Spruch
W189 2294929-1/11E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin Mag. Irene RIEPL über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , StA. Somalia, vertreten durch die Bundesagentur für Betreuungs- und Unterstützungsleistungen (BBU-GmbH), gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 16.05.2024, Zl. 1354700703-231044680, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 13.05.2025 zu Recht:
A)
Die Beschwerde wird gemäß § 3 AsylG 2005 als unbegründet abgewiesen.
B)
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
Entscheidungsgründe:
I. Verfahrensgang:
1. Die Beschwerdeführerin (in der Folge: die BF), eine Staatsangehörige von Somalia, stellte nach illegaler Einreise in das Bundesgebiet am 30.05.2023 einen Antrag auf internationalen Schutz, zu welchem sie am Folgetag durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes erstbefragt wurde. Sie gab an, zuletzt bei Afgooye gewohnt zu haben und der Religionsgemeinschaft der Muslime sowie dem Clan der Madhibaan anzugehören. Sie habe zwei Jahre die Volksschule besucht und zuletzt als Haushaltsgehilfin gearbeitet. Ihre Eltern seien verstorben. In Somalia habe sie ihren Ehemann, eine Tochter und eine Adoptivtochter. Sie habe außerdem eine Schwester, deren Wohnort unbekannt sei. Die BF habe Somalia im März 2023 mit dem Flugzeug illegal in die Türkei verlassen. Ihre Schleppung sei von ihrem Ehemann organisiert worden. Zu ihrem Ausreisegrund gab sie zu Protokoll, dass sie ihre Tochter und ihre Schwester retten wolle. Sie wolle ihre Tochter vor der Beschneidung retten. Ihr letzter Mann und seine Familie hätten ihre gemeinsame Tochter und ihre andere Tochter beschneiden wollen. Deshalb sei sie zu einem anderen Mann geflüchtet, den sie dann geheiratet habe. Sie werde von der gesamten Familie ihres ersten Ehemannes gesucht und mit der Ermordung bedroht. Ihre Mutter und ihr Vater seien von diesen Personen bedroht worden. Im Falle einer Rückkehr habe die BF Angst, dass sie getötet werde. „Sie“ würden sie foltern, bis sie ihre Tochter bekommen würden.
2. In ihrer niederschriftlichen Einvernahme durch das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (in der Folge: das BFA) am 16.04.2024 wurde die BF zu ihrem Fluchtgrund und ihren Lebensumständen näher befragt.
3. Mit Bescheid des BFA vom 16.05.2024 wurde der Antrag auf internationalen Schutz der BF hinsichtlich der Zuerkennung des Status der Asylberechtigten abgewiesen (Spruchpunkt I.). Ihr wurde der Status der subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt (Spruchpunkt II.) und eine befristete Aufenthaltsberechtigung erteilt (Spruchpunkt III.).
4. Gegen Spruchpunkt I. dieses Bescheides erhob die BF durch ihre Rechtsvertretung binnen offener Frist Beschwerde, über welche das Bundesverwaltungsgericht am 13.05.2025 in beider Anwesenheit eine öffentliche, mündliche Verhandlung durchführte.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen:
1.1. Zur Person der BF
Die Identität der BF steht nicht fest. Sie ist eine Staatsangehörige von Somalia und gehört der Religionsgemeinschaft der sunnitischen Muslime sowie der berufsständischen Minderheit der Madhibaan an. Sie stammt aus dem in der Nähe von Afgooye gelegenen Dorf XXXX . Dort lebte die nach dem WHO-Typ III beschnittene BF zunächst mit ihren Eltern und später auch mit ihrer von ihrer Schwester stammenden Adoptivtochter und heiratete sodann im Jahr 2016 einen Mann aus dem Clan der Abgaal, von dem sie Anfang 2018 eine Tochter bekam. Da diese mit einer Lippenspalte auf die Welt kam, verließ ihr Mann sie daraufhin. Die BF lebte anschließend mit ihrer leiblichen und ihrer Adoptivtochter wieder bei ihren Eltern, bevor sie im Jahr 2023 einen Mann aus ihrer Minderheit der Madhibaan heiratete, der in ihrem Herkunftsort ein Lebensmittelgeschäft betrieb und ihre Ausreise und Schleppung nach Österreich finanzierte.
Entgegen dem Vorbringen der BF reiste sie aber nicht deswegen aus Somalia aus, weil ihr Ex-Mann im Jahr 2023 die Beschneidung der gemeinsamen Tochter sowie der Adoptivtochter der BF vornehmen hätte wollen und aufgrund der Weigerung der BF sie bedroht bzw. misshandelt sowie ihre Eltern getötet hätte. Diese Vorfälle sind nicht passiert und es waren und sind weder die BF noch ihre Angehörigen einer Bedrohung durch ihren Ex-Mann ausgesetzt.
Dementsprechend leben die Eltern, der Ehemann, die Tochter sowie die Adoptivtochter der BF weiterhin in ihrem Herkunftsort und besteht auch Kontakt zu ihnen. Bei der BF handelt es sich dadurch in ihrem Herkunftsort auch nicht um eine alleinstehende, geschlechtsspezifischer Gewalt besonders ausgesetzte Frau, sondern untersteht sie dem Schutz ihrer Angehörigen. Sie wird nicht aufgrund ihrer Zugehörigkeit zur Minderheit der Madhibaan von der Möglichkeit der Bildung, der Teilnahme am Erwerbsleben oder der Gesellschaft an sich ausgeschlossen. Ebenso wenig droht ihr in Somalia eine erneute Genitalverstümmelung.
1.2. Zur maßgeblichen Situation in Somalia
1.2.1. Bevölkerungsstruktur
Somalia ist eines der wenigen Länder in Afrika, wo es eine dominante Mehrheitskultur und -Sprache gibt. Die Mehrheit der Bevölkerung findet sich innerhalb der traditionellen somalischen Clanstrukturen (UNHCR 22.12.2021a). Die Landesbevölkerung ist nach Angabe einer Quelle ethnisch sehr homogen; allerdings ist der Anteil ethnischer Minderheiten an der Gesamtbevölkerung demnach unklar (AA 23.8.2024). Gemäß einer Quelle teilen mehr als 85 % der Bevölkerung eine gemeinsame ethnische Herkunft (USDOS 22.4.2024). Eine andere Quelle besagt, dass die somalische Bevölkerung aufgrund von Migration, ehemaliger Sklavenhaltung und der Präsenz von nicht nomadischen Berufsständen divers ist (Wissenschaftl. Mitarbeiter GIGA 3.7.2018). Es gibt weder eine Konsistenz noch eine Verständigungsbasis dafür, wie Minderheiten definiert werden (UN OCHA 14.3.2022). Die UN gehen davon aus, dass ca. 30 % aller Somali Angehörige von Minderheiten sind (MBZ 6.2023). Abseits davon trifft man in Somalia auf Zersplitterung in zahlreiche Clans, Subclans und Sub-Subclans, deren Mitgliedschaft sich nach Verwandtschaftsbeziehungen bzw. nach traditionellem Zugehörigkeitsempfinden bestimmt (AA 18.4.2021, S. 12). Diese Unterteilung setzt sich fort bis hinunter zur Kernfamilie (SEM 31.5.2017).
Insgesamt ist das westliche Verständnis einer Gesellschaft im somalischen Kontext irreführend. Dort gibt es kaum eine Unterscheidung zwischen öffentlicher und privater Sphäre. Zudem herrscht eine starke Tradition der sozialen Organisation abseits des Staates. Diese beruht vor allem auf sozialem Vertrauen innerhalb von Abstammungsgruppen. Seit dem Zusammenbruch des Staates hat sich diese soziale Netzwerkstruktur reorganisiert und verstärkt, um das Überleben der einzelnen Mitglieder zu sichern (BS 2024). Die Zugehörigkeit zu einem Clan ist der wichtigste identitätsstiftende Faktor für Somalis. Sie bestimmt, wo jemand lebt, arbeitet und geschützt wird. Darum kennen Somalis üblicherweise ihre exakte Position im Clansystem (SEM 31.5.2017). Insgesamt gibt es keine physischen Charakteristika, welche die Zugehörigkeit zu einem bestimmten Clan erkennen ließen (Landinfo 4.4.2016).
Große Clanfamilien: Die sogenannten "noblen" Clanfamilien können (nach eigenen Angaben) ihre Abstammung auf mythische gemeinsame Vorfahren und den Propheten Mohammed zurückverfolgen. Die meisten Minderheiten sind dazu nicht in der Lage (SEM 31.5.2017). Somali sehen sich als Nation arabischer Abstammung, "noble" Clanfamilien sind meist Nomaden:
Darod gliedern sich in die drei Hauptgruppen: Ogaden, Marehan und Harti sowie einige kleinere Clans. Die Harti sind eine Föderation von drei Clans: Die Majerteen sind der wichtigste Clan Puntlands, während Dulbahante und Warsangeli in den zwischen Somaliland und Puntland umstrittenen Grenzregionen leben. Die Ogaden sind der wichtigste somalische Clan in Äthiopien, haben aber auch großen Einfluss in den südsomalischen Juba-Regionen sowie im Nordosten Kenias. Die Marehan sind in Süd-/Zentralsomalia präsent.
Hawiye leben v. a. in Süd-/Zentralsomalia. Die wichtigsten Hawiye-Clans sind Habr Gedir und Abgaal, beide haben in und um Mogadischu großen Einfluss.
Dir leben im Westen Somalilands sowie in den angrenzenden Gebieten in Äthiopien und Dschibuti, außerdem in kleineren Gebieten Süd-/Zentralsomalias. Die wichtigsten Dir-Clans sind Issa, Gadabursi (beide im Norden) und Biyomaal (Süd-/Zentralsomalia).
Isaaq sind die wichtigste Clanfamilie in Somaliland, wo sie kompakt leben. Teils werden sie zu den Dir gerechnet (SEM 31.5.2017). Sie selbst erachten sich nicht als Teil der Dir (AQSOM 4 6.2024).
Rahanweyn bzw. Digil-Mirifle sind eine weitere Clanfamilie (SEM 31.5.2017).
Territorien: Alle Mehrheitsclans sowie ein Teil der ethnischen Minderheiten – nicht aber die berufsständischen Gruppen – haben ihr eigenes Territorium. Dessen Ausdehnung kann sich u. a. aufgrund von Konflikten verändern (SEM 31.5.2017).
Minderheiten: Als Minderheiten werden jene Gruppen bezeichnet, die aufgrund ihrer geringeren Anzahl schwächer als die "noblen" Mehrheitsclans sind. Dazu gehören Gruppen anderer ethnischer Abstammung; Gruppen, die traditionell als unrein angesehene Berufe ausüben; sowie die Angehörigen "nobler" Clans, die nicht auf dem Territorium ihres Clans leben oder zahlenmäßig klein sind (SEM 31.5.2017).
1.2.2. Berufsständische Minderheiten
Berufsständische Gruppen unterscheiden sich weder durch Abstammung noch durch Sprache und Kultur von der Mehrheitsbevölkerung (SEM 31.5.2017). Sie sind somalischen Ursprungs, wurden aber von den traditionellen Clan-Lineages ausgeschlossen (UNHCR 22.12.2021a). Im Gegensatz zu den „noblen“ Clans wird ihnen nachgesagt, ihre Abstammungslinie nicht auf Prophet Mohammed zurückverfolgen zu können (SEM 31.5.2017). Ihre traditionellen Berufe werden als unrein oder unehrenhaft erachtet (UNHCR 22.12.2021a, S. 57; vgl. SEM 31.5.2017) - etwa Jäger, Lederverarbeiter, Schuster, Friseure, Töpferinnen, traditionelle Heiler oder Hebammen (MBZ 6.2023). Diese Gruppen stehen damit auf der untersten Stufe der sozialen Hierarchie in der Gesellschaft. Sie leben verstreut in allen Teilen des somalischen Kulturraums, mehrheitlich aber in Städten. Ein v. a. im Norden bekannter Sammelbegriff für einige berufsständische Gruppen ist Gabooye, dieser umfasst etwa die Tumal, Madhiban, Muse Dheriyo und Yibir (SEM 31.5.2017; vgl. AQSOM 4 6.2024). Ein anderer Sammelbegriff ist Midgan (UNHCR 22.12.2021a).
Diskriminierung: Für die Gabooye hat sich die Situation im Vergleich zur Jahrtausendwende, als sie nicht einmal normal die Schule besuchen konnten, gebessert. Insbesondere unter jungen Somali ist die Einstellung zu ihnen positiver geworden; mittlerweile ist es für viele Angehörige der Mehrheitsclans üblich, auch mit Angehörigen berufsständischer Gruppen zu sprechen, zu essen, zu arbeiten und Freundschaften zu unterhalten. Es gibt keine gezielten Angriffe gegen oder Misshandlungen von Gabooye (SEM 31.5.2017). In Mogadischu sind Angehörige von Minderheiten keiner systematischen Gewalt ausgesetzt. Allerdings sind all jene Personen, welche nicht einem dominanten Clan der Stadt angehören, potenziell gegenüber Kriminalität vulnerabler (Landinfo 21.5.2019b). Ein Experte erklärt, dass Gabooye zwar nicht angegriffen werden, diese aber davor Angst haben. Minderheiten werden demnach nicht aufgrund ihrer Zugehörigkeit zu einer Minderheit angegriffen, es sei denn, dass sie bei einem Vorhaben im Weg stehen (AQSOM 4 6.2024).
Allerdings sind Angehörige berufsständischer Kasten Belästigung und Ausbeutung ausgesetzt (Sahan/SWT 1.12.2023). Sie werden als Bürger zweiter Klasse erachtet (BS 2024; vgl. AQSOM 4 6.2024). Zu ihrer Diskriminierung trägt bei, dass sie sich weniger strikt organisieren und sie viel ärmer sind. Daher sind sie nur in geringerem Maß in der Lage, Kompensation zu zahlen oder Blutrache anzudrohen (Wissenschaftl. Mitarbeiter GIGA 3.7.2018; vgl. SEM 31.5.2017). Es kommt zu Beschimpfungen, Ausschluss von bestimmten Berufen, Einschränkungen beim Landbesitz sowie zu Diskriminierung im Bildungs- und Gesundheitssystem (AQSOM 4 6.2024). Insgesamt ist die soziale Stufe und die damit verbundene Armut für viele das Hauptproblem. Hinzu kommt, dass diese Minderheiten in der Regel eine tendenziell schlechtere Kenntnis des Rechtssystems haben. Der Zugang berufsständischer Gruppen zur Bildung ist erschwert, weil an ihren Wohnorten z. B. Schulen fehlen. Außerdem verlassen viele Kinder die Schule früher, um zu arbeiten. Viele Familien sind auf derartige Einkommen angewiesen. Die meist schlechtere Bildung wiederum führt zur Benachteiligung bei der Arbeitssuche, bei der die Clanzugehörigkeit ohnehin oft zu Diskriminierung führen kann. Da berufsständische Gruppen nur über eine kleine Diaspora verfügen, profitieren sie zudem in geringerem Ausmaß von Remissen als Mehrheitsclans (SEM 31.5.2017).
Aufgrund der oft schlechten Ausbildung treffen Gabooye außerhalb ihrer traditionellen Berufe am Arbeitsmarkt auf Schwierigkeiten (MBZ 6.2023). Dennoch sind vereinzelt auch Angehörige berufsständischer Gruppen wirtschaftlich erfolgreich. Auch wenn sie weiterhin die ärmste Bevölkerungsschicht stellen, finden sich einzelne Angehörige in den Regierungen, im Parlament und in der Wirtschaft (SEM 31.5.2017).
Mischehe: In dieser Frage kommt es weiterhin zu einer gesellschaftlichen Diskriminierung, da Mehrheitsclans Mischehen mit Angehörigen berufsständischer Gruppen meist nicht akzeptieren. Dies gilt insbesondere dann, wenn eine Mehrheitsfrau einen Minderheitenmann heiratet. Der umgekehrte Fall ist weniger problematisch (SEM 31.5.2017; vgl. ÖB Nairobi 10.2024). Aufgrund dieser Stigmatisierung (FH 2024a) kommen Mischehen äußerst selten vor (SEM 31.5.2017; vgl. FIS 5.10.2018). Diesbezüglich bestehen aber regionale Unterschiede: Im Clan-mäßig homogeneren Norden des somalischen Kulturraums sind Mischehen seltener und gleichzeitig stärker stigmatisiert als im Süden (ÖB Nairobi 10.2024; vgl. SEM 31.5.2017). Hawiye und Rahanweyn sehen die Frage der Mischehe weniger eng. Außerdem ist der Druck auf Mischehen insbesondere in ländlichen Gebieten ausgeprägt (SEM 31.5.2017). In Mogadischu sind Mischehen möglich (FIS 5.10.2018). Auch al Shabaab hat Hindernisse für Mischehen beseitigt, in ihren Gebieten kommt es zunehmend zu solchen Eheschließungen (ICG 27.6.2019a). Die Gruppe hat Fußsoldaten, die zu Gruppen mit niedrigem Status gehören, dazu ermutigt, Frauen und Mädchen von "noblen" Clans (z. B. Hawiye, Darod) zu heiraten (Ingiriis 2020).
Eine Mischehe führt so gut wie nie zu Gewalt oder gar zu Tötungen. Seltene Vorfälle, in denen es etwa in Somaliland im Zusammenhang mit Mischehen zu Gewalt kam, sind in somaliländischen Medien dokumentiert (SEM 31.5.2017). Trotzdem können diese Ehen negative Folgen für die Ehepartner mit sich bringen – insbesondere, wenn der Mann einer Minderheit angehört (ÖB Nairobi 10.2024). So kommt es häufig zur Verstoßung des aus einem "noblen" Clan stammenden Teils der Eheleute durch die eigenen Familienangehörigen. Letztere besuchen das Paar nicht mehr, kümmern sich nicht um dessen Kinder oder brechen den Kontakt ganz ab; es kommt zu sozialem Druck (SEM 31.5.2017). Diese Art der Verstoßung kann vor allem in ländlichen Gebieten vorkommen. Eine Mischehe sorgt auf jeden Fall für Diskussionen und Getratsche, nach einer gewissen Zeit wird sie nach Angaben einer Quelle aber meist akzeptiert (FIS 5.10.2018).
1.2.3. Frauen
Diskriminierung: Die Diskriminierung von Frauen ist gesetzlich verboten (USDOS 22.4.2024). Die aktuelle Verfassung betont in besonderer Weise die Rolle und die Menschenrechte von Frauen und Mädchen und die Verantwortung des Staates in dieser Hinsicht. Tatsächlich ist deren Lage jedoch weiterhin besonders prekär (AA 23.8.2024). Sie genießen nicht die gleichen Rechte und den gleichen Status wie Männer und leiden unter Diskriminierung bei Kreditvergabe, Bildung, Politik, Unterbringung und am Arbeitsmarkt (USDOS 22.4.2024; vgl. FH 2024b). Bei der politischen Entscheidungsfindung werden Frauen marginalisiert (UNSC 2.2.2024).
Andererseits ist es der Regierung gelungen, Frauenrechte etwas zu fördern: Immer mehr Mädchen gehen zur Schule, die Zahl an Frauen im öffentlichen Dienst wächst (ICG 27.6.2019a, S. 3).
Frauen in der Politik: Die eigentlich vorgesehene 30-Prozent-Frauenquote für Abgeordnete im somalischen Parlament wird nicht eingehalten. Aktuell liegt diese bei 54 Sitzen (knapp 20 %) im Unterhaus (FH 2024b; vgl. UNSC 13.5.2022; BS 2024) und 26 % im Oberhaus (14 von 54 Sitzen) (FH 2024b; vgl. UNSC 8.2.2022). In der neuen Regierung nehmen Frauen 10 Sitze ein, was einen Anteil von 13 % ausmacht (UNSC 1.9.2022b). Die stellvertretende Sprecherin des Unterhauses ist weiblich (BS 2024). Unter den in Puntland Anfang 2024 vereidigten 66 Parlamentsabgeordneten findet sich nur eine Frau (Sahan/SWT 19.1.2024).
Gewalt gegen Frauen: Gewalt gegen Frauen ist gesetzlich verboten (USDOS 22.4.2024). Trotzdem bleibt häusliche Gewalt ein großes Problem (USDOS 22.4.2024; vgl. BS 2024; AA 23.8.2024). Bezüglich Gewalt in der Ehe – darunter auch Vergewaltigung – gibt es keine speziellen Gesetze (USDOS 22.4.2024). Auch generell ist sexuelle Gewalt gegen Frauen ein großes Problem - IDPs sind spezifisch betroffen (FH 2024b; vgl. USDOS 22.4.2024; ÖB Nairobi 10.2024; HRW 11.1.2024). Auch weibliche Angehörige von Minderheiten sind häufig unter den Opfern geschlechtsspezifischer Gewalt. NGOs haben eine diesbezügliche Systematik dokumentiert (USDOS 22.4.2024). So waren z. B. sieben von zwölf in einem UN-Bericht für das erste Jahresdrittel 2024 erwähnten weiblichen Opfer konfliktverursachter sexueller Gewalt Angehörige von Minderheiten, drei waren IDPs (UNSC 3.6.2024). Frauen, die aus Minderheiten stammen, sind dementsprechend besonders vulnerabel hinsichtlich sexueller Gewalt, Kriminalität, Ausbeutung und Diskriminierung und haben gleichzeitig kaum Zugang zu Justiz oder Clanschutz (ÖB Nairobi 10.2024).
Zur Veranschaulichung: Im Jahr 2021 setzten sich die Fälle geschlechtsspezifischer Gewalt laut UNFPA wie folgt zusammen: 62 % physische Gewalt; 11 % Vergewaltigungen; 10 % sexuelle Übergriffe; 7 % Verweigerung von Ressourcen; 6 % psychische Gewalt; 4 % Zwangs- oder Kinderehe. 53 % der Fälle ereigneten sich im Wohnbereich der Opfer (UNFPA 14.4.2022). Zudem werden Frauen und Mädchen Opfer, wenn sie Wasser holen, Felder bewirtschaften oder auf den Markt gehen. Klassische Muster sind: a) die Entführung von Mädchen und Frauen zum Zwecke der Vergewaltigung oder der Zwangsehe. Hier sind die Täter meist nicht-staatliche Akteure; und b) Vergewaltigungen und Gruppenvergewaltigungen durch staatliche Akteure, assoziierte Milizen und unbekannte Bewaffnete. Insgesamt gaben bei einer Untersuchung aber 59 % der befragten Frauen an, dass die meiste Gewalt gegen Frauen von Ehemännern ausgeht (USDOS 22.4.2024). UNFPA berichtete 2021 von jährlich 80 % Zuwachs bei der Zahl an gemeldeten Fällen (Sahan/SWT 9.2.2024). Frauen und Mädchen bleiben den Gefahren bezüglich Vergewaltigung, Verschleppung und systematischer sexueller Versklavung ausgesetzt (AA 23.8.2024).
Sexuelle Gewalt - Gesetzeslage: Das Strafgesetzbuch befasst sich hinsichtlich sexueller Gewalt weniger mit Körperverletzung, sondern beschreibt diese eher im Sinne einer Verletzung der Sittlichkeit und der sexuellen Ehre (BS 2024). Nicht die körperliche Integrität, sondern Anstand und Ehre stehen im Vordergrund (HRW 11.1.2024). Nach anderen Angaben ist Vergewaltigung gesetzlich verboten (AA 23.8.2024). Die Strafandrohung beträgt 5-15 Jahre, vor Militärgerichten auch den Tod (USDOS 22.4.2024). Vergewaltigung bzw. Übergriffe in der Ehe sind hingegen nicht verboten. Insgesamt ist die Gesetzeslage unklar und wird auch uneinheitlich angewendet (Sahan/SWT 9.2.2024) bzw. setzt die Regierung bestehende Gesetze nicht effektiv um (USDOS 22.4.2024).
Sexuelle Gewalt - staatlicher Schutz: Fälle sexueller und geschlechtsspezifischer Gewalt werden häufig als Kavaliersdelikte abgetan, eine Verurteilung der Täter mithilfe von Bestechung oder Kompensationszahlungen verhindert (AA 23.8.2024). Denn wenn eine Frau - trotz Angst vor sozialer Ächtung - z. B. Beschwerden über ihren Ehemann vorbringt, dann handelt üblicherweise nicht die Polizei, sondern Älteste oder Familienangehörige (Horn 6.2.2024). Folglich kann bei Vergewaltigungen von staatlichem Schutz nicht ausgegangen werden (ÖB Nairobi 10.2024; vgl. BS 2024). Eine strafrechtliche Verfolgung von Vergewaltigungen erfolgt in der Praxis kaum (AA 23.8.2024; vgl. USDOS 22.4.2024; ÖB Nairobi 10.2024), die Aufklärungsrate ist verschwindend gering (AA 23.8.2024).
Insgesamt wird Gewalt gegen Frauen aber aufgrund des Stigmatisierungsrisikos und mangelnder Reaktionen der von Männern dominierten Strafverfolgungs- und Justizsysteme oft gar nicht erst gemeldet (SW 3.2023; vgl. Sahan/SWT 9.2.2024; USDOS 22.4.2024; AA 23.8.2024; ÖB Nairobi 10.2024). Die Tabuisierung von Vergewaltigungen führt u. a. dazu, dass kaum Daten zur tatsächlichen Prävalenz vorhanden sind (SIDRA 6.2019a, S. 2). Vergewaltigungsopfer leiden oft unter ihrer angeschlagenen Reputation. Zudem untersucht die Polizei Fälle sexueller Gewalt nur zögerlich; manchmal verlangt sie von den Opfern, die Untersuchungen zu ihrem eigenen Fall selbst zu tätigen (USDOS 22.4.2024). Manchmal übergibt die Polizei ohne Zustimmung des Opfers oder der Familie des Opfers einen Vergewaltigungsfall an traditionelle Rechtsinstrumente (UNSC 6.10.2021).
Sexuelle Gewalt - traditionelles Recht (Xeer): Zum größten Teil (95 %) werden Fälle sexueller Gewalt – wenn überhaupt – im traditionellen Rechtsrahmen erledigt (SIDRA 6.2019a, S. 5ff; vgl. Sahan/SWT 13.3.2023; MBZ 6.2023), wo Frauen sich von einem männlichen Verwandten repräsentieren lassen müssen (Sahan/SWT 9.2.2024). Xeer stellt aber die Interessen des Clans und Clanbeziehungen in den Vordergrund (MBZ 6.2023). Dort getroffene Einigungen beinhalten Kompensationszahlungen an die Familie des Opfers (SIDRA 6.2019a, S. 5ff), oder aber das Opfer wird gezwungen, den Täter zu ehelichen (USDOS 22.4.2024). Das patriarchalische Clansystem und Xeer an sich bieten Frauen also keinen Schutz, denn wird ein Vergehen gegen eine Frau gemäß Xeer gesühnt, wird der eigentliche Täter nicht bestraft (SEM 31.5.2017, S. 49; vgl. ÖB Nairobi 10.2024; SIDRA 6.2019a, S. 5ff).
Sexuelle Gewalt - Maßnahmen: Nach Angaben einer Quelle nimmt die Zahl erfolgreicher Strafverfolgung bei Vergewaltigungen und anderer Formen sexueller Gewalt zu. Mädchen und Frauen haben demnach Vertrauen gewonnen und zeigen Fälle an, auch wenn es noch zahlreiche Mängel und Hürden gibt (UNFPA 14.4.2022). Bei der Armee wurden einige Soldaten wegen des Vorwurfs von Vergewaltigung verhaftet (USDOS 22.4.2024). In Baidoa wurde ein Mann, der eine Frau ermordet hatte, zum Tode verurteilt und Anfang Juni 2022 exekutiert (GN 7.6.2022). In zwei Vergewaltigungsfällen von Minderjährigen in Jubaland und Galmudug wurden die Täter (ein Soldat und ein Clanmilizionär) verhaftet (UNSC 1.9.2022b).
Sexuelle Gewalt - Unterstützung: Insgesamt gibt es für Opfer sexueller Gewalt beachtliche Hürden, um notwendige Unterstützung in Anspruch nehmen zu können (USDOS 22.4.2024). Somalische Frauen und Mädchen haben nur äußerst begrenzten Zugang zu Programmen, die sie vor Gewalt schützen (Sahan/SWT 13.3.2023), es gibt kaum rechtliche oder medizinische Unterstützungsangebote (Sahan/SWT 9.2.2024). Laut einer Studie erhielten 17 % der von geschlechtsspezifischer Gewalt betroffenen Frauen und Mädchen Unterstützung (USDOS 22.4.2024). UNFPA treibt die Einrichtung sogenannter One-Stop-Center und Women and Girls' Safe Spaces voran und unterhält diese. Opfer geschlechtsspezifischer Gewalt sollen umfassend betreut werden. Sie können in solchen Einrichtungen in Sicherheit auf medizinische, psychosoziale, rechtliche und andere Hilfe zurückgreifen. UNFPA hat mit ihren Partnern im Jahr 2022 fast 9.000 Opfern geschlechtsspezifischer Gewalt einen Safe Space zur Verfügung gestellt; im gleichen Jahr wurden mehr als 22.000 Opfer betreut (UNFPA 16.6.2023). IDPs, die von geschlechtsspezifischer Gewalt betroffen sind, werden mitunter von UNHCR mit u. a. psychosozialen Diensten und einer Fallbetreuung unterstützt (UNHCR 23.1.2024; vgl. UNHCR 23.6.2024). Hierzu gehören u. a. auch ein sog. Safe House, Verpflegung, Geldaushilfe und medizinische Versorgung (UNHCR 23.6.2024). In Mogadischu gibt es mindestens ein Frauenhaus. Dort werden Opfer von geschlechtsspezifischer Gewalt oder von Zwangsehen aufgenommen - auch Frauen, die vor einer Ehe schwanger geworden sind (Love Does 20.10.2023). Die NGO Elman Peace betreibt unter dem Titel "Sister Somalia" Krisenzentren für Opfer geschlechtsspezifischer Gewalt. Auch dort gibt es psychosoziale, medizinische und Trauma-Betreuung (Elman o.D.c). Die NGO SWSC bietet in Jubaland psychosoziale und rechtliche Unterstützung, die NGO SWDC tut dies in Mogadischu und im Bundesstaat SWS (SW 11.2023). Insgesamt mangelt es allerdings an Schutzeinrichtungen. In Puntland gibt es einige Frauenhäuser, in Süd-/Zentralsomalia hingegen gibt es nur sehr wenige derartige Einrichtungen für Opfer geschlechtsspezifischer Gewalt (UNFPA 14.4.2022). Die im Violence Observatory System erfassten Fälle in Mogadischu, Baidoa und Kismayo zeigen eine geographische Ungleichverteilung: Während in Baidoa 98 % der Fälle nicht an einen Safe Space verwiesen wurden, waren es in Kismayo 71 % und in Mogadischu 66 %. Noch ungleicher gestaltet sich die Antwort auf die Frage, ob Opfer Rechtsschritte ergreifen möchten: 80 % der Opfer in Baidoa schlossen rechtliche Schritte gegen den Täter aus; dahingegen waren es in Kismayo nur 23 % und in Mogadischu nur 8 % (SW 11.2023).
Sexuelle Gewalt - Puntland: Nur in Puntland kriminalisiert ein Gesetz alle Formen sexueller Gewalt (MBZ 6.2023; vgl. UNFPA 14.4.2022), Vergewaltigung ist explizit verboten (Sahan/SWT 9.2.2024). Es gibt eine von UNFPA unterstützte, mobile Rechtshilfe-Klinik, die Frauen und Mädchen aus vulnerablen und marginalisierten Gruppen berät und rechtlich unterstützt (GN 10.11.2022a). Insgesamt wird das o. g. Gesetz aber nicht ausreichend implementiert, manche Gerichte entscheiden weiterhin nach dem alten Strafgesetz (MBZ 6.2023). Zudem überwiegt oft der Druck der Ältesten, wonach ein Opfer den Täter heiraten muss, oder aber Kompensation bezahlt wird (AQ21 11.2023).
Alleinstehende Frauen sind insbesondere dann gefährdet, wenn sie in IDP-Lagern leben. Dort haben sie ein erhöhtes Risiko, sexuelle Gewalt zu erfahren. Für Frauen, die einem Minderheitenclan angehören, ist das Risiko noch höher. Die Hauptquelle für Schutz liegt in der erweiterten Familie der Frau. Wenn eine Frau nicht bei ihrer Großfamilie lebt, verringert sich ihre Sicherheit. Frauen, die einem Mehrheitsclan angehören, können daher mit einem gewissen Schutz rechnen (MBZ 6.2023).
1.2.4. Familie, Ehe, Zwangsehe, Scheidung, Ehrenmorde
Die Scharia ist gerade hinsichtlich des Familienrechts die wichtigste Rechtsquelle in Somalia und Somaliland. Sie findet etwa bei Ehe, Erbe, Adoption und Sorgerecht Anwendung. Zivilrecht kann zwar neben der Scharia angewendet werden, muss aber immer mit der Scharia vereinbar sein. Bei jeglicher Abweichung wird hier der Scharia Vorrang gegeben (Omer2/ALRC 17.3.2023).
Ehe: Für die Eheschließung relevant sind die Vorgaben von Xeer (traditionelles Recht) und Scharia, die nahezu deckungsgleich sind (Omer2/ALRC 17.3.2023). Polygamie ist laut beiden Rechtsgrundlagen erlaubt und wird gesellschaftlich akzeptiert (UNHRCOM 6.5.2024; vgl. ÖB Nairobi 10.2024). Es gibt keine Zivilehe (Landinfo 14.6.2018, S. 7). In weiten Teilen Süd-/Zentralsomalias spricht al Shabaab Recht - auch hinsichtlich Ehe, Scheidung und darauf basierenden Sorgerechtsregelungen (Omer2/ALRC 17.3.2023).
Die Ehe ist extrem wichtig, und es ist in der somalischen Gesellschaft geradezu undenkbar, dass eine junge Person unverheiratet bleibt. Gleichzeitig besteht gegenüber der Braut die gesellschaftliche Erwartung, dass sie bei ihrer ersten Eheschließung Jungfrau ist (LIFOS 16.4.2019, S. 38), wobei eine Überprüfung der Jungfräulichkeit laut einer Quelle nicht mehr weit verbreitet ist (Omer2/ALRC 17.3.2023). Nach anderen Angaben ist nur etwa die Hälfte der Bevölkerung über 15 Jahren verheiratet; 37,9 % waren demnach noch nie verheiratet. Letztgenannte Personengruppe findet sich zunehmend in den Städten (42,1 %), weniger verbreitet auf dem Land (30 %) (GN 28.3.2023a) Gerade bei der ersten Ehe ist die arrangierte Ehe die Norm (Landinfo 14.6.2018, S. 8f). Eheschließungen über Clangrenzen [Anm.: großer bzw. "nobler" Clans] hinweg sind normal (FIS 5.10.2018, S. 26f).
Eheschließung (Vorgang): Generell muss vor der Eheschließung beim Imam Klarheit über die Identität der Ehepartner herrschen. Zudem muss sich der Imam im persönlichen Einzelgespräch mit beiden Ehepartnern versichern, dass diese freiwillig heiraten. Dies muss auch von den anwesenden Zeugen bezeugt werden. Das Brautgeld wird von der Braut genannt und vom Bräutigam bestätigt. Alle Parteien (das Ehepaar, der Vormund, die Zeugen und der Imam) müssen den Ehevertrag/die Eheurkunde (Deed of Marriage) unterfertigen. Mit der Zunahme an Somali, die in der Diaspora leben, sind heute Eheschließungen über das Telefon keine Seltenheit mehr. Dabei bedarf es üblicherweise an beiden Enden eines Imams. Sobald eine Ehe vor einem Imam und gemäß den Vorgaben der Scharia (Reife, Freiwilligkeit, Zeugen) geschlossen wurde, ist diese nach somalischer Rechtsnorm rechtsgültig (Omer2/ALRC 17.3.2023).
Arrangierte Ehe / Zwangsehe: Zusätzlich ist es im Xeer sehr wohl möglich, dass Eltern oder ein Vormund auf Minderjährige einwirken, damit diese einer Eheschließung - wie in der Scharia verlangt - "freiwillig" zustimmen. Die in der Scharia verlangte Einwilligung wird im Xeer relativiert. Kinder- und arrangierte Ehen sehen oft keine ehrliche Freiwilligkeit vor. Eigentlich hätten solche Ehen nach islamischer Rechtsauffassung keine Gültigkeit (Omer2/ALRC 17.3.2023). Dementsprechend ist der Übergang von arrangierter zur Zwangsehe fließend (MBZ 6.2023). Bei Ersterer liegt die mehr oder weniger explizite Zustimmung beider Eheleute vor, wobei hier ein unterschiedliches Maß an Druck ausgeübt wird. Bei der Zwangsehe hingegen fehlt die Zustimmung gänzlich oder nahezu gänzlich (Landinfo 14.6.2018, S. 9f). Frauen und viele minderjährige Mädchen werden zur Heirat gezwungen (AA 23.8.2024), Zwangsehen sind in Somalia normal bzw. weitverbreitet (SPA 1.2021; vgl. FH 2024b). Laut einer Studie aus dem Jahr 2018 gibt eine von fünf Frauen an, zur Ehe gezwungen worden zu sein; viele davon waren bei der Eheschließung keine 15 Jahre alt (LIFOS 16.4.2019, S. 10). Und manche Mädchen haben nur in eine Ehe eingewilligt, um nicht von der eigenen Familie verstoßen zu werden (SPA 1.2021). Es gibt keine bekannten Akzente der Bundesregierung oder regionaler Behörden, um dagegen vorzugehen (USDOS 22.4.2024). Gegen Frauen, die sich weigern, einen von der Familie gewählten Partner zu ehelichen, wird mitunter auch Gewalt angewendet. Das Ausmaß ist unklar, Ehrenmorde haben diesbezüglich in Somalia aber keine Tradition (Landinfo 14.6.2018, S. 10). Vielmehr können Frauen, die sich gegen eine arrangierte Ehe wehren und/oder davonlaufen, ihr verwandtschaftliches Solidaritätsnetzwerk verlieren (ACCORD 31.5.2021, S. 33; vgl. Landinfo 14.6.2018, S. 10). Zu Unterstützung und Frauenhäusern siehe Frauen - Süd-/Zentralsomalia und Frauen - Somaliland.
Bereits eine Quelle aus dem Jahr 2004 besagt, dass sich die Tradition aber gewandelt hat, und viele Ehen ohne Einbindung, Wissen oder Zustimmung der Eltern geschlossen werden (Landinfo 14.6.2018, S. 9f). Viele junge Somali akzeptieren arrangierte Ehen nicht mehr (LIFOS 16.4.2019, S. 11). Gerade in Städten ist es zunehmend möglich, den Ehepartner selbst zu wählen (LIFOS 16.4.2019, S. 11; vgl. Landinfo 14.6.2018, S. 8f). In der Hauptstadt ist es nicht unüblich, dass es zu – freilich oft im Vorfeld mit den Familien abgesprochenen – Liebesehen kommt (Landinfo 14.6.2018, S. 8f). Dort sind arrangierte Ehen eher unüblich. Gemäß einer Schätzung konnten sich die Eheleute in 80 % der Fälle ihren Partner selbst aussuchen bzw. bei der Entscheidung mitreden (FIS 5.10.2018, S. 26f). Zusätzlich gibt es auch die Tradition des "Durchbrennens" (Elopement, Qubdo Sireed), wobei die Eheschließung ohne Wissen und Zustimmung der Eltern erfolgt (Omer2/ALRC 17.3.2023; vgl. FIS 5.10.2018, S. 26f). Diese Art der Eheschließung kommt in allen Landesteilen vor und wird üblicherweise auch akzeptiert (Omer2/ALRC 17.3.2023).
Ehe-Registrierung: Beim Imam werden die von allen Parteien unterfertigten Urkunden kopiert und an alle Teilnehmer ausgeteilt. Eine Urkunde wird im Register der Moschee hinterlegt. Dies ist nicht immer möglich, doch ist eine solche Registrierung für die Gültigkeit einer Ehe nicht zwingend erforderlich. Nach Möglichkeit wird die Eheschließung auch bei einem Standesamt oder Amtsgericht in der nächstgelegenen Gemeinde eingetragen, die dazu in der Lage ist. In Somaliland ist ein solcher Eintrag bei der Gemeinde oder dem Regionalgericht einfacher möglich. Die zivile Registrierung einer Ehe ist absolut freiwillig. Die Rechtsgültigkeit einer Ehe ergibt sich aus der Erfüllung der Anforderungen gemäß Scharia (Omer2/ALRC 17.3.2023). Zu Dokumenten siehe auch Dokumente / Süd-/Zentralsomalia und Dokumente / Somaliland.
Scheidung: Eine solche ist erlaubt (ÖB Nairobi 10.2024), es gibt eine hohe Scheidungsrate (AQ21 11.2023). Auch bei al Shabaab sind Scheidungen erlaubt und werden von der Gruppe auch vorgenommen (ICG 27.6.2019a). Die Frau hat das Recht, den Mann aus dem gemeinsamen Haushalt zu verstoßen (AQ21 11.2023). Nach einer Scheidung ist eine Phase von drei bis sechs Monaten vorgesehen, bevor eine neue Ehe eingegangen werden darf (Omer2/ALRC 17.3.2023).
Bereits 1991 wurde festgestellt, dass mehr als die Hälfte der über 50-jährigen Frauen mehr als einmal verheiratet gewesen ist (Landinfo 14.6.2018, S. 18). Laut Zahlen aus dem Jahr 2023 sind 9 % der Bevölkerung im Alter von 25-29 Jahren geschieden, bei den 30-34-Jährigen sind es 7,6 % (GN 28.3.2023a). Bezüglich einer Scheidung gibt es kein Stigma (Landinfo 14.6.2018, S. 18f; vgl. FIS 5.10.2018, S. 27f; AQ21 11.2023). Während es früher die Norm war, dass Kinder beim Mann blieben, ist dies heute oft umgekehrt (AQ21 11.2023; vgl. FIS 5.10.2018, S. 27f). Viele Männer verschwinden auch einfach und bieten Frau und Kindern keinerlei Unterstützung (AQ21 11.2023). Um unterstützt zu werden, zieht die Geschiedene meist mit den Kindern zu ihren Eltern oder zu Verwandten (FIS 5.10.2018, S. 27f). Bei der Auswahl eines neuen Ehepartners sind Geschiedene in der Regel freier als bei der ersten Eheschließung (Landinfo 14.6.2018, S. 19).
Annullierung: Eine Ehe kann nur dann annulliert oder angefochten werden, wenn stichhaltige Beweise dafür vorgelegt werden, dass bei einem Ehepartner keine freiwillige Einwilligung vorlag; dass einem Ehepartner die erforderliche Reife (psychisch und physisch) fehlt; wenn nachträglich Beweise dafür auftauchen, dass die Ehefrau bereits verheiratet war und die Scheidung noch nicht vollzogen wurde; wenn der vorgeschriebene Zeitraum zwischen Scheidung und neuerlicher Ehe von 3-6 Monaten noch nicht verstrichen war; oder wenn der Ehegatte bereits mit vier Ehefrauen verheiratet ist. Sterilität oder andere physische Einschränkungen stellen keinen Annullierungs-, wohl aber einen Scheidungsgrund dar (Omer2/ALRC 17.3.2023).
Ehrenmorde: In Somalia gibt es keine Tradition sogenannter Ehrenmorde im Sinne einer akzeptierten Tötung von Frauen, welche bestimmte soziale Normen überschritten haben – z. B. Geburt eines unehelichen Kindes (Landinfo 14.6.2018, S. 10). Ein uneheliches Kind wird allerdings als Schande für die ganze Familie der Frau erachtet. Mutter und Kind werden stigmatisiert, im schlimmsten Fall werden sie von der Familie verstoßen (FIS 5.10.2018, S. 27; vgl. Love Does 20.10.2023). Laut einer Quelle ist außer- oder vorehelicher Geschlechtsverkehr eine Straftat (Omer2/ALRC 17.3.2023).
1.2.5. Weibliche Genitalversütmmelung und –beschneidung (FGM/C)
Arten bzw. Typen der Beschneidung: Gudniin ist die allgemeine somalische Bezeichnung für Beschneidung – egal ob bei einer Frau oder bei einem Mann (HEART/Crawford/Ali 2 2015, S. 65f). Laut einer in Puntland gemachten Studie gibt es auch noch andere Namen für FGM/C, etwa Dhufaanid (Kastration) oder Tolid (Zunähen) (UNFPA 4.2022). In Somalia herrschen zwei Formen von FGM/C vor:
a) Einerseits die am meisten verbreitete sogenannte Pharaonische Beschneidung (Gudniinka Fircooniga), welche weitgehend dem WHO Typ III (Infibulation) entspricht (UNFPA 4.2022; vgl. LIFOS 16.4.2019, S. 13f; HEART/Crawford/Ali 2 2015, S. 66f) und von der somalischen Bevölkerung unter dem - mittlerweile auch dort geläufigen - Synonym "FGM" verstanden wird (UNFPA 4.2022; vgl. HEART/Crawford/Ali 2 2015, S. 68).
b) Andererseits die Sunna (Gudniinka Sunna) (LIFOS 16.4.2019, S. 13f; vgl. HEART/Crawford/Ali 2 2015, S. 66f), welche laut einer Quelle generell dem weniger drastischen WHO Typ I entspricht (LIFOS 16.4.2019, S. 13f), laut einer anderen Quelle WHO Typ I und II (AV 2017, S. 29), laut einer dritten Quelle WHO Typ IV (MoHDSL/UNFPA 2021) und schließlich laut einer vierten Quelle eine breite Palette an Eingriffen umfasst (HEART/Crawford/Ali 2 2015, S. 41ff/66f). Demnach wird die Sunna nochmals unterteilt in die sog. große Sunna (Sunna Kabir) und die kleine Sunna (Sunna Saghir); es gibt auch Mischformen (LIFOS 16.4.2019, S. 14f; vgl. HEART/Crawford/Ali 2 2015, S. 41ff/66f). De facto kann laut Quellen unter dem Begriff „Sunna“ jede Form – von einem kleinen Schnitt bis hin zur fast vollständigen pharaonischen Beschneidung – gemeint sein, die von der traditionellen Form von FGM (Infibulation) abweicht (FIS 5.10.2018, S. 30; vgl. LIFOS 16.4.2019, S. 39). Aufgrund der Problematik, dass es keine klare Definition der Sunna gibt (LIFOS 16.4.2019, S. 14f; vgl. FIS 5.10.2018, S. 31), wissen Eltern laut einer Quelle oft gar nicht, welchen Eingriff die Beschneiderin genau durchführen wird (LIFOS 16.4.2019, S. 14f). Allgemein wird die Sunna von Eltern und Betroffenen als harmlos erachtet, mit dieser Form werden nur geringfügige gesundheitliche Komplikationen in Zusammenhang gebracht (UNFPA 4.2022).
Bei einer Studie aus Somaliland wird die Sunna hingegen als WHO Typ IV bezeichnet ("... andere verletzende Prozeduren an den weiblichen Genitalien für nicht-medizinische Zwecke, z. B. einstechen, durchstechen, einritzen, ausschaben, verätzen."). Teilnehmer der Studie beschreiben zwei Arten der Sunna: Einerseits jene Form, bei welcher eine eingeschränkte Beschneidung ("Small Cut") sowie ein Vernähen mit ein oder zwei Stichen erfolgt; andererseits eine mildere Form, bei welcher die Klitoris mit einer Nadel eingestochen wird und keine weiteren Misshandlungen erfolgen - insbesondere kein Vernähen (MoHDSL/UNFPA 2021).
Prävalenz: FGM ist in Somalia auch weiterhin weit verbreitet (USDOS 22.4.2024; vgl. AA 23.8.2024) und bleibt die Norm (Landinfo 14.9.2022, S. 16). Lange Zeit wurde die Zahl betroffener Frauen mit 98 % angegeben. Diese Zahl ist laut somalischem Gesundheitsministerium bis 2015 auf 95 % und bis 2018 auf 90 % gefallen (FIS 5.10.2018, S. 29). UN News berichtet von "mehr als 90 %" (UNN 4.2.2022). Gemäß einer Studie aus dem Jahr 2017 sind rund 13 % der 15-17-jährigen Mädchen nicht beschnitten (STC 9.2017). In der Altersgruppe von 15-49 Jahren liegt die Prävalenz hingegen bei 98 %, jene der Infibulation bei 77 %, wie eine andere Studie besagt (BMC/Yussuf/et al. 2020, S. 1f). Laut einer anderen Quelle sind 88 % der 5-9-jährigen Mädchen bereits beschnitten oder verstümmelt (CARE 4.2.2022). Insgesamt gibt es diesbezüglich nur wenige aktuelle Daten. Generell ist von einer Rückläufigkeit auszugehen (LIFOS 16.4.2019, S. 19f; vgl. STC 9.2017).
Trend weg von der Infibulation und hin zu Sunna: Die Infibulation ist insgesamt zurückgedrängt worden, dies wird von zahlreichen Quellen bestätigt (Omer2/ALRC 17.3.2023; vgl. HEART/Crawford/Ali 2 2015; FGMCRI o.D.; Landinfo 14.9.2022; LIFOS 16.4.2019, S. 14f/39; DIS 1.2016, S. 7; FIS 5.10.2018, S. 30f; PC/Powell/Yussuf 1.2018, S. 22ff; BMC/Yussuf/et al. 2020, S. 1f). Der Trend geht in Richtung Sunna (UNFPA 4.2022).
Hinsichtlich geografischer Verbreitung scheint die Infibulation 2006 in Süd-/Zentralsomalia mit 72 % am wenigsten verbreitet gewesen zu sein; in Puntland war sie mit 93 % am verbreitetsten (LIFOS 16.4.2019, S. 21). Es wird davon ausgegangen, dass die Rate an Infibulationen in ländlichen Gebieten höher ist als in der Stadt (HEART/Crawford/Ali 2 2015, S. 69). Viele Menschen – v. a. in städtischen Gebieten – erachten die extremeren Formen von FGM zunehmend als inakzeptabel, halten aber an Typ I fest (UNICEF 29.6.2021; vgl. UNFPA 4.2022), der gesellschaftlich auf Akzeptanz trifft (Landinfo 14.9.2022). So werden in Mogadischu junge Mädchen nicht mehr der Infibulation, sondern hauptsächlich der Sunna ausgesetzt (HEART/Crawford/Ali 2 2015, S. 70).
Eine Rolle spielen hierbei religiöse Überlegungen. Bei einer Studie in Somaliland haben religiöse Führer angegeben, dass alle Rechtsschulen des Islam die Infibulation bzw. die pharaonische Beschneidung verbieten. Demgegenüber ist die Sunna gemäß der in Somalia am meisten verbreiteten Shafi'i-Schule obligatorisch, während z. B. die Hanafiya eine Beschneidung zwar zulässt, diese aber nicht fordert (MoHDSL/UNFPA 2021).
Gesellschaft: Außerdem sprachen sich in einer Umfrage aus dem Jahr 2017 42,6 % gegen die Tradition von FGM aus (AV 2017, S. 19). Allerdings gaben nur 15,7 % an, dass in ihrer Gemeinde („Community“) FGM nicht durchgeführt wird (AV 2017, S. 25). Bei einer Studie im Jahr 2015 wendete sich die Mehrheit der Befragten gegen die Fortführung der Infibulation, während es kaum Unterstützung für eine völlige Abschaffung von FGM gab (CEDOCA 9.6.2016, S. 7). Die Unterstützung für FGM/C ist jedenfalls gesunken (BMC/Yussuf/et al. 2020, S. 2). Zum Beispiel wurden in Cadaado (Mudug) im November 2020 nur noch 28 von 278 Eingriffen als Infibulation ausgeführt, im Dezember waren es 22 von 222. Dahingegen sind es Anfang 2019 noch über 200 Infibulationen pro Monat gewesen. Auch hier hat sich die Sunna durchgesetzt (RE 15.2.2021). Bei der Bewertung dieses Trends muss aber berücksichtigt werden, dass in manchen Fällen davon auszugehen ist, dass einfach nur nicht so weit zugenäht wird wie früher; der restliche Eingriff aber de facto einer Infibulation entspricht - und trotzdem von den Betroffenen als Sunna bezeichnet wird (HEART/Crawford/Ali 2 2015, S. 70).
Wer eine Beschneidung veranlasst bzw. entscheidet: Nach Angaben mehrerer Quellen liegt üblicherweise die Entscheidung darüber, ob eine Beschneidung stattfinden soll, bei der Mutter (FIS 5.10.2018, S. 30; vgl. CEDOCA 9.6.2016, S. 17f; Landinfo 14.9.2022, S. 11; HEART/Crawford/Ali 2 2015, S. 85; MoHDSL/UNFPA 2021). Der Vater hingegen wird wenig eingebunden (Landinfo 14.9.2022, S. 11; vgl. HEART/Crawford/Ali 2 2015, S. 85) bzw. wird die Entscheidung "manchmal" gemeinsam getroffen (MoHDSL/UNFPA 2021). Laut einer Quelle geht es bei dieser Entscheidung aber weniger um das "ob" als vielmehr um das "wie und wann" (Landinfo 14.9.2022, S. 11). Eine Studie aus dem Jahr 2022 in Puntland bestätigt, dass Mütter die Entscheidung hinsichtlich von FGM und Väter jene hinsichtlich der Beschneidung der Söhne treffen. Tendenziell können Väter neuerdings mehr Mitsprache halten. Insgesamt ist es aber die Mutter, die für die Jungfräulichkeit, Reinheit und Ehefähigkeit ihrer Töchter verantwortlich ist (UNFPA 4.2022).
Es kann zu – teils sehr starkem – psychischem Druck auf eine Mutter kommen, damit eine Tochter beschnitten wird. Um eine Verstümmelung zu vermeiden, kommt es auf die Standhaftigkeit der Mutter an. Spricht sich auch der Kindesvater gegen eine Verstümmelung aus, und bleibt dieser standhaft, dann ist es leichter, dem psychischen Druck seitens der Gesellschaft und gegebenenfalls durch die Familie standzuhalten (DIS 1.2016, S. 8ff). Manchmal wird der Vater von der Mutter bei der Entscheidung übergangen (UNFPA 4.2022; vgl. LIFOS 16.4.2019, S. 25f/42f) oder aber eine vermeintlich gemeinsame Entscheidung für eine mildere Sunna wird nachträglich von der Mutter - ohne Wissen des Vaters - zu einer Infibulation "korrigiert" (MoHDSL/UNFPA 2021). Nach anderen Angaben liegt es an den Eltern, darüber zu entscheiden, welche Form von FGM an der Tochter vorgenommen wird. Manchmal halten Großmütter oder andere weibliche Verwandte Mitsprache. In ländlichen Gebieten können Großmütter eher Einfluss ausüben (LIFOS 16.4.2019, S. 25f/42f; vgl. FIS 5.10.2018, S. 30). Dort ist es mitunter auch schwieriger, FGM infrage zu stellen (FIS 5.10.2018, S. 30f). Gemäß Angaben anderer Quellen sind Großmütter oft maßgeblich in die Entscheidung involviert (Landinfo 14.9.2022, S. 11; vgl. MoHDSL/UNFPA 2021; HEART/Crawford/Ali 2 2015, S. 85) bzw. üben sie signifikanten Einfluss aus (UNFPA 8.10.2023). Laut anderen Angaben kann es vorkommen, dass eine Mutter bei weiblichen Verwandten Ratschläge einholt (UNFPA 4.2022). In einer somaliländischen Studie wird angegeben, dass Mütter die Schlüsselrolle spielen, an zweiter Stelle stehen die Großmütter. Manchmal fordern Mädchen auch selbst eine Beschneidung ein (MoHDSL/UNFPA 2021).
Dass Mädchen ohne Einwilligung der Mutter von Verwandten einer FGM unterzogen werden, ist zwar nicht auszuschließen, aber unwahrscheinlich. Keine Quelle des Danish Immigration Service konnte einen derartigen Fall berichten (DIS 1.2016, S. 10ff). Quellen der schwedischen COI-Einheit Lifos nennen als diesbezüglich annehmbare Ausnahme (theoretisch) den Fall, dass ein bei den Großeltern lebendes Kind von der Großmutter FGM zugeführt wird, ohne dass es dazu eine Einwilligung der Eltern gibt (LIFOS 16.4.2019, S. 26).
Motivation: Der Hauptantrieb, weswegen Mädchen weiterhin einer FGM/C unterzogen werden, ist der Druck, sozialen Erwartungen und Normen gerecht zu werden (MoHDSL/UNFPA 2021; vgl. HEART/Crawford/Ali 2 2015, S. 82). FGM gilt als Tradition, die von Generation zu Generation weitergegeben wird. Die somalische Kultur gelten die "drei weiblichen Schmerzen" als integraler Bestandteil des Frauseins: Die Beschneidung, die Hochzeitsnacht und das Gebären. Nicht zuletzt glauben viele Frauen, dass die Beschneidung im Islam verpflichtend vorgesehen ist (MoHDSL/UNFPA 2021).
Frauen fürchten sich vor einem gesellschaftlichen Ausschluss und vor Diskriminierung - ihrer selbst und ihrer Töchter. Eine Beschneidung bringt hingegen soziale Vorteile und sichert der Familie und dem Mädchen die Integration in die Gesellschaft (UNFPA 4.2022; vgl. MoHDSL/UNFPA 2021). So gibt es etwa Berichte über erwachsene Frauen, die sich einer Infibulation unterzogen haben, da sie sich durch (sozialen) Druck dazu gezwungen sahen (HEART/Crawford/Ali 2 2015, S. 73). Es herrscht die Angst vor Stigmatisierung und Diskriminierung (MoHDSL/UNFPA 2021). Mitunter üben nicht-beschnittene Mädchen aufgrund des gesellschaftlichen Drucks selbst Druck auf Eltern aus, damit die Verstümmelung vollzogen wird (UNFPA 4.2022; vgl. MoHDSL/UNFPA 2021; HEART/Crawford/Ali 2 2015, S. 83; LIFOS 16.4.2019, S. 42f/26; ACCORD 31.5.2021, S. 41).
Die Beschneidung wird als Ehre für ein Mädchen erachtet, als Investition in die Zukunft. Das Mädchen wird dadurch von der Gesellschaft akzeptiert, gilt als züchtig und verheiratbar und gewährleistet voreheliche Jungfräulichkeit (MoHDSL/UNFPA 2021; vgl. LIFOS 16.4.2019, S. 38f; Landinfo 14.9.2022, S. 11). Außerdem gilt eine Infibulation als ästhetisch (Landinfo 14.9.2022, S. 10; vgl. UNFPA 4.2022).
Durchführung: Die Mehrheit der Beschneidungen wird von traditionellen Beschneiderinnen (Guddo) vorgenommen (MoHDSL/UNFPA 2021). Mädchen werden zunehmend von medizinischen Fachkräften beschnitten (UNFPA 4.2022; vgl. MoHDSL/UNFPA 2021; FGMCRI o.D.). Bei einer Studie in Somaliland gaben nur 5 % der Mütter an, selbst von einer Fachkraft beschnitten worden zu sein; bei den Töchtern waren es hingegen schon 33 % (Landinfo 14.9.2022, S. 11). Diese "Medizinisierung" von FGM/C ist v. a. im städtischen Bereich und bei der Diaspora angestiegen (UNICEF 29.6.2021; vgl. MoHDSL/UNFPA 2021) und in erster Linie dann, wenn die Eltern nur eine Sunna durchführen lassen wollen (MoHDSL/UNFPA 2021). FGM/C erfolgt also zunehmend im medizinischen Bereich – in Spitälern, Kliniken oder auch bei Hausbesuchen. In Mogadischu gibt es sogar Straßenwerbung für "FGM Clinics". Insgesamt sind die Ausführenden aber immer noch oft traditionelle Geburtshelferinnen, Hebammen und Beschneiderinnen (HEART/Crawford/Ali 2 2015, S. 73f).
Der Eingriff wird an Einzelnen oder auch an Gruppen von Mädchen vorgenommen. In ländlichen Gebieten Puntlands und Somalilands üblicherweise in Gruppen. Auch in Mogadischu ist das die übliche Praxis. Oft gibt es danach für die Mädchen eine Feier (HEART/Crawford/Ali 2 2015, S. 73f). Auch eine somaliländische Quelle berichtet, dass die Beschneidung mit einer Feier in der Nachbarschaft verbunden ist (MoHDSL/UNFPA 2021). Eine traditionelle Beschneiderin verlangt üblicherweise 20 US-Dollar für einen Eingriff, bei finanzschwachen Familien kann dieser Preis auf 5 US-Dollar reduziert werden (UNFPA 4.2022).
Alter bei der Beschneidung: Diesbezüglich gibt es unterschiedliche Angaben. Die meisten Quellen der schwedischen COI-Einheit Lifos sowie UNFPA nennen ein Alter von 5-10 bzw. 5-9 Jahren (LIFOS 16.4.2019, S. 20/39; vgl. UNFPA 8.10.2023). Eine größere Studie aus dem Jahr 2020 nennt für Somalia folgende Zahlen: 71 % der Frauen im Alter von 15-49 Jahren ist im Alter von 5-9 Jahren beschnitten worden, 28 % im Alter von 10-14 Jahren und jeweils unter 1 % unter 5 und über 15 Jahren (DNS/Gov Som 2020). UNICEF wiederum nennt ein Alter von 4-14 Jahren als üblich; die NGO IIDA gibt an, dass die Beschneidung üblicherweise vor dem achten Geburtstag erfolgt (CEDOCA 9.6.2016, S. 6). Eine Studie aus dem Jahr 2017 nennt für ganz Somalia die Gruppe der 10-14-Jährigen (STC 9.2017), dieses Alter erwähnt auch eine NGO (FGMCRI o.D.). Eine andere Quelle nennt ein Alter von 10-13 Jahren (AA 23.8.2024). Gemäß einer Quelle werden Mädchen, welche die Pubertät erreicht haben, nicht mehr einer FGM unterzogen, da dies gesundheitlich zu riskant ist. Hat ein Mädchen die Pubertät erreicht, fällt demnach auch der Druck durch die Verwandtschaft weg (DIS 1.2016, S. 11). Laut einer Quelle sind aus der Diaspora zum Zwecke von FGM nach Somalia geschickte Mädchen meist älter als allgemein üblich (Landinfo 14.9.2022).
In Puntland und Somaliland erfolgt die Beschneidung laut einer Studie aus dem Jahr 2011 meist im Alter von 10-14 Jahren (LIFOS 16.4.2019, S. 20). Eine Studie aus dem Jahr 2022 hingegen besagt für Puntland, dass Mädchen bis zum 13. Geburtstag der Praktik unterzogen sein müssen, wenn die Mutter Hänseleien entgehen will (UNFPA 4.2022). In einer Studie aus dem Jahr 2020 werden für Somaliland folgende Zahlen genannt: 57 % der Mädchen wurden im Alter von 5-9 Jahren beschnitten, 41 % zwischen 10 und 14 Jahren, 1 % noch danach (MoPNDSL 2021).
Eine Quelle erklärt, dass das Beschneidungsalter immer weiter sinkt (CARE 4.2.2022). Auch in der Studie aus dem Jahr 2020 ist dieser Trend zu erkennen. Unter den 40-49-jährigen Frauen wurden 67 % im Alter von 5-9 Jahren beschnitten, bei der Gruppe der 15-19-jährigen sind es hingegen 73 % (DNS/Gov Som 2020). Auch in Somaliland ist das Alter im Zuge des Wechsels hin zur Sunna laut Angaben einer Quelle auf 5-8 Jahre gesunken (PC/Powell/Yussuf 1.2018, S. 22). In den Zahlen einer Studie aus dem Jahr 2020 ist ein derartiger Trend hingegen nicht ablesbar (MoPNDSL 2021).
Bei den Benadiri und arabischen Gemeinden in Somalia, wo grundsätzlich die Sunna praktiziert wird, scheint die Beschneidung bei der Geburt stattzufinden, möglicherweise auch nur als symbolischer Schnitt (DIS 1.2016, S. 6).
Abolition: In der Diaspora nimmt die Praktik ab. Der Druck sinkt mit der Distanz zur Heimat und zur Familie (Landinfo 14.9.2022, S. 17). In manchen Gemeinden und Gemeinschaften z. B. in Borama, Garoowe oder Mogadischu, wo Aufklärung bezüglich FGM stattgefunden hat, stellen sich die Haushalte gemeinschaftlich gegen jegliche Art von FGM (ÖB Nairobi 10.2024; vgl. HEART/Crawford/Ali 2 2015, S. 65). Von jenen, die nicht von Aufklärungskampagnen betroffen waren, gab es nur eine kleine Minderheit aus gut gebildeten Menschen und Personen der Diaspora, die sich von allen Formen von FGM verabschiedet hat (HEART/Crawford/Ali 2 2015, S. 65; vgl. Landinfo 14.9.2022). Eine Expertin erklärt, dass hinsichtlich FGM kein Zwang herrscht, dass allerdings eine Art Gruppendruck besteht (ACCORD 31.5.2021, S. 41). So kann es auch vorkommen, dass in der Diaspora lebende Mädchen „nach Hause“ oder in bestimmte europäische Städte geflogen werden, wo FGM vollzogen wird (GN 3.11.2022). Andererseits nimmt der Druck in der jüngeren Generation ab, manche junge Menschen sehen keinen Grund für die Stigmatisierung und Diskriminierung von Unbeschnittenen (MoHDSL/UNFPA 2021).
Eine andere Quelle erklärt, dass der Verzicht auf jegliche Form von FGM in Somalia eine radikale Entscheidung darstellt, die gegen grundlegende Normen verstößt. Damit sich Eltern aus eigener Initiative gegen eine Beschneidung ihrer Tochter wehren können, müssen sie über Kenntnisse und Einwände gegen die Praxis sowie über genügend Robustheit und Ressourcen verfügen, um die Einwände für Familie, Netzwerke und lokale Gemeinschaften zu fördern (Landinfo 14.9.2022). Jedenfalls gibt es trotz aller Widrigkeiten sowohl in urbanen als auch in ländlichen Gebieten Eltern, die ihre Töchter nicht verstümmeln lassen (DIS 1.2016, S. 9) und auch Frauen, die sich offen dazu bekennen. So berichtet etwa eine Studienteilnehmerin, dass sie als Kind sehr an ihrer Verstümmelung gelitten hat. Deswegen hat sie ihre Töchter nicht beschneiden lassen und drängt auch andere Eltern zu diesem Schritt. Einige wenige Teilnehmerinnen an der besagten Studie haben offen erklärt, ihre Töchter nicht anrühren zu wollen (MoHDSL/UNFPA 2021). Manche Mütter in Gemeinden, wo Aufklärung hinsichtlich der negativen Folgen einer Genitalverstümmelung stattgefunden hat, bekennen sich offen dazu, dass an ihren Töchtern eine solche nicht vorgenommen worden ist (ÖB Nairobi 10.2024).
Mehrere Studien zeigen, dass 2-4 von 100 Frauen nicht beschnitten sind (MoHDSL/UNFPA 2021; vgl. DNS/Gov Som 2020). Beschneiderinnen berichten von einem geringeren Einkommen, weil Eltern ihre Dienste nicht mehr in Anspruch nehmen (MoHDSL/UNFPA 2021).
1.2.6. Reinfibulation, Defibulation
Die Thematik der Reinfibulation (Wiederherstellung einer Infibulation, Wiederzunähen) betrifft jene Frauen und Mädchen, die bereits einer Infibulation unterzogen und später deinfibuliert wurden. Letzteres erfolgt z. B. im Rahmen einer Geburt, zur Erleichterung des Geschlechtsverkehrs (LIFOS 16.4.2019, S. 35/12; vgl. Landinfo 14.9.2022, S. 9/12) oder aber z. B. auf Wunsch der Familie, wenn bei der Menstruation Beschwerden auftreten (LIFOS 16.4.2019, S. 32; vgl. Landinfo 14.9.2022, S. 12). Es gibt zudem anekdotische Berichte, wonach eine neue Intervention durchgeführt wurde, weil die Familie eine umfassendere Intervention als die ursprüngliche gewünscht hat (Landinfo 14.9.2022; vgl. HEART/Crawford/Ali 2 2015, S. 74).
Eine Reinfibulation kommt v. a. dann vor, wenn Frauen - üblicherweise noch vor der ersten Eheschließung - eine bestehende Jungfräulichkeit vorgeben wollen (DIS 1.2016, S. 23). Obwohl es vor einer Ehe gar keine physische Untersuchung der Jungfräulichkeit gibt (LIFOS 16.4.2019, S. 40f), kann es bei jungen Mädchen, die z. B. Opfer einer Vergewaltigung wurden, zu Druck oder Zwang seitens der Eltern kommen, sich einer Reinfibulation zu unterziehen (HEART/Crawford/Ali 2 2015, S. 73/76; vgl. CEDOCA 13.6.2016, S. 9). Vergewaltigungsopfer werden oft wieder zugenäht (HO 27.2.2019; vgl. Landinfo 14.9.2022, S. 12). Es gibt anekdotische Berichte über Fälle, in denen unverheiratete Mädchen oder junge Frauen aus der Diaspora nach Somalia geschickt wurden, um eine Reinfibulation durchzuführen (Landinfo 14.9.2022).
Eine Quelle gibt an, dass es Folgen - bis hin zur Scheidung - haben kann, wenn ein Ehemann in der Hochzeitsnacht feststellt, dass eine Deinfibulation bereits vorliegt. Eine Scheidung kann in diesem Fall zu einer indirekten Stigmatisierung infolge von "Gerede" führen. Generell können zur Frage der Reinfibulation von vor der Ehe deinfibulierten Mädchen und jungen Frauen nur hypothetische Angaben gemacht werden, da z. B. den von der schwedischen COI-Einheit LIFOS befragten Quellen derartige Fälle überhaupt nicht bekannt waren (LIFOS 16.4.2019, S. 40f).
Als weitere Gründe, warum sich Frauen für eine Reinfibulation im Sinne einer weitestmöglichen Verschließung entscheiden, werden in einer Studie aus dem Jahr 2015 folgende genannt: a) nach einer Geburt: Manche Frauen verlangen z. B. eine Reinfibulation, weil sie sich nach Jahren an ihren Zustand gewöhnt hatten und sich die geöffnete Narbe ungewohnt und unwohl anfühlt; b) manche geschiedene Frauen möchten als Jungfrauen erscheinen; c) Eltern von Vergewaltigungsopfern fragen danach; d) in manchen Bantu-Gemeinden in Süd-/Zentralsomalia möchten Frauen, deren Männer für längere Zeit von zu Hause weg sind, eine Reinfibulation als Zeichen der Treue (HEART/Crawford/Ali 2 2015, S. 76; vgl. CEDOCA 9.6.2016, S. 11).
Gesellschaftlich verliert die Frage einer Deinfibulation oder Reinfibulation nach einer Eheschließung generell an Bedeutung, da die Vorgabe der Reinheit/Jungfräulichkeit irrelevant geworden ist (LIFOS 16.4.2019, S. 40). Für verheiratete oder geschiedene Frauen und für Witwen gibt es keinen Grund, eine Jungfräulichkeit vorzugeben (CEDOCA 13.6.2016, S. 6).
Wird eine Frau vor einer Geburt deinfibuliert, kann es vorkommen, dass nach der Geburt eine Reinfibulation stattfindet. Dies obliegt i.d.R. der Entscheidung der betroffenen Frau (LIFOS 16.4.2019, S. 40; vgl. CEDOCA 9.6.2016, S. 26). Die Gesellschaft hat kein Problem damit, wenn eine Deinfibulation nach einer Geburt bestehen bleibt, und es gibt üblicherweise keinen Druck, sich einer Reinfibulation zu unterziehen. Viele Frauen fragen aber offenbar von sich aus nach einer (manchmal nur teilweisen) Reinfibulation (CEDOCA 13.6.2016, S. 9f/26). Gemäß Angaben einer Quelle ist eine derartige - von der Frau verlangte - Reinfibulation in Somalia durchaus üblich. Manche Frauen unterziehen sich demnach mehrmals im Leben einer Reinfibulation (HEART/Crawford/Ali 2 2015, S. 73/75f). Nach anderen Angaben kann ein derartiges Neu-Vernähen der Infibulation im ländlichen Raum vorkommen, ist in Städten aber eher unüblich (FIS 5.10.2018, S. 29). Die Verbreitung variiert offenbar auch geographisch: Bei Studien an somalischen Frauen in Kenia haben sich 35 von 57 Frauen einer Reinfibulation unterzogen. Gemäß einer anderen Studie entscheiden sich in Puntland 95 % der Frauen nach einer Geburt gegen eine Reinfibulation (CEDOCA 9.6.2016, S. 13f). Insgesamt gibt es zur Reinfibulation keine Studien, die Prävalenz ist unbekannt. Eine Wissenschaftlerin, die sich seit Jahren mit FGM in Somalia auseinandersetzt, sieht keine Grundlage dafür, dass nach einer Geburt oder Scheidung systematisch eine Reinfibulation durchgeführt wird – weder in der Vergangenheit noch in der heutigen Zeit. Im somalischen Kontext wird demnach eine Infibulation durchgeführt, um die Jungfräulichkeit vor der Ehe zu „beweisen“. Dementsprechend macht es keinen Sinn, eine verheiratete Frau nach der Geburt zu reinfibulieren (Landinfo 14.9.2022, S. 12f).
Freilich kann es vorkommen, dass eine Frau – wenn sie z. B. physisch nicht in der Lage ist, eine Entscheidung zu treffen – auch gegen ihren Willen einer Reinfibulation unterzogen wird; die Entscheidung treffen in diesem Fall weibliche Verwandte oder die Hebamme. Es kann auch nicht völlig ausgeschlossen werden, dass Frauen durch Druck von Familie, Freunden oder dem Ehemann zu einer Reinfibulation gedrängt werden. Insgesamt hängt das Risiko einer Reinfibulation also zwar vom Lebensumfeld und der körperlichen Verfassung der Frau nach der Geburt ab, aber generell liegt die Entscheidung darüber bei ihr selbst. Sie kann sich nach der Geburt gegen eine Reinfibulation entscheiden. Es kommt in diesem Zusammenhang weder zu Zwang noch zu Gewalt. Keine der zahlreichen, von der schwedischen COI-Einheit LIFOS dazu befragten Quellen hat jemals davon gehört, dass eine deinfibulierte Rückkehrerin nach Somalia dort zwangsweise reinfibuliert worden wäre (LIFOS 16.4.2019, S. 41).
2. Beweiswürdigung:
2.1. Zur Person der BF
Mangels Vorlage unbedenklicher Dokumente steht die Identität der BF nicht fest. Zumal sie aber zweifellos aus dem somalischen Kulturraum stammt, kann ihr in ihren im Wesentlichen gleichbleibenden Angaben zu ihrer Staats-, Religions- und Minderheitenzugehörigkeit gefolgt werden. Ebenso kann das Vorbringen der BF zu ihrer örtlichen Herkunft und ihren Lebensumständen in Somalia – abgesehen von jenen Umständen, die sie zur Flucht aus ihrem Herkunftsland gezwungen hätten – entsprechend der Feststellungen als wahr unterstellt werden.
Soweit die BF nämlich erzählte, dass sie Somalia verlassen habe, weil ihr Ex-Mann im Jahr 2023 die Beschneidung der gemeinsamen Tochter sowie der Adoptivtochter der BF vornehmen habe wollen und aufgrund der Weigerung der BF sie bedroht bzw. misshandelt sowie ihre Eltern getötet habe, ist sie nicht glaubhaft.
Das zeigt sich zunächst darin, dass die BF ihr Fluchtvorbringen über das Verfahren hinweg erheblich steigerte. In der Einvernahme durch das BFA schilderte sie (lediglich), dass ihr Ex-Mann die Beschneidung ihrer Tochter und ihrer Adoptivtochter verlangt habe, die BF in der Folge mit ihren beiden Töchtern nach Mogadischu geflohen sei und ihr Ex-Mann ihre Eltern umgebracht habe, weil diese den Aufenthaltsort der BF nicht verraten hätten wollen (Einvernahme S. 9 f). In der gegenständlichen Beschwerde ergänzte die BF jedoch erstmals, dass ihr Ex-Mann sie vor ihrer Flucht nach Mogadischu zudem „eingesperrt, geschlagen und vergewaltigt“ habe. Das habe die BF nicht schon in der Einvernahme angegeben, weil diese zwar mit einer weiblichen Organwalterin, aber entgegen § 20 Abs. 1 AsylG 2005 mit einem männlichen Dolmetscher geführt worden sei (Beschwerde S. 2 ff). Diese Rechtfertigung ist jedoch nicht überzeugend. Zum einen hat die BF – bis eben zur Beschwerde – im gesamten Administrativverfahren keinen Eingriff in ihre (eigene) sexuelle Selbstbestimmung behauptet, sodass die Verfahrensvorschrift des § 20 Abs. 1 AsylG 2005 von vornherein nicht zur Anwendung gelangen konnte. Zum anderen wurde die BF zu Beginn der Einvernahme nichtsdestotrotz ausdrücklich gefragt, ob sie eine Einvernahme mit einer weiblichen Dolmetscherin wünsche, woraufhin die BF darauf bestand, die Einvernahme mit dem anwesenden männlichen Dolmetscher durchzuführen (Einvernahme S. 5). Wenn die BF aber selbst darauf bestanden hat, so kann auch daher nicht die Rede davon sein, dass sie durch die Anwesenheit des männlichen Dolmetschers gehemmt gewesen wäre, von diesen weiteren Ereignissen zu berichten. Das gilt umso mehr in Betrachtung des Umstandes, dass die BF selbst ihre in der Beschwerde erstmals behauptete Gefangennahme an sich – unabhängig von einem Eingriff in die sexuelle Selbstbestimmung – bis dahin nicht vorgebracht hatte, sondern vielmehr im Gegenteil in der Einvernahme angegeben hatte, dass sie „einfach“ in der Nacht mit ihren Kindern aus ihrem Heimatdorf weggegangen sei (Einvernahme S. 11). Da die BF somit keinen Grund glaubhaft machen kann, aus dem ihr die Erstattung des Vorbringens, eingesperrt, geschlagen und vergewaltigt worden zu sein, nicht schon zu einem früheren Zeitpunkt möglich gewesen wäre, ist es als eine Steigerung des Fluchtvorbringens anzusehen, welches in erheblichem Maße auf dessen Unglaubhaftigkeit schließen lässt, würde doch eine Person, die ein wahres Vorbringen erstattet, nicht im Verfahrensverlauf weitere Umstände zu diesem Vorbringen hinzukonstruieren. Diese Erwägungen über die Unwahrheit ihres diesbezüglichen gesteigerten Vorbringens werden weiter getragen durch das Aussageverhalten der BF in der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht, in welcher sie – obwohl sie zuvor noch mehrere Daten genau nennen konnte – nicht sagen konnte, wann diese Ereignisse passiert seien, sich dazu widersprach, ob sie drei Tage, eine Woche oder auch länger eingesperrt gewesen sei, und ganz generell – obwohl sie in der Beschwerde noch ausdrücklich die Vernehmung durch eine weibliche Richterin in Anwesenheit einer weiblichen Dolmetscherin und einer weiblichen Schreibkraft beantragt hatte, um frei darüber erzählen zu können – derart vage blieb, dass nichts über diese Gefangennahme – selbst unabhängig von einem Eingriff in die sexuelle Selbstbestimmung – in Erfahrung zu bringen war, zumal sie erst von der erkennenden Richterin selbst an ihr diesbezügliches Vorbringen erinnert werden musste (Verhandlungsprotokoll S. 9 f). Im Gegenteil schilderte die BF zuvor noch einen Sachverhalt, der keine Gefangennahme oder sonstige Misshandlung erkennen ließ (vgl. Verhandlungsprotokoll S. 6).
Die BF konnte desweiteren auch kein glaubhaftes Interesse ihres Ex-Mannes an der Beschneidung ihrer Tochter darlegen, zumal sie sich in ihrem Vorbringen erheblich widersprach. Da grundsätzlich schon wenig ersichtlich ist, aus welchem Grund ihr Ex-Mann, der nach ihrem Vorbringen nichts mit der Tochter zu tun gehabt habe wollen, weil diese mit einer Lippenspalte auf die Welt gekommen sei, Jahre nach der Scheidung plötzlich eine Beschneidung dieser veranlassen habe wollen, wurde die BF im Verfahren mehrfach dazu befragt, wobei sie mehrfach verschiedene Antworten gab. In der Einvernahme gab die BF noch an, dass die Bescheidung schlicht aus religiösen Gründen für ihren Ex-Mann sehr wichtig gewesen sei (Einvernahme S. 10). In der Beschwerde dagegen führte die BF als Grund an, dass ihr Ex-Mann seinen väterlichen Verpflichtungen wieder nachkommen habe wollen, weil die Tochter zwischenzeitlich an der Lippe operiert worden sei (Beschwerde S. 14). In der mündlichen Verhandlung wiederum sagte sie konträr dazu aus, dass ihr Ex-Mann die Tochter beschneiden habe lassen wollen, weil er dadurch die BF ärgern habe wollen bzw. weil er damit zeigen habe wollen, dass er Macht ausüben könne (Verhandlungsprotokoll S. 8 f). Aus welchem Grund die BF nun drei unterschiedliche Beweggründe für die Involvierung ihres Ex-Mannes angab, wenn sie der Wahrheit entsprechende Schilderungen gemacht hätte, lässt sich nicht nachvollziehen und kann – zumal aufgrund der mehrmaligen Nachfragen – auch nicht bloß darin eine Begründung finden, dass die BF „durcheinander“ gewesen sei (Verhandlungsprotokoll S. 9).
Aus dem Vorbringen der BF unerklärlich ist darüber hinaus ihre behauptete persönliche Bedrohung. Dazu gab sie nämlich in der Einvernahme an, dass ihr Ex-Mann, nachdem er ihre Eltern getötet habe, ihr gesagt habe, dass er mit ihr das gleiche machen werde (Einvernahme S. 8). In der mündlichen Verhandlung sagte sie aber aus, dass sie am 20.02.2023 den letzten Kontakt zu ihrem Ex-Mann gehabt habe, als er gesagt habe, dass ihre Tochter besser genesen solle, um die Beschneidung vornehmen zu können. Bevor er am 26.02.2023 wiedergekommen sei und ihre Eltern getötet habe, sei sie nach Mogadischu geflohen (Verhandlungsprotokoll S. 6 iVm 4). Auf die Frage in der Verhandlung, wie ihr Ex-Mann sie dann nach der Tötung ihre Eltern bedrohen habe können, wenn sie bereits davor geflohen sei, wich die BF aus und gab damit faktisch keine Antwort (Verhandlungsprotokoll S. 8), sodass völlig offen blieb, wie die BF nun bedroht worden wäre.
Zudem verstrickte sich die BF, die abgesehen von der Zeit ihrer vorgeblichen Gefangenschaft durchwegs von sich aus genaue Daten zu den vorgebrachten Vorkommnissen nannte, in ihrem Vorbringen in (weitere) erhebliche zeitliche Divergenzen. So meinte sie auf der einen Seite in der Einvernahme wie auch nochmals in ihrer Beschwerde, dass sie am 15.03.2023 ihren nunmehrigen Ehemann geheiratet habe, wobei sie in der Einvernahme dazu anführte, dass sich „beide Familien“ deswegen getroffen hätten (Einvernahme S. 7; Beschwerde S. 2). Konträr dazu behauptete die BF aber in der mündlichen Verhandlung, dass ihre Eltern am 28.02.2023 – oder auch am 26.02.2023 (vgl. Verhandlungsprotokoll S. 6) – getötet worden seien und sie selbst bereits am 26.02.2023 nach Mogadischu geflohen sei (Verhandlungsprotokoll S. 4). Wann sie ihren Mann geheiratet habe, wisse sie nicht mehr, aber es sei noch im Heimatort passiert, zumal sie gemeinsam mit ihrem Mann nach Mogadischu geflohen sei (Verhandlungsprotokoll S. 7). Damit verstrickte sich die BF aber in einen unauflöslichen Widerspruch, denn wenn die Ehe, wie sie in der Einvernahme angab, am 15.03.2023 geschlossen wurde, so wäre sie demnach erst in Mogadischu zustande gekommen, so dass die BF nicht schon in ihrem Heimatort verheiratet gewesen wäre und nicht mit ihrem Mann nach Mogadischu fliehen hätte können. Ebenso wenig hätte sich ihre Familie – wie sie noch in der Einvernahme angab – für die Heirat mit der Familie ihres Mannes treffen können, wenn ihre Eltern zum 15.03.2023 doch bereits verstorben gewesen wären. Auf Vorhalt dieses Umstandes antwortete die BF, dass sie mit dem Ausdruck „Familie“ nicht ihre verstorbenen Eltern, sondern ihren Onkel gemeint habe (Verhandlungsprotokoll S. 7). Damit zeigte BF aber eindrücklich, dass sie ihr Vorbringen in der mündlichen Verhandlung bloß ad hoc auf ihr gemachte Vorhalte anpasste und ihm Laufe dessen den Überblick über ihre eigenen Behauptungen verlor, sagte sie doch in der mündlichen Verhandlung gleichzeitig aus, dass sie ihren Mann entgegen der Angaben in der Einvernahme noch in ihrem Heimatort – offenkundig also zu einem Zeitpunkt, als ihre Eltern noch am Leben gewesen wären – geheiratet habe. Im Rahmen dieses Vorbringens macht somit die Rechtfertigung der BF, dass sie eigentlich ihren Onkel gemeint habe, keinen Sinn. Abgesehen davon widersprach sich die BF dadurch aber auch gravierend zu ihrem Vorbringen in der Einvernahme, wonach sie zu ihrem Onkel gar keinen Kontakt gehabt habe und dieser bereits verstorben sei (Einvernahme S. 7).
In einen weiteren zeitlichen Widerspruch verfing sich die BF zudem, indem sie einerseits in der Einvernahme angab, dass ihr Ex-Mann (erst) am 26.03.2023 die Beschneidung vornehmen lassen habe wollen (Einvernahme S. 11), dann in der mündlichen Verhandlung aber als gänzlich anderes Datum den 15.02.2023 nannte (Verhandlungsprotokoll S. 6).
Letztendlich widersprach sich die BF auch zum Kontakt zu ihrem nunmehrigen Ehemann und ihren Kindern. In der Einvernahme gab sie zu Protokoll, dass sie Kontakt zu ihrem Mann habe und dieser sich mit ihren Kindern aktuell an der kenianischen Grenze aufhalte. Als die BF geflohen sei, seien sie zu ihrem eigenen Schutz nach Kenia gegangen (Einvernahme S. 7 f). In der mündlichen Verhandlung behauptete die BF dann aber widersprüchlich einmal, dass sie zu diesem Zeitpunkt der Einvernahme durch das BFA keinen Kontakt zu ihrem Mann gehabt habe, um dann doch wieder das Gegenteil anzugeben, wobei die BF überhaupt nur weitgehend unverständliche Angaben zur Frage, wann sie nun Kontakt mit ihrem Mann gehabt habe und wo sich dieser aufgehalten habe, machte (Verhandlungsprotokoll S. 5 f). Eine Einsichtnahme in die Anrufliste ihres Handys verweigerte die BF sodann, da sich das ihrer Meinung nach nicht gehöre (Verhandlungsprotokoll S. 10).
Aus alledem geht letztlich zweifelsfrei hervor, dass das Fluchtvorbringen der BF, wonach ihr Ex-Mann ihre Tochter beschneiden lassen habe wollen, die BF bedroht und ihre Eltern ermordet habe, weshalb die BF selbst aus Somalia fliehen habe müssen sowie ihr nunmehriger Ehemann mit ihren Kindern nach Kenia geflohen sei, nicht der Wahrheit entspricht und es sich bei diesen Ereignissen tatsächlich um ein gedankliches Konstrukt handelt.
Daraus folgt wiederum, dass die Eltern, der Ehemann, die Tochter und die Adoptivtochter der BF weiterhin in ihrem Herkunftsort leben, ist doch dadurch die einzige Begründung des Ablebens ihrer Eltern und der Flucht ihres Ehemannes und ihrer Kinder weggefallen. Ebenso besteht Kontakt zu ihnen, zumal die BF diesen letztlich selbst bejahte. Dementsprechend handelt es sich bei der BF in ihrem Herkunftsort nicht um eine alleinstehende, geschlechtsspezifischer Gewalt besonders ausgesetzte Frau, sondern hat sie dort – mag sie auch einer Minderheit angehören – den Schutz ihrer männlichen Verwandtschaft, nämlich ihres Ehemannes und auch ihres Vaters.
Es kann nämlich im Weiteren auch nicht gesagt werden, dass die BF aufgrund ihrer Minderheitenzugehörigkeit einer relevanten Diskriminierung unterläge. Eine solche substantiierte sie zum einen nicht, zum anderen gab sie selbst an, dass sie über eine – wenn auch nur geringe – Schulbildung und Arbeitserfahrung verfüge (Einvernahme S. 7 f), ihr Ehemann, der derselben Minderheit angehöre, ein eigenes Lebensmittelgeschäft betreibe (Einvernahme S. 9) und auch Grund und Boden im Eigentum der Familie stehe oder zumindest gestanden sei (Einvernahme S. 9; Verhandlungsprotokoll S. 7), sodass nicht darauf geschlossen werden könnte, dass die BF in ihrer somalischen Umgebung aufgrund ihrer Minderheitenzugehörigkeit von der Möglichkeit der Bildung oder der Teilnahme des Erwerbslebens oder auch der Gesellschaft an sich ausgeschlossen wäre.
Der Vollständigkeit halber ist anzuführen, dass sich auch kein Grund zur Annahme ergab, dass die verheiratete BF, die in der Einvernahme angab, nach dem WHO-Typ III beschnitten worden zu sein (Einvernahme S. 5), in ihrer somalischen Heimat der Gefahr einer erneuten Genitalverstümmelung unterliegt. Eine solche Gefährdung wurde zum einen von der BF nie auch nur ansatzweise geltend gemacht und zum anderen ergäbe sie sich auch nicht aus den unwidersprochenen Länderberichten, wonach die Frage einer Reinfibulation nach der Heirat bzw. nach der folgenden Geburt eines Kindes in der Entscheidungsmacht der betroffenen Frau selbst liegt.
Eine sonstige Gefährdung der BF in Somalia wurde nicht behauptet und ist auch sonst nicht hervorgekommen.
2.2. Zu den Feststellungen der maßgeblichen Situation im Herkunftsstaat
Die Feststellungen zur Situation in Somalia beruhen auf den angeführten Quellen des Länderinformationsblattes der Staatendokumentation zu Somalia vom 16.01.2025 (Version 7). Bei den Quellen handelt es sich um Berichte verschiedener anerkannter und teilweise vor Ort agierender Institutionen, die in ihren Aussagen ein übereinstimmendes, schlüssiges Gesamtbild der Situation in Somalia ergeben. Angesichts der Seriosität der angeführten Erkenntnisquellen und der Plausibilität der Aussagen besteht kein Grund, an der Richtigkeit der Darstellung zu zweifeln.
3. Rechtliche Beurteilung:
Zu A) Abweisung der Beschwerde:
Gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 ist einem Fremden, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, soweit dieser Antrag nicht bereits gemäß §§ 4, 4a oder 5 zurückzuweisen ist, der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft ist, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung iSd. Art. 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention (GFK) droht.
Flüchtling iSd. Art. 1 Abschnitt A Z. 2 GFK ist, wer sich „aus wohlbegründeter Furcht, aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung verfolgt zu werden, außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen; oder wer staatenlos ist, sich außerhalb des Landes seines gewöhnlichen Aufenthaltes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, in dieses Land zurückzukehren.“
Einer von Privatpersonen bzw. privaten Gruppierungen ausgehenden, auf einem Konventionsgrund beruhenden Verfolgung kommt Asylrelevanz zu, wenn der Staat nicht gewillt oder nicht in der Lage ist, diese Verfolgungshandlungen hintanzuhalten. Auch eine auf keinem Konventionsgrund beruhende Verfolgung durch Private hat aber asylrelevanten Charakter, wenn der Heimatstaat des Betroffenen aus den in Art. 1 Abschnitt A Z 2 der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Gründen nicht bereit ist, Schutz zu gewähren (VwGH 08.09.2015, Ra 2015/18/0010).
Für die Asylgewährung kommt es auf die Flüchtlingseigenschaft zum Zeitpunkt der Entscheidung an. Es ist demnach für die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten zum einen nicht zwingend erforderlich, dass der Antragsteller bereits in der Vergangenheit verfolgt wurde, zum anderen ist auch eine bereits stattgefundene Verfolgung („Vorverfolgung“) für sich genommen nicht hinreichend (VwGH 03.09.2021, Ra 2021/14/0108).
Zentraler Aspekt dieses Flüchtlingsbegriffs der GFK ist die wohlbegründete Furcht vor Verfolgung. Wohlbegründet kann eine Furcht nur dann sein, wenn sie im Lichte der speziellen Situation des Asylwerbers und unter Berücksichtigung der Verhältnisse im Verfolgerstaat objektiv nachvollziehbar ist. Es kommt nicht darauf an, ob sich eine bestimmte Person in einer konkreten Situation tatsächlich fürchtet, sondern ob sich eine mit Vernunft begabte Person in dieser Situation (aus Konventionsgründen) fürchten würde. Unter Verfolgung ist ein ungerechtfertigter Eingriff von erheblicher Intensität in die zu schützende persönliche Sphäre des Einzelnen zu verstehen. Erhebliche Intensität liegt vor, wenn der Eingriff geeignet ist, die Unzumutbarkeit der Inanspruchnahme des Schutzes des Heimatstaates bzw. der Rückkehr in das Land des vorigen Aufenthaltes zu begründen. Die Verfolgungsgefahr steht mit der wohlbegründeten Furcht in engstem Zusammenhang und ist Bezugspunkt der wohlbegründeten Furcht. Eine Verfolgungsgefahr ist dann anzunehmen, wenn eine Verfolgung mit einer maßgeblichen Wahrscheinlichkeit droht; die entfernte Möglichkeit einer Verfolgung genügt nicht (VwGH 23.10.2019, Ra 2019/19/0413).
Das Vorbringen des Antragstellers muss, um eine maßgebliche Wahrscheinlichkeit und nicht nur eine entfernte Möglichkeit der Verfolgung glaubhaft zu machen, eine entsprechende Konkretisierung aufweisen. Die allgemeine Behauptung von Verfolgungssituationen, wie sie in allgemein zugänglichen Quellen auffindbar sind, wird grundsätzlich zur Dartuung von selbst Erlebtem nicht genügen (VwGH 10.08.2019, Ra 2018/20/0314).
Nur unter bestimmten Voraussetzungen ist Diskriminierung mit Verfolgung gleichzusetzen. Dies wäre nur der Fall, wenn die Diskriminierungsmaßnahmen Konsequenzen mit sich brächten, welche die betroffene Person in hohem Maße benachteiligen würden, z.B. eine ernstliche Einschränkung des Rechts, ihren Lebensunterhalt zu verdienen oder des Zugangs zu den normalerweise verfügbaren Bildungseinrichtungen. In Fällen, in denen die Diskriminierungen an sich noch nicht allzu schwer wiegen, können sie trotzdem die Ursache verständlicher Furcht vor Verfolgung sein, wenn sie bei der betroffenen Person ein Gefühl der Furcht und Unsicherheit im Hinblick auf ihre Zukunft hervorrufen; ob solche Akte der Diskriminierung einer Verfolgung gleichkommen, muss unter Berücksichtigung aller Umstände entschieden werden. Das Vorbringen einer Furcht vor Verfolgung wird umso eher begründet sein, wenn eine Person bereits eine Reihe diskriminierender Akte dieser Art zu erdulden hatte und daher ein kumulatives Moment vorliegt (UNHCR Handbuch über Verfahren und Kriterien zur Feststellung der Flüchtlingseigenschaft, Dezember 2003, Paragraph 54 f).
Wie beweiswürdigend dargelegt, ist das Vorbringen der BF über eine Bedrohung durch ihren Ex-Mann nicht glaubhaft. Sie ist in Somalia auch keine alleinstehende, schutzlose, geschlechtsspezifischer Gewalt besonders ausgesetzte Frau. Sie unterliegt nicht aufgrund ihrer Minderheitenzugehörigkeit einer asylrelevanten Diskriminierung. Es droht ihr in Somalia keine erneute Genitalverstümmelung. Sonstige Gründe einer asylrelevanten Bedrohung sind im Verfahren nicht hervorgekommen. Es besteht somit keine maßgebliche Wahrscheinlichkeit einer asylrechtlichen Verfolgung der BF in Somalia aus Konventionsgründen.
Die Abweisung des Antrags auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status der Asylberechtigten durch das BFA war daher im Ergebnis nicht zu beanstanden.
Zu B) Unzulässigkeit der Revision:
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.