1.6.2023a2023b). Sie bezeichnen ihre Regierung als das "Islamische Emirat Afghanistan" (USIP 17.8.2022; vgl. VOA 1.10.2021), den Titel des ersten Regimes, das sie in den 1990er-Jahren errichteten, und den sie während ihres zwei Jahrzehnte andauernden Aufstands auch für sich selbst verwendeten. Das Emirat ist um einen obersten Führer, den Emir, herum organisiert, von dem man glaubt, dass er von Gott mit der Autorität ausgestattet ist, alle Angelegenheiten des Staates und der Gesellschaft zu beaufsichtigen. Seit ihrer Machtübernahme hat die Gruppe jedoch nur vage erklärt, dass sie im Einklang mit dem "islamischen Recht und den afghanischen Werten" regieren wird, und hat nur selten die rechtlichen oder politischen Grundsätze dargelegt, die ihre Regeln und Verhaltensweise bestimmen (USIP 17.8.2022). Die Verfassung von 2004 ist de facto ausgehebelt. Ankündigungen über die Erarbeitung einer neuen Verfassung sind bislang ohne sichtbare Folgen geblieben. Die Taliban haben begonnen, staatliche und institutionelle Strukturen an ihre religiösen und politischen Vorstellungen anzupassen. Im September 2022 betonte der Justizminister der Taliban, dass eine Verfassung für Afghanistan nicht notwendig sei (AA 26.6.2023).

Nach ihrer Machtübernahme in Afghanistan übernahmen die Taliban auch schnell staatliche Institutionen (USIP 17.8.2022) und erklärten Haibatullah Akhundzada zu ihrem obersten Führer (Afghan Bios 7.7.2022a; vgl. REU 7.9.2021a, VOA 19.8.2021). Er kündigte an, dass alle Regierungsangelegenheiten und das Leben in Afghanistan den Gesetzen der Scharia unterworfen werden (ORF 8.9.2021; vgl. DIP 4.1.2023). Haibatullah hat sich dem Druck von außen, seine Politik zu mäßigen, widersetzt (UNSC 1.6.2023a2023b) und baut seinen Einfluss auf Regierungsentscheidungen auf nationaler und subnationaler Ebene auch im Jahr 2023 weiter aus (UNGA 20.6.2023). Es gibt keine Anzeichen dafür, dass andere in Kabul ansässige Taliban-Führer die Politik wesentlich beeinflussen können. Kurz- bis mittelfristig bestehen kaum Aussichten auf eine Änderung (UNSC 1.6.2023a2023b). Innerhalb weniger Wochen nach der Machtübernahme kündigten die Taliban "Interims"-Besetzungen für alle Ministerien bis auf ein einziges an, wobei die Organisationsstruktur der vorherigen Regierung beibehalten wurde (USIP 17.8.2022) - das Ministerium für Frauenangelegenheiten blieb unbesetzt und wurde später aufgelöst (USIP 17.8.2022; vgl. HRW 4.10.2021). Alle amtierenden Minister waren hochrangige Taliban-Führer; es wurden keine externen politischen Persönlichkeiten ernannt, die überwältigende Mehrheit war paschtunisch, und alle waren Männer. Seitdem haben die Taliban die interne Struktur verschiedener Ministerien mehrfach geändert und das Ministerium für die Verbreitung der Tugend und die Verhütung des Lasters wiederbelebt, das in den 1990er-Jahren als strenge "Sittenpolizei" berüchtigt war, die strenge Vorschriften für das soziale Verhalten durchsetzte (USIP 17.8.2022). Bezüglich der Verwaltung haben die Taliban Mitte August 2021 nach und nach die Behörden und Ministerien übernommen. Sie riefen die bisherigen Beamten und Regierungsmitarbeiter dazu auf, wieder in den Dienst zurückzukehren, ein Aufruf, dem manche von ihnen auch folgten (ICG 24.8.2021; vgl. USDOS 12.4.2022a), wobei weibliche Angestellte aufgefordert wurden, zu Hause zu bleiben (BBC 19.9.2021; vgl. Guardian 20.9.2021). Die für die Wahlen zuständigen Institutionen, sowie die Unabhängige Menschenrechtskommission, der Nationale Sicherheitsrat und die Sekretariate der Parlamentskammern wurden abgeschafft (AA 26.6.2023).

[…]

Sah es in den ersten sechs Monaten ihrer Herrschaft so aus, als ob das Kabinett unter dem Vorsitz des Premierministers die Regierungspolitik bestimmen würde, wurden die Minister in großen und kleinen Fragen zunehmend vom Emir, Haibatullah Akhundzada, überstimmt (USIP 17.8.2022). Diese Dynamik wurde am 23.3.2022 öffentlich sichtbar, als der Emir in letzter Minute die lange versprochene Rückkehr der Mädchen in die Oberschule kippte (USIP 17.8.2022; vgl. RFE/RL 24.3.2022, UNGA 15.6.2022). Seitdem ist die Bildung von Mädchen und Frauen und andere umstrittene Themen ins Stocken geraten, da pragmatische Taliban-Führer dem Emir nachgeben, der sich von ultrakonservativen Taliban-Klerikern beraten lässt. Ausländische Diplomaten haben begonnen, von "duellierenden Machtzentren" zwischen den in Kabul und Kandahar ansässigen Taliban zu sprechen (USIP 17.8.2022) und es gibt auch Kritik innerhalb der Taliban, beispielsweise als im Mai 2022 ein hochrangiger Taliban-Beamter als erster die Taliban-Führung offen für ihre repressive Politik in Afghanistan kritisierte (RFE/RL 3.6.2022a). Doch der Emir und sein Kreis von Beratern und Vertrauten in Kandahar kontrollieren nicht jeden Aspekt der Regierungsführung. Mehrere Ad-hoc-Ausschüsse wurden ernannt, um die Politik zu untersuchen und einen Konsens zu finden, während andere Ausschüsse Prozesse wie die Versöhnung und die Rückkehr politischer Persönlichkeiten nach Afghanistan umsetzen. Viele politische Maßnahmen unterscheiden sich immer noch stark von einer Provinz zur anderen des Landes. Die Taliban-Beamten haben sich, wie schon während ihres Aufstands, als flexibel erwiesen, je nach den Erwartungen der lokalen Gemeinschaften. Darüber hinaus werden viele Probleme nach wie vor über persönliche Beziehungen zu einflussreichen Taliban-Figuren gelöst, unabhängig davon, ob deren offizielle Position in der Regierung für das Problem verantwortlich ist (USIP 17.8.2022).

[…]

Am 22.11.2023 verkündeten die Taliban den Abschluss einer zweitägigen Kabinettssitzung in der Provinz Kandahar unter der Leitung von Hebatullah Akhundzada. Auffallend war, dass Themen wie das Recht der Frauen auf Arbeit und Zugang zu Bildung sowie ihre Teilhabe an der Gesellschaft nicht Gegenstand der Beratungen waren. Es wurden Gespräche über Themen wie die Rückführung von Migranten, die Entwicklung diplomatischer Beziehungen zur Bewältigung bestehender Probleme, Import-Export- und Transitfragen sowie die Beibehaltung der Geldpolitik der Taliban geführt (AT 22.11.2023; vgl. AMU 22.11.2023).

[…]

Relevante Bevölkerungsgruppen

Frauen

Bereits vor Machtübernahme der Taliban war die afghanische Regierung nicht willens oder in der Lage, die Frauenrechte in Afghanistan vollumfänglich umzusetzen, allerdings konnten Mädchen grundsätzlich Bildungseinrichtungen besuchen, Frauen studieren und weitgehend am Berufsleben teilnehmen, wenn auch nicht in allen Landesteilen gleichermaßen (AA 12.7.2024). Es gab eine Reihe von Gesetzen, Institutionen und Systemen, die sich mit den Rechten von Frauen und Mädchen in Afghanistan befassten. So hatte beispielsweise das Ministerium für Frauenangelegenheiten mit seinen Büros in der Hauptstadt und in jeder der 34 Provinzen des Landes die Aufgabe, "die gesetzlichen Rechte der Frauen zu sichern und zu erweitern und die Rechtsstaatlichkeit in ihrem Leben zu gewährleisten" (AI 7.2022).

In den letzten drei Jahren haben die Taliban Beschränkungen für Frauen eingeführt, die sie an der aktiven Teilnahme an der Gesellschaft hindern (AAN 8.2024; vgl. HRW 11.1.2024, IOM 22.2.2024). Rechte von Frauen und Mädchen auf Bildung, Arbeit und Bewegungsfreiheit wurden eingeschränkt (HRW 11.1.2024; vgl. IOM 22.2.2024, UNAMA 22.1.2024) sowie das System zum Schutz und zur Unterstützung von Frauen und Mädchen, die vor sexueller und / oder häuslicher Gewalt fliehen, zerstört (HRW 26.7.2023; vgl. AI 24.4.2024). Insbesondere das Taliban-Ministerium für die Verbreitung von Tugend und die Verhinderung von Lastern (MPVPV) und die entsprechenden Abteilungen auf Provinzebene übernehmen diese Durchsetzungsfunktion in Bezug auf Hidschab, Mahram (den "Vormund" einer Frau - ihren Vater, Ehemann oder Bruder) und andere Anforderungen an Frauen, indem sie öffentliche Orte, Büros und Bildungseinrichtungen aufsuchen, Kontrollpunkte einrichten und die Einhaltung überwachen (UNAMA 22.1.2024). Darüber hinaus haben die Taliban Mechanismen zur Überwachung der Menschenrechte, wie die unabhängige afghanische Menschenrechtskommission, aufgelöst (AIHRC 26.5.2022; vgl. OHCHR 10.10.2022) und spezialisierte Gerichte für geschlechtsspezifische Gewalt und Unterstützungsdienste für die Opfer abgeschafft (OHCHR 10.10.2022; vgl. AI 24.4.2024).

Kleidervorschriften

Im Mai 2022 veröffentlichten die Taliban einen neuen Erlass, der eine strenge Kleiderordnung für Frauen festschreibt. Sie dürfen das Haus nicht "ohne Not" verlassen und müssen, wenn sie es dennoch tun, den sogenannten "Scharia-Hijab" tragen, bei dem das Gesicht ganz oder bis auf die Augen bedeckt ist. Die Anordnung macht den Mahram rechtlich verantwortlich für die Überwachung ihrer Kleidung, mit der Androhung, ihn zu bestrafen, wenn sie ohne Gesichtsverschleierung aus dem Haus geht (AAN 15.6.2022; vgl. USIP 23.12.2022, HRW 12.1.2023). In Herat wurde im Juli 2023 die vermehrte Festnahme von Frauen gemeldet, die Kopftuch und Mantel anstatt Ganzkörperschleier trugen (BAMF 31.12.2023; vgl. KaN 22.7.2023, BNN 25.9.2023). Auch zu Beginn des Jahres 2024 wird berichtet, dass die Taliban weiterhin strenge Bekleidungsvorschriften für Frauen und Mädchen durchsetzen (RFE/RL 16.1.2024; vgl. UNAMA 22.1.2024). So gab es Anfang Januar 2024 Medienberichte über die Verhaftung mehrerer Frauen in Kabul (FR24 10.1.2024; vgl. AP 4.1.2024), weil sie den Hijab nicht ordnungsgemäß trugen (TN 6.1.2024). Auch aus den Provinzen Daikundi (UNAMA 11.1.2024; vgl. Rukhshana 21.1.2024), Mazar-e Sharif (Balkh) (RFE/RL 16.1.2024; vgl. Rukhshana 21.1.2024), Herat, Kunduz, Takhar (RFE/RL 16.1.2024), Bamyan und Ghazni wird von Verhaftungen von Frauen, in Zusammenhang mit Bekleidungsvorschriften, berichtet (Rukhshana 21.1.2024).

Ein in Kabul arbeitender Anwalt gibt an, dass Mädchen nach islamischem Recht mit Beginn der Pubertät verpflichtet sind, ihren Körper zu bedecken, bzw. einen Hijab zu tragen, wobei keine Altersgrenze angegeben wird (RA KBL 4.12.2024). Auch nach Angaben von IOM ist kein bestimmtes Alter festgelegt, ab dem Mädchen einen Hijab oder einen Ganzkörperschleier tragen müssen, aber in der Praxis kann dies bereits im Alter von 6 bis 12 Jahren geschehen. Dies hängt davon ab, wie konservativ die Familie ist und wann das Mädchen beginnt, eine Madrassa zu besuchen. Heutzutage wird in Schulen, wenn ein Kind im Alter von fünf oder sechs Jahren beginnt, durch die Uniform sichergestellt, dass der Kopf bedeckt ist, nicht aber das Gesicht (IOM 9.1.2025a).

Bewegungsfreiheit

Die Taliban schränken auch die Bewegungsfreiheit von Frauen und Mädchen zunehmend repressiv ein. Zunächst ordneten sie an, dass Frauen und Mädchen auf Langstreckenreisen (mehr als 72 km) von einem Mahram begleitet werden müssen (Rukhshana 28.11.2022; vgl. AA 12.7.2024), wobei die Einschränkung, dass Frauen keine langen Strecken allein zurücklegen dürfen, manchmal auch bei kürzeren Strecken als 72 km durchgesetzt wurde (UNGA 13.5.2024; vgl. HRW 12.2.2024). Wie ein afghanischer Forscher, der von der COI-Abteilung der schwedischen Migrationsbehörde befragt wurde, betonte, sind die Mahram-Bestimmungen schwer durchzusetzen, da es schwierig ist, zu wissen, welche Strecke eine Frau zurückgelegt hat oder zurücklegen möchte (Migrationsverket 16.4.2024). Im Jahr 2023 erklärte der Journalist Ali Latifi in einem Interview mit EUAA, dass die Beschränkung für Frauen, die im Inland reisen, uneinheitlich umgesetzt worden sei, und dass Tausende von Frauen sie ignoriert hätten und weiterhin allein oder mit anderen weiblichen Begleitpersonen täglich unterwegs seien. Er fügte hinzu, dass er zwar Frauen auf dem Weg nach Logar und Bamyan sowie in der Stadt Kabul ohne männlichen Vormund gesehen habe, aber auch von Frauen wisse, die nach Mazar-e Sharif reisten und Probleme hatten, als sie versuchten, ohne männlichen Vormund nach Kabul zurückzukehren. Ein weiterer Vorfall ereignete sich in Bamyan, wo einer Gruppe von Frauen kein Hotelzimmer gegeben wurde, weil sie nicht begleitet waren (EUAA 1.11.2024). Auch besuchten Beamte des MPVPV am 26.12.2023 beispielsweise in Kandahar einen Busbahnhof, um sicherzustellen, dass Frauen keine langen Strecken ohne Mahram zurücklegen, und wiesen die Busfahrer an, dass sie Frauen ohne Mahram nicht an Bord lassen sollten (UNAMA 22.1.2024).

Nach der Rolle und Tätigkeit eines Mahrams gefragt, führt der afghanische Analyst aus, dass Frauen für Reisen, die länger als 57 km sind, jedenfalls eine männliche Begleitung in Form eines Mahrams benötigen. Eine Fahrt von Kabul nach Herat ist deshalb für eine Frau in der Regel alleine nicht möglich. Auch sollen Frauen und Männer (die kein Mahram sind) nicht im privaten oder semi-privaten Bereich alleine sein. Demnach darf eine Frau nicht alleine in einem Taxi mit einem männlichen Fahrer sitzen und Geschäftsfrauen berichten beispielsweise von Problemen mit den Taliban, wenn sie alleine in einem Taxi angetroffen wurden. Dies führt zu Problemen bei der Bewegungsfreiheit von Frauen auch bei kürzeren Distanzen aufgrund des Mangels an öffentlichen Verkehrmitteln (VQ AFGH 3 1.10.2024).

Darüber hinaus wurde Frauen und Mädchen der Zugang zu öffentlichen Räumen wie öffentlichen Badehäusern (Hammams) (AAN 17.8.2023; vgl. Guardian 19.10.2022), Fitnessstudios und Parks verwehrt (AI 24.4.2024; vgl. AAN 17.8.2023), während beispielsweise in Herat und anderen Provinzen zusätzliche Beschränkungen eingeführt wurden, wie z. B. das Verbot für alleinstehende Frauen, Restaurants zu besuchen (AI 24.4.2024). Frauen und Mädchen erklärten gegenüber Amnesty International, dass angesichts der zahlreichen und sich ständig weiterentwickelnden Einschränkungen ihrer Bewegungsfreiheit jedes Auftreten in der Öffentlichkeit ohne einen Mahram ein ernsthaftes Risiko darstelle. Sie sagten auch, dass die Mahram-Anforderungen ihr tägliches Leben fast unmöglich machten (AI 7.2022; vgl. Rukhshana 28.11.2022). Die zunehmende Einschränkung der Bewegungsfreiheit von Frauen hat ihre Möglichkeiten, Zugang zu medizinischer Versorgung und Bildung zu erhalten, ihren Lebensunterhalt zu verdienen, Schutz zu suchen und Gewaltsituationen zu entkommen, erheblich beeinträchtigt (OHCHR 10.10.2022; vgl. IOM 22.2.2024).

Moralgesetz Sommer 2024

Im August 2024 erließ der oberste Führer der Taliban ein "Moralgesetz", das unter anderem vorschreibt, dass Frauen ihren gesamten Körper bedecken sollen, einschließlich des Gesichtes, um eine Fitna [Anm.: soziale Unordnung oder Chaos, das zu Sünde führen kann] zu verhindern. Es liegt in der Verantwortung der Frauen, ihren Körper und ihr Gesicht vor Männern zu verbergen, die nicht ihre Mahram sind. Des Weiteren sollen Frauen in der Öffentlichkeit nicht singen, einen Vortrag halten oder ihre Stimme erheben. Das MPVPV soll außerdem sicherstellen, dass Mitarbeiter und Fahrer von Nutzfahrzeugen bzw. Taxis keine unbedeckten oder unbegleiteten Frauen transportieren oder Frauen erlauben, sich zu einem unbekannten Mann zu setzen (AAN 8.2024).

In zwei Interviews, durchgeführt von EUAA in Kooperation mit dem schwedischen Migrationsamt (Migrationsverket), der Staatendokumentation (VQ AFGH 2 12.9.2024) und Landinfo (VQ AFGH 3 1.10.2024) wurden ein afghanischer Forscher im September 2024 (VQ AFGH 2 12.9.2024) und ein afghanischer Analyst im Oktober 2024 (VQ AFGH 3 1.10.2024) zu diesen neuen Regeln befragt.

Beide gaben an, dass viele der in dem neuen Gesetz enthaltenen Passagen bereits zuvor von den Taliban empfohlen bzw. praktiziert wurden (VQ AFGH 3 1.10.2024; vgl. VQ AFGH 2 12.9.2024). Nach Angaben des Analysten kam es nach Verlautbarung des Gesetzes zu stärkeren Kontrollen durch das MPVPV in Kabul. Dies vor allem zu gewissen Anlässen, wie während des Besuchs von Haibatullah Akhundzada in Kabul letztes Jahr, während es zu anderen Zeiten weniger Kontrollen geben würde (VQ AFGH 3 1.10.2024). Betreffend das Verbot für Frauen, in der Öffentlichkeit zu sprechen, führte der Analyst aus, dass es hier seiner Meinung nach nicht bedeutet, dass Frauen in der Öffentlichkeit kein Wort sagen dürfen, sondern darum, ihnen nicht zu erlauben, öffentlich Reden zu halten oder religiöse Texte zu rezitieren (VQ AFGH 3 1.10.2024), wobei die Direktorin der Iranian and Kurdish Women's Rights Organisation (IKWRO), gegenüber New Arab erklärte, dass sich das Gesetz auf Frauen bezieht, die in der Öffentlichkeit sprechen, singen und laut vorlesen (TNA 29.8.2024).

Sowohl der Analyst als auch der Forscher gaben an, dass bei der Durchsetzung der Scharia-Gesetze viele Unterschiede je nach Region wahrzunehmen sind (VQ AFGH 2 12.9.2024; vgl. VQ AFGH 3 1.10.2024). Nach Angaben des Forschers wird beispielsweise das Tragen einer Burka in Kandahar deutlich stärker durchgesetzt als beispielsweise in Jalalabad oder Herat. Es ist generell so, dass in Gegenden, wo eher reichere Leute leben, die Regeln (zumindest aktuell) nicht immer so streng durchgesetzt werden. Da es aber niemanden gibt, der sich dem obersten Führer in den Weg stellt, ist damit zu rechnen, dass die Regeln zunehmen und auch strenger durchgesetzt werden (VQ AFGH 2 12.9.2024). Der Analyst gibt an, dass es auch in den großen Städten wie Kabul und Herat einen sichtbaren Unterschied in Hinblick auf die Kleidung im Vergleich zur Zeit vor der Machtübernahme gibt. Menschen würden sich konservativer kleiden, auch wenn nicht alle Frauen und Mädchen in Kabul und Herat das Gesicht bedecken (VQ AFGH 3 1.10.2024).

Politische Partizipation und Berufstätigkeit von Frauen

Anders als in den 1990er-Jahren haben die Taliban die Beschäftigung von Frauen nicht gänzlich verboten. Die zahlreichen Einschränkungen, die Frauen bei der Wahl ihres Arbeitsplatzes außerhalb des Hauses haben, haben jedoch große Auswirkungen auf die weibliche Erwerbsbevölkerung (AAN 27.8.2024). Amtsträgerinnen, die für die vorherige Regierung gearbeitet hatten, wurden nach der Machtübernahme der Taliban angewiesen, zu Hause zu bleiben, und wurden von der Arbeit in den meisten Regierungsstellen ausgeschlossen. Einige durften jedoch in ihren Funktionen in den Taliban-Ministerien für öffentliche Gesundheit, Inneres und Bildung sowie an Flughäfen und im Sicherheitsbereich weiterarbeiten (EUAA 1.11.2024; vgl. UNGA 15.6.2023).

Die Beschäftigung von Frauen ist seit der Machtübernahme der Taliban im August 2021 zunächst stark zurückgegangen (ILO 7.3.2023; vgl. IOM 22.2.2024). Die International Labour Organization (ILO) schätzte, dass im vierten Quartal 2022 25 % weniger Frauen einer Beschäftigung nachgingen, als im zweiten Quartal 2021 (ILO 7.3.2023). Die Taliban erließen Dekrete, die es afghanischen Frauen untersagten, für NGOs (IOM 22.2.2024; vgl. HRW 26.7.2023) und die Vereinten Nationen (UNGA 1.12.2023; vgl. IOM 22.2.2024) zu arbeiten, wobei einige NGOs Ausnahmeregelungen für ihre Mitarbeiterinnen erwirken konnten, und weibliche Beschäftigte des Gesundheits-, Bildungs- und Innenministeriums bisher weiterarbeiten durften (NH 8.6.2023). Im Juni 2024 veröffentlichten die Taliban ein Dekret, welches die Monatsgehälter aller weiblichen Regierungsangestellten auf 5.000 AFN (ca. 70 Euro), unabhängig von Art und Umfang der Tätigkeit, festlegt (RFE/RL 18.6.2024; vgl. AAN 12.8.2024). Die vage und wenig spezifische Anordnung sorgte für Verwirrung bei Frauen, den Medien, Nutzern sozialer Medien und offenbar sogar bei einigen staatlichen Institutionen, die dringend eine Klärung forderten. Später wurde klargestellt, dass dies nur für jene Frauen gelten würde, die nicht regelmäßig zu ihrer Arbeit erscheinen oder ihren Pflichten nicht nachkommen würden (AAN 12.8.2024).

Viele der Frauen, die weiterhin arbeiten, empfinden dies aufgrund der von den Taliban vorgeschriebenen Einschränkungen in Bezug auf ihre Kleidung und ihr Verhalten als schwierig und belastend (AI 7.2022; vgl. IOM 22.2.2024). Im April 2024 verfügten die Taliban in den Provinzen Khost, Logar, Helmand und Paktia, dass die Stimmen von Frauen nicht mehr im Radio übertragen werden dürfen. Kurz zuvor gegen Ende Februar 2024 warnte der Taliban-Minister für die Verbreitung der Tugend und die Verhütung des Lasters, dass Frauen gänzlich von der Arbeit in den Medien ausgeschlossen werden würden, sollten sie ihr Gesicht im Fernsehen oder in Interviews zeigen. In der Provinz Helmand ist es Frauen gänzlich untersagt, im Fernsehen aufzutreten, und auch im Radio sollen ihre Stimmen nicht zu hören sein (IPS 22.4.2024). Laut Medienberichten warnte der Sicherheitskommandeur der Taliban in der Provinz Khost lokale Medienvertreter in einem offiziellen Schreiben, dass sie strafrechtlich verfolgt würden, wenn sie Mädchen oder Frauen erlauben würden, bei Radiosendern anzurufen (IPS 22.4.2024; vgl. RFE/RL 25.2.2024). Ein afghanischer Forscher berichtet, dass einige Medien Nachrichtensprecherinnen komplett aus ihrem Programm genommen haben (VQ AFGH 2 12.9.2024). Er gab im September 2024 an, dass einige Nachrichtensender Sprecherinnen entfernt haben, und dass Frauen aus dem Fernsehen verschwinden (VQ AFGH 2 12.9.2024). Nach Angaben von Afghan Witness verfügt TOLOnews, ein bekannter afghanischer Fernsehsender, seit Juli 2024 nicht mehr über Nachrichtensprecherinnen (AfW 15.8.2024), wobei Frauen weiterhin Fernsehsendungen moderieren, diese jedoch ihr Gesicht bis auf die Augenpartie bedeckt halten (NH 15.8.2024).

Ein durch EUAA interviewter Reporter berichtete im Jahr 2023, dass es Frauen weiterhin erlaubt ist, in privaten Unternehmen zu arbeiten, z. B. in Fluggesellschaften, Banken (einschließlich staatlicher Banken), Geschäften, Reisebüros, Mobilfunk- und Produktionsunternehmen. Außerdem werden Unternehmerinnen von den Taliban gefördert und es fanden Gipfeltreffen zum Thema weibliches Unternehmertum statt (EUAA 1.11.2024). Es wurde jedoch auch berichtet, dass Frauen im Privatsektor von Einschränkungen betroffen waren, darunter Fälle, in denen Lieferanten sich weigerten, ihnen Material zu verkaufen (UNGA 15.6.2023), oder sie aufgefordert wurden, in einer nach Geschlechtern getrennten Umgebung zu arbeiten und nur Kundinnen zu bedienen (EUAA 1.11.2024). Einige Lieferanten, Ladenbesitzer, Händler und Großhändler zögerten außerdem, mit Unternehmerinnen zusammenzuarbeiten, aufgrund des impliziten Drucks, des aktuellen politischen Umfelds sowie aufgrund von Unklarheiten in der Politik der Taliban-Behörden gegenüber Frauen (UNDP 16.4.2024; vgl. EUAA 1.11.2024). Mehrere Frauen, die im privaten Sektor arbeiten, gaben an, dass sie stichprobenartig von Mitgliedern der Taliban in Hinblick auf ihre Kleidung und ihr Verhalten kontrolliert wurden (AI 7.2022). Auch die Vorgabe der Taliban, nach welcher sich Frauen in der Öffentlichkeit nur in Begleitung eines Mahram bewegen dürfen, hat Auswirkungen auf ihr Berufsleben (FH 1.2023; vgl. IOM 22.2.2024, UNDP 16.4.2024). So verzeichnete UNAMA im Oktober und Dezember 2023 Fälle, in denen Beamte des Taliban-Ministeriums für die Verbreitung von Tugend und die Verhinderung von Lastern Frauen an der Arbeit oder am Zugang zu Dienstleistungen hinderten, weil sie unverheiratet waren oder keinen Mahram hatten (UNAMA 22.1.2024). UNDP berichtet, dass die meisten Unternehmerinnen aufgrund von Geschlechterdiskriminierung mit betrieblichen Herausforderungen konfrontiert sind, darunter Verbote für Frauen zu lokalen Märkten, in andere Provinzen oder ins Ausland zu reisen oder ohne männliche Begleitung an Ausstellungen teilzunehmen (UNDP 16.4.2024; vgl. EUAA 1.11.2024). Auch sollen Frauen und Männer (die kein Mahram sind) nicht im privaten oder semi-privaten Bereich alleine sein. Demnach darf eine Frau nicht alleine in einem Taxi mit einem männlichen Fahrer sitzen, oder ein Mann, der kein Mahram ist, darf eine Frau nicht alleine zu Hause besuchen. Auch wenn ein Mann und dessen Frau in ein Geschäft gehen würden, das von einer Frau geleitet wird, wäre dies nicht erlaubt, da der Mann kein Mahram der Eigentümerin des Geschäftes ist. Geschäftsfrauen berichten beispielsweise von Problemen mit den Taliban, wenn sie alleine in einem Taxi angetroffen wurden (VQ AFGH 3 1.10.2024).

Dennoch sind mittlerweile mehr Frauen berufstätig als vor 2021. Die Zunahme der wirtschaftlichen Aktivität von Frauen steht im Zusammenhang mit der Ausweitung der Heimproduktion, insbesondere von kleinen und haushaltsnahen Fertigungsaktivitäten (WB 10.2023). Frauen, die von zu Hause aus arbeiten, z. B. in handwerklichen Berufen, werden von den Taliban oder anderen traditionellen religiösen und lokalen Führern in Afghanistan nicht eingeschränkt (NH 8.6.2023).

Nach der Machtübernahme der Taliban kam es zu friedlichen Protesten von afghanischen Frauen (REU 4.10.2021b), wobei viele Teilnehmerinnen durch die Sicherheitskräfte festgenommen wurden (AA 12.7.2024; vgl. HRW 12.1.2023, HRW 30.11.2023). Berichte über Haftbedingungen, Misshandlungen und sexuelle Übergriffe sind aufgrund der gezielten Einschüchterung der Betroffenen schwer zu verifizieren (AA 12.7.2024). Die Taliban-Behörden reagierten auch mit Gewalt auf Demonstrationen betreffend der Rechte von Frauen und setzten scharfe Munition ein, um diese aufzulösen (HRW 12.10.2022; vgl. Guardian 2.10.2022, ACLED 11.8.2023), wobei Demonstrationen, an denen Frauen teilnehmen, nach Angaben von ACLED eher von den Taliban gestört werden als solche, an denen keine Frauen teilnehmen (ACLED 11.8.2023). Inzwischen sind die Proteste von Frauen deutlich zurückgegangen (AN 8.3.2024; vgl. AJ 8.3.2024, AfW 8.4.2024), und Proteste wurden vor allem nach drinnen verlagert oder finden online statt (AfW 8.4.2024).

Bildung für Frauen und Mädchen

Laut einer Studie der Weltbank stieg die Zahl der Mädchen im Alter von 7 bis 12 Jahren, die eine Schule besuchen, bis Juni 2023 auf 60 %. Vor der Machtübernahme der Taliban lag dieser Wert bei 36 % (WB 10.2023). Die International Crisis Group führt diesen Anstieg auf das Ende des Konfliktes zurück, weist aber auch darauf hin, dass einige Familien von den Taliban geführte Schulen als religiös oder kulturell akzeptabler ansehen als jene des vorherigen Regimes (ICG 14.8.2024).

Nachdem die Taliban im August 2021 die Macht in Afghanistan übernommen hatten, verhängten sie jedoch ein Verbot der Sekundarschulbildung für Mädchen (USIP 13.4.2023; vgl. AA 26.6.2023). Am 23.3.2022, als die Schülerinnen der weiterführenden Schulen zum ersten Mal nach sieben Monaten wieder in die Klassenzimmer zurückkehrten, gab die Taliban-Führung bekannt, dass die Mädchenschulen geschlossen bleiben würden (HRW 12.1.2023; vgl. HRW 20.12.2022). Demnach wird Mädchen eine Ausbildung über die Primarstufe hinaus weiterhin verweigert (UNGA 1.12.2023, vgl. UN Women 15.8.2023).

Ende Dezember 2022 verkündeten die Taliban schließlich ein Verbot für Frauen, Universitäten zu besuchen (IOM 22.2.2024; vgl. USIP 13.4.2023, FH 1.2023). Proteste gegen die Entscheidung der Taliban, den Frauen den Zugang zu Universitäten zu verwehren, wurden mit Gewalt beendet und mehrere Personen wurden festgenommen (RFE/RL 22.12.2022; vgl. BBC 22.12.2022). Im September 2024 wurde berichtet, dass Frauen nicht daran gehindert werden, eine Ausbildung als Krankenschwester oder Hebamme zu absolvieren (VQ AFGH 2 12.9.2024; vgl. REU 8.8.2023), wobei ein Forscher aus Afghanistan angibt, dass der Zugang zu Krankenpflegeschulen je nach Region sehr unterschiedlich und nur in einigen Provinzen verfügbar ist (VQ AFGH 2 12.9.2024). Anfang Dezember 2024 erließen die Taliban jedoch ein Verbot für Frauen, eine Ausbildung an medizinischen Einrichtungen zu absolvieren (MSF 6.12.2024; vgl. HRW 3.12.2024).

Es gibt auch Initiativen, um Mädchen online Bildung zu ermöglichen (UNGA 15.6.2023; vgl. EUAA 1.11.2024), wobei diese Option auch aufgrund der instabilen Internetverbindung im ganzen Land nicht allen zugänglich ist (REU 28.3.2023; vgl. EUAA 1.11.2024). Berichten zufolge existieren geheime Untergrundschulen für Mädchen, die trotz des Verbots weitergeführt werden (UN Women 7.3.2024; vgl. RFE/RL 20.12.2023), wobei Experten bei einem Workshop in Doha im November 2023 berichteten, dass diese Schulen allen bekannt sind und von den Behörden in ihren Gemeinden allgemein als lokale Bildungseinrichtungen akzeptiert werden. Zusätzlich wurde die Bildung von Mädchen in einigen Provinzen als "informell erlaubt" bezeichnet (PRIO 12.2023; vgl. EUAA 1.11.2024).

Frauen und Mädchen wurde der Zugang zu Bildung in Madrassas nicht verwehrt (EUAA 1.11.2024; vgl. AAN 27.8.2024). Dies hat zu einem Anstieg der Anzahl der Schülerinnen geführt (FR24 16.3.2023; vgl. AMU 2.10.2024) und einige Frauen haben ihre eigenen Madrassas eröffnet (EUAA 1.11.2024; vgl. AAN 27.8.2024). Obwohl Madrassas Religionsunterricht anbieten, werden in der Regel auch nichtreligiöse Fächer (EUAA 1.11.2024) wie Mathematik, Naturwissenschaft, Geografie und Sprachen gelehrt (AfW 7.11.2023), jedoch empfinden viele Mädchen die Qualität des Unterrichts als rudimentär und schlecht (AAN 27.8.2024). Seit der Machtübernahme der Taliban wird jedoch verstärkt Wert auf die Interpretation der islamischen Lehren durch die Gruppierung gelegt, wobei Themen wie der Dschihad an Bedeutung gewinnen. Das Bildungsministerium der Taliban genehmigt den Lehrplan, der auf die religiösen und ideologischen Überzeugungen der Taliban abgestimmt ist (AfW 7.11.2023).

Frauenhäuser, sexualisierte und geschlechtsspezifische Gewalt, Zwangsehe

Geschlechtsspezifische Gewalt ist ein allgegenwärtiges Problem in Afghanistan (UNFPA 27.12.2021; vgl. IOM 9.1.2025a) und war auch schon vor der Machtübernahme der Taliban fast doppelt so hoch wie der weltweite Durchschnitt (IOM 9.1.2025a). Sie ist das Ergebnis komplexer Ungleichheiten und kultureller Praktiken, die in Verbindung mit Armut und mangelndem Bewusstsein dazu führen, dass Frauen den Männern untergeordnet werden und keine Unterstützung erhalten oder nicht selbst aktiv werden können (UNFPA 27.12.2021). Seit dem Sommer 2021 werden in Afghanistan, einem Land mit einer der höchsten Raten von Gewalt gegen Frauen weltweit, viele der grundlegendsten Rechte von Frauen eingeschränkt oder außer Kraft gesetzt. Afghanische Frauen haben auch eine deutliche Verschlechterung des Zugangs zu koordinierten, umfassenden und hochwertigen Dienstleistungen für Überlebende geschlechtsspezifischer Gewalt zu verzeichnen. Gleichzeitig ist die Nachfrage nach diesen Diensten höher als je zuvor (AI 7.2022; vgl. UNAMA 29.12.2022). Zuvor hatten viele Frauen und Mädchen zumindest Zugang zu einem Netz von Unterkünften und Diensten, einschließlich kostenloser Rechtsberatung, medizinischer Behandlung und psychosozialer Unterstützung. Das System hatte zwar seine Grenzen, aber es half jedes Jahr Tausenden von Frauen und Mädchen. Diejenigen, die in die Schutzräume kamen, blieben je nach ihren besonderen Bedürfnissen oft monatelang oder jahrelang dort und erhielten eine Ausbildung in beruflichen Fähigkeiten oder andere Möglichkeiten, ein langfristiges Einkommen zu erzielen. In einigen Fällen wurden die Überlebenden auch dabei unterstützt, eine neue Unterkunft zu finden (AI 7.2022).

Als die Taliban die Macht in Afghanistan übernahmen, brach das Netz zur Unterstützung von Überlebenden geschlechtsspezifischer Gewalt - einschließlich rechtlicher Vertretung, medizinischer Behandlung und psychosozialer Unterstützung - zusammen (AI 7.2022). Das Gesetz zur Beseitigung von Gewalt gegen Frauen (Violence against Women and Girls - VAWG) und die damit verbundenen Fachgerichte und Familieneinheiten der nationalen Polizei wurden nach der Machtübernahme der Taliban abgeschafft. Die Scharia unterscheidet auch nicht zwischen einvernehmlichen sexuellen Beziehungen außerhalb der Ehe und Vergewaltigung. Beides wird als "Zina" definiert und mit Steinigung oder Auspeitschen bestraft (IOM 9.1.2025a). Laut einem in Kabul praktizierenden Anwalt gibt es in Afghanistan derzeit kein wirksames System, um Mädchen und Frauen vor sexueller Gewalt zu schützen (RA KBL 4.12.2024). Schutzräume für Frauen wurden geschlossen (AA 26.6.2023; vgl. FH 1.2023), und viele wurden von Taliban-Mitgliedern geplündert und in Beschlag genommen (AI 7.2022; vgl. RFE/RL 26.9.2021). Eine andere Quelle weißt jedoch darauf hin, dass die Taliban keine Schutzräume geschlossen hätten, sondern dass vielmehr das Personal das Land verlassen hätte und es niemanden mehr gibt, der diese Einrichtungen betreuen würde (MaA 29.6.2023). In einigen Fällen belästigten oder bedrohten Taliban-Mitglieder Mitarbeiter und als die Unterkünfte geschlossen wurden, waren die Mitarbeiter gezwungen, viele überlebende Frauen und Mädchen zu ihren Familien zurückzuschicken. Andere waren gezwungen, bei Mitarbeitern der Unterkünfte, auf der Straße oder in anderen schwierigen Situationen zu leben (AI 7.2022; vgl. RFE/RL 26.9.2021). Auch eine afghanische Menschenrechtsaktivistin gab an, dass die Betreiber der Frauenhäuser nach der Machtübernahme der Taliban das Land verließen und die Taliban die Frauen in diesen Unterkünften vor die Wahl stellten, entweder zurück zu ihren Familien oder ins Gefängnis zu gehen. Sie führt aus, dass es in Afghanistan (mit Stand Juli 2023) nur ein Frauenhaus gibt, das von den Taliban sehr genau beobachtet wird und welches von einer NGO betrieben wird (MaA 29.6.2023).

Die Bedrohung für Mädchen und Frauen durch sexuelle Gewalt hat durch diskriminierende Einschränkungen zugenommen, und die Abschaffung unterstützender Rechtsvorschriften und des Zugangs zum Justizsystem ist aufgrund der von Männern dominierten Shura-Strukturen auf Gemeindeebene und des Jirga-Systems, bei dem Älteste (Männer) aus jeder Familie zusammenkommen und Entscheidungen in solchen Fällen treffen, eine große Herausforderung. Rechtsanwältinnen und Richterinnen dürfen ihre Arbeit nicht mehr ausüben. Gleichzeitig dürfen Frauen und Mädchen ohne einen Mahram keine öffentlichen Plätze, einschließlich Strafverfolgungsbehörden, betreten. Insgesamt sind die Möglichkeiten für Frauen und Mädchen, Rechtsdienstleistungen in Anspruch zu nehmen, erheblich eingeschränkt (IOM 9.1.2025a).

Anfang Dezember 2021 verkündeten die Taliban ein Verbot der Zwangsverheiratung von Frauen in Afghanistan (AP 3.12.2021; vgl. AI 7.2022). In dem Erlass wurde kein Mindestalter für die Eheschließung genannt, das bisher auf 16 Jahre festgelegt war. Die Taliban-Führung hat nach eigenen Angaben afghanische Gerichte angewiesen, Frauen gerecht zu behandeln, insbesondere Witwen, die als nächste Angehörige ein Erbe antreten wollen. Die Gruppe sagt auch, sie habe die Minister ihrer Regierung aufgefordert, die Bevölkerung über die Rechte der Frauen aufzuklären (AP 3.12.2021; vgl. AJ 3.12.2021). Berichten zufolge sind Frauen und Mädchen allerdings einem erhöhten Risiko von Kinder- und Zwangsheirat (IOM 9.1.2025a; vgl. RA KBL 4.12.2024) sowie der sexuellen Ausbeutung ausgesetzt (AA 26.6.2023; vgl. AI 7.8.2023), vor allem in ländlichen Gebieten, wobei auch Mädchen im Alter zwischen 9 und 15 zur Heirat gezwungen werden (RA KBL 4.12.2024). NGOs führen dies auf Faktoren zurück, von denen viele direkt auf Einschränkungen durch bzw. das Verhalten der Taliban zurückzuführen sind. Zu den häufigsten Ursachen für Kinder-, Früh- und Zwangsverheiratung seit August 2021 gehören die wirtschaftliche und humanitäre Krise, fehlende Bildungs- und Berufsperspektiven für Frauen (AI 7.2022), das Bedürfnis der Familien, ihre Töchter vor der Heirat mit einem Taliban-Mitglied zu schützen (AI 7.2022; vgl. RFE/RL 14.12.2022), Familien, die Frauen und Mädchen zwingen, Taliban-Mitglieder zu heiraten und Taliban-Mitglieder, die Frauen und Mädchen zwingen, sie zu heiraten (AI 7.2022).

Eine afghanische Menschenrechtsaktivistin schilderte, dass sexualisierte Gewalt an Mädchen und Frauen oft auf die Frage der "Ehre" zurückgeführt wird. Während es vor der Machtübernahme möglich war, sich an die Justiz zu wenden, ist dies nun nicht mehr möglich. So würde ein 14-jähriges Mädchen, das von einem männlichen Verwandten missbraucht wurde, durch das Rechtssystem entweder gezwungen werden, den Verwandten zu heiraten, oder beide würden öffentlich bestraft werden (MaA 29.6.2023).

Diese Ausführungen decken sich in den wesentlichen Punkten mit dem Inhalt des EUAA Country Guidance zu Afghanistan vom Mai 2024 sowie mit den Ausführungen in dem vom Deutschen Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, Informationszentrum Asyl und Migration, herausgegebenen Länderreport 73 Afghanistan – Die Situation von Frauen, 1996-2024 mit Stand September 2024.

2. Beweiswürdigung:

2.1. Zu den Feststellungen zur Person der Beschwerdeführerin und zu ihrem Fluchtvorbringen:

Die Feststellungen zur Staatsangehörigkeit, zur Volksgruppen- und Religionszugehörigkeit sowie zu den Sprachkenntnissen der BF konnten aufgrund der Aktenlage ergehen.

Die Feststellung zum Herkunftsort der Beschwerdeführerin ergibt sich aus ihren diesbezüglichen Angaben vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl.

Die Feststellung zum derzeitigen Verbleib der Familienangehörigen der Beschwerdeführerin ergibt sich ebenso aus ihren diesbezüglichen Angaben vor dem BFA.

Die Feststellung, dass die Beschwerdeführerin ledig ist, sie die Tochter von XXXX ist und vier Geschwister hat, ergibt sich ebenso aus den diesbezüglich glaubwürdigen Angaben der Beschwerdeführerin in den Einvernahmen.

Die Feststellung zur Ausreise aus Afghanistan und zur Weiterreise nach Österreich ergibt sich aus den Angaben der Beschwerdeführerin und ihrer Mutter in der Erstbefragung und vor dem BFA. Das Datum der Antragstellung ergibt sich aus dem Akteninhalt.

Dass der Beschwerdeführerin im Falle einer Rückkehr nach Afghanistan aufgrund ihres Geschlechts aktuell die Gefahr droht, tatsächlich und spezifisch Verfolgungshandlungen ausgesetzt zu sein, ergibt sich aus den zitierten Länderfeststellungen.

Diesen ist auf das Wesentliche zusammengefasst nämlich zu entnehmen, dass Frauen in Afghanistan zahlreichen Diskriminierungen ausgesetzt sind. So ist afghanischen Frauen die Teilnahme in der Politik verwehrt, ihnen stehen keine rechtlichen Mittel zur Verfügung, um Schutz vor geschlechterspezifischer oder häuslicher Gewalt erhalten zu können, sie sind allgemein – trotz eines durch die Taliban eingeführten Verbotes – der Gefahr von Zwangsverheiratungen ausgesetzt, sie können einer Erwerbstätigkeit nicht oder nur in eingeschränktem Ausmaß, überwiegend zu Hause, nachgehen, sie haben einen erschwerten Zugang zu Gesundheitseinrichtungen, ihnen ist der Zugang zu Bildung – mit der Ausnahme einer Grundschulausbildung bis zur sechsten Klasse – verwehrt, sie dürfen sich ohne Begleitung eines in einem bestimmten Verwandtschaftsverhältnis stehenden Mannes nicht in der Öffentlichkeit aufhalten oder bewegen, und sie müssen ihren Körper vollständig bedecken sowie ihr Gesicht – mit Ausnahme der Augen – verhüllen. Diese den zitierten Länderinformationen zu entnehmenden, Frauen diskriminierenden Maßnahmen sind gleichsam auch der vom Europäischen Gerichtshof herangezogenen EUAA Country Guidance (Stand Mai 2024) sowie dem vom Verwaltungsgerichtshof zitierten, vom deutschen Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, Informationszentrum Asyl und Migration, herausgegebenen Länderreport 73 Afghanistan - Die Situation von Frauen, 1996 - 2024 (Stand September 2024) zu entnehmen.

Indem die Beschwerdeführerin im Rahmen der Einvernahme selbst angab, sie habe mit der Taliban Probleme, Frauen haben keine Rechte mehr in Afghanistan, wird die gerade aufgezeigte prekäre Lage für Frauen in Afghanistan unterstrichen.

Als Frau dürfe man in Afghanistan ohne männliche Begleitung das Haus nicht verlassen, ohne männliche Zustimmung keiner Ausbildung nachgehen sowie keine selbstständigen Entscheidungen des täglichen Lebens treffen. Die Beschwerdeführerin lehnt es damit ab, in einer Gesellschaft zu leben und sich Einschränkungen beugen zu müssen, in der die Taliban sanktionsbewehrte Regelungen aufstellen und Maßnahmen ergreifen, die in ihrer Gesamtheit die Menschenwürde durch ein System der Ausgrenzung und Unterdrückung massiv beeinträchtigen. Die Beschwerdeführerin hat damit keine asylfremden Motive hinsichtlich ihrer Antragstellung auf internationalen Schutz, und dem Verfahren sind insbesondere auch keine Anhaltspunkte dafür zu entnehmen, dass die Beschwerdeführerin Teil einer Organisation wäre, von der die die Menschenwürde massiv beeinträchtigenden einschränkenden Maßnahmen ausgehen.

Die Unbescholtenheit der Beschwerdeführerin ergibt sich aus dem eingeholten Strafregisterauszug. Ihr Status als subsidiär Schutzberechtigte ergibt sich aus dem im Spruch genannten Bescheid des BFA.

Eine nähere Auseinandersetzung mit dem weiteren Fluchtvorbringen der Beschwerdeführerin kann unterbleiben, da die soeben dargelegte Gefährdung für sich alleine ausreicht, die Flüchtlingseigenschaft der Beschwerdeführerin zu begründen.

2.2. Zu den Feststellungen zur Situation im Herkunftsstaat:

Die Feststellungen zur Situation im Herkunftsstaat stützen sich auf die zitierten Quellen und wurden von den Parteien nicht substanziell bestritten. Da diese aktuellen Länderberichte auf einer Vielzahl verschiedener, voneinander unabhängiger Quellen von regierungsoffiziellen und nicht-regierungsoffiziellen Stellen beruhen und dennoch ein in den Kernaussagen übereinstimmendes Gesamtbild ohne wesentliche Widersprüche darbieten, besteht im vorliegenden Fall für das Bundesverwaltungsgericht kein Anlass, an der Richtigkeit der getroffenen Länderfeststellungen zu zweifeln. Insoweit den Feststellungen zur Lage im Herkunftsstaat Berichte älteren Datums zugrunde liegen, ist auszuführen, dass sich seither die darin angeführten Umstände unter Berücksichtigung der dem Bundesverwaltungsgericht von Amts wegen vorliegenden Berichte aktuelleren Datums für die Beurteilung der gegenwärtigen Situation nicht wesentlich geändert haben. Die seit dem im Spruch genannten Bescheid zwischenzeitlich erfolgte Überarbeitung des Länderinformationsblattes beinhaltet im Hinblick auf die persönliche Situation der Beschwerdeführerin keine entscheidungswesentlichen Änderungen zur Situation in Afghanistan. Die zitierten Länderberichte sind dem BFA außerdem amtsbekannt.

3. Rechtliche Beurteilung:

Zu A)

Gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 ist einem Fremden, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft ist, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung iSd Art. 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention droht (vgl. auch die Verfolgungsdefinition in § 2 Abs. 1 Z 11 AsylG 2005, die auf Art. 9 der Statusrichtlinie verweist).

Um als Verfolgung zu gelten, muss eine Handlung gemäß Art. 9 Abs. 1 lit. a der Statusrechtlinie aufgrund ihrer Art oder Wiederholung so gravierend sein, dass sie eine schwerwiegende Verletzung der grundlegenden Menschenrechte darstellt, insbesondere der Rechte, von denen gemäß Art. 15 Abs. 2 EMRK keine Abweichung zulässig ist oder gemäß Art. 9 Abs. 1 lit. b der Statusrechtlinie in einer Kumulierung unterschiedlicher Maßnahmen, einschließlich einer Verletzung der Menschenrechte, bestehen, die so gravierend wäre, dass eine Person davon in ähnlicher wie der unter Buchstabe a beschriebenen Weise betroffen ist.

Flüchtling iSd Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK ist, wer sich aus der begründeten Furcht vor Verfolgung wegen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Überzeugung, außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen; oder wer staatenlos ist, sich außerhalb des Landes seines gewöhnlichen Aufenthaltes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, in dieses Land zurückzukehren.

Der Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) hat im Urteil vom 04.10.2024, C-608/22 und C-609/22, dargelegt, dass nach Art. 9 Abs. 1 lit. b Statusrichtlinie eine Verfolgung auch in einer Kumulierung unterschiedlicher Maßnahmen, einschließlich einer Verletzung der Menschenrechte, bestehen kann, die so gravierend ist, dass eine Person davon in ähnlicher wie der in Art. 9 Abs. 1 lit. a dieser Richtlinie beschriebenen Weise betroffen ist. Nach diesen Bestimmungen stellt eine Verletzung von Grundrechten nur dann eine Verfolgung im Sinn von Art. 1 Abschnitt A GFK dar, wenn sie einen bestimmten Schweregrad erreicht. Dieser Schweregrad ist in jedem der in Art. 9 Abs. 1 lit. a und lit. b Statusrichtlinie genannten Fälle ähnlich.

Was Art. 9 Abs. 1 lit. b Statusrichtlinie betrifft, ist ein solcher Schweregrad insbesondere dann als erreicht anzusehen, wenn mehrere Verletzungen von Rechten in ihrer Gesamtheit, die nicht zwangsläufig Rechte darstellen, von denen gemäß Art. 15 Abs. 2 EMRK nicht abgewichen werden darf, die uneingeschränkte Wahrung der in Art. 1 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (GRC) verankerten Menschenwürde beeinträchtigen (Art. 1 GRC lautet: „Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie ist zu achten und zu schützen.“), die die Statusrichtlinie, wie sich aus ihrem 16. Erwägungsgrund ergibt, ausdrücklich gewährleisten soll.

Im gerade genannten Urteil des EuGH hat dieser ausgesprochen, dass einige der im Rahmen der Beweiswürdigung aufgezeigten afghanische Frauen diskriminierenden Maßnahmen – insbesondere die Zwangsverheiratung, die einer nach Art. 4 EMRK verbotenen Form der Sklaverei gleichzustellen ist, sowie der fehlende Schutz vor geschlechtsspezifischer und häuslicher Gewalt, die Formen unmenschlicher und erniedrigender Behandlung darstellen und nach Art. 3 EMRK verboten sind – für sich genommen als Verfolgung im Sinn von Art. 9 Abs. 1 lit. a Statusrichtlinie einzustufen sind. Die anderen im Rahmen der Beweiswürdigung aufgezeigten afghanische Frauen diskriminierenden Maßnahmen, die den Zugang zur Gesundheitsfürsorge, zum politischen Leben und zur Bildung sowie die Ausübung einer beruflichen oder sportlichen Tätigkeit einschränken, die Bewegungsfreiheit behindern oder die Freiheit, sich zu kleiden, beeinträchtigen, stellen für sich genommen keine ausreichend schwerwiegende Verletzung eines Grundrechts im Sinn von Art. 9 Abs. 1 lit. a Statusrichtlinie dar. Diese Maßnahmen beeinträchtigen aber in ihrer Gesamtheit Frauen in einer Weise, dass sie den Schweregrad erreichen, der erforderlich ist, um eine Verfolgung im Sinn von Art. 9 Abs. 1 lit. b Statusrichtlinie darzustellen. Es ist damit bereits deshalb von Verfolgungshandlungen gegen afghanische Frauen auszugehen, weil diese – im Rahmen der Beweiswürdigung näher dargelegten – Maßnahmen aufgrund ihrer kumulativen Wirkung und ihrer bewussten und systematischen Anwendung dazu führen, dass afghanischen Frauen in flagranter Weise hartnäckig aus Gründen ihres Geschlechts die mit der Menschenwürde verbundenen Grundrechte vorenthalten werden, und diese Maßnahmen von der Etablierung einer gesellschaftlichen Organisation zeugen, die auf einem System der Ausgrenzung und Unterdrückung beruht, in dem Frauen aus der Zivilgesellschaft ausgeschlossen werden und ihnen das Recht auf ein menschenwürdiges Alltagsleben in Afghanistan verwehrt wird.

In Ergänzung ist dem Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 23.10.2024, Ra 2022/20/0028, zu entnehmen, dass es nicht erforderlich ist zu prüfen, ob die Asylwerberin eine „verinnerlichte westliche Orientierung“ aufweist, weil es angesichts dessen, dass im Herkunftsstaat eine Situation gegeben ist, die in ihrer Gesamtheit Frauen zwingt, dort ein Leben führen zu müssen, das mit der Menschenwürde unvereinbar ist, darauf nicht ankommt. Es ist vielmehr zur Bejahung einer Verfolgungshandlung im Einzelfall grundsätzlich bereits ausreichend, dass es eine Frau ablehnt, in einer Gesellschaft zu leben und sich Einschränkungen beugen zu müssen, in der die die Staatsgewalt ausübenden Akteure solche sanktionsbewehrten Regelungen aufstellen und Maßnahmen ergreifen, die in ihrer Gesamtheit die Menschenwürde durch die Etablierung einer gesellschaftlichen Organisation, die auf einem System der Ausgrenzung und Unterdrückung beruht, in dem Frauen aus der Zivilgesellschaft ausgeschlossen werden und ihnen das Recht auf ein menschenwürdiges Alltagsleben in Afghanistan verwehrt wird, massiv beeinträchtigen. Vor diesem Hintergrund kommt es auch nicht darauf an, ob eine Asylwerberin diesen Regelungen im Fall eines Aufenthaltes im Herkunftsstaat tatsächlich zuwiderhandeln oder sie sich angesichts der ihr im Fall des Zuwiderhandelns drohenden Konsequenzen diesen Regelungen fügen würde.

Es ist daher grundsätzlich für die Zuerkennung des Status der Asylberechtigten ausreichend, im Rahmen der individuellen Prüfung der Situation einer Antragstellerin, die es ablehnt, sich einer solchen wie der hier in Rede stehenden Situation in Afghanistan auszusetzen, und die daher um die Gewährung von Flüchtlingsschutz ansucht, festzustellen, dass sie bei einer Rückkehr in ihr Herkunftsland, in dem solche Verhältnisse herrschen, tatsächlich und spezifisch Verfolgungshandlungen zu erleiden droht, wenn die Umstände hinsichtlich ihrer individuellen Lage, die ihre Staatsangehörigkeit und ihr Geschlecht betreffen, erwiesen sind. Nur wenn sich anhand der sich der Behörde sonst darbietenden Umstände des Einzelfalles ergibt, dass Gründe zur Annahme vorhanden sind, dass fallbezogen ein Bedürfnis nach Flüchtlingsschutz nicht besteht und die Antragstellung lediglich aus anderen (asylfremden) Motiven erfolgt ist, wird es bei der Prüfung, ob der Status der Asylberechtigten zuzuerkennen ist, nicht sein Bewenden haben können, sich bloß auf die Feststellungen zur Situation im Herkunftsstaat sowie der Staatsangehörigkeit und des Geschlechts der Asylwerberin zu beschränken (etwa wenn Hinweise dafür bestehen, dass eine Asylwerberin Teil einer Organisation ist, von der die die Menschenwürde massiv beeinträchtigenden einschränkenden Maßnahmen ausgehen).

Aufgrund einer Zusammenschau der entsprechenden Passagen der zitierten Länderinformationen, der Angaben der Beschwerdeführerin im Laufe des Verfahrens sowie der gerade angeführten rezenten Rechtsprechung des EuGH und VwGH hat es sich damit als glaubhaft erwiesen, dass der Beschwerdeführerin in ihrem Herkunftsstaat aufgrund ihrer Eigenschaft als afghanische Frau, die es ablehnt, in einer vom Regelwerk der Taliban geprägten, Frauen diskriminierenden Gesellschaft zu leben, durch die Taliban Verfolgung iSd Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK aufgrund der Zugehörigkeit zur sozialen Gruppe der Frauen droht.

Im konkreten Einzelfall liegen auch keine Gründe vor, welche annehmen lassen würden, dass in Bezug auf die Beschwerdeführerin ein Flüchtlingsschutz nicht besteht und die Antragstellung lediglich aus asylfremden Motiven erfolgt ist, als es die Beschwerdeführerin – wie beweiswürdigend ausgeführt – ablehnt, sich einer vom Regelwerk der Taliban geprägten Situation auszusetzen. Insbesondere liegen auch keine Hinweise dafür vor, dass die Beschwerdeführerin selbst Teil einer Organisation wäre, von der die die Menschenwürde massiv beeinträchtigenden einschränkenden Maßnahmen ausgehen.

Eine Prüfung der innerstaatlichen Fluchtalternative kann vor dem Hintergrund entfallen, dass die Annahme einer innerstaatlichen Fluchtalternative im Widerspruch zum gewährten subsidiären Schutz stehen würde, weil § 11 AsylG 2005 die Annahme einer innerstaatlichen Fluchtalternative nur erlaubt, wenn in Bezug auf diesen Teil des Herkunftsstaates die Voraussetzungen zur Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten nicht gegeben sind (vgl. VwGH 13.11.2014, Ra 2014/18/0011 bis 0016).

Es sind auch im Zuge des Verfahrens keine Hinweise hervorgekommen, wonach einer der in Art. 1 Abschnitt C oder F der GFK genannten Endigungs- oder Ausschlusstatbestände eingetreten sein könnte.

Gemäß § 3 Abs. 5 AsylG 2005 ist die Entscheidung, mit der einem Fremden von Amts wegen oder aufgrund eines Antrages auf internationalen Schutz der Status des Asylberechtigten zuerkannt wird, mit der Feststellung zu verbinden, dass diesem Fremden damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.

Der Beschwerde ist daher gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 stattzugeben und festzustellen, dass der Beschwerdeführerin kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.

Gemäß § 3 Abs. 4 AsylG 2005 kommt einem Fremden, dem der Status des Asylberechtigten zuerkannt wird, eine auf drei Jahre befristete Aufenthaltsberechtigung zu. Diese Aufenthaltsberechtigung verlängert sich kraft Gesetzes nach Ablauf dieser Zeit auf eine unbefristete Gültigkeitsdauer, sofern die Voraussetzungen für eine Einleitung eines Aberkennungsverfahrens nicht vorliegen oder ein Aberkennungsverfahren eingestellt wird. Dementsprechend verfügt die Beschwerdeführerin nun über eine auf drei Jahre befristete Aufenthaltsberechtigung.

Gemäß § 21 Abs. 7 BFA-VG kann eine mündliche Verhandlung unterbleiben, wenn der Sachverhalt aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde geklärt erscheint oder sich aus den bisherigen Ermittlungen zweifelsfrei ergibt, dass das Vorbringen nicht den Tatsachen entspricht. Im Übrigen gilt § 24 VwGVG. Gemäß § 24 Abs. 4 VwGVG kann die Verhandlung ungeachtet eines Parteiantrages entfallen, wenn die Akten erkennen lassen, dass die mündliche Erörterung eine weitere Klärung der Rechtssache nicht erwarten lässt, und einem Entfall der Verhandlung weder Art. 6 Abs. 1 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten noch Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union entgegenstehen, was im vorliegenden Fall gegeben ist.

Zu B) Unzulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor. Die maßgebliche Rechtsprechung wurde bei den Erwägungen zu den einzelnen Spruchpunkten zu Spruchteil A wiedergegeben. Die in der rechtlichen Beurteilung angeführte Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes ist auf den vorliegenden Fall übertragbar.

Rückverweise