JudikaturBVwG

W602 2287551-1 – Bundesverwaltungsgericht Entscheidung

Entscheidung
29. April 2025

Spruch

W602 2287551-1/13E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin Mag. Brigitte GSTREIN über die Beschwerde von XXXX , geboren am XXXX , Staatsangehörigkeit Somalia, vertreten durch die Bundesagentur für Betreuungs- und Unterstützungsleistungen GmbH, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 22.01.2024, Zahl XXXX , nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 21.01.2025 und am 04.04.2025, zu Recht:

A)

I. Der Beschwerde wird stattgegeben und XXXX , geboren am XXXX gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 der Status der Asylberechtigten zuerkannt.

II. Gemäß § 3 Abs. 5 AsylG 2005 wird festgestellt, dass XXXX , geboren am XXXX , damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang:

Die Beschwerdeführerin, eine Staatsangehörige Somalias, stellte am 29.04.2023 nach illegaler Einreise in das Bundesgebiet einen Antrag auf internationalen Schutz und wurde dazu am selben Tag von einem Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes erstbefragt. Sie gab an, verheiratet zu sein. Sie habe Somalia verlassen, da sie von ihrem Onkel mit einem deutlich älteren Mann zwangsverheiratet worden sei. Sie fürchte sich vor ihrem Onkel und ihrem Mann.

Am 20.11.2023 fand eine niederschriftliche Einvernahme der Beschwerdeführerin vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (in der Folge Bundesamt) statt. Bei dieser gab sie als Fluchtgrund zusammengefasst an, dass der Sohn ihrer Tante sie vergewaltigt habe, woraufhin sie mit einem älteren Mann verheiratet worden sei, um „die Schande zu beseitigen“.

Der Asylantrag wurde mit angefochtenem Bescheid des Bundesamtes vom 22.01.2024 bezüglich der Zuerkennung des Status der Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 abgewiesen (Spruchpunkt I.) und der Beschwerdeführerin gemäß § 8 Abs. 1 AsylG 2005 der Status der subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt und ihr eine Aufenthaltsberechtigung für ein Jahr erteilt. Begründend wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass der von der Beschwerdeführerin geltend gemachte Fluchtgrund nicht glaubhaft war. Subsidiärer Schutz wurde aufgrund der zum Entscheidungszeitpunkt vorherrschenden angespannten Nahrungsversorgungssituation zuerkannt.

Mit dem am 22.02.2024 beim Bundesamt eingebrachten Schriftsatz vom selben Tag erhob die Beschwerdeführerin durch ihre bevollmächtigte Rechtsvertretung Beschwerde gegen Spruchpunkt I. des Bescheides. Die Beschwerde wurde vom Bundesamt mit dem Bezug habenden Verwaltungsakt vorgelegt und langte am 01.03.2024 beim Bundesverwaltungsgericht ein.

Am 16.01.2025 langte eine schriftliche Stellungnahme der Beschwerdeführerin zur Version 6 der Länderinformation der Staatendokumentation vom 08.01.2024 ein. Am selben Tag veröffentlichte die Staatendokumentation des Bundesamtes neue Länderinformationen zu Somalia, Version 7, die als aktuelle Länderberichte die Situation im Herkunftsstaat abbilden.

Am Bundesverwaltungsgericht fand am 21.01.2025 eine öffentliche mündliche Verhandlung statt, an der die Beschwerdeführerin, ihre Rechtsvertretung sowie eine Dolmetscherin für die Sprache Somali teilnahmen. Die belangte Behörde blieb der Verhandlung entschuldigt fern. Das Bundesverwaltungsgericht brachte in der mündlichen Verhandlung die aktuellen Länderinformationen (Version 7) in das Verfahren ein. Der Beschwerdeführerin wurde Gelegenheit zur Abgabe einer Stellungnahme zu den Länderinformationen gegeben, sie ist diesen nicht substantiiert entgegengetreten.

Am 04.04.2025 fand eine fortgesetzte mündliche Verhandlung statt, an der die Beschwerdeführerin, ihre Rechtsvertreterin sowie eine Dolmetscherin für die Sprache Somali teilnahmen. Der Partner der Beschwerdeführerin wurde als Zeuge im Verfahren einvernommen. Die belangte Behörde blieb der Verhandlung entschuldigt fern. Das Bundesverwaltungsgericht erklärte das Ermittlungsverfahren für geschlossen.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

1.1. Zur Person der Beschwerdeführerin:

Die Beschwerdeführerin führt den Namen XXXX und das Geburtsdatum XXXX . Sie ist somalische Staatsangehörige und bekennt sich zum Islam. Ihre Identität steht nicht fest. Die Beschwerdeführerin gehört dem Clan der Sheikal an und besuchte in Somalia zumindest eine Koranschule. Sie kann auf Somalisch lesen und schreiben.

Der Herkunftsort der Beschwerdeführerin konnte nicht festgestellt werden.

Die Beschwerdeführerin wuchs in einem Familienverband auf, wobei nicht mit der erforderlichen Gewissheit festgestellt werden konnte, ob sie in der Familie bei ihren leiblichen Eltern oder in der Familie eines Onkels und einer Tante väterlicherseits aufwuchs. Dem Familienverband gehörten männliche Familienmitglieder an.

Die Beschwerdeführerin reiste ledig aus Somalia aus und hat in Somalia keine Kinder.

An der Beschwerdeführerin wurde im Kindesalter eine Beschneidung durchgeführt. Darüber hinaus ist sie gesund. Sie ist zum Entscheidungszeitpunkt schwanger, der errechnete Geburtstermin ist der XXXX .2025.

Der Vater des ungeborenen Kindes heißt XXXX , geboren am XXXX , Staatsangehörigkeit Somalia, ist subsidiär schutzberechtigt in Österreich. Der Vater des ungeborenen Kindes ist mit einer somalischen Staatsangehörigen, die in Somalia lebt, verheiratet. Die Beschwerdeführerin und der Vater ihres ungeborenen Kindes führen eine Beziehung, es bestand nie eine Wohngemeinschaft. Die Beschwerdeführerin und der Vater ihres Kindes sind nicht miteinander verheiratet. Sie haben bereits über ihre Zukunft gesprochen, jedoch planen sie derzeit nicht zu heiraten, zumal der Partner aktuell verheiratet ist.

Die Beschwerdeführerin ist in Österreich strafrechtlich unbescholten. Sie verfügt in Österreich über eine Aufenthaltsberechtigung als subsidiär Schutzberechtigte.

Die Beschwerdeführerin verließ spätestens im Jahr 2022 Somalia. Die Kosten der Ausreise wurden mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit von ihrer somalischen Community ihres Herkunftslandes, bestehend aus Clan- und Familienangehörigen, getragen, keinesfalls finanzierte eine Nachbarin und deren Schwester die Ausreise der Beschwerdeführerin von Somalia bis nach Europa.

1.2. Zu den Fluchtgründen der Beschwerdeführerin:

Es konnte nicht festgestellt werden, dass die Beschwerdeführerin in Somalia von ihrem Cousin vergewaltigt und anschließend aus diesem Grund zur Abwendung von Schande von ihrem Onkel und ihrer Tante mit einem älteren Mann zwangsverheiratet wurde.

Die Beschwerdeführerin wäre im Fall ihrer Rückkehr als Mutter mit einem unehelichen Kind mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit geschlechtsspezifischer Verfolgung durch die somalische patriarchale Gesellschaft ausgesetzt. Der voreheliche Geschlechtsverkehr, der zu ihrer Schwangerschaft geführt hat, stellt in Somalia ein Verbrechen dar. Der Beschwerdeführerin droht im Fall ihrer Rückkehr die Verstoßung durch ihre Familie.

Der Beschwerdeführerin droht in Somalia keine weitere Genitalverstümmelung (Reinfibulation) gegen ihren Willen.

1.3. Zur für den gegenständlichen Fall maßgeblichen Situation in Somalia:

1.3.1. Auszug aus der Länderinformation der Staatendokumentation des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl zu Somalia (Version 7, Stand 16.01.2025):

[…]

Relevante Bevölkerungsgruppen

Frauen - allgemein

Sowohl im Zuge der Anwendung der Scharia als auch bei der Anwendung traditionellen Rechtes sind Frauen nicht in Entscheidungsprozesse eingebunden. Die Scharia wird ausschließlich von Männern angewendet, die oftmals zugunsten von Männern entscheiden (USDOS 22.4.2024). Zudem gelten die aus der Scharia interpretierten Regeln des Zivil- und Strafrechts. In der Scharia gelten für Frauen andere gesetzliche Maßstäbe als für Männer (z. B. halbe Erbquote). Insgesamt gibt es hinsichtlich der grundsätzlich diskriminierenden Auslegungen der zivil- und strafrechtlichen Elemente der Scharia keine Ausweichmöglichkeiten, diese gelten auch in Somaliland (AA 23.8.2024).

Auch im Rahmen der Ausübung des Xeer (traditionelles Recht) haben Frauen nur eingeschränkt Einfluss. Verhandelt wird unter Männern, und die Frau wird üblicherweise von einem männlichen Familienmitglied vertreten (SPC 9.2.2022; vgl. ÖB Nairobi 10.2024). Oft werden Gewalttaten gegen Frauen außerhalb des staatlichen Systems zwischen Clanältesten geregelt, sodass ein Opferschutz nicht gewährleistet ist (AA 23.8.2024). Auch Vergewaltigungsfälle werden oft im Rahmen kollektiver Clanverantwortung abgehandelt (ÖB Nairobi 11.1.2024; vgl. AQ21 11.2023; SPC 9.2.2022). Diesbezüglich geschaffene Gesetze haben zwar Signalwirkung, diese wendet sich aber insbesondere nach Außen (ÖB Nairobi 11.1.2024). Viele Fälle werden auch gar nicht gemeldet. Weibliche Opfer befürchten, von ihren Familien oder Gemeinden verstoßen zu werden, sie fürchten sich z. B. auch vor einer Scheidung oder einer Zwangsehe. Anderen Opfern sind die formellen Regressstrukturen schlichtweg unbekannt (SPC 9.2.2022). Im traditionellen System werden Vergewaltigungen oft mittels Blutgeld zwischen den betroffenen Clans ausverhandelt. Dabei darf das Opfer nach Angaben einer Quelle über die Höhe des Betrags mitentscheiden (ÖB Nairobi 11.1.2024). Andererseits werden Frauen im Falle von Clankonflikten oft als neutral erachtet, da es für sie leichter möglich ist, sich an unterschiedliche Clans zu wenden, um z. B. eine Waffenruhe zu erbitten. Folglich sind Frauen aufgrund der Verwandtschaftsverhältnisse beim Peace Building durchaus mächtig (AQ21 11.2023).

Während Frauen in Somalia zunehmend entscheidende wirtschaftliche Rollen übernehmen und häufig als Hauptverdiener ihrer Familien auftreten, stoßen sie bei der Suche nach politischen und wirtschaftlichen Möglichkeiten auf Hindernisse. Oft finden sie sich in schlecht bezahlten Positionen wieder (BS 2024). Gemäß einer Studie zum Gender-Gap in Süd-/Zentralsomalia und Puntland verfügen Frauen dort nur über 50 % der Möglichkeiten der Männer – und zwar mit Bezug auf Teilnahme an der Wirtschaft; wirtschaftliche Möglichkeiten; Politik; und Bildung (SOMSUN 6.4.2021). Viele traditionelle und religiöse Eliten stellen sich vehement gegen eine stärkere Beteiligung von Frauen am politischen Leben (AA 23.8.2024). Auf allen politischen Ebenen herrscht dementsprechend eine Absenz von Frauen. Insgesamt ist dies auf die patriarchale, auf Clans basierende Gesellschaft zurückzuführen (Sahan/SWT 19.1.2024; vgl. AA 23.8.2024). Trotzdem finden sich bei Behörden, bei den Macawiisley, in der Bundesarmee, bei der NISA und den Darawish Frauen, bei der Polizei sind es ca. 10 % (AQ21 11.2023; vgl. Sahan/SWT 9.9.2022).

Familie, Ehe, Zwangsehe, Scheidung, Ehrenmorde

Die Scharia ist gerade hinsichtlich des Familienrechts die wichtigste Rechtsquelle in Somalia und Somaliland. Sie findet etwa bei Ehe, Erbe, Adoption und Sorgerecht Anwendung. Zivilrecht kann zwar neben der Scharia angewendet werden, muss aber immer mit der Scharia vereinbar sein. Bei jeglicher Abweichung wird hier der Scharia Vorrang gegeben (Omer2/ALRC 17.3.2023).

Ehe: Für die Eheschließung relevant sind die Vorgaben von Xeer (traditionelles Recht) und Scharia, die nahezu deckungsgleich sind (Omer2/ALRC 17.3.2023). Polygamie ist laut beiden Rechtsgrundlagen erlaubt und wird gesellschaftlich akzeptiert (UNHRCOM 6.5.2024; vgl. ÖB Nairobi 10.2024). Es gibt keine Zivilehe (Landinfo 14.6.2018, S. 7). In weiten Teilen Süd-/Zentralsomalias spricht al Shabaab Recht - auch hinsichtlich Ehe, Scheidung und darauf basierenden Sorgerechtsregelungen (Omer2/ALRC 17.3.2023).

Die Ehe ist extrem wichtig, und es ist in der somalischen Gesellschaft geradezu undenkbar, dass eine junge Person unverheiratet bleibt. Gleichzeitig besteht gegenüber der Braut die gesellschaftliche Erwartung, dass sie bei ihrer ersten Eheschließung Jungfrau ist (LIFOS 16.4.2019, S. 38), wobei eine Überprüfung der Jungfräulichkeit laut einer Quelle nicht mehr weit verbreitet ist (Omer2/ALRC 17.3.2023). Nach anderen Angaben ist nur etwa die Hälfte der Bevölkerung über 15 Jahren verheiratet; 37,9 % waren demnach noch nie verheiratet. Letztgenannte Personengruppe findet sich zunehmend in den Städten (42,1 %), weniger verbreitet auf dem Land (30 %) (GN 28.3.2023a) Gerade bei der ersten Ehe ist die arrangierte Ehe die Norm (Landinfo 14.6.2018, S. 8f). Eheschließungen über Clangrenzen [Anm.: großer bzw. "nobler" Clans] hinweg sind normal (FIS 5.10.2018, S. 26f).

Eheschließung (Vorgang): Generell muss vor der Eheschließung beim Imam Klarheit über die Identität der Ehepartner herrschen. Zudem muss sich der Imam im persönlichen Einzelgespräch mit beiden Ehepartnern versichern, dass diese freiwillig heiraten. Dies muss auch von den anwesenden Zeugen bezeugt werden. Das Brautgeld wird von der Braut genannt und vom Bräutigam bestätigt. Alle Parteien (das Ehepaar, der Vormund, die Zeugen und der Imam) müssen den Ehevertrag/die Eheurkunde (Deed of Marriage) unterfertigen. Mit der Zunahme an Somali, die in der Diaspora leben, sind heute Eheschließungen über das Telefon keine Seltenheit mehr. Dabei bedarf es üblicherweise an beiden Enden eines Imams. Sobald eine Ehe vor einem Imam und gemäß den Vorgaben der Scharia (Reife, Freiwilligkeit, Zeugen) geschlossen wurde, ist diese nach somalischer Rechtsnorm rechtsgültig (Omer2/ALRC 17.3.2023).

Arrangierte Ehe / Zwangsehe: Zusätzlich ist es im Xeer sehr wohl möglich, dass Eltern oder ein Vormund auf Minderjährige einwirken, damit diese einer Eheschließung - wie in der Scharia verlangt - "freiwillig" zustimmen. Die in der Scharia verlangte Einwilligung wird im Xeer relativiert. Kinder- und arrangierte Ehen sehen oft keine ehrliche Freiwilligkeit vor. Eigentlich hätten solche Ehen nach islamischer Rechtsauffassung keine Gültigkeit (Omer2/ALRC 17.3.2023). Dementsprechend ist der Übergang von arrangierter zur Zwangsehe fließend (MBZ 6.2023). Bei Ersterer liegt die mehr oder weniger explizite Zustimmung beider Eheleute vor, wobei hier ein unterschiedliches Maß an Druck ausgeübt wird. Bei der Zwangsehe hingegen fehlt die Zustimmung gänzlich oder nahezu gänzlich (Landinfo 14.6.2018, S. 9f). Frauen und viele minderjährige Mädchen werden zur Heirat gezwungen (AA 23.8.2024), Zwangsehen sind in Somalia normal bzw. weitverbreitet (SPA 1.2021; vgl. FH 2024b). Laut einer Studie aus dem Jahr 2018 gibt eine von fünf Frauen an, zur Ehe gezwungen worden zu sein; viele davon waren bei der Eheschließung keine 15 Jahre alt (LIFOS 16.4.2019, S. 10). Und manche Mädchen haben nur in eine Ehe eingewilligt, um nicht von der eigenen Familie verstoßen zu werden (SPA 1.2021). Es gibt keine bekannten Akzente der Bundesregierung oder regionaler Behörden, um dagegen vorzugehen (USDOS 22.4.2024). Gegen Frauen, die sich weigern, einen von der Familie gewählten Partner zu ehelichen, wird mitunter auch Gewalt angewendet. Das Ausmaß ist unklar, Ehrenmorde haben diesbezüglich in Somalia aber keine Tradition (Landinfo 14.6.2018, S. 10). Vielmehr können Frauen, die sich gegen eine arrangierte Ehe wehren und/oder davonlaufen, ihr verwandtschaftliches Solidaritätsnetzwerk verlieren (ACCORD 31.5.2021, S. 33; vgl. Landinfo 14.6.2018, S. 10). Zu Unterstützung und Frauenhäusern siehe Frauen - Süd-/Zentralsomalia und Frauen - Somaliland.

Bereits eine Quelle aus dem Jahr 2004 besagt, dass sich die Tradition aber gewandelt hat, und viele Ehen ohne Einbindung, Wissen oder Zustimmung der Eltern geschlossen werden (Landinfo 14.6.2018, S. 9f). Viele junge Somali akzeptieren arrangierte Ehen nicht mehr (LIFOS 16.4.2019, S. 11). Gerade in Städten ist es zunehmend möglich, den Ehepartner selbst zu wählen (LIFOS 16.4.2019, S. 11; vgl. Landinfo 14.6.2018, S. 8f). In der Hauptstadt ist es nicht unüblich, dass es zu – freilich oft im Vorfeld mit den Familien abgesprochenen – Liebesehen kommt (Landinfo 14.6.2018, S. 8f). Dort sind arrangierte Ehen eher unüblich. Gemäß einer Schätzung konnten sich die Eheleute in 80 % der Fälle ihren Partner selbst aussuchen bzw. bei der Entscheidung mitreden (FIS 5.10.2018, S. 26f). Zusätzlich gibt es auch die Tradition des "Durchbrennens" (Elopement, Qubdo Sireed), wobei die Eheschließung ohne Wissen und Zustimmung der Eltern erfolgt (Omer2/ALRC 17.3.2023; vgl. FIS 5.10.2018, S. 26f). Diese Art der Eheschließung kommt in allen Landesteilen vor und wird üblicherweise auch akzeptiert (Omer2/ALRC 17.3.2023).

Ehe-Registrierung: Beim Imam werden die von allen Parteien unterfertigten Urkunden kopiert und an alle Teilnehmer ausgeteilt. Eine Urkunde wird im Register der Moschee hinterlegt. Dies ist nicht immer möglich, doch ist eine solche Registrierung für die Gültigkeit einer Ehe nicht zwingend erforderlich. Nach Möglichkeit wird die Eheschließung auch bei einem Standesamt oder Amtsgericht in der nächstgelegenen Gemeinde eingetragen, die dazu in der Lage ist. In Somaliland ist ein solcher Eintrag bei der Gemeinde oder dem Regionalgericht einfacher möglich. Die zivile Registrierung einer Ehe ist absolut freiwillig. Die Rechtsgültigkeit einer Ehe ergibt sich aus der Erfüllung der Anforderungen gemäß Scharia (Omer2/ALRC 17.3.2023). Zu Dokumenten siehe auch Dokumente / Süd-/Zentralsomalia und Dokumente / Somaliland.

Scheidung: Eine solche ist erlaubt (ÖB Nairobi 10.2024), es gibt eine hohe Scheidungsrate (AQ21 11.2023). Auch bei al Shabaab sind Scheidungen erlaubt und werden von der Gruppe auch vorgenommen (ICG 27.6.2019a). Die Frau hat das Recht, den Mann aus dem gemeinsamen Haushalt zu verstoßen (AQ21 11.2023). Nach einer Scheidung ist eine Phase von drei bis sechs Monaten vorgesehen, bevor eine neue Ehe eingegangen werden darf (Omer2/ALRC 17.3.2023).

Bereits 1991 wurde festgestellt, dass mehr als die Hälfte der über 50-jährigen Frauen mehr als einmal verheiratet gewesen ist (Landinfo 14.6.2018, S. 18). Laut Zahlen aus dem Jahr 2023 sind 9 % der Bevölkerung im Alter von 25-29 Jahren geschieden, bei den 30-34-Jährigen sind es 7,6 % (GN 28.3.2023a). Bezüglich einer Scheidung gibt es kein Stigma (Landinfo 14.6.2018, S. 18f; vgl. FIS 5.10.2018, S. 27f; AQ21 11.2023). Während es früher die Norm war, dass Kinder beim Mann blieben, ist dies heute oft umgekehrt (AQ21 11.2023; vgl. FIS 5.10.2018, S. 27f). Viele Männer verschwinden auch einfach und bieten Frau und Kindern keinerlei Unterstützung (AQ21 11.2023). Um unterstützt zu werden, zieht die Geschiedene meist mit den Kindern zu ihren Eltern oder zu Verwandten (FIS 5.10.2018, S. 27f). Bei der Auswahl eines neuen Ehepartners sind Geschiedene in der Regel freier als bei der ersten Eheschließung (Landinfo 14.6.2018, S. 19).

Annullierung: Eine Ehe kann nur dann annulliert oder angefochten werden, wenn stichhaltige Beweise dafür vorgelegt werden, dass bei einem Ehepartner keine freiwillige Einwilligung vorlag; dass einem Ehepartner die erforderliche Reife (psychisch und physisch) fehlt; wenn nachträglich Beweise dafür auftauchen, dass die Ehefrau bereits verheiratet war und die Scheidung noch nicht vollzogen wurde; wenn der vorgeschriebene Zeitraum zwischen Scheidung und neuerlicher Ehe von 3-6 Monaten noch nicht verstrichen war; oder wenn der Ehegatte bereits mit vier Ehefrauen verheiratet ist. Sterilität oder andere physische Einschränkungen stellen keinen Annullierungs-, wohl aber einen Scheidungsgrund dar (Omer2/ALRC 17.3.2023).

Ehrenmorde: In Somalia gibt es keine Tradition sogenannter Ehrenmorde im Sinne einer akzeptierten Tötung von Frauen, welche bestimmte soziale Normen überschritten haben – z. B. Geburt eines unehelichen Kindes (Landinfo 14.6.2018, S. 10). Ein uneheliches Kind wird allerdings als Schande für die ganze Familie der Frau erachtet. Mutter und Kind werden stigmatisiert, im schlimmsten Fall werden sie von der Familie verstoßen (FIS 5.10.2018, S. 27; vgl. Love Does 20.10.2023). Laut einer Quelle ist außer- oder vorehelicher Geschlechtsverkehr eine Straftat (Omer2/ALRC 17.3.2023).

Mädchen / Frauen - Weibliche Genitalverstümmelung und -Beschneidung (FGM/C)

Arten bzw. Typen der Beschneidung: Gudniin ist die allgemeine somalische Bezeichnung für Beschneidung – egal ob bei einer Frau oder bei einem Mann (HEART/Crawford/Ali 2 2015, S. 65f). Laut einer in Puntland gemachten Studie gibt es auch noch andere Namen für FGM/C, etwa Dhufaanid (Kastration) oder Tolid (Zunähen) (UNFPA 4.2022). In Somalia herrschen zwei Formen von FGM/C vor:

a) Einerseits die am meisten verbreitete sogenannte Pharaonische Beschneidung (Gudniinka Fircooniga), welche weitgehend dem WHO Typ III (Infibulation) entspricht (UNFPA 4.2022; vgl. LIFOS 16.4.2019, S. 13f; HEART/Crawford/Ali 2 2015, S. 66f) und von der somalischen Bevölkerung unter dem - mittlerweile auch dort geläufigen - Synonym "FGM" verstanden wird (UNFPA 4.2022; vgl. HEART/Crawford/Ali 2 2015, S. 68).

b) Andererseits die Sunna (Gudniinka Sunna) (LIFOS 16.4.2019, S. 13f; vgl. HEART/Crawford/Ali 2 2015, S. 66f), welche laut einer Quelle generell dem weniger drastischen WHO Typ I entspricht (LIFOS 16.4.2019, S. 13f), laut einer anderen Quelle WHO Typ I und II (AV 2017, S. 29), laut einer dritten Quelle WHO Typ IV (MoHDSL/UNFPA 2021) und schließlich laut einer vierten Quelle eine breite Palette an Eingriffen umfasst (HEART/Crawford/Ali 2 2015, S. 41ff/66f). Demnach wird die Sunna nochmals unterteilt in die sog. große Sunna (Sunna Kabir) und die kleine Sunna (Sunna Saghir); es gibt auch Mischformen (LIFOS 16.4.2019, S. 14f; vgl. HEART/Crawford/Ali 2 2015, S. 41ff/66f). De facto kann laut Quellen unter dem Begriff „Sunna“ jede Form – von einem kleinen Schnitt bis hin zur fast vollständigen pharaonischen Beschneidung – gemeint sein, die von der traditionellen Form von FGM (Infibulation) abweicht (FIS 5.10.2018, S. 30; vgl. LIFOS 16.4.2019, S. 39). Aufgrund der Problematik, dass es keine klare Definition der Sunna gibt (LIFOS 16.4.2019, S. 14f; vgl. FIS 5.10.2018, S. 31), wissen Eltern laut einer Quelle oft gar nicht, welchen Eingriff die Beschneiderin genau durchführen wird (LIFOS 16.4.2019, S. 14f). Allgemein wird die Sunna von Eltern und Betroffenen als harmlos erachtet, mit dieser Form werden nur geringfügige gesundheitliche Komplikationen in Zusammenhang gebracht (UNFPA 4.2022).

Bei einer Studie aus Somaliland wird die Sunna hingegen als WHO Typ IV bezeichnet ("... andere verletzende Prozeduren an den weiblichen Genitalien für nicht-medizinische Zwecke, z. B. einstechen, durchstechen, einritzen, ausschaben, verätzen."). Teilnehmer der Studie beschreiben zwei Arten der Sunna: Einerseits jene Form, bei welcher eine eingeschränkte Beschneidung ("Small Cut") sowie ein Vernähen mit ein oder zwei Stichen erfolgt; andererseits eine mildere Form, bei welcher die Klitoris mit einer Nadel eingestochen wird und keine weiteren Misshandlungen erfolgen - insbesondere kein Vernähen (MoHDSL/UNFPA 2021).

Dahingegen beschreiben Crawford und Ali für Somalia folgende Formen von FGM/C (HEART/Crawford/Ali 2 2015, S. 66ff):

Prävalenz [siehe auch Unterkapitel]: FGM ist in Somalia auch weiterhin weit verbreitet (USDOS 22.4.2024; vgl. AA 23.8.2024) und bleibt die Norm (Landinfo 14.9.2022, S. 16). Lange Zeit wurde die Zahl betroffener Frauen mit 98 % angegeben. Diese Zahl ist laut somalischem Gesundheitsministerium bis 2015 auf 95 % und bis 2018 auf 90 % gefallen (FIS 5.10.2018, S. 29). UN News berichtet von "mehr als 90 %" (UNN 4.2.2022). Gemäß einer Studie aus dem Jahr 2017 sind rund 13 % der 15-17-jährigen Mädchen nicht beschnitten (STC 9.2017). In der Altersgruppe von 15-49 Jahren liegt die Prävalenz hingegen bei 98 %, jene der Infibulation bei 77 %, wie eine andere Studie besagt (BMC/Yussuf/et al. 2020, S. 1f). Laut einer anderen Quelle sind 88 % der 5-9-jährigen Mädchen bereits beschnitten oder verstümmelt (CARE 4.2.2022). Insgesamt gibt es diesbezüglich nur wenige aktuelle Daten. Generell ist von einer Rückläufigkeit auszugehen (LIFOS 16.4.2019, S. 19f; vgl. STC 9.2017).

Trend weg von der Infibulation und hin zu Sunna [siehe auch Unterkapitel]: Die Infibulation ist insgesamt zurückgedrängt worden, dies wird von zahlreichen Quellen bestätigt (Omer2/ALRC 17.3.2023; vgl. HEART/Crawford/Ali 2 2015; FGMCRI o.D.; Landinfo 14.9.2022; LIFOS 16.4.2019, S. 14f/39; DIS 1.2016, S. 7; FIS 5.10.2018, S. 30f; PC/Powell/Yussuf 1.2018, S. 22ff; BMC/Yussuf/et al. 2020, S. 1f). Der Trend geht in Richtung Sunna (UNFPA 4.2022):

Sowohl der finanzielle wie auch der Bildungshintergrund spielen bei der Entscheidung hinsichtlich der Form des Eingriffs eine Rolle:

Hinsichtlich geografischer Verbreitung scheint die Infibulation 2006 in Süd-/Zentralsomalia mit 72 % am wenigsten verbreitet gewesen zu sein; in Puntland war sie mit 93 % am verbreitetsten (LIFOS 16.4.2019, S. 21). Es wird davon ausgegangen, dass die Rate an Infibulationen in ländlichen Gebieten höher ist als in der Stadt (HEART/Crawford/Ali 2 2015, S. 69). Viele Menschen – v. a. in städtischen Gebieten – erachten die extremeren Formen von FGM zunehmend als inakzeptabel, halten aber an Typ I fest (UNICEF 29.6.2021; vgl. UNFPA 4.2022), der gesellschaftlich auf Akzeptanz trifft (Landinfo 14.9.2022). So werden in Mogadischu junge Mädchen nicht mehr der Infibulation, sondern hauptsächlich der Sunna ausgesetzt (HEART/Crawford/Ali 2 2015, S. 70).

Eine Rolle spielen hierbei religiöse Überlegungen. Bei einer Studie in Somaliland haben religiöse Führer angegeben, dass alle Rechtsschulen des Islam die Infibulation bzw. die pharaonische Beschneidung verbieten. Demgegenüber ist die Sunna gemäß der in Somalia am meisten verbreiteten Shafi'i-Schule obligatorisch, während z. B. die Hanafiya eine Beschneidung zwar zulässt, diese aber nicht fordert (MoHDSL/UNFPA 2021).

Gesellschaft [siehe auch Unterkapitel]: Außerdem sprachen sich in einer Umfrage aus dem Jahr 2017 42,6 % gegen die Tradition von FGM aus (AV 2017, S. 19). Allerdings gaben nur 15,7 % an, dass in ihrer Gemeinde („Community“) FGM nicht durchgeführt wird (AV 2017, S. 25). Bei einer Studie im Jahr 2015 wendete sich die Mehrheit der Befragten gegen die Fortführung der Infibulation, während es kaum Unterstützung für eine völlige Abschaffung von FGM gab (CEDOCA 9.6.2016, S. 7). Die Unterstützung für FGM/C ist jedenfalls gesunken (BMC/Yussuf/et al. 2020, S. 2). Zum Beispiel wurden in Cadaado (Mudug) im November 2020 nur noch 28 von 278 Eingriffen als Infibulation ausgeführt, im Dezember waren es 22 von 222. Dahingegen sind es Anfang 2019 noch über 200 Infibulationen pro Monat gewesen. Auch hier hat sich die Sunna durchgesetzt (RE 15.2.2021). Bei der Bewertung dieses Trends muss aber berücksichtigt werden, dass in manchen Fällen davon auszugehen ist, dass einfach nur nicht so weit zugenäht wird wie früher; der restliche Eingriff aber de facto einer Infibulation entspricht - und trotzdem von den Betroffenen als Sunna bezeichnet wird (HEART/Crawford/Ali 2 2015, S. 70).

Wer eine Beschneidung veranlasst bzw. entscheidet: Nach Angaben mehrerer Quellen liegt üblicherweise die Entscheidung darüber, ob eine Beschneidung stattfinden soll, bei der Mutter (FIS 5.10.2018, S. 30; vgl. CEDOCA 9.6.2016, S. 17f; Landinfo 14.9.2022, S. 11; HEART/Crawford/Ali 2 2015, S. 85; MoHDSL/UNFPA 2021). Der Vater hingegen wird wenig eingebunden (Landinfo 14.9.2022, S. 11; vgl. HEART/Crawford/Ali 2 2015, S. 85) bzw. wird die Entscheidung "manchmal" gemeinsam getroffen (MoHDSL/UNFPA 2021). Laut einer Quelle geht es bei dieser Entscheidung aber weniger um das "ob" als vielmehr um das "wie und wann" (Landinfo 14.9.2022, S. 11). Eine Studie aus dem Jahr 2022 in Puntland bestätigt, dass Mütter die Entscheidung hinsichtlich von FGM und Väter jene hinsichtlich der Beschneidung der Söhne treffen. Tendenziell können Väter neuerdings mehr Mitsprache halten. Insgesamt ist es aber die Mutter, die für die Jungfräulichkeit, Reinheit und Ehefähigkeit ihrer Töchter verantwortlich ist (UNFPA 4.2022).

Es kann zu – teils sehr starkem – psychischem Druck auf eine Mutter kommen, damit eine Tochter beschnitten wird. Um eine Verstümmelung zu vermeiden, kommt es auf die Standhaftigkeit der Mutter an. Spricht sich auch der Kindesvater gegen eine Verstümmelung aus, und bleibt dieser standhaft, dann ist es leichter, dem psychischen Druck seitens der Gesellschaft und gegebenenfalls durch die Familie standzuhalten (DIS 1.2016, S. 8ff). Manchmal wird der Vater von der Mutter bei der Entscheidung übergangen (UNFPA 4.2022; vgl. LIFOS 16.4.2019, S. 25f/42f) oder aber eine vermeintlich gemeinsame Entscheidung für eine mildere Sunna wird nachträglich von der Mutter - ohne Wissen des Vaters - zu einer Infibulation "korrigiert" (MoHDSL/UNFPA 2021). Nach anderen Angaben liegt es an den Eltern, darüber zu entscheiden, welche Form von FGM an der Tochter vorgenommen wird. Manchmal halten Großmütter oder andere weibliche Verwandte Mitsprache. In ländlichen Gebieten können Großmütter eher Einfluss ausüben (LIFOS 16.4.2019, S. 25f/42f; vgl. FIS 5.10.2018, S. 30). Dort ist es mitunter auch schwieriger, FGM infrage zu stellen (FIS 5.10.2018, S. 30f). Gemäß Angaben anderer Quellen sind Großmütter oft maßgeblich in die Entscheidung involviert (Landinfo 14.9.2022, S. 11; vgl. MoHDSL/UNFPA 2021; HEART/Crawford/Ali 2 2015, S. 85) bzw. üben sie signifikanten Einfluss aus (UNFPA 8.10.2023). Laut anderen Angaben kann es vorkommen, dass eine Mutter bei weiblichen Verwandten Ratschläge einholt (UNFPA 4.2022). In einer somaliländischen Studie wird angegeben, dass Mütter die Schlüsselrolle spielen, an zweiter Stelle stehen die Großmütter. Manchmal fordern Mädchen auch selbst eine Beschneidung ein (MoHDSL/UNFPA 2021).

Dass Mädchen ohne Einwilligung der Mutter von Verwandten einer FGM unterzogen werden, ist zwar nicht auszuschließen, aber unwahrscheinlich. Keine Quelle des Danish Immigration Service konnte einen derartigen Fall berichten (DIS 1.2016, S. 10ff). Quellen der schwedischen COI-Einheit Lifos nennen als diesbezüglich annehmbare Ausnahme (theoretisch) den Fall, dass ein bei den Großeltern lebendes Kind von der Großmutter FGM zugeführt wird, ohne dass es dazu eine Einwilligung der Eltern gibt (LIFOS 16.4.2019, S. 26).

Motivation: Der Hauptantrieb, weswegen Mädchen weiterhin einer FGM/C unterzogen werden, ist der Druck, sozialen Erwartungen und Normen gerecht zu werden (MoHDSL/UNFPA 2021; vgl. HEART/Crawford/Ali 2 2015, S. 82). FGM gilt als Tradition, die von Generation zu Generation weitergegeben wird. Die somalische Kultur gelten die "drei weiblichen Schmerzen" als integraler Bestandteil des Frauseins: Die Beschneidung, die Hochzeitsnacht und das Gebären. Nicht zuletzt glauben viele Frauen, dass die Beschneidung im Islam verpflichtend vorgesehen ist (MoHDSL/UNFPA 2021).

Frauen fürchten sich vor einem gesellschaftlichen Ausschluss und vor Diskriminierung - ihrer selbst und ihrer Töchter. Eine Beschneidung bringt hingegen soziale Vorteile und sichert der Familie und dem Mädchen die Integration in die Gesellschaft (UNFPA 4.2022; vgl. MoHDSL/UNFPA 2021). So gibt es etwa Berichte über erwachsene Frauen, die sich einer Infibulation unterzogen haben, da sie sich durch (sozialen) Druck dazu gezwungen sahen (HEART/Crawford/Ali 2 2015, S. 73). Es herrscht die Angst vor Stigmatisierung und Diskriminierung (MoHDSL/UNFPA 2021). Mitunter üben nicht-beschnittene Mädchen aufgrund des gesellschaftlichen Drucks selbst Druck auf Eltern aus, damit die Verstümmelung vollzogen wird (UNFPA 4.2022; vgl. MoHDSL/UNFPA 2021; HEART/Crawford/Ali 2 2015, S. 83; LIFOS 16.4.2019, S. 42f/26; ACCORD 31.5.2021, S. 41).

Die Beschneidung wird als Ehre für ein Mädchen erachtet, als Investition in die Zukunft. Das Mädchen wird dadurch von der Gesellschaft akzeptiert, gilt als züchtig und verheiratbar und gewährleistet voreheliche Jungfräulichkeit (MoHDSL/UNFPA 2021; vgl. LIFOS 16.4.2019, S. 38f; Landinfo 14.9.2022, S. 11). Außerdem gilt eine Infibulation als ästhetisch (Landinfo 14.9.2022, S. 10; vgl. UNFPA 4.2022).

Durchführung: Die Mehrheit der Beschneidungen wird von traditionellen Beschneiderinnen (Guddo) vorgenommen (MoHDSL/UNFPA 2021). Mädchen werden zunehmend von medizinischen Fachkräften beschnitten (UNFPA 4.2022; vgl. MoHDSL/UNFPA 2021; FGMCRI o.D.). Bei einer Studie in Somaliland gaben nur 5 % der Mütter an, selbst von einer Fachkraft beschnitten worden zu sein; bei den Töchtern waren es hingegen schon 33 % (Landinfo 14.9.2022, S. 11). Diese "Medizinisierung" von FGM/C ist v. a. im städtischen Bereich und bei der Diaspora angestiegen (UNICEF 29.6.2021; vgl. MoHDSL/UNFPA 2021) und in erster Linie dann, wenn die Eltern nur eine Sunna durchführen lassen wollen (MoHDSL/UNFPA 2021). FGM/C erfolgt also zunehmend im medizinischen Bereich – in Spitälern, Kliniken oder auch bei Hausbesuchen. In Mogadischu gibt es sogar Straßenwerbung für "FGM Clinics". Insgesamt sind die Ausführenden aber immer noch oft traditionelle Geburtshelferinnen, Hebammen und Beschneiderinnen (HEART/Crawford/Ali 2 2015, S. 73f).

Der Eingriff wird an Einzelnen oder auch an Gruppen von Mädchen vorgenommen. In ländlichen Gebieten Puntlands und Somalilands üblicherweise in Gruppen. Auch in Mogadischu ist das die übliche Praxis. Oft gibt es danach für die Mädchen eine Feier (HEART/Crawford/Ali 2 2015, S. 73f). Auch eine somaliländische Quelle berichtet, dass die Beschneidung mit einer Feier in der Nachbarschaft verbunden ist (MoHDSL/UNFPA 2021). Eine traditionelle Beschneiderin verlangt üblicherweise 20 US-Dollar für einen Eingriff, bei finanzschwachen Familien kann dieser Preis auf 5 US-Dollar reduziert werden (UNFPA 4.2022).

Alter bei der Beschneidung: Diesbezüglich gibt es unterschiedliche Angaben. Die meisten Quellen der schwedischen COI-Einheit Lifos sowie UNFPA nennen ein Alter von 5-10 bzw. 5-9 Jahren (LIFOS 16.4.2019, S. 20/39; vgl. UNFPA 8.10.2023). Eine größere Studie aus dem Jahr 2020 nennt für Somalia folgende Zahlen: 71 % der Frauen im Alter von 15-49 Jahren ist im Alter von 5-9 Jahren beschnitten worden, 28 % im Alter von 10-14 Jahren und jeweils unter 1 % unter 5 und über 15 Jahren (DNS/Gov Som 2020). UNICEF wiederum nennt ein Alter von 4-14 Jahren als üblich; die NGO IIDA gibt an, dass die Beschneidung üblicherweise vor dem achten Geburtstag erfolgt (CEDOCA 9.6.2016, S. 6). Eine Studie aus dem Jahr 2017 nennt für ganz Somalia die Gruppe der 10-14-Jährigen (STC 9.2017), dieses Alter erwähnt auch eine NGO (FGMCRI o.D.). Eine andere Quelle nennt ein Alter von 10-13 Jahren (AA 23.8.2024). Gemäß einer Quelle werden Mädchen, welche die Pubertät erreicht haben, nicht mehr einer FGM unterzogen, da dies gesundheitlich zu riskant ist. Hat ein Mädchen die Pubertät erreicht, fällt demnach auch der Druck durch die Verwandtschaft weg (DIS 1.2016, S. 11). Laut einer Quelle sind aus der Diaspora zum Zwecke von FGM nach Somalia geschickte Mädchen meist älter als allgemein üblich (Landinfo 14.9.2022).

In Puntland und Somaliland erfolgt die Beschneidung laut einer Studie aus dem Jahr 2011 meist im Alter von 10-14 Jahren (LIFOS 16.4.2019, S. 20). Eine Studie aus dem Jahr 2022 hingegen besagt für Puntland, dass Mädchen bis zum 13. Geburtstag der Praktik unterzogen sein müssen, wenn die Mutter Hänseleien entgehen will (UNFPA 4.2022). In einer Studie aus dem Jahr 2020 werden für Somaliland folgende Zahlen genannt: 57 % der Mädchen wurden im Alter von 5-9 Jahren beschnitten, 41 % zwischen 10 und 14 Jahren, 1 % noch danach (MoPNDSL 2021).

Eine Quelle erklärt, dass das Beschneidungsalter immer weiter sinkt (CARE 4.2.2022). Auch in der Studie aus dem Jahr 2020 ist dieser Trend zu erkennen [siehe Grafik unten]. Unter den 40-49-jährigen Frauen wurden 67 % im Alter von 5-9 Jahren beschnitten, bei der Gruppe der 15-19-jährigen sind es hingegen 73 % (DNS/Gov Som 2020). Auch in Somaliland ist das Alter im Zuge des Wechsels hin zur Sunna laut Angaben einer Quelle auf 5-8 Jahre gesunken (PC/Powell/Yussuf 1.2018, S. 22). In den Zahlen einer Studie aus dem Jahr 2020 ist ein derartiger Trend hingegen nicht ablesbar (MoPNDSL 2021).

Bei den Benadiri und arabischen Gemeinden in Somalia, wo grundsätzlich die Sunna praktiziert wird, scheint die Beschneidung bei der Geburt stattzufinden, möglicherweise auch nur als symbolischer Schnitt (DIS 1.2016, S. 6).

Abolition: In der Diaspora nimmt die Praktik ab. Der Druck sinkt mit der Distanz zur Heimat und zur Familie (Landinfo 14.9.2022, S. 17). In manchen Gemeinden und Gemeinschaften z. B. in Borama, Garoowe oder Mogadischu, wo Aufklärung bezüglich FGM stattgefunden hat, stellen sich die Haushalte gemeinschaftlich gegen jegliche Art von FGM (ÖB Nairobi 10.2024; vgl. HEART/Crawford/Ali 2 2015, S. 65). Von jenen, die nicht von Aufklärungskampagnen betroffen waren, gab es nur eine kleine Minderheit aus gut gebildeten Menschen und Personen der Diaspora, die sich von allen Formen von FGM verabschiedet hat (HEART/Crawford/Ali 2 2015, S. 65; vgl. Landinfo 14.9.2022). Eine Expertin erklärt, dass hinsichtlich FGM kein Zwang herrscht, dass allerdings eine Art Gruppendruck besteht (ACCORD 31.5.2021, S. 41). So kann es auch vorkommen, dass in der Diaspora lebende Mädchen „nach Hause“ oder in bestimmte europäische Städte geflogen werden, wo FGM vollzogen wird (GN 3.11.2022). Andererseits nimmt der Druck in der jüngeren Generation ab, manche junge Menschen sehen keinen Grund für die Stigmatisierung und Diskriminierung von Unbeschnittenen (MoHDSL/UNFPA 2021).

Eine andere Quelle erklärt, dass der Verzicht auf jegliche Form von FGM in Somalia eine radikale Entscheidung darstellt, die gegen grundlegende Normen verstößt. Damit sich Eltern aus eigener Initiative gegen eine Beschneidung ihrer Tochter wehren können, müssen sie über Kenntnisse und Einwände gegen die Praxis sowie über genügend Robustheit und Ressourcen verfügen, um die Einwände für Familie, Netzwerke und lokale Gemeinschaften zu fördern (Landinfo 14.9.2022). Jedenfalls gibt es trotz aller Widrigkeiten sowohl in urbanen als auch in ländlichen Gebieten Eltern, die ihre Töchter nicht verstümmeln lassen (DIS 1.2016, S. 9) und auch Frauen, die sich offen dazu bekennen. So berichtet etwa eine Studienteilnehmerin, dass sie als Kind sehr an ihrer Verstümmelung gelitten hat. Deswegen hat sie ihre Töchter nicht beschneiden lassen und drängt auch andere Eltern zu diesem Schritt. Einige wenige Teilnehmerinnen an der besagten Studie haben offen erklärt, ihre Töchter nicht anrühren zu wollen (MoHDSL/UNFPA 2021). Manche Mütter in Gemeinden, wo Aufklärung hinsichtlich der negativen Folgen einer Genitalverstümmelung stattgefunden hat, bekennen sich offen dazu, dass an ihren Töchtern eine solche nicht vorgenommen worden ist (ÖB Nairobi 10.2024).

Mehrere Studien zeigen, dass 2-4 von 100 Frauen nicht beschnitten sind (MoHDSL/UNFPA 2021; vgl. DNS/Gov Som 2020). Beschneiderinnen berichten von einem geringeren Einkommen, weil Eltern ihre Dienste nicht mehr in Anspruch nehmen (MoHDSL/UNFPA 2021).

Leben ohne Beschneidung: Laut Quellen der finnischen FFM im Jahr 2018 ist es gerade in Städten kein Problem mehr, sich einer Beschneidung zu widersetzen. Demnach steigt dort die Zahl unbeschnittener Mädchen (FIS 5.10.2018, S. 31). Nach anderen Angaben hängt die Akzeptanz unbeschnittener Frauen bzw. jener, die nicht einer Infibulation unterzogen wurden, maßgeblich von der Familie ab. Generell steht man ihnen in urbanen Gebieten eher offen gegenüber (LIFOS 16.4.2019, S. 23). Eine weitere Quelle erklärt, dass es in der Stadt kein Problem ist, zuzugeben, dass die eigene Tochter nicht beschnitten ist. Auf dem Land ist das demnach anders (CEDOCA 9.6.2016, S. 21). Nach älteren Angaben "bekennen" nur wenige Mütter, dass sie ihre Töchter nicht beschneiden haben lassen; und diese stammen v. a. aus Gemeinden, die zuvor Aufklärungskampagnen durchlaufen hatten (HEART/Crawford/Ali 2 2015, S. 65).

Die in der Gemeinde zirkulierte Information, wonach eine Frau nicht infibuliert ist, wirkt sich auf das Ansehen und letztendlich auf die Heiratsmöglichkeiten der Frau und anderer Töchter der Familie aus (LIFOS 16.4.2019, S. 38f; vgl. Landinfo 14.9.2022, S. 11). Wird der unbeschnittene Status eines Mädchens bekannt, kann dies zu Hänseleien und zur Stigmatisierung führen (LIFOS 16.4.2019, S. 39). Kulturell gilt die Klitoris als "schmutzig" (Landinfo 14.9.2022, S. 10; UNFPA 4.2022). Folglich werden unbeschnittene Frauen mitunter als schmutzig oder un-somalisch (Landinfo 14.9.2022, S. 16), als abnormal und schamlos (HEART/Crawford/Ali 2 2015, S. 82f) oder aber als un-islamisch bezeichnet. Sie werden u. a. in der Schule gehänselt und drangsaliert, sie und ihre Familie als Schande für die Gemeinschaft erachtet. Ein diesbezügliches Schimpfwort ist hier Buurya Qab (UNFPA 4.2022), ein Weiteres leitet sich vom Wort für Klitoris (Kintir) ab: Kinitrey. Allerdings gaben bei einer Studie in Somaliland nur 14 von 212 Frauen an, überhaupt eine (völlig) unbeschnittene Frau zu kennen (Landinfo 14.9.2022, S. 16). Die Sunna als Alternative zur Infibulation wird laut einer rezenten Studie aus Puntland jedoch akzeptiert (UNFPA 4.2022).

Eine andere Option ist es, dass eine Familie, die sich gegen FGM entschieden hat, versucht, die Tatsache geheim zu halten (FIS 5.10.2018, S. 30f). In größeren Städten ist es auch möglich, den unbeschnittenen Status ganz zu verbergen. Die Anonymität ist eher gegeben, die soziale Interaktion geringer; dies ist in Dörfern mitunter sehr schwierig (DIS 1.2016, S. 24/9; vgl. LIFOS 16.4.2019, S. 39). Es kommt zu keinen körperlichen Untersuchungen, um den Status hinsichtlich einer vollzogenen Verstümmelung bei einem Mädchen festzustellen (DIS 1.2016, S. 12f; vgl. ACCORD 31.5.2021, S. 41). Dies gilt auch für Rückkehrer aus dem Westen. In ländlichen Gebieten wird wahrscheinlich schneller herausgefunden, dass ein Mädchen nicht verstümmelt ist (DIS 1.2016, S. 12f). Menschen sprechen miteinander, sie könnten ein betroffenes Mädchen z. B. fragen, wo es denn beschnitten worden sei (ACCORD 31.5.2021, S. 41).

Nach anderen Angaben ist es nicht unüblich, dass eine Gemeinschaft darüber Bescheid weiß, welche Mädchen beschnitten sind und welche nicht. Grund dafür ist, dass gleichaltrige Mädchen einer Nachbarschaft oder eines Ortes oft gleichzeitig beschnitten werden (Landinfo 14.9.2022, S. 16). Gleichzeitig ist FGM auch unter den Mädchen selbst ein Thema. Es sprechen also nicht nur Mütter untereinander darüber, ob ihre Töchter bereits beschnitten wurden; auch Mädchen reden untereinander darüber (HEART/Crawford/Ali 2 2015, S. 83).

Eine Mutter kann den Status ihrer Tochter verschleiern, indem sie vorgibt, dass diese einer Sunna unterzogen worden ist (DIS 1.2016, S. 12f). Eine Mutter berichtet in einer somaliländischen Studie, dass sie von den eigenen Töchtern zu einer Beschneidung gedrängt worden ist. Sie hat diese in eine medizinische Einrichtung gebracht, wo u. a. unter Verwendung von Fake-Anästhetika und Kunstblut ein Eingriff vorgegaukelt worden ist. Seither gelten die Töchter als beschnitten (MoHDSL/UNFPA 2021).

Reinfibulation, Deinfibulation

Die Thematik der Reinfibulation (Wiederherstellung einer Infibulation, Wiederzunähen) betrifft jene Frauen und Mädchen, die bereits einer Infibulation unterzogen und später deinfibuliert wurden. Letzteres erfolgt z. B. im Rahmen einer Geburt, zur Erleichterung des Geschlechtsverkehrs (LIFOS 16.4.2019, S. 35/12; vgl. Landinfo 14.9.2022, S. 9/12) oder aber z. B. auf Wunsch der Familie, wenn bei der Menstruation Beschwerden auftreten (LIFOS 16.4.2019, S. 32; vgl. Landinfo 14.9.2022, S. 12). Es gibt zudem anekdotische Berichte, wonach eine neue Intervention durchgeführt wurde, weil die Familie eine umfassendere Intervention als die ursprüngliche gewünscht hat (Landinfo 14.9.2022; vgl. HEART/Crawford/Ali 2 2015, S. 74).

Eine Reinfibulation kommt v. a. dann vor, wenn Frauen - üblicherweise noch vor der ersten Eheschließung - eine bestehende Jungfräulichkeit vorgeben wollen (DIS 1.2016, S. 23). Obwohl es vor einer Ehe gar keine physische Untersuchung der Jungfräulichkeit gibt (LIFOS 16.4.2019, S. 40f), kann es bei jungen Mädchen, die z. B. Opfer einer Vergewaltigung wurden, zu Druck oder Zwang seitens der Eltern kommen, sich einer Reinfibulation zu unterziehen (HEART/Crawford/Ali 2 2015, S. 73/76; vgl. CEDOCA 13.6.2016, S. 9). Vergewaltigungsopfer werden oft wieder zugenäht (HO 27.2.2019; vgl. Landinfo 14.9.2022, S. 12). Es gibt anekdotische Berichte über Fälle, in denen unverheiratete Mädchen oder junge Frauen aus der Diaspora nach Somalia geschickt wurden, um eine Reinfibulation durchzuführen (Landinfo 14.9.2022).

Eine Quelle gibt an, dass es Folgen - bis hin zur Scheidung - haben kann, wenn ein Ehemann in der Hochzeitsnacht feststellt, dass eine Deinfibulation bereits vorliegt. Eine Scheidung kann in diesem Fall zu einer indirekten Stigmatisierung infolge von "Gerede" führen. Generell können zur Frage der Reinfibulation von vor der Ehe deinfibulierten Mädchen und jungen Frauen nur hypothetische Angaben gemacht werden, da z. B. den von der schwedischen COI-Einheit LIFOS befragten Quellen derartige Fälle überhaupt nicht bekannt waren (LIFOS 16.4.2019, S. 40f).

Als weitere Gründe, warum sich Frauen für eine Reinfibulation im Sinne einer weitestmöglichen Verschließung entscheiden, werden in einer Studie aus dem Jahr 2015 folgende genannt: a) nach einer Geburt: Manche Frauen verlangen z. B. eine Reinfibulation, weil sie sich nach Jahren an ihren Zustand gewöhnt hatten und sich die geöffnete Narbe ungewohnt und unwohl anfühlt; b) manche geschiedene Frauen möchten als Jungfrauen erscheinen; c) Eltern von Vergewaltigungsopfern fragen danach; d) in manchen Bantu-Gemeinden in Süd-/Zentralsomalia möchten Frauen, deren Männer für längere Zeit von zu Hause weg sind, eine Reinfibulation als Zeichen der Treue (HEART/Crawford/Ali 2 2015, S. 76; vgl. CEDOCA 9.6.2016, S. 11).

Gesellschaftlich verliert die Frage einer Deinfibulation oder Reinfibulation nach einer Eheschließung generell an Bedeutung, da die Vorgabe der Reinheit/Jungfräulichkeit irrelevant geworden ist (LIFOS 16.4.2019, S. 40). Für verheiratete oder geschiedene Frauen und für Witwen gibt es keinen Grund, eine Jungfräulichkeit vorzugeben (CEDOCA 13.6.2016, S. 6).

Wird eine Frau vor einer Geburt deinfibuliert, kann es vorkommen, dass nach der Geburt eine Reinfibulation stattfindet. Dies obliegt i.d.R. der Entscheidung der betroffenen Frau (LIFOS 16.4.2019, S. 40; vgl. CEDOCA 9.6.2016, S. 26). Die Gesellschaft hat kein Problem damit, wenn eine Deinfibulation nach einer Geburt bestehen bleibt, und es gibt üblicherweise keinen Druck, sich einer Reinfibulation zu unterziehen. Viele Frauen fragen aber offenbar von sich aus nach einer (manchmal nur teilweisen) Reinfibulation (CEDOCA 13.6.2016, S. 9f/26). Gemäß Angaben einer Quelle ist eine derartige - von der Frau verlangte - Reinfibulation in Somalia durchaus üblich. Manche Frauen unterziehen sich demnach mehrmals im Leben einer Reinfibulation (HEART/Crawford/Ali 2 2015, S. 73/75f). Nach anderen Angaben kann ein derartiges Neu-Vernähen der Infibulation im ländlichen Raum vorkommen, ist in Städten aber eher unüblich (FIS 5.10.2018, S. 29). Die Verbreitung variiert offenbar auch geographisch: Bei Studien an somalischen Frauen in Kenia haben sich 35 von 57 Frauen einer Reinfibulation unterzogen. Gemäß einer anderen Studie entscheiden sich in Puntland 95 % der Frauen nach einer Geburt gegen eine Reinfibulation (CEDOCA 9.6.2016, S. 13f). Insgesamt gibt es zur Reinfibulation keine Studien, die Prävalenz ist unbekannt. Eine Wissenschaftlerin, die sich seit Jahren mit FGM in Somalia auseinandersetzt, sieht keine Grundlage dafür, dass nach einer Geburt oder Scheidung systematisch eine Reinfibulation durchgeführt wird – weder in der Vergangenheit noch in der heutigen Zeit. Im somalischen Kontext wird demnach eine Infibulation durchgeführt, um die Jungfräulichkeit vor der Ehe zu „beweisen“. Dementsprechend macht es keinen Sinn, eine verheiratete Frau nach der Geburt zu reinfibulieren (Landinfo 14.9.2022, S. 12f).

Freilich kann es vorkommen, dass eine Frau – wenn sie z. B. physisch nicht in der Lage ist, eine Entscheidung zu treffen – auch gegen ihren Willen einer Reinfibulation unterzogen wird; die Entscheidung treffen in diesem Fall weibliche Verwandte oder die Hebamme. Es kann auch nicht völlig ausgeschlossen werden, dass Frauen durch Druck von Familie, Freunden oder dem Ehemann zu einer Reinfibulation gedrängt werden. Insgesamt hängt das Risiko einer Reinfibulation also zwar vom Lebensumfeld und der körperlichen Verfassung der Frau nach der Geburt ab, aber generell liegt die Entscheidung darüber bei ihr selbst. Sie kann sich nach der Geburt gegen eine Reinfibulation entscheiden. Es kommt in diesem Zusammenhang weder zu Zwang noch zu Gewalt. Keine der zahlreichen, von der schwedischen COI-Einheit LIFOS dazu befragten Quellen hat jemals davon gehört, dass eine deinfibulierte Rückkehrerin nach Somalia dort zwangsweise reinfibuliert worden wäre (LIFOS 16.4.2019, S. 41).

Grundversorgung/Wirtschaft

Einer Quelle des niederländischen Außenministeriums zufolge hängen die wirtschaftliche Überlebensfähigkeit alleinstehender Frauen und ihr wirtschaftlicher Handlungsspielraum von einigen wenigen individuellen Faktoren ab. Eine wichtige Rolle spielen die erweiterte Familie und der Clan bzw. Subclan. Über diese Netzwerke kann eine Frau z. B. Arbeit oder den Zugang zu finanziellen Ressourcen organisieren. Darüber hinaus zählt der Bildungsstand Betroffenen. Für Frauen mit einem höheren Bildungsniveau ist es einfacher, wirtschaftlich zu überleben. Die größte Herausforderung für Frauen am Arbeitsmarkt ist oft nicht die Tatsache, dass sie alleinstehend sind, sondern dass es ihnen an Bildung mangelt (MBZ 6.2023). Für eine weibliche Angehörige von Minderheiten, die weder Aussicht auf familiäre noch Clanunterstützung hat, stellt eine Rückkehr tatsächlich eine Bedrohung dar (ÖB Nairobi 10.2024).

Frauen wohnen laut IOM üblicherweise bis zur Eheschließung bei den Eltern. Dass sie ohne Ehemann oder die eigene Familie wohnen, ist unüblich. Trotzdem gibt es Frauen, die alleine wohnen, je nach finanzieller Ausstattung in Wellblechhäusern oder Appartements. Zusätzlich gibt es die Möglichkeit, dass mehrere alleinstehende Frauen zusammen eine Wohnung bewohnen (IOM 2.3.2023). Grundsätzlich braucht es zur Anmietung eines Objektes einen Bürgen, der vor Ort bekannt ist. Dies ist i.d.R. ein Mann. Sucht eine alleinstehende Frau eine Wohnung, wirft dies unter Umständen Fragen auf (FIS 7.8.2020a, S. 31f).

Medizinische Versorgung

Somaliland

Letzte Änderung 2025-01-16 14:11

Die medizinische Versorgung ist im gesamten Land äußerst mangelhaft (AA 23.8.2024), bzw. weist sie zahlreiche Schwächen auf. Sie hat sich im Laufe der letzten Jahre aber substanziell verbessert (ÖB Nairobi 10.2024; vgl. BS 2024). Insgesamt ist die Lage in Somaliland besser als in Süd-/Zentralsomalia. Die Fertilitätsrate liegt in Somaliland bei 5,7 Kindern pro Frau, der gesamtsomalische Durchschnitt beträgt 6,9. In Somaliland werden 40 % der Kinder unter medizinischer Begleitung geboren (institutional delivery), im somalischen Durchschnitt sind es nur 21 % (WB 6.2021, S. 26ff). Starben im Jahr 2016 noch 732 Mütter bei der Geburt eines Kindes, so waren es 2020 noch 396 (KGHP o.D.). 33 % der Kinder werden nunmehr in einer Gesundheitseinrichtung geboren. Die Lebenserwartung liegt für Frauen bei 52 Jahren, für Männer bei 49. Diese niedrigen Zahlen sind mitunter auf die hohe Kindersterblichkeit (91 von 1.000 Kindern unter fünf Jahren) zurückzuführen (MoHDSL 2022). Nach anderen Angaben liegt die Lebenserwartung für Männer bei 54 und für Frauen bei 57 Jahren (MoFASL 1.1.2021). 13 % der Kinder sind voll immunisiert (MoHDSL 2022). Der Staat gab 2023 ca. 5,5 % des Gesamtbudgets für den Gesundheitsbereich aus - das sind ca. 16,4 Millionen US-Dollar (MoFDSL o.D.a).

[…]

2. Beweiswürdigung:

2.1. Beweis wurde erhoben durch die persönliche Einvernahme der Beschwerdeführerin in der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht am 21.01.2025 und am 04.04.2025 sowie die Einvernahme des Kindsvaters des ungeborenen Kindes und die Einschau in das zentrale Fremdenregister, Strafregister, die Grundversorgungsdatenbank und das zentrale Melderegister (OZ 2). Weiters wurden der gesamte verwaltungsbehördliche Akt sowie die, mit der Ladung zur mündlichen Verhandlung in das Verfahren eingebrachten Länderinformationen: Länderinformation der Staatendokumentation, Somalia, Version 7, Fassung vom 16.01.2025, EUAA, Country Guidance: Somalia, August 2023, EUAA, Somalia: Security Situation, Februar 2023, Landinfo Bericht, 26.08.2024, Somalia: Ehe und Scheidung und Clans und Minderheiten, Focus Somalia, 31.5.2017 der Entscheidung zugrunde gelegt.

2.2. Zu den Feststellungen zur Person der Beschwerdeführerin:

Soweit in der gegenständlichen Entscheidung Feststellungen zum Namen und Geburtsdatum der Beschwerdeführerin getroffen wurden, beruhen diese auf den bisherigen Angaben der Beschwerdeführerin im Verfahren (EB, AS 3; EV, AS 48; 1. VHS, 8). Die Beschwerdeführerin gab an, ihr Geburtsdatum nicht genau zu kennen, sie denke aber, dass sie rund 30 Jahre alt sei (EV, AS 48; 1. VHS, 8f). Dem Geburtsdatum in Somalia kommt nur eine geringe praktische und kulturelle Bedeutung zu (vgl. dazu LIB [Version 6], 228), weshalb es glaubwürdig erscheint, dass sie ihr Geburtsdatum nicht genau wusste, sondern nur eine ungefähre Altersangabe machen konnte. Die sich daraus ergebende Identität ist lediglich eine Verfahrensidentität, da sie keine identitätsbezeugenden Dokumente vorgelegt hat.

Die somalische Staatsangehörigkeit und Religionszugehörigkeit waren aufgrund der gleichbleibenden Angaben sowie der Verwendung der somalischen Sprache im Verfahren festzustellen. Ihre Clanzugehörigkeit ergab sich aus ihren gleichbleibenden Angaben (EB, AS 4; EV, AS 49; 1. VHS, 17).

Die Feststellung zu ihrer Schulbildung war zu treffen, da die Beschwerdeführerin nicht glaubwürdig vorbrachte, überhaupt keine Bildung erhalten zu haben. Dies insbesondere, weil sie den Grund ihrer fehlenden Schulbildung in der Verhandlung widersprüchlich schilderte. Zunächst meinte sie, es fehlte das Geld für die Koranschule, um wenig später zu berichten, sie habe die Schule nicht besuchen dürfen, weil sie generell schlecht behandelt worden sei (1. VHS, 9). Es wird dabei nicht verkannt, dass sie bereits bei ihrer Erstbefragung behauptete, keine Schul- und Berufsausbildung erhalten zu haben und somalisch in Wort und Schrift nicht zu beherrschen (EB, AS 3), jedoch war dies nicht glaubwürdig. Auffällig war, dass sie eine Unterschrift mittels Schriftzug, bei dem auch ansatzweise Buchstaben erkennbar sind, leistete. Unter das Erstbefragungsprotokoll setzte sie diese unauffällige Unterschrift, ebenso unter das Verhandlungsprotokoll (EB AS 3ff; 1. VHS, 22; 2. VHS, 14). Das Einvernahmeprotokoll vor dem Bundesamt ebenso wie die Vollmachtseinräumung unterzeichnete sie jedoch nur mit zwei Querstrichen (EV, AS 47; AS 199). Warum sie nur die Querstriche setzte und nicht ihre offenkundig flüssige Unterschrift verwendete, ist nicht erklärbar, rechtfertigt aber keinesfalls die Annahme, sie wäre Analphabetin. Gegen diese Annahme spricht auch, dass die Beschwerdeführerin offenbar binnen weniger Monate (EB, AS 7) die Flucht über drei Kontinente bewältigen konnte. Es war daher festzustellen, dass die Beschwerdeführerin zumindest einen Grundstock an Bildung beim Besuch einer Koranschule erworben hat und auf Somalisch lesen und schreiben kann.

Der Herkunftsort der Beschwerdeführerin konnte nicht festgestellt werden, da ihre Angaben zu vage, widersprüchlich und nicht nachvollziehbar waren. So behauptete sie in der Erstbefragung, in Mogadischu geboren zu sein (AS 3), während sie in der Einvernahme vor dem Bundesamt, in der Beschwerde sowie in der mündlichen Verhandlung die Stadt XXXX , Region Middle Jubba, als Geburtstort angab. Außerdem behauptete sie, dort in XXXX gelebt zu haben (AS 48, 51; AS 178; 1. VHS, 17, 20). Ihre geographischen Kenntnisse zum behaupteten Herkunftsort waren jedoch äußerst begrenzt. Abgesehen von der pauschalen Aussage, dass XXXX die nächstgelegene größere Stadt sei und es einen Staudamm namens XXXX gebe (AS 51), vermochte sie keine weiteren konkreten oder überprüfbaren Informationen zu ihrem Herkunftsort zu liefern. Insbesondere konnte sie die Frage nach der ungefähren Einwohnerzahl von XXXX nicht beantworten und begründete dies mit ihrer mangelnden Lese-und Schreibfähigkeit („Ich kann das nicht zählen, ich kann ja nicht lesen und schreiben (EV, AS 51)“. Hinzu kommt, dass im Zuge einer Überprüfung mittels google maps sowie einer Internet-Schnellrecherche XXXX nicht als Stadtteil bzw. Teilgebiet von XXXX identifiziert werden konnte. Auf die Fragen der erkennenden Richterin in der mündlichen Verhandlung antwortete sie außerdem nur zögerlich und gab mehrmals an, nichts Konkretes zu wissen (1. VHS, 20f):

„R: Wo genau in XXXX haben Sie gelebt?

BF: In XXXX selbst. XXXX .

R: Was ist das? Ein Stadtteil, ein Viertel oder ein Ort in der Umgebung von XXXX ?

BF: Es ist ein Teil.

R: Können Sie mir eine Besonderheit oder ein besonderes Merkmal von XXXX nennen?

BF: Es ist mit Feldern bekannt.

R: Gibt es in XXXX einen Fluss?

BF: Einen Staudamm. Der Damm heißt Faanole. Nachgefragt: Ich war nicht außerhalb, soweit kenne ich mich aus. Ich war immer nur im Dorf.

R: Gab es dort einen Fluss?

BF: Nein.

R: Welche Clans haben dort die Mehrheit?

BF: Ich kann das nicht sagen. Ich kann sagen, dass Somalier dort leben. Ich kenne nur meinen Clan, sonst nichts.

R: Wie viele Clanangehörige von Ihnen lebten in XXXX ?

BF: Viele.

R: Wie viele Häuser gibt es denn in XXXX ?

BF: Es ist ein Dorf. Es gibt nicht viele, aber ich weiß nicht.

R: Wie lange gehen Sie, wenn Sie das Dorf von einem Ende zum anderen Ende durchqueren?

BF: Ich war nie von einem Ende zum anderen Ende unterwegs.

R: Wo liegt der Staudamm?

BF: Habe ich selbst nicht gesehen, aber man hat gesagt, dass es in der Nähe liegt.“

Die Beschwerdeführerin war nicht in der Lage, die Eckpunkte ihres Herkunftsortes zu beschreiben. Obwohl sie einen Staudamm in XXXX nannte, wusste sie nicht, dass der bedeutendste Wasserlauf (Juba) Somalias an der Stadt vorbeifließt. Da der Fluss in Somalia stets die Lebensader für die dortige Landwirtschaft ist, erscheint es ausgeschlossen, dass jemand, der aus XXXX stammt, nicht weiß, dass sich dieser bedeutende Fluss dort befindet. Warum sie von einem Staudammprojekt Kenntnis haben sollte, aber nicht weiß, dass es dort einen Fluss gibt, verstärkt die Zweifel, dass die Beschwerdeführerin tatsächlich dort gewohnt hat. Die Kenntnis eines Staudammes in der Nähe sollte erfahrungsgemäß mit der Kenntnis des dazugehörigen Flusses verknüpft sein. Auch ist es zumindest ungewöhnlich, als Somali nicht zu wissen, welcher Clan die Mehrheit im Heimatort hat, stellt die Clanzugehörigkeit in Somalia doch den bedeutendsten identitätsstiftenden Faktor dar (LI, Minderheiten und Clans). Die Angabe bei ihrer Erstbefragung, sie sei in Mogadischu geboren, stärkt die Annahme der erkennenden Richterin, dass die Beschwerdeführerin ihren wahren Herkunftsort verschleierte.

Es war glaubwürdig, dass die Beschwerdeführerin in einem Familienverband aufwuchs, da sie jedoch so wenig Informationen über ihre Herkunft und über die Todesumstände ihrer Eltern preisgab, war ihr Vorbringen, sie sei bei einer Tante und einem Onkel väterlicherseits aufgewachsen, nicht glaubwürdig. Vor dem Bundesamt brachte sie diesbezüglich lediglich vor, sie habe mit ihrem Onkel, dessen Frau und vier Kindern in einem Haushalt gelebt, da ihre Eltern bereits gestorben seien. Ihr Vater sei getötet worden, als ihre Mutter mit der Beschwerdeführerin schwanger gewesen sei, ihre Mutter sei eines natürlichen Todes gestorben, als sie zwei Jahre alt gewesen sei. Weitere Details dazu nannte sie keine (AS 51). Auf die Frage in der mündlichen Verhandlung, was sie über ihre Eltern wisse, gab sie oberflächlich an, dass sie nichts darüber berichten könne, da sie sie nicht gesehen habe. Ihr sei auch nicht erzählt worden, warum ihre Mutter gestorben sei (1. VHS, 17). Dies erscheint jedoch insofern unglaubwürdig, als die Beschwerdeführerin im Verfahren eine Nachbarin erwähnte, die ihr angeblich die Ausreise finanziert habe und die Freundin ihrer Mutter gewesen sei (EV, AS 55). Es ist einerseits nicht nachvollziehbar, dass sie diese Nachbarin noch immer als „Freundin“ der Mutter bezeichnete, obwohl diese bereits seit beinahe 30 Jahren verstorben sei. Außerdem hätte sie mit dieser Freundin über ihre verstorbene Mutter sprechen können, tat dies aber nicht, da ihren Angaben zufolge die Nachbarin ausschließlich das Detail, sie sei die Freundin der Mutter gewesen, sonst aber nichts, erzählt habe (1. VHS, 17). Es ist unwahrscheinlich, dass dieses Detail in keine größere Geschichte eingebettet wurde, die die Beschwerdeführerin zumindest in Ansätzen hätte wiedergeben können. Auf Vorhalt meinte sie nur: „Nein, so viel Zeit dazu haben wir nicht bekommen (1. VHS, 17)“. Glaubwürdig war hingegen, dass sie nicht alleine ihr Leben in Somalia verbrachte, sondern in einem Familienverband mit männlichen Familienangehörigen lebte.

Auch vor dem Hintergrund der Länderinformationen sind die Behauptungen der Beschwerdeführerin, sie hätte keine Verwandten, ausgenommen den Bruder des Vaters, bei dem sie aufgewachsen sei, nicht glaubwürdig (1. VHS, 17f). Die Fertilitätsrate liegt in Gesamtsomalia bei 6,9 Kindern pro Frau, was ein riesiges Verwandtschaftsnetz ausgehend von den beiden Großelternpaaren und deren eigenen Geschwistern, bedeuten würde (LIB, Medizinische Versorgung). Dass sowohl die Großeltern mütterlicherseits als auch väterlicherseits, bis auf ihre Eltern und einen Bruder des Vaters, keine Kinder gehabt hätten, erscheint bereits angesichts dieser Zahlen unwahrscheinlich. Die Verschleierung ihrer Familienverhältnisse ist auch aufgrund ihrer vagen Aussagen anzunehmen, denen trotz der Unbestimmtheit eine Widersprüchlichkeit anhaftet. Vor dem Bundesamt behauptete sie explizit, keine Familienangehörigen in Somalia zu haben, in dem sie auf Nachfrage angab, sie habe keine weiteren Onkel, Tanten, Cousins oder Cousinen (EV, AS 53). In der mündlichen Verhandlung schwächte sie diese Behauptung aber ab und gab an: „Ich habe keine Geschwister von der Mutter gesehen. Von Seiten meines Vaters habe ich nur diesen Onkel gesehen (VHS 1, 17f).“ Aufgrund der hohen Bedeutung des familiären Netzwerkes in Somalia ist es nicht glaubwürdig, seine Familienangehörigen „nicht zu sehen“. Weiters behauptete sie in der mündlichen Verhandlung, was sie über ihre Eltern wisse: „Ich kann nichts darüber berichten. Ich habe sie nicht gesehen.“ (VHS 1, 17), vor dem Bundesamt wusste sie noch, dass ihr Vater eines gewaltsamen Todes gestorben sei (EV, AS 53).

Die Feststellungen, dass die Beschwerdeführerin in Somalia nicht verheiratet war und keine Kinder hat, ergeben sich aus der fehlenden Glaubwürdigkeit ihres Fluchtvorbringens (siehe 2.4.) und ihren gleichbleibenden Angaben, sie sei bisher kinderlos geblieben (EV, AS 52).

Die Feststellung zu ihrer erlittenen Beschneidung und ihrem Gesundheitszustand war angesichts einer Inzidenz von annähernd 100 % (LI, Relevante Bevölkerungsgruppen) sowie aufgrund ihrer Angaben im Verfahren und dem vorgelegten fachärztlichen Befundbericht (Beilage./1) zu treffen. Die bestehende Schwangerschaft steht aufgrund des vorgelegten Mutter-Kind-Passes fest (Kopien als Beilage./1 zur 2. VHS). Die Beschwerdeführerin gab an, dass es ihr gut gehe (1. VHS, 6), chronische oder akute Krankheiten oder eine regelmäßige Medikamenteneinnahme wurden nicht vorgebracht.

Die Feststellungen zum Vater des ungeborenen Kindes ergeben sich aus der mündlichen Verkündung des Erkenntnisses des BVwG vom 08.11.2024 über seinen Antrag auf internationalen Schutz in Österreich ( XXXX ). Die Beziehung mit dem Vater des ungeborenen Kindes sowie die Feststellung, dass sie nicht in einer Wohngemeinschaft leben und nicht verheiratet sind, brachten die Beschwerdeführerin und der Vater, der als Zeuge in der fortgesetzten Verhandlung einvernommen wurde, glaubwürdig vor (1. VHS, 6f; 2. VHS 7, 12). Die Feststellung, dass der Vater des Kindes mit einer somalischen Staatsangehörigen verheiratet ist, ergibt sich aus seinen Angaben in der mündlichen Verhandlung vom 08.11.2024 ( XXXX ) sowie aus der fortgesetzten mündlichen Verhandlung vom 04.04.2025 (2. VHS, 12f). Dass die Beschwerdeführerin und der Kindsvater derzeit nicht planen, zu heiraten, ergibt sich aus deren eigenen und gleichlautenden Angaben (1. VHS, 7; 2. VHS, 7f, 13) und stünde einer Heirat in Österreich zum derzeitigen Zeitpunkt ohnedies die aufrechte Ehe des Kindsvaters entgegen.

Die Unbescholtenheit der Beschwerdeführerin steht aufgrund der Einsichtnahme in das Strafregister der Republik Österreich (Auszug vom 01.03.2024, OZ 2), der derzeitige fremdenrechtliche Status der Beschwerdeführerin steht aufgrund der Einsichtnahme in das Fremdenregister fest (OZ 2) und ergibt sich aus den Spruchpunkten II. und III. des angefochtenen Bescheides (AS 63).

Die Feststellungen zur Ausreise und dem Fluchtweg ergeben sich aufgrund ihrer gleichbleibenden Angaben. Dass die Ausreise von ihrer Nachbarin finanziert wurde, zu der sie de facto kaum Kontakt hatte (1. VHS, 17), erweist sich als nicht nachvollziehbar. Es ist lebensfremd, dass man jemanden, den man kaum kennt, 1.500 US-Dollar als Fluchthilfe überweist (EV, AS 56). Die Vermutung der Beschwerdeführerin, es sei aus „Gnade und Barmherzigkeit“ erfolgt, erscheint insbesondere vor dem Hintergrund, dass die Geldgeberin selbst Kinder zu versorgen hatte, lebensfremd (1. VHS, 18). Abgesehen davon ist es nicht nachvollziehbar, warum sich jemand durch diese Fluchthilfe in die Ehe einer anderen Person einmischen sollte und damit sich selbst und seine Familie in Gefahr bringen könnte.

Die Beschwerdeführerin vermittelte im Kontext ihrer Befragung insgesamt den Eindruck, möglichst wenig Informationen preisgeben und ihre wahren Verhältnisse zu verschleiern zu wollen.

2.4. Zu den Feststellungen zum Fluchtvorbringen der Beschwerdeführerin:

2.4.1. Die Feststellungen zu den Gründen für das Verlassen ihres Herkunftsstaates und ihrer Situation im Fall der Rückkehr beruhen auf den Angaben der Beschwerdeführerin bei ihrer Erstbefragung, der niederschriftlichen Einvernahme vor dem Bundesamt, den Ausführungen in der Beschwerde und der Stellungnahme und den Angaben im Zuge der mündlichen Beschwerdeverhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht sowie den einschlägigen Länderberichten.

2.4.2. Die Beschwerdeführerin war nicht in der Lage, ihr Fluchtvorbringen hinsichtlich der Zwangsverheiratung und Vergewaltigung glaubhaft darzulegen. Dies aus folgenden Gründen:

Zunächst fällt auf, dass die Beschwerdeführerin in der Erstbefragung die Vergewaltigung mit keinem Wort erwähnte und erstmals vor dem Bundesamt vorbrachte (AS 53), obwohl es sich bei diesem Umstand um einen zentralen Fluchtgrund handelte. Sie behauptete lediglich, ihr Onkel habe sie gezwungen, einen deutlich älteren Mann zu heiraten, nach ca. sieben Monaten habe sie beschlossen, Somalia zu verlassen (AS 8). Es wäre jedoch zu erwarten, dass sie dies bereits in der Erstbefragung zumindest thematisiert. Diese Erwägungen ergeben sich schon deshalb, da Asylwerber eingangs der Erstbefragung stets darüber informiert werden, dass ihre Angaben eine wesentliche Grundlage für die Entscheidung des Bundesamtes sind und keine Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass eine solche Belehrung im Falle der Beschwerdeführerin in casu nicht stattgefunden hat (EB, AS 4f).

Zudem war ihr Fluchtvorbringen insgesamt vage und oberflächlich. So war die Beschwerdeführerin weder in der Lage, das Datum der Eheschließung noch die Person(en) zu benennen, durch welche die Eheschließung vollzogen worden sei. Sie äußerte hierzu lediglich: „Ich weiß nicht, ich kenne mich mit dem Datum nicht aus. […] Das war voriges Jahr. […] Ich weiß es nicht, wer das gemacht hat. Mir wurde nur mitgeteilt, dass ich bereits mit diesem Mann verheiratet wurde (EV, AS 49)“. Auch konnte sie nicht angeben, wer bei der Eheschließung anwesend gewesen sei: „Ich weiß es nicht. Diese Leute haben mich verheiratet (EV, AS 49)“. Diese Aussage steht jedoch im Widerspruch zu ihrer früheren Angabe, wonach sie traditionell verheiratet worden sei und die Ehe nicht registriert worden sei (EV, AS 49) – was sie allerdings nicht wissen kann, wenn sie nach eigener Aussage bei der Eheschließung gar nicht anwesend gewesen sei sowie gleichzeitig angab, lediglich über die Eheschließung (und nicht etwa über die Zeremonie) informiert worden zu sein (EV, AS 49; AS 189). Weiterführende Fragen beantwortete sie nur ausweichend bzw. mit knappen, wenig konkreten Angaben. Als sie gefragt wurde, was ihr konkret von Onkel und Tante mitgeteilt worden sei, antwortete sie: „Sie sagten mir, dass sie mich mit diesem Mann verheiratet haben (EV, AS 50)“, ohne darüberhinausgehende Informationen zu nennen. Befragt dazu, wann sie ihren Ehemann erstmals gesehen habe, erklärte sie, dies sei am Abend der Eheschließung gewesen. Auf die Frage nach dem Ort des ersten Zusammentreffens wich sie aus, indem sie angab, von ihrem Ehemann und ihrer Tante zu seinem Haus gebracht worden zu sein. Auf die erneute Nachfrage bestätigte sie lediglich, den Mann nie zuvor gesehen zu haben und unmittelbar nach der Eheschließung mit ihm in einem Haushalt gelebt zu haben. Hinsichtlich der Entfernung zwischen ihrem damaligen Wohnort und dem des Ehemannes äußerte sie sich erneut nur vage: „Nicht weit voneinander entfernt. […] Ich weiß es nicht. Von hier zu den Häusern, die man jetzt gerade sieht. Es ist sehr nahe (EV, AS 50)“. Angesichts ihrer eigenen Aussage, sie habe etwa zwei Monate mit ihrem Ehemann zusammengelebt (AS 51), ist es nicht nachvollziehbar, dass sie diesbezüglich keine genaueren Angaben machen konnte.

Auch schilderte sie ihre Fluchtgeschichte im Rahmen der freien Erzählung vor dem Bundesamt inhaltlich sehr oberflächlich, ohne nennenswerte Konkretisierungen. Erstmals äußerte sie dort, vom Sohn ihrer Tante vergewaltigt worden zu sein, ohne von sich aus inhaltliche Details zu nennen. Auf Nachfrage schilderte sie den Vorfall wie folgt: „Ich war zu Hause, ich habe immer den Haushalt gemacht. Eines Tages ist er nach Hause zurückgekommen. Ich war alleine. Er ist dann zu mir in die Küche gekommen und verlangte von mir das Mittagessen. Ich habe das Essen für ihn auf den Teller gegeben und auf das Zimmer gebracht. Er hat gegessen. Er hat mich dann gerufen und verlangte, dass ich das Geschirr wegräumen soll. Ich habe das gemacht und er verlangte von mir, Wasser zu ihm zu bringen. Ich habe ihm das Wasser gebracht. Er hat die Tür verriegelt, dann hat er mich vergewaltigt. So ist das passiert (EV, AS 53)“. Vor dem Hintergrund, dass es sich hierbei um ein schwerwiegendes, traumatisches Erlebnis gehandelt habe, wäre zu erwarten gewesen, dass der Beschwerdeführerin insbesondere prägnante Einzelheiten im Gedächtnis geblieben wären und sie in der Lage gewesen wäre, diese auch auf Nachfrage darzulegen. Zudem konnte sie ihren Cousin lediglich vage beschreiben (groß, dunkelbraun) und nannte dessen Namen erst auf Nachfrage (EV, AS 53f). Auch dies erscheint wenig glaubhaft, zumal sie selbst angegeben hat, seit dem zweiten Lebensjahr im Haushalt ihres Onkels und damit auch im gemeinsamen Haushalt mit dem Cousin gelebt zu haben (EV, AS 51).

Auch ihre weiteren Angaben blieben vage. Auf die Frage, ob sie den Abend schildern könne, an dem sie von ihrem Ehemann mitgenommen worden sei, erklärte sie lediglich: „Nach der Verehelichung ist die Tante mitgekommen. Wir sind zu dritt gegangen. Wir sind zu Fuß zu ihm nach Hause gegangen (EV, AS 54)“. Auf die anschließende Frage, wie das Haus ausgesehen habe, gab sie an: „[…] Es gab zwei Matratzen. […] Zwei Zimmer, es war eine Wellblechhütte. Es gab zwei Töpfe und vier Teller. Und es gab ein Wassergefäß. Das war alles (EV, AS 54)“. Auch die Beschreibung des Ehemannes blieb sehr allgemein: „Er war groß, schwarz, grauhaarig.“ Auf Nachfrage, was sie noch über den Mann wisse, fügte sie lediglich hinzu: „Das war’s.“ Mehr wisse sie nicht (EV, AS 54). Schließlich ist auch ihre Aussage, dass ihr Mann während der gesamten Zeit der Ehe keine Unterhaltung mit ihr geführt habe (AS 55), als lebensfremd zu bewerten und daher wenig glaubhaft, zumal sie auch über kein inneres Erleben der angeblichen Schweigsamkeit des Ehemannes erzählte.

Ebenso erwiesen sich die diesbezüglichen Schilderungen der Beschwerdeführerin in der mündlichen Verhandlung als auffallend oberflächlich und detailarm. Sie erklärte, sie sei von der Familie ihres Onkels „misshandelt, geschlagen und bedroht“ worden, und es sei „oft die Grenze überschritten“ worden. Zudem beschränkte sie sich auch in diesem Zusammenhang auf die pauschale Behauptung, vergewaltigt worden zu sein, ohne nähere Umstände oder konkrete Einzelheiten zu benennen. Auf die Frage nach ihrem üblichen Tagesablauf vor der behaupteten Zwangsverheiratung erklärte sie lediglich, sie sei morgens aufgewacht, habe Brot gebacken und die Wellblechhütte geputzt. Anschließend habe sie das Mittagessen zubereitet und bis zum Abend den gesamten Haushalt erledigt (1. VHS, 10 f). Befragt, was ihr hinsichtlich der angeblichen Misshandlungen und Bedrohungen in Erinnerung geblieben sei, antwortete sie lediglich: „Ich wurde geschlagen, weil sie nicht meine Eltern sind. Ich möchte mich nicht daran erinnern.“ Nach ausdrücklicher Aufforderung der Richterin, ihre Erlebnisse so gut wie möglich zu schildern, äußerte sie: „Am schlimmsten war der Tag, an dem ich vergewaltigt wurde. Danach wurde ich geschlagen. Das geht nicht aus meinem Kopf weg.“ Erst nach erneuter Nachfrage zu früheren Misshandlungen führte sie aus: „Am meisten hat die Frau des Onkels mich geschlagen. Ihr Sohn hat mich auch oft geschlagen. Die Mädchen aber nicht.“ Die Formulierung, es sei „die Grenze überschritten“ worden, erklärte sie dahingehend, dass sie von der Ehefrau ihres Onkels wiederholt geschlagen worden sei. Auf die Frage, weshalb ihr Cousin sie vergewaltigt habe, vermochte sie keine Antwort zu geben; sie wisse es nicht, er habe es „einfach gemacht“ und sie geschlagen, ohne dies zuvor angekündigt zu haben (1. VHS, 11). Nach Aufforderung, die behauptete Vergewaltigung im Detail zu schildern, antwortete sie nur oberflächlich: „Das ist alles, woran ich mich erinnern kann. […] Die Vergewaltigung war am schlimmsten. […] Es wurde nichts gesprochen. Er hat die Tür zugesperrt. Er hat auf mich nicht gehört und hat weitergemacht. Ich hatte Angst. […] Aus Angst habe ich nichts gesagt und wenn ich geschrien hätte, dann hätte er mich geschlagen. […] Er hat die Tür aufgemacht und ich habe das Zimmer verlassen (1. VHS, 12)“. Erstmals erwähnte sie in diesem Zusammenhang, nach der behaupteten Tat geblutet zu haben. Gleichzeitig gab sie an, ihre Tante habe ihr dies nicht geglaubt – eine Angabe, die angesichts der angeblich sichtbaren Verletzungen kaum nachvollziehbar erscheint (1. VHS, 12 f). Auch hinsichtlich ihres Lebens in der angeblichen Zwangsehe blieb sie vage. Der Ehemann habe sie mit einem Stock geschlagen und sie mit den Füßen getreten. Bezüglich der Person des Ehemannes konnte sie lediglich angeben, dass sie sich nicht für sein Leben interessiert habe, er sei Händler gewesen, groß, dunkelhäutig und grauhaarig (1. VHS, 14). Insgesamt wirkte das Vorbringen vage und emotionslos. Die Darstellung blieb in hohem Maße abstrakt und ließ es an konkreten Details, persönlichen Eindrücken, der Beschreibung von Interaktionen sowie ungewöhnlichen oder spezifischen Merkmalen der geschilderten Abläufe fehlen. Die Beschwerdeführerin vermittelte durch ihre knappen und wenig anschaulichen Ausführungen den Eindruck, dass sie eine Situation schilderte, die sie selbst nicht erlebt hatte. Es gelang ihr nicht, auch nur eine Situation von Gewalt oder Misshandlung in einer lebensnahen, nachvollziehbaren Weise zu schildern. Ihre Angaben blieben durchwegs allgemein, was erhebliche Zweifel an ihrer Glaubwürdigkeit begründete.

Abgesehen davon war das Vorbringen der Beschwerdeführerin auch aufgrund erheblicher Widersprüche in zentralen Aspekten nicht glaubhaft. So erklärte sie in ihrer Erstbefragung, sie habe sich nach etwa sieben Monaten zur Flucht aus Somalia entschlossen, da sie nicht länger mit ihrem Ehemann habe zusammenleben wollen (AS 8). Demgegenüber behauptete sie sowohl vor dem Bundesamt als auch in der mündlichen Verhandlung, lediglich zwei Monate mit diesem Mann zusammengelebt zu haben (EV, AS 54; 1. VHS, 15). Darüber hinaus wichen ihre Angaben vor dem Bundesamt und dem Bundesverwaltungsgericht in wesentlichen Punkten voneinander ab. Vor dem Bundesamt schilderte sie, ihr Cousin habe zunächst Wasser verlangt, das sie ihm gebracht habe, woraufhin er die Tür versperrt und sie vergewaltigt habe (EV, AS 54). In der mündlichen Verhandlung hätte er sie gleich, nachdem er ihr befohlen habe, das Geschirr wegzuräumen, vergewaltigt (1. VHS, 10). Das zuvor geschilderte Detail des Wasserholens wurde dabei gänzlich ausgelassen – ein Umstand, der umso mehr ins Gewicht fällt, als dieses Detail in der früheren Aussage den Eindruck erweckte, sie könne sich an den Ablauf der Ereignisse genau erinnern. Zusätzlich behauptete die Beschwerdeführerin in der Beschwerde, sie sei wenige Monate nach der Vergewaltigung zwangsverheiratet worden (AS 178), während sie in der mündlichen Verhandlung angab, dies sei bereits etwa einen Monat nach dem Vorfall geschehen (1. VHS, 13). Einen weiteren Widerspruch stellt ihre Angabe hinsichtlich der familiären Verhältnisse dar. Während sie sowohl vor dem Bundesamt als auch in der mündlichen Verhandlung ausführte, ihr Onkel habe drei Töchter und einen Sohn (AS 53; 1. VHS, 10), erklärte sie in der Beschwerde, sie habe – anders als ihre Cousinen und Cousins – keine Schule besuchen dürfen (AS 178). Darüber hinaus gab sie in der mündlichen Verhandlung an, zum Zeitpunkt des Übergriffs allein mit einem Cousin im Haus gewesen zu sein (1. VHS, 9), was mit der zuvor geschilderten Angabe, er habe lediglich einen Sohn gehabt, nicht im Einklang steht. Ein weiterer inhaltlicher Widerspruch ergibt sich aus ihrer freien Erzählung in der mündlichen Verhandlung: Dort führte sie aus, ihr Ehemann habe ihr wiederholt vorgeworfen, keine Jungfrau mehr zu sein, was nahelege, dass er von der Vergewaltigung gewusst habe (1. VHS, 10). Kurz darauf erklärte sie jedoch, ihm sei dieser Umstand nicht mitgeteilt worden (1. VHS, 13). Auch diese widersprüchlichen Angaben lassen erhebliche Zweifel an der Glaubwürdigkeit der Beschwerdeführerin aufkommen.

Nicht zuletzt waren ihre Schilderungen hinsichtlich ihrer Flucht aus der Hütte ihres Ehemann unplausibel und in sich widersprüchlich. Vor dem Bundesamt gab sie diesbezüglich an, ihr Ehemann habe eines Abends einen Anruf erhalten, sei daraufhin laut schreiend aus dem Haus gelaufen und habe dabei die Tür offengelassen. Diese Gelegenheit habe sie genutzt, um aus der Hütte zu fliehen. Anschließend sei sie zur Nachbarin gegangen, die ihr mitgeteilt habe, dass ein Sohn ihres Ehemanns einen Unfall erlitten habe. Diese Nachbarin habe ihr schließlich geholfen, noch am selben Abend mit einem Gemüsetransporter nach Mogadischu zu gelangen (AS 55 f). In der mündlichen Verhandlung erklärte sie hingegen, ihre Nachbarin sei an jenem Abend zu ihr in die Hütte gekommen und habe die Beschwerdeführerin zu sich nach Hause mitgenommen (1. VHS, 10, 15). Abgesehen davon, dass es nicht nachvollziehbar erscheint, dass sie ein derart prägendes Ereignis in wesentlichen Punkten unterschiedlich darstellt, ist es zudem nicht nachvollziehbar, wie die Nachbarin von dem Unfall erfahren habe; die Beschwerdeführerin behauptete, dass sie dies nicht wisse (1. VHS, 15), was jedoch nicht plausibel erscheint.

Der Vollständigkeit halber sei darauf hinzuweisen, dass das Vorbringen der Beschwerdeführerin auch mit den Länderberichten nicht in Einklang zu bringen ist. Diesen zufolge ist die Ehe in Somalia extrem wichtig und es ist in der somalischen Gesellschaft geradezu undenkbar, dass eine junge Person unverheiratet bleibt. Zudem ist die Kinderehe weit verbreitet und werden Mädchen oft bereits zwischen zehn und sechzehn Jahren verheiratet, wobei die Eheschließung von den Eltern schon sehr früh vereinbart wird. Die Praxis der Frühverheiratung ist in Somalia nach wie vor weit verbreitet, nomadische und ländliche Mädchen sind besonders betroffen. Mädchen werden in der Regel in jungen Jahren verheiratet, weil die Familien soziale und wirtschaftliche Sicherheit gewährleisten müssen. Der Umstand, dass die Beschwerdeführerin zu jenem Zeitpunkt, zu dem sie zwangsverheiratet worden sei (2022/2023), fast dreißig Jahre Jahre alt gewesen ist, erscheint daher auch vor dem Hintergrund der vorliegenden Länderberichte nicht glaubhaft. Auch ist ihre Behauptung, sie habe sich nicht scheiden lassen können (1. VHS, 16), vor dem Hintergrund der Länderinformationen nicht glaubhaft, da die Scheidung in Somalia erlaubt und die Scheidungsrate hoch ist und die Frau das Recht hat, den Mann aus dem gemeinsamen Haushalt zu verstoßen. Bezüglich einer Scheidung gibt es kein Stigma (LI, Relevante Bevölkerungsgruppen).

Es war daher festzustellen, dass die Beschwerdeführerin in Somalia nicht vergewaltigt und anschließend zwangsverheiratet wurde.

2.4.3. Durch die Schwangerschaft der Beschwerdeführerin, weil das Kind unehelich geboren werden wird und sie mit dem Vater auch in nächster Zeit nicht konkret plant, zu heiraten, hat sich jedoch zwischenzeitlich die Sachlage insofern geändert, als die Beschwerdeführerin im Falle einer Rückkehr nunmehr als Mutter eines unehelichen Kindes nach Somalia zurückkehren würde. Die Schwangerschaft steht – wie zuvor ausgeführt – unzweifelhaft fest und ist sie im Fall ihrer Rückkehr mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit Verfolgung wegen ihres unehelichen Kindes ausgesetzt. Wie sich aus den Länderinformationen ergibt, wird die Geburt eines unehelichen Kindes in Somalia als Schande für die ganze Familie der Frau erachtet. Mutter und Kind werden stigmatisiert und im schlimmsten Fall von der Familie verstoßen. Außer- oder vorehelicher Geschlechtsverkehr stellt eine Straftat dar (LI, Relevante Bevölkerungsgruppen). Es besteht daher eine maßgebliche Wahrscheinlichkeit, dass die Beschwerdeführerin mit ihrem Kind von ihrer Familie verstoßen wird. Sowohl für die Familie als auch für die, die Beschwerdeführerin umgebende Gesellschaft wäre leicht erkennbar, dass das Kind unehelich geboren wurde, da die Beschwerdeführerin als alleinstehende Frau zurückkehren würde. In ihrem Fall kann sie daher auch nicht auf eine Unterstützung durch das Netzwerk ihres Clans der Sheikhal hoffen, da uneheliche Kinder gesellschaftlich nicht akzeptiert sind.

Die aufgrund der persönlichen Umstände bestehende, reale Gefahr, dass die Beschwerdeführerin und ihr (im Entscheidungszeitpunkt noch nicht geborenes) Kind im Herkunftsstaat mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit Opfer geschlechtsspezifischer Gewalt werden, wird auch durch die vorliegenden Länderberichte objektiviert: Auch wenn Gewalt gegen Frauen gesetzlich verboten ist, bleiben häusliche und sexuelle Gewalt gegen Frauen ein großes Problem, vor allem sexuelle und geschlechtsspezifische Gewalt, von der insbesondere IDPs betroffen sind. Das Problem im Kampf gegen sexuelle Gewalt liegt insgesamt nicht am Mangel an Gesetzen – sei es im formellen Recht oder in islamischen Vorschriften. Woran es mangelt, ist der politische Wille der Bundesregierung und der Bundesstaaten, bestehendes Recht umzusetzen und Täter zu bestrafen. Fälle sexueller und geschlechtsspezifischer Gewalt werden häufig als Kavaliersdelikte abgetan, eine Verurteilung der Täter mithilfe von Bestechung oder Kompensationszahlungen verhindert. Hinsichtlich einer Strafverfolgung von Vergewaltigern gibt es keine Fortschritte und kann nicht von staatlichem Schutz ausgegangen werden (LI, Relevante Bevölkerungsgruppen). EUAA berichtet, dass der Schutz für somalische Frauen nicht nur mit ihrem Ehemann, sondern auch mit ihrem Vater, dem (erweiterten) Familiennetzwerk und dem Clan verbunden ist. In der somalischen Gesellschaft wird es als gegen die Kultur und gegen die Religion angesehen, dass eine Frau alleine lebt und stellt sich die Sicherheitslage für alleinstehende Frauen ohne Clannetzwerk besonders schlimm dar. Das Risiko unbegleiteter Frauen, Opfer sexueller Gewalt zu werden, ist vergleichsweise höher, ebenso für jene Frauen, die in IDP-Lagern leben (EUAA, Country Guidance, August 2023, S 132).

Diejenigen, die gegen die traditionellen sozialen Normen verstoßen, können nicht auf die Hilfe oder den Schutz der Familie oder anderer Clanmitglieder zählen. Eine Frau kann aus der Familie ausgeschlossen werden und ohne andere wohlwollende Verwandte oder Bekannte wird ihre Existenz sehr schwierig sein. Besonders schwierig haben es ungebildete Frauen aus ländlichen Gebieten. Diese werden anfällig für Missbrauch und Ausbeutung (Landinfo, 9f).

Die Beschwerdeführerin ist nicht verheiratet und erwartet die Geburt eines Kindes. Selbst wenn die Beschwerdeführer sich für die Ausreise auf ein tragfähiges familiäres Netz stützen konnte, ist dieses im Fall ihrer hypothetischen Rückkehr mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit nicht bereit, aufgrund ihres uneheliches Kindes, das der Nachweis für außerehelichen Geschlechtsverkehr darstellt, sie wiederaufzunehmen und zu unterstützten. Sie müsste daher mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit in einem IDP-Lager unterkommen, wo die Gefahr für alleinstehende Frauen, Opfer der bereits dargestellten geschlechtsspezifischen Gewalt zu werden, erheblich ist. Hinzu kommt, dass sich die Beschwerdeführerin als alleinstehende Frau mit einem unehelichen Kind auch nicht auf die Unterstützung und den Schutz durch das Clannetzwerk verlassen kann. Die Beschwerdeführerin wäre im Falle einer Rückkehr sohin schutzlos, da sie in Somalia eine alleinstehende Frau mit einem unehelich geborenen Kind und ohne männliche Bezugsperson ist.

Dass der Beschwerdeführerin im Fall ihrer Rückkehr keine weitere Genitalverstümmelung (Reinfibulation) droht, beruht auf den festgestellten Länderinformationen, wonach die diesbezügliche Entscheidung in der Regel der betroffenen Frau obliegt. Die Gesellschaft hat kein Problem damit, wenn eine Deinfibulation nach einer Geburt bestehen bleibt und gibt es üblicherweise keinen Druck, sich einer Reinfibulation zu unterziehen. Insgesamt hängt das Risiko einer Reinfibulation zwar vom Lebensumfeld und der körperlichen Verfassung der Frau nach der Geburt ab, aber generell liegt die Entscheidung darüber bei ihr selbst. Sie kann sich nach der Geburt gegen eine Reinfibulation entscheiden. Es kommt in diesem Zusammenhang weder zu Zwang noch zu Gewalt. Keine der zahlreichen, dazu befragten Quellen hat jemals davon gehört, dass eine deinfibulierte Rückkehrerin nach Somalia dort zwangsweise reinfibuliert worden wäre (LI, Relevante Bevölkerungsgruppen). Aus der in der mündlichen Verhandlung geäußerten ablehnenden Haltung gegenüber Genitalverstümmelungen ergibt sich, dass im Falle einer Rückkehr nicht davon auszugehen ist, dass sie sich einer weiteren Reinfibulation unterziehen würde (1. VHS, 8). Vor diesem Hintergrund droht der Beschwerdeführerin im Entscheidungszeitpunkt keine weitere Genitalverstümmelung gegen ihren Willen.

Weitere Anhaltspunkte für eine aktuelle, individuelle und konkrete Verfolgung der Beschwerdeführerin aus anderen Konventionsgründen sind im Verfahren nicht hervorgekommen.

2.5. Zur Lage im Herkunftsstaat:

Die Feststellungen zur im vorliegenden Zusammenhang maßgeblichen Situation in Somalia stützen sich auf das Länderinformationsblatt der Staatendokumentation zu Somalia in der Fassung vom 16.01.2025 und vom 08.01.2024, die EUAA, Country Guidance: Somalia, August 2023, EUAA, Somalia: Security Situation, Februar 2023 und den Bericht des Schweizer Staatssekretariats für Migration, Focus Somalia, Clans und Minderheiten, 31.5.2017.

Da die aktuellen Länderberichte auf einer Vielzahl verschiedener, voneinander unabhängiger Quellen von regierungsoffiziellen und nicht-regierungsoffiziellen Stellen beruhen und dennoch ein in den Kernaussagen übereinstimmendes Gesamtbild ohne wesentliche Widersprüche darbieten, besteht im vorliegenden Fall für das Bundesverwaltungsgericht kein Anlass, an der Richtigkeit der getroffenen Länderfeststellungen zu zweifeln.

Der Beschwerdeführerin wurde in der Ladung bzw. in der mündlichen Verhandlung Gelegenheit zur Stellungnahme zu den in das Verfahren eingebrachten Länderberichten eingeräumt. Mit Schreiben vom 16.01.2025 wurde eine solche Stellungnahme eingebracht.

3. Rechtliche Beurteilung

Zu Spruchpunkt A):

3.1. Gemäß § 3 Abs. 1 Asylgesetz 2005 (AsylG) ist einem Fremden, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft ist, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung iSd Art. 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention droht (vgl. auch die Verfolgungsdefinition in § 2 Abs. 1 Z 11 AsylG, die auf Art. 9 der Statusrichtlinie verweist). Die Verfolgung kann auch auf Ereignissen beruhen, die eingetreten sind, nachdem der Fremde seinen Herkunftsstaat verlassen hat (objektive Nachfluchtgründe) (§ 3 Abs. 2 AsylG 2005).

Flüchtling im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention ist, wer sich aus der begründeten Furcht vor Verfolgung wegen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Überzeugung, außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen; oder der staatenlos ist, sich außerhalb des Landes seines gewöhnlichen Aufenthaltes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, in dieses Land zurückzukehren.

Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist zentraler Aspekt der in Art. 1 Abschnitt A Z 2 der Genfer Flüchtlingskonvention definierten Verfolgung im Herkunftsstaat die wohlbegründete Furcht davor. Eine Furcht kann nur dann wohlbegründet sein, wenn sie im Licht der speziellen Situation des Asylwerbers unter Berücksichtigung der Verhältnisse im Verfolgerstaat objektiv nachvollziehbar ist. Es kommt nicht darauf an, ob sich eine bestimmte Person in einer konkreten Situation tatsächlich fürchtet, sondern ob sich eine mit Vernunft begabte Person in dieser Situation aus Konventionsgründen fürchten würde. Unter Verfolgung ist ein ungerechtfertigter Eingriff von erheblicher Intensität in die zu schützende persönliche Sphäre des Einzelnen zu verstehen. Erhebliche Intensität liegt vor, wenn der Eingriff geeignet ist, die Unzumutbarkeit der Inanspruchnahme des Schutzes des Heimatstaates zu begründen. Die Verfolgungsgefahr steht mit der wohlbegründeten Furcht in engstem Zusammenhang und ist Bezugspunkt der wohlbegründeten Furcht. Eine Verfolgungsgefahr ist dann anzunehmen, wenn eine Verfolgung mit einer maßgeblichen Wahrscheinlichkeit droht; die entfernte Möglichkeit einer Verfolgung genügt nicht (vgl. etwa VwGH 14.07.2021, Ra 2021/14/0066, mwN).

Nicht jede diskriminierende Maßnahme gegen eine Person ist als „Verfolgung“ im Sinn des Art. 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention anzusehen, sondern nur solche, die in ihrer Gesamtheit zu einer schwerwiegenden Verletzung grundlegender Menschenrechte der Betroffenen führen (vgl. Art. 9 Abs. 1 der Statusrichtlinie). Ob dies der Fall ist, haben die Asylbehörde bzw. das BVwG im Einzelfall zu prüfen und in einer die nachprüfende Kontrolle ermöglichenden Begründung darzulegen (vgl. VwGH 16.12.2021, Ra 2021/18/0387, mwN).

Das Asylverfahren bietet nur beschränkte Möglichkeiten, Sachverhalte, die sich im Herkunftsstaat des Asylwerbers ereignet haben sollen, vor Ort zu verifizieren. Hat der Asylwerber keine anderen Beweismittel, so bleibt ihm lediglich seine Aussage gegenüber den Asylbehörden, um das Schutzbegehren zu rechtfertigen. Dabei hat der Asylwerber im Rahmen seiner Mitwirkungspflicht nach § 15 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005 alle zur Begründung des Antrags auf internationalen Schutz erforderlichen Anhaltspunkte über Nachfrage wahrheitsgemäß darzulegen. Das Vorbringen des Asylwerbers muss, um eine maßgebliche Wahrscheinlichkeit und nicht nur eine entfernte Möglichkeit einer Verfolgung glaubhaft zu machen, eine entsprechende Konkretisierung aufweisen. Die Feststellung allgemeiner Umstände im Herkunftsstaat kann die Glaubhaftmachung der Gefahr einer konkreten, individuell gegen den Asylwerber gerichteten Verfolgung nicht ersetzen (vgl. VwGH 02.09.2019, Ro 2019/01/0009; 29.03.2023, Ra 2023/14/0067, jeweils mwN).

Eine Verfolgungshandlung ist nicht nur dann relevant, wenn sie unmittelbar von staatlichen Organen (aus Gründen der Genfer Flüchtlingskonvention) gesetzt worden ist, sondern auch dann, wenn der Staat nicht gewillt oder nicht in der Lage ist, Handlungen mit Verfolgungscharakter zu unterbinden, die nicht von staatlichen Stellen ausgehen, sofern diese Handlungen - würden sie von staatlichen Organen gesetzt - asylrelevant wären. In beiden Fällen ist es der Verfolgten nicht möglich bzw. im Hinblick auf ihre wohlbegründete Furcht nicht zumutbar, sich des Schutzes des Heimatlandes zu bedienen. Von einer mangelnden Schutzfähigkeit des Staates kann nicht bereits dann gesprochen werden, wenn der Staat nicht in der Lage ist, seine Bürger gegen jedwede Übergriffe seitens Dritter präventiv zu schützen. Es ist erforderlich, dass der Schutz generell infolge Fehlens einer nicht funktionierenden Staatsgewalt nicht gewährleistet wird. Die mangelnde Schutzfähigkeit hat jedoch nicht zur Voraussetzung, dass überhaupt keine Staatsgewalt besteht - diesfalls wäre fraglich, ob von der Existenz eines Staates gesprochen werden kann -, die ihren Bürgern Schutz bietet. Es kommt vielmehr darauf an, ob in dem relevanten Bereich des Schutzes der Staatsangehörigen vor Übergriffen durch Dritte aus den in der FlKonv genannten Gründen eine ausreichende Machtausübung durch den Staat möglich ist. Mithin kann eine von dritter Seite ausgehende Verfolgung nur dann zur Asylgewährung führen, wenn sie von staatlichen Stellen infolge nicht ausreichenden Funktionierens der Staatsgewalt nicht abgewendet werden kann (VwGH 22.03.2000, 99/01/0256).

Bei dem in Art. 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention genannten Asylgrund der "Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe" handelt es sich um einen Auffangtatbestand, der sich in weiten Bereichen mit den Gründen "Rasse, Religion und Nationalität" überschneidet, jedoch weiter gefasst ist als diese. Unter Verfolgung wegen Zugehörigkeit zu einer sozialen Gruppe wird eine - nicht sachlich gerechtfertigte - Repression verstanden, die nur Personen trifft, die sich durch ein gemeinsames soziales Merkmal auszeichnen, die also nicht verfolgt würden, wenn sie dieses Merkmal nicht hätten. Nach herrschender Auffassung kann eine soziale Gruppe aber nicht ausschließlich dadurch definiert werden, dass sie Zielscheibe von Verfolgung ist (VwGH 03.07.2023, Ra 2023/14/0182)

3.2. Auf Grund des durchgeführten Ermittlungsverfahrens und des festgestellten Sachverhaltes ergibt sich, dass die behauptete Furcht der Beschwerdeführerin, in ihrem Herkunftsstaat mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit aus den in der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Gründen verfolgt zu werden, begründet ist:

Der genaue Herkunftsort der Beschwerdeführerin konnte nicht festgestellt werden.

Der von der Beschwerdeführerin geltend gemachte Grund ihrer Flucht, eine Vergewaltigung und anschließende Zwangsheirat, konnte nicht festgestellt werden.

Den Feststellungen ist jedoch zu entnehmen, dass die Beschwerdeführerin im Fall ihrer hypothetischen Rückkehr nach Somalia mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit Verstoßung und in der Folge der Gefahr geschlechtsspezifischer Gewalt ausgesetzt wäre und ihr damit eine Verfolgung im Sinne des Art. 9 Abs. 2 lit. a und f der Statutusrichtlinie 2011/95/EU droht.

Die Verfolgungshandlung muss ihre Ursache in einem, in der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Gründe, haben.

Dies ist der Fall, da die soziale Stellung der Beschwerdeführerin in Somalia im Fall ihrer Rückkehr ursächlich für diese Verfolgung ist. Die Beschwerdeführerin ist zum Entscheidungszeitpunkt schwanger und das Kind wird unehelich geboren werden, da die Beschwerdeführerin mit dem Vater des Kindes aktuell eine Heirat nicht plant. Als alleinstehende Frau ist die Beschwerdeführerin wegen des unehelichen Kindes stigmatisiert und wird als solche mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit von ihrer Familie verstoßen werden, auch eine Unterstützung durch das Clannetzwerk ist unter Berücksichtigung der Länderberichte nicht zu erwarten. Im Falle einer Rückkehr müsste sie daher mit hoher Wahrscheinlichkeit in einem IDP-Lager unterkommen, wo sie als alleinstehende Frau mit unehelichem Kind mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit sexueller Gewalt ausgesetzt ist.

Die Beschwerdeführerin ist damit Teil der sozialen Gruppe von alleinstehenden Müttern in Somalia. Die Tatsache, dass sie alleinstehend im Sinne eines fehlenden familiären und Clannetzwerkes ist, ergibt sich aus dem Umstand, dass sie als Mutter eines unehelichen Kindes aus ihren Netzwerken verstoßen wird. Dieser Umstand ist von der Beschwerdeführerin allein auch nicht veränderbar. Als alleinstehende Mutter ist sie Teil einer klar abgegrenzten Gruppe von Personen in derselben Lebenssituation, die ohne jeglichen Clan- und Familienschutz leben müssen. Alleinstehende Frauen mit einem unehelichen Kind werden als abgegrenzte Gruppe in Somalia, insbesondere aufgrund des offenkundigen Verstoßes gegen soziale Normen, nämlich die Missachtung des Verbots von vorehelichem Geschlechtsverkehr, wahrgenommen. Die Verfolgung duch geschlechtsspezifische Gewalt, der die Beschwerdeführerin in einem IDP mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit ausgesetzt ist, steht in direktem Zusammenhang mit ihrer minderen sozialen Stellung als Frau, die gegen soziale Normen verstoßen hat.

Bei den Verfolgern handelt es sich mitunter auch um nicht-staatliche Akteure, doch ist nach der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes eine mangelnde Schutzfähigkeit des Staates zu berücksichtigen (vgl. VwGH 30.08.2017, Ra 2017/18/0119). Im gegenständlichen Fall ist aus der Berichtslage ersichtlich, dass geschlechtsspezifische Gewalt in Somalia weiterhin ein großes Problem darstellt und trotz allfällig bestehender gesetzlicher Verbote, z.B. der Vergewaltigung, kein Schutz durch den Staat erwartet werden kann.

Eine innerstaatliche Fluchtalternative iSd § 11 AsylG 2005 besteht aufgrund der auf das gesamte Staatsgebiet von Somalia ausgedehnten Problematik nicht und würde auch dem bereits zuerkannten Status der subsidiär Schutzberechtigten entgegenstehen.

Da im Verfahren auch keine Asylausschlussgründe hervorgekommen sind, die Beschwerdeführerin insbesondere unbescholten ist, war der Beschwerdeführerin gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 der Status der Asylberechtigten zuzuerkennen.

3.3. Gemäß § 3 Abs. 5 AsylG 2005 ist die Entscheidung über die Asylgewährung mit der Feststellung zu verbinden, dass dem betroffenen Fremden damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.

Zu B) Unzulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.

Im gegenständlichen Fall wurde keine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung aufgeworfen. Die vorliegende Entscheidung basiert auf den oben genannten Entscheidungen des Verwaltungsgerichtshofes.

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