Spruch
W612 2296812-1/14E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Mag. Robert STEINER über die Beschwerde von XXXX auch XXXX , geboren am XXXX Staatsangehörigkeit Somalia, vertreten durch die Bundesagentur für Betreuungs- und Unterstützungsleistungen Gesellschaft mit beschränkter Haftung (BBU GmbH), gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 02.07.2024, Zl. 1329396210/223284515, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung zu Recht:
A)
Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
B)
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
Entscheidungsgründe:
I. Verfahrensgang:
1. Der Beschwerdeführer ist in die Republik Österreich eingereist und hat am 16.10.2022 einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt.
2. Bei der Erstbefragung durch Organe des Sicherheitsdienstes am nächsten Tag begründete der Beschwerdeführer seine Antragstellung dahingehend, dass Al Shabaab die Kontrolle übernommen und verboten habe, dass Lebensmittel und andere Waren in die Stadt gebracht werden. Sein Vater sei bei heimlichen Transporten von Lebensmittel erwischt und von Al Shabaab getötet worden. Er selbst sei Soldat bei der somalischen Regierung gewesen und habe seit seinem Ausscheiden in ständiger Angst gelebt.
3. Bei der Einvernahme durch das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl am 28.06.2024 gab der Beschwerdeführer im Beisein eines Dolmetschers für die Sprache Somalisch im Wesentlichen zu seinen Fluchtgründen an, dass er von 15.08.2020 bis 31.07.2021 bei der Ausbildungseinheit TURKSOM in Mogadischu seine militärische Ausbildung absolviert habe, um gegen Al Shabaab anzukämpfen, weil Al Shabaab im Juni 2020 seinen Vater getötet habe. Nach Beendigung dieser Ausbildung sei er nach XXXX zurückgekehrt und im Februar 2022 ausgereist, weil er von Angehörigen der Al Shabaab telefonisch kontaktiert und bedroht worden sei.
Der Beschwerdeführer legte im Rahmen der Einvernahme mehrere Deutschkursbestätigungen, Bestätigung für die Leistungen von Remunerantentätigkeiten, ein Zeugnis für die Absolvierung einer Ausbildung bei TURKSOM sowie Lichtbilder, welche den Beschwerdeführer in Uniform zeigen, vor.
4. Mit angefochtenem Bescheid wurde der Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 Asylgesetz 2005 abgewiesen (Spruchpunkt I.). Gemäß § 8 Abs. 1 Asylgesetz 2005 wurde dem Beschwerdeführer der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt (Spruchpunkt II.) und gemäß § 8 Abs. 4 Asylgesetz 2005 wurde ihm eine befristete Aufenthaltsberechtigung für ein Jahr erteilt (Spruchpunkt III.).
Begründend führte das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl aus, dass der Beschwerdeführer zu seinem Fluchtvorbringen bedingt glaubhaft gewesen sei und dieses keine Asylrelevanz indiziere. Er sei in Somalia nicht politisch tätig gewesen und werde auch nicht wegen seiner politischen Ansichten, aufgrund seiner Religionszugehörigkeit, seiner Rasse, Volksgruppenzugehörigkeit oder seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe verfolgt. Der Beschwerdeführer habe in Somalia keine asylrelevanten Probleme mit Ämtern und Behörden und habe nicht festgestellt werden können, dass er in Somalia einer asylrelevanten Verfolgung ausgesetzt gewesen sei.
5. Gegen Spruchpunkt I. dieses Bescheides wurde Beschwerde erhoben wegen inhaltlicher Rechtswidrigkeit und Mangelhaftigkeit des Verfahrens.
In der Begründung wurde insbesondere moniert, dass die belangte Behörde den Beschwerdeführer nur sehr oberflächlich zu einer drohenden Verfolgung durch Al Shabaab befragt und detaillierte Nachfragen unterlassen habe. Die Feststellungen bezüglich TURKSOM seien sehr oberflächlich und auch wenn der Beschwerdeführer wahrheitsgemäß angegeben habe, dass er nie bei einer normalen Einheit verwendet worden sei, sei er durch die Ausbildung bei TURKSOM ins Visier der Al Shabaab geraten. TURKSOM arbeite mit der Regierung zusammen und eine militärische Ausbildung zu bekommen, zeige eine oppositionelle Einstellung gegenüber Al Shabaab. Da die belangte Behörde all dies unterlassen habe, sei das Ermittlungsverfahren mit einem groben Verfahrensmangel belastet. Auch die im angefochtenen Bescheid getroffenen Länderfeststellungen seien unvollständig. Die belangte Behörde habe ihre Ermittlungspflicht auch dadurch verletzt, dass sie sich mit den vom Beschwerdeführer vorgelegten Urkunden nicht auseinandergesetzt habe. Das Bundesamt habe den Antrag des Beschwerdeführers hinsichtlich Spruchpunkt I. abgewiesen, weil es ihn als unglaubwürdig erachtet habe. Diese Feststellung basiere auf einer unschlüssigen Beweiswürdigung und einer mangelhaften Sachverhaltsermittlung. Bei gesetzmäßiger Führung des Ermittlungsverfahrens hätte das Bundesamt das Vorbringen zu entscheidungsrelevanten Tatsachen erhoben und dem Beschwerdeführer nach einer mängelfreien Beweiswürdigung die Flüchtlingseigenschaft zuerkennen müssen.
6. Die Beschwerde und der bezughabende Verwaltungsakt langten am 02.08.2024 beim Bundesverwaltungsgericht ein.
7. Aufgrund einer Verfügung des Geschäftsverteilungsausschusses wurde die gegenständliche Rechtssache am 03.09.2024 neu zugewiesen.
8. Das Bundesverwaltungsgericht führte am 03.01.2025 eine öffentliche mündliche Verhandlung durch, an welcher kein Vertreter der belangten Behörde teilnahm. Im Beisein des Vertreters des Beschwerdeführers und eines Dolmetschers für die Sprache Somalisch wurde der Beschwerdeführer zu seinen Lebensumständen in Somalia und seinen Fluchtgründen befragt. Im Rahmen der Verhandlung bzw. bereits mit der Ladung zu dieser wurden überdies aktuelle Länderberichte zu Somalia ins Verfahren eingebracht.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
Beweis wurde erhoben durch Einsicht in den vorliegenden Verwaltungsakt und in den Gerichtsakt, durch Befragung des Beschwerdeführers in der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht und Einsichtnahme in die vorgelegten Unterlagen sowie insbesondere in folgende Länderberichte: Länderinformationen der Staatendokumentation: Somalia aus dem COI-CMS (Country of Origin Information – Content Management System), Version 6 vom 08.01.2024; EUAA, Country Guidance: Somalia, August 2023 und UNHCR, International Protection Considerations with Regard to People Fleeing Somalia, September 2022.
1. Feststellungen:
1.1. Zur Person des Beschwerdeführers und seiner Antragstellung:
Der Beschwerdeführer ist Staatsangehöriger von Somalia und führt die im Erkenntniskopf genannte Verfahrensidentität (Name und Geburtsdatum). Er wurde in der Region Hiran, in XXXX (auch: XXXX ) geboren. Der Beschwerdeführer ist kein Angehöriger des Clans bzw. der berufsständigen Minderheitengruppe der Gabooye; seine Clanzugehörigkeit ist nicht feststellbar. Er bekennt sich zur sunnitischen Glaubensrichtung des Islam.
Der Beschwerdeführer ist volljährig, ledig und kinderlos. Er lebte bis kurz vor seiner Ausreise aus Somalia im Jahr 2022 durchgehend in XXXX wo er mit seinen Eltern und Geschwistern aufgewachsen ist und neun Jahre lang die Schule besucht hat. Darüber hinaus verfügt er über keine Berufsausbildung. Der Lebensunterhalt der Familie wurde durch den Vater finanziert, der im Jahr 2020 verstarb. Seine Mutter und seine Schwester verzogen in Folge des Todes des Vaters nach Kenia und seine Brüder reisten ebenso aus Somalia aus und sind seitdem unbekannten Aufenthalts. In Somalia lebt noch ein Onkel des Beschwerdeführers in seinem Heimatort, der auch die Ausreise des Beschwerdeführers mitfinanziert hat. Der Beschwerdeführer steht in telefonischen Kontakt mit seinen Familienangehörigen.
Sein Herkunftsort XXXX steht unter der Kontrolle von Regierungskräften und ATMIS und kann hinsichtlich einer Anwesenheit von (staatlichem) Sicherheitspersonal und etablierter Verwaltung als konsolidiert erachtet werden.
Der Beschwerdeführer hat seinen Heimatort im Februar 2022 verlassen, hat danach noch ca. zwei Monate in Mogadischu gelebt, bevor er im Mai 2022 endgültig aus Somalia ausgereist ist. Er ist unter Umgehung der Grenzkontrollen in Österreich eingereist und hat am 16.10.2022 einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt. Mit dem angefochtenen Bescheid wurde dem Beschwerdeführer subsidiärer Schutz gewährt. Der Beschwerdeführer ist in Österreich strafgerichtlich unbescholten.
1.2. Zu den Fluchtgründen des Beschwerdeführers und einer Rückkehrmöglichkeit nach Somalia:
Dem Beschwerdeführer drohen bei einer Rückkehr nach Somalia mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit keine Verfolgungshandlungen seitens der Terrororganisation Al Shabaab im Zusammenhang mit Drohanrufen und/oder einer Zwangsrekrutierung. Es steht nicht fest, dass der Vater des Beschwerdeführers gezielt von Al Shabaab getötet wurde bzw. dass der Beschwerdeführer selbst in das Blickfeld der Al Shabaab geraten ist. Ferner steht nicht fest, dass der Beschwerdeführer von etwa August 2020 bis Juli 2021 eine Ausbildung zum Unteroffizier in Mogadischu im TURKSOM Training Center machte und Soldat bei der somalischen Regierung war. In diesem Zusammenhang drohen dem Beschwerdeführer auch aufgrund einer unterstellten oppositionellen politischen Gesinnung keine Sanktionen durch Mitglieder von Al Shabaab. Seitens Al Shabaab wird nicht nach dem Beschwerdeführer gesucht.
Der Beschwerdeführer ist in seinem Herkunftsstaat nicht vorbestraft und ihm drohen weder aufgrund seines Religionsbekenntnisses oder seiner Volksgruppen- bzw. der angegebenen Clanzugehörigkeit noch aus politischen Gründen Diskriminierung oder Gewalt durch Al Shabaab, Angehörige eines (anderen) Mehrheitsclans oder durch somalische Behörden.
Der Beschwerdeführer hat bei einer Rückkehr nach Somalia auch keine sonstige konkret gegen seine Person gerichtete Bedrohung zu erwarten.
1.3. Zur maßgeblichen Situation im Herkunftsstaat des Beschwerdeführers wird Folgendes festgestellt:
Politische Lage
(Letzte Änderung 2024-01-03)
Hinsichtlich der meisten Tatsachen ist das Gebiet von Somalia faktisch zweigeteilt, nämlich in die somalischen Bundesstaaten und Somaliland, einen 1991 selbst ausgerufenen unabhängigen Staat, der international nicht anerkannt wird.
Somalia bleibt ein fragiler Staat, die vorhandenen staatlichen Strukturen sind sehr schwach, wesentliche Staatsfunktionen können von ihnen nicht ausgeübt werden. Es gibt jedenfalls keine flächendeckende effektive Staatsgewalt. Denn obwohl das Land nominell von Präsident Hassan Sheikh Mohamud regiert wird, steht ein Großteil des Landes nicht unter staatlicher Kontrolle. Al Shabaab kontrolliert fast 70 % von Süd-/Zentralsomalia.
Die Bundesregierung ist nicht in der Lage, ihren Pflichten in und um Mogadischu auch nur teilweise nachzukommen, geschweige denn ein landesweites Gewaltmonopol zu errichten. Sie bietet ihren Bürgern derzeit nur wenige wesentliche Dienstleistungen an. Die ständige Instabilität bleibt ein prägendes Merkmal des Lebens. Viele Menschen verlassen sich hinsichtlich grundlegender Dienstleistungen und Schutz weiterhin auf bestehende traditionelle, informelle Institutionen. Denn der Staat leidet an gescheiterten Institutionen, vom Gesundheitswesen bis zu den Sicherheitskräften. Persönlichkeitsorientierter Politik wird Vorrang gewährt. Informelle politische und Clanbeziehungen dominieren einen fragilen Staat. Und die immer noch offene institutionelle Lücke wird durch eine Reihe anderer Akteure – darunter al Shabaab – aufgefüllt.
Die Bundesregierung verfügt kaum über eine Möglichkeit, ihre Politik und von ihr beschlossene Gesetze im Land durch- bzw. umzusetzen, da sie nur wenige Gebiete kontrolliert. Gleichzeitig gilt Somalia als eines der korruptesten Länder der Welt und die Regierung ist zum Überleben stark auf internationale Hilfe angewiesen.
Generell ist die politische Landschaft durch ein komplexes Zusammenspiel von Clandynamiken, regionalen Rivalitäten und Machtkämpfen auf oberen Ebenen gekennzeichnet. Clanbasierte Politik und Identitäten haben die Bildung politischer Allianzen und Konflikte im ganzen Land erheblich beeinflusst. Verschiedene Fraktionen und regionale Regierungen wetteifern um die Macht, was zu politischer Fragmentierung und einem Mangel an kohärenter Regierungsführung geführt hat.
Die Übergangsverfassung sieht föderale Strukturen mit zwei Regierungsebenen vor: Die Bundesregierung (Federal Government) sowie die Bundesstaaten (Federal Member States), welche auch Lokalregierungen umfassen. Seit damals sind sechs Entitäten durch die Bundesregierung als Bundesstaaten anerkannt worden: Puntland, Galmudug, Jubaland, South West State (SWS) und HirShabelle. Jeder dieser Bundesstaaten hat eine eigene Verfassung. Somaliland wird als sechster Bundesstaat erachtet. Die Hauptstadtregion Benadir (Mogadischu) verbleibt als Banadir Regional Administration/BRA unter direkter Kontrolle der Bundesregierung. Die Bildung der Bundesstaaten erfolgte im Lichte der Clanbalance: Galmudug und HirShabelle für die Hawiye; Puntland und Jubaland für die Darod; der SWS für die Rahanweyn; Somaliland für die Dir. Allerdings finden sich in jedem Bundesstaat Clans, die mit der Zusammensetzung ihres Bundesstaates unzufrieden sind, weil sie plötzlich zur Minderheit wurden.
Sicherheitslage und Situation in den unterschiedlichen Gebieten
(Letzte Änderung 2024-01-03)
Zwischen Nord- und Süd-/Zentralsomalia sind gravierende Unterschiede bei den Zahlen zu Gewalttaten zu verzeichnen. Auch das Maß an Kontrolle über bzw. Einfluss auf einzelne Gebiete variiert. Während Somaliland die meisten der von ihm beanspruchten Teile kontrolliert, wird die Lage über die Kontrolle geringer Teilgebiete von Puntland von al Shabaab beeinflusst – und in noch geringeren Teilen vom Islamischen Staat in Somalia – während es hauptsächlich an Clandifferenzen liegt, wenn Puntland tatsächlich keinen Zugriff auf gewisse Gebiete hat. In Süd-/Zentralsomalia ist die Situation noch viel komplexer. In Mogadischu und den meisten anderen großen Städten hat al Shabaab keine Kontrolle, jedoch eine Präsenz. Dahingegen übt al Shabaab über weite Teile des ländlichen Raumes Kontrolle aus. Zusätzlich gibt es in Süd-/Zentralsomalia große Gebiete, wo unterschiedliche Parteien Einfluss ausüben; oder die von niemandem kontrolliert werden; oder deren Situation unklar ist.
Laut einer Quelle der FFM Somalia 2023 sind Hargeysa, Berbera, Burco, Garoowe und – in gewissem Maße – Dhusamareb sichere Städte. Alle anderen Städte variieren demnach von einem Grad zum anderen. Auch Kismayo selbst ist sicher, aber hin und wieder gibt es Anschläge. Bossaso ist im Allgemeinen sicher, es kommt dort aber zu gezielten Attentaten. Dies gilt auch für Galkacyo. Laut einer weiteren Quelle sind Baidoa, Jowhar und Belet Weyne diesbezüglich innerhalb des Stadtgebietes wie Kismayo zu bewerten. Laut einer anderen Quelle sind alle Hauptstädte der Bundesstaaten relativ sicher.
Quelle: PGN 23.1.2023 Quelle: Williams/ACSS 17.4.2023
Süd-/Zentralsomalia, Puntland
(Letzte Änderung 2024-01-03)
Die Sicherheitslage bleibt volatil, mit durchschnittlich 234 sicherheitsrelevanten Vorfällen pro Monat (Zeitraum Februar-Juni 2023). Insgesamt gab es im Zeitraum 8.2.-7.6.2023 935 Vorfälle, davon 355 mit terroristischem Hintergrund. Al Shabaab führt immer wieder komplexe Angriffe durch, so etwa am 19. und 22.4. in Bud und Masagway (Galgaduud) und am 26.5. in Buulo Mareer (Lower Shabelle). U.a. bei Sprengstoffanschlägen kommen Menschen ums Leben oder werden verletzt. Weiterhin führt der Konflikt zu zivilen Todesopfern, Verletzten und Vertriebenen. Im og. Zeitraum waren 11 % der davon Betroffenen Zivilisten. Die Zahl an terroristischen Vorfällen war im ersten Quartal 2023 überdurchschnittlich. Am meisten von Sprengsätzen betroffen waren in diesem Zeitraum Mogadischu/Benadir, Lower Shabelle, Hiiraan und Lower Juba. Mogadischu wird immer wieder auch von indirektem Feuer der al Shabaab getroffen. Im Zusammenhang mit der laufenden Offensive am meisten betroffen sind Middle Shabelle, Mudug, Galgaduud und Hiiraan. Die österreichische Botschaft spricht in diesem Zusammenhang von einem bewaffneten Konflikt, während das deutsche Auswärtige Amt von Bürgerkrieg und bürgerkriegsähnlichen Zuständen in vielen Teilen Süd-/Zentralsomalias berichtet.
Generell ist die Regierung nicht in der Lage für Sicherheit zu sorgen. Dafür ist sie in erster Linie auf ATMIS, aber auch auf Unterstützung anderer Staaten angewiesen. Im April 2022 hat die African Union Transition Mission in Somalia (ATMIS) von der African Union Mission in Somalia (AMISOM) übernommen, nachdem dies vom UN Security Council und zuvor vom Sicherheitsrat der Afrikanischen Union so beschlossen wurde. AMISOM war zuvor seit 2007 in Somalia aktiv. ATMIS wurde im Juni 2023 um 2.000 Mann reduziert, die nächste Truppenreduktion um 3.000 Mann steht mit Ende Dezember 2023 an. Die Ausbildung neuer Soldaten für die Bundesarmee machte 2023 gute Fortschritte, es mussten aber auch hohe Verluste hingenommen werden. Das größte Problem derzeit ist neben der Truppenstärke die fehlende Ausrüstung (schwere Waffen, Luftkomponente, etc.).
Trend: Nach den Erfolgen der Macawiisley-Offensive hat man es wieder nicht geschafft, erobertes Gebiet ausreichend abzusichern. Dort wo die Bundesarmee in Richtung neuer Ziele abgerückt ist, konnte al Shabaab teils schnell wieder an Einfluss gewinnen. Ein Grund dafür ist das Fehlen von Darawish-Kräften, die mit lokalen Gegebenheiten und der Lokalbevölkerung vertraut sind. Generell stehen keine bzw. zu wenige leistungsfähige und verlässliche Truppen zur Verfügung, um diese Orte zu halten, wenn die Angriffstruppen weiterziehen. Die Macawiisley erfüllen eine wichtige Hilfsfunktion, man kann sich jedoch nicht darauf verlassen, dass sie als wirksame Haltetruppe in neu eroberten Gebieten dienen. Zudem könnten sie sich selbst zum Problem entwickeln: Sie sind schwer zu kontrollieren und können jahrelang schwelende Clankonflikte befeuern.
Die Beziehungen der Bundesregierung zu manchen im Kampf gegen al Shabaab erfolgreichen Clans (v.a. die Hawadle) haben sich aufgrund politischer Verwerfungen abgekühlt. Al Shabaab konnte daraus Vorteile ziehen und hat mit einigen Clanmilizen in HirShabelle und Galmudug Abkommen ausgehandelt. Während al Shabaab nun versucht, den einen Teil der Hawiye gegen die Bundesregierung zu mobilisieren (v.a. Habr Gedir Mohamud Hirab, Murusade und Abgal Wacaysle), versucht die Bundesregierung, den anderen Teil (z.B. Habr Gedir) gegen al Shabaab in Stellung zu bringen. Al Shabaab hat versucht sich anzupassen – etwa im Umgang mit der Lokalbevölkerung. Die Gruppe setzt nun mehr auf Anreize als auf Zwang und Erpressung. Bereits Ende Dezember 2022 wurde mit Teilen der Saleban ein neues Abkommen geschlossen. Gleichzeitig schürt al Shabaab unter den Clans Angst, dass fremde Clanmilizen über sie herzufallen drohen. Diese Propaganda dient auch als Rekrutierungsmittel, z.B. bei den Murusade in Zentralsomalia. Spannungen in neu eroberten Gebieten haben teils zu Kampfhandlungen zwischen Clans geführt.
Insgesamt ist die Offensive seit Anfang 2023 zum Stillstand gekommen. Al Shabaab hat diese Pause genutzt, um sich zu konsolidieren, um Rekrutierung und Ausbildung zu intensivieren, Erpressungsaktivitäten auszuweiten und Angriffe auf hochwertige Ziele zu verstärken. Im September 2023 hat al Shabaab so viele Selbstmordattentate versucht und ausgeführt wie in keinem Monat zuvor: 14, drei davon wurden vereitelt. Die Hälfte der Attentate ereignete sich in Zentralsomalia.
Durch Konflikte Vertriebene: Mitte November wurde angegeben, dass 2023 über 1,5 Millionen Menschen zu Vertriebenen im Land geworden sind, 473.000 davon aufgrund von Dürre und 419.000 aufgrund von Überschwemmungen. Ca. 600.000 wurden durch Konflikte vertrieben. Die meisten neuen IDPs aufgrund von Konflikten gab es – abseits von Somaliland – 2023 bis Mitte November in den Regionen Galgaduud (101.000), Mudug (82.000), Lower Shabelle (53.000) und Middle Shabelle (48.000). Dahingegen wurden in Benadir/Mogadischu (800), Bari (1.000) und Hiiraan (2.000) deutlich weniger Menschen neu vertrieben.
Al Shabaab stand gemäß Aussagen des Experten Rashid Abdi vom November 2022 mit dem Rücken zur Wand. Die Gruppe hatte viele Gebiete verloren und stand gleichzeitig einer Revolte mehrere Clans gegenüber. Damit befand sich auch das Wirtschaftsimperium al Shabaab unter Druck. Trotz der nominell hohen Verluste, die al Shabaab durch Luftangriffe und Gefechte zugefügt worden sind, hat die Gruppe dennoch keinen Mangel an Kämpfern. Zumindest ist es nicht gelungen, Angriffe von al Shabaab auf Militärstützpunkte einzudämmen. Sie ist auch immer noch in der Lage, Angriffe in Mogadischu, gegen Stützpunkte der ATMIS und über die Grenzen der ATMIS-Mitgliedsstaaten Äthiopien und Kenia hinweg zu verüben. Al Shabaab greift weiterhin regierungsnahe Kräfte und Ziele sowie Zivilisten im ganzen Land an. Die Gruppe übt Druck auf Zivilisten aus, ihre extremistische Ideologie zu unterstützen. Angegriffen werden Regierungseinrichtungen und Sicherheitskräfte, aber auch Hotels, Märkte und andere öffentliche Einrichtungen. In Zentralsomalia hält sich al Shabaab weiterhin im freien Gelände zwischen den Ortschaften auf und greift bei jeder Gelegenheit die Orte selbst bzw. die Bewegungen zwischen den Ortschaften an. Insgesamt haben die militärischen Kräfte der al Shabaab in Zentralsomalia zwar hohe Verluste hinnehmen müssen, sind aber bei Weitem nicht geschlagen.
Al Shabaab verwendet gewalttätige, extremistische Taktiken. Die Gruppe bleibt die signifikanteste Bedrohung für Frieden, Stabilität und Sicherheit. Sie ist in hohem Maß anpassungsfähig und mobil und kann ihren Einfluss auch in Gebieten außerhalb der eigenen Kontrolle geltend machen. Die Gruppe bedient sich neben politischen und kriminellen Mitteln (wie Einschüchterung, Erpressung, etc.) zur Kontrolle der Bevölkerung im militärischen Bereich zur Erreichung der Ziele der gesamten Bandbreite der asymmetrischen Kriegsführung. Mit unterschiedlichen Methoden gelingt es al Shabaab, die Bevölkerung zu kontrollieren, Einfluss auf die Politik zu nehmen und in Süd-/Zentralsomalia für ein Klima der Angst zu sorgen: Kontrolle großer Gebiete; sogenannte Hit-and-Run-Angriffe gegen Städte und militärische Positionen; Ausnutzung von Clanstreitigkeiten mit einer Taktik des „teile und herrsche“; Unterbrechung von Hauptversorgungsrouten und Blockade von Städten; und in wichtigen Städten (z.B. Mogadischu, Baidoa, Galkacyo, Jowhar) gezielte Attentate, Anschläge mit improvisierten Sprengsätzen und Mörserangriffe. Zusätzlich ist die Gruppe auch weiterhin in der Lage, größere – sogenannte „komplexe“ – Angriffe durchzuführen. Al Shabaab verfolgt eine klassische Guerilla-Doktrin: Die Einkreisung von Städten aus dem ländlichen Raum heraus.
Als al Shabaab an den Fronten an Boden verloren hat, steigerte die Gruppe ihre terroristischen Aktivitäten. Beim Einsatz von improvisierten Sprengsätzen ist hinsichtlich der Anzahl in den letzten Jahren keine Veränderung eingetreten. Allerdings sind die Opferzahlen seit 2020 stetig nach oben gegangen. Im Jahr 2020 wurden 501 Menschen durch improvisierte Sprengsätze getötet; 2021 waren es 669; und in den ersten sechs Monaten des Jahres 2022 gab es mindestens 855 Opfer. Auch die Zahl an terroristischen Vorfällen im ersten Quartal 2023 war überdurchschnittlich. Es wurden 61 Angriffe mit improvisierten Sprengsätzen gezählt (höchste Zahl seit 2017), bei denen 291 Menschen ums Leben gekommen sind. Als Reaktion auf die anhaltende Offensive werden häufig Regierungs- und lokale Clanmilizen ins Visier genommen. Am meisten davon Sprengsätzen betroffen waren Mogadischu/Benadir, Lower Shabelle, Hiiraan und Lower Juba. Mogadischu ist immer wieder auch von indirektem Feuer der al Shabaab betroffen.
Kampfhandlungen: In Teilen Süd-/Zentralsomalias (südlich von Puntland) kommt es regelmäßig zu örtlich begrenzten Kampfhandlungen zwischen somalischen Sicherheitskräften/Milizen bzw. ATMIS und al Shabaab. Die aktuelle Offensive konzentriert sich im Wesentlichen auf die Regionen Galgaduud, Hiiraan, Middle Shabelle und Mudug. Sie soll zu einem späteren Zeitpunkt auf den SWS und Jubaland ausgeweitet werden. Auch entlang der Hauptversorgungsrouten unterhält al Shabaab weiterhin Angriffe, und die Gruppe hat einige davon einnehmen können.
Gebietskontrolle: Innerhalb der letzten zehn Jahre ist es der Regierung und den Truppen von AMISOM/ATMIS gelungen, die Kontrolle über viele Teile des Landes zurückzuerlangen. Al Shabaab wurde erfolgreich aus den großen Städten gedrängt. Während ATMIS und die Armee die Mehrheit der Städte halten, übt al Shabaab über weite Teile des ländlichen Raumes die Kontrolle aus oder kann dort zumindest Einfluss geltend machen. Gleichzeitig hat al Shabaab die Fähigkeit behalten, in Mogadischu zuzuschlagen. Die Gebiete Süd-/Zentralsomalias befinden sich also teilweise unter der Kontrolle der Regierung, teilweise unter der Kontrolle von al Shabaab oder anderer Milizen. Allerdings ist die Kontrolle der somalischen Bundesregierung im Wesentlichen auf Mogadischu beschränkt; die Kontrolle anderer urbaner und ländlicher Gebiete liegt bei den Regierungen der Bundesstaaten, welche der Bundesregierung de facto nur formal unterstehen. In Baidoa und Jowhar hat sie stärkeren Einfluss. Ihre Verbündeten kontrollieren viele Städte, darüber hinaus ist eine Kontrolle aber kaum gegeben. Behörden oder Verwaltungen gibt es nur in den größeren Städten. Der Aktionsradius lokaler Verwaltungen reicht oft nur wenige Kilometer weit. Selbst bei Städten wie Kismayo oder Baidoa ist der Radius nicht sonderlich groß. Das „urban island scenario“ besteht also weiterhin. Viele Städte unter Kontrolle von somalischer Armee und ATMIS sind vom Gebiet der al Shabaab umgeben. Gebessert hat sich die Lage in Ost-Hiiraan und in Middle Shabelle, wo auch Bewegungen zwischen den Orten möglich sind. In Gebieten, in welchen al Shabaab keine direkte Kontrolle ausübt – sei es wegen der Präsenz von somalischen oder internationalen Sicherheitskräften, sei es wegen der Präsenz von Clanmilizen – versucht die Gruppe die lokale Bevölkerung und die Ältesten durch Störoperationen entlang der Hauptversorgungsrouten zu bestrafen bzw. deren Unterstützung zu erzwingen. Gegen einige Städte unter Regierungskontrolle hält al Shabaab Blockaden aufrecht. Als „Inseln“ zu bezeichnen sind etwa Xudur, Waajid, Diinsoor, Wanla Weyne und Baraawe. In den zuletzt von der Regierung eroberten Gebieten findet sich die Bundesarmee v.a. in kritischen Teilen – etwa entlang der Hauptversorgungsrouten.
Große Teile des Raumes in Süd-/Zentralsomalia befinden sich unter der Kontrolle oder zumindest unter dem Einfluss von al Shabaab. Die wesentlichen, von al Shabaab verwalteten und kontrollierten Gebiete sind:
1. das Juba-Tal mit den Städten Buale, Saakow und Jilib; de facto die gesamte Region Middle Juba;
2. Jamaame und Badhaade in Lower Juba;
3. größere Gebiete um Ceel Cadde und Qws Qurun in der Region Gedo;
4. Gebiete nördlich und entlang des Shabelle in Lower Shabelle, darunter Sablaale und Kurtunwaarey;
5. der südliche Teil von Bay mit Ausnahme der Stadt Diinsoor;
6. Gebiete rechts und links der Grenze von Bay und Hiiraan, inklusive der Stadt Tayeeglow;
7. die südliche Hälfte von Galgaduud mit der Stadt Ceel Buur; nach neueren Angaben reicht das Gebiet dort nur ein Stück nach Galgaduud hinein;
8. sowie die Region Bakool abzüglich eines Streifens entlang der äthiopischen Grenze und der Städte Xudur und Waajid.
In Süd-/Zentralsomalia kann kein Gebiet als frei von al Shabaab bezeichnet werden. – Insbesondere durch die Infiltration mit verdeckten Akteuren kann al Shabaab nahezu überall aktiv werden. Ein Vordringen größerer Kampfverbände von al Shabaab in unter Kontrolle der Regierung stehende Städte kommt nur in seltenen Fällen vor. Bisher wurden solche Penetrationen innert Stunden durch ATMIS und somalische Verbündete beendet. Eine Infiltration der Städte durch verdeckte Akteure von al Shabaab kommt in manchen Städten vor. Städte mit konsolidierter Sicherheit – i.d.R. mit Stützpunkten von Armee und ATMIS – können von al Shabaab zwar angegriffen, aber nicht eingenommen werden. Immer wieder gelingt es al Shabaab, kurzfristig kleinere Orte oder Stützpunkte einzunehmen, um sich nach wenigen Stunden oder Tagen wieder zurückzuziehen. Al Shabaab hat sich – in begrenztem Ausmaß – fähig gezeigt, Territorien, die bereits durch die Bundesarmee und ATMIS befreit wurden, wieder zurückzuerobern. In der Vergangenheit war das Scheitern, eroberte Territorien erfolgreich zu halten, mit dem Mangel an Polizeipräsenz in den eroberten Gebieten und der allgemein schlechten Moral in der Bundesarmee verbunden, die auf sehr geringe und oftmals verzögerte Besoldung zurückzuführen war.
Andere Akteure: Kämpfe zwischen Clans und Subclans, insbesondere um Wasser- und Landressourcen sind weit verbreitet, insbesondere in den Regionen Hiiraan, Galmudug, Lower und Middle Shabelle bzw. in Regionen, in denen die Regierung oder staatliche Behörden schwach oder nicht vorhanden sind. Es kommt immer wieder auch zu Auseinandersetzungen somalischer Milizen untereinander sowie zwischen Milizen einzelner Subclans bzw. religiöser Gruppierungen. Bei durch das Clansystem hervorgerufener (teils politischer) Gewalt kommt es auch zu Rachemorden und Angriffen auf Zivilisten. Generell sind Clan-Auseinandersetzungen üblicherweise lokal begrenzt und dauern nur kurze Zeit, können aber mit großer - generell gegen feindliche Kämpfer gerichteter - Gewalt verbunden sein.
Seit dem Jahr 1991 gibt es in weiten Landesteilen kaum wirksamen Schutz gegen Übergriffe durch Clan- und andere Milizen sowie bewaffnete kriminelle Banden. Gewaltakte durch bewaffnete Gruppen und Banden und Armutskriminalität sind im gesamten Land weit verbreitet. Bewaffnete Überfälle, Autoraub („Carjacking“), sexueller Missbrauch und auch Morde kommen häufig vor.
Im Zeitraum August 2022 bis Juni 2023 erwähnen die Berichter der UN nur einen Angriff des sogenannten Islamischen Staats in Somalia (ISIS), namentlich die Ermordung eines hochrangigen Beamten in Mogadischu mit einem improvisierten Sprengsatz. ISIS ist in Puntland weiterhin präsent, verfügt jedoch nicht über die Fähigkeit, große Gebiete zu kontrollieren oder bedeutende Operationen durchzuführen.
Zivile Opfer: Al Shabaab ist für einen Großteil der zivilen Opfer verantwortlich [siehe Tabelle weiter unten]. Nach eigenen Angaben greift al Shabaab einfache Zivilisten nicht gezielt an. Laut einer Quelle trifft es zwar zu, dass al Shabaab bei Sprengstoffanschlägen meist nicht mutwillig Zivilisten angreift und diese Taktik im Vergleich zu anderen Gruppen gezielter anwendet; dennoch wählt sie in regelmäßigen Abständen Ziele aus, bei denen die Gruppe weiß, dass viele Zivilisten Kollateralschäden erleiden werden - etwa bei Angriffen auf Hotels, Kaffee- oder Teehäuser, Restaurants oder belebte Straßenkreuzungen. Jedenfalls gelten die meisten Anschläge außerhalb von Mogadischu den somalischen Sicherheitskräften und vermehrt auch Führungspersonen aus Clans, die sich dem Kampf gegen al Shabaab verpflichtet haben. Zivilisten sind insbesondere in Frontbereichen, wo Gebietswechsel vollzogen werden, einem Risiko von Racheaktionen durch al Shabaab oder aber von Regierungskräften ausgesetzt.
Luftangriffe: Immer wieder kommt es zu Luftschlägen, v.a. durch die USA. Unter der Trump-Regierung wurden innerhalb von vier Jahren fast 220 Luftangriffe durchgeführt. Dahingegen waren es 2021 nur elf und 2022 15. Im Zeitraum Jänner-August 2023 waren es 13. Bei Luftangriffen auf al Shabaab und den ISIS sind zwischen 2017 und 2021 ca. 1.000 Kämpfer getötet worden. Auch Kenia führt nach wie vor Luftschläge in Somalia durch, z.B. am 22.6.2022 im Grenzgebiet von Gedo zu Kenia; und es kommt auch zu äthiopischen Luftangriffen, z.B. am 30.7.2022 in der Region Bakool. Nach Angaben somalischer Armeevertreter sind auch türkische Drohnen bei Operationen gegen al Shabaab aktiv. Generell hat die Zahl an Luftangriffen aber erheblich abgenommen, die durchgeführten konzentrieren sich auf höherrangige Angehörige der al Shabaab.
HirShabelle (Hiiraan, Middle Shabelle)
(Letzte Änderung 2024-01-03)
Die Macht der Regierung von HirShabelle reicht in alle Gebiete östlich des Shabelle und jedenfalls die Regionalhauptstädte Jowhar und Belet Weyne. Die Macawiisley haben beeindruckende Erfolge gegen al Shabaab erzielt und die Gruppe weitgehend aus den östlichen Teilen von Hiiraan und Middle Shabelle verdrängt. Quellen der FFM Somalia 2023 geben an, dass Busse zwischen Mogadischu und Belet Weyne und weiter nach Dhusamareb und Galkacyo verkehren. Es gibt nur wenige Checkpoints, an den Eingängen der Städte wird kontrolliert; die Straße ist offen. Eine andere Quelle gibt an, dass die Route immer noch gefährlich ist und Menschen mit dem Flugzeug reisen. Eine aktuellere Quelle erklärt, dass sich die Lage entlang der Verbindung von Jowhar nach Belet Weyne nach Rückschlägen der Regierungstruppen im September 2023 wieder verschlechtert hat, diese ist aber nicht mit der schlechten Lage vor der Offensive 2022 vergleichbar. Generell hat sich die Lage in Ost-Hiiraan und in Middle Shabelle verbessert. Hier sind in weiten Gebieten auch Bewegungen zwischen den Orten möglich (BMLV 1.12.2023).
Hiiraan: Belet Weyne, Buulo Barde und Jalalaqsi befinden sich unter Kontrolle von Regierungskräften und ATMIS. Die beiden erstgenannten Städte können hinsichtlich einer Anwesenheit von (staatlichem) Sicherheitspersonal und etablierter Verwaltung als konsolidiert erachtet werden. Im Nordwesten Hiiraans ist al Shabaab nur in geringer Stärke präsent. Vor allem der Bereich entlang der somalisch-äthiopischen Grenze ist aktuell als sicher anzusehen. Gemäß Regierungsangaben haben die Hawadle in Hiiraan alle Teile ihres Clangebiets von al Shabaab zurückerobert. Nur noch das südwestliche Hiiraan befindet sich unter Kontrolle von al Shabaab. Die Verbindung von Jowhar nach Belet Weyne ist grundsätzlich offen. Zwischen Buulo Barde und Belet Weyne ist es in den letzten Monaten aber wiederholt zu Zusammenstößen gekommen, die mit den Versuchen von al Shabaab, Truppen über den Shabelle nach Osten zu verlegen, zusammenhängen. Die Ortschaften entlang der Straße befinden sich jedenfalls nicht unter Kontrolle von al Shabaab.
Auch eine Quelle der FFM Somalia 2023 gibt an, dass sich die Erreichbarkeit von Hiiraan nach der Offensive verbessert hat. Tatsächlich verfügt die Regierung aber nicht über ausreichend Ressourcen, um jedes Dorf abzusichern. Trotzdem sich die Situation entlang der Hauptroute also verbessert hat, gibt es nach wie vor sogenannte Hit-and-Run-Angriffe und Hinterhalte. Aus Sicherheitsgründen bevorzugen manche Menschen weiterhin den Luftweg. Normalbürger können aber auch den Landweg nutzen und tun dies auch. Eine andere Quelle berichtete allerdings schon im September 2022, dass die Verbindung von Belet Weyne nach Buulo Barde sicher ist; eine weitere Quelle gibt im Juni 2023 an, dass Bürger zum ersten Mal seit über einem Jahrzehnt ohne Angst vor al Shabaab auf dieser Straße reisen können. Die meisten der wichtigen Verbindungsstraßen befinden sich unter Kontrolle der Regierung.
Vorfälle: In den beiden Regionen Hiiraan (420.060) und Middle Shabelle (961.554) leben nach Angaben einer Quelle 1,381.614 Einwohner. Im Vergleich dazu meldete die ACLED-Datenbank im Jahr 2021 insgesamt 32 Zwischenfälle, bei welchen gezielt Zivilisten getötet wurden (Kategorie „violence against civilians“). Bei 24 dieser 32 Vorfälle wurde jeweils ein Zivilist oder eine Zivilistin getötet. Im Jahr 2022 waren es 36 derartige Vorfälle (davon 28 mit je einem Toten). In der Zusammenschau von Bevölkerungszahl und violence against civilians ergeben sich für 2022 folgende Zahlen (Vorfälle je 100.000 Einwohner): Middle Shabelle 1,04; Hiiraan 6,12.
Banadir Regional Administration (BRA; Mogadischu)
(Letzte Änderung 2024-01-03)
Die Sicherheitslage in Mogadischu ist weiterhin dadurch gekennzeichnet, dass al Shabaab Angriffe auf Behörden und ihre Unterstützer verübt. Zugleich stecken hinter der Gewalt in der Stadt neben al Shabaab auch Regierungskräfte, der sogenannte Islamische Staat in Somalia (ISIS) und Unbekannte. In der Stadt befinden sich die Polizei, die Präsidentengarde, die Bundesarmee, die National Intelligence and Security Agency (NISA), private Sicherheitskräfte und Clanmilizen in unterschiedlichem Umfang im Einsatz.
Al Shabaab kontrolliert in Mogadischu keine Gebiete, ist aber im gesamten Stadtgebiet präsent, das Ausmaß ist aber sehr unterschiedlich. Dabei handelt es sich um eine verdeckte Präsenz und nicht um eine offen militärische. In den Außenbezirken hat al Shabaab größeren Einfluss, auch die Unterstützung durch die Bevölkerung ist dort größer. Die Gruppe verfügt in Mogadischu über keine nennenswerte institutionelle Präsenz. Trotzdem erhebt die Gruppe den Zakat (islamische Steuer) von Unternehmen in der Stadt. Zudem macht al Shabaab ihre Präsenz insofern bemerkbar, dass sie ihre Form der „Moral“ umsetzt. So tötete die Gruppe beispielsweise Anfang März 2023 zehn Personen, denen der Verkauf von Drogen in den Stadtbezirken Yaqshiid und Dayniile vorgeworfen worden war.
Bei allen Möglichkeiten, über welche al Shabaab verfügt, so hat die Gruppe in Mogadischu kein freies Spiel. Regierungskräfte sind in allen Bezirken der Stadt präsent – etwa mit Checkpoints; und es werden Razzien durchgeführt. Die Anzahl an Mitgliedern, Unterstützern und Ressourcen in Mogadischu sind begrenzt, und daher muss al Shabaab diesbezügliche Prioritäten setzen.
Es gibt keine Hinweise darauf, dass die Gruppe in Mogadischu aktiv Deserteure sucht und liquidiert. Laut einer Quelle rekrutiert al Shabaab in der Stadt auch keine neuen Mitglieder. Nach Angaben einer anderen Quelle ist aufgrund des massiven Bevölkerungsanstiegs und der zahlreichen Jugendlichen ohne Auskommen für al Shabaab ohnehin ein großes Rekrutierungspotenzial gegeben, das auch genutzt wird.
Zivilisten: Im Zeitraum Jänner 2020 bis November 2022 gab es mehr als 166 Vorfälle, wo Sprengsätze innerhalb der Stadt detoniert sind oder aber gefunden und entschärft werden konnten. Die Gruppe ist zudem weiterhin in der Lage, in Mogadischu auch größere Sprengstoffanschläge durchzuführen. Üblicherweise zielt al Shabaab mit Angriffen auf Sicherheitskräfte und Vertreter des Staates [„officials“]. Zivilisten stellen im Allgemeinen kein Ziel von Angriffen der al Shabaab dar. Sie leiden auf zwei Arten an der Gewalt durch al Shabaab: Jene, die in Verbindung mit der Regierung stehen oder von al Shabaab als Unterstützer der Regierung wahrgenommen werden, sind einem erhöhten Risiko ausgesetzt. Und natürlich besteht für Zivilisten das Risiko, bei Anschlägen zur falschen Zeit am falschen Ort zu sein und damit zum Kollateralschaden von Sprengstoffanschlägen und anderer Gewalt zu werden.
Bewegungsfreiheit: Die Menschen wissen um die Gefahr bestimmter Örtlichkeiten und versuchen daher, diese zu meiden. Sie bewegen sich in der Stadt, vermeiden aber unnötige Wege. Für viele Bewohner der Stadt ist die Instabilität Teil ihres Lebens geworden. Sie versuchen, Gefahren auszuweichen, indem sie Nachrichten mitverfolgen und sich gegenseitig warnen. An neuralgischen Punkten der Stadt befinden sich Checkpoints, allerdings weniger als früher. An den Einfahrtsstraßen wird jedes Fahrzeug kontrolliert.
Für normale Bürger gibt es hinsichtlich der Bewegungsfreiheit allgemein keine Probleme in Mogadischu. Clan oder Geschlecht spielen hier keine Rolle. Frauen können sich auch problemlos alleine bewegen, nur spät in der Nacht könnte es hier zu Sicherheitsproblemen kommen.
Gewaltkriminalität: Es gibt Bandenwesen und Straßenkriminalität. Teile von Karaan, Heliwaa und Yaqshiid bzw. alle Ränder der Stadt sind hoher Kriminalität ausgesetzt. Für Zivilisten besteht nach wie vor die Sorge vor Raubüberfällen und Gewalt, insbesondere nachts. Dabei ist die Ermordung von Raubopfern keine Seltenheit. Dies steht insbesondere im Zusammenhang mit dem Aufstieg von Jugendbanden (bekannt als „ciyaal weero“ oder „aggressive Kinder“) seit 2021.
Der sogenannte Islamische Staat in Somalia (ISIS) verfügt in Mogadischu nur über sehr begrenzten Einfluss.
Vorfälle: In Benadir/Mogadischu leben nach Angaben einer Quelle 2,874.431 Einwohner. Im Vergleich dazu meldete die ACLED-Datenbank im Jahr 2021 insgesamt 85 Zwischenfälle, bei welchen gezielt Zivilisten getötet wurden (Kategorie „violence against civilians“). Bei 79 dieser 85 Vorfälle wurde jeweils ein Zivilist oder eine Zivilistin getötet. Im Jahr 2022 waren es 105 derartige Vorfälle (davon 94 mit je einem Toten). In der Zusammenschau von Bevölkerungszahl und violence against civilians ergeben sich für 2022 folgende Zahlen (Vorfälle je 100.000 Einwohner): 3,7.
Al Shabaab
(Letzte Änderung 2024-01-03)
Al Shabaab ist mit al-Qaida affiliiert und wird häufig und korrekterweise als die größte zu al-Qaida zugehörige Gruppe bezeichnet. Die Gruppe weist eine stärkere innere Kohärenz auf als die Bundesregierung und einige der Bundesstaaten. Al Shabaab nutzt erfolgreich lokale Missstände, um taktische Allianzen zu schmieden und Kämpfer zu rekrutieren. Die Gruppe erkennt die Bundesregierung nicht als legitime Regierung Somalias an und lehnt die gesamte politische Ordnung Somalias, die sie als unislamisch bezeichnet, ab. Al Shabaab wendet eine Strategie des asymmetrischen Guerillakriegs an, die bisher sehr schwer zu bekämpfen war. Zudem bietet die Gruppe in den Gebieten unter ihrer Kontrolle Sicherheit und eine grundlegende Regierungsführung.
Al Shabaab kontrolliert auch weiterhin den größeren Teil Süd-/Zentralsomalias und übt auf weitere Teile, wo staatliche Kräfte die Kontrolle haben, Einfluss aus. Nachdem al Shabaab in den vergangenen zehn Jahren weiter Gebiete verlustig ging, hat sich die Gruppe angepasst. Ohne Städte physisch kontrollieren zu müssen, übt al Shabaab durch eine Mischung aus Zwang und administrativer Effektivität dort Einfluss und Macht aus. Gleichzeitig ist die Zahl der unter direkter Kontrolle von al Shabaab lebenden Menschen laut einer (anonymen) Quelle drastisch zurückgegangen. Früher lebten noch rund eine Million Menschen in deren Gebieten, heute sind es – v.a. aufgrund von Abwanderungen und Flucht im Rahmen der Dürre – noch etwa 500.000.
Verwaltung: Während al Shabaab terroristische Aktionen durchführt und als Guerillagruppe agiert, versucht sie unterhalb der Oberfläche eine Art Verwaltungsmacht zu etablieren - z.B. im Bereich der humanitären Hilfe und beim Zugang zu islamischer Gerichtsbarkeit. V.a. bei der Justiz hat al Shabaab geradezu eine Nische gefunden. Im Gegensatz zur Regierung ist al Shabaab weniger korrupt, Urteile sind konsistenter und die Durchsetzbarkeit ist eher gegeben. Bei der Durchsetzung von Rechtssprüchen und Kontrolle setzt al Shabaab vor allem auf Gewalt und Einschüchterung.
Im eigenen Gebiet hat die Gruppe umfassende Verwaltungsstrukturen geschaffen. Dort übt al Shabaab alle Grundfunktionen einer normalen Regierung aus: Sie hebt Steuern ein, bietet Sicherheit und sorgt mitunter für Sozialhilfe für bedürftige Bevölkerungsgruppen. Al Shabaab ist es gelungen, dort ein vorhersagbares Maß an Besteuerung, Sicherheit, Rechtssicherheit und sozialer Ordnung zu etablieren und gleichzeitig weniger korrupt als andere somalische Akteure zu sein sowie gleichzeitig mit lokalen Clans zusammenzuarbeiten. Die Gruppe investiert daher in lokale Regierungssysteme. Al Shabaab setzt Zwang und Überredung ein, um die Treue zum Clan zu erzwingen. Im Gegenzug bietet die Gruppe ihre eigene Art von „Recht und Ordnung“ sowie bescheidene Grunddienstleistungen. Durch das Anbieten öffentlicher Dienste - v.a. hinsichtlich Sicherheit und Justiz - genießt al Shabaab in einigen Gebieten ein gewisses Maß an Legitimität. Mit der Hisba verfügt die Gruppe über eine eigene Polizei. Offensichtlich führt al Shabaab auch eine Art Volkszählung durch. Auf den diesbezüglich bekannten Formularen müssen u.a. Clan und Subclan, Zahl an Kindern in und außerhalb Somalias, Quelle des Haushaltseinkommens und der Empfang von Remissen angegeben werden. Völkerrechtlich kommen al Shabaab als de-facto-Regime Schutzpflichten gegenüber der Bevölkerung in den von ihr kontrollierten Gebieten gemäß des 2. Zusatzprotokolls zu den Genfer Konventionen zu.
Die Gebiete von al Shabaab werden als relativ sicher und stabil beschrieben, bei einer Absenz von Clankonflikten und geringer Kriminalität. Die Unterdrückung von Clankonflikten ist ein Bereich, in welchem die Gruppe Erfolge erzielen konnte. Z.B. wurde ein Waffenstillstand zwischen Clans in den Distrikten Adan Yabaal und Moqokori, HirShabelle, durchgesetzt; und in Galmudug hat al Shabaab Älteste bestraft, deren Clanmitglieder sich an Clankriegen beteiligt haben. Al Shabaab duldet nicht, dass irgendeine andere Institution außer ihr selbst auf ihren Gebieten Gewalt anwendet, sie beansprucht das Gewaltmonopol für sich. Jene, die dieses Gesetz brechen, werden bestraft. Al Shabaab unterhält ein rigoroses Justizsystem, welches Fehlverhalten – etwa nicht sanktionierte Gewalt gegen Zivilisten – bestraft. Daher kommt es kaum zu Vergehen durch Kämpfer der al Shabaab. Die Verwaltung von al Shabaab wurzelt auf zwei Grundsätzen: Angst und Berechenbarkeit. Hinsichtlich Korruption ist die Gruppe sehr aufmerksam.
Insgesamt nimmt die Gruppe im Vergleich zur Regierung effizienter Steuern ein, lukriert mehr Geld, bietet ein höheres Maß an Sicherheit, eine höhere Qualität an Rechtsprechung. Al Shabaab hat etwa als Reaktion auf die COVID-19-Pandemie Gesundheitszentren eingerichtet und führt sogar Schulen und Programme, um Mitglieder zur Ausbildung an Universitäten im Ausland zu schicken. Zudem ermöglicht al Shabaab Fortbildungsmöglichkeiten – auch für Frauen. In Jilib gehen laut einer Quelle Mädchen zur Schule, und Frauen werden von al Shabaab durchaus ermutigt, einer Arbeit nachzugehen. Gemäß anderer Angaben schränkt al Shabaab die Freiheiten von Frauen und Mädchen allgemein stark ein, bietet aber in einigen Fällen eine anders nicht vorhandene Form des Schutzes vor sexueller Gewalt und Entführung.
Clans: Mitunter konsultieren lokale Verwalter der al Shabaab auch Clanälteste oder lassen bestehende Bezirksstrukturen weiterbestehen. Andererseits nutzt al Shabaab auch Spannungen und Clankonflikte aus, um eigene Ziele zu erreichen. Dies beruht jedoch auf Gegenseitigkeit, denn auch manche Clans nutzen al Shabaab, um politische Vorteile zu erlangen oder sich an Rivalen zu rächen. Gemäß den Angaben einer Quelle der FFM 2023 hat sich al Shabaab etwa gezielt an Minderheiten gewendet, die nicht von der Regierung repräsentiert werden. Die Gruppe hat sich so im Süden die Loyalität jeder einzelnen Minderheit erkauft. Generell steht bei Entscheidungen immer die Sicherheit des eigenen Clans als höchstes Ziel im Vordergrund. Manche Clans schließen sich freiwillig al Shabaab an; mit anderen Clans hat al Shabaab Abkommen geschlossen. Und wieder andere Clans werden mit Zwang und Gewalt in Partnerschaft zu al Shabaab gehalten. Die Gruppe organisiert mitunter Feiern zur Ernennung neuer Clanältester (Nabadoon, Suldaan, Ugaas, Wabar) und stattet Letztere mit z.B. einem Fahrzeug und einer Waffe aus. Dies geschah beispielsweise bei somalischen Bantu im Bezirk Jamaame, aber auch bei Elay, Wa’caysle, Sheikhal oder Mudulod. Dazu erklärt eine Quelle der FFM Somalia 2023, dass al Shabaab in den meisten Teilen Süd-/Zentralsomalias über 'eigene' Älteste verfügt. Es werden parallele Clanführungsstrukturen unterhalten - und zwar in allen Gebieten, in denen al Shabaab aktiv ist. Manchmal sind dann die eigentlichen Ältesten zur Flucht gezwungen. Die von al Shabaab eingesetzten Ältesten dienen der Konfliktlösung und polizeilicher Arbeit sowie dem Standeswesen (Eheschließungen, Scheidungen). Sie können vor den Gerichten der al Shabaab auch eigene Clanmitglieder vertreten. Und wenn ein Clanmitglied ein Problem mit al Shabaab hat, dann wendet es sich an den entsprechenden Ältesten, der sich wiederum an al Shabaab wendet.
Rückhalt: Trotz des Einflusses, den die Gruppe in weiten Teilen Somalias ausüben kann, folgen nur wenige Somali der fremden und unflexiblen Theologie, den brutalen Methoden zur Kontrolle und der totalitären Vision von Staat und Gesellschaft. Es gibt einige wenige, ideologisch positionierte Anhänger; Personen, die religiös gebildet sind und sich bewusst auf dieser Ebene mit al Shabaab solidarisieren. Es gibt aber eine viel größere Anzahl von Menschen, die pragmatisch agieren. Sie akzeptieren al Shabaab als geringeres Übel. Die Präsenz von al Shabaab bietet besorgten Gemeinden eine Form der Schirmherrschaft und des Schutzes, welche die somalische Regierung nur sporadisch gewähren kann. Die Gruppe verspricht Vorteile und faire Behandlung für diejenigen, die ihren Geboten folgen. Allen anderen droht sie mit Vergeltung.
Stärke: Die Hälfte der Mitglieder von al Shabaab stellt den militärischen Arm (jabhat), welcher an der Front gegen die somalische Regierung und ATMIS bzw. AMISOM kämpft. Die andere Hälfte sind entweder Polizisten, welche Gesetze und Gerichtsurteile durchsetzen und Verhaftungen vornehmen; oder Richter. Außerdem verfügt al Shabaab in der Regierung, in der Armee und in fast jedem Sektor der Gesellschaft über ein fortschrittliches Spionagenetzwerk. Der Gouverneur von Bakool gibt im März 2023 an, dass seiner Einschätzung nach al Shabaab über mindestens 20.000 Kämpfer verfügt. Der nationale Sicherheitsberater des Präsidenten gibt die Zahl hingegen mit 10.000 von einst 14.000, die es noch vor einigen Jahren gewesen sind. Auch eine andere Quelle berichtet von 14.000 – „doppelt so viele wie noch vor drei Jahren“. Allerdings finden sich demnach darunter viele zwangsrekrutierte Kinder. Das US-Afrikakommando berichtet von 10.000 Kämpfern. Eine andere Quelle berichtet im von einer Stärke von 7.000-12.000 Mann; eine weitere Quelle bestätigt diese Zahl. Schließlich nennt eine Quelle eine Zahl von 5.000-10.000 gut bewaffneten Kämpfern und eine letzte 7.000 „Vollzeitkämpfer“. Die Kämpfe der letzten Monate haben bei al Shabaab erhebliche Spuren hinterlassen. Die Angaben der Bundesregierung von angeblich 3.500 getöteten Kämpfern von al Shabaab seit Juni 2022 müssen allerdings angezweifelt werden. Zur Kompensation rekrutiert die Gruppe jedenfalls neue Kräfte. Insgesamt sind die Zahlen also sehr unterschiedlich. Dies ist auch darauf zurückzuführen, dass al Shabaab über zahlreiche „Teilzeitkräfte“ und „Freiberufler“ verfügt, die nur bei Bedarf zum Einsatz kommen. Ein Experte schätzt die Gesamtzahl allen verfügbaren Personals auf 25.000-30.000.
Generell hat al Shabaab die somalische Gesellschaft dermaßen tief infiltriert, dass es schwierig oder sogar unmöglich ist, zu erkennen, wer Mitglied der Gruppe ist. Hinzugezählt werden die Kämpfer der Armee (jabahat), die Agenten des Amniyat und die Polizisten (Hisba); alle Schätzungen zur Größe von al Shabaab scheinen sich auf dieses Personal zu konzentrieren. Doch die Gruppe verfügt auch über einen beträchtlichen Kader, der nicht direkt an der Gewalt beteiligt ist, aber für die Reichweite der Organisation in Somalia gleichermaßen wichtig ist. Es handelt sich um eine komplexe Organisation, die eine Mischung aus Terroristengruppe, Rebellenorganisation, Mafia und Schattenregierung ist. Und es gibt Personal für all diese Funktionen. Al Shabaab beschäftigt u.a. Verwaltungsbeamte, Richter und Steuereintreiber. Der Amniyat verfügt neben Agenten über Doppelagenten, Quellen und Informanten, die in die Institutionen, die Wirtschaft und die ganze Gesellschaft Somalias eingedrungen sind. Einige arbeiten heimlich, in Teilzeit oder auf Ad-hoc-Basis mit der Gruppe zusammen. Sie bewegen Nachschub, überbringen Nachrichten und berichten über alles - von der Zusammenarbeit mit der Regierung bis hin zur Wirtschaftstätigkeit. Es ist unmöglich, sie zu zählen.
Die Gruppe ist technisch teilweise besser ausgerüstet als die SNA und kann selbst gegen ATMIS manchmal mit schweren Waffen eine Überlegenheit herstellen. Außerdem verfügt al Shabaab mit dem Amniyat über das landesweit beste Aufklärungsnetzwerk. Der Amniyat ist die wichtigste Stütze der al Shabaab, und diese Teilorganisation hat ihre Fähigkeiten in den vergangenen Jahren ausgebaut. Er ist auch für die Erhebung ausnützbarer Clanrivalitäten zuständig. Al Shabaab verfügt jedenfalls über ein extensives Netzwerk an Informanten und ist in der Lage, der Bevölkerung Angst einzuflößen. Auch Namen von Nachbarn und sogar die Namen der Verwandten der Nachbarn werden in Datenbanken geführt.
Gebiete: Al Shabaab verfügt weiterhin über ein starkes Hinterland. Die Gruppe wurde zwar aus den meisten Städten vertrieben, bleibt aber auf dem Land in herausragender Position bzw. hat sie dort eine feste Basis. Zudem schränkt sie regionale sowie Kräfte des Bundes auf städtischen Raum ein, ohne dass diese die Möglichkeit hätten, sich zwischen den Städten frei zu bewegen. Al Shabaab kontrolliert Gebiete in den Regionen Lower Juba und Gedo (Jubaland); Bakool, Bay und Lower Shabelle (SWS); Hiiraan und – in sehr geringem Maße – Middle Shabelle (HirShabelle); Galgaduud und – in sehr geringem Maße – Mudug (Galmudug). Die Region Middle Juba wird zur Gänze von al Shabaab kontrolliert.
Gemeinschaften, die unter der Kontrolle von al Shabaab stehen, werden häufig vom Rest Somalias und von der internationalen Unterstützung abgekoppelt. Die Kontrollpunkte und Blockaden der militanten Gruppe schränken den Personen- und Warenverkehr ein. In Gebieten, die an von der Regierung kontrollierte und von al Shabaab unter Blockade gestellte Städte grenzen, hat die Gruppe strenge Regeln hinsichtlich ökonomischer und beruflicher Tätigkeiten eingeführt. Al Shabaab setzt diese mit Drohungen und Gewalt durch und bestraft jene, die diese Regeln brechen.
Kapazitäten: Prinzipiell hat al Shabaab wiederholt gezeigt, dass sie gegenüber Druck anpassungsfähig und in der Lage ist, sich zurückzuziehen und neu zu formieren, bevor sie zurückschlägt. Al Shabaab ist weiterhin in der Lage, komplexe Angriffe z.B. in und um Mogadischu durchzuführen. Die Fähigkeit der Gruppe, Waffen zu beschaffen und Kämpfer neu zu verteilen, bleibt weitgehend intakt. Dabei geht die Einflusssphäre der Gruppe über jene Gebiete, die sie tatsächlich unter Kontrolle hat, hinaus. Der Amniyat hat die Politik, lokale Behörden, Betriebe und Gemeinschaften unterwandert. Dies gilt auch für die NISA (Geheimdienst) und die Polizei. Bis zu 30 % der Polizisten in Mogadischu sind demnach kompromittiert.
Al Shabaab hat jedoch nicht genügend Kapazitäten, um ständig und überall präsent zu sein. Das Einsatzgebiet von der Gruppe ist fast so groß wie Deutschland. In diesem weitläufigen und infrastrukturell wenig erschlossenen Gebiet muss die Gruppe mit ca. 10.000 bewaffneten Kämpfern auskommen. Das bedeutet, dass al Shabaab zu keinem Zeitpunkt eine permanente Kontrolle über alle strategisch wichtigen Punkte ausüben kann. Die Gruppe kann nicht alle wichtigen Straßen kontrollieren, kann nicht in allen Orten des Hinterlandes mit permanenter Präsenz aufwarten, kann sich nicht um alle Konflikte vor Ort gleichzeitig kümmern. Gemäß einer Quelle verfügt al Shabaab bei Clans über Verbindungsleute; laut einer anderen Quelle hält al Shabaab in ihrem Gebiet vor allem in Städten und größeren Dörfern eine permanente Präsenz aufrecht. Abseits davon operiert al Shabaab in kleinen, mobilen Gruppen und zielt damit in erster Linie auf das Einheben von Steuern ab und übt Einfluss aus. Eine andere Quelle erklärt, dass, auch wenn es dort keine permanenten Stationen gibt, die Polizei von al Shabaab regelmäßig auch entlegene Gebiete besucht. Nominell ist die Reichweite der al Shabaab in Süd-/Zentralsomalia unbegrenzt. Sie ist in den meisten Landesteilen offen oder verdeckt präsent. Die Gruppe ist in der Lage, überall zuzuschlagen, bzw. kann sie sich auch in vielen Gebieten Süd-/Zentralsomalias frei bewegen. Al Shabaab funktioniert in nahezu ganz Südsomalia als Schattenregierung bzw. -Verwaltung. „Kontrolliert“ wird – wie es ein Experte ausdrückt – durch „exemplarische Gewalt“, etwa bei Körperstrafen; durch das Streuen von Gerüchten; durch terroristische Anschläge zur Einschüchterung der Bevölkerung. All das erfolgt aber nur so intensiv und so oft, wie es nötig ist, um die lokale Bevölkerung zu erschrecken und dafür zu sorgen, dass ein Großteil der Menschen sich tatsächlich – zwangsläufig – mit der Herrschaft von al Shabaab arrangiert. Dort wo al Shabaab nicht in der Lage ist, ein angemessenes Maß an Gewaltandrohung glaubhaft darstellen zu können, sind die Erpressungsversuche auch weniger erfolgreich. So lehnen etwa Wirtschaftstreibende, die ausschließlich in Baidoa und Kismayo agieren, Zahlungsforderungen mitunter ab. Zudem hat die Gruppe aus vergangenen Fehlern gelernt und so die Kontrolle über einige Gebiete zurückerlangt, die sie 2022 verloren hat. Einige Übereinkommen mit Clans in Zentralsomalia wurden wiederaufgenommen. Al Shabaab hebt weiter illegale Steuern ein, ohne dabei so weit zu gehen, lokale Clans zu gewalttätigem Widerstand zu provozieren. Die Gruppe ist nun darauf bedacht, die Gemeinschaften, von denen sie abhängig ist, nicht zu sehr auszubeuten.
Al Shabaab gilt als „wohlhabend“, verfügt über einen finanziellen Polster und damit auch über einen Hebel hinsichtlich Neurekrutierungen.
Steuern bzw. Schutzgeld: In den Gebieten der al Shabaab gibt es ein zentralisiertes Steuersystem. Die Besteuerung scheint systematisch, organisiert und kontrolliert zu erfolgen. Al Shabaab führt ein Register über den Besitz „ihrer“ Bürger, um darauf jährlich 2,5 % Zakat zu beanspruchen. Das Steuersystem der Gruppe hat sich immer mehr entwickelt – bis hin zu Eigentumssteuern.
Schätzungen von Experten zufolge nimmt al Shabaab alleine an Checkpoints pro Jahr mehr als 100 Millionen US-Dollar ein. Laut einer anderen Schätzung kann al Shabaab jährlich bis zu 120 Millionen US-Dollar generieren. Nach anderen Angaben geht die US-amerikanische Regierung davon aus, dass al Shabaab alleine in Mogadischu bis zu 100 Millionen US-Dollar im Jahr einbringt. Gemäß Angaben einer Quelle der FFM Somalia 2023 lukriert die Gruppe sogar rund 180 Millionen US-Dollar pro Jahr – bei Ausgaben von nur etwa 100 Millionen. Eine weitere Quelle bestätigt diese Angaben. Al Shabaab investiert einen Teil ihres Budgets in Immobilien und Klein- und Mittelbetriebe.
Ein Teil der Einkünfte wird an einem Netzwerk an Straßensperren eingehoben. Insgesamt ist al Shabaab in der Lage, in ganz Süd-/Zentralsomalia erpresserisch Zahlungen zu erzwingen - auch in Gebieten, die nicht unter ihrer direkten Kontrolle stehen. Die Gruppe hebt in 10 von 18 somalischen Regionen Steuern ein. Eingehoben werden Steuern und Gebühren etwa auf die Landwirtschaft, auf Fahrzeuge, Transport und den Verkauf von Vieh; sowie auf manche Dienstleistungen. Al Shabaab erhebt Steuern auf Importe. Für jeden Container, der in Mogadischu anlandet, müssen Abgaben an al Shabaab entrichtet werden. Die Gruppe erpresst Schutzgeld auf alles, was „segelt, rollt oder sich bewegt“ sowie vom Bauwesen bzw. von Baufirmen und am Immobiliensektor generell. Auch Beamte und kleine Unternehmen müssen Geld abführen. Dieser Faktor belegt aber auch den Pragmatismus von al Shabaab als mafiöser Organisation, wo Geld vor Ideologie gereiht wird.
Die Höhe der Steuer ist oft verhandelbar. Jedenfalls haben die Menschen de facto keine Wahl, sie müssen al Shabaab bezahlen. Wirtschaftstreibende nehmen die Macht von al Shabaab zur Kenntnis und zahlen Steuern an die Gruppe – auch weil die Regierung sie nicht vor den Folgen beschützen kann, die bei einer Zahlungsverweigerung drohen. Denn al Shabaab agiert wie ein verbrecherisches Syndikat. Die Gruppe baut auf ihre Reputation der Omnipräsenz und Einschüchterung - typisch für eine mafiöse Organisation. Der Zakat wird vom Amniyat durchgesetzt – und zwar durch Einschüchterung und Gewalt. Bei Zahlungsverweigerung droht die Ermordung. Eine Quelle der FFM Somalia 2023 erklärt, dass es al Shabaab in der Vergangenheit diesbezüglich zu weit getrieben hat. In manchen Landesteilen war die Gruppe zu gierig und brachte die Bevölkerung gegen sich auf. Al Shabaab schreckt nicht davor zurück, Menschen durch Gewalt gefügig zu machen. Menschen werden entführt, Vieh weggenommen. Teilweise flieht die Bevölkerung vor der Besteuerung. Eine Quelle gibt an, dass al Shabaab in Folge des Aufstands der Macawiisley nun einen weniger autoritären Umgang mit den Clans pflegt und sich die Gruppe demnach den Umständen angepasst hat.
Wirtschaftsmacht al Shabaab – Quellen der FFM Somalia 2023 erklären: Mit einer neuen Gesetzgebung hat die Regierung Zahlungen an al Shabaab verboten; zudem gibt es entsprechende Kampagnen gegen Zahlungen an die Gruppe. Zusätzlich droht die Regierung den Wirtschaftstreibenden, und einige von ihnen haben in Mogadischu aufgehört, Geld an al Shabaab abführen. Die Bundesregierung bekämpft die Gruppe also auf finanzieller Ebene. Auch einige Konten von al Shabaab wurden eingefroren. Nun versucht die Gruppe, in den Gebieten unter ihrer Kontrolle so viel wie möglich von der Bevölkerung zu erpressen. Tatsächlich gibt es bei der finanziellen Bekämpfung von al Shabaab allerdings erhebliche Schwierigkeiten. Die ganze Wirtschaft ist von al Shabaab abhängig, wenn es z.B. um den Warentransport geht. Zudem sind die tief wurzelnden Strukturen der Gruppe im Wirtschaftsbereich Mogadischus nur schwer zu beseitigen. Die ganze Wirtschaft in der Hauptstadt zahlt Steuern an al Shabaab. Und auch viele Menschen führen weiterhin „Steuern“ an die Gruppe ab, weil sie nicht davon ausgehen, dass die Regierung in der Lage ist, sie vor al Shabaab zu schützen. Denn bis zuletzt galt: Bei Nichtzahlung drohen Konsequenzen, z.B. die Zerstörung von Eigentum oder Betriebsmitteln. Oder aber al Shabaab sorgt dafür, dass Unternehmen keine Aufträge mehr erhalten. Wirtschaftstreibende verschweigen es üblicherweise, wenn sie Geld an al Shabaab abführen.
Die Rebellion von al Shabaab hat mit 20 Jahren die durchschnittliche Lebensdauer von Rebellionen überstiegen. Möglicherweise sucht die Gruppe neue Orientierung. Al Shabaab ist kaum mehr in der Lage, die ideologische Karte zu spielen bzw. die Idee der Schaffung eines islamischen Staates zu propagieren. Sie schafft sich also ein Wirtschaftsimperium, denn al Shabaab verfügt über entsprechende Kompetenzen. Morde gegen Bezahlung scheinen für al Shabaab zum Geschäftsmodell zu werden. Zudem hat die Gruppe in vielen Sparten investiert, Reichtümer angehäuft und betreibt einige Unternehmen. Mittlerweile erscheint die Gruppe eher als „Wagner-style mafia“. Auch eine andere Quelle erklärt, dass al Shabaab außerhalb des eigenen Gebietes wie ein Kartell bzw. wie eine Mafia agiert. Für al Shabaab ist es nicht schwierig, eine Telefonnummer zu bekommen. So kann die Gruppe jede Person erreichen. In Mogadischu rufen sie z.B. Mitarbeiter einer Quelle an und sagen: „Kommen Sie zum Ort X und geben sie uns 2.000 US-Dollar.“ In anderen Gebieten hat al Shabaab einen direkteren Zugriff.
Sicherheitsbehörden
Süd-/Zentralsomalia, Puntland
Ausländische Kräfte
(Letzte Änderung 2023-03-17)
Im April 2022 hat die African Union Transition Mission in Somalia (ATMIS) von der African Union Mission in Somalia (AMISOM) übernommen, nachdem dies vom UN Security Council und zuvor vom Sicherheitsrat der Afrikanischen Union so beschlossen wurde. AMISOM war zuvor seit 2007 in Somalia aktiv. Das Mandat von ATMIS umfasst die Umsetzung des Somali Transition Plans und die Übertragung der Verantwortung für die Sicherheit an somalische Kräfte und Institutionen mit Ende 2024. Das vorläufige Mandat von ATMIS erstreckt sich auf ein Jahr und ist mehr oder weniger mit jenem von AMISOM ident. Das militärische Mandat umfasst: die Ausführung gezielter Operationen in Tandem mit somalischen Sicherheitskräften, um al Shabaab und andere terroristische Gruppen zu bekämpfen; in Tandem mit somalischen Sicherheitskräften Städte zu halten und die dort ansässige Bevölkerung zu schützen und die Sicherheit zu gewährleisten; Hauptversorgungsrouten zu sichern und einzunehmen; die Kapazitäten somalischer Sicherheitskräfte zu entwickeln, damit diese Ende 2024 die Verantwortung übernehmen können.
Auch hinsichtlich der Truppenstärke ist ATMIS mit AMISOM vergleichbar, die Aufstellung soll aber ein mobileres und agileres Vorgehen gegen al Shabaab gewährleisten. ATMIS bzw. AMISOM gelten als mächtigster Gegner der al Shabaab. Die Truppe trägt einerseits seit Jahren die Führung im Kampf gegen al Shabaab und andererseits schützt sie die Bundesregierung, die in großem Maße von den Kräften der ATMIS abhängig ist.
ATMIS ist in fünf Sektoren geteilt: Sektor 1 (Mogadischu und Umland; Lower Shabelle / Uganda); Sektor 2 (Middle und Lower Juba / Kenia); Sektor 3 (Bakool, Bay und Gedo / Äthiopien); Sektor 4 (Hiiraan und Galgaduud / Dschibuti); Sektor 5 (Middle Shabelle / Burundi); Sektor 6 (Teile von Lower Juba und Lower Shabelle / Kenia und Äthiopien). ATMIS hat eine militärische, eine polizeiliche und eine zivile Komponente. Truppenstellerstaaten für die militärische Komponente sind gegenwärtig Uganda, Burundi, Dschibuti, Kenia und Äthiopien mit einem Mandat für 18.586 Mann. Die Stärke beträgt seit Feber 2020: Äthiopien: 3.902; Burundi: 3.715; Dschibuti: 1.691; Kenia: 3.654; Uganda: 5.513; Hauptquartier: 111. Seit Ende 2020 verfügt AMISOM bzw. ATMIS über eine zusätzliche Luftkomponente von vier Hubschraubern, die von Uganda gestellt werden. Diese dienen v. a. für Verbindung, Versorgung und medizinische Notfälle. Insgesamt verfügt ATMIS über sieben militärische Luftfahrzeuge, zwölf wären autorisiert. Bis Ende 2022 war eigentlich ein Abzug von 2.000 Mann projektiert. Der UN Sicherheitsrat hat im Dezember 2022 allerdings einem Aufschub dieses Teilabzugs zugestimmt, dieser wurde auf Ende Juni 2023 verschoben. Danach soll ATMIS Stück für Stück abgezogen werden, die letzten 9.586 Mann dann Ende 2024.
ATMIS wird maßgeblich von der EU finanziert. Seit 2007 hat die EU fast 2,3 Mrd. Euro für AMISOM bzw. ATMIS ausgegeben und wird die Truppe - und maßgeblich den Sold - auch weiterhin maßgeblich finanzieren während die UN für logistische Unterstützung sorgt. Die Ausbildung für ATMIS erfolgt laufend auch im Rahmen der Einsatzvorbereitung in den Herkunftsländern und in Somalia, maßgeblich durch Großbritannien, die USA, Frankreich und die EU. In manchen Gebieten kooperiert ATMIS eng mit lokalen Milizen oder anderen Kräften.
Im Land befindet sich auch eine auf 1.040 Polizisten mandatierte ATMIS-Polizeikomponente unterschiedlicher afrikanischer Teilnehmerstaaten (Uganda, Nigeria, Ghana, Sierra Leone, Kenia und Sambia). ATMIS bietet spezielle Ausbildung und Beratung für die somalische Polizei, unterstützt diese bei Patrouillen und beim Schutz relevanter Infrastruktur; und bei der Bekämpfung gewaltsamer Extremisten und im Falle sozialer Unruhen. Außerdem sind die ATMIS-Polizisten hinsichtlich der strategischen Führung und der Erstellung von Policies von großer Bedeutung.
Neben ATMIS sind in Somalia noch andere militärische Kräfte aus dem Ausland aktiv, u.a. TURKSOM (türkisches Ausbildungszentrum in Mogadischu); die Kapazitätsbildungsmission der EU; die britische Mission Tangham; und Truppen der USA. Zur Zahl der bilateral auf somalischem Territorium operierenden äthiopischen Truppen gibt es unterschiedlichste Angaben. Denn Äthiopien hat auch diese Truppenteile mit dem grünen Barett von ATMIS ausgestattet. Eine Quelle berichtet von geschätzten 3.500 Mann in Gedo, Hiiraan und Galmudug. Eine andere Quelle berichtet von 2.000 äthiopischen Truppen, die nach einem Vorstoß von al Shabaab nach Äthiopien wieder verstärkt worden sind. Hunderte Soldaten wurden demnach in die Region Gedo entsandt.
Zuvor abgezogene äthiopische Truppen wurden zumindest an der Grenze durch rund 1.500 Mann Liyu Police aus dem äthiopischen Somali Regional State ersetzt. Eine andere Quelle spricht von mehreren Tausend Mann - außerhalb des ATMIS-Kontingents Äthiopiens. Damit ist die Liyu Police wieder verstärkt in Somalia aktiv. Liyu-Stützpunkte finden sich etwa in Yeed, Ato und Washaaqo. Die Liyu-Police dient den bilateral in Somalia befindlichen äthiopischen Streitkräften als Grenzschutz und zur Sicherung des Nachschubs.
Die USA haben die Eliteeinheit Danaab ausgebildet. Allerdings wurden die US-Truppen abgezogen, dieser Abzug war mit Mitte Jänner 2021 offiziell abgeschlossen. 2022 wurde die Entscheidung zum Abzug revidiert. Nun sollen wieder bis zu 500 Soldaten in Somalia stationiert werden, um somalische Truppen auszubilden, zu beraten und auszurüsten. Sie werden in Bali Doogle stationiert – samt Drohnen und Hubschraubern. Zusätzlich befinden sich im Land 50 Soldaten aus Großbritannien. Diese führen ein Trainingsprogramm für somalische Kräfte in Baidoa durch. Es gibt Hinweise darauf, dass die Türkei in Somalia auch über Kampfdrohnen verfügt, die auch gegen al Shabaab eingesetzt werden.
Somalische Kräfte
(Letzte Änderung 2023-03-17)
Der Sicherheitssektor ist sehr relevant, 80 % der öffentlichen Stellen befinden sich in diesem Bereich, zwei Drittel der Staatsausgaben. - Nach anderen Angaben fließen jedenfalls mehr als die Hälfte dorthin. Der Sicherheitssektor präsentiert sich nach wie vor als Mischung aus Truppen auf Clanbasis und neuen, durch externe Akteure wie die Türkei ausgebildeten Verbänden. Die Gesamtzahl der Sicherheitskräfte wird 2021 mit ca. 40.000 angegeben. Nach anderen Angaben sind die Sicherheitskräfte unter der Regierung von Präsident Farmaajo mithilfe externer Unterstützung stark expandiert. Demnach hat Somalia mit 53.000 Mann auf Bundesebene und ca. 23.000 auf Ebene der Bundesstaaten mehr staatliches Sicherheitspersonal als notwendig und finanzierbar ist. Trotzdem ist die Aufnahme und Ausbildung weiterer 22.500 Soldaten in Planung.
Der Bundesregierung ist es nicht gelungen, das Gewaltmonopol des Staates wiederherzustellen, obwohl in den vergangenen Jahren Milliarden an US-Dollar in die Ausbildung und Ausrüstung von tausenden Soldaten, Polizisten und Geheimdienstmitarbeitern investiert worden sind. Trotzdem sind die Sicherheitskräfte Somalias auch nach 15 Jahren immer noch schwach und werden für politische Zwecke eingesetzt. Die Kräfte des Bundes werden als in „alarmierender Weise disfunktional“ beschrieben. Die somalischen Sicherheitskräfte sind jedenfalls noch zu schwach und schlecht organisiert, um selbstständig - ohne internationale Unterstützung - die Sicherheit im Land garantieren zu können.
Sie sind stark fragmentiert, für die militärische Organisation gibt es kein zentrales Kommando. Zudem sind die Sicherheitskräfte von al Shabaab unterwandert, und die Loyalität vieler Sicherheitskräfte liegt eher beim eigenen Clan bzw. der patrilinearen Abstammungsgruppe als beim Staat. Zudem wurde der Sicherheitssektor unter dem ehemaligen Präsidenten Farmaajo darauf getrimmt, dass nicht al Shabaab bekämpft, sondern politische Rivalen unterdrückt werden konnten. Loyale und unterqualifizierte Personen wurden auf relevante Stellen gehoben, die Führung der Sicherheitskräfte politisiert. Seither hat sich die Koordination von Aktivitäten und Operationen des Sicherheitsapparats gebessert, wie die Operationen gegen al Shabaab in Zentralsomalia gezeigt haben.
Zivile Kontrolle, Verantwortlichkeit, Ansehen: Es mangelt an effektiver Kontrolle ziviler Behörden über die Sicherheitskräfte bzw. entziehen sich Aktionen der staatlichen Sicherheitskräfte oftmals der zivilen Kontrolle. Dies gilt insbesondere für die NISA. Gleichzeitig bekennt sich die Regierung zu ihren völkerrechtlichen Verpflichtungen. Bei der Polizei wurde das Police Oversight Committee (POC) eingerichtet, das durch Polizisten begangenen Vergehen nachgehen soll. Die justizielle Verantwortlichkeit einzelner Mitglieder der Sicherheitsorgane ist zumeist schwach bis inexistent. Denn auch wenn die Regierung Schritte unternimmt, um öffentlich Bedienstete - v.a. Polizisten und Soldaten - zu bestrafen, bleibt Straflosigkeit die Norm. Obwohl es eigene Militärgerichte gibt, bleiben Vergehen durch Armeeangehörige häufig ungeahndet. Allerdings gibt es immer wieder Beispiele, wo Sicherheitskräfte zur Verantwortung gezogen werden [siehe Kapitel Folter].
Die Ausbildung im Menschenrechtsbereich wird zwar international unterstützt; es muss aber weiterhin davon ausgegangen werden, dass der Mehrzahl der regulären Kräfte die völkerrechtlichen Rahmenbedingungen ihres Handelns nur äußerst begrenzt bekannt sind. Dies gilt insbesondere für regierungsnahe Milizen. Maßnahmen zur Verhinderung willkürlicher Verhaftungen werden weder von der Polizei noch von der NISA oder militärischen Institutionen beachtet. Zudem wird deren Arbeit von Korruption unterminiert. Da die Sicherheitskräfte gegenüber der Zivilbevölkerung oft auch als Gewalt- und nicht als Sicherheitsakteure auftreten, genießen sie insgesamt keinen guten Ruf bei der Bevölkerung.
Polizei: Die nationale Polizei untersteht dem Ministerium für innere Sicherheit. Neben der Bundespolizei führt jeder Bundesstaat eigene regionale Polizeikräfte. Die Kräfte sind jeweils dem Bundes- bzw. dem bundesstaatlichen Ministerium für innere Sicherheit unterstellt. Die genaue Größe der somalischen Polizei ist unbekannt. Laut offiziellen Angaben stehen 11.000 Polizisten auf der Gehaltsliste des dafür zuständigen Ministeriums für innere Sicherheit. Die große Mehrheit dieser Polizisten versieht ihren Dienst in Mogadischu und Umgebung. Nach anderen Angaben umfasst die Polizei mittlerweile 37.000 Mann, wovon ungefähr die Hälfte der Bundespolizei zuzurechnen ist.
Armee: Das Verteidigungsministerium ist für die Kontrolle der Armee verantwortlich. Es wurde versucht, diverse Milizen zu einer Armee unter Führung der Bundesregierung zu fusionieren. Die Regierungstruppen bestehen hauptsächlich aus Clanmilizen, deren Loyalität in erster Linie beim eigenen Clan liegt; bzw. waren viele militärische Einheiten der Bundesarmee ursprünglich Clanmilizen. Anders ausgedrückt ist die Linie zwischen der Bundesarmee und Clanmilizen sehr schmal. Ein Soldat kann an einem Tag im Interesse des Landes arbeiten und am nächsten im Interesse seines Clans oder einer politischen Gruppe. Jedenfalls zeigt die Bundesarmee nur wenige Merkmale einer effektiven Armee im westlichen Sinne. Ausländische Militärhilfe ist stark an Eigennutz gebunden, unterschiedliche politische Akteure werden gegeneinander ausgespielt. Als Resultat bietet sich ein Bild von einerseits Brigaden auf Clanbasis, die den Großteil der Truppen stellen und eigentlich dem eigenen Clan zur Verfügung stehen; und andererseits durch vom Ausland unterstützten, nur teilweise mit der Bundesarmee verbundenen Kräften wie Danaab (USA), Gorgor (Türkei), Haramcad, Gashaan, sowie von Eritrea, den Vereinten Arabischen Emiraten, Katar, Großbritannien, der EU, Uganda, Kenia, Dschibuti und anderen Staaten ausgebildeten Kräften. Folglich sieht man auf der Straße auch ein breites Spektrum an Uniformen und Waffen.
Korruption ist verbreitet. Soldaten werden durch Nepotismus aufgrund ihrer Clanzugehörigkeit befördert und/oder um ihre Loyalität zu erlangen. Dies zerstört die Moral der Sicherheitskräfte und lenkt ihre Loyalität in Richtung der Clans. Der chronische Nepotismus in der Bundesarmee wirkt sich hinsichtlich der Moral der Soldaten verheerend aus. Einige Kommandanten nehmen Bestechungsgelder an oder kooperieren mit al Shabaab. Im Rahmen der Auseinandersetzung zwischen Präsident Farmaajo und der Opposition 2021 haben sich Auflösungstendenzen verstärkt. Die Sicherheitskräfte und die Armee hatten sich entlang von Clanlinien fragmentiert.
Besoldung: Soldaten verdienen etwa 100 US-Dollar im Monat. Es kommt vor, dass Soldaten nur sehr unregelmäßig bezahlt werden, dies fördert die Korruption. Diese, sowie Misswirtschaft und finanzielle Einschränkungen beeinträchtigen die Wirksamkeit der Armee. Die Einführung der biometrischen Registrierung aller Soldaten der Bundesarmee hat die davor bestehende Korruption eingeschränkt, aber nicht eliminiert. Generell erfolgt nunmehr die (elektronische) Bezahlung der Soldaten viel regelmäßiger, doch selbst hier kommt es mitunter zu Verzögerungen. Die Spezialeinheit Danab wird und wurde von den USA finanziert und regelmäßig bezahlt.
Der Armee mangelt es zudem an Ausbildung und Ausrüstung, obwohl die Bundesarmee im vergangenen Jahrzehnt von zahlreichen Akteuren diesbezüglich Unterstützung erhalten hat - namentlich von Burundi, Dschibuti, Äthiopien, Italien, Kenia, dem Sudan, der Türkei, den VAE, Uganda, Großbritannien, den USA, der AU, der EU und den UN. Selbst in Katar und in Eritrea wurden Soldaten ausgebildet. Alleine Großbritannien hat seit 2016 mehr als 2.000 somalische Soldaten ausgebildet. Die Türkei hat bis 2022 5.000 Soldaten für die Einheit Gorgor und zudem hunderte Offiziere und Unteroffiziere ausgebildet. Die USA haben knapp 2.000 Kräfte von Danaab ausgebildet und weitere 350 Rekruten zur Ausbildung aufgenommen. Die vielen externen Akteure, welche sich am Aufbau somalischer Sicherheitskräfte beteiligen, arbeiten notorisch unkoordiniert, und einige Akteure – etwa Kenia und Äthiopien – verfolgen darüber hinaus nationale Interessen. Die somalischen Streitkräfte haben keine Übersicht über ihre eigenen Lagerbestände. Und obwohl Somalia in den letzten Jahren Tausende Waffen beschafft hat, sind nach wie vor nicht alle Soldaten mit einer Waffe ausgestattet. Dabei nennt die somalische Regierung als Grund für die mangelnde Effektivität der eigenen Truppen das nach wie vor aufrechte Waffenembargo der Vereinten Nationen. Aufgrund des Embargos können weder schwere Waffen noch Fluggerät angeschafft werden.
Die Nationale Armee wird von der AU, der EU, den USA sowie anderen Ländern, wie Türkei und Israel in der Besoldung, Bewaffnung und beim Training unterstützt. Die USA haben Armee- und Regionalkräfte ausgebildet, die Spezialeinheit Danaab aufgestellt und Anti-Terrorismus-Kapazitäten gestärkt; die EU führt ihre Ausbildungsmission EUTM weiter. Die Türkei unterstützt die Bundesarmee materiell und bildet in einem eigens erbauten Stützpunkt (TURKSOM) auch Soldaten aus. Die UN-Agentur UNSOS unterstützt 11.649 Angehörige der Sicherheitskräfte logistisch.
Armee/Stärke: Die Regierung nennt unterschiedliche Zahlen: 24.000 oder 28.000. Eine andere Quelle nennt eine Zahl von 19.000-20.000 Mann - ohne die 5.000 in Eritrea ausgebildeten, deren Verwendung weiterhin unklar ist. Eine andere Quelle nennt diesbezüglich mehr als 25.000 - ohne die Spezialeinheit Gorgor; mit Letzterer umfasst die Bundesarmee demnach fast 30.000 Soldaten. Insgesamt sind in den vergangenen 15 Jahren von externen Akteuren Schätzungen zufolge mehr als 100.000 Soldaten ausgebildet worden.
Spezialeinheiten: Danab (Blitz) - von den USA ausgebildet, ausgerüstet und betreut - ist die einzige Einheit, bei welcher bei der Rekrutierung nicht der Clan, sondern militärische Erfahrung und Können eine Rolle spielen. Es handelt sich um eine bestens ausgebildete und um die schlagkräftigste Einheit in Somalia. Diese Truppe umfasst etwa 1.500-1.600 Mann und war in der Offensive an fast allen Frontabschnitten in Hiiraan, Middle Shabelle und Galgaduud aktiv. Es ist geplant, die Mannzahl von Danab zu verdoppeln. Danab-Soldaten werden regelmäßig bezahlt. Es gibt dort fixe Quoten, um dafür zu sorgen, dass die Soldaten aus allen unterschiedlichen Clans stammen. Danab hat nunmehr 1.500 Soldaten.
Eine weitere Spezialeinheit ist die von der Türkei ausgebildete und mit modernen Waffen, Ausrüstung und gepanzerten Fahrzeugen ausgestattete Gorgor (Adler). Diese Einheit wird nicht geschlossen eingesetzt, sondern ist in Mogadischu, Dhusamareb, Belet Xaawo und mehreren Orten in Lower Shabelle im Einsatz. Die Einheit umfasst nunmehr mehr als 5.000, nach anderen Angaben 5.500 Mann in vermutlich 10 Bataillonen. Danab wird zunehmend als apolitisch erachtet. Sowohl Danab als auch Gorgor ist es gelungen, Clanrivalitäten innerhalb ihrer Reihen aufzulösen und gleichzeitig effektive Anti-Terror-Operationen durchzuführen.
Sowohl Danab als auch Gorgor sind nun wieder klar der Armee unterstellt.
Regionale Kräfte: Die Bundesstaaten haben ihre eigenen Sicherheitsapparate. Unklar ist, inwiefern diese Kräfte in die zur Bundesregierung gerechneten Kräfte eingegliedert sind bzw. dorthin zugeordnet werden. Beim Operational Readiness Assessment wurden 2019 in Jubaland, Galmudug, SWS und Puntland fast 20.000 Personen registriert, welche zu „Regionalkräften“ (auch Darawish) gezählt werden. Unter Darawish werden in Somalia grundsätzlich alle organisierten bewaffneten Kräfte verstanden, die außerhalb der Clanmilizen zu finden sind. Im neueren Kontext werden damit v. a. Sicherheitskräfte der Bundesstaaten bezeichnet. Darawish werden nunmehr auch national ausgebildet. So haben im Feber 2020 die ersten 300 von 1.750 Darawish ihre – u. a. von AMISOM bzw. ATMIS und EUTM gestaltete – Ausbildung in Mogadischu abgeschlossen. Kenia kooperiert mit den Sicherheitskräften Jubalands und bildet diese aus. Äthiopien und Großbritannien bilden Sicherheitskräfte des SWS aus und auch Dschibuti beteiligt sich am Aufbau lokaler Darawish Forces.
Milizen, die nicht Teil der somalischen Sicherheitskräfte sind, aber loyal zu Regionalregierungen stehen, sind Teil des Spektrums. Oft haben sie in der Vergangenheit das Sicherheitsvakuum gefüllt, wo staatliche Kräfte aufgrund ihrer Schwäche nicht dazu in der Lage waren. In Teilen von Galgaduud – etwa im Bezirk Baxdo – organisieren sich zunehmend lokale Gemeinden und Milizen im Widerstand gegen al Shabaab. Diese werden dabei von der Armee unterstützt. Auch in Hiiraan wird versucht, den gesellschaftlichen Widerstand gegen al Shabaab zu fördern.
Die Macawiisely – benannt nach den langen Gewändern der somalischen Nomaden – wurden ursprünglich nur bei Bedarf mobilisiert. Es gab keine permanenten Stützpunkte, keine organisierte Führung, keine regulären Kräfte und keine externe Unterstützung. Mit der zunehmenden Terrorisierung der Zivilbevölkerung in Teilen von Galmudug und HirShabelle hat ihre Bedeutung zugenommen. In der Verteidigung der eigenen Heimat und der eigenen Familien mit eigenen Mitteln und Waffen, greifen diese Milizen al Shabaab an und konnten dabei auch schon einige Erfolge verzeichnen. Ein signifikanter Teil der Macawiisley besteht folglich aus Personen, die keine Soldaten oder professionellen Milizionäre sind, sondern Viehzüchter und Nomaden. Diese lokalen Milizen stellen eine zur SNA parallele und durch die FGS aufgrund ihrer Clan-basierten Strukturen nicht kontrollierbare bewaffnete Macht dar. Zudem sind die Macawiisley aufgrund von Zwängen hinsichtlich der Erwerbstätigkeit nicht unbegrenzt für den Kampf verfügbar.
Zudem verfügen alle politischen Kräfte über eigene Kampftruppen. Einzelne Politiker, Unternehmen und Hilfsorganisationen haben eigenes Sicherheitspersonal.
NISA (National Intelligence and Security Agency): Die NISA ist vergleichbar mit einem Inlandsgeheimdienst. Sie hat die Aufgabe als Sicherheitspolizei vornehmlich gegen al Shabaab vorzugehen, bzw. ist sie auch für den Staatsschutz zuständig und mit exekutiven Vollmachten ausgestattet. Die exekutiven Einheiten der NISA sind zwar 2018 formal in die Polizei integriert worden. Trotzdem bleibt die NISA mit exekutiven Vollmachten ausgestattet und übt weiterhin eine aktive Rolle in der Terrorismusbekämpfung aus, die über eine rein nachrichtendienstliche Tätigkeit hinausgeht. Es kommt auch immer wieder zu Zusammenstößen mit anderen Sicherheitskräften. Außerdem führt die NISA Razzien durch und nimmt Menschen fest und unterliegt wenigen bis keinen Aufsichts- und Kontrollmechanismen. Am 6.2.2023 erhielt der bereits im Jahr 2013 offiziell aufgestellte Dienst mit dem im Parlament verabschiedeten NISA-Gesetz eine rechtliche Grundlage. Das in Somalia befindliche Personal der NISA umfasst 5.000, nach anderen Angaben von 3.200 Mann, wovon die Masse in Mogadischu und Teile im SWS, in HirShabelle und Galmudug eingesetzt sind.
Die NISA verfügt über eigene Spezialeinheiten: die in Eritrea ausgebildeten Dufaan (Sturm) mit einer Stärke von mindestens 450 Mann und fehlender gesetzlicher Verankerung und Verantwortlichkeit. Auch die Einheit Ruuxaan (Geister) sowie die von den USA ausgebildeten und als Anti-Terror-Einheiten eingesetzten Waran (Speer) und Gashaan (Schild) gehört zum NISA.
Folter und unmenschliche Behandlung
Süd-/Zentralsomalia, Puntland
(Letzte Änderung 2023-03-17)
Staatlichen Akteuren werden Menschenrechtsverletzungen wie Tötungen, militärische Angriffe auf Zivilisten und zivile Einrichtungen, willkürliche Verhaftungen, außergerichtliche Hinrichtungen, sexuelle und geschlechtsspezifische Gewalt, Vergewaltigungen, Entführung, Folter, schwere Misshandlung von Kindern, Raub, Bestechung, Korruption und willkürlicher Waffengebrauch vorgeworfen oder diese wurden dokumentiert. Vorwürfe aufgrund systematischer Verfolgung werden jedoch nicht erhoben. Es kann im Einzelfall nicht ausgeschlossen werden, dass Sicherheitskräfte den entsprechenden völkerrechtlichen Verpflichtungen nicht nachkommen und bei Verstößen straffrei gehen.
Tötungen: Die Regierung und ihre Handlanger verüben willkürliche und ungesetzliche Tötungen. Auch bei bewaffneten Zusammenstößen werden Zivilisten getötet. Alleine im Dezember 2021 töteten Sicherheitskräfte bei unterschiedlichen „Unfällen“ in Mogadischu mehrere Zivilisten. Während immer noch al Shabaab und Clanmilizen für die Mehrheit der extra-legalen Tötungen verantwortlich zeichnen, wächst die Zahl an Fällen von Tötungen durch Sicherheitskräfte. Es fehlen Regeln hinsichtlich der Gewaltanwendung gegen Zivilisten. Der Einsatz tödlicher Gewalt – etwa von scharfer Munition gegen Demonstranten – ist nicht unüblich und jedenfalls üblicher als eine graduelle Eskalation.
Folter: Folter ist zwar laut Verfassung verboten, es gibt allerdings keinen konkreten Tatbestand im Gesetz. Nach anderen Angaben sind Folter und unmenschliche Behandlung gesetzlich verboten, es kommt aber dennoch zu derartigen Vorfällen. Regierungskräfte und alliierte Milizen setzen exzessiv Gewalt ein - darunter auch Folter. NISA misshandelt Personen bei Verhören, es kommt dabei zu Folter. Verhaftete sind einem Risiko ausgesetzt, gefoltert bzw. unter menschenunwürdigen Bedingungen festgehalten und misshandelt zu werden. Bei mehr als tausend Besuchen in Haft- und Anhalteeinrichtungen in Baidoa, Kismayo und Mogadischu wurde festgestellt, dass Folter dort üblich ist.
Der UN-Menschenrechtskommissar hat Besorgnis geäußert, wonach sowohl NISA als auch Armee in Fälle von Folter, geschlechtsspezifischer Gewalt und anderen Vergehen verwickelt sind. Unter Folter fallen demnach auch öffentliche Exekutionen. V.a. NISA verhaftet Personen ohne Haftbefehl, sperrt diese über längere Zeiten ein, misshandelt Personen bei Verhören. Vorwürfe gibt es mitunter auch gegen Angehörige der Spezialeinheit Haramcad. So wurde z. B. am 19.2.2021 ein Journalist verhaftet und dann gefoltert. Außerdem wenden auch Clanmilizen – auch mit der Regierung affiliierte – Folter und unmenschliche Behandlung an. Aufgrund des Clanschutzes für Täter herrscht diesbezüglich eine Kultur der Straflosigkeit.
In Puntland gibt es einige Vorwürfe gegen die Puntland Intelligence Agency, wonach diese gegen Terrorismusverdächtige in Haft Folter anwendet.
Verhaftungen: Willkürliche Verhaftungen sind üblich. Es gibt immer wieder Berichte über Polizeigewalt und exzessive Gewaltanwendung, Drohungen, Belästigungen und willkürliche Verhaftungen – vor allem von Terrorverdächtigen, Menschenrechtsverteidigern und Journalisten. Alleine von Februar bis Mai 2022 wurden 27 Journalisten und Medienmitarbeiter willkürlich verhaftet. NISA verhaftet Menschen und hält diese über längere Zeit ohne Anklage fest.
Rechenschaft: Hinsichtlich Folter durch Polizei und Armee besteht weitgehende Straffreiheit. Sicherheitskräfte agieren, ohne eine Strafe befürchten zu müssen. Fälle von Polizeigewalt werden oft nicht registriert, die Straffreiheit bei der Polizei floriert. Polizisten können selbst im Fall eines Mordes ungeschoren davonkommen. Nur einige Sicherheitsbeamte wurden in der Vergangenheit zur Verantwortung gezogen. Der Polizei fehlt für Untersuchungen schon die Kapazität. Die Armee verfügt diesbezüglich über bessere Justizmechanismen, diese werden allerdings nicht immer effizient eingesetzt. Im Juli 2022 wurde ein Soldat für einen an einem Zivilisten begangenen Mord von einem Militärgericht zum Tod verurteilt; ein Soldat wurde im Juli 2022 hingerichtet, der zuvor von einem Militärgericht wegen des Mordes an einem Geheimdienstmitarbeiter und dessen Schwester in Cabudwaaq verurteilt worden war; Anfang September 2022 wurden zwei Soldaten der Gorgor-Einheit wegen der Ermordung zweier Zivilisten in Lower Shabelle zum Tode verurteilt, ein weiterer Soldat, der bei der Tat anwesend war, wurde zu drei Jahren Haft verurteilt; ein Soldat wurde Anfang Dezember 2022 von einem Militärgericht zum Tode verurteilt, weil er an einer Straßensperre einen Taxilenker erschossen hat.
Generell bleibt Straffreiheit aber die Norm. Dies gilt auch für willkürliches Vorgehen der Polizeikräfte, dieses bleibt i.d.R. ungeahndet, denn ohne zivilrechtliche Aufsicht und Rechenschaftsablegung haben die Opfer polizeilicher Willkür und Gewalt oft gar keine legale Möglichkeit, juristisch dagegen vorzugehen.
Al Shabaab: Die Gruppe tötet, entführt und misshandelt Zivilisten, verübt geschlechtsspezifische Gewalt und führt Frauen einer Zwangsehe zu. Zudem rekrutiert al Shabaab Kinder und setzt diese auch ein. Außerdem verhängt und vollstreckt die Gruppe in den Gebieten unter ihrer Kontrolle weiterhin harte Strafen. Dort ist auch von unmenschlicher Behandlung auszugehen, wenn Personen gegen die Interessen von al Shabaab handeln oder dessen verdächtigt werden. Mitunter wird gegen Zivilisten – z.B. gegen potenzielle Spione und gegen Personen, die keine Abgaben leisten – auch Folter eingesetzt. Mitunter entführt al Shabaab Zivilisten – etwa Verwandte von Clanmilizionären.
Allgemeine Menschenrechtslage
Süd-/Zentralsomalia, Puntland (Letzte Änderung 2023-03-17)
In der somalischen Verfassung ist der Schutz der Menschenrechte ebenso verankert wie die prägende Rolle der Scharia als Rechtsquelle.
Trotzdem werden Grund- und Menschenrechte regelmäßig und systematisch verletzt. Im Wettstreit stehende, politische Akteure in Süd-/Zentralsomalia sind in schwere und systematische Menschenrechtsverbrechen involviert. Die schwersten Menschenrechtsverletzungen sind: willkürliche und ungesetzliche Tötungen durch Kräfte der somalischen Bundesregierung; Entführungen und Verschwindenlassen; Rekrutierung und Verwendung von Kindersoldaten; Folter und andere grausame Behandlung; harte Haftbedingungen; willkürliche und politisch motivierte Verhaftungen. Al Shabaab ist für die Mehrheit der schweren Menschenrechtsverletzungen und für den größten Teil ziviler Todesopfer verantwortlich. Es gibt aber auch Berichte über Menschenrechtsverletzungen durch Kräfte der Bundesregierung und von Regionalregierungen. Auch Clanmilizen sind für Vergehen verantwortlich - darunter Tötungen, Entführungen und Zerstörung zivilen Eigentums.
Bei Kämpfen unter Beteiligung von ATMIS, Regierung, Milizen und al Shabaab kommt es zur Tötung, Verletzung und Vertreibung von Zivilisten sowie zu anderen Kriegsverbrechen, welche durch alle Konfliktbeteiligten verübt werden. Es gibt zahlreiche Berichte, wonach die Regierung und ihre Handlanger Personen willkürlich und außergesetzlich töten. Nach anderen Angaben stellen extralegale Tötungen bei den Sicherheitskräften kein strukturelles Problem dar. Jedenfalls werden Sicherheitskräfte beschuldigt, Zivilisten bei Streitigkeiten um Land, bei Checkpoints, bei Zwangsräumungen und anderen Gelegenheiten willkürlich angegriffen zu haben. In solchen Fällen ist aufgrund des dysfunktionalen Justizsystems häufig von Straflosigkeit auszugehen.
Für die meisten Tötungen sind aber al Shabaab und Clanmilizen verantwortlich. Im Zeitraum 7.5. bis 23.8.2022 kamen landesweit 419 Zivilisten ums Leben oder wurden verletzt. Für 88 Opfer trug dabei al Shabaab, für 249 Unbekannte, für 30 Clanmilizen, für 46 staatliche Sicherheitskräfte und für sechs die Liyu Police die Verantwortung. Im Zeitraum 1.2. bis 6.5.2022 sind es vergleichsweise insgesamt 428 Opfer gewesen. In den vergangenen Jahren war die Zahl an zivilen Opfern stetig zurückgegangen. Gemäß verfügbarer Zahlen der UN ist aber 2022 bereits im November das Jahr mit den höchsten Zahlen an getöteten (613) und verletzten (948) Zivilisten seit dem Jahr 2017. Dabei wurden bei Sprengstoffanschlägen 315 Menschen getötet und 686 verletzt. Von diesen Anschlägen können mindestens 94 Prozent al Shabaab angelastet werden. Die restlichen Opfer wurden durch staatliche Kräfte, Milizen und Unbekannte verursacht.
Es gibt mehrere Berichte über von der Regierung gesteuertes, politisch motiviertes Verschwindenlassen. Es kommt zu willkürlichen Verhaftungen durch Bundes- und Regionalbehörden sowie durch alliierte Milizen. Die Regierung verwendet bei derartigen Verhaftungen oft den Vorwurf der Mitgliedschaft bei al Shabaab.
Generell ist Straflosigkeit die Norm. Die Regierung macht zumindest einige Schritte, um öffentlich Bedienstete – vor allem Sicherheitskräfte – strafrechtlich zu verfolgen.
Al Shabaab verletzt in den Gebieten unter ihrer Kontrolle systematisch Grundrechte. Die Gruppe ist für die Mehrheit schwerer Menschenrechtsverletzungen verantwortlich. Al Shabaab verübt terroristische Anschläge gegen Zivilisten; begeht Morde und Attentate; entführt Menschen, begeht Vergewaltigungen und vollzieht grausame Bestrafungen; Bürgerrechte und Bewegungsfreiheit werden eingeschränkt. Die Gruppe rekrutiert Kindersoldaten, entführt Menschen und nimmt Geiseln. Die Entführung und Verhaftung von Zivilisten erfolgt, um Regelbrüche zu ahnden oder Kollaboration zu erzwingen. Von Ende 2020 bis September 2021 wurden 13 derartige Entführungen dokumentiert, betroffen waren 155 Zivilisten – u. a. Älteste, Wirtschaftstreibende und Jugendliche. Nachdem sich al Shabaab bei schweren Kämpfen im Bereich Siigale Degta (Lower Shabelle) am 8.3.2022 zurückziehen musste, kehrte die Gruppe noch am selben Tag in das Dorf zurück. Al Shabaab beschuldigte die Gemeinde der Spionage und Kollaboration mit der Bundesarmee, tötete mindestens einen Mann und entführte 33 Dorfbewohner (darunter neun Frauen). Der Verbleib dieser Menschen ist bis heute ungeklärt.
Al Shabaab verhängt in ihren Gebieten Körperstrafen. So werden sexuelle Vergehen mitunter mit Auspeitschen, Diebstahl mit Amputation und Spionage mit dem Tode bestraft. Al Shabaab richtet regelmäßig und ohne ordentliches Verfahren Menschen hin, denen Kooperation mit der Regierung, internationalen Organisationen oder westlichen Hilfsorganisationen vorgeworfen wird, bzw. Zivilisten, die zu Abtrünnigen oder Spionen deklariert werden. Al Shabaab übt teils Rache an der Bevölkerung von Gebieten, die zuvor „befreit“ aber danach von al Shabaab wieder eingenommen worden waren. Die Gruppe wendet u. a. auch das Mittel von Zwangsvertreibungen an, um sich an sich widersetzenden oder nicht die eigenen Regeln befolgenden Bevölkerungsgruppen zu rächen. Bei derartigen Kollektivstrafen wurden z. B. im ersten Halbjahr 2021 im SWS und in Galmudug mehr als 11.000 Familien vertrieben. Mitunter kommt es bei al Shabaab auch zu Zwangsarbeit.
Religionsfreiheit
(Letzte Änderung 2023-03-17)
Die somalische Bevölkerung bekennt sich zu über 99 % zum sunnitischen Islam. Eine Konversion zu einer anderen Religion bleibt in einigen Gebieten verboten und gilt als sozial inakzeptabel. Nur eine sehr kleine Minderheit hängt tatsächlich einer anderen Religion oder islamischen Richtung an. Die auf einige Hundert geschätzten Christen praktizieren ihren Glauben nicht in der Öffentlichkeit.
Somalis folgten traditionell der Shafi’i-Schule des islamischen Rechts, geführt von mehreren dominanten Sufi-Orden bzw. Sekten (turuuq). Der Sufismus hat sich in Ostafrika in den vergangenen 200 Jahren ausgebreitet und in Somalia eigene Formen angenommen. Trotz des aggressiven Vordringens des importierten Salafismus schätzen viele Somali nach wie vor ihren Sufi-Glauben und ihre Sufi-Bräuche. Als Sufi-Hochburgen gelten Galgaduud und Hiiraan. Allerdings macht sich seit 20 Jahren der Einfluss des Wahhabismus und damit der Vormarsch einer konservativen Auslegung des Islams bemerkbar. Salfafisten, al Quaida und al Shabaab verabscheuen die Sufi-Interpretation des Islam.
Gebiete unter Regierungskontrolle
(Letzte Änderung 2022-07-26)
Somalia ist seinem verfassungsmäßigen Selbstverständnis nach ein islamischer Staat, der nicht vorrangig auf religiöse Vielfalt und Toleranz ausgelegt ist. Die Verfassungen von Somalia, Puntland und Somaliland bestimmen den Islam als Staatsreligion. Das islamische Recht (Scharia) wird als grundlegende Quelle der staatlichen Gesetzgebung genannt, alle Gesetze müssen mit den generellen Prinzipien der Scharia konform sein. Auch die Verfassungen der anderen Bundesstaaten erklären den Islam zur offiziellen Religion.
Der Übertritt zu einer anderen Religion ist gesetzlich nicht explizit verboten, wohl aber wird die Scharia entsprechend interpretiert. Blasphemie und „Beleidigung des Islam“ sind Straftatbestände. Nach anderen Angaben ist es Muslimen verboten, eine andere Religion anzunehmen. Jedenfalls sind Missionierung bzw. die Werbung für andere Religionen laut Verfassung verboten. Andererseits bekennt sich die Verfassung zu Religionsfreiheit. Auch sind dort ein Diskriminierungsverbot aufgrund der Religion sowie die freie Glaubensausübung festgeschrieben.
Unabhängig von staatlichen Bestimmungen und insbesondere jenseits der Bereiche, in denen die staatlichen Stellen effektive Staatsgewalt ausüben können, sind islamische und lokale Traditionen und islamisches Gewohnheitsrecht weit verbreitet. Es herrscht ein starker sozialer Druck, den Traditionen des sunnitischen Islam zu folgen. Eine Konversion vom Islam zu einer anderen Religion wird als sozial inakzeptabel erachtet. Jene, die unter dem Verdacht stehen, konvertiert zu sein, sowie deren Familien müssen mit Belästigungen seitens ihrer Umgebung rechnen.
Gebiete von al Shabaab
(Letzte Änderung 2023-03-17)
In Gebieten unter Kontrolle von al Shabaab ist die Praktizierung eines moderaten Islams sowie anderer Religionen untersagt. Al Shabaab setzt in den von ihr kontrollierten Gebieten gewaltsam die eigene Interpretation des Islam und der Scharia durch. Al Shabaab drangsaliert, verletzt oder tötet Menschen aus unterschiedlichen Gründen, u.a. dann, wenn sich diese nicht an die Edikte der Gruppe halten. Eltern, Lehrer und Gemeinden, welche sich nicht an die Vorschriften von al Shabaab halten, werden bedroht. Zudem droht al Shabaab damit, jeden Konvertiten zu exekutieren. Auf Apostasie steht die Todesstrafe. Offenbar gilt dies auch für Blasphemie, denn am 05.08.2021 wurde ein 83-Jähriger in der Nähe der Stadt Ceel Buur (Galmudug) von al Shabaab durch ein Erschießungskommando hingerichtet. Dem urteilenden Gericht zufolge hatte der Mann gestanden, den Propheten beleidigt zu haben. Christen droht Verfolgung, die diesbezügliche Situation hat sich in den letzten Jahren verschlechtert. Al Shabaab will Christen in Somalia gezielt auslöschen.
In den Gebieten unter Kontrolle von al Shabaab sind Politik und Verwaltung von religiösen Dogmen geprägt. Al Shabaab verbietet dort generell „unislamisches Verhalten“ – Kinos, Fernsehen, Musik, Internet, das Zusehen bei Sportübertragungen, der Verkauf von Khat, Rauchen und weiteres mehr. Es gilt das Gebot der Vollverschleierung. Allerdings scheint al Shabaab bei der Durchsetzung derartiger Normen zunehmend pragmatisch zu sein.
Minderheiten und Clans
(Letzte Änderung 2023-03-17)
Der Clan ist die relevanteste soziale, ökonomische und politische Struktur in Somalia. Er bestimmt den Zugang zu Ressourcen sowie zu Möglichkeiten, Einfluss, Schutz und Beziehungen. Dementsprechend steht Diskriminierung in Somalia generell oft nicht mit ethnischen Erwägungen in Zusammenhang, sondern vielmehr mit der Zugehörigkeit zu bestimmten Minderheitenclans oder Clans, die in einer bestimmten Region keine ausreichende Machtbasis und Stärke haben. Die meisten Bundesstaaten fußen auf einer fragilen Balance zwischen unterschiedlichen Clans. In diesem Umfeld werden weniger mächtige Clans und Minderheiten oft vernachlässigt. Selbst relative starke Clans können von einem lokalen Rivalen ausmanövriert werden, und es kommt zum Verlust der Kontrolle über eine Stadt oder eine regionale Verwaltung. Meist ist es die zweitstärkste Lineage in einem Bezirk oder einer Region, welche über die Verteilung von Macht und Privilegien am unglücklichsten ist.
Clanälteste dienen als Vermittler zwischen Staat und Gesellschaft. Sie werden nicht einfach aufgrund ihres Alters gewählt. Autorität und Führungsposition werden verdient, nicht vererbt. Ein Clanältester repräsentiert seine Gemeinschaft, ist ihr Interessenvertreter gegenüber dem Staat. Innerhalb der Gemeinschaft dienen sie als Friedensstifter, Konfliktvermittler und Wächter des Xeer. Bei Streitigkeiten mit anderen Clans ist der Clanälteste der Verhandler. Al Shabaab installiert oft Älteste, welche die Gruppe repräsentieren. Er wird so zum Bindeglied zwischen der Gemeinschaft und al Shabaab. So werden zuvor legitime Strukturen in Geiselhaft genommen.
In ganz Somalia sehen sich Menschen, die keinem der großen Clans angehören, in der Gesellschaft signifikant benachteiligt. Dies gilt etwa beim Zugang zur Justiz und für ökonomische sowie politische Partizipation. Minderheiten und berufsständische Kasten werden in mindere Rollen gedrängt – trotz des oft sehr relevanten ökonomischen Beitrags, den genau diese Gruppen leisten. Mitunter kommt es auch zu physischer Belästigung. Insgesamt ist allerdings festzustellen, dass es hinsichtlich der Vulnerabilität und Kapazität unterschiedlicher Minderheitengruppen signifikante Unterschiede gibt.
Recht: Die Übergangsverfassung und Verfassungen der Bundesstaaten verbieten die Diskriminierung und sehen Minderheitenrechte vor. Weder das traditionelle Recht (Xeer) noch Polizei und Justiz benachteiligen Minderheiten systematisch. Faktoren wie Finanzkraft, Bildungsniveau oder zahlenmäßige Größe einer Gruppe können Minderheiten dennoch den Zugang zur Justiz erschweren. Allerdings sind Angehörige von Minderheiten in staatlichen Behörden unterrepräsentiert und daher misstrauisch gegenüber diesen Einrichtungen. Von Gerichten Rechtsschutz zu bekommen, ist für Angehörige von Minderheiten noch schwieriger als für andere Bevölkerungsteile. Auch im Xeer sind Schutz und Verletzlichkeit einer Einzelperson eng verbunden mit der Macht ihres Clans. Weiterhin ist es für Minderheitsangehörige aber möglich, sich im Rahmen formaler Abkommen einem anderen Clan anzuschließen bzw. sich unter Schutz zu stellen. Diese Resilienz-Maßnahme wurde von manchen Gruppen etwa angesichts der Hungersnot 2011 und der Dürre 2016/17 angewendet. Aufgrund dieser Allianzen werden auch Minderheiten in das Xeer-System eingeschlossen. Wenn ein Angehöriger einer Minderheit, die mit einem großen Clan alliiert ist, einen Unfall verursacht, trägt auch der große Clan zu Mag/Diya (Kompensationszahlung) bei. Gemäß einer Quelle haben schwächere Clans und Minderheiten trotzdem oft Schwierigkeiten – oder es fehlt überhaupt die Möglichkeit – ihre Rechte im Xeer durchzusetzen.
Angehörige von Minderheiten stehen vor Hindernissen, wenn sie Identitätsdokumente erhalten wollen - auch im Falle von Reisepässen.
Politik: Politische Repräsentation, politische Parteien, lokale Verwaltungen und auch das nationale Parlament sind um die verschiedenen Clans bzw. Subclans organisiert, wobei die vier größten Clans (Darod, Hawiye, Dir-Isaaq und Digil-Mirifle) Verwaltung, Politik, und Gesellschaft dominieren - und zwar entlang der sogenannten 4.5-Formel. Dies bedeutet, dass den vier großen Clans dieselbe Anzahl von Parlamentssitzen zusteht, während kleinere Clans und Minderheitengruppen gemeinsam nur die Hälfte dieser Sitze erhalten. Dadurch werden kleinere Gruppen politisch marginalisiert. Sie werden von relevanten politischen Posten ausgeschlossen und die wenigen Angehörigen von Minderheiten, die solche Posten halten, haben kaum die Möglichkeit, sich für ihre Gemeinschaften einzusetzen. So ist also selbst die gegebene, formelle Vertretung nicht mit einer tatsächlichen politischen Mitsprache gleichzusetzen, da unter dem Einfluss und Druck der politisch mächtigen Clans agiert wird. Die 4.5-Formel hat bisher nicht zu einem Fortschritt der ethnischen bzw. Clan-bezogenen Gleichberechtigung beigetragen.
Gesellschaft: Einzelne Minderheiten leben unter besonders schwierigen sozialen Bedingungen in tiefer Armut und leiden an zahlreichen Formen der Diskriminierung und Exklusion. Sie sehen sich in vielfacher Weise von der übrigen Bevölkerung – nicht aber systematisch von staatlichen Stellen – wirtschaftlich, politisch und sozial ausgegrenzt. Zudem sind die Systeme gegenseitiger Unterstützung bei ihnen weniger gut ausgebaut, und sie verfügen über geringere Ressourcen und erhalten weniger Remissen. Die mächtigen Gruppen erhalten den Löwenanteil an Jobs, Ressourcen, Verträgen, Remissen und humanitärer Hilfe. Schwache Gruppen erhalten wenig bis gar nichts. Bei der Hungersnot 1991 waren die meisten Hungertoten entweder Digil-Mirifle oder Bantu. Dies gilt auch für die Hungersnot im Jahr 2011. Ein Grund dafür ist, dass humanitäre Hilfe von mächtigeren Clans vereinnahmt wird. Dementsprechend stehen Haushalte, die einer Minderheit angehören, einem höheren Maß an Unsicherheit bei der Nahrungsmittelversorgung gegenüber. Meist sind Minderheitenangehörige von informeller Arbeit abhängig, und die allgemeinen ökonomischen Probleme haben u.a. die Nachfrage nach Tagelöhnern zurückgehen lassen. Dadurch sind auch die Einkommen dramatisch gesunken.
Gewalt: Minderheitengruppen, denen es oft an bewaffneten Milizen fehlt, sind überproportional von Gewalt betroffen (Tötungen, Folter, Vergewaltigungen etc.). Täter sind Milizen oder Angehörige dominanter Clans – oft unter Duldung lokaler Behörden. In Mogadischu können sich Angehörige aller Clans frei bewegen und auch niederlassen. Allerdings besagt der eigene Clanhintergrund, in welchem Teil der Stadt es für eine Person am sichersten ist.
Al Shabaab: Es gibt Hinweise, wonach al Shabaab gezielt Kinder von Minderheiten entführt. Gleichzeitig nützt al Shabaab die gesellschaftliche Nivellierung als Rekrutierungsanreiz – etwa durch die Abschaffung der Hindernisse für Mischehen zwischen „noblen“ Clans und Minderheiten. Dementsprechend wird die Gruppe von Minderheitsangehörigen eher als gerecht oder sogar attraktiv erachtet. Al Shabaab hat sich die gesellschaftliche Benachteiligung von Gruppen zunutze gemacht. Ein überproportionaler Teil von al Shabaab setzt sich aus Angehörigen der am meisten marginalisierten Gruppen Somalias zusammen. Fehlender Rechtsschutz auf Regierungsseite ist ein weiterer Grund dafür, dass Angehörige von Minderheiten al Shabaab beitreten. Missstände treiben ganze Gemeinden in die Arme von al Shabaab. Sie suchen ein taktisches Bündnis – haben dabei aber keine dschihadistische Vision, sondern wollen ihre Rivalen ausstechen. Al Shabaab nimmt derartige Spannungen gerne auf und verwendet sie für eigene Zwecke. Aufgrund der (vormaligen) Unterstützung von al Shabaab durch manche Minderheiten kann es in Regionen, aus welchen al Shabaab gewichen ist, zu Repressalien kommen.
Bevölkerungsstruktur
(Letzte Änderung 2022-07-26)
Somalia ist eines der wenigen Länder in Afrika, wo es eine dominante Mehrheitskultur und -Sprache gibt. Die Mehrheit der Bevölkerung findet sich innerhalb der traditionellen somalischen Clanstrukturen. Somalia ist nach Angabe einer Quelle ethnisch sehr homogen; allerdings sei der Anteil ethnischer Minderheiten an der Gesamtbevölkerung unklar. Gemäß einer Quelle teilen mehr als 85 % der Bevölkerung eine ethnische Herkunft. Eine andere Quelle besagt, dass die somalische Bevölkerung aufgrund von Migration, ehemaliger Sklavenhaltung und der Präsenz von nicht nomadischen Berufsständen divers ist. Es gibt weder eine Konsistenz noch eine Verständigungsbasis dafür, wie Minderheiten definiert werden. Insgesamt reichen die Schätzungen hinsichtlich des Anteils an Minderheiten an der Gesamtbevölkerung von 6 % bis hin zu 33 %. Diese Diskrepanz veranschaulicht die Schwierigkeit, Clans und Minderheiten genau zu definieren. Jedenfalls trifft man in Somalia auf Zersplitterung in zahlreiche Clans, Subclans und Sub-Subclans, deren Mitgliedschaft sich nach Verwandtschaftsbeziehungen bzw. nach traditionellem Zugehörigkeitsempfinden bestimmt. Diese Unterteilung setzt sich fort bis hinunter zur Kernfamilie.
Insgesamt ist das westliche Verständnis einer Gesellschaft im somalischen Kontext irreführend. Dort gibt es kaum eine Unterscheidung zwischen öffentlicher und privater Sphäre. Zudem herrscht eine starke Tradition der sozialen Organisation abseits des Staates. Diese beruht vor allem auf sozialem Vertrauen innerhalb von Abstammungsgruppen. Seit dem Zusammenbruch des Staates hat sich diese soziale Netzwerkstruktur reorganisiert und verstärkt, um das Überleben der einzelnen Mitglieder zu sichern. Die Zugehörigkeit zu einem Clan ist der wichtigste identitätsstiftende Faktor für Somalis. Sie bestimmt, wo jemand lebt, arbeitet und geschützt wird. Darum kennen Somalis üblicherweise ihre exakte Position im Clansystem.
Die sogenannten „noblen“ Clanfamilien können (nach eigenen Angaben) ihre Abstammung auf mythische gemeinsame Vorfahren und den Propheten Mohammed zurückverfolgen. Die meisten Minderheiten sind dazu nicht in der Lage. Somali sehen sich als Nation arabischer Abstammung, „noble“ Clanfamilien sind meist Nomaden:
Darod gliedern sich in die drei Hauptgruppen: Ogaden, Marehan und Harti sowie einige kleinere Clans. Die Harti sind eine Föderation von drei Clans: Die Majerteen sind der wichtigste Clan Puntlands, während Dulbahante und Warsangeli in den zwischen Somaliland und Puntland umstrittenen Grenzregionen leben. Die Ogaden sind der wichtigste somalische Clan in Äthiopien, haben aber auch großen Einfluss in den südsomalischen Juba-Regionen sowie im Nordosten Kenias. Die Marehan sind in Süd-/Zentralsomalia präsent.
Hawiye leben v.a. in Süd-/Zentralsomalia. Die wichtigsten Hawiye-Clans sind Habr Gedir und Abgaal, beide haben in und um Mogadischu großen Einfluss.
Dir leben im Westen Somalilands sowie in den angrenzenden Gebieten in Äthiopien und Dschibuti, außerdem in kleineren Gebieten Süd-/Zentralsomalias. Die wichtigsten Dir-Clans sind Issa, Gadabursi (beide im Norden) und Biyomaal (Süd-/Zentralsomalia).
Isaaq sind die wichtigste Clanfamilie in Somaliland, wo sie kompakt leben. Teils werden sie zu den Dir gerechnet.
Rahanweyn bzw. Digil-Mirifle sind eine weitere Clanfamilie. Vor dem Bürgerkrieg der 1990er war noch auf sie herabgesehen worden. Allerdings konnten sie sich bald militärisch organisieren.
Alle Mehrheitsclans sowie ein Teil der ethnischen Minderheiten – nicht aber die berufsständischen Gruppen – haben ihr eigenes Territorium. Dessen Ausdehnung kann sich u. a. aufgrund von Konflikten verändern. In Mogadischu verfügen die Hawiye-Clans Abgaal, Habr Gedir und teilweise auch Murusade über eine herausragende Machtposition. Allerdings leben in der Stadt Angehörige aller somalischen Clans, auch die einzelnen Bezirke sind diesbezüglich meist heterogen.
Als Minderheiten werden jene Gruppen bezeichnet, die aufgrund ihrer geringeren Anzahl schwächer als die „noblen“ Mehrheitsclans sind. Dazu gehören Gruppen anderer ethnischer Abstammung; Gruppen, die traditionell als unrein angesehene Berufe ausüben; sowie die Angehörigen „nobler“ Clans, die nicht auf dem Territorium ihres Clans leben oder zahlenmäßig klein sind. Insgesamt gibt es keine physischen Charakteristika, welche die Zugehörigkeit zu einem bestimmten Clan erkennen ließen. Zudem gewinnt die Mitgliedschaft in einer islamischen Organisation immer mehr an Bedeutung. Dadurch kann eine „falsche“ Clanzugehörigkeit in eingeschränktem Ausmaß kompensiert werden.
Süd-/Zentralsomalia, Puntland
Ethnische Minderheiten, aktuelle Situation
(Letzte Änderung 2023-03-17)
Ethnische Minderheiten haben eine andere Abstammung und in manchen Fällen auch eine andere Sprache als die restlichen Einwohner des somalischen Sprachraums. Die soziale Stellung der einzelnen ethnischen Minderheiten ist unterschiedlich. Sie werden aber als minderwertig und mitunter als Fremde erachtet. So können Angehörige ethnischer Minderheiten auf Probleme stoßen – bis hin zu Staatenlosigkeit – wenn sie z. B. in einem Flüchtlingslager außerhalb Somalias geboren wurden.
Generell sind Angehörige von Minderheiten keiner systematischen Verfolgung mehr ausgesetzt, wie dies Anfang der 1990er der Fall war. Dies gilt auch für Mogadischu. Allerdings sind dort all jene Personen, welche nicht einem dominanten Clan der Stadt angehören, potenziell gegenüber Kriminalität vulnerabler. In den Städten ist die Bevölkerung aber allgemein gemischt, Kinder gehen unabhängig von ihrer ethnischen Zugehörigkeit in die Schule und Menschen ins Spital.
Nach anderen Angaben drohen ethnischen Minderheiten Stigmatisierung, soziale Absonderung, Verweigerung von Rechten und ein niedriger sozialer, ökonomischer und politischer Status, Arbeitslosigkeit und ein Mangel an Ressourcen. Sie werden am Arbeitsmarkt diskriminiert und vom Rest der Gesellschaft ausgeschlossen. Die meisten Angehörigen marginalisierter Gruppen haben keine Aussicht auf Rechtsschutz, nur selten werden solche Personen in die Sicherheitskräfte aufgenommen. Auch im Xeer werden sie marginalisiert. In Mogadischu mangelt es den Minderheiten auch an politischem Einfluss. Andererseits ändert sich die Situation langsam zum Besseren, die Einstellung v. a. der jüngeren Generation ändert sich; die Clanzugehörigkeit ist für diese nicht mehr so wichtig wie für die Älteren.
Die Bantu sind die größte Minderheit in Somalia. Es gibt zahlreiche Bantu-Gruppen bzw. -Clans, wie z. B. Gosha, Makane, Kabole, Shiidle, Reer Shabelle, Mushunguli, Oji oder Gobaweyne; pejorativ werden sie auch Adoon (Sklaven) oder Jareer (Kraushaar) genannt. Traditionell leben sie als sesshafte Bauern in den fruchtbaren Tälern der Flüsse Juba und Shabelle. Von den ca. 900.000 IDPs, die sich im Großraum Mogadischu aufhalten (Stand 2020), sind rund 700.000 Bantu.
Die Bantu werden überall in Somalia rassistisch stigmatisiert und diskriminiert. Die meisten Somali schauen auf die sesshaften Bantu, die zum Teil einst als Sklaven ins Land gekommen waren, herab. Sie sind das dramatischste Beispiel für die Schlechterbehandlung durch dominierende Gruppen und werden als Bürger zweiter Klasse erachtet und befinden sich am untersten Ende der Gesellschaft. Auch in IDP-Lagern werden sie diskriminiert, Bantu-Frauen mangelt es dort an Schutz durch die traditionelle Clanstruktur. 80 % der Opfer geschlechtsspezifischer Gewalt finden sich unter ihnen. Überhaupt befinden sich Bantu in einer vulnerablen Situation, da zuvor bestehende Patronageverhältnisse (welche Schutz gewährleisteten) im Bürgerkrieg erodiert sind. Dadurch haben Bantu heute kaum Zugang zum Xeer. Bantu sind besonders schutzlos. Andererseits sind einige Bantu-Gruppen mit lokal mächtigen Clans Allianzen eingegangen, um sich dadurch zu schützen.
Mischehen werden stigmatisiert. Im September 2018 wurde ein Bantu in Mogadischu in Zusammenhang mit einer Mischehe getötet. Allerdings war dies ein sehr außergewöhnlicher Vorfall, über welchen viele Somali ihre Entrüstung äußerten. Al Shabaab hingegen hat zahlreiche Kinder der Bantu entführt oder zwangsrekrutiert. Trotzdem genießt die Gruppe bei dieser Minderheit größere Unterstützung. Die meisten Fußsoldaten von al Shabaab, die aus Middle Shabelle stammen, gehören zu Gruppen mit niedrigem Status – etwa zu den Bantu. Al Shabaab hat diese Mitglieder dazu ermutigt, Frauen und Mädchen von „noblen“ Clans (z. B. Hawiye, Darod) zu heiraten.
Einem Bericht zufolge sind aus den USA deportierte somalische Bantu – manchmal schon am Flughafen in Mogadischu – von Bewaffneten entführt worden, um Lösegeld zu erpressen.
Benadiri ist ein Dachbegriff für verschiedene voneinander unabhängige urbane Minderheiten, die in den Küstenstädten des Südens leben (z. B. Mogadischu, Merka, Baraawe) und sich traditionell im Handel betätigen. Sie haben eine gemischte Abstammung aus Somalia, Arabien, Persien, Indien und Portugal. Vor 1991 hatten sie einen privilegierten Status. Ohne bewaffnete Miliz waren sie im Bürgerkrieg aber schutzlos. Heute werden Benadiri gemeinhin als Händler respektiert. In Mogadischu stellen die Benadiri die zweitgrößte Minderheitengruppe. Einige von ihnen haben es geschafft, reich zu werden. Im Gegensatz zu den Bantu kommt ihnen kein geringerer Status zu, Mischehen sind kein Problem. Auch von Sicherheitsproblemen wird (in Mogadischu) nicht berichtet. Vielen Reer Xamar (Teil der Benadiri) ist es gelungen, ihre vormaligen Immobilien im Bezirk Xamar Weyne (Mogadischu) durch Zahlungen zurückzuerhalten. Dort stellen sie auch die Bevölkerungsmehrheit.
Die Bajuni sind ein kleines Fischervolk, das auf den Bajuni-Inseln im Süden Somalias sowie in Kismayo aber auch entlang der kenianischen Küste bis Lamu lebt. Der UNHCR zählen die Bajuni zu den Benadiri.
Kinder von Mischehen der al-Shabaab: Einige somalische Mädchen und Frauen haben ausländische Kämpfer (z.B. aus Europa, USA, Asien) der al Shabaab geheiratet. Die aus solchen Ehen hervorgegangenen Kinder sind teils leicht zu identifizieren.
Angehörige anderer Clans in der Position als Minderheit, Clanlose
(Letzte Änderung 2022-06-13)
Auch Angehörige starker Clans können zu Minderheiten werden. Dies ist dann der Fall, wenn sie in einem Gebiet leben, in dem ein anderer Clan dominant ist. Dies kann Einzelpersonen oder auch ganze Gruppen betreffen. So sehen sich beispielsweise die Biyomaal als exponierter Dir-Clan in Südsomalia manchmal in dieser Rolle. Generell gerät eine Einzelperson immer dann in die Rolle der Minderheit, wenn sie sich auf dem Gebiet eines anderen Clans aufhält. Sie verliert so die mit ihrer Clanzugehörigkeit verbundenen Privilegien. Die Position als „Gast“ ist schwächer als jene des „Gastgebers“. Im System von „hosts and guests“ sind Personen, die sich außerhalb des eigenen Clanterritoriums niederlassen, gegenüber Angehörigen des dort ansässigen Clans schlechter gestellt. In Mogadischu gelten etwa Angehörige der Isaaq, Rahanweyn und Darod als „Gäste“. Dieses System gilt auch für IDPs.
Diskriminierung: In den meisten Gegenden schließt der dominante Clan andere Gruppen von einer effektiven Partizipation an Regierungsinstitutionen aus. Diskriminierung erfolgt etwa auch beim Zugang zum Arbeitsmarkt oder zu Gerichtsverfahren. Angehörige eines (Sub-)Clans können in von einem anderen (Sub-)Clan dominierten Gebiete auf erhebliche Schwierigkeiten stoßen, insbesondere in Konfliktsituationen bezüglich Unfällen, Eigentum oder Wasser. In Mogadischu ist es im Allgemeinen schwierig, Menschen die dort aufgewachsen sind, nach Clans zu differenzieren. Es gibt keine äußerlichen Unterschiede, auch der Akzent ist der gleiche. Selbst anhand von Namen lassen sich die Menschen nicht einmal ethnisch zuordnen, da vor allem arabische Namen verwendet werden.
Ashraf und Sheikhal werden als religiöse Clans bezeichnet. Die Ashraf beziehen ihren religiösen Status aus der von ihnen angegebenen Abstammung von der Tochter des Propheten; die Sheikhal aus einem vererbten religiösen Status. Beide Clans werden traditionell respektiert und von den Clans, bei welchen sie leben, geschützt. Die Sheikhal sind außerdem eng mit dem Clan der Hawiye/Hirab assoziiert und nehmen sogar einige Sitze der Hawiye im somalischen Parlament ein. Ein Teil der Ashraf lebt als Teil der Benadiri in den Küstenstädten, ein Teil als Clan der Digil-Mirifle in den Flusstälern von Bay und Bakool.
Für eine Person ohne Clanidentität ist gesellschaftlicher Schutz nicht vorhanden. Dies führt nicht automatisch zu Misshandlung, fördert aber die Vulnerabilität. Sollte eine Person ohne Clanidentität und ohne Ressourcen zurückkehren, wird es im gegenwärtigen somalischen Kontext für diese physisch und wirtschaftlich sehr schwierig, zu überleben. Allerdings gibt es laut Experten bis auf sehr wenige Waisenkinder in Somalia niemanden, der nicht weiß, woher er oder sie abstammt. Das Wissen um die eigene Herkunft, die eigene Genealogie, ist von überragender Bedeutung. Dieses Wissen dient zur Identifikation und zur Identifizierung.
Relevante Bevölkerungsgruppen
Frauen – allgemein
Letzte Änderung 2023-03-17 08:44
Sowohl im Zuge der Anwendung der Scharia als auch bei der Anwendung traditionellen Rechtes sind Frauen nicht in Entscheidungsprozesse eingebunden. Die Scharia wird ausschließlich von Männern angewendet, die oftmals zugunsten von Männern entscheiden. Zudem gelten die aus der Scharia interpretierten Regeln des Zivil- und Strafrechts. Entsprechend gelten für Frauen andere gesetzliche Maßstäbe als für Männer (z. B. halbe Erbquote). Insgesamt gibt es hinsichtlich der grundsätzlich diskriminierenden Auslegungen der zivil- und strafrechtlichen Elemente der Scharia keine Ausweichmöglichkeiten, diese gelten auch in Somaliland. Auch im Rahmen der Ausübung des Xeer haben Frauen nur eingeschränkt Einfluss. Verhandelt wird unter Männern, und die Frau wird üblicherweise von einem männlichen Familienmitglied vertreten. Oft werden Gewalttaten gegen Frauen außerhalb des staatlichen Systems zwischen Clanältesten geregelt, sodass ein Opferschutz nicht gewährleistet ist.
Die von Männern dominierte Gesellschaft und ihre Institutionen gestatten es somalischen Männern, Frauen auszubeuten. Verbrechen an Frauen haben nur geringe oder gar keine Konsequenzen. Fälle geschlechtsspezifischer Gewalt werden oft im Rahmen kollektiver Clanverantwortung abgehandelt. Viele solche Fälle werden nicht gemeldet. Weibliche Opfer befürchten, von ihren Familien oder Gemeinden verstoßen zu werden, sie fürchten sich z. B. auch vor einer Scheidung oder einer Zwangsehe. Anderen Opfern sind die formellen Regressstrukturen schlichtweg unbekannt.
Subjekte gezielter Attentate durch al Shabaab und andere terroristische Gruppen
(Letzte Änderung 2023-03-17)
Folgende Personengruppen sind bezüglich eines gezielten Attentats durch al Shabaab einem erhöhten Risiko ausgesetzt:
- Angehörige der AMISOM bzw. ATMIS;
- nationale und regionale Behördenvertreter und -Mitarbeiter;
- Angehörige der Sicherheitskräfte;
- Regierungsangehörige, Parlamentarier, Offizielle und Wahlkandidaten;
- mit der Regierung in Verbindung gebrachte Zivilisten;
- Angestellte von NGOs und internationalen Organisationen;
- Wirtschaftstreibende, insbesondere dann, wenn sie sich weigern, Schutzgeld („Steuer“) abzuführen;
- Älteste und Gemeindeführer; gemäß somalischen Regierungsangaben hat al Shabaab innerhalb von zehn Jahren 324 Älteste ermordet; einige der Opfer waren in Wahlprozesse involviert; in jüngerer Vergangenheit hat al Shabaab v. a. solche Älteste ermordet, die ihre Clans zur Beteiligung an der Offensive gegen die Gruppe aufgerufen bzw. deren Teilnahme öffentlich unterstützt haben;
- Wahldelegierte und deren Angehörige; dabei hat al Shabaab in der Vergangenheit Delegierte vor die Wahl gestellt, entweder zu ihnen zu kommen und sich zu entschuldigen, oder aber einem Todesurteil zu unterliegen; die große Mehrheit entschuldigte sich; immer wieder werden jedenfalls an Wahlen Beteiligte ermordet, so z. B. ein Delegierter und Ältester am 13.6.2022 sowie ein weiterer Delegierter Mitte April 2022 – beide in Hodan (Mogadischu); al Shabaab bekennt sich nicht immer zu derartigen Attentaten, hat in der Vergangenheit allerdings betont, jede an Wahlen beteiligte Person zum Ziel zu machen;
- Angehörige diplomatischer Missionen;
- prominente und Menschenrechts- und Friedensaktivisten;
- religiöse Führer;
- Journalisten;
- Telekommunikationsarbeiter;
- mutmaßliche Kollaborateure und Spione;
- Deserteure;
- als glaubensabtrünnig Bezeichnete (Apostaten);
- (vermeintliche) Angehörige oder Sympathisanten des IS; den IS hat al Shabaab als Seuche bezeichnet, welche ausgerottet werden müsse.
Personen all dieser Kategorien werden insbesondere dann zum Ziel, wenn sie kein Schutzgeld bzw. „Steuern“ an al Shabaab abführen. Gleichzeitig muss davon ausgegangen werden, dass zahlreiche Angriffe und Morde auf o.g. Personengruppen politisch motiviert oder einfache Verbrechen sind, die nicht auf das Konto von al Shabaab gehen.
Kollaboration und Spionage: In von al Shabaab kontrollierten Gebieten gelten eine Unterstützung der Regierung und Äußerungen gegen al Shabaab als ausreichend, um als Verräter verurteilt und hingerichtet zu werden. Al Shabaab tötet – meist nach unfairen Verfahren – Personen, denen Spionage für oder Kollaboration mit der Regierung oder ausländischen Kräften vorgeworfen wird. Beispiele für Hinrichtungen wegen angeblicher Spionage (für Lokalregierungen, die Bundesregierung oder ausländische Kräfte: 2/2022, Buulo Fulay (Bay): 1 Mann; 7/2022, Bay: 6 Männer, öffentlich; 8/2022, Kunyo Baarow (Lower Shabelle): 6 Männer, öffentlich (Menschen werden gezwungen, der Exekution beizuwohnen); 9/2022, Jilib (Lower Juba): 5 Männer, öffentlich.
Al Shabaab bedroht Menschen, die mit der Regierung in Verbindung gebracht werden. Zivilisten können bestraft oder auch getötet werden, wenn sie für die Regierung oder die Armee arbeiten. Die Schwelle dessen, was al Shabaab als Kollaboration mit dem Feind wahrnimmt, ist mitunter sehr niedrig angesetzt. So wurden etwa im Februar 2021 in Mogadischu drei Frauen erschossen, die im Verteidigungsministerium als Reinigungskräfte gearbeitet hatten. Nach eigenen Angaben greift al Shabaab solche Personen hingegen nicht gezielt an. Insbesondere in Frontgebieten oder Orten, deren Herrschaft wechselt, kann auch das Verkaufen von Tee an Soldaten bereits als Kollaboration wahrgenommen werden. So wurden etwa Anfang Juli 2021 fünf Zivilisten im Gebiet Jowhar von al Shabaab entführt, weil sie Soldaten der Armee mit Erfrischungen bewirtet bzw. mit ihnen gehandelt hatten. Mehrere Häuser und Fahrzeuge wurden angezündet. Generell sind aber das Ausmaß und/oder die Gewissheit der Kollaboration; der Ort des Geschehens; und die Beziehungen der betroffenen Person dafür ausschlaggebend, ob al Shabaab die entsprechenden Konsequenzen setzt. Besonders gefährdet sind Personen, welche folgende Aspekte erfüllen: a) die Kollaboration ist offensichtlich; b) der Ort lässt eine leichte Identifizierung des Kollaborateurs zu; c) eine Exekution wird als maßgebliches Abschreckungszeichen wahrgenommen; d) wenn sich die Kollaboration in einem Ort mit fluktuierender Kontrolllage zugetragen hat.
Auf der anderen Seite kollaborieren viele Menschen mit al Shabaab. Verwaltungsstrukturen und Sicherheitskräfte sind unterwandert. Eine derartige Kollaboration kann aus finanziellen oder ideologischen Gründen erfolgen, oft aber auch aus Angst. Es scheint wenig ratsam, ein „Angebot“ von al Shabaab abzulehnen.
Kapazitäten: Üblicherweise zielt al Shabaab mit größeren (mitunter komplexen) Angriffen auf Vertreter des Staates, Gebäude und Fahrzeuge der Regierung auf Hotels, Geschäfte, Militärfahrzeuge und -Gebäude sowie direkt Soldaten von Armee und ATMIS. Grundsätzlich richten sich die Angriffe der al Shabaab in nahezu allen Fällen gegen Personen des somalischen Staates (darunter die Sicherheitskräfte), Institutionen der internationalen Gemeinschaft (darunter ausländische Truppen) und gegen Gebäude, die von erst- und zweitgenannten Zielen frequentiert werden.
Al Shabaab greift Zivilisten, die nicht in eine der weiter oben genannten Kategorien fallen, nicht spezifisch an. Für diese besteht das größte Risiko darin, zur falschen Zeit am falschen Ort zu sein und so zum Kollateralschaden von Sprengstoffanschlägen und anderer Gewalt zu werden. So hat Mogadischu über die Jahre Dutzende Arbeiter der Straßenreinigung verloren, die durch versteckte Sprengsätze getötet wurden, welche entlang von Straßen im dahinterliegendem Müll platziert waren. Außerdem greift al Shabaab etwa Cafés, Restaurants oder Hotels an, die von Behördenvertretern oder Wirtschaftstreibenden frequentiert werden. So kamen etwa am 17.7.2022 bei einem Selbstmordanschlag auf ein bei Politikern beliebtes Hotel in Jowhar mindestens zwölf Personen ums Leben. Dutzende weitere Personen wurden verletzt. Unter den Opfern befanden sich regionale Minister und Direktoren sowie ehemalige Abgeordnete. Zwar richten sich diese Angriffe also gegen Personengruppen, die von al Shabaab als Feinde erachtet werden, doch kommen dabei auch Zivilisten zu Schaden, welche sich am oder in der Nähe des Ziels aufhalten. Nach einem Anschlag im Dezember 2019 hat sich al Shabaab sogar dafür entschuldigt, dass derart viele Zivilisten ums Leben gekommen sind. Nach anderen Angaben ist es zwar Zufall, wer konkret einem Anschlag zum Opfer fällt; aber al Shabaab greift wahllos und doch gezielt Zivilisten an. Die Intention ist, der Bevölkerung vor Augen zu führen, dass die Regierung sie nicht beschützen kann. Dies führt Zivilisten in eine Art endemisch-alltägliche Unsicherheit in allen Lebensbereichen – und das, obwohl die Wahrscheinlichkeit, von einem Anschlag getroffen zu werden, relativ gering ist.
Ausweichmöglichkeiten: Aufgrund der überregionalen Aktivitäten und der Vernetzung des Amniyad [Nachrichtendienst der al Shabaab] sind – vor allem prominente – Zielpersonen auch bei einer innerstaatlichen Flucht gefährdet. Generell kann sich ein Mensch in Mogadischu vor al Shabaab verstecken. Dies kann beispielsweise für eine Person gelten, die vom eigenen Clan z. B. im Bezirk Jowhar für eine Rekrutierung bei al Shabaab vorgesehen gewesen wäre, und sich nach Mogadischu abgesetzt hat; nicht aber prominentere Personen, die vor al Shabaab auf der Flucht sind. Al Shabaab verfügt also generell über die Kapazitäten, menschliche Ziele – auch in Mogadischu – aufzuspüren. Unklar ist allerdings, für welche Personen al Shabaab bereit ist, diese Kapazitäten auch tatsächlich aufzuwenden. Außerdem unterliegt auch al Shabaab den Clandynamiken. Die Gruppe ist bei der Zielauswahl an gewisse Grenzen gebunden. Durch die Verbindungen mit unterschiedlichen Clans ergeben sich automatisch Beschränkungen. Zusätzlich möchte al Shabaab mit jedem begangenen Anschlag und mit jedem verübten Attentat auch ein entsprechendes Publikum erreichen.
Üblicherweise verfolgt al Shabaab zielgerichtet jene Person, derer sie habhaft werden will. Sollte die betroffene Person nicht gefunden werden, könnte stattdessen ein Familienmitglied ins Visier genommen werden. Wurde al Shabaab der eigentlichen Zielperson habhaft bzw. hat sie diese ermordet, dann gibt es keinen Grund mehr, Familienangehörige zu bedrohen oder zu ermorden. Manchmal kann es zur Erpressung von Angehörigen kommen. Gleichzeitig finden sich etwa Clanälteste immer wieder zwischen den Fronten. So wurden im Dezember 2022 in Galmudug drei Älteste verhaftet, denen Kollaboration mit al Shabaab vorgeworfen wird. Sie geben hingegen an, durch die ihnen vorgeworfene Vereinbarung mit al Shabaab die Freilassung von 69 Geiseln bewirkt zu haben.
Der Islamische Staat in Somalia (ISIS) operiert nahezu ausschließlich in Puntland bzw. mit einigen Zellen in Mogadischu. Die Hauptziele des ISIS in Puntland sind Regierungsangestellte und Politiker, Soldaten, Mitarbeiter des Nachrichtendienstes, Polizisten und Angehörige von al Shabaab. In Mogadischu wendet sich der IS gegen Angehörige von al Shabaab sowie gegen jene Personen (v. a. Händler und Geschäftsleute), die sich weigern, Abgaben bzw. Schutzgeld zu entrichten.
Risiko in Zusammenhang mit Schutzgelderpressungen („Steuern“)
(Letzte Änderung 2023-03-17)
Anders als der somalische Staat „besteuert“ al Shabaab alles und jeden in Somalia – insbesondere in den eigenen Gebieten. Besteuert werden u.a. die Landwirtschaft, der Handel und Immobilientransaktionen; Fahrzeuge, Vieh, Handelswaren, Importe, Exporte von Holzkohle oder Bauarbeiten. Doch auch in umstrittenen Gebieten findet sich kaum jemand, der eine Schutzgeldforderung von al Shabaab nicht befolgt. Und selbst in Städten wie Mogadischu und sogar in Bossaso (Puntland) zahlen nahezu alle Wirtschaftstreibenden „Steuern“ an al Shabaab; denn überall dort sind Straforgane der Gruppe aktiv bzw. wurden Schattenverwaltungen aufgebaut. Nach Angaben einer Quelle besteuert al Shabaab maßgeblich Im- und Export, jeden größeren Gewerbetreibenden in Mogadischu. Kleinere Marktstände sind al Shabaab hingegen weniger wichtig.
Al Shabaab verlangt von Geschäftsleuten in der Stadt die Zahlung von „Steuern“. Das Einsammeln der Gelder erfolgt üblicherweise nicht persönlich, sondern über das Mobiltelefon. V. a. Unternehmen, die Waren nach und aus Mogadischu transportieren und nach Somalia importieren, werden zur Zahlung gezwungen. Dem Vernehmen nach sollen auch viele Hilfsorganisationen „Steuern“ an al Shabaab abführen. Ähnliches gilt für Hotels. Jedenfalls ist es immer möglich, dass hinter Steuerforderungen gar nicht al Shabaab steht, sondern andere kriminelle Akteure, die sich als al Shabaab ausgeben. Im Fall einer Weigerung der Zahlung an al Shabaab gibt es in vielen Fällen einen Spielraum für Verhandlungen über die Höhe.
Selbst das Personal internationaler Organisationen zahlt Schutzgeld, um in Ruhe gelassen zu werden. Und auch Bundesbedienstete führen Schutzgeld oder „Einkommenssteuer“ an al Shabaab ab, darunter hochrangige Angehörige der Armee und sogar Bundesminister. Dieser Faktor belegt aber auch den Pragmatismus von al Shabaab als mafiöse Organisation, wo Geld vor Ideologie gereiht wird.
Betriebe und Einzelpersonen werden durch Angst genötigt, Geld an al Shabaab abzuführen. Todesdrohungen und tatsächlich angewandte Gewalt halten das „Steuersystem“ al Shabaabs aufrecht. Wenn z. B. ein Fahrer die Abgabe verweigert oder versucht, einen Checkpoint der al Shabaab zu umfahren, dann muss er als Strafe meist den doppelten Betrag abführen. Diese nicht-verhandelbare Strafe wird etwa per SMS „zugestellt“ oder aber Fahrzeugbesitzer oder Fahrer werden per Nachricht an eines der Schariagerichte der Gruppe einberufen. In extremen Einzelfällen kann es auch vorkommen, dass al Shabaab Personen, die keine Gebühren abführen wollten, tötet und Fahrzeuge zerstört. Auch wenn derartige Fälle sehr selten sind, sorgen sie dafür, dass andere Fahrer aus Angst freiwillig „Steuern“ abführen. Kommt es zu einem Anschlag auf ein Hotel, dann steht für al Shabaab eine Strafaktion für ausständige „Steuerzahlungen“ im Vordergrund. Allfällig anwesende Regierungsvertreter oder Staatsbedienstete sind hierbei nur nebenrangige Ziele, wiewohl al Shabaab einen „günstigen“ Zeitpunkt abwartet, um gleichzeitig auch solche Ziele zu treffen. Jene, die sich weigern, an al Shabaab Abgaben abzuführen, werden bestraft und ihr Leben bedroht, oder es das eigene Geschäft wird z. B. mit einem Sprengsatz zerstört.
Auch der Islamische Staat in Somalia (ISIS) fordert „Steuern“ - v. a. von Wirtschaftstreibenden in städtischen Gebieten. Jene, die sich der Zahlung einer „Steuer“ widersetzen, müssen mit Gewalt rechnen. Auch in Mogadischu fordern Personen, die sich als Mitglieder des ISIS ausgeben, Steuern ein.
Bewegungsfreiheit und Relokation
Süd-/Zentralsomalia, Puntland
(Letzte Änderung 2023-03-17)
Gesetze schützen das Recht auf Bewegungsfreiheit im Land und das Recht zur Ausreise. Diese Rechte sind in einigen Landesteilen eingeschränkt – v. a. durch die Unsicherheit entlang der wichtigsten Straßen, durch Checkpoints und Straßenblockaden der jeweiligen Machthaber in bestimmten Gebieten aber auch durch Kampfhandlungen. IDPs sind in den Lagern in und um Mogadischu teils strikten Beschränkungen bezüglich ihrer Bewegungsfreiheit unterworfen. Davon abgesehen sind keine Einschränkungen für bestimmte Gruppen bekannt.
Überlandreisen: Al Shabaab bleibt auch weiterhin die größte Bedrohung hinsichtlich Bewegungsfreiheit entlang von Hauptversorgungsrouten in Süd-/Zentralsomalia. Die Gruppe verwendet entlang dieser Straßen Sprengsätze und legt Hinterhalte. Manchmal placiert al Shabaab Sprengsätze auch deswegen, um dadurch den Verkehr auf Straßen umzulenken, an welchen sie Checkpoints unterhält, wo Gebühren eingehoben werden.
Reisende werden durch die zahlreichen, von unterschiedlichen Gruppen betriebenen Straßensperren in ihrer Bewegungsfreiheit eingeschränkt. Zudem sind sie dort Plünderung, Erpressung, Belästigung und Gewalt ausgesetzt. Neben den Straßensperren kann auch das Aufflammen bewaffneter Auseinandersetzungen ein Risiko darstellen. Gegen einige Städte unter Regierungskontrolle führt al Shabaab eine Blockade durch und greift manchmal Zivilisten an, welche die Blockade durchbrechen wollen. Einige Bezirke sind demnach auf Luftbrücken angewiesen.
Der durchschnittliche Somali kann eine Überlandreise antreten, muss aber mit einem gewissen Risiko rechnen, während das Risiko für Sicherheitskräfte oder Regierungsbedienstete höher ist. Trotzdem bereisen Zivilisten und Wirtschaftstreibende tagtäglich die Überlandverbindungen. Die Menschen reisen nicht uninformiert. Reisende und Fahrer versuchen ihre Reise nach neuesten sicherheitsrelevanten Informationen zu adaptieren. Überlandreisen werden bevorzugt mit Minibussen (9-Sitzer), auf Lastwägen oder aber zu Fuß unternommen. Es ist einfach, sich in Mogadischu eine solche Fahrt zu organisieren. Straßenzustand und Sicherheitsüberlegungen können den Zugang zu einzelnen Destinationen fallweise verunmöglichen. Generell können Menschen aber jedes Ziel in Süd-/Zentralsomalia erreichen. Um in kleinere Dörfer zu gelangen, muss meist in der nächstgelegenen Bezirkshauptstadt umgestiegen werden.
Al Shabaab kontrolliert den Ort Leego an der Straße zwischen Wanla Weyne und Buur Hakaba. Damit ist die Route von Mogadischu nach Baidoa für Zwecke der Regierung geschlossen; diese gilt auch für die Hauptversorgungsroute nach Baraawe. Die Verbindung von Mogadischu nach Belet Weyne ist hingegen offen, die Zahl an Reisebewegungen auf dieser Route ist zuletzt stark angestiegen. Der Teil von Buulo Barde nach Belet Weyne wurde gesäubert, und damit ist diese Hauptverbindungsstraße nach 13 Jahren wieder frei. Die Route von Belet Weyne nach Dhusamareb ist weitgehend sicher. Al Shabaab kontrolliert etwa auch an der Hauptversorgungsroute von Kismayo nach Dhobley. Al Shabaab verfügt an allen Ausfallstraßen aus Kismayo – sowohl in Richtung Jamaame, als auch in Richtung Dhobley oder Kolbiyow – über Checkpoints. Generell kann es an den Straßenverbindungen in der Region Lower Juba zu Übergriffen durch al Shabaab kommen. Dies gilt auch in der Region Gedo für die Verbindungen südlich von Garbahaarey. Dahingegen kommt es im Gebiet zwischen Doolow und Luuq nur selten zu Zwischenfällen. In Bakool kommt es entlang der Verbindungsstraßen zwischen Waajid, Yeed und Ceel Barde nur selten zu Zwischenfällen. Die Verbindungen von und nach Xudur unterliegen wiederkehrenden Angriffen von al Shabaab, Xudur ist von al Shabaab eingekreist. In Bay bzw. Lower Shabelle kann es an der Route von Baidoa nach Mogadischu zu Übergriffen durch unterschiedliche Akteure kommen. Al Shabaab hat Zugriff auf die gesamte Straße, sie kontrolliert die Verbindung von Baidoa nach Buur Hakaba und weiter nach Bali Doogle. Rund um Baidoa betreibt die Gruppe Straßensperren.
Straßensperren: In ganz Süd-/Zentralsomalia gibt es Straßensperren (Checkpoints), an welchen Fahrzeuge aufgehalten und Personen kontrolliert werden. Prinzipiell geht es an einer Straßensperre um die Einhebung von Wegzoll, wobei die Höhe des Zolls mitunter willkürlich ist. Es gibt permanente und ad hoc Straßensperren, betrieben von Sicherheitskräften, al Shabaab oder Clanmilizen. Häufig kommt es an Checkpoints zwischen Clanmilizen, aber auch mit und unter staatlichen Einheiten, die sich um die Kontrolle und um Einnahmen streiten, zu kämpfen.
In Mogadischu gibt es mehrere hundert permanente oder mobile Kontrollpunkte, dadurch wird die Bewegungsfreiheit eingeschränkt. Dort werden keine offiziellen Gebühren eingehoben, es kann aber zur Forderung nach Bestechungsgeldern kommen. Gemäß neueren Angaben wurde die Mehrzahl der Checkpoints innerhalb des Stadtgebietes geräumt (Ausnahme: in den Bereichen wichtiger Infrastruktur wie der Villa Somalia, des Parlamentsgebäudes, dem Flughafen u. a.). Einschränkungen ergeben sich durch Sicherheitsmaßnahmen zu besonderen Anlässen wie Staatsbesuchen, die teilweise wichtige Straßenzüge für den zivilen Verkehr unpassierbar machen. Die Dauer dieser Auswirkungen ist unterschiedlich: von mehreren Stunden bis zu mehreren Tagen. Clanälteste, Bundes- und Bundesstaatsminister sowie Abgeordnete können sich in der Stadt nicht ohne Leibwächter frei bewegen. Insgesamt können sich Menschen in Mogadischu aber unabhängig von ihrer Clanzugehörigkeit frei bewegen und sich niederlassen.
Straßensperren von al Shabaab: Das Netzwerk an Straßensperren bzw. Checkpoints bleibt stabil, es ist auch für einen großen Teil der Einnahmen von al Shabaab verantwortlich. Die Gruppe betreibt über 100 Checkpoints in Süd-/Zentralsomalia. In ländlichen Gebieten der gesamten Südhälfte Somalias ist jederzeit mit spontan errichteten Checkpoints der al Shabaab zu rechnen. Al Shabaab kontrolliert die Versorgungsrouten zwischen den meisten Städten. Außerhalb der tatsächlich von der Regierung und ihren Alliierten kontrollierten Gebieten besteht eine große Wahrscheinlichkeit, auf eine Straßensperre von al Shabaab zu stoßen. Straßensperren zielen in erster Linie auf die Einhebung von Steuern und Abgaben ab, und in zweiter Linie darauf, Spione zu identifizieren. Generell ist es weder Ziel von al Shabaab, Menschen am Reisen zu hindern, noch sind Reisende selbst ein Ziel. Menschen können z. B. aus den Gebieten von al Shabaab in Städte reisen, um sich dort medizinisch behandeln zu lassen. Ein Bericht über die „Besteuerung“ von Straßenverkehr und Gütern an Checkpoints der al Shabaab zeigt, dass der Verkehr in Süd-/Zentralsomalia aus, in und durch das Territorium der al Shabaab möglich ist. Die Studie dokumentiert mehr als 800 Fahrzeuge, die im Zeitraum Dezember 2020 bis Oktober 2021 in Lower und Middle Juba, Lower Shabelle, Bay, Bakool und Gedo unterwegs waren. Passagierfahrzeuge müssen an Straßensperren der al Shabaab nur einen vergleichsweise geringen Betrag abführen.
Allerdings verhält sich al Shabaab an Straßensperren unberechenbar. Menschen können nie voraussehen, wie sie dort behandelt werden. Gebühren werden eingehoben, die Identität aller Reisenden wird verifiziert. Al Shabaab kennt den Hintergrund vieler Menschen, ihr Nachrichtendienst ist effizient. Wenn also eine Person in eine solche Kontrolle gerät, und über diese Person im Rahmen der ausführlichen Netzwerke der al Shabaab eine Meldung vorliegt, dass diese Person z. B. vor ein paar Monaten negativ aufgefallen ist, dann kann dies zu Repressalien führen.
Angst vor al Shabaab müssen in erster Linie jene Reisenden haben, die öffentlich Bedienstete sind oder die Verbindungen zur Regierung haben. Außerhalb größerer Städte können sie jederzeit auf eine Straßensperre von al Shabaab treffen. Sie befinden sich in Lebensgefahr. Dies gilt insbesondere an Straßensperren in jenen Gebieten, die nicht vollständig unter Kontrolle von al Shabaab stehen. Dort dürfen Spione standrechtlich – ohne Verfahren – exekutiert werden. In den Gebieten unter Kontrolle von al Shabaab werden Verdächtige i.d.R. verhaftet und vor Gericht gestellt. Auch dies hat - bei einem Schuldspruch - den Tod zur Folge. Außerdem kann es Personen treffen, die von al Shabaab – etwa wegen des Mitführens von bestimmten Objekten (Smartphones, Regierungsdokumente, Symbole, die mit der Regierung assoziiert werden etc.) – als mit der Regierung in Zusammenhang stehend oder als Spione verdächtigt werden. Auch Reisende, die im Gebiet der Reisebewegung weder über Familien- noch Clanverbindungen verfügen, können von al Shabaab unter Umständen als Spione verdächtigt werden (außer sie haben einen Bürgen). Dies gilt insbesondere dann, wenn das Reiseziel der Person im von der al Shabaab kontrollierten Gebiet liegt.
Alleine die Tatsache, dass jemand in einem westlichen Land gewesen ist, stellt im Kontext mit al Shabaab an solchen Straßensperren kein Problem dar. Allerdings ruft westliches Verhalten oder westliche Kleidungsart Sanktionen hervor – etwa Auspeitschen. Reisende passen sich daher üblicherweise den Kleidungs- und Verhaltensvorschriften von al Shabaab an, um nicht herauszustechen.
Luftweg: Die sicherste Arte des Reisens in Süd-/Zentralsomalia ist das Fliegen. Regierungsvertreter nutzen das Flugzeug, wo es nur geht. Von Mogadischu aus können Baidoa, Kismayo, Garoowe, Galkacyo, Bossaso, Cadaado und Guri Ceel mit Linienflügen erreicht werden. Anbieter ab Mogadischu gibt es auch für Flüge nach Cabudwaaq, Belet Weyne und Dhobley. Die Kosten für ein One-Way-Ticket im Binnenflugverkehr belaufen sich auf 100-150 US-Dollar.
Eine effektive Ausreisekontrolle an den Grenzübergängen von Somalia in die Nachbarländer findet nicht statt. Sowohl die Landgrenze als auch die Seegrenze werden weitgehend nicht überwacht. Kontrollen werden dagegen bei Flugreisen ab Mogadischu, Garoowe und Bossaso durchgeführt.
Meldewesen und Staatsbürgerschaft
(Letzte Änderung 2023-03-17)
Es gibt in Somalia kein Personenstandswesen und auch keine Institution oder Behörde, die sich mit dem Meldewesen befassen würde. Somalische Behörden haben keinen Überblick über die eigene Bevölkerung, Bürger werden normalerweise nur dann registriert, wenn sie einen Reisepass beantragen. Zudem gibt es weder Fahndungs- noch Strafregister. Die verlässliche Feststellung von Identitäten erfolgt oft nur durch den Ältestenrat eines Dorfes oder durch Verwandte bzw. Bekannte. Auch an Checkpoints wird nicht nach einem Personalausweis gefragt, sondern es wird der Clanhintergrund festgestellt.
Schon vor 1991 und erst recht nach 1991 wurden in Somalia geborene Personen nie offiziell registriert, und auch jetzt werden Geburten nur in sehr geringem Ausmaß behördlich registriert. Eine Geburtsurkunde ist de facto nur für die Ausstellung eines Reisepasses oder aber bei einer formellen Anstellung notwendig. Daher gibt es für die Bevölkerung kaum einen Anreiz, die Geburt eines Kindes erfassen zu lassen. Es besteht keine Möglichkeit, über amtliche Register verlässliche Auskünfte über somalische Staatsangehörige in Süd- und Zentralsomalia und Puntland zu erhalten. Zustellungen sind nicht möglich.
Generell ist das Staatsbürgerschaftsgesetz aus dem Jahr 1962 weiterhin in Kraft. Die Übergangsverfassung sieht allerdings vor, dass es hinsichtlich der Definition, wie jemand an die somalische Staatsbürgerschaft gelangt und wie er diese aussetzt oder verliert, ein Gesetz geben soll. Allerdings wurde ein solches Gesetz noch nicht geschaffen, und es gibt daher keine neue Definition.
Die somalische Staatsbürgerschaft wird daher weiterhin mit der Geburt erlangt, wenn der Vater Somali ist. Vor 1991 galt, dass jeder Abkomme eines männlichen Somali somalischer Staatsbürger ist – unabhängig davon, wo diese Person herstammt. Als Somali wird hier definiert, wer durch Herkunft, Sprache oder Tradition zur somalischen Nation gehört, wer also ethnischer Somali ist. Daher ist es auch nicht entscheidend, ob eine Person aus Somalia kommt oder in Somalia lebt. Vielmehr ist relevant, ob diese ethnisch Somali ist. Somalische Behörden betrachten demnach auch Somali, die eigentlich kenianische oder äthiopische Staatsbürger sind, als somalische Staatsbürger. In beiden Ländern gibt es substanzielle Gruppen ethnisch somalischer Nomaden, und es ist unrealistisch, eine klare Linie zu ziehen und einzelne Familien auf der einen oder auf der anderen Seite der Grenze endgültig zu lokalisieren. Folglich können auch ethnische Somali aus Äthiopien, Dschibuti oder Kenia somalische Reisepässe erhalten.
Auch weiterhin erhalten Kinder somalischer Väter bei der Geburt die Staatsbürgerschaft; Kinder somalischer Mütter können die Staatsbürgerschaft nach zwei Jahren erhalten. In einer anderen Quelle wird die Weitergabe durch die Mutter nicht erwähnt. Dahingegen erlangt eine Frau automatisch die somalische Staatsbürgerschaft, wenn sie einen Somali heiratet; umgekehrt ist dies nicht der Fall. Angehörige von Minderheiten werden aus rechtlicher Sicht ebenso als vollwertige Staatsbürger erachtet. Nach anderen Angaben kann es für Angehörige ethnischer Minderheiten mitunter schwierig werden, einen Reisepass zu erhalten. Dies gilt insbesondere dann, wenn sie als Flüchtlings außerhalb Somalias aufgewachsen sind. Sie müssen den somalischen Behörden gegenüber „nachweisen“, dass sie aus Somalia stammen – meist durch die Darstellung entsprechender Sprachkenntnisse.
Rückkehr
Süd-/Zentralsomalia, Puntland
(Letzte Änderung 2023-03-17)
Rückkehr international: Seit Jahren steigt die Anzahl der nach Somalia zurückgekehrten somalischen Flüchtlinge. Seit 2009 kommen Somali der Diaspora zurück in ihre Heimat, viele mit Bildung, Fähigkeiten und einer unternehmerischen Einstellung. Zuerst tröpfelten sie nur ins Land, ab 2012 fluteten sie zurück. Viele lokale Angestellte internationaler NGOs oder Organisationen sind aus der Diaspora zurückgekehrte Somali. Andere kommen nach Somalia auf Urlaub oder eröffnen ein Geschäft. Viele Somalis in der Diaspora wollen zurückkommen und das Land aufbauen. Manche tun es nicht, weil es in Somalia keine adäquate Schulbildung für ihre Kinder gibt. Andere schicken ihre Kinder gezielt nach Somalia: Alleine im Jahr 2019 wurden hunderte Kinder der somalischen Diaspora in London nach Somalia, Somaliland und Kenia gebracht, weil sich die Eltern zunehmend Sorgen um die Zunahme von Drogenbanden und Gewalt in England machten.
Die USA, Kanada, Großbritannien, Finnland, Dänemark, die Niederlande, Belgien und Norwegen führen grundsätzlich Abschiebungen nach Mogadischu durch. Aus Europa wurden im Jahr 2022 – in geringen Zahlen – jedenfalls Somali aus Belgien, Norwegen, Dänemark, der Schweiz und Schweden nach Somalia rückgeführt, die meisten davon freiwillig. Während der Pandemie fanden auch aufgrund der schwierigen Zusammenarbeit mit den somalischen Behörden nur wenige bis keine Rückführungen statt. Österreich beteiligt sich am von IOM geführten Programm RESTART III, das freiwillige Rückkehr nach Somalia abwickelt. Insgesamt hat IOM von 2020 bis 2022 bei 187 freiwilligen Rückführungen aus Europa Unterstützung geleistet. Die Rückkehrer kamen u. a. aus Belgien (14), Deutschland (66), Finnland (12), Griechenland (20), den Niederlanden (8), Österreich (8), der Schweiz (22) und Zypern (14). 33 der Rückgeführten waren weiblich. 141 verblieben in Mogadischu, die anderen reisten weiter nach Garoowe (6) und Hargeysa (34).
Rückkehr regional: Die Rückkehrbewegung nach Somalia hat sich seit 2020 deutlich verlangsamt. Insgesamt sind von Ende 2014 bis Jänner 2022 knapp 134.000 Menschen mit oder ohne Unterstützung nach Somalia zurückgekehrt. Im Jahr 2021 waren es ca. 2.500 – vor allem aus dem Jemen. Verursacht wurde der Rückgang nicht zuletzt von der COVID-19-Pandemie. In den ersten drei Monaten des Jahres 2022 kehrten nur 187 Personen von UNHCR assistiert nach Somalia zurück.
Der UNHCR und andere internationale Partner unterstützen seit 2014 die freiwillige Rückkehr von Somaliern aus Kenia. Grundlage ist ein trilaterales Abkommen zwischen Kenia, Somalia und dem UNHCR. Seit Abschluss des trilateralen Abkommens kehrten mit Unterstützung des UNHCR über 85.000 Menschen aus Kenia nach Somalia zurück. Diese gingen vor allem nach Kismayo und das südliche Jubaland. Noch nie wurde ein Bus, welcher Rückkehrer transportiert, angegriffen. Allerdings kommt es aufgrund von Gewalt und Konflikten sowie durch die Pandemie bedingte Reisebeschränkungen immer wieder zu Unterbrechungen bei der Rückkehrbewegung. Trotz seiner Rolle bei der Rückführung aus Kenia warnt der UNHCR angesichts der aktuellen Lage in Somalia davor, Personen in Gebiete in Süd- oder Zentralsomalia zwangsweise zurückzuschicken, da die Sicherheit nicht gewährt werden kann.
Seit Frühjahr 2018 unterstützt die sogenannte EU-IOM Joint Initiative for Migrant Protection and Reintegration rückkehrwillige somalische Migranten vornehmlich in Libyen und Äthiopien. Die Leistungen umfassen Beratung zu Möglichkeiten der Rückkehr sowie der Integration in den somalischen Arbeitsmarkt. Außerdem wird die Entwicklung von standardisierten Rückführungsverfahren nach Somalia gefördert. Mit Unterstützung von IOM sind 2021 803 Personen nach Somalia zurückgekehrt, davon 340 aus Saudi-Arabien, 295 aus dem Jemen und 16 aus Deutschland.
Behandlung: Die Zahl der von westlichen Staaten zurückgeführten somalischen Staatsangehörigen nimmt stetig zu. Mit technischer und finanzieller Unterstützung haben sich verschiedene westliche Länder über die letzten Jahre hinweg für die Schaffung und anschließende Professionalisierung eines speziell für Rückführung zuständigen Returnee Management Offices (RMO) innerhalb des Immigration and Naturalization Directorates (IND) eingesetzt. Das RMO hat für alle Rückführungsmaßnahmen nach Somalia eine einheitliche Prozedur festgelegt, die konsequent zur Anwendung gebracht wird. Es liegen keine Informationen dahingehend vor, dass abgelehnte Asylwerber am Flughafen in Mogadischu Probleme seitens der Behörden erfahren. Das RMO befragt sie hinsichtlich Identität, Nationalität, Familienbezügen sowie zum gewünschten zukünftigen Aufenthaltsort. Es gibt keine staatlichen Aufnahmeeinrichtungen für unbegleitete minderjährige und andere Rückkehrer. Eine Unterkunft und ein innersomalischer Weiterflug kann vom RMO organisiert werden, die Rechnung begleichen die rückführenden Staaten. Staatliche Repressionen sind nicht die Hauptsorge der Rückkehrer. Nach vorliegenden Erkenntnissen werden Rückkehrer vom RMO/IND grundsätzlich mit Respekt behandelt. Eine strukturelle Diskriminierung von Rückkehrern aus dem Ausland gibt es nicht.
Rückkehrstudie von UNHCR: Der UNHCR hat für eine repräsentative Studie von 2018 bis Dezember 2021 fast 2.900 Haushalte mit mehr als 17.000 Angehörigen – darunter vor allem unterstützte Rückkehrer aus Kenia, Äthiopien und dem Jemen – zu ihrer Situation in Somalia befragt. Dabei hatten 48 % der Befragten angegeben, wegen der verbesserten Sicherheitslage nach Somalia zurückgegangen zu sein. 14 % machten diesen Schritt wegen besserer ökonomischer Möglichkeiten. Nur 24 % der befragten Haushalte gaben an, in einem „IDP-Lager“ zu wohnen. 94 % der Rückkehrer gaben an, nach ihrer Rückkehr keinerlei Form von Gewalt (Drohungen, Einschüchterungen, physische Gewalt) erlebt zu haben. 90 % gaben an, sich in ihrer Gemeinde und im Bezirk frei bewegen zu können. 91 % der Befragten gaben an, dass sie nicht als Rückkehrer diskriminiert würden; und 88 % wurden auch nicht wegen ihrer ethnischen oder Clan-Zugehörigkeit diskriminiert. 88 % der Befragten haben keine Streitigkeiten austragen müssen. Von jenen, die in Konflikte verwickelt waren, gaben 38 % Wohnungs- und Landstreitigkeiten als Gründe an, weitere 27 % Familienstreitigkeiten.
Erreichbarkeit: Einen regelmäßigen internationalen Direktflugverkehr nach Mogadischu gibt es aus Istanbul, Addis Abeba, Nairobi, Doha und Entebbe. Darüber hinaus fliegen regionale Fluglinien, die Vereinten Nationen, die Europäische Union und private Chartermaschinen Mogadischu aus Nairobi regelmäßig an. Von Bossaso (Puntland) aus wird Addis Abeba und Dubai angeflogen, von Garoowe (Puntland) Addis Abeba und Nairobi. Für Rückführungen somalischer Staatsbürger wurden vor der COVID-19-Pandemie die Verbindungen der Turkish Airlines via Istanbul bzw. via Nairobi mit Jubba Airways bevorzugt. Bei Ersterer erfolgte meist eine polizeiliche Eskortierung bis Mogadischu, bei Letzterer nur bis Nairobi, da die Fluglinie sich dann gegen die Zahlung einer Gebühr um die Sicherheit kümmerte.
Dokumente
Süd-/Zentralsomalia, Puntland
(Letzte Änderung 2023-03-15)
Es gibt im Land kein umfassendes Programm zur Geburtenregistrierung, die Registrierungsrate beträgt in ganz Somalia (inkl. Somaliland) nur rund 3 %. Nach anderen Angaben sind 4 % der Kinder unter zwei Jahren registriert, allerdings ist nur 1 % im Besitz einer Geburtsurkunde. Seit dem Fall von Siad Barre im Jahr 1991 herrscht in Somalia eine „dokumentenlose“ Gesellschaft. Normalerweise identifizieren sich Somalis durch Dialekt und Clanzugehörigkeit. Der Großteil der Bevölkerung besitzt also keine Papiere, Somalia hat mit 77 % den weltweit höchsten Prozentsatz an Menschen, die über keinen staatlichen Identitätsnachweis verfügen. Einen Reisepass besitzen nur Personen in formellen Anstellungen oder jene, die ins Ausland reisen.
Identitätsprüfung: Möchte jemand ein Dokument beantragen, dann muss er sich an jene Lokalbehörde wenden, wo er geboren wurde oder lebt. Nachdem in Somalia kein Personenstandsverzeichnis existiert, erfolgt die Ausstellung von Dokumenten allein aufgrund der mündlichen Angaben der antragstellenden Person und ggf. anwesender Zeugen und Verwandten. Die Person selbst wird interviewt und nach dem Ältesten befragt, mit welchem ggf. Kontakt aufgenommen wird. Denn die verlässliche Feststellung von Identitäten erfolgt – neben Verwandten – oft durch Älteste eines Dorfes. Folglich kann es bei Angaben, die zur Ausstellung eines Dokuments gemacht werden müssen, leicht zu Falschangaben kommen. Zusätzlich fördern schwache Institutionen, niedrige Gehälter und eine Kultur der Korruption die Bestechlichkeit von Beamten, welche Dokumente ausstellen. Auch die starken Loyalitäten, die auf dem Clansystem beruhen, kommen hier zu tragen. In das System der Identifizierung einzelner Personen kann folglich nicht viel Vertrauen gelegt werden. Es besteht keine Möglichkeit, über amtliche Register verlässliche Auskünfte über somalische Staatsangehörige zu erhalten.
Für Angehörige ethnischer Minderheiten kann es mitunter schwierig werden, einen Reisepass zu erhalten. Sie müssen den somalischen Behörden gegenüber „nachweisen“, dass sie aus Somalia stammen – meist durch die Darstellung entsprechender Sprachkenntnisse, aber auch durch Nennung einer prominenten Bezugsperson (z. B. ein Abgeordneter). Dies gilt insbesondere für Bantu und Bajuni, nicht unbedingt für Benadiri.
Dokumentensicherheit: Für Somalier ist es generell einfach, echte Dokumente unwahren Inhalts zu besorgen, darunter auch unrichtige Pässe der Nachbarländer Dschibuti, Äthiopien und Kenia. In Somalia selbst, aber auch z. B. im Stadtteil Eastleigh in Nairobi, werden gefälschte somalische Reisepässe ebenso wie zahlreiche andere gefälschte Dokumente zum Verkauf angeboten. Dokumenten mangelt es insgesamt an nachweisbaren Grundlagen und Verlässlichkeit der Angaben. Dieser Umstand öffnet die Tür für Betrug und Missbrauch. Personen mit fünf verschiedenen Reisedokumenten und fünf darin anderslautenden Namen sind keine Seltenheit. Hinzu kommen erschwerend die häufige Namensgleichheit bzw. verschiedene Namensschreibweisen. Generell werden Dokumente eher nicht gefälscht, da es einfach ist, an Originale zu gelangen. Mit Hilfe von sogenannten „Fixern“ können alle Arten von Dokumenten arrangiert werden: Reisepässe, Geburts- oder Sterbeurkunden etc. An unterschiedlichen städtischen Behörden werden Identitätsdokumente ausgestellt, wobei es für deren Ausstellung unterschiedlichste Kriterien gibt. Ein Regierungsvertreter hat gegenüber dem Expertenrat der Vereinten Nationen angegeben, dass man alleine in Mogadischu binnen eines Tages zwanzig verschiedene Geburtsurkunden bekommen könnte. Eine Finanzinstitution hat angegeben, dass es Fälle gibt, wo eine Person mit drei unterschiedlich lautenden Identitätsdokumenten versucht, Bankkonten zu eröffnen.
Der Begriff „Somali“ im somalischen Staatsbürgerschaftsgesetz aus dem Jahr 1962 umfasst alle ethnischen Somali. Für die Ausstellung eines Reisepasses ist es nicht entscheidend, ob eine Person aus Somalia kommt oder in Somalia lebt. Vielmehr ist relevant, ob die Person ethnisch Somali ist. Auch ethnische Somali aus Äthiopien, Dschibuti oder Kenia können somalische Reisepässe erhalten. Natürlich spielt die Angabe des Clans hier eine relevante Rolle. Die Echtheit von Dokumenten bzw. Urkundenüberprüfungen hinsichtlich der inhaltlichen Richtigkeit bzw. des Wahrheitsgehalts von Dokumenten kann keinesfalls überprüft werden.
Dokumente: Nur wenige Somali können die erforderlichen Mittel aufbringen, um einen Reisepass zu erhalten. Dabei erfolgt die Ausstellung eines Passes in Mogadischu innerhalb weniger Wochen ohne Problem, die Kosten betragen 90-100 US-Dollar. Gleichzeitig mit dem Pass erhält man einen Personalausweis. Für die Beantragung eines Passes ist die Vorlage einer Geburtsurkunde notwendig. Die Daten im Reisepass beruhen auf den mündlichen Angaben des Antragstellers. Üblicherweise nennt der Antragsteller auch eine Bezugsperson – meist einen Clanvertreter. Allerdings gibt es keine Hinweise, wonach die vom Antragsteller zur Verfügung gestellten Informationen systematisch überprüft werden, indem z.B. mit der Bezugsperson Kontakt aufgenommen wird. Ausgestellt werden Pässe in Mogadischu und wenigen anderen somalischen Städten sowie an einigen Botschaften. Generell ist die Ausstellung von Reisepässen an somalischen Botschaften von persönlichen Beziehungen und der jeweiligen Situation abhängig. Insgesamt ist die Ausstellung von Reisepässen von Betrug und Korruption gekennzeichnet, die Integrität dieses Dokuments ist untergraben. Aufgrund von Sorgen hinsichtlich des Ausstellungsprozesses bzw. wegen weitverbreitetem Passbetrug erkennen nur wenige Staaten den somalischen Reisepass als gültiges Reisedokument an
Die große Mehrheit somalischer Geburtsurkunden ist entweder gefälscht oder sonst für einen Identitätsnachweis unbrauchbar. Geburtsurkunden mit falschen Einträgen können gekauft werden. Selbst somalische Behörden schenken somalischen Geburtsurkunden nur wenig Vertrauen.
In Puntland erhalten nicht-puntländische Somali zwar keinen puntländischen Ausweis; sie können aber eine Personalurkunde erhalten (warqadda sugnaanta), wo ihre eigentliche Herkunft eingetragen ist. Für IDPs aus anderen Teilen Somalias gibt es in Puntland eigene ID-Karten.
Ehen werden vor einem Schariagericht geschlossen und auch wieder aufgelöst. Die Scharia-Gerichte können Ehe- und Scheidungsurkunden ausstellen. Es gibt kein zentrales Verzeichnis, das die Akte der Gerichte nachprüfbar macht. Es gibt keine Zivilehe.
2. Beweiswürdigung:
2.1. Zu den Feststellungen betreffend die Person des Beschwerdeführers, seine Antragstellung und seinen Aufenthalt:
Die Feststellungen zur Person des Beschwerdeführers, seiner Herkunft und Religionszugehörigkeit beruhen auf den diesbezüglich im Wesentlichen gleichbleibenden Angaben des Beschwerdeführers im Laufe des Asylverfahrens (AS 3-4; AS 48; Seite 4 des Verhandlungsprotokolls). Seine Identität steht mangels Vorlage eines entsprechenden Identitätsdokumentes nicht fest. Die festgestellte Verfahrensidentität beruht auf den Angaben des Beschwerdeführers bei der Erstbefragung und vor dem Bundesamt (AS 3; AS 48). In der mündlichen Verhandlung gab der Beschwerdeführer eine andere Schreibweise seines Namens an, aber habe es sich laut Dolmetscher jeweils um ähnliche Schreibweisen desselben Namens gehandelt (Seite 4-5 des Verhandlungsprotokolls).
Die Angaben des Beschwerdeführers, wonach er Angehöriger des Clans der Gabooye sei, waren hingegen nicht glaubhaft: Zunächst war bereits auffällig, dass der Beschwerdeführer in seiner Erstbefragung keinen Clan angab, sondern lediglich erklärte, Somali zu sein (AS 4). Den oben angeführten Länderinformationen zu Somalia ist zu entnehmen, dass die Zugehörigkeit zu einem Clan der wichtigste identitätsstiftende Faktor für Somalis ist. Sie bestimmt, wo jemand lebt, arbeitet und geschützt wird. Der Clan ist die relevanteste soziale, ökonomische und politische Struktur in Somalia und Somalis kennen üblicherweise ihre exakte Position im Clansystem (vgl. Pkt. II.1.3.: Bevölkerungsstruktur). Dass der Beschwerdeführer nach seiner Volksgruppenzugehörigkeit gefragt, nicht seinen Clan nannte, war daher aufgrund der Wichtigkeit des Clans bereits als auffällig zu werten.
Hinzu kommt, dass der Beschwerdeführer über kein tiefergehendes Wissen über den angegebenen Clan zu verfügen schien. Zwar nannte er im weiteren Verfahren übereinstimmend den gleichen Subclan, in der mündlichen Verhandlung auch einen Subsubclan sowie allgemein typische ausgeführte Berufe der Gabooye, die mit den Länderinformationen übereinstimmen, dennoch konnte er weder den Clanältesten nennen noch weiterführende Angaben zu Gabooye machen (Seiten 5-6 des Verhandlungsprotokolls).
Auch die Tätigkeit seines Vaters, Lebensmitteltransport, entspricht nicht einem typischen Beruf der Gabooye. Der Beschwerdeführer machte in diesem Kontext zudem keine weiteren Angaben zu den beruflichen Tätigkeiten seiner Familienmitglieder sowie auch nicht dahingehend, dass er selbst oder andere Personen in seinem familiären Umfeld beim Schulbesuch oder in der Ausübung des Berufes oder generell im Alltag als Gabooye Einschränkungen ausgesetzt waren. Sohin spricht gegen eine Zugehörigkeit des Beschwerdeführers zur berufsständischen Minderheit der Gabooye ferner, dass er zwar angab, die Gabooye waren üblichen Einschränkungen ausgesetzt, jedoch auch angab, selbst ein normales und unbeeinflusstes Leben in seinem Herkunftsort geführt zu haben und dass sowohl er selbst als auch seine Geschwister neun Jahre lang die Schule besucht hätten (AS 51; Seite 6 des Verhandlungsprotokolls). Den Länderinformationen ist hingegen zu entnehmen, dass die berufsständischen Minderheiten Gabooye auf der untersten Stufe der sozialen Hierarchie der somalischen Gesellschaft stehen und zudem diskriminiert werden, dazu trägt bei, dass sie weniger strikt als andere Clans organisiert und viel ärmer sind. Insgesamt sind die soziale Stufe und die damit verbundene Armut für viele das Hauptproblem (Pkt. II.1.3.: Bevölkerungsstruktur, Ethnische Minderheiten, aktuelle Situation). Wäre der Beschwerdeführer tatsächlich Angehöriger einer berufsständischen Minderheit, wäre zu erwarten, dass er irgendeine Diskriminierungserfahrung schildern könnte. Im Gegensatz hiezu gab der Beschwerdeführer an, sein Vater habe die Familie als Lebensmitteltransporteur versorgen können und sein Onkel habe ihm die Reise nach Europa finanziert, die insgesamt von Somalia über die Türkei bis nach Österreich € 5.000,-- gekostet habe (Seite 8 des Verhandlungsprotokolls). Auch wenn er angibt, dass die Familie in Somalia in Armut gelebt habe, ist es sowohl dem Beschwerdeführer als auch seinen Geschwistern (zwei Brüder und eine Schwester) offenbar möglich gewesen für neun Jahre die normale Schule zu besuchen, mit einzig dem Einkommen seines Vaters, weil seine Mutter nicht gearbeitet habe (Seite 6-7 des Verhandlungsprotokolls). Dieser Umstand verstärkt die Zweifel an der angegebenen Clanzugehörigkeit des Beschwerdeführers.
Dass der Beschwerdeführer dem Minderheitenclan der Gabooye angehört, konnte sohin aufgrund dieser Überlegungen zu den unstimmigen und mit den vorliegenden Länderberichten nicht in Einklang stehenden Ausführungen des Beschwerdeführers nicht festgestellt werden; mangels hinreichender sonstiger Anhaltspunkte für die Clanzugehörigkeit des Beschwerdeführers, konnte diese nicht festgestellt werden.
Die Feststellungen zum Familienstand des Beschwerdeführers beruhen auf seinen hierzu gleichbleibenden und unbedenklichen Angaben im gesamten Verfahren (AS 3; AS 48; Seite 5 des Verhandlungsprotokolls).
Die weiteren Feststellungen zu den Lebensumständen des Beschwerdeführers in Somalia (Aufwachsen, Aufenthalte, Schulbildung und Aufenthalte seiner Familienangehörigen) beruhen auf den insofern schlüssigen Ausführungen des Beschwerdeführers in der mündlichen Beschwerdeverhandlung, die im Wesentlichen auch mit seinen Angaben im behördlichen Verfahren in Einklang stehen (vgl. AS 3-5, 11; AS 79-83; Seite 10 des Verhandlungsprotokolls). Der Beschwerdeführer gab durchgehend gleichbleibend an, dass sein Vater bereits verstorben sei, der Aufenthalt seiner Brüder nach deren Ausreise unbekannt sei und auch seine Mutter und Schwester Somalia bereits verlassen hätten und in Kenia aufhältig seien (AS 5; AS 50). Die genauen Umstände, die zum Tod des Vaters führten, konnten aufgrund seiner hierzu auch über Nachfragen äußerst vagen Schilderungen nicht festgestellt werden und folgen weitere Überlegungen hierzu später im Rahmen der Beweiswürdigung zum Fluchtvorbringen des Beschwerdeführers (Seite 10 des Verhandlungsprotokolls).
Ebenso gab der Beschwerdeführer durchgehend gleichbleibend an, dass er bis auf einen Onkel über keine nahen Verwandten mehr in seinem Herkunftsland verfügt und sein Onkel seine Ausreise finanziert hat (AS 50-52; Seite 8 des Verhandlungsprotokolls). Wobei allerdings auffallend ist, dass der Beschwerdeführer vor dem Bundesamt ausführte, dass sein Onkel Grundstücke verkauft habe und er mit diesem Geld von insgesamt € 3.500,-- ausreisen habe können. Dass die Familie im Besitz von Grundstücken war oder weiterhin ist, gab er jedoch sonst zu keinem Zeitpunkt an (AS 52). Im Widerspruch dazu schilderte er in der mündlichen Verhandlung, dass die Reise bis Österreich insgesamt € 5.000,-- gekostet habe und sein Onkel die Reise organisiert habe, der das Geld vom Verkauf ihrer Wohnung gehabt habe (Seite 8 des Verhandlungsprotokolls). Auch ist nicht glaubhaft, dass der Beschwerdeführer keinen Kontakt mehr zu seinen Verwandten hat, obwohl er vor dem Bundesamt noch angab, mit seiner Mutter und Schwester Kontakt gehabt zu haben. Ein Kontaktabbruch mit seinem Onkel, der seine Ausreise organisiert und finanziert habe, ist vor diesem Hintergrund auch nicht nachvollziehbar und ist davon auszugehen, dass der Beschwerdeführer Kontakt zu seinen noch in Somalia oder auch in Kenia verbliebenen Familienangehörigen und Verwandten hat. In Anbetracht des bereits gewährten subsidiären Schutzes kann gegenständlich aber dahingestellt bleiben, ob der Beschwerdeführer in seinem Herkunftsstaat noch weitere Angehörige hat und ob zu diesen aktuell Kontakt besteht.
Dass der Heimatort des Beschwerdeführerst von der Regierung und ATMIS kontrolliert wird, gab er übereinstimmend im gesamten Verfahren an und steht auch mit den Länderinformationen zu Somalia in Einklang (AS 56; Seite 8 des Verhandlungsprotokolls).
Die Einreise und Antragstellung des Beschwerdeführers in Österreich sowie die Gewährung subsidiären Schutzes gehen aus dem Inhalt des Verwaltungsaktes und seinen Angaben hervor. Die Feststellung zur Unbescholtenheit des Beschwerdeführers gründet auf einer aktuellen Abfrage des Strafregisters der Republik Österreich.
2.2. Zu den Feststellungen betreffend die Fluchtgründe des Beschwerdeführers:
Das Fluchtvorbringen des Beschwerdeführers betreffend eine Bedrohung durch Al Shabaab im Zusammenhang mit einer militärischen Ausbildung bei TURKSOM und dem Tod seines Vaters hat sich aufgrund von Widersprüchen, Steigerungen und mangelnder Plausibilität als unglaubhaft erwiesen:
Bereits das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl wertete das Fluchtvorbringen des Beschwerdeführers aufgrund widersprüchlicher und unplausibler Angaben als unglaubhaft. Dieser Eindruck der Unglaubwürdigkeit des Beschwerdeführers verstärkte sich im Rechtsmittelverfahren noch, da sich im Beschwerdeverfahren weitere Ungereimtheiten sowie Steigerungen im Vorbringen ergaben, welche der Beschwerdeführer nicht schlüssig zu erklären vermochte.
Die Beurteilung der persönlichen Glaubwürdigkeit des Beschwerdeführers hat vor allem auch zu berücksichtigen, ob dieser außerhalb des unmittelbaren Fluchtvorbringens die Wahrheit gesagt hat. Im gegenständlichen Fall hat der Beschwerdeführer bereits zu seiner Clanzugehörigkeit im Herkunftsstaat und seiner wirtschaftlichen sowie familiären Situation teilweise widersprüchliches Vorbringen erstattet (siehe oben Pkt. 2.1.).
Noch deutlichere Widersprüche sowie Steigerungen und Unplausibilitäten ergaben sich allerdings in den insgesamt auch äußerst vagen Angaben des Beschwerdeführers zu seinem Fluchtgrund:
So ist zunächst festzuhalten, dass der Beschwerdeführer den einzigen konkreten Kontakt mit Al Shabaab bei der Erstbefragung nicht erwähnte (AS 8). Wenngleich die Erstbefragung insbesondere der Ermittlung der Identität und der Reiseroute des Fremden dient und sich nicht auf die näheren Fluchtgründe zu beziehen hat, wäre auch unter Berücksichtigung der besonderen Situation bei der Erstbefragung davon auszugehen, dass der Beschwerdeführer die angeblichen Drohanrufe durch Al Shabaab (AS 53), die letztlich zum Entschluss hinsichtlich der Ausreise geführt hätten – zumindest in Grundzügen – auch gegenüber den Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes erwähnt hätte (vgl. zu Widersprüchen zur Erstbefragung VwGH 24.02.2015, Ra 2014/19/0171 mwH).
Es wird nicht verkannt, dass der Beschwerdeführer bereits bei der Erstbefragung schilderte, dass sein Vater von der Terrorgruppe Al Shabaab erschossen worden sei, weil dieser beim heimlichen Transport von Lebensmitteln erwischt worden sei, aber der Beschwerdeführer konnte auch trotz mehrmaligen Nachfragen sein Vorbringen hierzu weder vor dem Bundesamt noch in der mündlichen Verhandlung konkretisieren (vgl. AS 8; AS 49; Seite 9-10 des Verhandlungsprotokolls). Auffallend ist, dass der Beschwerdeführer den genauen Tag an dem sein Vater getötet worden sei, nicht angeben konnte, und er selbst keinerlei Wahrnehmung zu der Tötung des Vaters hatte, obwohl er sich selbst in dem Ort XXXX , in dessen Umgebung sein Vater ermordet worden sei, aufgehalten hätte. Insbesondere kann nicht nachvollzogen werden, weshalb der Beschwerdeführer auch auf Nachfragen den Zeitpunkt der Tötung seines Vaters nicht einmal annährend konkretisieren konnte (Seite 10 des Verhandlungsprotokolls: „R: An welchem Tag und wo wurde Ihr Vater getötet? BF: Den genauen Tag kann ich nicht angeben, aber es war Mitte bis Ende Juni 2020.“). Auch dass der Vater von Mitgliedern der Al Shabaab gezielt erschossen wurde, obwohl der Heimatort des Beschwerdeführers von der Regierung und AMISOM kontrolliert wird, konnte der Beschwerdeführer nicht nachvollziehbar und glaubhaft vorbringen. Dass seine Mutter diese Information von „Leuten, die dort leben“ bekommen habe, ist nicht überzeugend, zumal äußerst vage. Auch, dass der Beschwerdeführer über keine vorangegangenen Drohungen von Al Shabaab gegenüber seinem Vater berichtete, ist ein Hinweis dafür, dass sein Vater nicht gezielt getötet worden ist, weil es im Ergebnis keine konkreten Anhaltspunkte gibt, dass sein Vater oder der Beschwerdeführer in das Blickfeld der Al Shabaab geraten sind. So verneinte der Beschwerdeführer explizit, sich jemals in Somalia politisch betätigt zu haben oder eine politisch exponierte Person gewesen zu sein, und erstattet auch kein Vorbringen, dass seine Familienmitglieder in irgendeiner Weise eine exponierte Stellung innegehabt hätten oder jemals politisch aktiv gewesen wären (AS 56; Seite 9-10 des Verhandlungsprotokolls).
Insgesamt kann festgestellt werden, dass der Vater des Beschwerdeführers bereits verstorben ist, aber steht hinsichtlich der Umstände, die zum Tod des Vaters führten, aufgrund der lediglich äußerst vagen und unkonkreten Angaben des Beschwerdeführers nicht fest, dass sein Vater gezielt von Al Shabaab getötet wurde.
Widersprüchlich und ebenso vage brachte der Beschwerdeführer eine militärische Ausbildung bei TURKSOM in Mogadischu vor. So gab er in diesem Zusammenhang bei der Erstbefragung an, Soldat der Somalischen Regierung gewesen und am 16.08.2020 beim Militär aufgenommen worden sowie bis August 2021 bei TURKSOM in Mogadischu, in der Einheit Gorgor, tätig gewesen zu sein (AS 8). Im Unterschied hierzu schilderte der Beschwerdeführer bei der Einvernahme vor dem Bundesamt, dass er von 15.08.2020 bis 31.07.2021 eine militärische Ausbildung bei der Ausbildungseinheit TURKSOM in Mogadischu absolviert habe, nach Beendigung dieser Ausbildung aber bei der somalischen Militärbehörde nicht eingestellt worden sei. Er sei nie bei einer normalen Einheit verwendet worden und nur ein auszubildender Soldat gewesen (AS 49, 54-55). Dass er bei einer Einheit namens Gorgor und Soldat der somalischen Regierung gewesen sei, erwähnte der Beschwerdeführer nicht mehr.
Eine weitere Version brachte der Beschwerdeführer in der mündlichen Verhandlung vor und gab an, dass er sich entschieden habe, als Soldat bei Gorgor zu arbeiten, und ein Jahr lang am Training teilgenommen habe. Steigernd fügte er hinzu, dass er nach dem Abschluss nicht mehr als Soldat arbeiten habe können, weil er niemanden gehabt habe, der für ihn gebürgt hätte, und er zum somalischen Militär gebracht, aber ausgeschlossen worden sei (Seite 9 f und 14 des Verhandlungsprotokolls). Auffallend ist zudem, dass der Beschwerdeführer auch sein Vorbringen hinsichtlich einer militärischen Ausbildung in der mündlichen Verhandlung kaum konkretisieren oder Ungereimtheiten nachvollziehbar entkräften konnte sowie mehrmals vom erkennenden Richter darauf hingewiesen werden musste, detaillierte Angaben zu machen (Seite 11-14 des Verhandlungsprotokolls). Auch die wenigen vom Beschwerdeführer genannten chronologischen Details stimmen insgesamt nicht zusammen, denn in der mündlichen Verhandlung gab er an, am 20.08.2020 die Ausbildung begonnen zu haben, obwohl er noch bei der Erstbefragung den 16.08. und bei der Einvernahme den 15.08 als Ausbildungsbeginn anführte (vgl. AS 8; AS 49; Seite 11 des Verhandlungsprotokolls).
Zudem konnte der Beschwerdeführer nicht nachvollziehbar darlegen, dass er in Somalia eine Ausbildung durch ausländische Truppen begonnen hat, ohne bereits zuvor bei der somalischen Armee gedient zu haben bzw. ohne Angehöriger der somalischen Armee zu sein, was der Beschwerdeführer vor dem Bundesamt und in der mündlichen Verhandlung verneinte (Seiten 12-13 des Verhandlungsprotokolls). Auffallend ist zudem, dass der Beschwerdeführer auch zum Ablauf der Registrierung sowie zum Ablauf seiner Ausbildung in seinen Schilderungen sehr vage und unkonkret verblieb (Seite 13 des Verhandlungsprotokolls). Der Beschwerdeführer gab zudem unplausibel an, als Unteroffizier ausgebildet worden zu sein, ohne zur somalischen Armee zu gehören (Seite 14 des Verhandlungsprotokolls).
Dies ist auch vor dem Hintergrund der Länderinformationen nicht nachvollziehbar. Aus den Berichten geht hervor, dass neben ATMIS in Somalia noch andere militärische Kräfte aus dem Ausland aktiv sind, wie insbesondere auch TURKSOM, ein türkisches Ausbildungszentrum in Mogadischu. Es bietet sich ein Bild von einerseits Brigaden auf Clanbasis, die den Großteil der Truppen stellen und eigentlich dem eigenen Clan zur Verfügung stehen; und andererseits durch vom Ausland unterstützten, nur teilweise mit der Bundesarmee verbundenen Kräften wie Danaab (USA), Gorgor (Türkei), Haramcad, Gashaan, sowie von Eritrea, den Vereinten Arabischen Emiraten, Katar, Großbritannien, der EU, Uganda, Kenia, Dschibuti und anderen Staaten ausgebildeten Kräften. Folglich sieht man auf der Straße auch ein breites Spektrum an Uniformen und Waffen. Der Armee mangelt es zudem an Ausbildung und Ausrüstung, obwohl die Bundesarmee im vergangenen Jahrzehnt von zahlreichen Akteuren diesbezüglich Unterstützung erhalten hat - namentlich von Burundi, Dschibuti, Äthiopien, Italien, Kenia, dem Sudan, der Türkei, den VAE, Uganda, Großbritannien, den USA, der AU, der EU und den UN. Die Türkei hat bis 2022 5.000 Soldaten für die Einheit Gorgor und zudem hunderte Offiziere und Unteroffiziere ausgebildet. Die Türkei unterstützt die Bundesarmee materiell und bildet in einem eigens erbauten Stützpunkt (TURKSOM) auch Soldaten aus. Sohin ist eine militärische Ausbildung in Mogadischu durch türkische Unterstützung in dem Stützpunkt TURKSOM gemäß den Berichten plausibel, jedoch handelt es sich dem Verständnis nach hierbei um eine Unterstützung bzw. Ausbildung der Bundesarmee durch die Türkei. Dass der Beschwerdeführer eine militärische Ausbildung erhalten hätte, ohne der somalischen Armee anzugehören, ist auch vor dem Hintergrund der Länderinformationen nicht plausibel. Umso weniger ist nachvollziehbar, dass der Beschwerdeführer bei der Einheit Gorgor tätig gewesen oder ausgebildet worden sei, wie er teilweise vorbringt, weil es sich hierbei um eine von der Türkei ausgebildete Spezialeinheit mit modernen Waffen, Ausrüstung und gepanzerten Fahrzeugen handelt, die nicht geschlossen eingesetzt wird, sondern in Mogadischu, Dhusamareb, Belet Xaawo und mehreren Orten in Lower Shabelle im Einsatz ist. Dass der Beschwerdeführer ohne vorherige militärische Ausbildung und ohne der somalischen Armee anzugehören bei einer von der Türkei ausgebildeten Spezialeinheit tätig gewesen sein soll, ist demnach keinesfalls plausibel.
Dabei wird nicht verkannt, dass der Beschwerdeführer bei der Einvernahme ein Zeugnis für die Absolvierung der Ausbildung bei TURKSOM in Kopie sowie vier Lichtbilder, welche den Beschwerdeführer in Uniform zeigen sollen, vorlegte. Dem ist jedoch zu entgegnen, dass das Zeugnis nicht im Original vorgelegt wurde und die Kopie überdies eine derart schlechte Qualität aufweist, dass die Leserlichkeit teilweise eingeschränkt ist (AS 69). Eine Überprüfung der Echtheit der Urkunde kommt daher nicht in Betracht. Hinzu kommt, dass am Zeugnis der genannte Name nicht exakt mit dem im behördlichen Verfahren vom Beschwerdeführer angegebenen Namen übereinstimmt. Weiters ist auf der Urkunde lediglich ein Geburtsjahr angeführt und nicht das genaue Geburtsdatum. Zudem stimmt auch der vom Beschwerdeführer jeweils geschilderte Ausbildungszeitraum – Erstbefragung: 16.08.2020 bis August 2021 oder Einvernahme: 15.08.2020 bis 31.07.2021 oder Beschwerdeverhandlung: 20.08.2021 bis 31.07.2021 (AS 8; AS 49; Seite 11-12 des Verhandlungsprotokolls) – nicht mit dem vorgelegten Zeugnis überein, wonach er von 03.10.2020 bis 15.07.2021 in der NCO School von TURKSOM ausgebildet und am 31.07.2021 in den Rang eines „Warrant Officer“ befördert worden sei. Der Beschwerdeführer machte im Laufe des Asylverfahrens zu seinem militärischen Rang nach Abschluss der Ausbildung keine eindeutigen Angaben, sondern führte einerseits aus, ein Hilfskommandant gewesen zu sein, andererseits aber als Unteroffizier ausgebildet worden zu sein, diesen Titel jedoch nicht offiziell bekommen zu haben, obwohl dies in seinem Zeugnis anders angegeben wird (Seite 13-14 des Verhandlungsprotokolls). Der Beschwerdeführer legte auch vier Fotos vor, welche ihn in Uniform zeigen sollen. Hierbei ist jedoch anzumerken, dass weder zweifelsfrei verifiziert werden kann, wann und wo die Fotos aufgenommen worden sind, noch kann daraus geschlossen werden, welche militärische Ausbildung er wo und wie lange absolviert hat. (AS 71-77)
Dass der Beschwerdeführer weder im behördlichen noch im verwaltungsgerichtlichen Verfahren in der Lage war, die angebliche militärische Ausbildung gleichbleibend, schlüssig, detailliert und vor dem Hintergrund der Länderberichte plausibel darzustellen, ist ein weiterer wesentlicher Anhaltspunkt für die Unglaubhaftigkeit seines Fluchtvorbringens.
Im Übrigen kann selbst bei Wahrstellung, dass der Beschwerdeführer in Mogadischu eine einjährige militärische Ausbildung absolvierte, alleine daraus nicht auf eine drohende Verfolgungsgefährdung des Beschwerdeführers geschlossen werden, der gleichzeitig explizit verneinte, jemals an Kampfhandlungen teilgenommen zu haben, und überdies angab, nicht Angehöriger der somalischen Armee gewesen zu sein (Seite 14 des Verhandlungsprotokolls). Wie Al Shabaab von einer militärischen Ausbildung des Beschwerdeführers erfahren haben soll, zumal er angeblich nicht einmal dem somalischen Militär angehört habe, konnte er auch auf Nachfrage in der mündlichen Verhandlung nicht nachvollziehbar darlegen und gab hierzu lediglich vage an, dass er nicht wisse, woher Al Shabaab diese Informationen bekommen habe, sie hätten aber überall Spione und könnten Informationen einfach bekommen (Seite 14 des Verhandlungsprotokolls). Auch seine Angaben zu den zwei vorgebrachten Drohanrufen, blieben vor dem Bundesamt als auch in der mündlichen Verhandlung äußerst vage (AS 53-54; Seite 14-15 des Verhandlungsprotokolls). So blieb nicht nachvollziehbar, warum ein Interesse seitens Al Shabaab am Beschwerdeführer bestehen soll und woher diese die Informationen einer angeblichen militärischen Ausbildung erhalten hätten, vor dem Hintergrund, dass sein Herkunftsort von der Regierung und ATMIS kontrolliert und als konsolidiert erachtet wird. Auch konnte der Beschwerdeführer mit seinem pauschalen und allgemeinen Vorbringen, Al Shabaab hätte größere Macht, starke Verbindungen sowie Spione und könnte alle Leute verfolgen, einen Zusammenhang zum Beschwerdeführer und zu seinem im Juni 2020 wegen angeblichen Schmuggels getöteten Vaters nicht nachvollziehbar darlegen (Seite 15 des Verhandlungsprotokolls). Demgegenüber brachte der Beschwerdeführer zu keinem Zeitpunkt eine vorangegangene Bedrohung durch Al Shabaab vor, ebenso auch nicht, jemals mit Al Shabaab persönlich in Kontakt gekommen zu sein oder Berührungspunkte mit Al Shabaab gehabt zu haben (AS 56). Der Beschwerdeführer verneinte auch explizit sowohl in der mündlichen Verhandlung als auch vor dem Bundesamt, sich jemals politisch betätigt zu haben oder eine politisch exponierte Person gewesen oder vorbestraft zu sein (AS 56, 58; Seite 9 des Verhandlungsprotokolls). Vor diesem Hintergrund gelang es dem Beschwerdeführer nicht nachvollziehbar und glaubhaft darzulegen, in das Blickfeld der Al Shabaab geraten zu sein und seitens Al Shabaab gesucht und verfolgt zu werden.
Schließlich gelang es dem Beschwerdeführer hinsichtlich einer ohnehin nur äußerst vage und steigernd in der mündlichen Verhandlung vorgebrachten drohenden Zwangsrekrutierung durch Al Shabaab nicht, vor den Hintergrund der Länderinformationen plausibel darzulegen, warum Al Shabaab gerade ihn rekrutieren wollen würde, zumal ihm andererseits auch eine oppositionelle Gesinnung unterstellt werde (AS 56; Seite 14 des Verhandlungsprotokolls). Nach den Länderinformationen handelt es sich bei den meisten Rekruten von Al Shabaab um Kinder, direkter Zwang bei einer Rekrutierung in der Praxis nur selten angewendet wird und Rekrutierungen erfolgen überdies eher über den Clanältesten. Zudem wird der Heimatort des Beschwerdeführers von der Regierung und ATMIS kontrolliert, weshalb auch aus diesem Grund eine Zwangsrekrutierung durch Al Shabaab weniger wahrscheinlich ist. Eine maßgebliche Wahrscheinlichkeit einer Verfolgung bzw. Zwangsrekrutierung durch Al Shabaab wurde sohin nicht glaubhaft gemacht und vor dem Hintergrund der Länderberichte auch nicht plausibel dargelegt.
Aus den dargelegten Erwägungen und insbesondere dem äußerst vagen und pauschalen Vorbringen, zahlreichen Widersprüchen, Steigerungen und Unplausibilitäten sind die vorgebrachten Fluchtgründe des Beschwerdeführers für das erkennende Gericht nicht glaubhaft und konnte weder festgestellt werden, dass der Vater des Beschwerdeführers gezielt von Al Shabaab getötet wurde, noch ist davon auszugehen, dass der Beschwerdeführer in das Blickfeld der Al Shabaab geraten ist und gesucht wird. Dem Beschwerdeführer drohen demzufolge bei einer Rückkehr nach Somalia mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit keine konkreten Verfolgungshandlungen seitens Al Shabaab.
Der Beschwerdeführer hat auch über die behauptete Verfolgung durch Al Shabaab hinaus bei einer Rückkehr nach Somalia keine sonstige konkret gegen seine Person gerichtete Bedrohung mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit zu erwarten. Er war nach eigenen Angaben nie politisch oder in einer anderen Weise außenwirksam tätig, wie zum Beispiel durch journalistisches oder menschenrechtsaktivistisches Engagement (AS 58; Seite 9 des Verhandlungsprotokolls). So verneinte der Beschwerdeführer auch vor dem Bundesamt bei der Einvernahme explizit jemals in seiner Heimat ein Mitglied einer politischen Gruppierung oder Partei gewesen zu sein, an Kampfhandlungen teilgenommen zu haben oder jemals wegen seiner politischen Gesinnung oder wegen seiner Rasse oder Religion oder Nationalität oder Volksgruppe verfolgt worden zu sein (AS 56-58). Auch in der mündlichen Verhandlung verneinte der Beschwerdeführer, sich jemals in Somalia politisch engagiert zu haben und jemals Probleme mit staatlichen Behörden gehabt zu haben. Sein unsubstantiiertes und gesteigertes Vorbringen, er habe Probleme mit somalischen Soldaten gehabt, weil nach seiner Ausbildung ein Bürge von ihm verlangt worden sei, er das Lager verlassen habe müssen und er sich der somalischen Armee nicht habe anschließen können, war ebenfalls sehr oberflächlich und in der Gesamtbetrachtung nicht glaubhaft. Zudem verneinte der Beschwerdeführer explizit in der Einvernahme vor dem Bundesamt, jemals Probleme mit staatlichen Behörden gehabt zu haben (AS 57 f; Seite 12 des Verhandlungsprotokolls).
Dass der Beschwerdeführer Probleme aufgrund seiner Clanzugehörigkeit gehabt habe, brachte er steigernd erstmals in der Beschwerde und in weiterer Folge (mit weiteren Steigerungen) in der mündlichen Verhandlung sowie der abschließenden Stellungnahme vor, wobei bereits ausgeführt wurde, dass für das erkennende Gericht nicht glaubhaft ist, dass der Beschwerdeführer dem genannten Minderheitenclan angehört. Vor dem Hintergrund der obenstehenden Ausführungen zur Unglaubhaftigkeit des zentralen Fluchtvorbringens des Beschwerdeführers kann auch dem pauschalen Vorbringen, er habe aufgrund seines Clans nicht als Soldat für die somalische Regierung arbeiten können, gefolgt werden (Seite 9 und 16 des Verhandlungsprotokolls). Zudem hat er überdies einen Zusammenhang seines Fluchtgrundes mit seiner Clanzugehörigkeit weder im Rahmen der Erstbefragung noch vor dem Bundesamt erwähnt. Vielmehr verneint er im Widerspruch dazu vor dem Bundesamt explizit, jemals wegen seiner Rasse oder Volksgruppe verfolgt worden zu sein oder wegen seiner Clanzugehörigkeit irgendwelche Schwierigkeiten oder Probleme gehabt zu haben; trotz der „üblichen Einschränkungen“, die alle Gabooye hätten, habe man „aufgrund der Clanzugehörigkeit ein normales und unbeeinflusstes Leben in XXXX führen“ können. (vgl. AS 51; Seite 16 des Verhandlungsprotokolls)
Im Ergebnis konnte nicht festgestellt werden, dass der Beschwerdeführer in seinem Herkunftsgebiet als Angehöriger eines Minderheitenclans oder einer berufsständischen Minderheit erhebliche Diskriminierung oder Verfolgung zu gewärtigen hat.
2.3. Zu den Feststellungen betreffend die Situation im Herkunftsstaat:
Die Feststellungen zur gegenständlich relevanten Lage in Somalia beruhen auf den ins Verfahren eingebrachten Länderberichten, insbesondere der Länderinformation der Staatendokumentation vom 08.01.2024 (Version 6), die basierend auf einer Vielzahl verschiedener, voneinander unabhängiger unbedenklicher Quellen einen in den Kernaussagen schlüssigen Überblick über die aktuelle Lage in Somalia gewährleistet. Ergänzend wurden vor allem der EUAA-Bericht Country Guidance: Somalia vom August 2023 sowie UNHCR, International Protection Considerations with Regard to People Fleeing Somalia, September 2022, herangezogen.
Der Vollständigkeit halber ist festzuhalten, dass sich auch aus der aktualisierten Länderinformation der Staatendokumentation vom 16.01.2025 (Version 7) fallbezogen keine abweichende Beurteilung ergibt.
Angesichts der Seriosität der genannten Quellen und der Plausibilität ihrer Aussagen besteht kein Grund, an der Richtigkeit der Angaben zu zweifeln, sodass sie den Feststellungen zur Situation in Somalia zugrunde gelegt werden konnten. Der Beschwerdeführer ist den den Länderfeststellungen zugrundeliegenden Länderberichten nicht konkret entgegengetreten und hat in der in der mündlichen Verhandlung auf eine Stellungnahme zu diesen verzichtet. Im Übrigen hat der Beschwerdeführer in der Rechtsmittelschrift selbst auf die Länderinformation der Staatendokumentation verwiesen.
3. Rechtliche Beurteilung:
3.1. Zuständigkeit und Verfahren:
Gemäß § 7 Abs. 1 Z 1 BFA-VG entscheidet über Beschwerden gegen Bescheide des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl das Bundesverwaltungsgericht.
Gemäß § 6 BVwGG entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist.
Gegenständlich liegt Einzelrichterzuständigkeit vor.
Das Verfahren der Verwaltungsgerichte mit Ausnahme des Bundesfinanzgerichtes ist durch das VwGVG, BGBl. I Nr. 33/2013, geregelt (§ 1 leg.cit.). Gemäß § 59 Abs. 2 VwGVG bleiben entgegenstehende Bestimmungen, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Bundesgesetzes bereits kundgemacht wurden, in Kraft.
Gemäß § 17 VwGVG sind, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 B-VG die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles, die Bestimmungen der Bundesabgabenordnung – BAO, BGBl. Nr. 194/1961, des Agrarverfahrensgesetzes – AgrVG, BGBl. Nr. 173/1950, und des Dienstrechtsverfahrensgesetzes 1984 – DVG, BGBl. Nr. 29/1984, und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.
Gemäß § 28 Abs. 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht die Rechtssache durch Erkenntnis zu erledigen, sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist. Über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG hat das Verwaltungsgericht gemäß Abs. 2 leg. cit. dann in der Sache selbst zu entscheiden, wenn 1. der maßgebliche Sachverhalt feststeht oder 2. die Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts durch das Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist.
Gegenständlich steht der maßgebliche Sachverhalt im Sinne von § 28 Abs. 2 Z 1 VwGVG fest. Das Bundesverwaltungsgericht hatte folglich in der Sache selbst zu entscheiden.
Zu A)
3.2. Maßgebliche Rechtslage:
Gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 ist einem Fremden, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, soweit dieser Antrag nicht bereits gemäß §§ 4, 4a oder 5 AsylG 2005 zurückzuweisen ist, der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft ist, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention droht (vgl. auch die Verfolgungsdefinition in § 2 Abs. 1 Z 11 AsylG 2005, die auf Art. 9 der Statusrichtlinie verweist).
Flüchtling im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention ist, wer sich aus der begründeten Furcht vor Verfolgung wegen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Überzeugung außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen; oder wer staatenlos ist, sich außerhalb des Landes seines gewöhnlichen Aufenthaltes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, in dieses Land zurückzukehren.
Zentraler Aspekt dieses Flüchtlingsbegriffs ist die wohlbegründete Furcht vor Verfolgung. Eine wohlbegründete Furcht vor Verfolgung liegt dann vor, wenn sie im Lichte der speziellen Situation des Asylwerbers unter Berücksichtigung der Verhältnisse im Verfolgerstaat objektiv nachvollziehbar ist. Es kommt nicht darauf an, ob sich eine bestimmte Person in einer konkreten Situation tatsächlich fürchtet, sondern ob sich eine mit Vernunft begabte Person in dieser Situation aus Konventionsgründen fürchten würde (vgl. VwGH 05.09.2016, Ra 2016/19/0074 uva.). Verlangt wird eine „Verfolgungsgefahr“, wobei unter Verfolgung ein Eingriff von erheblicher Intensität in die vom Staat zu schützende Sphäre des Einzelnen zu verstehen ist, welcher geeignet ist, die Unzumutbarkeit der Inanspruchnahme des Schutzes des Heimatstaates bzw. der Rückkehr in das Land des vorigen Aufenthaltes zu begründen.
Die Verfolgungsgefahr muss aktuell sein, was bedeutet, dass sie zum Zeitpunkt der Entscheidung vorliegen muss (VwGH 09.03.1999, 98/01/0318; 19.10.2000, 98/20/0233). Bereits gesetzte vergangene Verfolgungshandlungen können im Beweisverfahren ein wesentliches Indiz für eine bestehende Verfolgungsgefahr darstellen, wobei hierfür dem Wesen nach eine Prognose zu erstellen ist (VwGH 05.11.1992, 92/01/0792; 09.03.1999, 98/01/0318). Die Verfolgungsgefahr muss ihre Ursache in den in der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Gründen haben und muss ihrerseits Ursache dafür sein, dass sich die betreffende Person außerhalb ihres Heimatlandes bzw. des Landes ihres vorigen Aufenthaltes befindet. Die Verfolgungsgefahr muss dem Heimatstaat bzw. dem Staat des letzten gewöhnlichen Aufenthaltes zurechenbar sein. Zurechenbarkeit bedeutet nicht nur ein Verursachen, sondern bezeichnet eine Verantwortlichkeit in Bezug auf die bestehende Verfolgungsgefahr (vgl. VwGH 10.06.1998, 96/20/0287).
Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes kommt einer von Privatpersonen bzw. privaten Gruppierungen ausgehenden, auf einem Konventionsgrund beruhenden Verfolgung Asylrelevanz zu, wenn der Staat nicht gewillt oder nicht in der Lage ist, diese Verfolgungshandlungen hintan zu halten (VwGH 24.02.2015, Ra 2014/18/0063); auch eine auf keinem Konventionsgrund beruhende Verfolgung durch Private hat aber asylrelevanten Charakter, wenn der Heimatstaat des Betroffenen aus den in Art. 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention genannten Gründen nicht bereit ist, Schutz zu gewähren (vgl. VwGH 28.01.2015, Ra 2014/18/0112 mwN). Eine von dritter Seite ausgehende Verfolgung kann nur dann zur Asylgewährung führen, wenn sie von staatlichen Stellen infolge nicht ausreichenden Funktionierens der Staatsgewalt nicht abgewandt werden kann (vgl. VwGH 22.03.2000, 99/01/0256 mwN).
Die Voraussetzung der „wohlbegründeten Furcht“ vor Verfolgung wird in der Regel aber nur erfüllt, wenn zwischen den Umständen, die als Grund für die Ausreise angegeben werden, und der Ausreise selbst ein zeitlicher Zusammenhang besteht (vgl. VwGH 17.03.2009, 2007/19/0459). Relevant kann nur eine aktuelle Verfolgungsgefahr sein; sie muss bei Bescheiderlassung vorliegen, auf diesen Zeitpunkt hat die der Asylentscheidung immanente Prognose abzustellen, ob der Asylwerber mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit Verfolgung aus den in Art. 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention genannten Gründen zu befürchten habe (vgl. u.a. VwGH 20.06.2007, 2006/19/0265 mwN).
Auch wenn in einem Staat allgemein schlechte Verhältnisse bzw. sogar bürgerkriegsähnliche Zustände herrschen sollten, so liegt in diesem Umstand für sich alleine noch keine Verfolgungsgefahr im Sinne der Flüchtlingskonvention. Um asylrelevante Verfolgung erfolgreich geltend zu machen, bedarf es daher einer zusätzlichen, auf asylrelevante Gründe gestützten Gefährdung des Asylwerbers, die über die gleichermaßen die anderen Staatsbürger des Heimatstaates treffenden Unbilligkeiten hinausgeht (vgl. hiezu VwGH 21.01.1999, 98/18/0394; 19.10.2000, 98/20/0233 mwH). Eine allgemeine desolate wirtschaftliche und soziale Situation kann nach ständiger Judikatur nicht als hinreichender Grund für eine Asylgewährung herangezogen werden (vgl. VwGH 17.06.1993, 92/01/1081; 14.03.1995, 94/20/0798).
3.3. Zur Beschwerde gegen Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides:
Wie aus dem festgestellten Sachverhalt hervorgeht, ist es dem Beschwerdeführer nicht gelungen, eine begründete Furcht vor Verfolgung glaubhaft zu machen und erübrigt sich eine Prüfung der Asylrelevanz der Angaben des Beschwerdeführers. Eine gegen den Beschwerdeführer gerichtete, aktuelle Bedrohung konnte nicht festgestellt werden.
Auch eine sonstige konkrete Gefährdung – etwa aufgrund der politischen Überzeugung, Religion oder Volksgruppen- bzw. Clanzugehörigkeit – wurde nicht glaubhaft gemacht bzw. sind dahingehend auch keine konkreten Anhaltspunkte hervorgekommen.
Auch aus der allgemeinen Lage in Somalia lässt sich für den Beschwerdeführer eine Zuerkennung des Status eines Asylberechtigten nicht herleiten. Eine allgemeine desolate wirtschaftliche und soziale Situation stellt nach ständiger Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes keinen hinreichenden Grund für eine Asylgewährung dar (vgl. etwa VwGH vom 14.03.1995, 94/20/0798; 17.06.1993, 92/01/1081). Wirtschaftliche Benachteiligungen können nur dann asylrelevant sein, wenn sie jegliche Existenzgrundlage entziehen (vgl. etwa VwGH 09.05.1996, 95/20/0161; 30.04.1997, 95/01/0529; 08.09.1999, 98/01/0614). Aber selbst für den Fall des Entzugs der Existenzgrundlage ist eine Asylrelevanz nur dann anzunehmen, wenn dieser Entzug mit einem in der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Anknüpfungspunkt – nämlich der Rasse, der Religion, der Nationalität, der Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung – zusammenhängt, wofür im vorliegenden Fall keine Anhaltspunkte hervorgekommen sind, zumal im vorliegenden Fall auch eine erhebliche Diskriminierung aufgrund der Clanzugehörigkeit nicht glaubhaft gemacht wurde.
Es kann somit nicht davon ausgegangen werden, dass dem Beschwerdeführer asylrelevante Verfolgung in Somalia mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit droht.
Eine mögliche Gefährdung des Beschwerdeführers insbesondere aufgrund der schlechten Sicherheitslage in Somalia bzw. durch das Fehlen einer Lebensgrundlage im Falle einer Rückkehr wurde bereits im Rahmen der Gewährung subsidiären Schutzes berücksichtigt.
Da sich weder aus dem Vorbringen des Beschwerdeführers noch aus internationalen Länderberichten hinreichende Anhaltspunkte für eine Verfolgung des Beschwerdeführers ergeben haben, ist kein unter Art. 1 Abschnitt A Z 2 der Genfer Flüchtlingskonvention zu subsumierender Sachverhalt ableitbar.
Darüber hinaus ist der Antrag auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 3 Z 1 AsylG 2005 auch dann abzuweisen, wenn dem Fremden eine innerstaatliche Fluchtalternative (§ 11) offen steht (vgl. die unten stehen Ausführungen zu § 8 Abs. 3 AsylG 2005).
3.4. Der Antrag auf Zuerkennung des Status des Asylberechtigten wurde daher zu Recht abgewiesen.
Zu B) Unzulässigkeit der Revision:
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung (siehe die oben zitierte Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes); weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.