JudikaturBVwG

G314 2312888-1 – Bundesverwaltungsgericht Entscheidung

Entscheidung
23. Mai 2025

Spruch

G314 2312888-1/3E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin Mag.a Katharina BAUMGARTNER über die Beschwerde der ungarischen Staatsangehörigen XXXX , geboren am XXXX , vertreten durch die BBU GmbH, gegen den Bescheid des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl vom XXXX .2025, Zl. XXXX , betreffend die Erlassung eines Aufenthaltsverbots und weitere Aussprüche zu Recht:

A) Der Beschwerde wird teilweise Folge gegeben und der angefochtene Bescheid dahingehend abgeändert, dass es richtig zu lauten hat:

„I. Gemäß § 67 Abs 1 und 2 FPG wird gegen die Beschwerdeführerin ein auf die Dauer von vier Jahren befristetes Aufenthaltsverbot erlassen.

II. Gemäß § 70 Abs 3 FPG wird der Beschwerdeführerin ein Durchsetzungsaufschub von einem Monat erteilt.“

B) Die Revision ist gemäß Art 133 Abs 4 B-VG nicht zulässig.

Text

Entscheidungsgründe:

Verfahrensgang:

Die Beschwerdeführerin (BF) wurde am XXXX .2024 in XXXX verhaftet und ab XXXX 2024 in der Justizanstalt XXXX in Untersuchungshaft angehalten. Mit dem Urteil des Landesgerichts XXXX vom XXXX , wurde sie wegen Suchtgiftdelikten zu einer teilbedingten Freiheitsstrafe verurteilt. Am XXXX .2025 wurde sie bedingt aus der Haft entlassen.

Mit den Schreiben des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl (BFA) vom XXXX .2024 und vom XXXX .2025 wurde die BF aufgefordert, sich zur beabsichtigten Erlassung eines Aufenthaltsverbots zu äußern. Sie kam dieser Aufforderung mit der Stellungnahme vom XXXX .2025 nach.

Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid erließ das BFA gegen die BF gemäß § 67 Abs 1 und 2 FPG ein mit fünf Jahren befristetes Aufenthaltsverbot (Spruchpunkt I.), erteilte ihr gemäß § 70 Abs 3 FPG keinen Durchsetzungsaufschub (Spruchpunkt II.) und erkannte einer Beschwerde die aufschiebende Wirkung gemäß § 18 Abs 3 BFA-VG ab (Spruchpunkt III.). Das Aufenthaltsverbot wurde im Wesentlichen mit ihrer strafgerichtlichen Verurteilung wegen Suchtgiftdelikten und dem Fehlen entgegenstehender privater und familiärer Bindungen in Österreich begründet. Sie halte sich erst seit Ende XXXX wieder im Bundesgebiet auf und gehe keiner Erwerbstätigkeit nach. Abgesehen von ihrem mit ihr im gemeinsamen Haushalt lebenden volljährigen Sohn, der ebenfalls keiner Arbeit nachgehe und dem auch keine Anmeldebescheinigung ausgestellt worden sei, habe sie keine wesentlichen Anknüpfungen in Österreich, zumal ihr älterer Sohn mit seiner Familie in Ungarn lebe und sich ihr Ehemann ebenfalls nicht mehr in Österreich aufhalte. Die Versagung eines Durchsetzungsaufschubs und die Aberkennung der aufschiebenden Wirkung wurden nur mit dem Gesetzeswortlaut ohne nähere Erläuterung begründet.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die Beschwerde der BF mit den Anträgen auf Durchführung einer mündlichen Verhandlung sowie auf dessen ersatzlose Behebung. Hilfsweise strebt sie die Reduktion der Dauer des Aufenthaltsverbots bzw. die Aufhebung des angefochtenen Bescheids und die Zurückverweisung der Angelegenheit an das BFA an. Begründet wird dies zusammengefasst damit, dass das Ermittlungsverfahren der Behörde mangelhaft geblieben sei, weil ihr Privat- und Familienleben nicht entsprechend berücksichtigt worden sei. Ihr Sohn, mit dem sie in einem gemeinsamen Haushalt lebe, habe eine Entwicklungsverzögerung und eine psychische Erkrankung; er sei aktuell auf Lehrstellensuche und beim AMS gemeldet. Sie müsse auch deshalb in Österreich bleiben, um ihre Schulden bei Gericht zurückzahlen zu können. Die Beweiswürdigung des BFA sei mangelhaft und nicht nachvollziehbar. Die rechtliche Beurteilung des angefochtenen Bescheids sei falsch, weil die BF ihre Tat sehr bereue und von ihr keine Gefährdung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit iSd § 67 FPG ausgehe. Ihr Verhalten stelle keine unmittelbare Gefährdung für Personen und deren Gesundheit dar. Das BFA habe die Dauer des Aufenthaltsverbots nicht nachvollziehbar begründet. Ein fünfjähriges Aufenthaltsverbot sei angesichts des ausgeprägten und schützenswerten Familienlebens der BF im Inland jedenfalls unverhältnismäßig. Die aufschiebende Wirkung sei zu Unrecht aberkannt worden.

Das BFA legte die Beschwerde samt den Akten des Verwaltungsverfahrens dem Bundesverwaltungsgericht (BVwG) mit dem Antrag vor, sie als unbegründet abzuweisen.

Feststellungen:

Die am XXXX in der ungarischen Stadt XXXX geborene BF ist ungarische Staatsangehörige und beherrscht die ungarische Sprache.

Die BF besuchte in Ungarn die Pflichtschule, machte jedoch keine weitere Ausbildung. Sie hat aus einer in Ungarn geführten und seit langem beendeten Lebensgemeinschaft zwei Söhne, den am XXXX geborenen XXXX , der verheiratet ist und in Ungarn lebt, und den am XXXX geborenen XXXX , bei dem eine Entwicklungsverzögerung besteht. Die Söhne der BF sind ungarische Staatsangehörige.

Die BF hatte ihren Lebensmittelpunkt zunächst in Ungarn. Von XXXX bis XXXX hielt sie sich gemeinsam mit ihren Kindern in Österreich auf und war hier sporadisch unselbständig erwerbstätig. Erstmals im XXXX wurde ihr eine Anmeldebescheinigung als Arbeitnehmerin ausgestellt. Im XXXX schloss sie die Ehe mit einem Österreicher, der im XXXX verstarb. Die BF bezog daraufhin bis XXXX eine Witwenpension. Nach dem Ableben ihres Ehemanns kehrte sie im XXXX nach Ungarn zurück, wo sie bis Ende XXXX verblieb.

Im XXXX kehrte die BF nach Österreich zurück. Im XXXX folgte ihr ihr Sohn XXXX , mit dem sie hier seither (abgesehen von der Zeit ihrer Inhaftierung) in einem gemeinsamen Haushalt lebt. XXXX geht im Bundesgebiet weder einer Erwerbstätigkeit nach noch macht er eine Ausbildung. Er ist auch nicht krankenversichert; ihm wurde bei seinem neuerlichen Aufenthalt keine Anmeldebescheinigung ausgestellt.

Die BF war nach ihrer Wiedereinreise in das Bundesgebiet für ca. einen Monat im XXXX XXXX vollversichert unselbständig erwerbstätig, danach für mehrere Tage im XXXX , für ca. einen Monat im XXXX und von XXXX bis XXXX . Im XXXX war sie für einige Tage geringfügig beschäftigt. Danach war sie für ca. einen Monat im XXXX , für einen weiteren Monat im XXXX und wieder für ca. einen Monat im XXXX vollversichert erwerbstätig. Seither geht sie im Inland keiner Erwerbstätigkeit mehr nach. In den Zeiten, in denen sie nicht beschäftigt war, bezog sie Arbeitslosengeld (von XXXX XXXX , im XXXX , für einige Tage im XXXX und wieder seit XXXX ) bzw. Notstandshilfe (im XXXX und im XXXX ). Am XXXX wurde ihr wieder eine Anmeldebescheinigung als Arbeitnehmerin ausgestellt.

Am XXXX schloss die BF in Österreich die Ehe mit einem türkischen Staatsangehörigen. Mit ihm besteht kein gemeinsamer Haushalt und kein gemeinsames Familienleben, zumal er sich mittlerweile gar nicht mehr im Bundesgebiet aufhält.

Die BF wurde am XXXX in XXXX festgenommen, weil bei ihr bei einer Personendurchsuchung Compensantabletten, Benzodiazepine und ein namhafter Bargeldbetrag sichergestellt worden waren. Sie wurde am XXXX in die Justizanstalt XXXX überstellt; am XXXX wurde die Untersuchungshaft über sie verhängt. Mit dem Urteil des Landesgerichts für XXXX vom XXXX , XXXX , wurde sie wegen des Verbrechens des Suchtgifthandels nach § 28a Abs 1 fünfter Fall, Abs 2 Z 3 SMG und der Vergehen der Vorbereitung von Suchtgifthandel nach § 28 Abs 1 zweiter Fall SMG, des unerlaubten Umgangs mit psychotropen Stoffen nach § 30 Abs 1 fünfter Fall SMG und des Handels mit psychotropen Stoffen nach § 31a Abs 1 fünfter Fall SMG - ausgehend von einem Strafrahmen von einem bis zu zehn Jahren Freiheitsstrafe - rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von 18 Monaten verurteilt, wobei ein Strafteil von 12 Monaten bedingt (unter Bestimmung einer dreijährigen Probezeit) nachgesehen wurde. Gleichzeitig wurde ein Betrag von EUR 35.750, den sie durch ihre Straftaten erlangt hatte, für verfallen erklärt. Der Verurteilung lag zugrunde, dass sie im XXXX aufgrund ihrer schlechten finanziellen Situation den Entschluss gefasst hatte, sich durch den Verkauf von illegalen Substitutionsmedikamenten eine lukrative Einnahmequelle zu erschließen und außerdem Benzodiazepine aus Ungarn nach Österreich einzuführen. Zwischen XXXX verkaufte sie 990 Stück Compensantabletten (á 228 mg Morphin), entsprechend 22,5 Grenzmengen, sowie 11.000 Stück Rivotril-Tabletten á 2 mg (Wirkstoff Clonazepam) bzw. Frontin-Tabletten á 0,5 mg (Wirkstoff Alprazolam), insgesamt entsprechend rund 1,5 Grenzmengen, gewinnbringend an verschiedene Abnehmer und führte 5.200 Stück Rivotril-Tabletten bzw. Frontin-Tabletten aus Ungarn nach Österreich ein. Bei der Strafzumessung wurden die geständige Verantwortung und die Sicherstellung des Suchtgifts, das in Verkehr gesetzt werden sollte, als mildernd gewertet. Erschwerend wirkten sich das Zusammentreffen von strafbaren Handlungen und das Tatmotiv des Gewinnstrebens beim Suchtgifthandel aus. Es handelt sich um die erste und bislang einzige strafgerichtliche Verurteilung der BF. Ihre Verpflichtung zur Zahlung eines Verfahrenskostenbeitrags von EUR 150 und des Verfallsbetrags von EUR 35.750 wurde bis XXXX gestundet.

Die BF verbüßte den unbedingten Strafteil in der Justizanstalt XXXX . Am XXXX wurde sie unter Bestimmung einer dreijährigen Probezeit und Anordnung der Bewährungshilfe bedingt entlassen. Seither wohnt sie wieder – wie vor der Inhaftierung – in XXXX in einem gemeinsamen Haushalt mit ihrem jüngeren Sohn und bezieht Arbeitslosengeld. Sie ist grundsätzlich weitestgehend gesund und arbeitsfähig.

Beweiswürdigung:

Der Verfahrensgang ergibt sich widerspruchsfrei aus dem unbedenklichen Inhalt der vorgelegten Verwaltungsakten.

Name, Geburtsdatum, Geburtsort und Staatsangehörigkeit der BF gehen aus ihrem ungarischen Personalausweis, der dem BVwG in Kopie vorgelegt wurde, hervor. Ungarischkenntnisse sind angesichts ihrer Herkunft und der in Ungarn absolvierten schulischen Ausbildung plausibel, zumal der Hauptverhandlung im Strafverfahren eine Ungarischdolmetscherin beigezogen wurde. Die Feststellungen zur Ausbildung der BF, zu ihren beiden Söhnen und zu ihrem ersten Inlandsaufenthalt in den Jahren XXXX bis XXXX basieren auf ihrer Stellungnahme an das BFA. Darin gibt die BF auch an, dass sie sich zwischen XXXX und XXXX in Ungarn aufgehalten hat.

Die Erwerbstätigkeit der BF in Österreich ergibt sich aus den Sozialversicherungsdaten, ebenso der Bezug von Witwenpension, Arbeitslosengeld und Notstandshilfe. Die Daten ihrer Eheschließungen sind im Zentralen Melderegister (ZMR) dokumentiert. Da die BF ihren zweiten Ehemann in ihrer Stellungnahme nicht erwähnt und laut Strafurteil von ihm getrennt lebt, ergibt sich, dass kein gemeinsames Familienleben existiert, zumal er laut ZMR in Österreich nicht gemeldet ist.

Die beiden der BF erteilten Anmeldebescheinigungen sind im Informationsverbundsystem Zentrales Fremdenregister (IZR) dokumentiert.

Der jüngere Sohn der BF ist laut ZMR seit XXXX an derselben Adresse wie sie mit Hauptwohnsitz gemeldet. Laut IZR hat er keine Anmeldebescheinigung. Laut Sozialversicherungsdaten ist er im Inland weder erwerbstätig noch krankenversichert. Es ist glaubhaft, dass er – wie die BF behauptet – im Inland eine Lehrstelle sucht; dies ist ihm jedoch offenbar bislang noch nicht gelungen. Die Feststellungen zu Wohnort und Familienstand des älteren Sohnes der BF folgen ihren Angaben in der Stellungnahme an das BFA.

Über die Feststellungen hinausgehende private oder familiäre Bindungen der BF im Inland werden weder in ihrer Stellungnahme noch in der Beschwerde behauptet und lassen sich auch sonst den Verwaltungsakten nicht entnehmen.

Die Feststellungen zu den von der BF begangenen Straftaten, zu ihrer Verurteilung und zu den Strafbemessungsgründen basieren auf dem Strafregister und dem Strafurteil. Es ist davon auszugehen, dass es sich bei dem Verweis auf ihr „massiv einschlägig belastetes“ Vorleben im Strafurteil um einen Irrtum handelt, zumal die BF laut Strafregister keine weiteren Vorstrafen aufweist und im Strafurteil an anderer Stelle ihre bisherige gerichtliche Unbescholtenheit konstatiert wird. Der Beschwerdebehauptung, ihr strafbares Verhalten stelle keine unmittelbare Gefährdung für Personen und deren Gesundheit dar, sind die verheerenden Auswirkungen des Konsums von illegalen Suchtmitteln und psychotropen Stoffen wie denen, mit denen die (selbst nicht süchtige) BF gehandelt hat, auf die Gesundheit der Konsumenten entgegenzuhalten, die sie aus Gewinnstreben in Kauf genommen hat. Sie kann sich in diesem Verfahren nicht erfolgreich darauf berufen, dass sie die Taten, wegen denen sie rechtskräftig strafgerichtlich verurteilt wurde, nicht begangen habe.

Die Feststellungen zum Strafvollzug basieren auf den aktenkundigen Vollzugsinformationen und der Wohnsitzmeldung der BF in einer Justizanstalt laut ZMR. Aus dem Strafregister gehen ihre bedingte Entlassung sowie die Anordnung der Bewährungshilfe hervor.

Es liegen keine Beweisergebnisse für signifikante Erkrankungen der BF oder Einschränkungen ihrer Arbeitsfähigkeit vor. Auch der Bezug von Arbeitslosengeld spricht dafür, dass sie grundsätzlich arbeitsfähig ist, zumal sie laut ihrer Stellungnahme alsbald wieder eine neue Arbeit aufnehmen möchte.

Der Beschluss vom XXXX 2025 über die Stundung des Verfahrenskostenbeitrags und des Verfallsbetrags wurde von der BF mit ihrer Stellungnahme vorgelegt.

Rechtliche Beurteilung:

Zu Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheids:

Als Staatsangehörige von Ungarn ist die BF Fremde iSd § 2 Abs 4 Z 1 FPG und EWR-Bürgerin iSd § 2 Abs 4 Z 8 FPG.

Gemäß § 67 Abs 1 FPG ist die Erlassung eines Aufenthaltsverbots gegen sie zulässig, wenn auf Grund ihres persönlichen Verhaltens die öffentliche Ordnung und Sicherheit gefährdet ist. Das Verhalten muss eine tatsächliche, gegenwärtige und erhebliche Gefahr darstellen, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt. Strafrechtliche Verurteilungen allein können diese Maßnahmen nicht ohne weiteres begründen. Vom Einzelfall losgelöste oder auf Generalprävention verweisende Begründungen sind nicht zulässig. Die Erlassung eines Aufenthaltsverbots gegen EWR-Bürger, die ihren Aufenthalt seit zehn Jahren im Bundesgebiet hatten, ist nur dann zulässig, wenn aufgrund ihres persönlichen Verhaltens davon ausgegangen werden kann, dass die öffentliche Sicherheit der Republik Österreich durch den Verbleib im Bundesgebiet nachhaltig und maßgeblich gefährdet würde.

Gemäß § 67 Abs 2 FPG kann ein Aufenthaltsverbot für die Dauer von höchstens zehn Jahren erlassen werden. Bei einer besonders schwerwiegenden Gefahr für die öffentliche Ordnung oder Sicherheit (so etwa bei einer rechtskräftigen Verurteilung zu einer unbedingten Freiheitsstrafe von mehr als fünf Jahren) kann es gemäß § 67 Abs 3 FPG auch unbefristet erlassen werden.

Bei Erlassung eines Aufenthaltsverbots ist eine einzelfallbezogene Gefährdungsprognose zu erstellen, bei der das Gesamtverhalten des bzw. der Betroffenen in Betracht zu ziehen und auf Grund konkreter Feststellungen eine Beurteilung dahin vorzunehmen ist, ob und im Hinblick auf welche Umstände die maßgebliche Gefährdungsannahme gerechtfertigt ist. Dabei ist nicht auf die bloße Tatsache einer Verurteilung oder Bestrafung, sondern auf die Art und Schwere der zu Grunde liegenden Straftaten und auf das sich daraus ergebende Persönlichkeitsbild abzustellen. Bei der nach § 67 Abs 1 FPG zu erstellenden Gefährdungsprognose geht schon aus dem Gesetzeswortlaut klar hervor, dass auf das "persönliche Verhalten" abzustellen ist und strafgerichtliche Verurteilungen allein nicht ohne weiteres ein Aufenthaltsverbot begründen können (siehe z.B. VwGH 22.08.2019, Ra 2019/21/0091).

Gemäß § 9 BFA-VG ist (soweit fallbezogen relevant) die Erlassung eines Aufenthaltsverbots gemäß § 67 FPG, das in das Privat- und Familienleben eines bzw. einer Fremden eingreift, zulässig, wenn dies zur Erreichung der im Art 8 Abs 2 EMRK genannten Ziele (nationale Sicherheit, öffentliche Ruhe und Ordnung, wirtschaftliches Wohl des Landes, Verteidigung der Ordnung, Verhinderung von strafbaren Handlungen, Schutz der Gesundheit und der Moral, Schutz der Rechte und Freiheiten anderer) dringend geboten ist. Dabei sind gemäß § 9 Abs 2 BFA-VG insbesondere die Art und Dauer des bisherigen Aufenthalts und die Frage, ob dieser rechtswidrig war (Z 1), das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens (Z 2), die Schutzwürdigkeit des Privatlebens (Z 3), der Grad der Integration (Z 4), die Bindungen zum Heimatstaat (Z 5), die strafgerichtliche Unbescholtenheit (Z 6), Verstöße gegen die öffentliche Ordnung, insbesondere im Bereich des Asyl-, Fremdenpolizei- und Einwanderungsrechts (Z 7), die Frage, ob das Privat- und Familienleben in einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten des unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren (Z 8) und die Frage, ob die Dauer des bisherigen Aufenthaltes in den Behörden zurechenbaren überlangen Verzögerungen begründet ist (Z 9), zu berücksichtigen.

Bei der Festsetzung der Dauer des Aufenthaltsverbotes ist gemäß § 67 Abs 4 FPG auf alle für seine Erlassung maßgeblichen Umstände Bedacht zu nehmen, insbesondere auch auf die privaten und familiären Verhältnisse (VwGH 24.05.2016, Ra 2016/21/0075).

Die Kontinuität des Aufenthalts im Bundesgebiet wird gemäß § 53a Abs 2 NAG nicht unterbrochen von Abwesenheiten von bis zu insgesamt sechs Monaten im Jahr, Abwesenheiten zur Erfüllung militärischer Pflichten oder durch eine einmalige Abwesenheit von höchstens zwölf aufeinander folgenden Monaten aus wichtigen Gründen.

Die BF hält sich aktuell seit Ende XXXX wieder in Österreich auf. Die Kontinuität ihres Aufenthalts wurde dadurch, dass sie sich zwischen XXXX und XXXX nicht im Bundesgebiet aufgehalten hatte, unterbrochen. Daher ist der Gefährdungsmaßstab des § 67 Abs 1 zweiter bis vierter Satz FPG („tatsächliche, gegenwärtige und erhebliche Gefahr, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt“) anzuwenden.

Aufgrund des durch mehrere Monate hindurch ausgeführten grenzüberschreitenden Handels mit großen Suchtmittelmengen, den die BF zu verantworten hat, geht von ihr eine so schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Ordnung und Sicherheit aus, dass ein Aufenthaltsverbot gegen sie erlassen werden muss, wobei aufgrund ihrer finanziellen Situation und ihrer Beschäftigungslosigkeit die bei Suchtgiftdelikten grundsätzlich hohe Wiederholungsgefahr aktuell noch zusätzlich akzentuiert ist. Das persönliche Verhalten der BF stellt eine Gefahr dar, die Grundinteressen der Gesellschaft iSd Art 8 Abs 2 EMRK (an der Verteidigung der öffentlichen Ruhe und Ordnung, der Verhinderung von strafbaren Handlungen sowie zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer und der Gesundheit) berührt. Der VwGH hat in Bezug auf Suchtgiftdelinquenz bereits wiederholt festgehalten, dass diese ein besonders verpöntes Fehlverhalten darstellt, an dessen Verhinderung ein besonders großes öffentliches Interesse besteht (siehe VwGH 23.02.2016, Ra 2015/01/0249 sowie 01.04.2019, Ra 2018/19/0643).

Aufgrund der qualifizierten Delinquenz der BF und der daraus ableitbaren hohen Gefährdung der öffentlichen Sicherheit kann für sie trotz der erhöhten spezialpräventiven Wirkung des Erstvollzugs keine positive Zukunftsprognose erstellt werden. Ein Gesinnungswandel einer Straftäterin ist grundsätzlich daran zu messen, ob und wie lange sie sich - nach dem Vollzug einer Haftstrafe - in Freiheit wohlverhalten hat (VwGH 19.12.2019, Ra 2019/21/0276). Hier wurde die BF auf frischer Tat bei der Vorbereitung von Suchtgifthandel betreten und unverzüglich verhaftet; danach war sie bis XXXX in Haft. Die kurze seither verstrichene Zeit reicht nicht aus, um einen Wegfall oder eine maßgebliche Minderung der von ihr ausgehenden Gefahr annehmen zu können.

Die BF ist am österreichischen Arbeitsmarkt nicht nachhaltig integriert und hat im Inland - abgesehen von ihrem jüngeren Sohn - keine familiären Anknüpfungen. Dieser ist im Inland weder erwerbstätig noch macht er eine Ausbildung noch besteht eine Krankenversicherung, sodass es ihm zumutbar ist, die BF nach Ungarn zu begleiten, wenn aufgrund seiner Entwicklungsverzögerung ein Abhängigkeitsverhältnis bestehen sollte, zumal er sich erst seit kurzem in Österreich aufhält, hier offenbar nicht integriert ist und kein eigenständiges unionsrechtliches Aufenthaltsrecht hat. Da die BF in Österreich immer wieder erwerbstätig war und hier wohl auch Sozialkontakte geknüpft hat, greift das Aufenthaltsverbot in ihr Privatleben ein.

Die deshalb vorzunehmende einzelfallbezogene gewichtende Abwägung des öffentlichen Interesses an der Aufenthaltsbeendigung mit ihren gegenläufigen persönlichen Interessen, insbesondere unter Berücksichtigung der in § 9 Abs 2 BFA-VG genannten Kriterien und unter Einbeziehung der sich aus § 9 Abs 3 BFA-VG ergebenden Wertungen, ergibt, dass der mit dem Aufenthaltsverbot verbundene Eingriff in ihr Privat- und Familienleben verhältnismäßig ist. Aufgrund der qualifizierten Suchtgiftkriminalität besteht ein besonders großes öffentliches Interesse an der Aufenthaltsbeendigung. Die BF kann allfällige Kontakte zu in Österreich lebenden Bezugspersonen durch Telefonate, Briefe und elektronische Kommunikationsmittel (Internet, E-Mail, soziale Medien) sowie durch Besuche außerhalb Österreichs pflegen. Es ist ihr zumutbar, eine Erwerbstätigkeit außerhalb Österreichs aufzunehmen und ihre Schulden vom Ausland aus zurückzuzahlen. Das Aufenthaltsverbot wurde somit dem Grunde nach zu Recht erlassen.

Da die BF zum ersten Mal strafgerichtlich verurteilt wurde und sich im Strafverfahren geständig verantwortete, sodass der Strafrahmen bei weitem nicht ausgeschöpft wurde, und aus dem Vollzug des unbedingten Strafteils vorzeitig bedingt entlassen werden konnte, ist (auch unter Berücksichtigung der offenen Probezeit) ein vierjähriges Aufenthaltsverbot ausreichend, um der von ihr ausgehenden Gefährdung der öffentlichen Ordnung wirksam zu begegnen. Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheids ist in diesem Sinn abzuändern.

Zu den Spruchpunkten II. und III. des angefochtenen Bescheids:

Gemäß § 70 Abs 3 FPG ist EWR-Bürgern bei der Erlassung einer Ausweisung von Amts wegen ein Durchsetzungsaufschub von einem Monat zu erteilen, es sei denn, die sofortige Ausreise wäre im Interesse der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit erforderlich. Gemäß § 18 Abs 3 BFA-VG kann die aufschiebende Wirkung einer Beschwerde gegen ein Aufenthaltsverbot aberkannt werden, wenn deren sofortige Ausreise oder die sofortige Durchsetzbarkeit im Interesse der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit erforderlich ist.

Die Aberkennung der aufschiebenden Wirkung und die Versagung eines Durchsetzungsaufschubs bedürfen – insbesondere angesichts der weitreichenden damit verbundenen Konsequenzen – einer entsprechend sorgfältigen, einzelfallbezogenen Begründung. Sie dürfen nicht ausschließlich darauf gestützt werden, dass die Voraussetzungen für die Erlassung eines Aufenthaltsverbots erfüllt sind. Das BFA muss vielmehr nachvollziehbar darlegen, warum die Aufenthaltsbeendigung sofort - ohne Aufschub und unabhängig vom Ergebnis des Beschwerdeverfahrens - zu erfolgen hat (vgl. VwGH 27.08.2020, Ra 2020/21/0172). Es bedarf daher einer über die Erwägungen für die Erlassung des Aufenthaltsverbots nach § 67 FPG hinausgehenden besonderen Begründung, weshalb die Annahme gerechtfertigt ist, der weitere Aufenthalt der BF während der Dauer des Beschwerdeverfahrens gefährde die öffentliche Ordnung oder Sicherheit derart, dass die sofortige Ausreise bzw. Abschiebung schon nach Erlassung des erstinstanzlichen Bescheids erforderlich ist (vgl. VwGH 16.01.2020, Ra 2019/21/0360).

Eine solche Begründung lässt sich dem angefochtenen Bescheid nicht entnehmen. Die Aberkennung der aufschiebenden Wirkung und die Versagung eines Durchsetzungsaufschubs wurden vielmehr nur mit dem Gesetzeswortlaut unter Verweis auf die bereits für die Erlassung des Aufenthaltsverbots maßgeblichen Erwägungen begründet. Da die BF erstmals strafgerichtlich verurteilt wurde und nach der Haftentlassung derzeit offenbar in geordneten Verhältnissen lebt, ist trotz der Schwere ihrer Straftaten derzeit nicht davon auszugehen, dass ihre sofortige Ausreise oder die sofortige Durchsetzbarkeit des Aufenthaltsverbots im Interesse der öffentlichen Ordnung und Sicherheit geboten ist. Dabei ist auch die grundsätzlich hohe spezialpräventive Wirkung des Erstvollzugs zu berücksichtigen. Spruchpunkt II. des angefochtenen Bescheids ist daher dahingehend abzuändern, dass der BF ein einmonatiger Durchsetzungsaufschub eingeräumt wird. Spruchpunkt III. des angefochtenen Bescheids ist ersatzlos zu beheben, zumal angesichts der Erlassung der Entscheidung des BVwG über die Beschwerde innerhalb einer Woche nach Aktenvorlage kein Bedarf nach einer ausdrücklichen Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung besteht.

Zum Entfall einer mündlichen Verhandlung:

Da der relevante Sachverhalt aus der Aktenlage und dem Beschwerdevorbringen geklärt werden konnte und auch bei einem positiven Eindruck von der BF bei einer mündlichen Verhandlung keine weitere Herabsetzung oder gar ein Entfall des Aufenthaltsverbots möglich wäre, zumal die entscheidungswesentlichen Tatsachen nicht strittig sind, unterbleibt die beantragte Beschwerdeverhandlung gemäß § 21 Abs 7 BFA-VG, da von deren Durchführung keine weitere Klärung der Angelegenheit zu erwarten ist.

Zu Spruchteil C):

Die einzelfallbezogene Erstellung einer Gefährdungsprognose, die Interessenabwägung gemäß § 9 BFA-VG und die Bemessung der Dauer eines Aufenthaltsverbots sind im Allgemeinen nicht revisibel (siehe VwGH 20.10.2016, Ra 2016/21/0284, 01.03.2018, Ra 2018/19/0014 und 10.07.2019, Ra 2019/19/0186). Die Revision ist nicht zuzulassen, weil sich das BVwG im vorliegenden Einzelfall an der zitierten VwGH-Rechtsprechung orientieren konnte und keine darüber hinausgehende grundsätzliche Rechtsfrage iSd Art 133 Abs 4 B-VG zu lösen war.

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