Spruch
W192 2291907-1/8E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Dr. Ruso als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , StA. Afghanistan, vertreten durch die BBU GmbH, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 28.03.2024, Zl. 1345774300/230560604, zu Recht erkannt:
A) Die Beschwerde gegen Spruchpunkt I. des Bescheides wird als unbegründet abgewiesen.
B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
Entscheidungsgründe:
I. Verfahrensgang:
1.1. Der Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger von Afghanistan, stellte nach illegaler Einreise am 16.03.2023 einen Antrag auf internationalen Schutz.
Er wurde am selben Tag durch die zuständige Landespolizeidirektion erstbefragt, wobei angab, der paschtunischen Volksgruppe und dem Islam anzugehören. Er stamme aus der Provinz Parwan, habe im Herkunftsstaat zehn Jahre die Grundschule besucht und nicht gearbeitet. Der Vater und seine Mutter, zwei Brüder und zwei Schwestern würden in Afghanistan leben, ein Bruder sei in der Türkei. Der Beschwerdeführer habe den Herkunftsstaat vor etwa einem Jahr verlassen und sei über den Iran und die Türkei, wo er sich neun Monate lang aufgehalten habe, sowie weitere Staaten nach Österreich gelangt.
Er habe den Herkunftsstaat verlassen, weil die afghanische Regierung von Taliban gestürzt worden sei und er Verfolgung durch die Taliban fürchte.
Aus einem von der Behörde eingeholten medizinischen Sachverständigengutachten zur Feststellung des Mindestalters des Beschwerdeführers vom 25.04.2023 ergab sich, dass die vom Beschwerdeführer behauptete Minderjährigkeit zum Zeitpunkt der Antragstellung möglich sei.
Bei der niederschriftlichen Einvernahme vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) am 28.12.2023 gab der Beschwerdeführer an, dass er gesund sei. Er habe bei der Erstbefragung wahrheitsgemäße Angaben getätigt und es sei ihm das Protokoll rückübersetzt und korrekt protokolliert worden.
Der Beschwerdeführer legte Fotos und Unterlagen betreffend die Tätigkeit seines Vaters im Sicherheitsdienst auf dem Flughafen seiner Herkunftsregion vor und gab an, dass seine Familie danach nach Kabul gezogen sei und sein Vater dort bei einer britischen Firma als Sicherheitsmann gearbeitet habe. Der Beschwerdeführer habe in Afghanistan zuletzt in seinem Herkunftsort in Parwan gelebt und sei im Dezember 2021 ausgereist. Er habe die letzten sechs Jahre im Heimatdorf und davor vier Jahre lang in Kabul gelebt. Der Vater des Beschwerdeführers sei geflüchtet und seine Mutter und jüngeren Geschwister würden nunmehr bei dem Bruder seiner Mutter in Parwan leben.
Der Beschwerdeführer sei mit seinem Vater und seinem Bruder aus Afghanistan ausgereist, wobei sein Vater an der Grenze von der türkischen Polizei in den Iran zurückgeschickt worden sei. Danach sei der Vater aus dem Iran nach Afghanistan zurückgeschickt worden und lebe derzeit in Jalalabad, wobei er bei einem Arbeitskollegen wohne und zwischen Afghanistan und Pakistan pendle. Er habe bei der amerikanischen Botschaft in Pakistan einen Einreiseantrag für Amerika gestellt. Der Beschwerdeführer stehe mit seiner Mutter in Afghanistan im telefonischen Kontakt. Er habe keine Telefonnummer anderer Verwandter. Der Vater des Beschwerdeführers lebe in Afghanistan versteckt. Die Familie des Arbeitskollegen seines Vaters lebe in den USA und unterstütze beide.
Als Grund seiner Ausreise brachte der Beschwerdeführer vor, dass sein Vater für die Amerikaner gearbeitet habe und schon vor der Machtübernahme der Taliban von diesen bedroht worden sei. Nach der Machtübernahme habe sein Vater das Haus der Familie verlassen und sei nach Jalalabad zu seinem Arbeitskollegen gefahren. Etwa ein bis zwei Monate nach der Machtübernahme durch die Taliban sei das Haus der Familie durchsucht worden, wobei Unterlagen seines Vaters sowie Uniformteile gefunden worden seien. Die Taliban hätten den Beschwerdeführer und seinen Bruder zum Verhör mitgenommen und zwei Tage festgehalten und geschlagen. Sie seien nach dem Aufenthalt des Vaters befragt und beschuldigt worden, dass die Familie sich vom Geld der Ungläubigen ernährt habe. Die Mutter des Beschwerdeführers habe eine Intervention des Dorfvorsitzenden erwirkt und der Beschwerdeführer und sein Bruder sei dadurch freigelassen worden. Dann hätten sie den Vater des Beschwerdeführers kontaktiert und dieser habe sie aufgefordert nach Kabul zu kommen. Sie seien nach Kabul gefahren und von dort gemeinsam mit dem Vater des Beschwerdeführers in den Iran gereist.
Im Falle einer Rückkehr fürchte der Beschwerdeführer von Taliban getötet zu werden, weil er aus Afghanistan geflüchtet sei und weil sein Vater für Amerikaner gearbeitet habe. Der Beschwerdeführer werde aus politischen Gründen von Taliban verfolgt, weil sein Vater für die Amerikaner und so auch für die frühere Regierung gearbeitet habe.
2. Das BFA hat mit dem angefochtenen Bescheid den gegenständlichen Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 abgewiesen (Spruchpunkt I.). Gemäß § 8 Abs. 1 AsylG 2005 wurde dem Beschwerdeführer der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt (Spruchpunkt II.) und ihm wurde eine befristete Aufenthaltsberechtigung für subsidiär Schutzberechtigte gemäß § 8 Abs. 4 AsylG 2005 für ein Jahr erteilt (Spruchpunkt III.).
Die Behörde stellte die Herkunft des Beschwerdeführers, nicht jedoch dessen Identität fest und beurteilte die behauptete Bedrohung durch Taliban als nicht glaubhaft. Die Behörde stützte ihre Beweiswürdigung auf den Umstand, dass die Darstellung des Beschwerdeführers wenig detailreich und oberflächlich gewesen sei und er im vorliegenden Fall sich im Zuge der Erstbefragung lediglich auf den Sturz der Regierung durch die Taliban berufen und mit keinem Wort angesprochen habe, dass er-wie später behauptet, selbst von Taliban festgenommen worden sei. Der Beschwerdeführer habe auch keine genauen Zeitangaben über seine Ausreise machen können und es erscheint nicht plausibel, dass ein Dorfvorsitzender für den Beschwerdeführer und seinen Bruder gebürgt habe.
Da nach dem Vorbringen des Beschwerdeführers dessen Vater nach wie vor ohne Probleme in Jalalabad lebe, sei nicht nachvollziehbar, dass dieser einer Verfolgungsgefahr unterliegen solle. Wegen der schlechten Versorgungslage sei dem Beschwerdeführer eine Rückkehr in den Herkunftsstaat nicht zumutbar und ihm daher Status des subsidiär Schutzberechtigten zuzuerkennen.
3. Gegen den Spruchpunkt I. dieses Bescheides richtet sich die mit Schriftsatz der Rechtsvertretung des Beschwerdeführers vom 08.05.2004 ausgeführte Beschwerde. Darin wurden die Verfolgungsbehauptungen des Beschwerdeführers wiederholt und gegen die Beweiswürdigung des angefochtenen Bescheides eingewendet, dass in der mehr detaillierten Schilderung der Ereignisse keine Steigerung des Vorbringens des Beschwerdeführers bei der Einvernahme gegenüber den Aufgaben der Erstbefragung zu erblicken sei. Überdies sei der Beschwerdeführer zum Zeitpunkt der Erstbefragung noch minderjährig gewesen und in der Einvernahmesituation sehr belastet gewesen. Es sei bekannt, dass gerade bei Einvernahmen außerhalb der Asylbehörde oftmals eher die Dolmetscher Fragen stellen und Antworten der Antragsteller im Anschluss daran in geraffter Form ins Protokoll diktieren. Wenn eine wörtliche Rückübersetzung dann auch noch unterbleibe, liege auf der Hand, dass aus dem Wortlaut des Protokolls kaum direkte Aussagen der Beschwerdeführer hervorgehen können. Zwar sei den Beschwerdeführer nach eigenen Angaben das Protokoll seiner Erstbefragung rückübersetzt worden, allerdings habe er keine detaillierten Aussagen machen können, da ihm gesagt worden sei, er werde beim BFA Gelegenheit erhalten, auszusagen.
Die Ausführungen der Behörde, dass der Beschwerdeführer angesichts der behaupteten Geschehnisse eine emotionale Darstellung geben hätte müssen, sei eine nicht faktenbasierte Spekulation, da es bekannt sei, dass die Verarbeitungsstrategien einzelner Personen einschneidende Erlebnisse in der Vergangenheit betreffend völlig unterschiedlich sein können. Dazu werde auf das UNHCR-Handbuch zur Bestimmung der Glaubwürdigkeit im Asylverfahren verwiesen.
Aus Länderberichten sei die spezielle Bedrohung, die von Taliban gegen ehemalige Polizisten, Soldaten oder Mitarbeiter ausländischer Truppen in Afghanistan wie den Vater des Beschwerdeführers ausgehen, ersichtlich und es würden dazu weitere Abschnitte aus Länderberichten zitiert. Darüber hinaus sei im aktuellen Länderinformationsblatt im Abschnitt über Rückkehrer ersichtlich, dass die afghanische Gesellschaft allgemein und die Taliban Personen gegenüber, die nach längerem Aufenthalt im westlichen Ausland zurückkehren, mit Argwohn und Misstrauen begegnen, wobei ihnen konkret eine zu den Werten des Islam im Gegensatz stehende Gesinnung unterstellt werde, was für den Beschwerdeführer bedeute, dass seine Probleme gesteigerte Asylrelevanz indizieren könnten.
Der Beschwerdeführer müsste im Falle einer Rückkehr nach Afghanistan befürchten, aufgrund der dortigen Umstände zumindest drangsaliert, bedroht und verfolgt, höchstwahrscheinlich sogar getötet zu werden.
4. Am 02.07.2024 führte das Bundesverwaltungsgericht eine mündliche Verhandlung über die vorliegende Beschwerde durch, wobei der Beschwerdeführer über die Gründe für das Verlassen des Herkunftsstaates befragt und die Rückkehrsituation erörtert wurden. Das BFA hat keinen Vertreter entsandt.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen:
1.1. Zur Person des Beschwerdeführers:
Der nunmehr volljährige Beschwerdeführer ist Staatsangehörige Afghanistans, Angehöriger der Volksgruppe der Paschtunen und Moslem sunnitischer Ausrichtung. Die Muttersprache des Beschwerdeführers ist Paschtu. Die Identität des Beschwerdeführers steht nicht fest. Der Beschwerdeführer stammt aus der Provinz Parwan. Er reiste illegal nach Österreich, wo er am 16.03.2023 den vorliegenden Antrag auf internationalen Schutz stellte.
Der Beschwerdeführer hat im Herkunftsstaat vor seiner Ausreise etwa zehn Jahre lang eine Grundschule besucht. Es wird der Beurteilung zugrunde gelegt, dass der Vater des Beschwerdeführers in der Zeit von 2008 bis 2011 im Sicherheitsdienst auf den von internationalen Streitkräften genutzten Flughafen Baghram tätig war sowie in der Zeit nach 2011 in Kabul bis zur Machtübernahme durch die Taliban im Sicherheitsdienst von internationalen Sicherheitsdienstleistern gearbeitet hat.
Der Beschwerdeführer ist gesund und unbescholten. Ihm wurde durch den Bescheid des BFA vom 28.03.2024 der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt. Seine aktuelle Aufenthaltsberechtigung ist bis 16.04.2027 gültig.
Es wird der Beurteilung zugrunde gelegt, dass der Vater und ein Bruder des Beschwerdeführers sich gegenwärtig im Iran aufhalten. Im Herkunftsstaat leben die Mutter, sowie zwei Brüder und zwei Schwestern des Beschwerdeführers nach wie vor dessen Herkunftsregion.
1.2. Zu den Verfolgungsbehauptungen:
Es wird der Beurteilung zugrunde gelegt, dass eine Talibangruppierung etwa eineinhalb bis zwei Monate nach der Machtübernahme durch die Taliban im Heimatdorf des Beschwerdeführers alle Häuser durchsucht hat, wobei im Haus der Familie des Beschwerdeführers Dokumente betreffend die berufliche Tätigkeit des Vaters des Beschwerdeführers und Uniformteile des Vaters des Beschwerdeführers aufgefunden worden, worauf der Beschwerdeführer in weiterer Folge gemeinsam mit seinem Bruder festgenommen und zwei Tage und Nächte angehalten und dabei nach dem Aufenthalt des Vaters befragt und auch misshandelt wurden. Beide wurden über Intervention des Dorfältesten freigelassen und sind in weiterer Folge gemeinsam mit dem Vater des Beschwerdeführers, der seit der Machtübernahme durch die Taliban im Herkunftsstaat versteckt gelebt hat, ausgereist. Vor dem Hintergrund der aktuellen Situation im Herkunftsstaat des Beschwerdeführers ist es nicht maßgeblich wahrscheinlich, dass der Beschwerdeführer wegen der seinerzeitigen beruflichen Tätigkeit seines Vaters im Sicherheitsdienst der internationalen Streitkräfte und ausländischer Sicherheitsdienstleister Verfolgungshandlungen durch Taliban zu befürchten habe.
Der Beschwerdeführer war nie politisch tätig und gehörte nie einer politischen Partei an.
Weiters wird festgestellt, dass der Beschwerdeführer nicht ohne Hinzutreten weiterer wesentlicher individueller Merkmale mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit eine gegen ihn gerichtete Verfolgung oder Bedrohung durch staatliche Organe oder von staatlichen Organen geduldete Verfolgung durch Private, sei es vor dem Hintergrund seiner ethnischen Zugehörigkeit (Paschtune), der Religion (sunnitischer Islam), Nationalität (Afghanistan), Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder politischen Gesinnung zu erwarten hätte.
Es wird festgestellt, dass der Beschwerdeführer nicht aufgrund der Tatsache, dass er sich nunmehr seit Ende des Jahres 2023 in Europa aufhält, im Falle einer Rückkehr nach Afghanistan psychischer oder physischer Gewalt oder anderen erheblichen Eingriffen ausgesetzt wäre. Er hat keine "westliche Lebenseinstellung" angenommen, welche im Widerspruch zur Gesellschaftsordnung in Afghanistan steht.
1.3. Zur maßgeblichen Situation in Afghanistan:
1.3. Zur maßgeblichen Situation in Afghanistan:
Politische Lage
Letzte Änderung 2025-01-31 16:38
Die politischen Rahmenbedingungen in Afghanistan haben sich mit der Machtübernahme durch die Taliban im August 2021 grundlegend verändert (AA 26.6.2023). Die Taliban sind zu der ausgrenzenden, auf die Paschtunen ausgerichteten, autokratischen Politik der Taliban-Regierung der späten 1990er-Jahre zurückgekehrt (UNSC 1.6.2023b). Sie bezeichnen ihre Regierung als das "Islamische Emirat Afghanistan" (USIP 17.8.2022; vgl. VOA 1.10.2021), den Titel des ersten Regimes, das sie in den 1990er-Jahren errichteten, und den sie während ihres zwei Jahrzehnte andauernden Aufstands auch für sich selbst verwendeten. Das Emirat ist um einen obersten Führer, den Emir, herum organisiert, von dem man glaubt, dass er von Gott mit der Autorität ausgestattet ist, alle Angelegenheiten des Staates und der Gesellschaft zu beaufsichtigen. Seit ihrer Machtübernahme hat die Gruppe jedoch nur vage erklärt, dass sie im Einklang mit dem "islamischen Recht und den afghanischen Werten" regieren wird, und hat nur selten die rechtlichen oder politischen Grundsätze dargelegt, die ihre Regeln und Verhaltensweise bestimmen (USIP 17.8.2022). Die Verfassung von 2004 ist de facto ausgehebelt. Ankündigungen über die Erarbeitung einer neuen Verfassung sind bislang ohne sichtbare Folgen geblieben. Die Taliban haben begonnen, staatliche und institutionelle Strukturen an ihre religiösen und politischen Vorstellungen anzupassen. Im September 2022 betonte der Justizminister der Taliban, dass eine Verfassung für Afghanistan nicht notwendig sei (AA 26.6.2023).
Nach ihrer Machtübernahme in Afghanistan übernahmen die Taliban auch schnell staatliche Institutionen (USIP 17.8.2022) und erklärten Haibatullah Akhundzada zu ihrem obersten Führer (Afghan Bios 7.7.2022a; vgl. REU 7.9.2021a, VOA 19.8.2021). Er kündigte an, dass alle Regierungsangelegenheiten und das Leben in Afghanistan den Gesetzen der Scharia unterworfen werden (ORF 8.9.2021; vgl. DIP 4.1.2023). Haibatullah hat sich dem Druck von außen, seine Politik zu mäßigen, widersetzt (UNSC 1.6.2023b) und baut seinen Einfluss auf Regierungsentscheidungen auf nationaler und subnationaler Ebene auch im Jahr 2023 weiter aus (UNGA 20.6.2023). Es gibt keine Anzeichen dafür, dass andere in Kabul ansässige Taliban-Führer die Politik wesentlich beeinflussen können. Kurz- bis mittelfristig bestehen kaum Aussichten auf eine Änderung (UNSC 1.6.2023b). Innerhalb weniger Wochen nach der Machtübernahme kündigten die Taliban "Interims"-Besetzungen für alle Ministerien bis auf ein einziges an, wobei die Organisationsstruktur der vorherigen Regierung beibehalten wurde (USIP 17.8.2022) - das Ministerium für Frauenangelegenheiten blieb unbesetzt und wurde später aufgelöst (USIP 17.8.2022; vgl. HRW 4.10.2021). Alle amtierenden Minister waren hochrangige Taliban-Führer; es wurden keine externen politischen Persönlichkeiten ernannt, die überwältigende Mehrheit war paschtunisch, und alle waren Männer. Seitdem haben die Taliban die interne Struktur verschiedener Ministerien mehrfach geändert und das Ministerium für die Verbreitung der Tugend und die Verhütung des Lasters wiederbelebt, das in den 1990er-Jahren als strenge "Sittenpolizei" berüchtigt war, die strenge Vorschriften für das soziale Verhalten durchsetzte (USIP 17.8.2022). Bezüglich der Verwaltung haben die Taliban Mitte August 2021 nach und nach die Behörden und Ministerien übernommen. Sie riefen die bisherigen Beamten und Regierungsmitarbeiter dazu auf, wieder in den Dienst zurückzukehren, ein Aufruf, dem manche von ihnen auch folgten (ICG 24.8.2021; vgl. USDOS 12.4.2022a), wobei weibliche Angestellte aufgefordert wurden, zu Hause zu bleiben (BBC 19.9.2021; vgl. Guardian 20.9.2021). Die für die Wahlen zuständigen Institutionen, sowie die Unabhängige Menschenrechtskommission, der Nationale Sicherheitsrat und die Sekretariate der Parlamentskammern wurden abgeschafft (AA 26.6.2023).
Der Ernennung einer aus 33 Mitgliedern bestehenden geschäftsführenden Übergangsregierung im September 2021 folgten zahlreiche Neuernennungen und Umbesetzungen auf nationaler, Provinz- und Distriktebene in den folgenden Monaten, wobei Frauen weiterhin gar nicht und nicht-paschtunische Bevölkerungsgruppen nur in geringem Umfang berücksichtigt wurden (AA 26.6.2023).
Die Regierung der Taliban wird von Mohammad Hassan Akhund geführt. Er ist Vorsitzender der Minister, eine Art Premierminister. Akhund ist ein wenig bekanntes Mitglied des höchsten Führungszirkels der Taliban, der sogenannten Rahbari-Schura, besser bekannt als Quetta-Schura (NZZ 8.9.2021; vgl. REU 7.9.2021b, Afghan Bios 18.7.2023).
Stellvertretende vorläufige Premierminister sind Abdul Ghani Baradar (AJ 7.9.2021; vgl. REU 7.9.2021b, Afghan Bios 16.2.2022), der die Taliban bei den Verhandlungen mit den Vereinigten Staaten in Doha vertrat und das Abkommen mit ihnen am 29.2.2021 unterzeichnete (AJ 7.9.2021; vgl. VOA 29.2.2020), und Abdul Salam Hanafi (REU 7.9.2021b; vgl. Afghan Bios 7.7.2022b), der unter dem ersten Taliban-Regime Bildungsminister war (Afghan Bios 7.7.2022b; vgl. UNSC o.D.a). Im Oktober 2021 wurde Maulvi Abdul Kabir zum dritten stellvertretenden Premierminister ernannt (Afghan Bios 27.11.2023; vgl. 8am 5.10.2021, UNGA 28.1.2022).
Weitere Mitglieder der vorläufigen Taliban-Regierung sind unter anderem Sirajuddin Haqqani, der Leiter des Haqqani-Netzwerkes (Afghan Bios 4.3.2023; vgl. JF 5.11.2021) als Innenminister (REU 7.9.2021b; vgl. Afghan Bios 4.3.2023) und Amir Khan Mattaqi als Außenminister (REU 7.9.2021b; vgl. Afghan Bios 14.12.2023), welcher die Taliban bei den Verhandlungen mit den Vereinten Nationen vertrat und im ersten Taliban-Regime unter anderem den Posten des Kulturministers innehatte (Afghan Bios 14.12.2023; vgl. UNSC o.D.b). Der Verteidigungsminister der vorläufigen Taliban-Regierung ist Mohammed Yaqoob (REU 7.9.2021b; vgl. Afghan Bios 6.9.2023), dem 2020 der Posten des militärischen Leiters der Taliban verliehen wurde (Afghan Bios 6.9.2023; vgl. RFE/RL 29.8.2020).
Sah es in den ersten sechs Monaten ihrer Herrschaft so aus, als ob das Kabinett unter dem Vorsitz des Premierministers die Regierungspolitik bestimmen würde, wurden die Minister in großen und kleinen Fragen zunehmend vom Emir, Haibatullah Akhundzada, überstimmt (USIP 17.8.2022). Diese Dynamik wurde am 23.3.2022 öffentlich sichtbar, als der Emir in letzter Minute die lange versprochene Rückkehr der Mädchen in die Oberschule kippte (USIP 17.8.2022; vgl. RFE/RL 24.3.2022, UNGA 15.6.2022). Seitdem ist die Bildung von Mädchen und Frauen und andere umstrittene Themen ins Stocken geraten, da pragmatische Taliban-Führer dem Emir nachgeben, der sich von ultrakonservativen Taliban-Klerikern beraten lässt. Ausländische Diplomaten haben begonnen, von "duellierenden Machtzentren" zwischen den in Kabul und Kandahar ansässigen Taliban zu sprechen (USIP 17.8.2022) und es gibt auch Kritik innerhalb der Taliban, beispielsweise als im Mai 2022 ein hochrangiger Taliban-Beamter als erster die Taliban-Führung offen für ihre repressive Politik in Afghanistan kritisierte (RFE/RL 3.6.2022a). Doch der Emir und sein Kreis von Beratern und Vertrauten in Kandahar kontrollieren nicht jeden Aspekt der Regierungsführung. Mehrere Ad-hoc-Ausschüsse wurden ernannt, um die Politik zu untersuchen und einen Konsens zu finden, während andere Ausschüsse Prozesse wie die Versöhnung und die Rückkehr politischer Persönlichkeiten nach Afghanistan umsetzen. Viele politische Maßnahmen unterscheiden sich immer noch stark von einer Provinz zur anderen des Landes. Die Taliban-Beamten haben sich, wie schon während ihres Aufstands, als flexibel erwiesen, je nach den Erwartungen der lokalen Gemeinschaften. Darüber hinaus werden viele Probleme nach wie vor über persönliche Beziehungen zu einflussreichen Taliban-Figuren gelöst, unabhängig davon, ob deren offizielle Position in der Regierung für das Problem verantwortlich ist (USIP 17.8.2022).
In seiner traditionellen jährlichen Botschaft zum muslimischen Feiertag Eid al-Fitr im Jahr 2023 sagte Haibatullah Akhundzada, sein Land wünsche sich positive Beziehungen zu seinen Nachbarn, den islamischen Ländern und der Welt, doch dürfe sich kein Land in deren innere Angelegenheiten einmischen. Er vermied es, direkt auf das Bildungsverbot von Mädchen und die Beschäftigungseinschränkungen von Frauen einzugehen, sagte jedoch, dass die Taliban-Regierung bedeutende Reformen in den Bereichen Kultur, Bildung, Wirtschaft, Medien und anderen Bereichen eingeleitet hat, und "die schlechten intellektuellen und moralischen Auswirkungen der 20-jährigen Besatzung" dabei seien, zu Ende zu gehen (AnA 18.4.2020; vgl. BAMF 30.6.2023).
Anfang Juni 2023 wurde berichtet, dass es Anzeichen dafür gibt, dass die Taliban die Stadt Kandahar zu ihrem Stützpunkt machen würden. Dies wir als ein Zeichen für den schwindenden Einfluss der gemäßigteren Taliban-Mitglieder in der Hauptstadt Kabul gesehen, während das Regime seine repressive Politik weiter verschärft. In den letzten Monaten haben Vertreter des Regimes Delegationen aus Japan und Katar nach Kandahar eingeladen, anstatt sich mit anderen Beamten in Kabul zu treffen. Der oberste Sprecher der Taliban, Zabihullah Mujahid, und ein zweiter Informationsbeauftragter aus Nordafghanistan, Inamullah Samangani, wurden von ihren Büros in Kabul nach Kandahar verlegt (WP 5.6.2023; vgl. BAMF 30.6.2023).
Im Mai 2023 traf sich der Außenminister der Taliban mit seinen Amtskollegen aus Pakistan und China in Islamabad. Im Mittelpunkt des Treffens stand die Einbeziehung Afghanistans in den chinesisch-pakistanischen Wirtschaftskorridor (CPEC) sowie die Situation von Frauen in Afghanistan (AnA 5.5.2023; vgl. VOA 6.5.2023).
Am 22.11.2023 verkündeten die Taliban den Abschluss einer zweitägigen Kabinettssitzung in der Provinz Kandahar unter der Leitung von Hebatullah Akhundzada. Auffallend war, dass Themen wie das Recht der Frauen auf Arbeit und Zugang zu Bildung sowie ihre Teilhabe an der Gesellschaft nicht Gegenstand der Beratungen waren. Es wurden Gespräche über Themen wie die Rückführung von Migranten, die Entwicklung diplomatischer Beziehungen zur Bewältigung bestehender Probleme, Import-Export- und Transitfragen sowie die Beibehaltung der Geldpolitik der Taliban geführt (AT 22.11.2023; vgl. AMU 22.11.2023).
Sicherheitslage
Letzte Änderung 2025-01-31 16:37
Seit der Machtübernahme der Taliban in Kabul am 15.8.2021 ist das allgemeine Ausmaß des Konfliktes zurückgegangen (AI 24.4.2024; vgl. UNAMA 27.6.2023). Nach Angaben der Vereinten Nationen gab es beispielsweise weniger konfliktbedingte Sicherheitsvorfälle wie bewaffnete Zusammenstöße, Luftangriffe und improvisierte Sprengsätze (IEDs) (UNGA 28.1.2022) sowie eine geringere Zahl von Opfern unter der Zivilbevölkerung (UNAMA 27.6.2023; vgl. UNAMA 7.2022). Die Hilfsmission der Vereinten Nationen in Afghanistan (UNAMA) und Amnesty International (AI) haben jedoch weiterhin ein erhebliches Ausmaß an zivilen Opfern (AI 24.4.2024; vgl. UNAMA 27.6.2023) durch vorsätzliche Angriffe mit improvisierten Sprengsätzen (IEDs) dokumentiert (UNAMA 27.6.2023).
Nach Angaben der Vereinten Nationen entwickelten sich die sicherheitsrelevanten Vorfälle seit der Machtübernahme der Taliban folgendermaßen:
• 19.8.2021 - 31.12.2021: 985 sicherheitsrelevante Vorfälle (Rückgang von 91 % gegenüber dem Vorjahr) (UNGA 28.1.2022)
• 1.1.2022 - 21.5.2022: 2.105 sicherheitsrelevante Vorfälle (Rückgang von 467 % gegenüber dem Vorjahr) (UNGA 15.6.2022)
• 22.5.2022 - 16.8.2022: 1.642 sicherheitsrelevante Vorfälle (Rückgang von 77,5 % gegenüber dem Vorjahr) (UNGA 14.9.2022)
• 17.8.2022 - 13.11.2022: 1.587 sicherheitsrelevante Vorfälle (Anstieg von 23 % gegenüber dem Vorjahr) (UNGA 7.12.2022)
• 14.11.2022 - 31.1.2023: 1.088 sicherheitsrelevante Vorfälle (Anstieg von 10 % gegenüber dem Vorjahr) (UNGA 27.2.2023)
• 1.2.2023 - 20.5.2023: 1.650 sicherheitsrelevante Vorfälle (Rückgang von 1 % gegenüber dem Vorjahr) (UNGA 20.6.2023)
• 20.5.2023 - 31.7.2023: 1.259 sicherheitsrelevante Vorfälle (Anstieg von 1 % gegenüber dem Vorjahr) (UNGA 18.9.2023)
• 1.8.2023 - 21.10.2023: 1.414 sicherheitsrelevante Vorfälle (Rückgang von 2 % gegenüber dem Vorjahr) (UNGA 1.12.2023)
• 1.11.2023 - 10.1.2023: 1.508 sicherheitsrelevante Vorfälle (Anstieg von 38 % gegenüber dem Vorjahr) (UNGA 28.2.2024)
• 1.2.2024 - 13.5.2024: 2.505 sicherheitsrelevante Vorfälle (Anstieg von 55 % gegenüber dem Vorjahr) (UNGA 13.6.2024)
• 14.5.2024 - 31.7.2024: 2.127 sicherheitsrelevante Vorfälle (Anstieg von 53 % gegenüber dem Vorjahr) (UNGA 9.9.2024)
Wie den oben aufgeführten Daten von ACLED (ACLED 13.1.2025) und den Vereinten Nationen zu entnehmen ist, sind die sicherheitsrelevanten Vorfälle in Afghanistan im Jahr 2024 angestiegen. Dies hängt laut den Vereinten Nationen vor allem mit vermehrten Zwischenfällen im Zusammenhang mit Betäubungsmitteln (UNGA 9.9.2024; vgl. UNGA 13.6.2024, UNGA 28.2.2024) und Grundstückstreitigkeiten zusammen (UNGA 9.9.2024; vgl. UNGA 13.6.2024) und war zum Teil auf die Bemühungen der Taliban-Behörden zurückzuführen, das Verbot des Mohnanbaus durchzusetzen (UNGA 13.6.2024).
Auch die vom Uppsala Conflict Data Program (UCDP) erfassten Vorfälle zeigen dieses Bild. Mit Beginn des Jahres 2022 gehen die sicherheitsrelevanten Vorfälle deutlich zurück. In der ersten Jahreshälfte 2024 ist jedoch wieder ein Anstieg zu verzeichnen. Bei jenen sicherheitsrelevanten Vorfällen, die den ISKP betreffen, erkennt man einen Rückgang im Laufe der letzten Jahre, wobei auch hier ein leichter Anstieg in der ersten Jahreshälfte 2024 zu erkennen ist (UCDP 9.12.2024). [Für weitere Informationen zu Datenerfassung und Methodologie von UCDP sei auf die entsprechende Passage im Kapitel Länderspezifische Anmerkungen verwiesen]:
Laut Angaben der Vereinten Nationen hatten sich die Aktivitäten des ISKP nach der Machtübernahme der Taliban zunächst verstärkt (UNGA 28.1.2022; vgl. UNGA 15.6.2022, UNGA 14.9.2022, UNGA 7.12.2022). Im Lauf der Jahre 2022 (UNGA 7.12.2022; vgl. UNGA 27.2.2023) und in 2023 nahmen diese Aktivitäten jedoch wieder ab (UNGA 20.6.2023; vgl. UNGA 18.9.2023, UNGA 1.12.2023). Ein Trend, der sich auch 2024 fortsetzt (UNGA 28.2.2024). Ziele der Gruppierung sind die schiitischen Hazara (AI 24.4.2024; vgl. UNAMA 22.1.2024, UNGA 13.6.2024, UNGA 28.2.2024), ausländische Staatsbürger (UNGA 9.9.2024) sowie Mitglieder der Taliban (UNGA 9.9.2024; vgl. UNGA 13.6.2024, UNGA 28.2.2024). Die Taliban führen weiterhin Operationen gegen den ISKP durch (UNGA 13.6.2024), unter anderem in Nangarhar (UNGA 9.9.2024).
Ende 2022 und während des Jahres 2023 nehmen die Zusammenstöße zwischen bewaffneten Gruppierungen und den Taliban weiter ab (UNGA 27.2.2023; vgl. UNGA 20.6.2023, UNGA 18.9.2023). Dieser Trend setzt sich auch im Jahre 2024 fort. Nach dem Dafürhalten der Vereinten Nationen stellt die bewaffnete Opposition mit 2024 weiterhin keine nennenswerte Herausforderung für die territoriale Kontrolle der Taliban dar (UNGA 9.9.2024; vgl. UNGA 13.6.2024, UNGA 28.2.2024). Die Nationale Widerstandsfront und die Afghanische Freiheitsfront gehen mit einer "Hit-and-Run"-Taktik gegen die Taliban-Sicherheitskräfte vor, greifen deren Posten und Fahrzeuge an und verübten Hinterhalte und gezielte Tötungen (UNGA 9.9.2024).
Mit Verweis auf das United Nations Department of Safety and Security (UNDSS) berichtet IOM (International Organization for Migration), dass organisierte Verbrechergruppen in ganz Afghanistan an Entführungen zur Erlangung von Lösegeld beteiligt sind. 2023 wurden 21 Entführungen dokumentiert, 2024 waren es, mit Stand Februar 2024, zwei. Anscheinend werden nicht alle Entführungen gemeldet, und oft zahlen die Familien das Lösegeld. Die meisten Entführungen (soweit Informationen verfügbar waren) fanden in oder in der Nähe von Wohnhäusern statt und nicht auf der Straße. Von den 21 im Jahr 2023 gemeldeten Entführungen ereigneten sich vier in Kabul. Zwei der Vorfälle in Kabul betrafen die Entführung ausländischer Staatsangehöriger, wobei nur wenige Einzelheiten über die Umstände der Entführungen bekannt wurden. Die Taliban-Sicherheitskräfte reagierten aktiv auf Entführungsfälle. Im Juni 2023 leiteten die Taliban beispielsweise in Kabul eine erfolgreiche Rettungsaktion eines entführten ausländischen Staatsangehörigen. In der Provinz Balkh führte eine Reaktion der Taliban gegen die Entführer im Februar 2023 zum Tod eines Entführers und zur Festnahme von zwei weiteren Personen (IOM 22.2.2024).
In einem Interview durchgeführt von EUAA in Kooperation mit dem schwedischen Migrationsamt (Migrationsverket), der Staatendokumentation und Landinfo gab ein afghanischer Forscher befragt zur Sicherheitslage an, dass die Anzahl der sicherheitsrelevanten Vorfälle in Afghanistan zurückgegangen ist. Es gibt, seiner Einschätzung nach, keine Region in Afghanistan, in welcher oppositionelle Gruppen offen die Kontrolle haben. In Provinzen wie Panjsher, Baghlan, Badakhshan, Kunduz und Takhar, in denen es in der Vergangenheit zu Kämpfen zwischen den Taliban und verschiedenen Gruppierungen gekommen ist, verlief der Verkehr normal und Einheimische in der Region erzählten dem Forscher, dass es keine Zwischenfälle geben würde. Betreffend die Kapazitäten des NRF hatte er nur wenig Informationen, er schreibt dem ISKP jedoch zumindest die Möglichkeit operativer Aktivitäten zu, wobei er anfügt, dass die Taliban immer effizienter bei der Aushebung von ISKP-Zellen zu werden scheinen. Dies zeigt sich in einer entspannteren Sicherheitslage in beispielsweise Kabul und Herat. Der Forscher schließt daraus, dass weder der ISKP noch andere Gruppierungen aktuell wirklich ein Problem für die Taliban sind (VQ AFGH 3 1.10.2024).
Im Zuge einer im Auftrag der Staatendokumentation von ATR Consulting im November 2021 in Kabul-Stadt, Herat-Stadt und Mazar-e Sharif durchgeführten Studie gaben 68,3 % der Befragten an, sich in ihrer Nachbarschaft sicher zu fühlen. Es wird jedoch darauf hingewiesen, dass diese Ergebnisse nicht auf die gesamte Region oder das ganze Land hochgerechnet werden können. Die Befragten wurden gefragt, wie sicher sie sich in ihrer Nachbarschaft fühlen, was sich davon unterscheidet, ob sie sich unter dem Taliban-Regime sicher fühlen oder ob sie die Taliban als Sicherheitsgaranten betrachten, oder ob sie sich in anderen Teilen ihrer Stadt oder anderswo im Land sicher fühlen würden. Das Sicherheitsgefühl ist auch davon abhängig, in welchem Ausmaß die Befragten ihre Nachbarn kennen und wie vertraut sie mit ihrer Nachbarschaft sind und nicht darauf, wie sehr sie sich in Sachen Sicherheit auf externe Akteure verlassen. Nicht erfasst wurde in der Studie, inwieweit bei den Befragten Sicherheitsängste oder Bedenken in Hinblick auf die Taliban oder Gruppen wie den ISKP vorliegen. In Bezug auf Straßenkriminalität und Gewalt gaben 70,7 % bzw. 79,7 % der Befragen an, zwischen September und Oktober 2021 keiner Gewalt ausgesetzt gewesen zu sein. An dieser Stelle ist zu beachten, dass die Ergebnisse nicht erfassen, welche Maßnahmen der Risikominderung von den Befragten durchgeführt werden, wie z. B.: die Verringerung der Zeit, die sie außerhalb ihres Hauses verbringen, die Änderung ihres Verhaltens, einschließlich ihres Kaufverhaltens, um weniger Aufmerksamkeit auf sich zu lenken, sowie die Einschränkung der Bewegung von Frauen und Mädchen im Freien (ATR/STDOK 18.1.2022).
Im Dezember 2022 wurde von ATR Consulting erneut eine Studie im Auftrag der Staatendokumentation durchgeführt. Diesmal ausschließlich in Kabul-Stadt. Hier variiert das Sicherheitsempfinden der Befragten, was laut den Autoren der Studie daran liegt, dass sich Ansichten der weiblichen und männlichen Befragten deutlich unterscheiden. Insgesamt gaben die meisten Befragten an, sich in ihrer Nachbarschaft sicher zu fühlen, wobei die relativ positive Wahrnehmung der Sicherheit und die Antworten der Befragten, nach Meinung der Autoren, daran liegt, dass es vielen Befragten aus Angst vor den Taliban unangenehm war, über Sicherheitsfragen zu sprechen. Sie weisen auch darauf hin, dass die Sicherheit in der Nachbarschaft ein schlechtes Maß für das Sicherheitsempfinden der Menschen und ihre Gedanken über das Leben unter dem Taliban-Regime ist (ATR/STDOK 3.2.2023).
Verfolgungungspraxis der Taliban, neue technische Möglichkeiten
Letzte Änderung 2025-01-14 16:00
Trotz mehrfacher Versicherungen der Taliban, von Vergeltungsmaßnahmen gegenüber Angehörigen der ehemaligen Regierung und Sicherheitsbehörden abzusehen (AA 26.6.2023; vgl. USDOS 20.3.2023a), wurde nach der Machtübernahme der Taliban berichtet, dass diese auf der Suche nach ehemaligen Mitarbeitern der internationalen Streitkräfte oder der afghanischen Regierung von Tür zu Tür gingen und deren Angehörige bedrohten. Ein Mitglied einer Rechercheorganisation, welche einen (nicht öffentlich zugänglichen) Bericht zu diesem Thema für die Vereinten Nationen verfasste, sprach von einer "schwarzen Liste" der Taliban und großer Gefahr für jeden, der sich auf dieser Liste befände (BBC 20.8.2021b; vgl. DW 20.8.2021). Im Zuge der Machtübernahme im August 2021 hatten die Taliban Zugriff auf Mitarbeiterlisten der Behörden (HRW 1.11.2021; vgl. NYT 29.8.2021), unter anderem auf eine biometrische Datenbank mit Angaben zu aktuellen und ehemaligen Angehörigen der Armee und Polizei bzw. zu Afghanen, die den internationalen Truppen geholfen haben (Intercept 17.8.2021). Auch Human Rights Watch (HRW) zufolge kontrollieren die Taliban Systeme mit sensiblen biometrischen Daten, die westliche Geberregierungen im August 2021 in Afghanistan zurückgelassen haben. Diese digitalen Identitäts- und Gehaltsabrechnungssysteme enthalten persönliche und biometrische Daten von Afghanen, darunter Irisscans, Fingerabdrücke, Fotos, Beruf, Wohnadressen und Namen von Verwandten. Die Taliban könnten diese Daten nutzen, um vermeintliche Gegner ins Visier zu nehmen, und Untersuchungen von Human Rights Watch deuten darauf hin, dass sie die Daten in einigen Fällen bereits genutzt haben könnten (HRW 30.3.2022). So wurde beispielsweise berichtet, dass ein ehemaliger Militäroffizier nach seiner Abschiebung von Iran nach Afghanistan durch ein biometrisches Gerät identifiziert wurde und danach von den Taliban gewaltsam zum Verschwinden gebracht wurde. Ein weiterer Rückkehrer aus Iran berichtet, dass im Zuge der Abschiebung aus Iran Daten der Rückkehrer vom iranischen Geheimdienst an die Taliban weitergegeben werden (KaN 18.10.2023).
Die Taliban sind in den sozialen Medien aktiv, unter anderem zu Propagandazwecken. Die Gruppierung nutzt soziale Medien und Internettechnik jedoch nicht nur für Propagandazwecke und ihre eigene Kommunikation, sondern auch, um Gegner des Taliban-Regimes aufzuspüren (Golem 20.8.2021; vgl. BBC 20.8.2021b, 8am 14.11.2022), was dazu führt, dass Afghanen seit der Machtübernahme der Taliban in den sozialen Medien Selbstzensur verüben, aus Angst und Unsicherheit (Internews 12.2023). So wurde beispielsweise ein afghanischer Professor verhaftet, nachdem er die Taliban via Social Media kritisierte (FR24 9.1.2022), während ein junger Mann in der Provinz Ghor Berichten zufolge nach einer Onlinekritik an den Taliban verhaftet wurde (8am 14.11.2022). Einem afghanischen Journalisten zufolge verwenden die Taliban soziale Netzwerke wie Facebook und LinkedIn, um jene Afghanen zu identifizieren, die mit westlichen Gruppen und der US-amerikanischen Hilfsagentur USAID zusammengearbeitet haben (ROW 20.8.2021). Ein hochrangiges Mitglied der ehemaligen Streitkräfte berichtet, dass ihm vor seiner Rückkehr verschiedene Versprechen gemacht wurden, er bei Ankunft auf dem Flughafen in Kabul jedoch wie ein Feind behandelt wurde. Er wurde sofort erkannt, da die Taliban sein Bild und weitere Informationen zu seiner Person über die sozialen Medien verbreiteten. Mit Stand Oktober 2023 lebt er in Kabul, sein Haus wurde mehrfach durch die Taliban durchsucht und sein Bankkonto gesperrt. Ein anderes Mitglied der ehemaligen Streitkräfte gab an, dass seine Informationen vor seiner Rückkehr auf Twitter [Anm.: jetzt X] verbreitet wurden und ein weiterer Rückkehrer berichtete, dass er eine biometrische Registrierung durchlaufen musste (KaN 18.10.2023).
Im Sommer 2023 wurde berichtet, dass die Taliban ein groß angelegtes Kameraüberwachungsnetz für afghanische Städte aufbauen (AI 5.9.2023; vgl. VOA 25.9.2023), das die Wiederverwendung eines Plans beinhalten könnte, der von den Amerikanern vor ihrem Abzug 2021 ausgearbeitet wurde, so ein Sprecher des Taliban-Innenministeriums. Die Taliban-Regierung hat sich auch mit dem chinesischen Telekommunikationsausrüster Huawei über eine mögliche Zusammenarbeit beraten, sagte der Sprecher (VOA 25.9.2023; vgl. RFE/RL 1.9.2023), wobei Huawei bestritt, beteiligt zu sein (RFE/RL 1.9.2023). Beobachter befürchten jedoch, dass die Taliban ihr Netz von Überwachungskameras auch dazu nutzen werden, abweichende Meinungen zu unterdrücken und ihre repressive Politik durchzusetzen (RFE/RL 1.9.2023), einschließlich der Einschränkung des Erscheinungsbildes der Afghanen, der Bewegungsfreiheit, des Rechts zu arbeiten oder zu studieren und des Zugangs zu Unterhaltung und unzensierten Informationen (RFE/RL 1.9.2023).
Zentrale Akteure
Taliban
Letzte Änderung 2025-01-31 16:38
Die Taliban sind eine überwiegend paschtunische, islamisch-fundamentalistische Gruppe (CFR 17.8.2022), die 2021 nach einem zwanzigjährigen Aufstand wieder an die Macht in Afghanistan kam (CFR 17.8.2022; vgl. USDOS 20.3.2023a). Die Taliban bezeichnen ihre Regierung als das "Islamische Emirat Afghanistan" (USDOS 20.3.2023a; vgl. VOA 1.10.2021), den Titel des ersten Regimes, das sie in den 1990er-Jahren errichteten, und den sie während ihres zwei Jahrzehnte andauernden Aufstands auch für sich selbst verwendeten. Das Emirat ist um einen obersten Führer, den Emir, herum organisiert, von dem man glaubt, dass er von Gott mit der Autorität ausgestattet ist, alle Angelegenheiten des Staates und der Gesellschaft zu beaufsichtigen (USIP 17.8.2022).
Die Taliban-Regierung weist eine starre hierarchische Struktur auf, deren oberstes Gremium die Quetta-Shura ist (EER 10.2022), benannt nach der Stadt in Pakistan, in der Mullah Mohammed Omar, der erste Anführer der Taliban, und seine wichtigsten Helfer nach der US-Invasion Zuflucht gesucht haben sollen. Sie wird von Mawlawi Hibatullah Akhundzada geleitet (CFR 17.8.2022; vgl. PJIA/Rehman 6.2022), dem obersten Führer der Taliban (Afghan Bios 7.7.2022a; vgl. CFR 17.8.2022, PJIA/Rehman 6.2022). Er gilt als die ultimative Autorität in allen religiösen, politischen und militärischen Angelegenheiten (EUAA 8.2022; vgl. Afghan Bios 7.7.2022a, REU 7.9.2021a).
Nach der Machtübernahme versuchten die Taliban sich von "einem dezentralisierten, flexiblen Aufstand zu einer staatlichen Autorität" zu entwickeln (EUAA 8.2022; vgl. NI 24.11.2021). Im Zuge dessen herrschten Berichten zufolge zunächst Unklarheiten unter den Taliban über die militärischen Strukturen der Bewegung (EUAA 8.2022; vgl. DW 11.10.2021) und es gab in vielen Fällen keine erkennbare Befehlskette (EUAA 8.2022; vgl. REU 10.9.2021). Dies zeigte sich beispielsweise in Kabul, wo mehrere Taliban-Kommandeure behaupteten, für dasselbe Gebiet oder dieselbe Angelegenheit zuständig zu sein. Während die frühere Taliban-Kommission für militärische Angelegenheiten das Kommando über alle Taliban-Kämpfer hatte, herrschte Berichten zufolge nach der Übernahme der Kontrolle über das Land unter den Kämpfern vor Ort Unsicherheit darüber, ob sie dem Verteidigungsministerium oder dem Innenministerium unterstellt sind (EUAA 8.2022; vgl. DW 11.10.2021).
Religionsfreiheit
Letzte Änderung 2024-04-05 14:09
Etwa 99 % der afghanischen Bevölkerung sind Muslime. Die Sunniten werden auf 80 bis 89,7 % und die Schiiten auf 7 bis 15 % der Gesamtbevölkerung geschätzt (CIA 1.2.2024; vgl. AA 26.6.2023). Andere Glaubensgemeinschaften machen weniger als 0,3 % der Bevölkerung aus (CIA 1.2.2024; vgl. USDOS 15.5.2023). Die Zahl der Ahmadiyya-Muslime im Land geht in die Hunderte. Zuverlässige Schätzungen über die Gemeinschaften der Baha'i und der Christen sind nicht verfügbar. Es gibt eine geringe Anzahl von Anhängern anderer Religionen. Es gibt keine bekannten Juden im Land (USDOS 15.5.2023).
Anhänger des Baha'i-Glaubens leben vor allem in Kabul und in einer kleinen Gemeinde in Kandahar. Im Mai 2007 befand der Oberste Gerichtshof, dass der Glaube der Baha'i eine Abweichung vom Islam und eine Form der Blasphemie sei. Auch wurden alle Muslime, die den Baha'i-Glauben annehmen, zu Abtrünnigen erklärt. Internationalen Quellen zufolge leben Baha'is weiterhin in ständiger Angst vor Entdeckung und zögerten, ihre religiöse Identität preiszugeben (USDOS 15.5.2023).
Sikhs sehen sich seit Langem Diskriminierungen im mehrheitlich muslimischen Afghanistan ausgesetzt (EUAA 23.3.2022; vgl. DW 8.9.2021). Als die Taliban im August 2021 nach dem Abzug der US-Truppen die Macht in der Hauptstadt wiedererlangt hatten, floh eine weitere Welle von Sikhs aus Afghanistan (EUAA 23.3.2022; vgl. TrI 12.11.2021). Nach der Machtübernahme gaben die Taliban öffentliche Erklärungen ab, wonach deren Rechte geschützt werden würden (EUAA 23.3.2022; vgl. USCIRF 3.2023, USDOS 15.5.2023). Trotz dieser Zusicherungen äußerten sich Sikh-Führer in Medienerklärungen im Namen ihrer Gemeinschaft jedoch besorgt über deren Sicherheit (EUAA 23.3.2022; vgl. USDOS 15.5.2023). Berichten zufolge lebten mit Ende 2022 nur noch neun Sikhs und Hindu in Afghanistan (USDOS 15.5.2023).
Die Möglichkeiten der konkreten Religionsausübung für Nicht-Muslime waren und sind durch gesellschaftliche Stigmatisierung, Sicherheitsbedenken und die spärliche Existenz von Gebetsstätten extrem eingeschränkt (USCIRF 3.2023; vgl. AA 26.6.2023). Mit der rigorosen Durchsetzung ihrer strengen Auslegung der Scharia gegenüber allen Afghanen verletzen die Taliban die Religions- und Glaubensfreiheit von religiösen Minderheiten (USCIRF 3.2023). Nominal haben die Taliban religiösen Minderheiten die Zusicherung gegeben, ihre Religion auch weiterhin ausüben zu können (USCIRF 3.2023; vgl. AA 26.6.2023); insbesondere der größten Minderheit, den überwiegend der schiitischen Konfession angehörigen Hazara. In der Praxis ist der Druck auf Nicht-Sunniten jedoch hoch und die Diskriminierung von Schiiten im Alltag verwurzelt (AA 26.6.2023).
Trotz ständiger Versprechen, alle in Afghanistan lebenden ethnischen und religiösen Gemeinschaften zu schützen, ist die Taliban-Regierung nicht in der Lage oder nicht willens, religiöse und ethnische Minderheiten vor radikaler islamistischer Gewalt zu schützen, insbesondere in Form von Angriffen der Gruppierung Islamischer Staat Khorasan Provinz (ISKP) und Fraktionen der Taliban selbst (USCIRF 3.2023).
In einigen Gebieten Afghanistans (unter anderem Kabul) haben die Taliban alle Männer zur Teilnahme an den Gebetsversammlungen in den Moscheen verpflichtet und/oder Geldstrafen gegen Einwohner verhängt, die nicht zu den Gebeten erschienen sind (RFE/RL 19.1.2022) bzw. gedroht, dass Männer, die nicht zum Gebet in die Moschee gehen, strafrechtlich verfolgt werden könnten (BAMF 10.1.2022; vgl. RFE/RL 19.1.2022).
Ethnische Gruppen
Letzte Änderung 2025-01-14 15:59
In Afghanistan leben laut Schätzungen zwischen 34,3 (NSIA 4.2022) und 38,3 Millionen Menschen (8am 30.3.2022; vgl. CIA 1.2.2024). Zuverlässige statistische Angaben zu den Ethnien Afghanistans und zu den verschiedenen Sprachen existieren nicht (STDOK 7.2016; vgl. CIA 1.2.2024), da die Behörden des Landes nie eine nationale Volkszählung durchgeführt haben. Es ist jedoch allgemein anerkannt, dass keine der ethnischen Gruppen des Landes eine Mehrheit bildet, und die genauen prozentualen Anteile der einzelnen Gruppen an der Gesamtbevölkerung Schätzungen sind und oft stark politisiert werden (MRG 5.1.2022).
Die größten Bevölkerungsgruppen sind Paschtunen (32-42 %), Tadschiken (ca. 27 %), Hazara (ca. 9-20 %) und Usbeken (ca. 9 %), gefolgt von Turkmenen und Belutschen (jeweils ca. 2 %) (AA 26.6.2023).
Ethnische Spannungen zwischen unterschiedlichen Gruppen resultierten weiterhin in Konflikten und Tötungen (USDOS 20.3.2023a).
Die Taliban gehören mehrheitlich der Gruppe der Paschtunen an. Seit der Machtübernahme der Taliban werden nicht-paschtunische Ethnien in staatlichen Stellen zunehmend marginalisiert. So gibt es in der Taliban-Regierung z. B. nur wenige Vertreter der usbekischen und tadschikischen Minderheit sowie lediglich einen Vertreter der Hazara (AA 26.6.2023).
Die Taliban haben wiederholt erklärt, alle Teile der afghanischen Gesellschaft zu akzeptieren und ihre Interessen berücksichtigen zu wollen. Aber selbst auf lokaler Ebene werden Minderheiten, mit Ausnahmen in ethnisch von Nicht-Paschtunen dominierten Gebieten vor allem im Norden, kaum für Positionen im Regierungsapparat berücksichtigt, da diese v. a. paschtunischen Taliban-Mitgliedern vorbehalten sind. Darüber hinaus lässt sich keine klare, systematische Diskriminierung von Minderheiten durch die Taliban-Regierung feststellen, solange diese den Machtanspruch der Taliban akzeptieren (AA 26.6.2023).
Paschtunen
Letzte Änderung 2024-04-10 20:16
Ethnische Paschtunen sind mit ca. 42 % der Gesamtbevölkerung die größte Ethnie Afghanistans (MRG 5.2.2021a; vgl. AA 26.6.2023). Sie sprechen Paschtu/Pashto; als Verkehrssprache sprechen viele auch Dari. Sie sind sunnitische Muslime und leben hauptsächlich im Süden und Osten des Landes (MRG 5.2.2021a; vgl. Print 21.9.2021). Sie teilen sich in zwei große Gruppen auf - Durrani und Gheljai (auch Ghilzai or Ghilzay) - und in weitere Untergruppen von mehr als hundert kleineren Stämmen. Die Durrani sind vor allem in den südlichen Provinzen des Landes wie Kandahar, Zabul, Helmand, Uruzgan, sowie verstreut in anderen Provinzen verbreitet, während die Gheljai eher in Provinzen wie Paktia, Logar, Khost, Paktika, Maidan Wardak und anderen anzutreffen sind (STDOK/VQ AFGH 4.2024). Traditionell waren die Paschtunen nomadisierende oder halbnomadische Viehzüchter, Ackerbauern und Händler. Seit langer Zeit sind sie in Städten ansässig geworden, wo sie verschiedensten Tätigkeiten nachgehen. Paschtunische Stämme waren stets die militärische Stütze des afghanischen Königshauses und wurden dafür mit einigen Privilegien (Steuervergünstigungen, weitgehende Autonomie in inneren Angelegenheiten u. a.) versehen (STDOK 1.7.2016).
Bei den Paschtunen haben Familienstand, Stammeseinfluss, Besitz und Einfluss einen hohen Stellenwert. Ein hoher Anteil von Männern in paschtunischen Familien gilt als ein Zeichen der Stärke. Aufgrund der bedeutenden Rolle der Familie kann individuelles Fehlverhalten auch der Familie schaden und unschuldige Familienmitglieder zu Opfern machen. Die meisten Paschtunen bevorzugen Ehen mit anderen Paschtunen und sind ggf. mit der Heirat von nahen Verwandten einverstanden. Ehen zwischen Paschtunen und Mitgliedern anderer Ethnien wie Hazara, Usbeken oder Tadschiken sind selten (STDOK/VQ AFGH 4.2024).
Rückkehr
Letzte Änderung 2025-01-30 11:56
Auch wenn es nur wenig Informationen zu Rückkehrern aus Europa nach Afghanistan gibt, berichten das österreichische BMI (Bundesministerium für Inneres) (BMI 27.3.2024) und andere Quellen (MEE 1.6.2022; vgl. AAN 20.1.2024, DRC 28.11.2022), dass es auch nach der Machtübernahme der Taliban zur freiwilligen Rückkehr afghanischer Staatsbürger kommt (MEE 1.6.2022; vgl. AAN 20.1.2024). Dem Afghanistan Analysts Network (AAN) zufolge kehren auch einige Mitarbeiter der ehemaligen Regierung und internationaler NGOs nach Afghanistan zurück, darunter ein Mitarbeiter einer NGO, der mit seiner Familie nach zwei Jahren Aufenthalt in Dänemark nach Afghanistan zurückkehrte (AAN 20.1.2024). Auch die Nachrichtenagentur Middle East Eye berichtet von der freiwilligen Rückkehr von Afghanen, darunter Mitarbeiter von internationalen NGOs (MEE 1.6.2022) und nach Angaben von EUAA gibt es auch freiwillige Rückkehrer aus den USA (EUAA 12.2023). Die Taliban haben am 16.3.2022 eine Kommission unter Leitung des Taliban-Ministers für Bergbau und Petroleum ins Leben gerufen, die Mitglieder der ehemaligen wirtschaftlichen und politischen Elite überzeugen soll, nach Afghanistan zurückzukehren. Im Rahmen dieser Bemühungen sollen inzwischen 200 mehr oder weniger prominente Persönlichkeiten nach Afghanistan zurückgekehrt sein, darunter auch ehemalige Minister und Parlamentarier. Die Taliban-Regierung trifft widersprüchliche Aussagen darüber, ob es den Rückkehrern gestattet sein wird, sich politisch zu engagieren (AA 26.6.2023).
Am 30.8.2024 wurden erstmals seit der Machtübernahme der Taliban afghanische Staatsangehörige aus Deutschland nach Afghanistan abgeschoben. Nach Angaben der deutschen Bundesregierung handelt es sich dabei um "afghanische Straftäter, afghanische Staatsangehörige, die sämtlich verurteilte Straftäter waren, die kein Bleiberecht in Deutschland hatten und gegen die Ausweisungsverfügungen vorlagen" (Standard 30.8.2024; vgl. Spiegel 30.8.2024). Die insgesamt 28 abgeschobenen Afghanen wurden nach ihrer Rückkehr nach Kabul durch die Taliban angehalten und ins Gefängnis gebracht. Kurz darauf wurden sie nach Auskunft der Taliban wieder auf freien Fuß gesetzt (Spiegel 6.9.2024; vgl. AN 10.9.2024), nach einer schriftlichen Zusicherung, dass sie keine Verbrechen in Afghanistan begehen würden (AMU 8.9.2024). In einem Interview, welches am 16.9.2024 veröffentlicht wurde, bestätigte ein Taliban-Sprecher, dass alle aus Deutschland rückgeführten afghanischen Staatsbürger freigelassen wurden. Sie wurden mithilfe der Vermittlung eines Staates, mit dem die Taliban "freundschaftliche Beziehungen" führen, eingeflogen. Auch sind die Taliban laut dem Sprecher bereit, auch in Zukunft abgeschobene Afghanen aus Deutschland aufzunehmen (Fokus 16.9.2024).
IOM hat aufgrund der aktuellen Lage vor Ort die Option der Unterstützung der freiwilligen Rückkehr und Reintegration seit 16.8.2021 für Afghanistan bis auf Weiteres weltweit ausgesetzt. Es können somit derzeit keine freiwilligen Rückkehrer aus Österreich nach Afghanistan im Rahmen des Projektes RESTART III unterstützt werden. IOM Afghanistan hält jedoch die Kommunikation mit ehemaligen Rückkehrern aufrecht, um humanitäre Hilfe anzubieten, die Stabilisierung der Gemeinschaft zu unterstützen und die interne Migration in Zusammenarbeit mit den Taliban-Behörden, humanitären Partnern und lokalen Gemeinschaften zu steuern. IOM Afghanistan wendet verschiedene Methoden an, um mit ehemaligen unterstützten Rückkehrern in Afghanistan in Kontakt zu bleiben. Dazu gehören das Engagement in den Gemeinden, eine zentralisierte Datenbank (Displacement Tracking Matrix [DTM]) und die direkte Kommunikation als Folgemaßnahme, insbesondere mit den Begünstigten, die von IOM direkt mit ihren Diensten durch Überwachungs- und Folgebesuche unterstützt wurden (IOM 22.2.2024; vgl. IOM 17.9.2024).
Das deutsche Auswärtige Amt geht davon aus, dass die Taliban zurückkehrende Personen im Rahmen ihrer allgemeinen Praxis im Umgang mit der Zivilbevölkerung behandeln. Die Bedrohung der persönlichen Sicherheit ist im Einzelfall das zentrale Hindernis für zurückkehrende Personen. Auch vor dem Hintergrund der faktischen Kontrolle der Taliban über alle Landesteile lässt sich die Frage einer möglichen Gefährdung im Einzelfall nicht auf einzelne Landesteile, etwaige Sicherheitsrisiken durch Terrorismus oder lokale Kampfhandlungen begrenzen. Entscheidend für die individuelle Sicherheit der Personen bleibt, nach dem Dafürhalten des Auswärtigen Amtes, vielmehr die Frage, wie die Person von der Taliban-Regierung und dritten Akteuren wahrgenommen wird (AA 12.7.2024).
Nach Einschätzung von UNAMA besteht die Möglichkeit, dass im Ausland straffällig gewordene Rückkehrende, wenn die Tat einen Bezug zu Afghanistan aufweist, in Afghanistan zum Opfer von Racheakten z. B. von Familienmitgliedern der Betroffenen werden können; auch eine erneute Verurteilung durch das von den Taliban kontrollierte Justizsystem ist nicht ausgeschlossen, wenn der Fall den Behörden bekannt würde (AA 12.7.2024). Im Hinblick auf jene verurteilten Straftäter, welche im August 2024 aus Deutschland nach Afghanistan rückgeführt wurden, sagte ein Sprecher der Taliban, dass gegen diese kein Strafverfahren in Afghanistan vorliegen würde. Sollte dies der Fall gewesen sein, wären sie einem Richter vorgeführt worden. Er gab weiters an, dass den Taliban keine Informationen über die in Deutschland begangenen Straftaten vorliegen (Fokus 16.9.2024).
Aus dem Bericht von EASO, Afghanistan State Structure and Security Forces vom August 2020 ist ersichtlich, dass die afghanischen nationalen Sicherheitskräfte des früheren Regimes laut einem Bericht des USDOD vom Dezember 2019 eine Stärke von 382 000 Angehörigen umfasst haben.
Zufolge dem Bericht von EUAA, Country Guidance Afghanistan vom Mai 2024 wurden bis zum 30.06.2023 durch UNAMA seit der Machtübernahme durch die Taliban zumindest 800 Fälle von Menschenrechtsverletzungen gegen früheres Zivil- und Militärpersonal der früheren Regierung erfasst, worin 218 Tötungen, 14 Fällen des erzwungenen Verschwindens, 424 Festnahmen und Anhaltungen 144 Fälle von Folter und diverse Drohungen umfasst wurden, wobei die meisten Fälle sich in den vier unmittelbar auf die Machtübernahme 2021 folgenden Monaten ereignet haben. Tötungen und Menschenrechtsverletzungen setzten sich 2022 und 2023 fort. Die Nichtregierungsorganisation Safety and Risk Mitigation Organization registrierte 2022 76 Tötungen und 57 Anhaltungen von Angehörigen der früheren Sicherheitskräfte, wobei ein Anstieg 2023 erfolgte, indem 27 Tötungen und 55 Anhaltungen allein im ersten Quartal erfasst wurden. Im zweiten Quartal registrierte diese Organisation zwei Fälle von Vergewaltigungen, 15 Tötungen und 35 Anhaltungen früherer Sicherheitskräfte in mehreren Provinzen.
Nach diesem Bericht von EUAA gab es über Fälle der Tötung, Anhaltung des erzwungenen Verschwindens, der Folter und Vergewaltigung von Familienangehörigen früherer Angehöriger der Sicherheitskräfte sporadische Berichte.
Dem Bericht ist auch zu nehmen, dass Taliban erklärt haben, es sei erwünscht, frühere Angehörige der afghanischen Nationalarmee in ihre Einheiten aufzunehmen und Kampagnen zur Rekrutierung von früheren Angehörigen der Sicherheitskräfte unternommen haben.
Aus diesen Feststellungen ist ersichtlich, dass angesichts der Mannschaftsstärke der Militär- und Sicherheitskräfte der früheren afghanischen Regierung von den berichteten Übergriffen durch Angehörige der Taliban nur ein sehr geringer Anteil im Umfang unterhalb von einem Prozent betroffen waren. Ebenso sind Übergriffe auf die in die entsprechenden Risikogruppen auch beinhalteten Familienangehörigen nach vorliegenden Berichten nur sporadisch erfolgt.
Daraus ist ersichtlich, dass sich aus der bloßen Zugehörigkeit zu diesen umschriebenen Risikogruppen eine maßgebliche Wahrscheinlichkeit einer Verfolgung im Herkunftsstaat nicht ohne Hinzutreten weiterer konkreter Anhaltspunkte mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit ableiten lässt.
2. Beweiswürdigung:
2.1. Zur Person des Beschwerdeführers:
Die Feststellungen zur Staatsangehörigkeit, der Religionszugehörigkeit und Volksgruppenangehörigkeit des Beschwerdeführers gründen sich auf die diesbezüglich im gesamten Verfahren gleich gebliebenen Angaben; das Bundesverwaltungsgericht hat keine Veranlassung, an diesen Angaben zu zweifeln. Die Identität des Beschwerdeführers steht nicht fest, da sie nicht durch geeignete Dokumente belegt worden ist. Die Feststellung zur mittlerweile eingetretenen Volljährigkeit des Beschwerdeführers ergibt sich aus dem von der Behörde eingeholten medizinischen Sachverständigengutachten zur Altersfeststellung, welches auf einer multifaktoriellen Untersuchung basiert (AS 59 ff.).
Die Feststellungen zu seiner Herkunft und seinen familiären Verhältnissen ergeben sich ebenfalls aus seinen gleichbleibenden Angaben. Die Feststellungen über die berufliche Tätigkeit des Vaters des Beschwerdeführers ergeben sich aus seinen kohärenten Angaben im Verfahren, die auch im Einklang mit dem Inhalt der vorgelegten Kopien von die Laufbahn des Vaters betreffenden Dokumenten (Dienstausweis, Fotos, Belobigungsschreiben, Empfehlungsschreiben lt. AS 153-179) stehen. Der Beschwerdeführer hat in der Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht plausibel dargetan, dass sich der Inhalt dieser Dokumente deshalb nur auf den Zeitraum von 2008 bis 2015 bezieht, weil weitere Dokumente bei der dargestellten Hausdurchsuchung durch Taliban sichergestellt wurden.
Die Behörde hat im angefochtenen Bescheid diese Dokumentenkopien als Beweismittel angeführt und dazu keine negativen Feststellungen getroffen und somit ihren Inhalt zugrunde gelegt.
Dass der Beschwerdeführer in Österreich subsidiär schutzberechtigt ist, ist dem angefochtenen Bescheid des BFA und einer IZR-Auskunft zu entnehmen. Seine strafgerichtliche Unbescholtenheit ergibt sich aus einem aktuellen Strafregisterauszug.
2.2. Zu den Fluchtgründen des Beschwerdeführers:
2.2.1. Zur vorgebrachten Verfolgungsgefahr in Afghanistan:
Die Angaben des Beschwerdeführers über die erfolgte Hausdurchsuchung und seine Anhaltung durch Taliban werden der Beurteilung zugrunde gelegt, nachdem er sie im Verfahren widerspruchsfrei vorgebracht hat.
Die beweiswürdigenden Erwägungen des angefochtenen Bescheides erschöpfen sich in allgemeinen Behauptungen, wonach die Angaben des Beschwerdeführers vage und unkonkret gewesen seien und der Feststellung, dass der Beschwerdeführer über bestimmte Ereignisse keine genauen Zeitangaben machen habe können. Dabei hat die Behörde nicht ausreichend berücksichtigt, dass der Beschwerdeführer sich zum Zeitpunkt der beschriebenen Ereignisse noch in einem jugendlichen Alter befunden hat und dass überdies zwischen den dargestellten Ereignissen und seiner Einvernahme einen Zeitraum von etwa zwei Jahren vergangen sei. Diese Ausführungen sowie der Hinweis in der Beweiswürdigung, dass er die dargestellte Festnahme durch Taliban anlässlich der Erstbefragung nicht angesprochen habe, vermögen die negativen Feststellungen des angefochtenen Bescheids über das Vorbringen des Beschwerdeführers nicht zu tragen, da sein Vorbringen im weiteren Verfahren als Konkretisierung der in der Erstbefragung angesprochenen Furcht vor Verfolgung durch Taliban angesehen werden kann.
Unabhängig davon ergibt sich durch die vom Beschwerdeführer dargestellten Ereignisse vor seiner Ausreise allerdings nicht, dass dieser mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit bei einer Rückkehr Verfolgungshandlungen seitens der Taliban als nunmehrige de facto Machthaber zu befürchten habe.
Die vom Beschwerdeführer dargestellte Hausdurchsuchung hat sich nach seinen Angaben in der Beschwerdeverhandlung nicht gezielt gegen das Haus der Familie des Beschwerdeführers gerichtet, sondern es waren alle Häuser der Herkunftsregion betroffen („Dann gab es eine große Hausdurchsuchung von den Taliban, alle Häuser wurden durchsucht.“ Niederschrift der mündlichen Verhandlung S5). Daraus ist ersichtlich, dass gegen den Vater des Beschwerdeführers keine zielgerichteten Suchmaßnahmen erfolgten, sondern die auf dessen berufliche Tätigkeit hinweisenden Gegenstände Zufallsfunde dargestellt haben.
Die beschriebene Hausdurchsuchung und anschließende Anhaltung des Beschwerdeführers stehen im Einklang mit den Länderberichten über die Verfolgungspraxis der Taliban, wonach nach der Machtübernahme berichtet wurde, dass Taliban auf der Suche nach ehemaligen Mitarbeitern der internationalen Streitkräfte oder der afghanischen Regierung von Tür zu Tür gingen und deren Angehörige bedrohten. In diesem Zusammenhang ist es auch glaubhaft, dass der Beschwerdeführer und sein Bruder zwei Tage lang von Angehörigen einer Talibangruppierung angehalten und misshandelt und nach dem Aufenthaltsort des Vaters des Beschwerdeführers befragt wurden, nachdem bei der Hausdurchsuchung Belege für die Tätigkeit des Vaters des Beschwerdeführers in Sicherheitsdiensten der internationalen Streitkräfte und weiteren Einrichtungen gefunden wurden.
Es ergibt sich jedoch aus den nachstehenden aktuellen Länderberichten, dass Übergriffe auf Familienangehörigen von Mitarbeitern von Sicherheitskräften nur sporadisch erfolgt seien. Daraus ist ersichtlich, dass entgegen dem Vorbringen des Rechtsvertreters des Beschwerdeführers in der Beschwerdeverhandlung eine Verfolgung des Beschwerdeführers aufgrund einer „Sippenhaftung“ nicht mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit besteht. Dies wird auch durch den Umstand belegt, dass im Herkunftsstaat die Mutter und vier Geschwister des Beschwerdeführers weiterhin in dessen Herkunftsregion leben.
Für den Beschwerdeführer besteht keine Verfolgungsgefahr wegen einer etwaigen bloßen Eigenschaft als Familienangehöriger einer zum Sicherheitspersonal der früheren Regierung gehörenden Person:
Aus dem Bericht von EASO, Afghanistan State Structure and Security Forces vom August 2020 ist ersichtlich, dass die afghanischen nationalen Sicherheitskräfte des früheren Regimes laut einem Bericht des USDOD vom Dezember 2019 eine Stärke von 382 000 Angehörigen umfasst haben.
Zufolge dem Bericht von EUAA, Country Guidance Afghanistan vom Mai 2024 wurden bis zum 30.06.2023 durch UNAMA seit der Machtübernahme durch die Taliban zumindest 800 Fälle von Menschenrechtsverletzungen gegen früheres Zivil- und Militärpersonal der früheren Regierung erfasst, worin 218 Tötungen, 14 Fällen des erzwungenen Verschwindens, 424 Festnahmen und Anhaltungen 144 Fälle von Folter und diverse Drohungen umfasst wurden, wobei die meisten Fälle sich in den vier unmittelbar auf die Machtübernahme 2021 folgenden Monaten ereignet haben. Tötungen und Menschenrechtsverletzungen setzten sich 2022 und 2023 fort. Die Nichtregierungsorganisation Safety and Risk Mitigation Organization registrierte 2022 76 Tötungen und 57 Anhaltungen von Angehörigen der früheren Sicherheitskräfte, wobei ein Anstieg 2023 erfolgte, indem 27 Tötungen und 55 Anhaltungen allein im ersten Quartal erfasst wurden. Im zweiten Quartal registrierte diese Organisation zwei Fälle von Vergewaltigungen, 15 Tötungen und 35 Anhaltungen früherer Sicherheitskräfte in mehreren Provinzen.
Nach diesem Bericht von EUAA gab es über Fälle der Tötung, Anhaltung des erzwungenen Verschwindens, der Folter und Vergewaltigung von Familienangehörigen früherer Angehöriger der Sicherheitskräfte sporadische Berichte.
Dem Bericht ist auch zu entnehmen, dass Taliban erklärt haben, es sei erwünscht, frühere Angehörige der afghanischen Nationalarmee in ihre Einheiten aufzunehmen und Kampagnen zur Rekrutierung von früheren Angehörigen der Sicherheitskräfte unternommen haben.
Aus diesen Feststellungen ist ersichtlich, dass angesichts der Mannschaftsstärke der Militär- und Sicherheitskräfte der früheren afghanischen Regierung von den berichteten Übergriffen durch Angehörige der Taliban nur ein sehr geringer Anteil im Umfang unterhalb von einem Prozent betroffen waren. Ebenso sind Übergriffe auf die in die entsprechenden Risikogruppen auch beinhalteten Familienangehörigen nach vorliegenden Berichten nur sporadisch erfolgt.
Daraus ergibt sich, dass sich aus der bloßen Zugehörigkeit zu diesen umschriebenen Risikogruppen eine maßgebliche Wahrscheinlichkeit einer Verfolgung im Herkunftsstaat nicht ohne Hinzutreten weiterer konkreter Anhaltspunkte mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit ableiten lässt.
Da nach den obigen Feststellungen eine systematische Verfolgung von Sicherheitskräften des früheren afghanischen Regimes nicht stattfindet, ist es auch nicht wahrscheinlich, dass Personen, die bloß in sonstiger Weise für die internationalen Kräfte tätig waren, etwa als Sicherheitsbedienstete wie der Vater des Beschwerdeführers oder deren Familienangehörigen einer Verfolgungsgefahr ausgesetzt sind. Die Verfolgungsbehauptungen des Beschwerdeführers werden daher auch nicht durch etwaige Herkunftsländerberichte gestützt und es ergibt sich auch aus dem Umstand, dass der Beschwerdeführer nach seinen Angaben nach Intervention des Dorfältesten von der Talibangruppierung entlassen wurde, dass er nicht konkretes Ziel von etwaigen Verfolgungshandlungen der Taliban ist
2.2.2. Des Weiteren ist festzuhalten, dass eine Verfolgung des Beschwerdeführers alleine aufgrund des Umstandes, dass er der Volksgruppe der Paschtunen angehört und sich zur sunnitischen Glaubensrichtung des Islam bekennt, nicht mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit anzunehmen ist. Unter Berücksichtigung der aktuellen Lage in Afghanistan kann trotz der nach wie vor bestehenden Spannungen unter den einzelnen Volksgruppen derzeit nicht davon ausgegangen werden, dass der Beschwerdeführer ohne Hinzutreten weiterer wesentlicher individueller Umstände als Angehöriger der Paschtunen sunnitischen Glaubens bloß aus ethnischen oder religiösen Gründen verfolgt werden würde. Der Beschwerdeführer hat im gesamten Verfahren nicht dargelegt, warum er konkret aufgrund seiner Volksgruppenzugehörigkeit oder seiner Glaubensrichtung einer asylrelevanten Verfolgung ausgesetzt sein könnte.
Auch dafür, dass der Beschwerdeführer im Falle einer Rückkehr nach Afghanistan aufgrund seines etwa zweijährigen Aufenthalts in Europa und einer möglichen "Verwestlichung" seines Lebensstils erheblichen Eingriffen ausgesetzt wäre, bestehen keine Anhaltspunkte. Dass jeder afghanische Staatsangehörige, der sich einige Zeit in Europa aufgehalten hat, im Falle einer Rückkehr alleine aus diesem Grund einer Verfolgung ausgesetzt wäre, ergibt sich auch aus der Berichtslage nicht. Zusammengefasst lässt sich aus den vorliegenden Länderberichten nicht ableiten, dass alleine eine „westliche“ Geisteshaltung bei männlichen Afghanen bereits mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit eine Bedrohung auslösen würde; die entfernte Möglichkeit einer Verfolgung genügt jedenfalls nicht (so z.B. VwGH 10.11.2015, Ra 2015/19/0185, mwN).
Dem Beschwerdeführer ist es zudem nicht gelungen, konkret und nachvollziehbar glaubhaft zu machen, dass er im Falle einer Rückkehr nach Afghanistan einen etwaigen westlichen Lebensstil so ausleben würde, dass er aufgrund dessen in den Fokus anderer Afghanen oder der Taliban geraten würde. Für das Bundesverwaltungsgericht ergibt sich die Schlussfolgerung, dass sich der Beschwerdeführer vielmehr an die in Afghanistan herrschenden Gegebenheiten und Vorschriften anpassen und einen etwaigen westlichen Lebensstil nicht in einer derart nach außen in Erscheinung tretenden Art ausleben würde.
Es ist dem Beschwerdeführer somit nicht gelungen eine Verfolgung aus asylrelevanten Gründen in seinem Herkunftsstaat in ausreichendem Maße substantiiert vorzubringen und glaubhaft zu machen.
2.3. Zur Lage im Herkunftsstaat:
Die getroffenen Feststellungen zur im vorliegenden Zusammenhang maßgeblichen Situation in Afghanistan stützen sich auf die zitierten Quellen. Diesen Feststellungen wurde im Verfahren nicht entgegengetreten. Zur Lage in Afghanistan wurden auch die weiteren zitierten Berichte berücksichtigt (EUAA: Country Guidance Afghanistan vom Mai 2024, EUAA: Afghanistan Country Focus, vom Dezember 2023 und November 2024; Update der EASO Country Guidance Afghanistan aus November 2021; EUAA: Country Guidance: Afghanistan, Jänner 2023).
Zur Plausibilität und Seriosität der herangezogenen Länderinformationen zur Lage im Herkunftsstaat ist auszuführen, dass die im Länderinformationsblatt zitierten Unterlagen von angesehenen Einrichtungen stammen. Es ist auch darauf hinzuweisen, dass die Staatendokumentation des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl nach § 5 Abs. 2 BFA-VG verpflichtet ist, gesammelte Tatsachen nach objektiven Kriterien wissenschaftlich aufzuarbeiten und in allgemeiner Form zu dokumentieren.
Auch das European Asylum Support Office (EASO) war nach Art. 4 lit. a Verordnung (EU) Nr. 439/2010 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 19. Mai 2010 zur Einrichtung eines Europäischen Unterstützungsbüros für Asylfragen bei seiner Berichterstattung über Herkunftsländer zur transparent und unparteiisch erfolgende Sammlung von relevanten, zuverlässigen, genauen und aktuellen Informationen verpflichtet. Die Agentur EUAA ist nach Art. 9 Abs. 1 der Verordnung (EU) 2021/2303 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 15. Dezember 2021 über die Asylagentur der Europäischen Union und zur Aufhebung der Verordnung (EU) Nr. 439/2010 die zentrale Stelle, bei der transparent und unparteiisch sachdienliche, belastbare, objektive, präzise und aktuelle Informationen über einschlägige Drittstaaten gesammelt werden.
Damit durchlaufen die länderkundlichen Informationen, die diese Einrichtungen zur Verfügung stellen, einen qualitätssichernden Objektivierungsprozess für die Gewinnung von Informationen zur Lage im Herkunftsstaat. Den UNHCR-Richtlinien ist nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes besondere Beachtung zu schenken („Indizwirkung"), wobei diese Verpflichtung ihr Fundament auch im einschlägigen Unionsrecht findet (Art. 10 Abs. 3 lit. b der Richtlinie 2013/32/EU [Verfahrensrichtlinie] und Art. 8 Abs. 1 und 2 der Richtlinie 2011/95/EU [Statusrichtlinie]; VwGH 07.06.2019, Ra 2019/14/0114) und der Verwaltungsgerichtshof auch hinsichtlich der Einschätzung von EASO (EUAA) von einer besonderen Bedeutung ausgeht und eine Auseinandersetzung mit den „EASO-Richtlinien“ (EUAA Country Guidance) verlangt (VwGH 17.12.2019, Ra 2019/18/0405). Das Bundesverwaltungsgericht stützt sich daher auf die angeführten Länderberichte, wobei eine beweiswürdigende Auseinandersetzung im Detail oben erfolgt ist.
Im gegenständlichen Erkenntnis wurde seitens des Bundesverwaltungsgerichtes hinsichtlich der Feststellungen zur aktuellen Lage in Afghanistan das Länderinformationsblatt (LIB) vom 31.01.2025, Version 12, herangezogen, welches sich jedoch in den entscheidungsrelevanten Passagen nicht von der mit der Ladung zur mündlichen Verhandlung übermittelten Version unterscheidet.
3. Rechtliche Beurteilung:
Zu Spruchteil A) I. Abweisung der Beschwerde:
3.1. Gemäß § 3 Abs. 1 Asylgesetz 2005 (AsylG 2005) ist einem Fremden, der in Österreich einen (zulässigen) Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft ist, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung im Sinn des Art. 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention (GFK) droht (vgl. auch die Verfolgungsdefinition in § 2 Abs. 1 Z 11 AsylG 2005, die auf Art. 9 der Statusrichtlinie (Richtlinie 2011/95/EU) verweist). Gemäß § 3 Abs. 3 AsylG 2005 ist der Asylantrag bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten abzuweisen, wenn dem Fremden eine innerstaatliche Fluchtalternative (§ 11 AsylG 2005) offensteht oder wenn er einen Asylausschlussgrund (§ 6 AsylG 2005) gesetzt hat.
Nach Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK ist Flüchtling, wer sich aus wohlbegründeter Furcht, aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung verfolgt zu werden, außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen; oder wer staatenlos ist, sich infolge obiger Umstände außerhalb des Landes seines gewöhnlichen Aufenthaltes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, in dieses Land zurückzukehren (VwGH 08.09.2015, Ra 2015/18/0080, mwN).
Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist zentraler Aspekt der in Art. 1 Abschnitt A Z 2 der GFK definierten Verfolgung im Herkunftsstaat die wohlbegründete Furcht davor. Eine Furcht kann nur dann wohlbegründet sein, wenn sie im Licht der speziellen Situation des Asylwerbers unter Berücksichtigung der Verhältnisse im Verfolgerstaat objektiv nachvollziehbar ist. Es kommt nicht darauf an, ob sich eine bestimmte Person in einer konkreten Situation tatsächlich fürchtet, sondern ob sich eine mit Vernunft begabte Person in dieser Situation aus Konventionsgründen fürchten würde. Unter Verfolgung ist ein ungerechtfertigter Eingriff von erheblicher Intensität in die zu schützende persönliche Sphäre des Einzelnen zu verstehen. Erhebliche Intensität liegt vor, wenn der Eingriff geeignet ist, die Unzumutbarkeit der Inanspruchnahme des Schutzes des Heimatstaates zu begründen. Die Verfolgungsgefahr steht mit der wohlbegründeten Furcht in engstem Zusammenhang und ist Bezugspunkt der wohlbegründeten Furcht. Eine Verfolgungsgefahr ist dann anzunehmen, wenn eine Verfolgung mit einer maßgeblichen Wahrscheinlichkeit droht; die entfernte Möglichkeit einer Verfolgung genügt nicht (vgl. etwa VwGH 14.07.2021, Ra 2021/14/0066, mwN).
Nicht jede diskriminierende Maßnahme gegen eine Person ist als „Verfolgung“ im Sinn des Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK anzusehen, sondern nur solche, die in ihrer Gesamtheit zu einer schwerwiegenden Verletzung grundlegender Menschenrechte der Betroffenen führen (vgl. Art. 9 Abs. 1 der Statusrichtlinie). Ob dies der Fall ist, haben die Asylbehörde bzw. das BVwG im Einzelfall zu prüfen und in einer die nachprüfende Kontrolle ermöglichenden Begründung darzulegen (vgl. VwGH 16.12.2021, Ra 2021/18/0387, mwN).
Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes kommt einer von Privatpersonen bzw. privaten Gruppierungen ausgehenden, auf einem Konventionsgrund beruhenden Verfolgung Asylrelevanz zu, wenn der Staat nicht gewillt oder nicht in der Lage ist, diese Verfolgungshandlungen hintan zu halten. Auch eine auf keinem Konventionsgrund beruhende Verfolgung durch Private hat asylrelevanten Charakter, wenn der Heimatstaat des Betroffenen aus den in Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK genannten Gründen nicht bereit ist, Schutz zu gewähren (vgl. VwGH 18.03.2021, Ra 2020/18/0450, mwN).
Für die Asylgewährung kommt es auf die Flüchtlingseigenschaft im Sinn der GFK zum Zeitpunkt der Entscheidung an. Es ist demnach für die Zuerkennung des Status der Asylberechtigten zum einen nicht zwingend erforderlich, dass ein Asylwerber bereits in der Vergangenheit verfolgt wurde, zum anderen ist auch eine bereits stattgefundene Verfolgung ("Vorverfolgung") für sich genommen nicht hinreichend. Selbst wenn der Asylwerber daher im Herkunftsstaat bereits asylrelevanter Verfolgung ausgesetzt war, ist entscheidend, ob er im Zeitpunkt der Entscheidung (der Behörde bzw. – des Verwaltungsgerichts) weiterhin mit einer maßgeblichen Wahrscheinlichkeit mit Verfolgungshandlungen rechnen müsste (vgl. VwGH 03.09.2021, Ra 2021/14/0108, mwN).
Die Beurteilung des rechtlichen Begriffs der Glaubhaftmachung ist auf der Grundlage positiv getroffener Feststellungen von Seiten des erkennenden VwG vorzunehmen, aber im Fall der Unglaubwürdigkeit der Angaben des Asylwerbers können derartige positive Feststellungen vom VwG nicht getroffen werden (vgl. VwGH 13.01.2022, Ra 2021/14/0386, mwN).
Das Asylverfahren bietet nur beschränkte Möglichkeiten, Sachverhalte, die sich im Herkunftsstaat des Asylwerbers ereignet haben sollen, vor Ort zu verifizieren. Hat der Asylwerber keine anderen Beweismittel, so bleibt ihm lediglich seine Aussage gegenüber den Asylbehörden, um das Schutzbegehren zu rechtfertigen. Dabei hat der Asylwerber im Rahmen seiner Mitwirkungspflicht nach § 15 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005 alle zur Begründung des Antrags auf internationalen Schutz erforderlichen Anhaltspunkte über Nachfrage wahrheitsgemäß darzulegen. Das Vorbringen des Asylwerbers muss, um eine maßgebliche Wahrscheinlichkeit und nicht nur eine entfernte Möglichkeit einer Verfolgung glaubhaft zu machen, eine entsprechende Konkretisierung aufweisen. Die allgemeine Behauptung von Verfolgungssituationen, wie sie in allgemein zugänglichen Quellen auffindbar sind, wird grundsätzlich zur Dartuung von selbst Erlebtem nicht genügen (vgl. VwGH 02.09.2019, Ro 2019/01/0009, mwN).
Schon nach dem eindeutigen Gesetzeswortlaut des § 3 Abs. 1 AsylG 2005 ist Voraussetzung für die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten die Glaubhaftmachung, dass dem Asylwerber im Herkunftsstaat Verfolgung im Sinn des Art. 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention, demnach aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung, droht. Voraussetzung für die Zuerkennung des Status eines Asylberechtigten ist also, dass die begründete Furcht einer Person vor Verfolgung in kausalem Zusammenhang mit einem oder mehreren Konventionsgründen steht (vgl. VwGH 21.05.2021, Ro 2020/19/0001, mwN).
3.2.1. Wie bereits im Rahmen der Beweiswürdigung dargelegt, konnte der Beschwerdeführer eine gegen ihn individuell gerichtete erfolgte oder drohende Verfolgungsgefahr in Afghanistan nicht glaubhaft machen.
3.2.2. Zudem hat es der Beschwerdeführer nicht unternommenen, eine individuelle und konkret gegen ihn gerichtete Verfolgung iSd GFK auf Grund seiner Religions- und Volksgruppenzugehörigkeit glaubhaft zu machen. Da eine Gruppenverfolgung – in Hinblick auf die Religions- und Volksgruppenzugehörigkeit – von Paschtunen und Sunniten in Afghanistan nicht gegeben ist und der Beschwerdeführer diesbezüglich auch keine individuelle Bedrohung dargetan hat, ist eine asylrelevante Verfolgung des Beschwerdeführers nicht gegeben. Es haben sich auch keine Anhaltspunkte dafür ergeben, dass der Beschwerdeführer als „verwestlicht“ wahrgenommen werden sollte. Auch EUAA bewertet in seinen Leitlinien vom Mai 2024 das Risikopotential von Männern, welche als „verwestlicht“ angesehen werden könnten, im Allgemeinen als minimaler als für Frauen. Es sind nach den zitierten Länderinformationen keine Fälle bekannt, in denen Rückkehrer nachweislich aufgrund ihres Aufenthaltes in Europa Opfer von Gewalttaten wurden.
3.2.3. Es ist dem Beschwerdeführer insgesamt nicht gelungen, eine asylrelevante Verfolgung im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention in seinem Herkunftsstaat glaubhaft darzutun. Daher ist die Beschwerde gegen den Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 als unbegründet abzuweisen.
Es bleibt darauf hinzuweisen, dass einer (nicht asylrelevanten) Gefährdung des Beschwerdeführers in Bezug auf Afghanistan durch die Gewährung von subsidiärem Schutz durch die belangte Behörde hinreichend Rechnung getragen wurde.
Zu B) Unzulässigkeit der Revision:
Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.
Das Bundesverwaltungsgericht konnte sich bei allen erheblichen Rechtsfragen auf eine ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes bzw. auf eine ohnehin klare Rechtslage stützen. Die maßgebliche Rechtsprechung wurde bei den Erwägungen zu den einzelnen Spruchpunkten des angefochtenen Bescheides wiedergegeben.