Spruch
I423 2312674-1/2E
I423 2312675-1/4E
Beschluss
Das Bundesverwaltungsgericht fasst durch die Richterin Mag. Daniela GREML über die Beschwerden der mj. ägyptischen Staatsangehörigen 1. XXXX , geb. am XXXX , und 2. XXXX , geb. am XXXX , beide vertreten durch die Mutter XXXX , diese vertreten durch die BBU GmbH, gegen die Bescheide des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl, Regionaldirektion Salzburg vom jeweils 01.04.2025, IFA-Zahlen/Verfahrenszahlen: 1. XXXX und 2. XXXX , den Beschluss:
A)
Die angefochtenen Bescheide werden gemäß § 28 Abs. 3 VwGVG aufgehoben und die Angelegenheiten zur Erlassung neuer Bescheide an das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zurückverwiesen.
B)
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
Begründung:
I. Verfahrensgang:
Nachdem dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (in der Folge als BFA oder belangte Behörde bezeichnet) die Geburt der beiden Beschwerdeführer in Österreich bekannt wurde, wurden Asylverfahren für die beiden angelegt.
In einem Aktenvermerk vom 31.03.2025 wurden die bisherigen Verfahren der Eltern und älteren Geschwister zusammengefasst und dargestellt.
Mit Bescheiden vom jeweils 01.04.2025 wies das BFA die Anträge auf internationalen Schutz beider Beschwerdeführer in Hinblick auf die Zuerkennung der Status der Asyl- und subsidiär Schutzberechtigen in Bezug auf ihren Herkunftsstaat Ägypten (Spruchpunkte I. und II.) ab. Eine Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz wurde ihnen nicht erteilt (Spruchpunkte III.), gegen die Beschwerdeführer eine Rückkehrentscheidung erlassen (Spruchpunkte IV.) und die Zulässigkeit ihrer Abschiebung nach Ägypten festgestellt (Spruchpunkte V.). Für die freiwillige Ausreise wurde eine 14-tägige Frist gewährt (Spruchpunkte VI.).
In der Beschwerde vom 30.04.2025 wurde unter anderem moniert, dass keine Einvernahme der gesetzlichen Vertreterin zu den Fluchtgründen stattfand und, dass der gesetzlichen Vertreterin nur ein Bescheid, nämlich jener für XXXX zugestellt wurde. Sicherheitshalber werde aber für beide Kinder unter Einem Beschwerde erhoben.
Die Beschwerde und die Bezug habenden Verwaltungsakten für beide Beschwerdeführer wurden dem Bundesverwaltungsgericht am 15.05.2025 zur Entscheidung vorgelegt. Am 19.05.2025 legte das BFA zudem auf Nachfrage des Bundesverwaltungsgerichts den elektronisch nachvollziehbaren Zustellprozess für den Bescheid zu IFA-Zahl/Verfahrenszahl: XXXX vor.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen und Beweiswürdigung:
Aufgrund einer Anfrage des Referates Grundversorgung für Fremde des Amts der oberösterreichischen Landesregierung erlangte das BFA Kenntnis von der Geburt der beiden Beschwerdeführer.
Die am XXXX geborenen Brüder sind Zwillinge und Söhne der XXXX , die die gesetzliche Vertreterin der beiden ist. Dies ergibt sich aus den Geburtsurkunden (AS 13 und AS 15 zu XXXX ).
Die Asylverfahren der Eltern und älteren Geschwister wurden zuletzt rechtskräftig mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 03.04.2023 zu GZen. XXXX , XXXX , XXXX und XXXX negativ entschieden und sind die Familienangehörigen seither ihrer Rückkehrverpflichtung nicht nachgekommen.
Weder die Mutter, noch der Vater der Beschwerdeführer wurden niederschriftlich zu den Fluchtgründen der minderjährigen Beschwerdeführer befragt. Auch eine schriftliche Stellungnahme liegt nicht vor. Aus einem E-Mail der Caritas XXXX (AS 6 zu XXXX ) und aus dem Verfahrensgang der angefochtenen Bescheide (Bescheide S 4) ergibt sich zwar, dass die gesetzliche Vertreterin zumindest die Geburtsurkunden beim BFA vorgelegt hat, ein Aktenvermerk über diese Amtshandlung fehlt allerdings und kann aus den vorgelegten Verwaltungsakten ein Erscheinen der Mutter vor der belangten Behörde nicht nachvollzogen werden. Den Akten ist auch keine niederschriftliche Einvernahme der gesetzlichen Vertreterin zu entnehmen und auch nicht, dass ihr Gelegenheit dazu gegeben worden wäre, Fluchtgründe darzulegen. Eine Ladung zu einem Einvernahmetermin erfolgte nicht und ergibt sich aus den Verwaltungsakten auch nicht, dass ihr beispielsweise das Länderinformationsblatt zur Kenntnis gebracht worden wäre.
Insgesamt musste daher festgestellt werden, dass das BFA jegliche Ermittlungsschritte zur Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts in Hinblick auf die Fluchtgründe der Beschwerdeführer, auf ihre aktuelle persönliche Situation und auch auf etwaige Rückkehrhindernisse bzw. –befürchtungen vor dem Hintergrund der herkunftsstaatsspezifischen Gegebenheiten unterlassen hat.
Stattdessen hat es die angefochtenen Bescheide erlassen, die der gesetzlichen Vertreterin für beide Beschwerdeführer zugestellt worden sind. Die Übernahmebestätigung beurkundet, dass sie am 11.04.2025 den Bescheid für XXXX persönlich entgegen genommen hat (AS 83 zu XXXX ). Der Bescheid für XXXX wurde durch Hinterlegung am 10.04.2025 zugestellt. Diesen hat sie nicht behoben (AS 83 zu XXXX ). Der Zustellprozess ist zudem elektronisch nachvollziehbar (OZ 3) und bestehen daher keine Zweifel an der rechtswirksamen Zustellung durch Hinterlegung.
2. Rechtliche Beurteilung:
Zu A) Aufhebung und Zurückverweisung:
Gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG hat das Verwaltungsgericht über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG (Bescheidbeschwerden) dann in der Sache selbst zu entscheiden, wenn der maßgebliche Sachverhalt feststeht (Z 1) oder dessen Feststellung durch das Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist (Z 2).
Nach § 28 Abs. 3 VwGVG hat das Verwaltungsgericht, wenn diese Voraussetzungen nicht vorliegen, im Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG in der Sache selbst zu entscheiden, wenn die Behörde dem nicht bei der Beschwerdevorlage unter Bedachtnahme auf die wesentliche Vereinfachung oder Beschleunigung des Verfahrens widerspricht. Hat die Behörde notwendige Ermittlungen des Sachverhalts unterlassen, so kann das Verwaltungsgericht den angefochtenen Bescheid mit Beschluss aufheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an die Behörde zurückverweisen. Die Behörde ist dabei an die rechtliche Beurteilung gebunden, von der das Verwaltungsgericht bei seinem Beschluss ausgegangen ist.
Das Modell der Aufhebung des Bescheids und die Zurückverweisung der Angelegenheit an die belangte Behörde folgt konzeptionell dem des § 66 Abs. 2 AVG (Fister/Fuchs/Sachs, Verwaltungsgerichtsverfahren [2018] § 28 VwGVG Anm. 11). Bei der Ausübung des Ermessens nach § 66 Abs. 2 f AVG sind auch die Bedeutung und die Funktion der Rechtmittelbehörde ins Kalkül zu ziehen. Die Einräumung eines Instanzenzugs darf nicht "zur bloßen Formsache degradiert" werden, indem sich das Asylverfahren mangels sachgerechten Eingehens und brauchbarer Ermittlungsergebnisse [in erster Instanz] "einem eininstanzlichen Verfahren [...] nähert", in dem eine ernsthafte Prüfung des Antrages erst bei der zweiten und letzten Instanz beginnt und auch endet (VwGH 21.11.2002, 2000/20/0084).
Die Begründung eines Bescheides hat Klarheit über die tatsächlichen Annahmen der Behörde und ihre rechtlichen Erwägungen zu schaffen. Als Sachverhalt hat sie daher alle Feststellungen in konkretisierter Form zu enthalten, die zur Subsumierung unter die von der Behörde herangezogene Norm erforderlich sind. Nur so ist es möglich, den Bescheid auf seine Rechtsrichtigkeit zu überprüfen (VwGH 28.07.1994, 90/07/0029 mwH).
Dennoch kommt eine Aufhebung des Bescheids nicht in Betracht, wenn der für die Entscheidung maßgebliche Sachverhalt feststeht oder seine Feststellung durch das Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist. Von der Möglichkeit der Zurückverweisung kann nur bei krassen, besonders gravierenden Ermittlungslücken Gebrauch gemacht werden. Eine Zurückverweisung zur Durchführung notwendiger Ermittlungen kommt daher insbesondere dann in Betracht, wenn die Verwaltungsbehörde jegliche erforderliche Ermittlungstätigkeit unterlassen hat, wenn sie zur Ermittlung des maßgebenden Sachverhalts (§ 37 AVG) "lediglich völlig ungeeignete Ermittlungsschritte gesetzt oder bloß ansatzweise ermittelt hat. Gleiches gilt, wenn konkrete Anhaltspunkte annehmen lassen, dass die Verwaltungsbehörde (etwa schwierige) Ermittlungen unterließ, damit diese dann durch das Verwaltungsgericht vorgenommen werden" (VwGH 26.06.2014, Ro 2014/03/0063).
Das Verwaltungsgericht hat nachvollziehbar zu begründen, wenn es eine meritorische Entscheidungszuständigkeit nicht als gegeben annimmt, z. B. weil es das Vorliegen der Voraussetzungen des § 28 Abs. 2 Z 1 f VwGVG verneint und von der Möglichkeit des § 28 Abs. 3 erster Satz VwGVG keinen Gebrauch macht, dessen ungeachtet selbst zu entscheiden. Die in § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG vorgesehene Zurückverweisungsmöglichkeit ist nämlich eine Ausnahme von der grundsätzlichen meritorischen Entscheidungspflicht der Verwaltungsgerichte.
Im vorliegenden Fall hat das BFA erforderliche Ermittlungen zur Feststellung des für die Entscheidung maßgeblichen Sachverhalts unterlassen und nicht einmal ansatzweise ermittelt. Es steht weder fest, auf welche Gründe sich die Asylanträge der Beschwerdeführer stützen, noch, ob und gegebenenfalls welche Vulnerabilitäten oder Hindernisse einer Rückkehrentscheidung entgegenstehen. Auch die Länderfeststellungen wurden den Beschwerdeführern nicht zur Kenntnis gebracht und ihnen auch keine Möglichkeit eröffnet, dazu Stellung zu nehmen.
In keinem der vorgelegten Verwaltungsakten finden sich konkrete Asylanträge für die beiden minderjährigen Beschwerdeführer. Der belangten Behörde ist die Geburt der beiden Beschwerdeführer durch eine E-Mail-Anfrage des Amts der XXXX Landesregierung bekannt geworden. Gemäß § 17a Abs. 2 iVm Abs. 3 AsylG 2005 gelten die Anträge der beiden Beschwerdeführer als Kinder einer Asylwerberin, die sich nach rechtskräftigem Abschluss ihres Asylverfahrens unrechtmäßig in Österreich aufhält, damit als gestellt und eingebracht.
Daraus ergibt sich aber nicht, welche Gründe für die Beschwerdeführer geltend gemacht werden und genügt es auch nicht in den Bescheiden auszuführen, dass ihre Mutter als gesetzliche Vertreterin im gesamten Verfahren keine eigenen Fluchtgründe für die Beschwerdeführer vorgebracht habe. Im Verfahrensgang wird zwar angegeben, dass die Mutter als gesetzliche Vertreterin Asylanträge für die Beschwerdeführer beim BFA eingebracht und dabei Geburtsurkunden vorgelegt hätte, ein Aktenvermerk oder eine Niederschrift über diese Amtshandlung findet sich aber nicht in den Verwaltungsakten. Die gesetzliche Vertreterin wurde auch nicht explizit zu einer Einvernahme geladen oder niederschriftlich einvernommen, sodass ihr gar nicht die Möglichkeit eröffnet wurde, nähere Angaben zu machen. Die Begründung fußt also auf der bloßen Annahme, die Beschwerdeführern hätten (ausschließlich) dieselben Gründe wie ihre Eltern.
Gemäß § 18 Abs. 1 AsylG 2005 haben das BFA und das Bundesverwaltungsgericht in allen Stadien des Verfahrens von Amts wegen darauf hinzuwirken, dass die für die Entscheidung erheblichen Angaben gemacht oder lückenhafte Angaben über die zur Begründung des Antrages geltend gemachten Umstände vervollständigt, die Beweismittel für diese Angaben bezeichnet oder die angebotenen Beweismittel ergänzt und überhaupt alle Aufschlüsse gegeben werden, welche zur Begründung des Antrages notwendig erscheinen. Erforderlichenfalls sind Beweismittel auch von Amts wegen beizuschaffen.
Ein Asylwerber ist gemäß § 19 Abs. 2 AsylG 2005 vom BFA, soweit er nicht auf Grund von in seiner Person gelegenen Umständen nicht in der Lage ist, durch Aussagen zur Feststellung des maßgeblichen Sachverhaltes beizutragen, zumindest einmal im Zulassungsverfahren und – soweit nicht bereits im Zulassungsverfahren über den Antrag entschieden wird – zumindest einmal nach Zulassung des Verfahrens einzuvernehmen.
Diesen Schritt hat das BFA zur Gänze unterlassen und damit jegliche Ermittlungstätigkeit in Hinblick auf Fluchtgründe, Rückkehrvoraussetzungen und Länderfeststellungen (die zwischenzeitlich gesamtaktualisiert wurden mit Stand 03.04.2025) an das Bundesverwaltungsgericht delegiert.
Es wird also im fortgesetzten Verfahren zunächst Fluchtgründe zu erfragen haben und sich mit möglichen Beweismitteln, nicht nur durch Befragen der gesetzlichen Vertreterin der Beschwerdeführer, sondern auch durch spezifische länderkundliche Ermittlungen, auseinanderzusetzen haben. Nur auf diese Weise wird die im Beschwerdefall folgende verwaltungsgerichtliche Kontrolle des Bescheids möglich.
Es hat sich nicht ergeben, dass die Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts durch das BVwG selbst im Interesse der Raschheit gelegen wäre, zumal nichts darauf hindeutet, dass die erforderlichen Feststellungen durch das Gericht selbst, verglichen mit Feststellungen durch das BFA nach Zurückverweisung der Angelegenheiten, mit einer wesentlichen Zeitersparnis oder Verkürzung der Verfahrensdauer verbunden wären.
Schließlich liegt auch kein Anhaltspunkt dahingehend vor, dass die Feststellung durch das Gericht selbst verglichen mit einer solchen durch die BFA-Dienststelle in XXXX mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden wäre, zumal die anzuhörenden Beschwerdeführer in XXXX wohnen und eine Anreise nach XXXX in die Außenstelle des BVwG deutlich länger dauern und kostenintensiver sein würde.
Da somit die Voraussetzungen des § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG vorliegen, waren die angefochtenen Bescheide aufzuheben und die Angelegenheiten zur Erlassung neuer Bescheide an die belangte Behörde zurückzuverweisen. Im Hinblick darauf konnte eine Behandlung der weiteren Vorbringen unterbleiben.
Zum Unterbleiben einer Verhandlung:
Da auf Grund der Aktenlage feststeht, dass die mit Beschwerde angefochtenen Bescheide aufzuheben sind, konnte gemäß § 24 Abs. 2 Z 1 VwGVG die Durchführung einer Verhandlung entfallen.
Zu B) Unzulässigkeit der Revision:
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder fehlt es an einer Rechtsprechung zu den Erfordernissen einer umfänglichen Sachverhaltsermittlung, noch weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu den Voraussetzungen einer kassatorischen Entscheidung ab; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.