JudikaturBVwG

W221 2307453-1 – Bundesverwaltungsgericht Entscheidung

Entscheidung
06. Mai 2025

Spruch

W221 2307453-1/10E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin Mag.a Daniela URBAN, LL.M. als Einzelrichterin über die Beschwerde der XXXX , geb. XXXX , StA. Somalia, vertreten durch die BBU, gegen Spruchpunkt I. des Bescheides des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 19.10.2024, Zl. XXXX , nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 27.03.2025 zu Recht:

A)

Die Beschwerde wird gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG iVm § 3 Abs. 1 AsylG 2005 als unbegründet abgewiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang:

Die Beschwerdeführerin stellte am 13.03.2023 den gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz.

Am 14.03.2023 fand vor einem Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes die niederschriftliche Erstbefragung der Beschwerdeführerin statt. Befragt zu ihren Fluchtgründen, gab diese an, sie habe Somalia wegen der Al-Shabaab verlassen. Ein Mann sei eines Tages in ihr Geschäft gekommen und habe ihre Fragen nicht beantwortet, weswegen sie die Polizei verständigt habe. Als die Polizei gekommen sei, sei es zu einem Schusswechsel gekommen und ein Polizist sowie jener Mann, der ins Geschäft gekommen sei, seien ums Leben gekommen. Ein paar Tage später sei die Beschwerdeführerin mehrfach von der Al-Shabaab angerufen und mit dem Tod bedroht worden.

Am 23.05.2024 wurde die Beschwerdeführerin vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl im Beisein einer Dolmetscherin für die somalische Sprache niederschriftlich einvernommen. Zu den Fluchtgründen befragt, gab die Beschwerdeführerin an, es seien am XXXX im Restaurant ihrer Mutter zwei Männer als Kunden gewesen, wobei sich einer davon, indem er nichts bestellt habe, komisch verhalten habe, weswegen die Beschwerdeführerin die Polizei gerufen habe. Es sei zwischen der Polizei und den beiden Männern zu einem Schusswechsel gekommen; ein Polizist und die beiden Männer seien ums Leben gekommen. Drei Tage später habe die Beschwerdeführerin einen Anruf von der Al-Shabaab erhalten, im Rahmen dessen sie als Spionin der somalischen Regierung bezeichnet worden sei, da sie für den Tod zweier Mitglieder der Al-Shabaab verantwortlich gewesen sei. Die Beschwerdeführerin sei deswegen aufgefordert worden, nach Jilib Marko zu kommen, um ihre Schuld zu begleichen. Weil die Beschwerdeführerin dieser Aufforderung jedoch nicht nachgekommen sei, sei sie erneut von der Al-Shabaab angerufen und mit dem Tod bedroht worden. Die Beschwerdeführerin habe sich bei ihrer Schwiegermutter versteckt und ihre Familienmitglieder seien nach Balcad gezogen, wo ihre Mutter von der Al-Shabaab verschleppt worden sei.

Mit dem oben im Spruch angeführten Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 19.10.2024 wurde der Antrag der Beschwerdeführerin auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status der Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 abgewiesen (Spruchpunkt I.) und ihr gemäß § 8 Abs. 1 AsylG 2005 der Status der subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt (Spruchpunkt II.). Der Beschwerdeführerin wurde eine befristete Aufenthaltsberechtigung für subsidiär Schutzberechtigte für ein Jahr gemäß § 8 Abs. 4 AsylG 2005 erteilt (Spruchpunkt III.).

Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl traf umfassende herkunftsstaatsbezogene Feststellungen zur allgemeinen Lage in Somalia und begründete im angefochtenen Bescheid die abweisende Entscheidung im Wesentlichen damit, dass die Beschwerdeführerin unglaubwürdig sei.

Gegen diesen Bescheid wurde fristgerecht Beschwerde erhoben. In dieser wurden im Wesentlichen mangelhafte Ermittlungen, die mangelhafte Beweiswürdigung und die inhaltliche Rechtswidrigkeit des Bescheides geltend gemacht.

Die gegenständliche Beschwerde und die Bezug habenden Verwaltungsakten wurden vom Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl vorgelegt und sind am 12.02.2025 beim Bundesverwaltungsgericht eingelangt.

Das Bundesverwaltungsgericht führte am 27.03.2025 in Anwesenheit einer Dolmetscherin für die somalische Sprache und im Beisein der Rechtsvertreterin der Beschwerdeführerin eine mündliche Verhandlung durch, im Zuge derer eine eingehende Befragung der Beschwerdeführerin zu ihren Fluchtgründen stattfand und ihr auch die Möglichkeit eingeräumt wurde, zu den im Verfahren herangezogenen Länderberichten Stellung zu nehmen.

Mit Schreiben vom 28.03.2025 ergänzte die Beschwerdeführerin im Wege ihrer Rechtsvertretung ihr Vorbringen dahingehend, dass sie unmittelbar nach der bevorstehenden Geburt ihres Kindes eine Defibulation durchführen lassen möchte und legte zugleich eine Ambulanzkarte der Klinik XXXX vom XXXX vor, in der die Möglichkeit einer Defibulation im Rahmen der Geburt mittels Kaiserschnitt aufgezeigt wird.

Mit Schreiben vom 01.04.2025 wurde die Beschwerdeführerin aufgefordert, binnen zwei Wochen eine Bestätigung vorzulegen, aus der hervorgeht, dass die Defibulation tatsächlich im Rahmen der Geburt mittels Kaiserschnitt durchgeführt werden wird.

Mit Schreiben vom 15.04.2025 ersuchte die Beschwerdeführerin im Wege ihrer Rechtsvertretung um Erstreckung dieser Frist um weitere zwei Wochen und legte sodann am 28.04.2025 einen ambulanten Patientenbrief der Klinik XXXX vom XXXX vor, aus dem sich insbesondere ergibt, dass der Beschwerdeführerin eine Defibulation im Rahmen des Kaiserschnitts im AKH nicht angeboten wurde und lediglich ein Termin für eine Wiedervorstellung nach der Geburt in der FGM-Ambulanz der Klinik XXXX am XXXX vereinbart wurde.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat über die zulässige Beschwerde erwogen:

1. Feststellungen:

1.1. Zur Person und zu den Fluchtgründen der Beschwerdeführerin:

Die Beschwerdeführerin ist somalische Staatsangehörige, gehört dem Clan der Hawiye Garjante, Subclan Gardheer, an und bekennt sich zum sunnitisch-muslimischen Glauben.

Die Beschwerdeführerin ist in der Stadt Mogadischu geboren und aufgewachsen. Mogadischu befindet sich unter Kontrolle von Regierungskräften und ATMIS.

Die Beschwerdeführerin hat in Somalia 12 Jahre lang die Schule bis zum Schulabschluss besucht und im familieneigenen Restaurant gearbeitet.

An der Beschwerdeführerin wurde im Kindesalter eine weibliche Genitalverstümmelung des WHO Typs III durchgeführt.

Die Beschwerdeführerin ist verheiratet. Der Ehemann und die Beschwerdeführerin kennen sich seit dem Jahr XXXX , haben sich in Somalia aber nie persönlich getroffen. Der Ehemann der Beschwerdeführerin lebt seit dem Jahr XXXX in Österreich und ist subsidiär Schutzberechtigter. Eine gemeinsame Freundin der beiden hat sie telefonisch vermittelt und anschließend sind sie über das Internet in Kontakt geblieben. Ende des Jahres XXXX hat die Beschwerdeführerin Somalia erstmalig legal unter Verwendung ihres Reisepasses verlassen, um ihren nunmehrigen Ehemann in der Türkei zu heiraten. Da dies nicht funktioniert hat, ist die Beschwerdeführer im März XXXX für diesen Zweck nochmals legal ausgereist, dieses Mal nach Nairobi, Kenia, wo die Ehe am XXXX eingegangen wurde.

Die Beschwerdeführerin reiste im November XXXX mit dem Flugzeug in die Türkei aus, wobei die Ausreise in die Türkei etwa 600 US-Dollar gekostet hat. Die Beschwerdeführerin stellte einen Antrag auf internationalen Schutz in Zypern und wurde über die Familienzusammenführung im Jahr XXXX nach Österreich überstellt. Am 13.03.2023 stellte die Beschwerdeführerin einen Antrag auf internationalen Schutz.

Die Beschwerdeführerin wird nicht aufgrund einer Schießerei im familieneigenen Restaurant zwischen der Polizei und zwei Männern von der Al-Shabaab als Spionin der Regierung gesehen bzw. ist deswegen nicht ins Visier der Al-Shabaab geraten. Der Beschwerdeführerin droht im Falle einer Rückkehr nach Somalia daher auch keine wie auch immer geartete Gefahr durch die Al-Shabaab.

Die Mutter, ihr Stiefvater und Geschwister (drei Brüder, eine Schwester) der Beschwerdeführerin leben nach wie vor in Mogadischu. Zudem leben auch die Schwiegereltern der Beschwerdeführerin und deren Kinder ( XXXX jährige Tochter, XXXX -jähriger Sohn, XXXX -jähriger Sohn) in Mogadischu. Die Beschwerdeführerin hat Kontakt zu ihrer Familie.

Die Beschwerdeführerin ist im Falle einer Rückkehr nach Somalia keine alleinstehende Frau ohne männlichen Schutz. Ihre (auch männlichen) Familienangehörigen leben nach wie vor in Mogadischu, sodass sie zu diesen zurückkehren könnte. Ihr droht damit nicht die Gefahr in ein IDP-Lager zu müssen oder geschlechtsspezifischer Gewalt ausgesetzt zu sein.

Auch sonst besteht für die Beschwerdeführerin alleine aufgrund ihres Geschlechts in Somalia nicht die Gefahr mit der Anwendung von physischer und/oder psychischer Gewalt bedroht zu werden.

Die Beschwerdeführerin ist aktuell schwanger und der errechnete Geburtstermin ist der XXXX . Die Geburt wird im Allgemeinen Krankenhaus Wien (AKH) mittels Kaiserschnitt erfolgen, wobei keine Defibulation der Beschwerdeführerin im Rahmen der Geburt erfolgen wird. Geplant ist am XXXX eine Wiedervorstellung der Beschwerdeführerin in der FGM-Ambulanz in der Klinik XXXX zwecks Besprechung einer allfälligen Defibulation. Für den Fall, dass sich die Beschwerdeführerin einer Defibulation unterziehen sollte, droht ihr im Falle einer Rückkehr nach Somalia nicht die Gefahr einer erneuten Genitalverstümmelung bzw. Refibulation.

Die Beschwerdeführerin hat in Somalia bisher aufgrund ihrer Clanzugehörigkeit keine Diskriminierungen erfahren, solche drohen ihr auch im Falle der Rückkehr nicht.

1.2. Zur maßgeblichen Situation in Somalia:

Aus dem Länderinformationsblatt Somalia der Staatendokumentation, Stand: 16.01.2025

„Sicherheitslage und Situation in den unterschiedlichen Gebieten

Süd-/Zentralsomalia, Puntland

[…]

Banadir Regional Administration (BRA; Mogadischu)

Die Sicherheitslage in Mogadischu ist weiterhin dadurch gekennzeichnet, dass al Shabaab Angriffe auf Behörden und ihre Unterstützer verübt. Zugleich stecken hinter der Gewalt in der Stadt neben al Shabaab auch Regierungskräfte, der sogenannte Islamische Staat in Somalia (ISS) und Unbekannte (BMLV 7.8.2024). In der Stadt befinden sich die Polizei, die Präsidentengarde, die Bundesarmee, die National Intelligence and Security Agency (NISA), private Sicherheitskräfte und Clanmilizen in unterschiedlichem Umfang im Einsatz (Sahan/SWT 6.9.2023). Nichtstaatliche Sicherheitskräfte, darunter Clanmilizen, üben trotz wiederholter Versuche, sie auf Linie zu bringen, erheblichen Einfluss in der Stadt aus. Die Teile dieser Patchwork-Sicherheitsarchitektur konkurrieren regelmäßig um Checkpoints und den Zugang zu Ressourcen (Sahan/SWT 6.9.2023). Dabei konnten aufgrund der verbesserten Lage zuletzt etliche Checkpoints innerhalb der Stadt abgebaut werden (BMLV 4.7.2024).

Insgesamt durchläuft die Sicherheitslage Mogadischus eine positive Entwicklung (AQSOM 4 6.2024). Noch vor zehn Jahren kontrollierte al Shabaab die Hälfte der Stadt, die gleichzeitig Schauplatz heftiger Kämpfe war (BBC 18.1.2021; vgl. Sahan/SWT 18.1.2022). 2011 war Mogadischu eine halb entleerte Ruinenstadt, Einschusslöcher, zerstörte Häuser und Milizen in Kampfwagen prägten das Bild. Es gab keinerlei staatliche Dienste (Sahan/SWT 18.1.2022). Seit 2014 ist das Leben nach Mogadischu zurückgekehrt (SRF 27.12.2021) und die Stadt befindet sich unter Kontrolle von Regierung und ATMIS (PGN 28.6.2024). Die Sicherheitslage hat sich in den vergangenen zehn Jahren im Allgemeinen verbessert (Sahan/SWT 6.9.2023). V. a. unter der aktuellen Regierung wurde al Shabaab aus der Stadt weitgehend abgedrängt (ÖB Nairobi 11.1.2024). Immer neue Teile von Mogadischu werden wieder aufgebaut. Es herrscht große Aktivität, viel Geld wird investiert (IO-D/STDOK/SEM 4.2023) - auch in ganze neue Stadtteile an der Peripherie (AQSOM 4 6.2024). Nun ist Mogadischu eine pulsierende Stadt mit hohen Apartmentblocks und Einkaufszentren. Der berühmte Lido-Strand ist am Wochenende voll mit Familien. Historische Gebäude und Monumente wurden renoviert und sind der Öffentlichkeit zugänglich. Unzählige Kaffeehäuser sind aus dem Boden geschossen. Der private und der öffentliche Sektor sind aufgrund der relativen Stabilität der Stadt stark gewachsen. Sechs Banken und Dutzende internationaler Firmen haben in Mogadischu eine Niederlassung eröffnet. Es gibt Investitionsmöglichkeiten, und es sind neue Arbeitsplätze entstanden (Sahan/SWT 18.1.2022; vgl. TEV/Odour 24.6.2024). Händler können ihre Waren auf den Markt bringen, und überhaupt können die Menschen relativ frei zirkulieren (ÖB Nairobi 11.1.2024). Die Stimmung der Menschen in der Stadt ist laut einer Quelle der FFM Somalia 2023 relativ positiv. Dies hat mit den Bemühungen der Regierung im Kampf gegen al Shabaab zu tun (INGO-C/STDOK/SEM 4.2023). Nach der Wahl von Hassan Sheikh Mohamed hat sich die Atmosphäre in Mogadischu dramatisch verändert, die Stadt ist ruhiger geworden (Sahan/SWT 8.6.2022).

Gleichzeitig bietet die Stadt für al Shabaab alleine aufgrund der dichten Präsenz von Behörden und internationalen Organisationen viele attraktive Ziele. Innerhalb der Stadt hat sich die Sicherheit zwar verbessert, al Shabaab kann aber nach wie vor Anschläge durchführen. In Mogadischu besteht aber kein Risiko, von der Gruppe zwangsrekrutiert zu werden. Aus einigen Gegenden flüchten junge Männer sogar nach Mogadischu, um sich einer möglichen (Zwangs-)Rekrutierung zu entziehen (BMLV 7.8.2024). Laut einer Quelle gibt es für normale Bewohner kein echtes Sicherheitsproblem. Dieses beschränkt sich demnach auf Ausländer, Personen, die für diese Ausländer arbeiten und allenfalls jene, die für die Regierung arbeiten (ÖB Nairobi 11.1.2024).

Noch im Jahr 2022 sind Quellen davon ausgegangen, dass Mogadischu im Falle eines Abzugs von ATMIS die Rückkehr von al Shabaab drohte (Robinson/TGO 27.1.2022; vgl. Meservey/RCW 22.11.2021). Nun aber geben mehrere Quellen an, dass diese Gefahr nicht (mehr) zu sehen ist (Sahan/SWT 1.9.2024; vgl. IO-D/STDOK/SEM 4.2023; Think/STDOK/SEM 4.2023; BMLV 7.8.2024). Eine Quelle erklärt, dass ein rascher Zusammenbruch des Staates nur noch dann zu erwarten ist, wenn jegliche externe Unterstützung eingestellt wird (BMLV 1.12.2023). Doch selbst bei einem vollständigen und ersatzlosen Abzug von ATMIS ist davon auszugehen, dass die Bundesregierung Mogadischu halten wird können - wenn sie alle verfügbaren Kräfte dort zusammenzieht (BMLV 4.7.2024).

Generell haben sich seit 2014 die Lage für die Zivilbevölkerung sowie die Kapazitäten der Sicherheitsbehörden verbessert (BMLV 7.8.2024). Die Regierung hat in Maßnahmen investiert, um das Risiko komplexer Angriffe durch al Shabaab in der Stadt zu reduzieren (UNSC 28.10.2024). Laut einer Quelle der FFM Somalia 2023 hat sich die Sicherheitslage in der Stadt seit 2017 weiter verbessert (INGO-F/STDOK/SEM 4.2023). Laut einer anderen Quelle der FFM ist die Lage heute ähnlich wie 2017, jedenfalls aber besser als etwa 2012-2014 (UNOFFX/STDOK/SEM 4.2023). Eine andere Quelle erklärt, dass sich die Sicherheitslage in Mogadischu im Jahr 2023 gegenüber 2022 verbessert hat, und auch besser ist als 2016 oder 2017 (BMLV 14.9.2023). Auch eine anonymisierte Quelle betont im März 2024, dass sich die Sicherheitslage in Mogadischu in den Vormonaten verbessert hat - gerade im Vergleich zu dem Jahrzehnt davor (AQSOM 1 3.2024). Eine weitere Quelle vom Oktober 2023 erklärt, dass sich die Sicherheitslage in der Stadt verbessert hat (RD 26.10.2023). In einem Jahresbericht zum Jahr 2023 wird vermerkt, dass sich die Lage in Mogadischu in diesem Jahr wesentlich verbessert hat (HIPS 7.5.2024). Mehrere lokale Quellen der norwegischen COI-Einheit beschrieben im Mai 2022 die Sicherheitsentwicklungen in der Stadt als positiv. Jedenfalls ist die Zahl an Vorfällen und Todesopfern in den vergangenen Jahren relativ stabil geblieben. Diesbezüglich muss zudem berücksichtigt werden, dass gleichzeitig die Zahl an Einwohnern deutlich gestiegen ist (Landinfo 8.9.2022). So hat UNFPA die Einwohnerzahl im Jahr 2014 mit 1,65 Millionen angegeben (UNFPA 10.2014), während die Zahl im Jahr 2022 auf fast 2,9 Millionen geschätzt wird (IPC 13.12.2022). Laut Vereinten Nationen leben in Mogadischu nun mehr als 900.000 IDPs (Sahan/SWT 6.9.2023). Eine neuere Quelle erklärt, dass sich die Sicherheitslage mit der Überdehnung der somalischen Sicherheitskräfte im Umland von Mogadischu verschlechtert hat. Mehrere Stützpunkte wurden hier von ATMIS an lokale Kräfte übergeben. Dies hat zu einem Anstieg an Angriffen und Anschlägen durch al Shabaab in Mogadischu geführt (Sahan/SWT 1.9.2024). Auch eine andere Quelle erklärt im August 2024, dass die Angriffe von al Shabaab in der Vorstadt eine alarmierende Intensität erreicht haben. Die Gruppe nützt dabei die Schwächung der äußeren Verteidigungslinien der Stadt aus (TSD 22.8.2024).

[…]

Al Shabaab kontrolliert in Mogadischu schon seit Jahren keine Gebiete mehr (MBZ 6.2023; vgl. AQ21 11.2023), unterhält aber ein beachtliches Netzwerk an Mitgliedern und Informanten (MBZ 6.2023). Das Ausmaß der Präsenz der Gruppe im Stadtgebiet ist sehr unterschiedlich (BMLV 7.8.2024). Dabei handelt es sich um eine verdeckte Präsenz und nicht um eine offen militärische (BMLV 7.8.2024; vgl. INGO-F/STDOK/SEM 4.2023, Landinfo 8.9.2022). In den Außenbezirken hat al Shabaab größeren Einfluss, auch die Unterstützung durch die Bevölkerung ist dort größer (BMLV 7.8.2024). Kaxda (ein neuer Bezirk am Nordrand der Stadt) gilt laut einer Quelle als Brutstätte militanter Aktivität (TSD 20.9.2023). Die Gruppe verfügt in Mogadischu über keine nennenswerte institutionelle Präsenz. Trotzdem erhebt die Gruppe den Zakat (islamische Steuer) von Unternehmen in der Stadt. Zudem macht al Shabaab ihre Präsenz insofern bemerkbar, dass sie ihre Form der "Moral" umsetzt. So tötete die Gruppe beispielsweise Anfang März 2023 zehn Personen, denen der Verkauf von Drogen in den Stadtbezirken Yaqshiid und Dayniile vorgeworfen worden war (Sahan/SWT 6.9.2023).

[…]

Die Gruppe kann immer noch große Anschläge in Mogadischu durchführen (UNSC 28.10.2024) oder etwa den Sitz des Präsidenten (Villa Somalia) mit Mörsern beschießen. Und es gibt auch weiterhin gezielte Attentate (IO-D/STDOK/SEM 4.2023) und Anschläge auf Regierungstruppen und ATMIS (INGO-F/STDOK/SEM 4.2023). Mit einem komplexen Anschlag auf das SYL Hotel in der Nachbarschaft der Villa Somalia hat den Willen und die Kapazität von al Shabaab unter Beweis gestellt. Dieser Angriff hat die relative Ruhe in der Stadt beendet und geht mit den Rückschlägen der Bundeskräfte in Zentralsomalia einher (Sahan/SWT 15.3.2024).

Al Shabaab ist also auch weiterhin in der Stadt aktiv. Die Gruppe hat zahlreiche Informanten innerhalb der Sicherheitskräfte (IO-D/STDOK/SEM 4.2023; vgl. INGO-C/STDOK/SEM 4.2023), auch relevante Verwaltungsstrukturen gelten als unterwandert (Landinfo 8.9.2022; vgl. INGO-C/STDOK/SEM 4.2023). Al Shabaab verlangt von Geschäftsleuten in der Stadt die Zahlung von "Steuern" (Mohamed/VOA 9.11.2022; vgl. Sahan/STDOK/SEM 4.2023). Zwischen Mai und Juli 2022 erhielten auch zahlreiche Besitzer von gemauerten oder mehrstöckigen Häusern eine Zahlungsaufforderung von al Shabaab. Dabei liegt die jährliche Abgabe zwischen 100 und 300 US-Dollar. Zudem wird die Errichtung von Häusern besteuert. Für Zahlungsverzögerungen drohen Strafzahlungen (Mohamed/VOA 9.11.2022). Al Shabaab ist auch im Jahr 2024 in der Lage, nahezu im gesamten Stadtgebiet verdeckte Operationen durchzuführen bzw. Steuern und Abgaben einzuheben und die Bevölkerung einzuschüchtern (BMLV 7.8.2024).

Laut dem niederländischen Außenministerium sind folgende Personen in Mogadischu einem erhöhten Risiko von Gewalt durch al Shabaab ausgesetzt: Regierungsvertreter, Politiker und Behördenvertreter, in- und ausländische Sicherheitskräfte; die genannten Gruppen stellen die Hauptziele von Angriffen von al Shabaab dar. Daneben werden auch Wahldelegierte, Wirtschaftstreibende, Journalisten, Menschenrechtsaktivisten, NGO-Bedienstete und Clanälteste, die sich zur Regierung bekennen, zu Zielen (MBZ 6.2023).

Zivilisten: Die Gruppe ist weiterhin in der Lage, in Mogadischu auch größere Sprengstoffanschläge durchzuführen (BMLV 7.8.2024). Üblicherweise zielt al Shabaab mit Angriffen auf Sicherheitskräfte und Vertreter des Staates ["Officials"] (UNSC 6.10.2021; vgl. BMLV 7.8.2024). "Normale" Zivilisten stellen im Allgemeinen kein Ziel von Angriffen der al Shabaab dar (MBZ 6.2023; vgl. Landinfo 8.9.2022; BMLV 7.8.2024). Sie leiden auf zwei Arten an der Gewalt durch al Shabaab: Jene, die in Verbindung mit der Regierung stehen oder von al Shabaab als Unterstützer der Regierung wahrgenommen werden, sind einem erhöhten Risiko ausgesetzt (BMLV 7.8.2024). Allerdings kann ein "in Verbindung stehen" auch schon gegeben sein, wenn etwa Geschäftsleute - wie von der Regierung gefordert - an ihren Geschäften Videokameras installieren. Alleine im Oktober und November 2024 sind 37 Personen in Zusammenhang mit der Installation von sogenannten CCTV-Kameras getötet worden (SMN 30.11.2024).

Das größte Risiko für Zivilisten, die nicht mit der Regierung in Verbindung stehen, besteht darin, bei Anschlägen zur falschen Zeit am falschen Ort zu sein und damit zum Kollateralschaden von Sprengstoffanschlägen und anderer Gewalt zu werden (BMLV 7.8.2024; vgl. AQSOM 4 6.2024). Denn al Shabaab nimmt zivile Opfer in Kauf und greift immer wieder stark frequentierte Örtlichkeiten an (MBZ 6.2023). Dabei handelt es sich i.d.R. um solche Orte, die von Regierungsvertretern und Wirtschaftstreibenden sowie Sicherheitskräften frequentiert werden, z. B. Restaurants, Hotels oder Einkaufszentren (Landinfo 8.9.2022). Ein ausschließlich von der Durchschnittsbevölkerung frequentierter Ort ist kein Ziel der al Shabaab. Die Hauptziele der Gruppe befinden sich in den inneren Bezirken: militärische Ziele, Regierungseinrichtungen und das Flughafenareal. Die Außenbezirke hingegen werden von manchen als die sichersten Teile der Stadt erachtet, da es dort so gut wie nie zu größeren Anschlägen kommt. Allerdings kommt es dort öfter zu gezielten Tötungen (BMLV 7.8.2024). Insgesamt widmet die Gruppe Zufallsopfern aber wenig Aufmerksamkeit. Sie erachtet bei Angriffen getötete Zivilisten als Märtyrer (Landinfo 8.9.2022).

[…]

Auf die Frage nach den größten Gefahren im täglichen Leben in Mogadischu erklärt eine Quelle der FFM Somalia 2023: Erstens Erpressung durch al Shabaab; die Gruppe versucht immer, an Geld zu kommen. Daher besteht immer das Risiko, von ihr einen Drohanruf oder eine bedrohliche Textnachricht zu erhalten. Zweitens besteht für einen Durchschnittsbürger zwar kein Risiko, gezielt angegriffen zu werden; aber natürlich besteht immer das Risiko, zur falschen Zeit am falschen Ort zu sein (UNOFFX/STDOK/SEM 4.2023). Auch eine andere Quelle nennt dieses Risiko (wrong Place, wrong Time). Demnach werden Normalbürger nicht angegriffen. Es muss immer ein bestimmtes Interesse an einer Person herrschen (INGO-F/STDOK/SEM 4.2023). Eine Quelle gibt zu bedenken, dass man sich in Mogadischu nicht so leicht verstecken, nicht einfach isolieren kann. Man besucht die Familie, geht auf den Markt oder ins Spital etc. Personen sind demnach einfach aufzuspüren (INGO-C/STDOK/SEM 4.2023). Zum Ziel werden jene, die für die Regierung arbeiten. Diese Personen brauchen geeigneten Schutz. Auch Journalisten tragen ein höheres Risiko, insbesondere jene, die sich kritisch zu al Shabaab geäußert haben. Üblicherweise wird gezielt eine Person angegriffen, nicht aber deren Familienmitglieder (INGO-F/STDOK/SEM 4.2023).

Bewegungsfreiheit: Die Menschen wissen um die Gefahr bestimmter Örtlichkeiten und versuchen daher, diese (zu bestimmten Uhrzeiten) zu meiden (AQSOM 4 6.2024). Clanälteste, Bundes- und Bundesstaatsminister sowie Abgeordnete können sich in der Stadt nicht ohne Leibwächter frei bewegen (Gov Som 2022, S. 99).

[…]

Al Shabaab

[…]

Gebiete: Al Shabaab kontrolliert auch weiterhin den größeren Teil Süd-/Zentralsomalias (BMLV 7.8.2024; vgl. Rollins/HIR 27.3.2023) und verfügt über ein starkes Hinterland (AQ21 11.2023). Die Gruppe bleibt auf dem Land in herausragender Position bzw. hat sie dort eine feste Basis. Zudem schränkt sie in vielen Fällen regionale sowie Kräfte des Bundes auf städtischen Raum ein, ohne dass diese die Möglichkeit hätten, sich zwischen den Städten frei zu bewegen. Nachdem al Shabaab in den vergangenen zehn Jahren weiter Gebiete und Städte verlustig ging, hat sich die Gruppe angepasst. Ohne Städte physisch kontrollieren zu müssen, übt al Shabaab durch eine Mischung aus Zwang und administrativer Effektivität auf Gebiete unter Kontrolle staatlicher Kräfte Einfluss und Macht aus (BMLV 7.8.2024).

Die Hochburgen von al Shabaab finden sich in den Bundesstaaten Jubaland, SWS, HirShabelle und Galmudug (TRN/Khalil/Abdi Y./Glazzard/Nor/Zeuthen 12.2023b). Die Gruppe kontrolliert Gebiete in den Regionen Lower Juba und Gedo (Jubaland); Bakool, Bay und Lower Shabelle (SWS); Hiiraan und - in sehr geringem Maße - Middle Shabelle (HirShabelle); Galgaduud und - in sehr geringem Maße - Mudug (Galmudug). Die Region Middle Juba wird zur Gänze von al Shabaab kontrolliert (PGN 28.6.2024; vgl. BMLV 7.8.2024).

[…]

Relevante Bevölkerungsgruppen

Frauen - allgemein

Sowohl im Zuge der Anwendung der Scharia als auch bei der Anwendung traditionellen Rechtes sind Frauen nicht in Entscheidungsprozesse eingebunden. Die Scharia wird ausschließlich von Männern angewendet, die oftmals zugunsten von Männern entscheiden (USDOS 22.4.2024). Zudem gelten die aus der Scharia interpretierten Regeln des Zivil- und Strafrechts. In der Scharia gelten für Frauen andere gesetzliche Maßstäbe als für Männer (z. B. halbe Erbquote). Insgesamt gibt es hinsichtlich der grundsätzlich diskriminierenden Auslegungen der zivil- und strafrechtlichen Elemente der Scharia keine Ausweichmöglichkeiten, diese gelten auch in Somaliland (AA 23.8.2024).

Auch im Rahmen der Ausübung des Xeer (traditionelles Recht) haben Frauen nur eingeschränkt Einfluss. Verhandelt wird unter Männern, und die Frau wird üblicherweise von einem männlichen Familienmitglied vertreten (SPC 9.2.2022; vgl. ÖB Nairobi 10.2024). Oft werden Gewalttaten gegen Frauen außerhalb des staatlichen Systems zwischen Clanältesten geregelt, sodass ein Opferschutz nicht gewährleistet ist (AA 23.8.2024). Auch Vergewaltigungsfälle werden oft im Rahmen kollektiver Clanverantwortung abgehandelt (ÖB Nairobi 11.1.2024; vgl. AQ21 11.2023; SPC 9.2.2022). Diesbezüglich geschaffene Gesetze haben zwar Signalwirkung, diese wendet sich aber insbesondere nach Außen (ÖB Nairobi 11.1.2024). Viele Fälle werden auch gar nicht gemeldet. Weibliche Opfer befürchten, von ihren Familien oder Gemeinden verstoßen zu werden, sie fürchten sich z. B. auch vor einer Scheidung oder einer Zwangsehe. Anderen Opfern sind die formellen Regressstrukturen schlichtweg unbekannt (SPC 9.2.2022). Im traditionellen System werden Vergewaltigungen oft mittels Blutgeld zwischen den betroffenen Clans ausverhandelt. Dabei darf das Opfer nach Angaben einer Quelle über die Höhe des Betrags mitentscheiden (ÖB Nairobi 11.1.2024). Andererseits werden Frauen im Falle von Clankonflikten oft als neutral erachtet, da es für sie leichter möglich ist, sich an unterschiedliche Clans zu wenden, um z. B. eine Waffenruhe zu erbitten. Folglich sind Frauen aufgrund der Verwandtschaftsverhältnisse beim Peace Building durchaus mächtig (AQ21 11.2023).

Während Frauen in Somalia zunehmend entscheidende wirtschaftliche Rollen übernehmen und häufig als Hauptverdiener ihrer Familien auftreten, stoßen sie bei der Suche nach politischen und wirtschaftlichen Möglichkeiten auf Hindernisse. Oft finden sie sich in schlecht bezahlten Positionen wieder (BS 2024). Gemäß einer Studie zum Gender-Gap in Süd-/Zentralsomalia und Puntland verfügen Frauen dort nur über 50 % der Möglichkeiten der Männer – und zwar mit Bezug auf Teilnahme an der Wirtschaft; wirtschaftliche Möglichkeiten; Politik; und Bildung (SOMSUN 6.4.2021). Viele traditionelle und religiöse Eliten stellen sich vehement gegen eine stärkere Beteiligung von Frauen am politischen Leben (AA 23.8.2024). Auf allen politischen Ebenen herrscht dementsprechend eine Absenz von Frauen. Insgesamt ist dies auf die patriarchale, auf Clans basierende Gesellschaft zurückzuführen (Sahan/SWT 19.1.2024; vgl. AA 23.8.2024). Trotzdem finden sich bei Behörden, bei den Macawiisley, in der Bundesarmee, bei der NISA und den Darawish Frauen, bei der Polizei sind es ca. 10 % (AQ21 11.2023; vgl. Sahan/SWT 9.9.2022).

Süd-/Zentralsomalia, Puntland

Diskriminierung: Die Diskriminierung von Frauen ist gesetzlich verboten (USDOS 22.4.2024). Die aktuelle Verfassung betont in besonderer Weise die Rolle und die Menschenrechte von Frauen und Mädchen und die Verantwortung des Staates in dieser Hinsicht. Tatsächlich ist deren Lage jedoch weiterhin besonders prekär (AA 23.8.2024). Sie genießen nicht die gleichen Rechte und den gleichen Status wie Männer und leiden unter Diskriminierung bei Kreditvergabe, Bildung, Politik, Unterbringung und am Arbeitsmarkt (USDOS 22.4.2024; vgl. FH 2024b). Bei der politischen Entscheidungsfindung werden Frauen marginalisiert (UNSC 2.2.2024).

Andererseits ist es der Regierung gelungen, Frauenrechte etwas zu fördern: Immer mehr Mädchen gehen zur Schule, die Zahl an Frauen im öffentlichen Dienst wächst (ICG 27.6.2019a, S. 3).

Frauen in der Politik: Die eigentlich vorgesehene 30-Prozent-Frauenquote für Abgeordnete im somalischen Parlament wird nicht eingehalten. Aktuell liegt diese bei 54 Sitzen (knapp 20 %) im Unterhaus (FH 2024b; vgl. UNSC 13.5.2022; BS 2024) und 26 % im Oberhaus (14 von 54 Sitzen) (FH 2024b; vgl. UNSC 8.2.2022). In der neuen Regierung nehmen Frauen 10 Sitze ein, was einen Anteil von 13 % ausmacht (UNSC 1.9.2022b). Die stellvertretende Sprecherin des Unterhauses ist weiblich (BS 2024). Unter den in Puntland Anfang 2024 vereidigten 66 Parlamentsabgeordneten findet sich nur eine Frau (Sahan/SWT 19.1.2024).

Gewalt gegen Frauen: Gewalt gegen Frauen ist gesetzlich verboten (USDOS 22.4.2024). Trotzdem bleibt häusliche Gewalt ein großes Problem (USDOS 22.4.2024; vgl. BS 2024; AA 23.8.2024). Bezüglich Gewalt in der Ehe – darunter auch Vergewaltigung – gibt es keine speziellen Gesetze (USDOS 22.4.2024). Auch generell ist sexuelle Gewalt gegen Frauen ein großes Problem - IDPs sind spezifisch betroffen (FH 2024b; vgl. USDOS 22.4.2024; ÖB Nairobi 10.2024; HRW 11.1.2024). Auch weibliche Angehörige von Minderheiten sind häufig unter den Opfern geschlechtsspezifischer Gewalt. NGOs haben eine diesbezügliche Systematik dokumentiert (USDOS 22.4.2024). So waren z. B. sieben von zwölf in einem UN-Bericht für das erste Jahresdrittel 2024 erwähnten weiblichen Opfer konfliktverursachter sexueller Gewalt Angehörige von Minderheiten, drei waren IDPs (UNSC 3.6.2024). Frauen, die aus Minderheiten stammen, sind dementsprechend besonders vulnerabel hinsichtlich sexueller Gewalt, Kriminalität, Ausbeutung und Diskriminierung und haben gleichzeitig kaum Zugang zu Justiz oder Clanschutz (ÖB Nairobi 10.2024).

Zur Veranschaulichung: Im Jahr 2021 setzten sich die Fälle geschlechtsspezifischer Gewalt laut UNFPA wie folgt zusammen: 62 % physische Gewalt; 11 % Vergewaltigungen; 10 % sexuelle Übergriffe; 7 % Verweigerung von Ressourcen; 6 % psychische Gewalt; 4 % Zwangs- oder Kinderehe. 53 % der Fälle ereigneten sich im Wohnbereich der Opfer (UNFPA 14.4.2022). Zudem werden Frauen und Mädchen Opfer, wenn sie Wasser holen, Felder bewirtschaften oder auf den Markt gehen. Klassische Muster sind: a) die Entführung von Mädchen und Frauen zum Zwecke der Vergewaltigung oder der Zwangsehe. Hier sind die Täter meist nicht-staatliche Akteure; und b) Vergewaltigungen und Gruppenvergewaltigungen durch staatliche Akteure, assoziierte Milizen und unbekannte Bewaffnete. Insgesamt gaben bei einer Untersuchung aber 59 % der befragten Frauen an, dass die meiste Gewalt gegen Frauen von Ehemännern ausgeht (USDOS 22.4.2024). UNFPA berichtete 2021 von jährlich 80 % Zuwachs bei der Zahl an gemeldeten Fällen (Sahan/SWT 9.2.2024). Frauen und Mädchen bleiben den Gefahren bezüglich Vergewaltigung, Verschleppung und systematischer sexueller Versklavung ausgesetzt (AA 23.8.2024).

Sexuelle Gewalt - Gesetzeslage: Das Strafgesetzbuch befasst sich hinsichtlich sexueller Gewalt weniger mit Körperverletzung, sondern beschreibt diese eher im Sinne einer Verletzung der Sittlichkeit und der sexuellen Ehre (BS 2024). Nicht die körperliche Integrität, sondern Anstand und Ehre stehen im Vordergrund (HRW 11.1.2024). Nach anderen Angaben ist Vergewaltigung gesetzlich verboten (AA 23.8.2024). Die Strafandrohung beträgt 5-15 Jahre, vor Militärgerichten auch den Tod (USDOS 22.4.2024). Vergewaltigung bzw. Übergriffe in der Ehe sind hingegen nicht verboten. Insgesamt ist die Gesetzeslage unklar und wird auch uneinheitlich angewendet (Sahan/SWT 9.2.2024) bzw. setzt die Regierung bestehende Gesetze nicht effektiv um (USDOS 22.4.2024).

Sexuelle Gewalt - staatlicher Schutz: Fälle sexueller und geschlechtsspezifischer Gewalt werden häufig als Kavaliersdelikte abgetan, eine Verurteilung der Täter mithilfe von Bestechung oder Kompensationszahlungen verhindert (AA 23.8.2024). Denn wenn eine Frau - trotz Angst vor sozialer Ächtung - z. B. Beschwerden über ihren Ehemann vorbringt, dann handelt üblicherweise nicht die Polizei, sondern Älteste oder Familienangehörige (Horn 6.2.2024). Folglich kann bei Vergewaltigungen von staatlichem Schutz nicht ausgegangen werden (ÖB Nairobi 10.2024; vgl. BS 2024). Eine strafrechtliche Verfolgung von Vergewaltigungen erfolgt in der Praxis kaum (AA 23.8.2024; vgl. USDOS 22.4.2024; ÖB Nairobi 10.2024), die Aufklärungsrate ist verschwindend gering (AA 23.8.2024).

Insgesamt wird Gewalt gegen Frauen aber aufgrund des Stigmatisierungsrisikos und mangelnder Reaktionen der von Männern dominierten Strafverfolgungs- und Justizsysteme oft gar nicht erst gemeldet (SW 3.2023; vgl. Sahan/SWT 9.2.2024; USDOS 22.4.2024; AA 23.8.2024; ÖB Nairobi 10.2024). Die Tabuisierung von Vergewaltigungen führt u. a. dazu, dass kaum Daten zur tatsächlichen Prävalenz vorhanden sind (SIDRA 6.2019a, S. 2). Vergewaltigungsopfer leiden oft unter ihrer angeschlagenen Reputation. Zudem untersucht die Polizei Fälle sexueller Gewalt nur zögerlich; manchmal verlangt sie von den Opfern, die Untersuchungen zu ihrem eigenen Fall selbst zu tätigen (USDOS 22.4.2024). Manchmal übergibt die Polizei ohne Zustimmung des Opfers oder der Familie des Opfers einen Vergewaltigungsfall an traditionelle Rechtsinstrumente (UNSC 6.10.2021).

Sexuelle Gewalt - traditionelles Recht (Xeer): Zum größten Teil (95 %) werden Fälle sexueller Gewalt – wenn überhaupt – im traditionellen Rechtsrahmen erledigt (SIDRA 6.2019a, S. 5ff; vgl. Sahan/SWT 13.3.2023; MBZ 6.2023), wo Frauen sich von einem männlichen Verwandten repräsentieren lassen müssen (Sahan/SWT 9.2.2024). Xeer stellt aber die Interessen des Clans und Clanbeziehungen in den Vordergrund (MBZ 6.2023). Dort getroffene Einigungen beinhalten Kompensationszahlungen an die Familie des Opfers (SIDRA 6.2019a, S. 5ff), oder aber das Opfer wird gezwungen, den Täter zu ehelichen (USDOS 22.4.2024). Das patriarchalische Clansystem und Xeer an sich bieten Frauen also keinen Schutz, denn wird ein Vergehen gegen eine Frau gemäß Xeer gesühnt, wird der eigentliche Täter nicht bestraft (SEM 31.5.2017, S. 49; vgl. ÖB Nairobi 10.2024; SIDRA 6.2019a, S. 5ff).

Sexuelle Gewalt - Maßnahmen: Nach Angaben einer Quelle nimmt die Zahl erfolgreicher Strafverfolgung bei Vergewaltigungen und anderer Formen sexueller Gewalt zu. Mädchen und Frauen haben demnach Vertrauen gewonnen und zeigen Fälle an, auch wenn es noch zahlreiche Mängel und Hürden gibt (UNFPA 14.4.2022). Bei der Armee wurden einige Soldaten wegen des Vorwurfs von Vergewaltigung verhaftet (USDOS 22.4.2024). In Baidoa wurde ein Mann, der eine Frau ermordet hatte, zum Tode verurteilt und Anfang Juni 2022 exekutiert (GN 7.6.2022). In zwei Vergewaltigungsfällen von Minderjährigen in Jubaland und Galmudug wurden die Täter (ein Soldat und ein Clanmilizionär) verhaftet (UNSC 1.9.2022b).

Sexuelle Gewalt - Unterstützung: Insgesamt gibt es für Opfer sexueller Gewalt beachtliche Hürden, um notwendige Unterstützung in Anspruch nehmen zu können (USDOS 22.4.2024). Somalische Frauen und Mädchen haben nur äußerst begrenzten Zugang zu Programmen, die sie vor Gewalt schützen (Sahan/SWT 13.3.2023), es gibt kaum rechtliche oder medizinische Unterstützungsangebote (Sahan/SWT 9.2.2024). Laut einer Studie erhielten 17 % der von geschlechtsspezifischer Gewalt betroffenen Frauen und Mädchen Unterstützung (USDOS 22.4.2024). UNFPA treibt die Einrichtung sogenannter One-Stop-Center und Women and Girls' Safe Spaces voran und unterhält diese. Opfer geschlechtsspezifischer Gewalt sollen umfassend betreut werden. Sie können in solchen Einrichtungen in Sicherheit auf medizinische, psychosoziale, rechtliche und andere Hilfe zurückgreifen. UNFPA hat mit ihren Partnern im Jahr 2022 fast 9.000 Opfern geschlechtsspezifischer Gewalt einen Safe Space zur Verfügung gestellt; im gleichen Jahr wurden mehr als 22.000 Opfer betreut (UNFPA 16.6.2023). IDPs, die von geschlechtsspezifischer Gewalt betroffen sind, werden mitunter von UNHCR mit u. a. psychosozialen Diensten und einer Fallbetreuung unterstützt (UNHCR 23.1.2024; vgl. UNHCR 23.6.2024). Hierzu gehören u. a. auch ein sog. Safe House, Verpflegung, Geldaushilfe und medizinische Versorgung (UNHCR 23.6.2024). In Mogadischu gibt es mindestens ein Frauenhaus. Dort werden Opfer von geschlechtsspezifischer Gewalt oder von Zwangsehen aufgenommen - auch Frauen, die vor einer Ehe schwanger geworden sind (Love Does 20.10.2023). Die NGO Elman Peace betreibt unter dem Titel "Sister Somalia" Krisenzentren für Opfer geschlechtsspezifischer Gewalt. Auch dort gibt es psychosoziale, medizinische und Trauma-Betreuung (Elman o.D.c). Die NGO SWSC bietet in Jubaland psychosoziale und rechtliche Unterstützung, die NGO SWDC tut dies in Mogadischu und im Bundesstaat SWS (SW 11.2023). Insgesamt mangelt es allerdings an Schutzeinrichtungen. In Puntland gibt es einige Frauenhäuser, in Süd-/Zentralsomalia hingegen gibt es nur sehr wenige derartige Einrichtungen für Opfer geschlechtsspezifischer Gewalt (UNFPA 14.4.2022). Die im Violence Observatory System erfassten Fälle in Mogadischu, Baidoa und Kismayo zeigen eine geographische Ungleichverteilung: Während in Baidoa 98 % der Fälle nicht an einen Safe Space verwiesen wurden, waren es in Kismayo 71 % und in Mogadischu 66 %. Noch ungleicher gestaltet sich die Antwort auf die Frage, ob Opfer Rechtsschritte ergreifen möchten: 80 % der Opfer in Baidoa schlossen rechtliche Schritte gegen den Täter aus; dahingegen waren es in Kismayo nur 23 % und in Mogadischu nur 8 % (SW 11.2023).

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Alleinstehende Frauen sind insbesondere dann gefährdet, wenn sie in IDP-Lagern leben. Dort haben sie ein erhöhtes Risiko, sexuelle Gewalt zu erfahren. Für Frauen, die einem Minderheitenclan angehören, ist das Risiko noch höher. Die Hauptquelle für Schutz liegt in der erweiterten Familie der Frau. Wenn eine Frau nicht bei ihrer Großfamilie lebt, verringert sich ihre Sicherheit. Frauen, die einem Mehrheitsclan angehören, können daher mit einem gewissen Schutz rechnen (MBZ 6.2023).

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Mädchen / Frauen - Weibliche Genitalverstümmelung und -Beschneidung (FGM/C)

Arten bzw. Typen der Beschneidung: Gudniin ist die allgemeine somalische Bezeichnung für Beschneidung – egal ob bei einer Frau oder bei einem Mann (HEART/Crawford/Ali 2 2015, S. 65f). Laut einer in Puntland gemachten Studie gibt es auch noch andere Namen für FGM/C, etwa Dhufaanid (Kastration) oder Tolid (Zunähen) (UNFPA 4.2022). In Somalia herrschen zwei Formen von FGM/C vor:

a) Einerseits die am meisten verbreitete sogenannte Pharaonische Beschneidung (Gudniinka Fircooniga), welche weitgehend dem WHO Typ III (Infibulation) entspricht (UNFPA 4.2022; vgl. LIFOS 16.4.2019, S. 13f; HEART/Crawford/Ali 2 2015, S. 66f) und von der somalischen Bevölkerung unter dem - mittlerweile auch dort geläufigen - Synonym "FGM" verstanden wird (UNFPA 4.2022; vgl. HEART/Crawford/Ali 2 2015, S. 68).

b) Andererseits die Sunna (Gudniinka Sunna) (LIFOS 16.4.2019, S. 13f; vgl. HEART/Crawford/Ali 2 2015, S. 66f), welche laut einer Quelle generell dem weniger drastischen WHO Typ I entspricht (LIFOS 16.4.2019, S. 13f), laut einer anderen Quelle WHO Typ I und II (AV 2017, S. 29), laut einer dritten Quelle WHO Typ IV (MoHDSL/UNFPA 2021) und schließlich laut einer vierten Quelle eine breite Palette an Eingriffen umfasst (HEART/Crawford/Ali 2 2015, S. 41ff/66f). Demnach wird die Sunna nochmals unterteilt in die sog. große Sunna (Sunna Kabir) und die kleine Sunna (Sunna Saghir); es gibt auch Mischformen (LIFOS 16.4.2019, S. 14f; vgl. HEART/Crawford/Ali 2 2015, S. 41ff/66f). De facto kann laut Quellen unter dem Begriff „Sunna“ jede Form – von einem kleinen Schnitt bis hin zur fast vollständigen pharaonischen Beschneidung – gemeint sein, die von der traditionellen Form von FGM (Infibulation) abweicht (FIS 5.10.2018, S. 30; vgl. LIFOS 16.4.2019, S. 39). Aufgrund der Problematik, dass es keine klare Definition der Sunna gibt (LIFOS 16.4.2019, S. 14f; vgl. FIS 5.10.2018, S. 31), wissen Eltern laut einer Quelle oft gar nicht, welchen Eingriff die Beschneiderin genau durchführen wird (LIFOS 16.4.2019, S. 14f). Allgemein wird die Sunna von Eltern und Betroffenen als harmlos erachtet, mit dieser Form werden nur geringfügige gesundheitliche Komplikationen in Zusammenhang gebracht (UNFPA 4.2022).

Bei einer Studie aus Somaliland wird die Sunna hingegen als WHO Typ IV bezeichnet ("... andere verletzende Prozeduren an den weiblichen Genitalien für nicht-medizinische Zwecke, z. B. einstechen, durchstechen, einritzen, ausschaben, verätzen."). Teilnehmer der Studie beschreiben zwei Arten der Sunna: Einerseits jene Form, bei welcher eine eingeschränkte Beschneidung ("Small Cut") sowie ein Vernähen mit ein oder zwei Stichen erfolgt; andererseits eine mildere Form, bei welcher die Klitoris mit einer Nadel eingestochen wird und keine weiteren Misshandlungen erfolgen - insbesondere kein Vernähen (MoHDSL/UNFPA 2021).

Beschreibung der Formen von FGM/C in Somalia nach Crawford Dahingegen beschreiben Crawford und Ali für Somalia folgende Formen von FGM/C (HEART/Crawford/Ali 2 2015, S. 66ff):

Prävalenz: FGM ist in Somalia auch weiterhin weit verbreitet (USDOS 22.4.2024; vgl. AA 23.8.2024) und bleibt die Norm (Landinfo 14.9.2022, S. 16). Lange Zeit wurde die Zahl betroffener Frauen mit 98 % angegeben. Diese Zahl ist laut somalischem Gesundheitsministerium bis 2015 auf 95 % und bis 2018 auf 90 % gefallen (FIS 5.10.2018, S. 29). UN News berichtet von "mehr als 90 %" (UNN 4.2.2022). Gemäß einer Studie aus dem Jahr 2017 sind rund 13 % der 15-17-jährigen Mädchen nicht beschnitten (STC 9.2017). In der Altersgruppe von 15-49 Jahren liegt die Prävalenz hingegen bei 98 %, jene der Infibulation bei 77 %, wie eine andere Studie besagt (BMC/Yussuf/et al. 2020, S. 1f). Laut einer anderen Quelle sind 88 % der 5-9-jährigen Mädchen bereits beschnitten oder verstümmelt (CARE 4.2.2022). Insgesamt gibt es diesbezüglich nur wenige aktuelle Daten. Generell ist von einer Rückläufigkeit auszugehen (LIFOS 16.4.2019, S. 19f; vgl. STC 9.2017).

Form von FGM nach ausgewählten Bezirken und Altersgruppen

Entwicklung der unterschiedlichen Formen von FGM nach Altersgruppe Trend weg von der Infibulation und hin zu Sunna: Die Infibulation ist insgesamt zurückgedrängt worden, dies wird von zahlreichen Quellen bestätigt (Omer2/ALRC 17.3.2023; vgl. HEART/Crawford/Ali 2 2015; FGMCRI o.D.; Landinfo 14.9.2022; LIFOS 16.4.2019, S. 14f/39; DIS 1.2016, S. 7; FIS 5.10.2018, S. 30f; PC/Powell/Yussuf 1.2018, S. 22ff; BMC/Yussuf/et al. 2020, S. 1f). Der Trend geht in Richtung Sunna (UNFPA 4.2022):

Grafik hinsichtlich finanziellem und Bildungshintergrund nach Form der vorgenommenen FGM Sowohl der finanzielle wie auch der Bildungshintergrund spielen bei der Entscheidung hinsichtlich der Form des Eingriffs eine Rolle:

Hinsichtlich geografischer Verbreitung scheint die Infibulation 2006 in Süd-/Zentralsomalia mit 72 % am wenigsten verbreitet gewesen zu sein; in Puntland war sie mit 93 % am verbreitetsten (LIFOS 16.4.2019, S. 21). Es wird davon ausgegangen, dass die Rate an Infibulationen in ländlichen Gebieten höher ist als in der Stadt (HEART/Crawford/Ali 2 2015, S. 69). Viele Menschen – v. a. in städtischen Gebieten – erachten die extremeren Formen von FGM zunehmend als inakzeptabel, halten aber an Typ I fest (UNICEF 29.6.2021; vgl. UNFPA 4.2022), der gesellschaftlich auf Akzeptanz trifft (Landinfo 14.9.2022). So werden in Mogadischu junge Mädchen nicht mehr der Infibulation, sondern hauptsächlich der Sunna ausgesetzt (HEART/Crawford/Ali 2 2015, S. 70).

Eine Rolle spielen hierbei religiöse Überlegungen. Bei einer Studie in Somaliland haben religiöse Führer angegeben, dass alle Rechtsschulen des Islam die Infibulation bzw. die pharaonische Beschneidung verbieten. Demgegenüber ist die Sunna gemäß der in Somalia am meisten verbreiteten Shafi'i-Schule obligatorisch, während z. B. die Hanafiya eine Beschneidung zwar zulässt, diese aber nicht fordert (MoHDSL/UNFPA 2021).

Gesellschaft: Außerdem sprachen sich in einer Umfrage aus dem Jahr 2017 42,6 % gegen die Tradition von FGM aus (AV 2017, S. 19). Allerdings gaben nur 15,7 % an, dass in ihrer Gemeinde („Community“) FGM nicht durchgeführt wird (AV 2017, S. 25). Bei einer Studie im Jahr 2015 wendete sich die Mehrheit der Befragten gegen die Fortführung der Infibulation, während es kaum Unterstützung für eine völlige Abschaffung von FGM gab (CEDOCA 9.6.2016, S. 7). Die Unterstützung für FGM/C ist jedenfalls gesunken (BMC/Yussuf/et al. 2020, S. 2). Zum Beispiel wurden in Cadaado (Mudug) im November 2020 nur noch 28 von 278 Eingriffen als Infibulation ausgeführt, im Dezember waren es 22 von 222. Dahingegen sind es Anfang 2019 noch über 200 Infibulationen pro Monat gewesen. Auch hier hat sich die Sunna durchgesetzt (RE 15.2.2021). Bei der Bewertung dieses Trends muss aber berücksichtigt werden, dass in manchen Fällen davon auszugehen ist, dass einfach nur nicht so weit zugenäht wird wie früher; der restliche Eingriff aber de facto einer Infibulation entspricht - und trotzdem von den Betroffenen als Sunna bezeichnet wird (HEART/Crawford/Ali 2 2015, S. 70).

Wer eine Beschneidung veranlasst bzw. entscheidet: Nach Angaben mehrerer Quellen liegt üblicherweise die Entscheidung darüber, ob eine Beschneidung stattfinden soll, bei der Mutter (FIS 5.10.2018, S. 30; vgl. CEDOCA 9.6.2016, S. 17f; Landinfo 14.9.2022, S. 11; HEART/Crawford/Ali 2 2015, S. 85; MoHDSL/UNFPA 2021). Der Vater hingegen wird wenig eingebunden (Landinfo 14.9.2022, S. 11; vgl. HEART/Crawford/Ali 2 2015, S. 85) bzw. wird die Entscheidung "manchmal" gemeinsam getroffen (MoHDSL/UNFPA 2021). Laut einer Quelle geht es bei dieser Entscheidung aber weniger um das "ob" als vielmehr um das "wie und wann" (Landinfo 14.9.2022, S. 11). Eine Studie aus dem Jahr 2022 in Puntland bestätigt, dass Mütter die Entscheidung hinsichtlich von FGM und Väter jene hinsichtlich der Beschneidung der Söhne treffen. Tendenziell können Väter neuerdings mehr Mitsprache halten. Insgesamt ist es aber die Mutter, die für die Jungfräulichkeit, Reinheit und Ehefähigkeit ihrer Töchter verantwortlich ist (UNFPA 4.2022).

Es kann zu – teils sehr starkem – psychischem Druck auf eine Mutter kommen, damit eine Tochter beschnitten wird. Um eine Verstümmelung zu vermeiden, kommt es auf die Standhaftigkeit der Mutter an. Spricht sich auch der Kindesvater gegen eine Verstümmelung aus, und bleibt dieser standhaft, dann ist es leichter, dem psychischen Druck seitens der Gesellschaft und gegebenenfalls durch die Familie standzuhalten (DIS 1.2016, S. 8ff). Manchmal wird der Vater von der Mutter bei der Entscheidung übergangen (UNFPA 4.2022; vgl. LIFOS 16.4.2019, S. 25f/42f) oder aber eine vermeintlich gemeinsame Entscheidung für eine mildere Sunna wird nachträglich von der Mutter - ohne Wissen des Vaters - zu einer Infibulation "korrigiert" (MoHDSL/UNFPA 2021). Nach anderen Angaben liegt es an den Eltern, darüber zu entscheiden, welche Form von FGM an der Tochter vorgenommen wird. Manchmal halten Großmütter oder andere weibliche Verwandte Mitsprache. In ländlichen Gebieten können Großmütter eher Einfluss ausüben (LIFOS 16.4.2019, S. 25f/42f; vgl. FIS 5.10.2018, S. 30). Dort ist es mitunter auch schwieriger, FGM infrage zu stellen (FIS 5.10.2018, S. 30f). Gemäß Angaben anderer Quellen sind Großmütter oft maßgeblich in die Entscheidung involviert (Landinfo 14.9.2022, S. 11; vgl. MoHDSL/UNFPA 2021; HEART/Crawford/Ali 2 2015, S. 85) bzw. üben sie signifikanten Einfluss aus (UNFPA 8.10.2023). Laut anderen Angaben kann es vorkommen, dass eine Mutter bei weiblichen Verwandten Ratschläge einholt (UNFPA 4.2022). In einer somaliländischen Studie wird angegeben, dass Mütter die Schlüsselrolle spielen, an zweiter Stelle stehen die Großmütter. Manchmal fordern Mädchen auch selbst eine Beschneidung ein (MoHDSL/UNFPA 2021).

Dass Mädchen ohne Einwilligung der Mutter von Verwandten einer FGM unterzogen werden, ist zwar nicht auszuschließen, aber unwahrscheinlich. Keine Quelle des Danish Immigration Service konnte einen derartigen Fall berichten (DIS 1.2016, S. 10ff). Quellen der schwedischen COI-Einheit Lifos nennen als diesbezüglich annehmbare Ausnahme (theoretisch) den Fall, dass ein bei den Großeltern lebendes Kind von der Großmutter FGM zugeführt wird, ohne dass es dazu eine Einwilligung der Eltern gibt (LIFOS 16.4.2019, S. 26).

Motivation: Der Hauptantrieb, weswegen Mädchen weiterhin einer FGM/C unterzogen werden, ist der Druck, sozialen Erwartungen und Normen gerecht zu werden (MoHDSL/UNFPA 2021; vgl. HEART/Crawford/Ali 2 2015, S. 82). FGM gilt als Tradition, die von Generation zu Generation weitergegeben wird. Die somalische Kultur gelten die "drei weiblichen Schmerzen" als integraler Bestandteil des Frauseins: Die Beschneidung, die Hochzeitsnacht und das Gebären. Nicht zuletzt glauben viele Frauen, dass die Beschneidung im Islam verpflichtend vorgesehen ist (MoHDSL/UNFPA 2021).

Frauen fürchten sich vor einem gesellschaftlichen Ausschluss und vor Diskriminierung - ihrer selbst und ihrer Töchter. Eine Beschneidung bringt hingegen soziale Vorteile und sichert der Familie und dem Mädchen die Integration in die Gesellschaft (UNFPA 4.2022; vgl. MoHDSL/UNFPA 2021). So gibt es etwa Berichte über erwachsene Frauen, die sich einer Infibulation unterzogen haben, da sie sich durch (sozialen) Druck dazu gezwungen sahen (HEART/Crawford/Ali 2 2015, S. 73). Es herrscht die Angst vor Stigmatisierung und Diskriminierung (MoHDSL/UNFPA 2021). Mitunter üben nicht-beschnittene Mädchen aufgrund des gesellschaftlichen Drucks selbst Druck auf Eltern aus, damit die Verstümmelung vollzogen wird (UNFPA 4.2022; vgl. MoHDSL/UNFPA 2021; HEART/Crawford/Ali 2 2015, S. 83; LIFOS 16.4.2019, S. 42f/26; ACCORD 31.5.2021, S. 41).

Die Beschneidung wird als Ehre für ein Mädchen erachtet, als Investition in die Zukunft. Das Mädchen wird dadurch von der Gesellschaft akzeptiert, gilt als züchtig und verheiratbar und gewährleistet voreheliche Jungfräulichkeit (MoHDSL/UNFPA 2021; vgl. LIFOS 16.4.2019, S. 38f; Landinfo 14.9.2022, S. 11). Außerdem gilt eine Infibulation als ästhetisch (Landinfo 14.9.2022, S. 10; vgl. UNFPA 4.2022).

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Leben ohne Beschneidung: Laut Quellen der finnischen FFM im Jahr 2018 ist es gerade in Städten kein Problem mehr, sich einer Beschneidung zu widersetzen. Demnach steigt dort die Zahl unbeschnittener Mädchen (FIS 5.10.2018, S. 31). Nach anderen Angaben hängt die Akzeptanz unbeschnittener Frauen bzw. jener, die nicht einer Infibulation unterzogen wurden, maßgeblich von der Familie ab. Generell steht man ihnen in urbanen Gebieten eher offen gegenüber (LIFOS 16.4.2019, S. 23). Eine weitere Quelle erklärt, dass es in der Stadt kein Problem ist, zuzugeben, dass die eigene Tochter nicht beschnitten ist. Auf dem Land ist das demnach anders (CEDOCA 9.6.2016, S. 21). Nach älteren Angaben "bekennen" nur wenige Mütter, dass sie ihre Töchter nicht beschneiden haben lassen; und diese stammen v. a. aus Gemeinden, die zuvor Aufklärungskampagnen durchlaufen hatten (HEART/Crawford/Ali 2 2015, S. 65).

Die in der Gemeinde zirkulierte Information, wonach eine Frau nicht infibuliert ist, wirkt sich auf das Ansehen und letztendlich auf die Heiratsmöglichkeiten der Frau und anderer Töchter der Familie aus (LIFOS 16.4.2019, S. 38f; vgl. Landinfo 14.9.2022, S. 11). Wird der unbeschnittene Status eines Mädchens bekannt, kann dies zu Hänseleien und zur Stigmatisierung führen (LIFOS 16.4.2019, S. 39). Kulturell gilt die Klitoris als "schmutzig" (Landinfo 14.9.2022, S. 10; UNFPA 4.2022). Folglich werden unbeschnittene Frauen mitunter als schmutzig oder un-somalisch (Landinfo 14.9.2022, S. 16), als abnormal und schamlos (HEART/Crawford/Ali 2 2015, S. 82f) oder aber als un-islamisch bezeichnet. Sie werden u. a. in der Schule gehänselt und drangsaliert, sie und ihre Familie als Schande für die Gemeinschaft erachtet. Ein diesbezügliches Schimpfwort ist hier Buurya Qab (UNFPA 4.2022), ein Weiteres leitet sich vom Wort für Klitoris (Kintir) ab: Kinitrey. Allerdings gaben bei einer Studie in Somaliland nur 14 von 212 Frauen an, überhaupt eine (völlig) unbeschnittene Frau zu kennen (Landinfo 14.9.2022, S. 16). Die Sunna als Alternative zur Infibulation wird laut einer rezenten Studie aus Puntland jedoch akzeptiert (UNFPA 4.2022).

Eine andere Option ist es, dass eine Familie, die sich gegen FGM entschieden hat, versucht, die Tatsache geheim zu halten (FIS 5.10.2018, S. 30f). In größeren Städten ist es auch möglich, den unbeschnittenen Status ganz zu verbergen. Die Anonymität ist eher gegeben, die soziale Interaktion geringer; dies ist in Dörfern mitunter sehr schwierig (DIS 1.2016, S. 24/9; vgl. LIFOS 16.4.2019, S. 39). Es kommt zu keinen körperlichen Untersuchungen, um den Status hinsichtlich einer vollzogenen Verstümmelung bei einem Mädchen festzustellen (DIS 1.2016, S. 12f; vgl. ACCORD 31.5.2021, S. 41). Dies gilt auch für Rückkehrer aus dem Westen. In ländlichen Gebieten wird wahrscheinlich schneller herausgefunden, dass ein Mädchen nicht verstümmelt ist (DIS 1.2016, S. 12f). Menschen sprechen miteinander, sie könnten ein betroffenes Mädchen z. B. fragen, wo es denn beschnitten worden sei (ACCORD 31.5.2021, S. 41).

Nach anderen Angaben ist es nicht unüblich, dass eine Gemeinschaft darüber Bescheid weiß, welche Mädchen beschnitten sind und welche nicht. Grund dafür ist, dass gleichaltrige Mädchen einer Nachbarschaft oder eines Ortes oft gleichzeitig beschnitten werden (Landinfo 14.9.2022, S. 16). Gleichzeitig ist FGM auch unter den Mädchen selbst ein Thema. Es sprechen also nicht nur Mütter untereinander darüber, ob ihre Töchter bereits beschnitten wurden; auch Mädchen reden untereinander darüber (HEART/Crawford/Ali 2 2015, S. 83).

Eine Mutter kann den Status ihrer Tochter verschleiern, indem sie vorgibt, dass diese einer Sunna unterzogen worden ist (DIS 1.2016, S. 12f). Eine Mutter berichtet in einer somaliländischen Studie, dass sie von den eigenen Töchtern zu einer Beschneidung gedrängt worden ist. Sie hat diese in eine medizinische Einrichtung gebracht, wo u. a. unter Verwendung von Fake-Anästhetika und Kunstblut ein Eingriff vorgegaukelt worden ist. Seither gelten die Töchter als beschnitten (MoHDSL/UNFPA 2021).

Süd-/Zentralsomalia, Puntland

Rechtliche Lage: In der Übergangsverfassung steht, dass eine Beschneidung von Mädchen eine grausame und erniedrigende Praktik ist, die der Folter gleichkommt und daher verboten ist (HRW 29.3.2024; vgl. USDOS 22.4.2024; AA 23.8.2024). Allerdings mangelt es an einer Definition von "Beschneidung" und es ist unklar, ob damit FGM gemeint ist (HRW 29.3.2024). Zudem wird kein Strafmaß genannt. Das Strafgesetz aus dem Jahr 1964 sieht zwar Strafen für die Verletzung einer Person vor, es sind aber keine Fälle bekannt, wo FGM/C dahingehend einer Strafverfolgung zugeführt worden wäre – selbst dann, wenn ein Mädchen an den Folgen der Verstümmelung verstorben ist (LIFOS 16.4.2019, S. 28f). Laut einer Quelle wurden im März 2024 im Bundesstaat Galmudug alle Formen von FGM verboten (Halqabsi 24.3.2024).

Insgesamt gibt es jedenfalls keine nationale Gesetzgebung, welche FGM ausdrücklich verbietet oder kriminalisiert (Landinfo 14.9.2022; vgl. TEA 17.12.2022; UNFPA 5.3.2021). Gesetzesvorschläge scheiterten wiederholt an der fehlenden Zustimmung des Parlaments (AA 23.8.2024). Denn es gibt zwei unterschiedliche Agenden: Die eine will jegliche Form von FGM/C ausrotten. Die andere richtet sich gegen die schweren Formen und ist für die Erhaltung der Sunna (PC/Powell/Yussuf 1.2018, S. 24).

Es gibt keine Strafverfolgung (MBZ 6.2023). Generell mangelt es den Behörden landesweit an Integrität und Kapazität, um eine für die Beschneidung eines Mädchens verantwortliche Person rechtlich zu verfolgen. Es gibt folglich auch keine Beispiele dafür, wo eine solche Person bestraft worden wäre (LIFOS 16.4.2019, S. 42).

[…]

Gesellschaft: Bei einer Studie aus dem Jahr 2020 gaben 76 % der Befragten an, dass es weiterhin Beschneidungen geben sollte. Allerdings wurde bei dieser Studie nicht nach spezifischen Typen gefragt. Im urbanen Raum sprechen sich 70 % der Frauen für eine Fortführung aus, bei den Nomaden sind es 83 %. Auch der finanzielle und der Bildungsstatus spielen eine Rolle: Nur 64 % der reicheren Frauen gaben an, dass FGM fortgeführt werden sollte, bei den Ärmsten waren es 81 %; bei jenen mit der meisten Bildung 44 %, bei jenen ohne Bildung 78 % (DNS/Gov Som 2020).

Prävalenz: Bei einer umfassenden Studie aus dem Jahr 2020 haben 99 % der befragten somalischen Frauen angegeben, einer Form von FGM/C unterzogen worden zu sein. Die Quote in den unterschiedlichen Altersgruppen sinkt nur langsam: Bei den 45-49-Jährigen liegt die Beschnittenenquote bei fast 99,8 %, bei den 15-19-Jährigen bei 98,8 % (DNS/Gov Som 2020).

Typen: Insgesamt haben 64 % der Frauen eine Infibulation erlitten, 12 % eine Zwischenform und 22 % wurden der Sunna unterzogen. Hier gibt es keine relevanten Unterschiede hinsichtlich des Lebensraumes (urban, ländlich, nomadisch). Bei jüngeren Frauen und Mädchen ist die Sunna verbreiteter. Bei der Gruppe der 15-19-Jährigen sind es 37 %, bei den 45-49-jährigen Frauen hingegen nur 9 %. Dafür erlitten in der Alterskohorte 45-49 82 % eine Infibulation. Frauen mit höherer Bildung haben eher eine Sunna (52 %), jene mit niedriger oder keiner Bildung eher eine Infibulation (70 %). Eine ähnliche Situation gilt für reich (51 % Infibulation) vs. arm (71 %) (DNS/Gov Som 2020).

[…]

Reinfibulation, Deinfibulation

Die Thematik der Reinfibulation (Wiederherstellung einer Infibulation, Wiederzunähen) betrifft jene Frauen und Mädchen, die bereits einer Infibulation unterzogen und später deinfibuliert wurden. Letzteres erfolgt z. B. im Rahmen einer Geburt, zur Erleichterung des Geschlechtsverkehrs (LIFOS 16.4.2019, S. 35/12; vgl. Landinfo 14.9.2022, S. 9/12) oder aber z. B. auf Wunsch der Familie, wenn bei der Menstruation Beschwerden auftreten (LIFOS 16.4.2019, S. 32; vgl. Landinfo 14.9.2022, S. 12). Es gibt zudem anekdotische Berichte, wonach eine neue Intervention durchgeführt wurde, weil die Familie eine umfassendere Intervention als die ursprüngliche gewünscht hat (Landinfo 14.9.2022; vgl. HEART/Crawford/Ali 2 2015, S. 74).

Eine Reinfibulation kommt v. a. dann vor, wenn Frauen - üblicherweise noch vor der ersten Eheschließung - eine bestehende Jungfräulichkeit vorgeben wollen (DIS 1.2016, S. 23). Obwohl es vor einer Ehe gar keine physische Untersuchung der Jungfräulichkeit gibt (LIFOS 16.4.2019, S. 40f), kann es bei jungen Mädchen, die z. B. Opfer einer Vergewaltigung wurden, zu Druck oder Zwang seitens der Eltern kommen, sich einer Reinfibulation zu unterziehen (HEART/Crawford/Ali 2 2015, S. 73/76; vgl. CEDOCA 13.6.2016, S. 9). Vergewaltigungsopfer werden oft wieder zugenäht (HO 27.2.2019; vgl. Landinfo 14.9.2022, S. 12). Es gibt anekdotische Berichte über Fälle, in denen unverheiratete Mädchen oder junge Frauen aus der Diaspora nach Somalia geschickt wurden, um eine Reinfibulation durchzuführen (Landinfo 14.9.2022).

Eine Quelle gibt an, dass es Folgen - bis hin zur Scheidung - haben kann, wenn ein Ehemann in der Hochzeitsnacht feststellt, dass eine Deinfibulation bereits vorliegt. Eine Scheidung kann in diesem Fall zu einer indirekten Stigmatisierung infolge von "Gerede" führen. Generell können zur Frage der Reinfibulation von vor der Ehe deinfibulierten Mädchen und jungen Frauen nur hypothetische Angaben gemacht werden, da z. B. den von der schwedischen COI-Einheit LIFOS befragten Quellen derartige Fälle überhaupt nicht bekannt waren (LIFOS 16.4.2019, S. 40f).

Als weitere Gründe, warum sich Frauen für eine Reinfibulation im Sinne einer weitestmöglichen Verschließung entscheiden, werden in einer Studie aus dem Jahr 2015 folgende genannt: a) nach einer Geburt: Manche Frauen verlangen z. B. eine Reinfibulation, weil sie sich nach Jahren an ihren Zustand gewöhnt hatten und sich die geöffnete Narbe ungewohnt und unwohl anfühlt; b) manche geschiedene Frauen möchten als Jungfrauen erscheinen; c) Eltern von Vergewaltigungsopfern fragen danach; d) in manchen Bantu-Gemeinden in Süd-/Zentralsomalia möchten Frauen, deren Männer für längere Zeit von zu Hause weg sind, eine Reinfibulation als Zeichen der Treue (HEART/Crawford/Ali 2 2015, S. 76; vgl. CEDOCA 9.6.2016, S. 11).

Gesellschaftlich verliert die Frage einer Deinfibulation oder Reinfibulation nach einer Eheschließung generell an Bedeutung, da die Vorgabe der Reinheit/Jungfräulichkeit irrelevant geworden ist (LIFOS 16.4.2019, S. 40). Für verheiratete oder geschiedene Frauen und für Witwen gibt es keinen Grund, eine Jungfräulichkeit vorzugeben (CEDOCA 13.6.2016, S. 6).

Wird eine Frau vor einer Geburt deinfibuliert, kann es vorkommen, dass nach der Geburt eine Reinfibulation stattfindet. Dies obliegt i.d.R. der Entscheidung der betroffenen Frau (LIFOS 16.4.2019, S. 40; vgl. CEDOCA 9.6.2016, S. 26). Die Gesellschaft hat kein Problem damit, wenn eine Deinfibulation nach einer Geburt bestehen bleibt, und es gibt üblicherweise keinen Druck, sich einer Reinfibulation zu unterziehen. Viele Frauen fragen aber offenbar von sich aus nach einer (manchmal nur teilweisen) Reinfibulation (CEDOCA 13.6.2016, S. 9f/26). Gemäß Angaben einer Quelle ist eine derartige - von der Frau verlangte - Reinfibulation in Somalia durchaus üblich. Manche Frauen unterziehen sich demnach mehrmals im Leben einer Reinfibulation (HEART/Crawford/Ali 2 2015, S. 73/75f). Nach anderen Angaben kann ein derartiges Neu-Vernähen der Infibulation im ländlichen Raum vorkommen, ist in Städten aber eher unüblich (FIS 5.10.2018, S. 29). Die Verbreitung variiert offenbar auch geographisch: Bei Studien an somalischen Frauen in Kenia haben sich 35 von 57 Frauen einer Reinfibulation unterzogen. Gemäß einer anderen Studie entscheiden sich in Puntland 95 % der Frauen nach einer Geburt gegen eine Reinfibulation (CEDOCA 9.6.2016, S. 13f). Insgesamt gibt es zur Reinfibulation keine Studien, die Prävalenz ist unbekannt. Eine Wissenschaftlerin, die sich seit Jahren mit FGM in Somalia auseinandersetzt, sieht keine Grundlage dafür, dass nach einer Geburt oder Scheidung systematisch eine Reinfibulation durchgeführt wird – weder in der Vergangenheit noch in der heutigen Zeit. Im somalischen Kontext wird demnach eine Infibulation durchgeführt, um die Jungfräulichkeit vor der Ehe zu „beweisen“. Dementsprechend macht es keinen Sinn, eine verheiratete Frau nach der Geburt zu reinfibulieren (Landinfo 14.9.2022, S. 12f).

Freilich kann es vorkommen, dass eine Frau – wenn sie z. B. physisch nicht in der Lage ist, eine Entscheidung zu treffen – auch gegen ihren Willen einer Reinfibulation unterzogen wird; die Entscheidung treffen in diesem Fall weibliche Verwandte oder die Hebamme. Es kann auch nicht völlig ausgeschlossen werden, dass Frauen durch Druck von Familie, Freunden oder dem Ehemann zu einer Reinfibulation gedrängt werden. Insgesamt hängt das Risiko einer Reinfibulation also zwar vom Lebensumfeld und der körperlichen Verfassung der Frau nach der Geburt ab, aber generell liegt die Entscheidung darüber bei ihr selbst. Sie kann sich nach der Geburt gegen eine Reinfibulation entscheiden. Es kommt in diesem Zusammenhang weder zu Zwang noch zu Gewalt. Keine der zahlreichen, von der schwedischen COI-Einheit LIFOS dazu befragten Quellen hat jemals davon gehört, dass eine deinfibulierte Rückkehrerin nach Somalia dort zwangsweise reinfibuliert worden wäre (LIFOS 16.4.2019, S. 41).

[…]

Subjekte gezielter Attentate durch al Shabaab und anderer terroristischer Gruppen

Folgende Personengruppen sind bezüglich eines gezielten Attentats bzw. Vorgehens durch al Shabaab einem erhöhten Risiko ausgesetzt:

Angehörige der AMISOM bzw. ATMIS (BS 2024; vgl. USDOS 30.6.2024; ÖB Nairobi 10.2024) sowie deren lokale Angestellte (BMLV 7.8.2024);

nationale und regionale Behördenvertreter und -Mitarbeiter (Williams/ACSS 27.3.2023; vgl. BS 2024; MBZ 6.2023); die öffentlichen Institutionen Somalias werden von al Shabaab als unislamisch erachtet (MBZ 6.2023);

Angehörige der nationalen Sicherheitskräfte (BS 2024; vgl. MBZ 6.2023; USDOS 30.6.2024) im sowie abseits des Dienstes (MBZ 6.2023);

Politiker von Bund und Bundesstaaten (MBZ 6.2023; vgl. Williams/ACSS 27.3.2023; BS 2024); al Shabaab greift z. B. gezielt Örtlichkeiten an, wo sich Regierungsvertreter treffen. Laut einer Quelle haben hochrangige Politiker eine höhere Priorität (MBZ 6.2023);

mit der Regierung in Verbindung gebrachte Zivilisten (USDOS 22.4.2024) und ehemalige oder pensionierte Staatsvertreter - z. B. vormalige Bezirksvorsteher (TSD 20.9.2023; vgl. Sahan/SWT 6.3.2024);

Angestellte von NGOs und internationalen Organisationen (USDOS 22.4.2024); Mitarbeiter werden mitunter beschuldigt, das Christentum verbreiten zu wollen (USDOS 30.6.2024).

Wirtschaftstreibende (Sahan/SWT 7.9.2022), insbesondere dann, wenn sie sich weigern, Schutzgeld ("Steuer") an al Shabaab abzuführen, aber auch, wenn sie die Regierung unterstützen oder einem Clan angehören, der in die Militäroffensive involviert ist (MBZ 6.2023). Ins Visier geraten mitunter auch jene, welche auf Anordnung der NISA an den eigenen Gebäuden Überwachungskameras der Sicherheitsbehörden installiert haben (HIPS 7.5.2024);

Älteste und Gemeindeführer (Williams/ACSS 27.3.2023; vgl. USDOS 22.4.2024; MBZ 6.2023); gemäß somalischen Regierungsangaben aus dem Jahr 2022 hat al Shabaab innerhalb von zehn Jahren 324 Älteste ermordet. Einige der Opfer waren in Wahlprozesse involviert (KM 31.8.2022). Älteste, die nicht oder nicht ausreichend mit der Gruppe kooperieren, werden mitunter eingeschüchtert, entführt oder ermordet (MBZ 6.2023). In jüngerer Vergangenheit hat al Shabaab v. a. solche Ältesten ermordet, die ihre Clans zur Beteiligung an der Offensive gegen die Gruppe aufgerufen bzw. deren Teilnahme öffentlich unterstützt haben (BMLV 9.2.2023; vgl. UNSC 15.6.2023; Sonna 12.4.2023; INGO-C/STDOK/SEM 4.2023; INGO-F/STDOK/SEM 4.2023). Dies betrifft insbesondere Älteste der Hawadle (BMLV 7.8.2024; vgl. HO 21.3.2023; INGO-F/STDOK/SEM 4.2023; IO-D/STDOK/SEM 4.2023), aber z. B. auch Älteste in der Region Gedo (Sahan/SWT 17.11.2023) und der Saleban (MBZ 6.2023), Abgaal in Middle Shabelle und vereinzelt Älteste in Mudug (BMLV 7.8.2024);

Unterstützer der Macawiisley, z. B. zivile Informanten; ganze Gemeinden sind von Rachemaßnahmen bedroht (Sahan/Petrovski 3.5.2024);

Wahldelegierte (UNSC 15.6.2023; vgl. Williams/ACSS 27.3.2023; MBZ 6.2023) und deren Angehörige (USDOS 22.4.2024; vgl. UNSC 10.10.2022); in der Vergangenheit hat al Shabaab alle, die an Wahlen teilnehmen, als Apostaten bezeichnet und sie zu potenziellen Zielen für Anschläge erklärt (Sahan/SWT 9.6.2023; vgl. MBZ 6.2023). Von Anfang 2021 bis Juli 2023 gab es mehr als 50 diesbezügliche Vorfälle, 71 % davon in Mogadischu (ACLED 28.7.2023). Doch auch etwa in Bay und Bakool wurden Delegierte getötet (Sahan/SWT 21.8.2023);

Angehörige diplomatischer Missionen (USDOS 22.4.2024);

prominente und Menschenrechts- und Friedensaktivisten bzw. Organisationen der Zivilgesellschaft (USDOS 22.4.2024; vgl. MBZ 6.2023);

religiöse Führer (Williams/ACSS 27.3.2023; vgl. MBZ 6.2023); laut einer Quelle hat es aber in der jüngeren Vergangenheit keine Attentate auf religiöse Führer gegeben (MBZ 6.2023).

Journalisten (BS 2024; vgl. MBZ 6.2023) und Mitarbeiter von Medien (USDOS 22.4.2024);

Humanitäre Kräfte (BS 2024; vgl. MBZ 6.2023);

Telekommunikationsarbeiter (USDOS 22.4.2024);

mutmaßliche Kollaborateure und Spione - siehe auch weiter unten (HRW 11.1.2024; vgl. INGO-F/STDOK/SEM 4.2023; BS 2024; USDOS 22.4.2024);

Deserteure (MBZ 6.2023); siehe dazu Wehrdienst und Rekrutierungen / Al Shabaab - Deserteure und ehemalige Kämpfer

als glaubensabtrünnig Bezeichnete (Apostaten) (BS 2024) oder Blasphemiker (USDOS 30.6.2024) bzw. Personen, die nicht der Glaubensauslegung von al Shabaab folgen (z. B. Sufis) (BMLV 7.8.2024); siehe dazu Religionsfreiheit

(vermeintliche) Angehörige oder Sympathisanten des sogenannten Islamischen Staates in Somalia (ISS) (AA 23.8.2024; vgl. HO 26.3.2023); den ISS hat al Shabaab als Seuche bezeichnet, welche ausgerottet werden müsse (JF 14.1.2020);

Personen, die einer Schutzgelderpressung ("Steuern") nicht nachkommen; siehe dazu Recht und "Steuer"-Wesen bei al Shabaab

Personen all dieser Kategorien werden insbesondere dann zum Ziel, wenn sie kein Schutzgeld bzw. "Steuern" an al Shabaab abführen. Gleichzeitig muss davon ausgegangen werden, dass zahlreiche Angriffe und Morde auf o. g. Personengruppen politisch motiviert oder einfache Verbrechen sind, die nicht auf das Konto von al Shabaab gehen (BMLV 7.8.2024).

Spionage und Kollaboration: In von al Shabaab kontrollierten Gebieten gelten eine Unterstützung der Regierung und Äußerungen gegen al Shabaab als ausreichend, um als Verräter verurteilt und hingerichtet zu werden (AA 23.8.2024). Al Shabaab tötet - meist nach unfairen Verfahren - Personen, denen Spionage für oder Kollaboration mit der Regierung oder ausländischen Kräften vorgeworfen wird (HRW 11.1.2024; vgl. USDOS 30.6.2024). Beispiele für Hinrichtungen: Im Jänner 2024 werden in Jilib sieben Männer wegen angeblicher Spionage für die Bundesregierung, die Regierung von Jubaland, die USA und Kenia öffentlich exekutiert (Halqabsi 15.1.2024). Im Juni 2023 werden in Kunyo Barrow, Lower Shabelle, fünf Männer wegen angeblicher Spionage für die Bundesregierung und ausländische Nachrichtendienste öffentlich durch Erschießen exekutiert (SMN 16.6.2023).

Die Schwelle dessen, was al Shabaab als Kollaboration mit dem Feind wahrnimmt, ist mitunter sehr niedrig angesetzt (STDOK 8.2017, S. 40f). So wurden etwa im Feber 2021 in Mogadischu drei Frauen erschossen, die im Verteidigungsministerium als Reinigungskräfte gearbeitet hatten (Sahan/KM o.D.) - nach Angaben einer Quelle wird ihr Beruf aber nicht der einzige Grund für die Exekution gewesen sein, die Frauen haben vermutlich die Zusammenarbeit mit al Shabaab verweigert (BMLV 7.8.2024).

Insbesondere in Frontgebieten oder Orten, deren Herrschaft wechselt, kann auch das Verkaufen von Tee an Soldaten bereits als Kollaboration wahrgenommen werden (STDOK 8.2017, S. 40ff). So wurden etwa Anfang Juli 2021 fünf Zivilisten im Gebiet Jowhar von al Shabaab entführt, weil sie Soldaten der Armee mit Erfrischungen bewirtet bzw. mit ihnen gehandelt hatten. Mehrere Häuser und Fahrzeuge wurden angezündet (ATMIS/Caasimada 2.7.2021). Generell sind jedenfalls das Ausmaß und/oder die Gewissheit der Kollaboration; der Ort des Geschehens; und die Beziehungen der betroffenen Person dafür ausschlaggebend, ob al Shabaab die entsprechenden Konsequenzen setzt. Besonders gefährdet sind Personen, welche folgende Aspekte erfüllen: a) die Kollaboration ist offensichtlich; b) der Ort lässt eine leichte Identifizierung des Kollaborateurs zu; c) eine Exekution wird als maßgebliches Abschreckungszeichen wahrgenommen; d) wenn sich die Kollaboration in einem Ort mit fluktuierender Kontrolllage zugetragen hat (STDOK 8.2017, S. 40ff).

Auf der anderen Seite kollaborieren viele Menschen mit al Shabaab. Verwaltungsstrukturen und Sicherheitskräfte sind unterwandert. Eine derartige Kollaboration kann aus finanziellen oder ideologischen Gründen erfolgen, oft aber auch aus Angst. Es scheint wenig ratsam, ein "Angebot" von al Shabaab abzulehnen (BMLV 7.8.2024).

Grundsätzliche Ziele: Üblicherweise zielt al Shabaab mit größeren (mitunter komplexen) Angriffen auf Vertreter des Staates, Gebäude und Fahrzeuge der Regierung, auf Hotels, Geschäfte, Militärfahrzeuge und -Gebäude sowie direkt Soldaten von Armee und ATMIS. Grundsätzlich richten sich die Angriffe der al Shabaab in nahezu allen Fällen gegen Personen des somalischen Staates (darunter die Sicherheitskräfte), Institutionen der internationalen Gemeinschaft (darunter ausländische Truppen) und gegen Gebäude, die von erst- und zweitgenannten Zielen frequentiert werden (BMLV 9.2.2023). Hotels werden i.d.R. angegriffen, um die Entrichtung von Steuern und Abgaben einzumahnen. Möglicherweise anwesende Staatsvertreter gelten hierbei als „Draufgabe“. Ausnahmen dazu können vorkommen, etwa, wenn ein Anschlag einer bestimmten Feier in einem Hotel gilt oder wenn sich dort gleichzeitig drei Minister befinden würden. Anschläge auf Cafés und Restaurants fallen entweder ebenfalls in die Kategorie „Mahnung“ oder sollen Schlagzeilen machen - etwa wenn ein Anschlag auf Fußballzuschauer verübt wird, um daran zu erinnern, dass Fußball aus Sicht von al Shabaab „un-islamisch“ ist (BMLV 7.8.2024).

[…]

Üblicherweise verfolgt al Shabaab zielgerichtet jene Person, derer sie habhaft werden will. Sollte die betroffene Person nicht gefunden werden, könnte stattdessen ein Familienmitglied ins Visier genommen werden. Wurde al Shabaab der eigentlichen Zielperson habhaft bzw. hat sie diese ermordet, dann gibt es keinen Grund mehr, Familienangehörige zu bedrohen oder zu ermorden. Manchmal kann es zur Erpressung von Angehörigen kommen (BMLV 7.8.2024).“

2. Beweiswürdigung:

2.1. Zu den Feststellungen zur Situation im Herkunftsstaat:

Die Feststellungen zur Situation im Herkunftsstaat, die bereits im angefochtenen Bescheid getroffen wurden, stützen sich auf die zitierten Quellen und wurden von den Parteien nicht substanziell bestritten. Da diese aktuellen Länderberichte auf einer Vielzahl verschiedener, voneinander unabhängiger Quellen von regierungsoffiziellen und nicht-regierungsoffiziellen Stellen beruhen und dennoch ein in den Kernaussagen übereinstimmendes Gesamtbild ohne wesentliche Widersprüche darbieten, besteht im vorliegenden Fall für das Bundesverwaltungsgericht kein Anlass, an der Richtigkeit der getroffenen Länderfeststellungen zu zweifeln. Insoweit den Feststellungen zur Lage im Herkunftsstaat Berichte älteren Datums zugrunde liegen, ist auszuführen, dass sich seither die darin angeführten Umstände unter Berücksichtigung der dem Bundesverwaltungsgericht von Amts wegen vorliegenden Berichte aktuelleren Datums für die Beurteilung der gegenwärtigen Situation nicht wesentlich geändert haben.

2.2. Zu den Feststellungen zur Person und zu den Fluchtgründen der Beschwerdeführerin:

Die Feststellungen zur Staatsangehörigkeit der Beschwerdeführerin und ihrer Clan- sowie Religionszugehörigkeit gründen sich auf ihre diesbezüglichen übereinstimmenden und damit glaubhaften Angaben im Verfahren sowie auch auf die Einsicht in die im Akt enthaltene Kopie des somalischen Reisepasses der Beschwerdeführerin.

Die Feststellung dazu, dass die Beschwerdeführerin in der Stadt Mogadischu geboren und aufgewachsen ist, ergibt sich aus ihren entsprechenden übereinstimmenden und damit glaubhaften Angaben vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl und in der mündlichen Verhandlung. Dass sich Mogadischu unter Kontrolle von Regierungskräften und ATMIS befindet, ergibt sich aus den zitierten Länderberichten.

Die Feststellung zur schulischen Laufbahn der Beschwerdeführerin und zu ihrer beruflichen Erfahrung im familieneigenen Restaurant beruht ebenso auf ihren diesbezüglichen übereinstimmenden und damit glaubhaften Angaben vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl und in der mündlichen Verhandlung.

Die Feststellung, dass an der Beschwerdeführerin im Kindesalter eine weibliche Genitalverstümmelung des WHO Typs III durchgeführt wurde, ergibt sich aus der Einsicht in die vorgelegte Ambulanzkarte der Klinik XXXX vom XXXX sowie ihrer entsprechenden Angabe vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl.

Die Feststellungen zum Familienstand, zur eingegangenen Ehe und zum Ehemann der Beschwerdeführerin stützen sich auf ihre entsprechenden übereinstimmenden Angaben vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl und in der mündlichen Verhandlung sowie den damit in Übereinstimmung stehenden zu entnehmenden Informationen der vorgelegten muslimischen Heiratsurkunde der Republik Kenia vom XXXX .

Die Feststellungen zur Ausreise aus Somalia, Asylantragstellung in Zypern, Überstellung nach Österreich und Kosten der Ausreise von Somalia in die Türkei ergeben sich aus den Angaben der Beschwerdeführerin im Laufe des Verfahrens und dem Akteninhalt. Das Datum der Antragstellung ergibt sich aus dem Akteninhalt.

Das Fluchtvorbringen der Beschwerdeführerin, sie sei aufgrund einer Schießerei im familieneigenen Restaurant zwischen der Polizei und zwei Männern der Al-Shabaab, im Rahmen derer ein Polizist und die beiden Männer der Al-Shabaab getötet worden seien, von der Al-Shabaab als Spionin der Regierung wahrgenommen worden, sei deswegen von der Al-Shabaab drei Tage nach der Schießerei im familieneigenen Restaurant angerufen und aufgefordert worden, innerhalb von drei Tagen nach Jilib Marko zu kommen, um ihre Schuld für die beiden getöteten Männer der Al-Shabaab zu begleichen, und sodann nach Nichtbefolgung dieser Aufforderung erneut angerufen und mit dem Tod bedroht worden, konnte die Beschwerdeführerin aus nachstehenden Gründen nicht glaubhaft machen:

Hervorzuheben ist dabei, dass die Beschwerdeführerin sich im Laufe des Verfahrens in gravierende Widersprüchlichkeiten verwickelte. So gab die Beschwerdeführerin vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl nämlich noch an, sie habe die Polizei gerufen, weil sie das Verhalten eines Mannes als komisch empfunden habe und habe dieser Mann nach dem Eintreffen der Polizisten im familieneigenen Restaurant begonnen auf die Polizisten zu schießen. Anschließend habe auch ein zweiter Mann, der sich ebenso im Restaurant befunden habe, begonnen auf die Polizisten zu schießen und habe dieser dabei einen Polizisten umgebracht. Stark divergierend schilderte die Beschwerdeführerin diese behauptete Schießerei hingegen in der mündlichen Verhandlung, indem sie nunmehr vorbrachte, dass alleine der zweite Mann begonnen habe auf die Polizisten zu schießen und dabei einen Polizisten getötet habe; dass auch der von der Beschwerdeführerin als komisch empfundene Mann auf die Polizisten im familieneigenen Restaurant geschossen habe, ist dem Vorbringen der Beschwerdeführerin in der mündlichen Verhandlung hingegen überhaupt nicht mehr zu entnehmen. Die Beschwerdeführerin widersprach sich ferner auch dahingehend, dass sie vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl noch angab, dass im Zeitpunkt der Schießerei zwei Gäste im familieneigenen Restaurant gewesen seien, nämlich die beiden Männer, welche sodann auf die Polizisten geschossen hätten. In der mündlichen Verhandlung gab die Beschwerdeführerin stark abweichend hingegen zu Protokoll, dass inklusive der beiden Männer sechs oder sieben Person im familieneigenen Restaurant gewesen seien.

Des Weiteren erstattete die Beschwerdeführerin ein widersprüchliches Vorbringen hinsichtlich der an die Schießerei anschließenden Ereignisse. Die Beschwerdeführerin schilderte vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl nämlich, dass die Al-Shabaab sie, weil sie der Aufforderung nach Jilib Marko zu kommen nicht gefolgt sei, ein zweites Mal angerufen und ihr mitgeteilt habe, sie solle sich ein Leichentuch besorgen und würde umgebracht werden. Deswegen sei die Beschwerdeführerin ins Haus ihrer Schwiegermutter umgezogen und habe sich dort versteckt. In der mündlichen Verhandlung führte die Beschwerdeführerin davon stark abweichend jedoch aus, sie habe bereits nach dem ersten Anruf der Al-Shabaab große Angst bekommen und sei deswegen umgehend zu ihrer Schwiegermutter gezogen; erst nach dem Umzug zur Schwiegermutter habe die Al-Shabaab die Beschwerdeführerin ein zweites Mal angerufen.

Abgesehen von diesen gerade aufgezeigten Diskrepanzen blieb die Beschwerdeführerin in einigen Punkten ihrer Fluchtgeschichte jedoch auch völlig vage und konnte keinerlei Details nennen, sodass auch dadurch die Unglaubhaftigkeit des Fluchtvorbringens der Beschwerdeführerin untermauert wird. In diesem Kontext erwähnte die Beschwerdeführerin vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl und in der mündlichen Verhandlung zwar – wie bereits geschrieben – dass die Al-Shabaab die Beschwerdeführerin mittels eines Anrufes aufgefordert habe, nach Jilib Marko zu kommen, doch war die Beschwerdeführerin im gesamten Verfahren nicht in der Lage – selbst nach gezielter Nachfrage durch die erkennende Richterin – nähere diesbezügliche Informationen, nämlich wo genau sie in Jilib Marko hingehen hätte müssen oder was genau sie in Jilib Marko konkret erwartet hätte, bekannt zu geben.

Völlig unglaubwürdig ist auch die Behauptung der Beschwerdeführerin, dass ihre Mutter von Al-Shabaab wegen des Nichterscheinens der Beschwerdeführerin in Jilib Marko festgenommen worden sei. Diesbezüglich gab die Beschwerdeführerin beim BFA fast schon nebensächlich an, dass sie gehört habe, dass ihre Mutter festgenommen worden sei. In der mündlichen Verhandlung gab sie dann erst am Ende der Verhandlung und nur auf konkrete Frage ganz nebenbei an, dass die Mutter erst vor kurzen wieder freigekommen sei, blieb aber vollkommen oberflächlich ohne Details zur Entführung, mehrjährigen Gefangenschaft oder Freilassung der Mutter. Unter Berücksichtigung dessen, dass die Mutter der Beschwerdeführerin – nach ihrem Vorbringen – mehrere Jahre in Gefangenschaft der Al-Shabaab gelebt und die Beschwerdeführerin offensichtlich von der Freilassung erfahren habe, wäre zu erwarten gewesen, dass sie konkrete Erfahrungswerte oder Details – wie etwa die Lebensumstände der Gefangenschaft oder die Gründe und den Ablauf der Freilassung – diesbezüglich nennen kann und ein so extremes Ereignis auch von sich aus und bereits beim BFA erwähnen würde. Die lediglich lapidare Behauptung der Entführung, mehrjährigen Gefangenschaft und Freilassung überzeugt jedenfalls nicht.

Mangels eines glaubhaften Vorbringens ist die Beschwerdeführerin damit insgesamt gesehen bisher nicht ins Visier der Al-Shabaab geraten und liegen auch sonst keine Anhaltspunkte dafür vor, wieso die Beschwerdeführerin nunmehr im Falle der ohnehin lediglich hypothetischen Rückkehr der Al-Shabaab auffallen oder seitens der Al-Shabaab mit der Anwendung von physischer und/oder psychischer Gewalt bedroht werden sollte. Insbesondere fällt die Beschwerdeführerin – mangels Glaubwürdigkeit des entsprechenden Vorbringens – auch nicht in eine der in den zitierten Länderberichten genannten Risikogruppen und ist diesen insbesondere auch zu entnehmen, dass die Al-Shabaab üblicherweise Personen des somalischen Staates (darunter die Sicherheitskräfte), Institutionen der internationalen Gemeinschaft (darunter ausländische Truppen) und Gebäude, die von erst- und zweitgenannten Zielen frequentiert werden, angreift bzw. zielgerichtet jene Personen, derer sie habhaft werden möchte – zu denen die Beschwerdeführerin aber mangels eines glaubhaften Vorbringens nicht fällt – angreift. Auch vor dem Hintergrund der Länderberichte ist daher nicht davon auszugehen, dass die Beschwerdeführerin im Falle einer Rückkehr nach Somalia von der Al-Shabaab negative Konsequenzen erfahren würde.

Hinsichtlich des Aufenthaltes der Familienangehörigen der Beschwerdeführerin (Mutter, Stiefvater und Geschwister der Beschwerdeführerin) brachte die Beschwerdeführerin vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zwar vor, sie seien aufgrund des die Beschwerdeführerin betreffenden Vorfalles mit der Al-Shabaab nach Balcad verzogen und seien, wie dem Vorbringen in der mündlichen Verhandlung entnommen werden kann, seit Ende des Jahres XXXX in einem Flüchtlingslager in Kenia aufhältig, doch kann diesem Vorbringen der Beschwerdeführerin gesamtheitlich nicht gefolgt werden. Dass genannte Familienmitglieder der Beschwerdeführerin aus Angst vor der Al-Shabaab von Mogadischu nach Balcad verzogen sind, ist nämlich schon deswegen nicht glaubhaft, weil dem diesem Umzug zugrundeliegenden Fluchtvorbringen der Beschwerdeführerin kein Glaube geschenkt werden konnte, sodass in erster Linie überhaupt keine Anhaltspunkte bestehen, wieso genannte Familienangehörige der Beschwerdeführerin umziehen hätten müssen. Auch ist ein plötzlicher Umzug genannter Familienmitglieder Ende des Jahres XXXX in ein kenianisches Flüchtlingslager nicht glaubhaft. Abgesehen davon, dass die Beschwerdeführerin völlig vage und knapp angab, ihre Familienangehörigen würden sich nun in einem kenianischen Flüchtlingslager befinden, vermochte sie nämlich keine weiteren diesbezüglichen Informationen bekanntgeben und entstand für die erkennende Richterin in der mündlichen Verhandlung auch aufgrund dessen, dass die Beschwerdeführerin einer Einsicht in ihr Handy nicht zugestimmt hat – um sich etwa ein eigenes Bild von bestehenden Kontakten, Vorwahlen der gewählten Nummern oder Gesprächsinhalten zwischen der Beschwerdeführerin und ihrer Familie zu machen – der Eindruck, als wollte die Beschwerdeführerin die wahren Begebenheiten rund um den Aufenthalt genannter Familienangehörigen verbergen, um sich einen Vorteil im Asylverfahren zu verschaffen.

Die Feststellung zum Aufenthalt der Schwiegereltern und deren Kinder in Mogadischu beruht auf ihren entsprechenden Angaben in der mündlichen Verhandlung. Dass die Beschwerdeführerin in Kontakt zu ihrer Familie steht, hat sie in der mündlichen Verhandlung selbst angegeben, wobei der Art und Weise der Kontaktaufnahme „über das Handy anderer Personen“ nicht gefolgt wird, da auch hierbei gilt, dass die Beschwerdeführerin in der mündlichen Verhandlung nicht zugestimmt hat, dass sich die erkennende Richterin durch Einsichtnahme in das Handy der Beschwerdeführerin über bestehende Kontakt ein eigenes Bild macht und damit nicht glaubhaft ist, dass die Beschwerdeführerin nicht im direkten Kontakt mit ihren Familienangehörigen steht.

Im Zusammenhang mit der vorgebrachten Befürchtung, die Beschwerdeführerin könnte im Falle einer Rückkehr nach Somalia geschlechterspezifischer Gewalt ausgesetzt sein, ist zunächst auszuführen, dass keinesfalls übersehen wird, dass geschlechterspezifische Gewalt Frauen gegenüber weiterhin ein großes Problem bleibt. Im zuletzt ausgewiesenen Jahr 2021 setzten sich die Fälle geschlechtsspezifischer Gewalt etwa wie folgt zusammen: 62 % physische Gewalt; 11 % Vergewaltigungen; 10 % sexuelle Übergriffe; 7 % Verweigerung von Ressourcen; 6 % psychische Gewalt; 4 % Zwangs- oder Kinderehe. 53 % der Fälle ereigneten sich im Wohnbereich der Opfer. Das Risiko, als Frau Opfer geschlechtsspezifischer Gewalt in Somalia zu werden, stellt sich für Frauen, die durch ihre Lebenssituation besonders vulnerabel sind, wie zum Beispiel alleinstehende Frauen, IDPs und Minderheiten, wesentlich höher dar. Eine maßgebliche Wahrscheinlichkeit, dass jede Frau in Somalia gleichermaßen Opfer geschlechtsspezifischer Gewalt wird, ist den zitierten Länderinformationen damit aber nicht zu entnehmen.

Die Beschwerdeführerin gehört nicht zu jenen den zitierten Länderberichten zu entnehmenden vulnerablen Gruppen, die besonders gefährdet sind, Opfer von geschlechterspezifischer Gewalt zu werden. Zwar wird in der Beschwerde ausgeführt, die Beschwerdeführerin wäre im Falle einer Rückkehr eine alleinstehende Frau und deswegen einer prekären Situation ausgesetzt, doch ist dem entgegenzuhalten, dass dem Vorbringen der Beschwerdeführerin, ihre Mutter, ihr Stiefvater und ihre Geschwister (drei Brüder, eine Schwester) würden sich nunmehr in einem kenianischen Flüchtlingslager befinden – wie weiter oben geschrieben – nicht gefolgt werden konnte, sodass davon ausgegangen werden kann, dass diese sich noch in Mogadischu befinden. Die Beschwerdeführerin wäre aber auch unter der Annahme, dass die genannten Familienmitglieder doch in Kenia wären, im Falle einer Rückkehr keine alleinstehende Frau, da ihre Schwiegereltern nach wie vor in Mogadischu leben und die Beschwerdeführerin auch vor ihrer Ausreise bei diesen leben konnte, sodass sie auch zu diesen zurückkehren könnte und dort auch über männlichen Schutz verfügen würde. In einer Gesamtbetrachtung wäre die Beschwerdeführerin damit im Falle einer Rückkehr nach Somalia keine alleinstehende Frau ohne männlichen Schutz, sodass sie im Falle einer Rückkehr auch keinem erhöhten Risiko exponiert ist, als alleinstehende Frau in ein IDP-Lager zu müssen oder geschlechtsspezifischer Gewalt ausgesetzt zu sein.

Es wird auch nicht übersehen, dass den zitierten Länderinformationen entsprechend Frauen in Somalia nicht die gleichen Rechte wie Männer genießen und im Alltag, entgegen dem gesetzlichen Verbot der Diskriminierung von Frauen, nach wie vor bei Kreditvergabe, Bildung, Politik, Unterbringung und am Arbeitsmarkt Diskriminierungen erfahren, doch ergibt sich aus den zitierten Länderberichten zugleich auch, dass es der Regierung gelungen ist, Frauenrechte etwas zu fördern, immer mehr Mädchen zur Schule gehen, die Zahl an Frauen im öffentlichen Dienst gestiegen ist und Frauen – wenn auch zu einem geringen Anteil –in der Politik vertreten sind. Die Lage stellt sich für Frauen in Somalia damit zwar weiterhin als diskriminierend dar, eine allgemeine und jede Frau in Somalia gleichermaßen betreffende schwerwiegende und asylrelevante Diskriminierung ist jedoch nicht feststellbar. Die Beschwerdeführerin artikulierte im gesamten Verfahren auch überhaupt nicht, welche konkreten Rechte ihr in Somalia verwehrt würden, sodass gesamtheitlich nicht erkannt werden kann, dass die Beschwerdeführerin als Frau in Somalia in asylrelevanter Weise verfolgt würde.

Die Feststellungen zur Schwangerschaft der Beschwerdeführerin, zum errechneten Geburtstermin im XXXX und zum geplanten Kaiserschnitt ergeben sich aus ihren diesbezüglichen Angaben in der Beschwerde und in der mündlichen Verhandlung sowie aus der Einsichtnahme in den ambulanten Patentenbrief vom XXXX der Klinik XXXX . Mit Schreiben vom 28.03.2025 brachte die Beschwerdeführerin zwar vor, es würde unmittelbar nach der Geburt per Kaiserschnitt eine Defibulation durchgeführt werden, doch geht aus dem sodann vorgelegten Patentenbrief vom XXXX der Klinik XXXX klar hervor, dass eine Defibulation im Rahmen des Kaiserschnitts nicht erfolgen wird und lediglich am XXXX eine Wiedervorstellung der Beschwerdeführerin in der FGM-Ambulanz der Klinik XXXX zwecks einer Besprechung für eine allfällige zukünftige Defibulation geplant ist. Im Entscheidungszeitpunkt liegt damit in erster Linie kein konkreter Termin für eine geplante Defibulation der Beschwerdeführerin vor. Im Falle einer Rückkehr der Beschwerdeführerin kann jedoch selbst für den Fall, dass sich die Beschwerdeführerin für die Durchführung einer Defibulation entscheiden sollte, im Lichte der zitierten Länderberichte keine Gefahr einer erneuten Genitalverstümmelung bzw. Refibulation erkannt werden. Aus diesen ergibt sich diesbezüglich nämlich zunächst, dass eine Refibulation vor allem dann vorkommt, wenn eine Frau, üblicherweise noch vor der ersten Eheschließung, eine bestehende Jungfräulichkeit vortäuschen möchte. Davon abgesehen erhellt sich aus den zitierten Länderberichten auch, dass in urbanen Gebieten – wie es auch die Herkunftsstadt der Beschwerdeführerin Mogadischu ist – die extremen Formen der weiblichen Genitalverstümmelung zunehmend als inakzeptabel angesehen werden, wobei dennoch am WHO Typ I der weiblichen Genitalverstümmelung festgehalten wird. Es ist in urbanen Gebieten auch kein Problem mehr, sich einer Beschneidung zu widersetzen bzw. ist die gesellschaftliche Haltung gegenüber einer nicht erfolgten weiblichen Genitalverstümmelung eher offen und gibt es auch keine körperlichen Untersuchungen, um den Status hinsichtlich einer vollzogenen Verstümmelung bei einer Frau festzustellen – wobei dies auch für Rückkehrende aus dem Westen gilt – sodass ein allfälliger unbeschnittener Status auch verborgen werden kann. Die Beschwerdeführerin ist bereits verheiratet und stammt aus einem urbanen Gebiet, sodass gesamtheitlich vor dem Hintergrund der gerade hervorgehobenen Länderinformationen keine maßgebliche Wahrscheinlichkeit dafür erkannt werden kann, dass der Beschwerdeführerin im Falle einer Rückkehr die Gefahr einer neuerlichen Genitalverstümmelung bzw. Refibulation droht. Daran ändert auch nichts, dass den zitierten Länderberichten ferner zu entnehmen ist, dass (ebenso in urbanen Gebieten) die Akzeptanz einer nicht durchgeführten weiblichen Genitalverstümmelung maßgeblich von der Familie abhängt, als im gesamten Verfahren nicht hervorgekommen ist, dass irgendein Familienmitglied der Beschwerdeführerin in Somalia gegen eine allfällige bestehende Defibulation der Beschwerdeführerin wäre, sodass auch keine maßgebliche Wahrscheinlichkeit dafür erkennbar ist, dass die Familie der Beschwerdeführerin Druck auf die Durchführung einer neuerlichen Genitalverstümmelung bzw. Refibulation ausüben würde. In diesem Zusammenhang ist auch auffallend, dass die Beschwerdeführerin in keinem Stadium des Verfahrens von sich aus persönlich irgendwelche Probleme im Zusammenhang mit ihrer Infibulation oder einer geplanten Defibulation äußerte, sondern dieses Vorbringen immer nur schriftlich (im Wege der Rechtsvertretung) erstattet wurde.

Hinsichtlich der Clanzugehörigkeit der Beschwerdeführerin führte sie lediglich vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl aus, sie habe bei der Reisepassausstellung aufgrund ihrer Clanzugehörigkeit Probleme gehabt – wobei eine Passausstellung letztlich erfolgt ist – und erwähnte vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl und in der mündlichen Verhandlung knapp und vage, ihr Subclan gehöre zwar zu den Hawiye, jedoch stelle dieser eine Minderheit dar und werde von den Hawiye nicht anerkannt. Davon abgesehen artikulierte die Beschwerdeführerin im gesamten Verfahren nicht, dass sie aufgrund ihrer Clanzugehörigkeit in Somalia irgendwelche Probleme oder Diskriminierungen erfahren habe, sondern verneinte vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl sogar eine diesbezügliche Frage explizit, sodass für die erkennende Richterin auch überhaupt keine Anhaltspunkte dafür vorliegen, wieso sich dies im Falle einer Rückkehr der Beschwerdeführerin nach Somalia plötzlich ändern sollte. Insgesamt ist damit die Feststellung zu treffen, dass die Beschwerdeführerin aufgrund ihrer Clanzugehörigkeit bisher keine Diskriminierungen erfahren hat und würden ihr bei einer Rückkehr nach Somalia solche ebenso nicht drohen.

3. Rechtliche Beurteilung:

Zu A)

Gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 ist einem Fremden, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft ist, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung iSd Art. 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention (GFK) droht (vgl. auch die Verfolgungsdefinition in § 2 Abs. 1 Z 11 AsylG 2005, die auf Art. 9 der Statusrichtlinie verweist).

Flüchtling iSd Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK ist, wer sich aus der begründeten Furcht vor Verfolgung wegen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Überzeugung, außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen; oder wer staatenlos ist, sich außerhalb des Landes seines gewöhnlichen Aufenthaltes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, in dieses Land zurückzukehren.

Eine soziale Gruppe wird anhand von zwei Voraussetzungen, die kumulativ vorliegen müssen, definiert. Erstens müssen die Personen, die ihr angehören, mindestens eines der folgenden drei Identifizierungsmerkmale teilen, nämlich „angeborene Merkmale“, „einen gemeinsamen Hintergrund, der nicht verändert werden kann“, oder „Merkmale oder eine Glaubensüberzeugung teilen, die so bedeutsam für die Identität oder das Gewissen sind, dass der Betreffende nicht gezwungen werden sollte, auf sie zu verzichten“. Zweitens muss diese Gruppe im Herkunftsland eine „deutlich abgegrenzte Identität“ haben, „da sie von der sie umgebenden Gesellschaft als andersartig betrachtet wird“ (vgl. Art. 10 Abs. 1 Buchst. d Abs. 1 rL 2011/95). Nach herrschender Auffassung kann eine soziale Gruppe aber nicht ausschließlich dadurch definiert werden, dass sie Zielscheibe von Verfolgung ist. Um das Vorliegen einer Verfolgung aus dem Konventionsgrund der Zugehörigkeit zu einer sozialen Gruppe beurteilen zu können, bedarf es daher sowohl Feststellungen zu den Merkmalen bzw. zur abgegrenzten Identität dieser Gruppe als auch zum kausalen Zusammenhang mit der Verfolgung (vgl. VwGH 12.12.2023, Ro 2023/14/0005 mwN). Allein die Tatsache, weiblichen Geschlechts zu sein, stellt ein angeborenes Merkmal dar und kann ausreichen, um die erste Voraussetzung für die Definition der sozialen Gruppe, das „angeborene Merkmal“, zu erfüllen (EuGH, 16.01.2024, WS, C-621/21, Rn 40; UNHCR-Richtlinien zum internationalen Schutz: Geschlechtsspezifische Verfolgung im Zusammenhang mit Artikel 1 A (2) des Abkommens von 1951 bzw. des Protokolls von 1967 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, 07.05.2002, Pkt. 30).

Zentraler Aspekt dieses Flüchtlingsbegriffs ist die wohlbegründete Furcht vor Verfolgung. Eine wohlbegründete Furcht vor Verfolgung liegt dann vor, wenn sie im Lichte der speziellen Situation des Asylwerbers unter Berücksichtigung der Verhältnisse im Verfolgerstaat objektiv nachvollziehbar ist. Es kommt nicht darauf an, ob sich eine bestimmte Person in einer konkreten Situation tatsächlich fürchtet, sondern ob sich eine mit Vernunft begabte Person in dieser Situation aus Konventionsgründen fürchten würde (vgl. VwGH 09.03.1999, 98/01/0370). Verlangt wird eine „Verfolgungsgefahr“, wobei unter Verfolgung ein Eingriff von erheblicher Intensität in die vom Staat zu schützende Sphäre des Einzelnen zu verstehen ist, welcher geeignet ist, die Unzumutbarkeit der Inanspruchnahme des Schutzes des Heimatstaates bzw. der Rückkehr in das Land des vorigen Aufenthaltes zu begründen. Die Verfolgungsgefahr muss ihre Ursache in den in der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Gründen haben und muss ihrerseits Ursache dafür sein, dass sich die betreffende Person außerhalb ihres Heimatlandes bzw. des Landes ihres vorigen Aufenthaltes befindet. Die Verfolgungsgefahr muss dem Heimatstaat bzw. dem Staat des letzten gewöhnlichen Aufenthaltes zurechenbar sein. Zurechenbarkeit bedeutet nicht nur ein Verursachen, sondern bezeichnet eine Verantwortlichkeit in Bezug auf die bestehende Verfolgungsgefahr (vgl. VwGH 10.06.1998, 96/20/0287). Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (vgl. VwGH 28.03.1995, 95/19/0041; 26.02.2002, 99/20/0509 mwN; 17.09.2003, 2001/20/0177) ist eine Verfolgungshandlung nicht nur dann relevant, wenn sie unmittelbar von staatlichen Organen (aus Gründen der GFK) gesetzt worden ist, sondern auch dann, wenn der Staat nicht gewillt oder nicht in der Lage ist, Handlungen mit Verfolgungscharakter zu unterbinden, die nicht von staatlichen Stellen ausgehen, sofern diese Handlungen – würden sie von staatlichen Organen gesetzt – asylrelevant wären. Eine von dritter Seite ausgehende Verfolgung kann nur dann zur Asylgewährung führen, wenn sie von staatlichen Stellen infolge nicht ausreichenden Funktionierens der Staatsgewalt nicht abgewandt werden kann (vgl. VwGH vom 22.03.2000, 99/01/0256 mwN).

Nach der Rechtsprechung des VwGH ist der Begriff der „Glaubhaftmachung“ im AVG oder in den Verwaltungsvorschriften iSd ZPO zu verstehen. Es genügt daher diesfalls, wenn der Beschwerdeführer die Behörde von der (überwiegenden) Wahrscheinlichkeit des Vorliegens der zu bescheinigenden Tatsachen überzeugt. Diesen trifft die Obliegenheit zu einer erhöhten Mitwirkung, dh er hat zu diesem Zweck initiativ alles vorzubringen, was für seine Behauptung spricht (Hengstschläger/Leeb, AVG § 45 Rz 3 mit Judikaturhinweisen). Die „Glaubhaftmachung“ wohlbegründeter Furcht setzt positiv getroffene Feststellungen seitens der Behörde und somit die Glaubwürdigkeit der „hierzu geeigneten Beweismittel“, insbesondere des diesen Feststellungen zugrundeliegenden Vorbringens des Asylwerbers voraus (vgl. VwGH 19.03.1997, 95/01/0466). Die Frage, ob eine Tatsache als glaubhaft gemacht zu betrachten ist, unterliegt der freien Beweiswürdigung der Behörde (vgl. VwGH 27.05.1998, 97/13/0051).

Relevant kann darüber hinaus nur eine aktuelle Verfolgungsgefahr sein; sie muss bei Bescheiderlassung vorliegen, auf diesen Zeitpunkt hat die der Asylentscheidung immanente Prognose abzustellen, ob der Asylwerber mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit Verfolgung aus den in Art. 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention genannten Gründen zu befürchten habe (vgl. VwGH 19.10.2000, 98/20/0233).

Wie beweiswürdigend ausgeführt, konnte die Beschwerdeführerin eine von der Al-Shabaab ausgehende Bedrohungssituation nicht glaubhaft machen. Die Beschwerdeführerin ist damit bisher nicht ins Visier von der Al-Shabaab geraten, weshalb sie im Falle einer Rückkehr in den Herkunftsort mit keiner – wie auch immer gearteten – Gefahr durch die Al-Shabaab rechnen müsste.

Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes kann die Gefahr der Verfolgung nicht ausschließlich aus individuell gegenüber dem Einzelnen gesetzten Verfolgungshandlungen abgeleitet werden. Sie kann nämlich auch darin begründet sein, dass regelmäßig Maßnahmen zielgerichtet gegen Dritte gesetzt werden, und zwar wegen einer Eigenschaft, die der Betreffende mit diesen Personen teilt, sodass die begründete Annahme besteht, (auch) er könnte unabhängig von individuellen Momenten solchen Maßnahmen ausgesetzt sein. Droht den Angehörigen bestimmter Personengruppen eine über die allgemeinen Gefahren eines Bürgerkriegs hinausgehende „Gruppenverfolgung“, hat bei einer solchen, gegen eine ganze Personengruppe gerichteten Verfolgung jedes einzelne Mitglied schon wegen seiner Zugehörigkeit zu dieser Gruppe Grund, auch individuell gegen seine Person gerichtete Verfolgung zu befürchten (vgl. z.B. VwGH vom 23.02.2017, Ra 2016/20/0089).

Im Hinblick auf die derzeit vorliegenden herkunftsstaatsbezogenen Erkenntnisquellen zur aktuellen Lage von Frauen in Somalia haben sich keine ausreichenden Anhaltspunkte dahingehend ergeben, dass alle somalischen Frauen gleichermaßen bloß auf Grund ihres gemeinsamen Merkmals der Geschlechtszugehörigkeit und ohne Hinzutreten weiterer konkreter und individueller Eigenschaften im Falle ihrer Rückkehr mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit Gefahr laufen, in Somalia einer systematischen asylrelevanten (Gruppen-)Verfolgung ausgesetzt zu sein. Wie bereits in der Beweiswürdigung dargelegt, läuft die Beschwerdeführerin mangels der Eigenschaft als alleinstehende Frau nicht Gefahr, bei einer Rückkehr in ein IDP-Lager zu müssen und ist keinem erhöhten Risiko exponiert, Opfer von geschlechtsspezifischer Gewalt zu werden.

Wie in der Beweiswürdigung ausführlich dargestellt, droht der Beschwerdeführerin im Lichte der zitierten Länderberichte und ihrer persönlichen Umstände auch eine erneute weibliche Genitalverstümmelung bzw. Refibulation nicht mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit.

Der Beschwerdeführerin droht im Falle einer Rückkehr nach Somalia auch aufgrund ihrer Clanzugehörigkeit – wie ebenso in der Beweiswürdigung ausführlich dargelegt – keine asylrelevante Verfolgung.

Der Beschwerdeführerin ist es daher insgesamt nicht gelungen, eine konkret und gezielt gegen ihre Person gerichtete aktuelle Verfolgung maßgeblicher Intensität, welche ihre Ursache in einem der in der GFK genannten Gründe hätte, glaubhaft zu machen.

Auch vor dem Hintergrund der Feststellungen zur Lage in Somalia kann nicht erkannt werden, dass der Beschwerdeführerin aktuell in Somalia eine asylrelevante Verfolgung aus einem der in der GFK genannten Gründen droht.

Die Beschwerde gegen Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides ist daher gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG iVm § 3 Abs. 1 AsylG 2005 abzuweisen.

Zu B) Unzulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor. Die maßgebliche Rechtsprechung wurde bei den Erwägungen zu den einzelnen Spruchpunkten zu Spruchteil A wiedergegeben. Insoweit die in der rechtlichen Beurteilung angeführte Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes zu früheren Rechtslagen ergangen ist, ist diese nach Ansicht des Bundesverwaltungsgerichts auf die inhaltlich meist völlig gleichlautenden Bestimmungen der nunmehr geltenden Rechtslage unverändert übertragbar.

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