Spruch
W227 2310161-1/2E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin Mag. Karin WINTER über die Beschwerde der Erstbeschwerdeführerin XXXX , Erziehungsberechtigte der am XXXX geborenen Zweitbeschwerdeführerin XXXX , gegen den Bescheid der Bildungsdirektion für Oberösterreich vom 21. Februar 2025, Zl. Präs/3a-101-3/17-2025, zu Recht:
A)
Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
B)
Die Revision ist nicht zulässig.
Text
Entscheidungsgründe:
I. Verfahrensgang
1. Am 30. Jänner 2025 suchte die Erstbeschwerdeführerin um Befreiung der Zweitbeschwerdeführerin vom Schulbesuch aus medizinischen Gründen an.
2. Mit dem angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde gemäß § 15 Abs. 1 Schulpflichtgesetz (SchPflG) diesen Antrag ab und sprach weiters aus, dass die Zweitbeschwerdeführerin ab dem Schuljahr 2025/2026 die Schulpflicht zu erfüllen habe.
Begründend führte die belangte Behörde zusammengefasst aus:
Die Zweitbeschwerdeführerin sei schulpflichtig, aber (noch) nicht schulreif.
Medizinische Gründe, die dem Besuch der Schule entgegenstehen oder dieser dadurch für die Zweitbeschwerdeführerin zu einer unzumutbaren Belastung werden ließe, lägen nicht vor. Eine Beschulung aufgrund des Nichtvorliegens der Schulreife in einer Vorschulstufe sei möglich.
3. Dagegen erhob die Erstbeschwerdeführerin fristgerecht die vorliegende Beschwerde, in welcher sie im Wesentlichen ausführte:
Die Zweitbeschwerdeführerin müsse täglich ein Medikament zu sich nehmen, um ihrer Niedergeschlagenheit und dem Erschöpfungszustand entgegenzuwirken. Es sei ihr erst dadurch möglich, den Kindergarten regelmäßig besuchen zu können. Sie fühle sich im aktuellen Kindergarten sehr wohl und habe dort enge Freundschaften geschlossen. Ein Wechsel in die Vorschule oder eine andere Einrichtung würde für sie eine erhebliche emotionale Belastung darstellen, was sich wiederum negativ auf ihren Gesundheitszustand auswirken würde. Sie habe bereits geäußert, dass sie sich an einem anderen Ort nicht wohlfühlen würde. Ein weiteres Jahr im vertrauten Kindergartenumfeld würde ihr emotionales Wohlbefinden und ihre soziale Entwicklung fördern.
Weiters legte die Erstbeschwerdeführerin eine Stellungnahme eines Facharztes für Allgemeinmedien und Familienmedizin, erstellt am 6. März 2025, vor. Danach leide die Zweitbeschwerdeführerin an Beta-Thalassämie minor (ICD-10-Code: D56.1). Sie sei noch nicht schulreif und könne wegen peripherer muskulärer Erschöpfung nur schwer längere Strecken gehen.
4. Am 2. April 2025 legte die belangte Behörde die Beschwerde dem Bundesverwaltungsgericht zur Entscheidung vor.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen
Die am XXXX geborene Zweitbeschwerdeführerin ist in Österreich schulpflichtig, aber (noch) nicht schulreif. Sie leidet an Beta-Thalassämie minor (ICD-10-Code: D56.1).
Es liegen keine medizinischen Gründe gegen den Schulbesuch der Zweitbeschwerdeführerin vor, noch ist dieser mit einer unzumutbaren Belastung für sie verbunden.
2. Beweiswürdigung
Die Feststellungen ergeben sich aus dem Verwaltungsakt. Dass weder medizinische Gründe gegen den Schulbesuch der Zweitbeschwerdeführerin vorliegen, noch dieser mit einer unzumutbaren Belastung für sie verbunden ist, ergibt sich daraus, dass den vorgelegten Unterlagen keine Diagnosen zu entnehmen sind, die dem Schulbesuch entgegenstehen bzw. diesen für die Zweitbeschwerdeführerin unzumutbar erscheinen lässt (siehe zusätzlich das unter Punkt II.3.1.3. Ausgeführte).
3. Rechtliche Beurteilung
3.1. Zu Spruchpunkt A)
3.1.1. Gemäß § 1 Abs. 1 SchPflG besteht für alle Kinder, die sich in Österreich dauernd aufhalten, allgemeine Schulpflicht nach Maßgabe dieses Abschnittes.
Gemäß § 2 SchPflG beginnt die allgemeine Schulpflicht mit dem auf die Vollendung des sechsten Lebensjahres folgenden 1. September.
Gemäß § 3 SchPflG dauert die allgemeine Schulpflicht neun Jahre.
Gemäß § 5 Abs. 1 SchPflG ist die allgemeine Schulpflicht durch den Besuch von allgemein bildenden Pflichtschulen sowie von mittleren oder höheren Schulen zu erfüllen.
Gemäß § 15 Abs. 1 SchPflG ist ein Schüler für die unumgänglich notwendige Dauer vom Besuch der Schule zu befreien, sofern medizinische Gründe dem Besuch der Schule entgegenstehen oder dieser dadurch zu einer für den Schüler unzumutbaren Belastung würde.
3.1.2. Eine Befreiung vom Schulbesuch i.S.d. § 15 Abs. 1 SchPflG setzt zum einen das Vorliegen medizinischer Gründe voraus, und zum anderen, dass eben diese Gründe „einem Schulbesuch entgegenstehen“ oder ursächlich dafür sind, dass der Schulbesuch für den betroffenen Schüler eine unzumutbare Belastung darstellen würde. Beide Voraussetzungen müssen kumulativ vorliegen.
Sowohl aus dem Gesetzeswortlaut (vgl. die Wortfolge „für die unumgänglich notwendige Dauer“) als auch aus dem den Gesetzesmaterialien zu entnehmenden Willen des Gesetzgebers ergibt sich, dass eine derartige Befreiung nur restriktiv zur Anwendung gelangen soll. So führt die einschlägige Regierungsvorlage (vgl. RV 1166 BlgNR XXII. GP, Erl. Bem. zu § 15 SchPflG) aus:
„Die Neufassung des § 15 des Schulpflichtgesetzes soll neben der Beseitigung der (heute) als diskriminierend zu wertenden Begrifflichkeit der ‚Schulunfähigkeit‘ verdeutlichen, dass selbst dann, wenn medizinische Gründe dem Besuch des Unterrichts in der Schule entgegenstehen, keine Befreiung von der allgemeinen Schulpflicht besteht. Im Gegenteil, die Befreiung vom Besuch des Unterrichtes in der Schule darf nur auf die unumgänglich notwendige Dauer erfolgen (restriktive Handhabung).“
Für eine restriktive Anwendung des § 15 Abs. 1 SchPflG im Sinne einer „ultima ratio“ spricht auch, dass die davon betroffenen Kinder im Gegensatz zur Konstellation „Teilnahme an häuslichem Unterricht“ jeder weiteren behördlichen Überprüfungsmöglichkeit entzogen sind (vgl. BVwG 08.04.2021, W203 2234508-1; vgl. dazu auch VwGH 03.11.2021, Ra 2021/10/0135).
Aufgrund der verfassungsrechtlichen Verankerung der Schulpflicht in Art. 14 Abs. 7a B-VG i.V.m. den entsprechenden Bestimmungen des SchPflG besteht kein Ermessensspielraum der Behörde (siehe BVwG 16.07.2019, W128 2220348-1).
Fragen der Schulreife (§ 6 Abs. 2a bis 2e SchPflG) sind streng von Fragen der Befreiung vom Schulbesuch aus medizinischen Gründen (§ 15 SchPflG) zu unterscheiden. Mit anderen Worten: Auch schulpflichtige Kinder, die (noch) nicht schulreif sind, sind nicht zwingend vom Schulbesuch zu befreien, sondern haben ihre Schulpflicht – gegebenenfalls in der Vorschulstufe – zu erfüllen (siehe BVwG 13.03.2025, W203 2307940-1).
3.1.3. Für den gegenständlichen Fall bedeutet das:
Die am XXXX geborene Zweitbeschwerdeführerin ist ab dem Schuljahr 2025/2026 schulpflichtig (vgl. § 2 Abs. 1 SchPflG, wonach die allgemeine Schulpflicht mit dem auf die Vollendung des sechsten Lebensjahres folgenden 1. September beginnt und gemäß § 3 leg.cit. neun Schuljahre dauert).
Die Zweitbeschwerdeführerin ist aber – wie festgestellt – noch nicht schulreif. Diesbezüglich ist – wie bereits oben dargelegt – einerseits zu beachten, dass auch schulpflichtige Kinder, die (noch) nicht schulreif sind, nicht zwingend vom Schulbesuch zu befreien sind, sondern ihre Schulpflicht – gegebenenfalls in der Vorschulstufe – zu erfüllen haben. Andererseits kommt es für eine Befreiung vom Schulbesuch gemäß § 15 Abs. 1 SchPflG ausschließlich darauf an, ob medizinische Gründe dem Schulbesuch entgegenstehen oder ob der Schulbesuch für den Schüler aus medizinischen Gründen eine unzumutbare Belastung darstellen würde.
Wie festgestellt leidet die Zweitbeschwerdeführerin an Beta-Thalassämie minor (ICD-10-Code: D56.1). Diese Diagnose steht jedoch einem Schulbesuch nicht entgegen bzw. lässt diesen nicht unzumutbar erscheinen. Dabei ist auch darauf hinzuweisen, dass es der Zweitbeschwerdeführerin offenbar möglich ist, den Kindergarten ihrer Heimatgemeinde (normal) zu besuchen.
Zusammenfassend ist festzuhalten, dass die Voraussetzungen für eine Befreiung der Zweitbeschwerdeführerin vom Schulbesuch nicht vorliegen.
Die Beschwerde ist daher als unbegründet abzuweisen.
Eine Verhandlung konnte gemäß § 24 Abs. 4 VwGVG entfallen, weil eine mündliche Erörterung keine weitere Klärung erwarten lässt (vgl. etwa Fister/Fuchs/Sachs, Verwaltungsgerichtsverfahren, 2. Auflage [2018] § 24 VwGVG Anm. 13 mit Hinweisen zur Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes). Außerdem ist das Schulrecht nicht von Art. 6 EMRK und auch nicht von Art. 47 GRC erfasst (vgl. VfGH 10.03.2015, E 1993/2014, sowie VwGH 23.05.2017, Ra 2015/10/0127).
3.2. Zu Spruchpunkt B)
3.2.1. Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.
3.2.2. Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig, weil die Entscheidung von der Lösung von Rechtsfragen abhängt, denen aus nachstehenden Gründen grundsätzliche Bedeutung zukommt:
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt: Dass hier die Voraussetzungen für eine Befreiung vom Schulbesuch nach § 15 Abs. 1 SchPflG nicht vorliegen, ergibt sich aus der oben angeführten Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes und der eindeutigen Rechtslage (zur Unzulässigkeit der Revision bei eindeutiger Rechtslage trotz fehlender Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes siehe etwa VwGH 28.05.2014, Ro 2014/07/0053; 28.02.2018, Ra 2017/04/0120).