Spruch
W299 2287071-1/15E
IM NAMEN DER REPUBLIK
Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin Mag. Dr. Elisabeth NEUHOLD als Einzelrichterin über die Beschwerde von XXXX alias XXXX alias XXXX alias XXXX alias XXXX alias XXXX , geb. XXXX alias XXXX , StA. Syrien, vertreten durch BBU Bundesagentur für Betreuungs- und Unterstützungsleistungen GmbH, 1020 Wien, Leopold-Moses-Gasse 4, gegen Spruchpunkt I. des Bescheides des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 19.12.2023, Zl. XXXX , nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung, zu Recht:
A)
Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
B)
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
Entscheidungsgründe:
I. Verfahrensgang:
1. Der Beschwerdeführer, ein syrischer Staatsangehöriger, reiste unter Umgehung der Grenzkontrollen nach Österreich und stellte am 04.10.2022 einen Antrag auf internationalen Schutz.
2. Am folgenden Tag (05.10.2022) fand unter Beiziehung eines Dolmetschers die Erstbefragung des Beschwerdeführers vor Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes statt. Zu seinen Fluchtgründen befragt, gab er an, dass in Syrien Bürgerkrieg herrsche. Er wolle keine Waffe tragen, deswegen sei er auf der Flucht vor dem Militär. Im Falle einer Rückkehr fürchte er sich vor dem Militärgericht.
3. Am 08.08.2023 erfolgte unter Beiziehung eines Dolmetschers für die Sprache Arabisch eine niederschriftliche Einvernahme des Beschwerdeführers vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (in der Folge: BFA). Zu seinen Fluchtgründen befragt, gab der Beschwerdeführer an, dass er gemeinsam mit seiner Familie Syrien wegen der Eskalation des Krieges zwischen dem Regime und dem IS verlassen habe. Sie hätten nicht unter der Kontrolle des IS leben wollen. Sein Vater habe Angst um seine Söhne gehabt, da der IS oft sehr kleine Kinder rekrutiert hätte. Sein Bruder sei vom IS bedroht worden. Den Grundwehrdienst habe er nicht abgeleistet. Im Falle einer Rückkehr würde er sofort zum Militärdienst des syrischen Regimes geschickt werden. Er sei ein friedlicher Mensch und wolle nicht kämpfen.
Im Zuge der Einvernahme wurde vom Beschwerdeführer im Original ein syrischer Reisepass vorgelegt, welcher vom BFA auf Echtheit überprüft wurde. Des Weiteren wurde eine traditionelle Heiratsurkunde aus der Türkei in Kopie samt Übersetzung, diverse Fotos der Eheschließung sowie ein Laborbefund aus der Türkei in Kopie in Vorlage gebracht.
4. Am 02.11.2023 langte beim BFA der Untersuchungsbericht einer LPD ein, aus dem hervorgeht, dass es sich hinsichtlich des vorgelegten Reisepasses nach derzeitigem Wissenstand um ein Originaldokument handelt.
5. Mit dem im Erkenntniskopf genannten Bescheid vom 19.12.2023, wurde der Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 abgewiesen (Spruchpunkt I.). Gemäß § 8 Abs. 1 AsylG 2005 wurde dem Beschwerdeführer der Status des subsidiär Schutzberechtigen zuerkannt (Spruchpunkt II.) und ihm eine befristete Aufenthaltsberechtigung gemäß § 8 Abs. 4 AsylG 2005 für ein Jahr erteilt (Spruchpunkt III.).
Die Abweisung des Antrages auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten wurde seitens des BFA im Wesentlichen damit begründet, dass es zu einer konkreten Bedrohungs- oder Verfolgungssituation gemäß seinen eigenen Angaben nie gekommen wäre. Auch die von ihm in der Befragung vor dem BFA behaupteten Probleme seines Bruders mit dem IS stünden in keiner Relation zu seiner Person. Er habe auch selbst angegeben, nie politisch aktiv gewesen zu sein und habe auch keine Probleme mit den Behörden gehabt. Ein etwaiges Verfolgungsszenario sei nicht ansatzweise erkennbar gewesen. Zudem würde sich aus seinen Angaben sowie aus den Länderinformationen ergeben, dass er sich vom Wehrdienst für die reguläre syrische Armee freikaufen könne. Auch ergebe sich aus den Länderinformationen, dass Wehrdienstverweigerung nicht unbedingt als oppositionsnahe gesehen werde.
6. Gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer fristgerecht Beschwerde und brachte vor, dass ihm im Fall einer Rückkehr drohe in die syrische Armee eingezogen, verhaftet oder hingerichtet zu werden bzw. wegen zumindest oppositioneller Gesinnung verfolgt zu werden. Bei einer Einziehung zum Militärdienst der syrischen Regierung müsse er sich an schweren Menschenrechtsverletzungen, Kriegsverbrechen sowie Verbrechen gegen die Menschlichkeit oder an anderen Handlungen, die der Satzung der Vereinten Nationen zuwiderlaufen, beteiligen. Im Falle einer Weigerung würden dem Beschwerdeführer unverhältnismäßig hohe Strafen drohen. Der Beschwerdefrüher wolle sich unter keinen Umständen an diesem Bürgerkrieg beteiligen. Er wolle nicht getötet werden oder gar selbst töten. Er könne es nicht mit seinem Gewissen vereinbaren, dass er gegen das eigene Volk kämpfen soll. Auch wegen der Asylantragstellung in Österreich würde dem Beschwerdeführer aufgrund einer ihm unterstellten feindlichen politischen Einstellung asylrelevante Verfolgung drohen.
7. Zur Ermittlung des entscheidungserheblichen Sachverhaltes fand am 25.02.2025 in Anwesenheit eines Dolmetschers für die Sprache Arabisch und der Rechtsvertretung des Beschwerdeführers, eine öffentliche mündliche Verhandlung statt. Das BFA gab mit Schreiben vom 13.02.2025 die Nichtteilnahme an der Verhandlung bekannt. In der mündlichen Verhandlung wurde der Beschwerdeführer ausführlich zu seinen persönlichen Lebensumständen in Syrien und seinen Fluchtgründen sowie zu seiner Situation im Falle einer Rückkehr in den Herkunftsstaat befragt. Gegen Ende der Verhandlung gab der Rechtsvertreter des Beschwerdeführers eine abschließende Stellungnahme ab.
Eine Verkündung erfolgte auf Grund des Erfordernisses ergänzender beweiswürdigender Erwägungen nicht.
8. Mit Schreiben vom 28.03.2025 wurden dem BFA sowie der Rechtsvertretung des Beschwerdeführers folgende Länderberichte übermittelt:
- EUAA Syria: Country Focus, Country of Origin Information Report, März 2025
- ACCORD Anfragebeantwortung zu Syrien: Rekrutierungspraxis der Übergangsregierung, Rekrutierung durch andere bewaffnete Gruppen, Zwangsrekrutierung vom 21.03.2025 [a-125920-v2]
Zugleich wurde die Möglichkeit eingeräumt binnen 14 Tagen – ab Erhalt des Schreibens – eine Stellungnahme abzugeben.
9. Mit Schreiben vom 07.04.2025 langte durch die Rechtsvertretung des Beschwerdeführers eine Stellungnahme ein.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen:
1.1. Zur Person des Beschwerdeführers:
1.1.1. Der Beschwerdeführer führt den Namen XXXX und wurde am XXXX geboren. Er ist syrischer Staatsangehöriger, gehört der arabischen Volksgruppe an und bekennt sich zum islamisch-sunnitischen Glauben. Seine Muttersprache ist Arabisch. Er ist geschieden und hat keine Kinder.
1.1.2. Der Beschwerdeführer wurde im Bezirk XXXX der Stadt Deir ez-Zor, in der gleichnamigen Provinz geboren und ist dort aufgewachsen. Im Oktober 2015 reiste der Beschwerdeführer mit seinen Eltern und drei seiner Geschwister illegal in die Türkei aus, wo er bis zur Weiterreise nach Europa lebte. Es kann nicht festgestellt werden, dass der Beschwerdeführer vor seiner Ausreise in die Türkei durchgängig in Syrien aufhältig war.
In Syrien hat er die Schule bis zur siebten Klassen besucht. In der Türkei hat er diverse Hilfsarbeitertätigkeiten verrichtet. Berufsausbildung hat er keine absolviert.
1.1.3. Der Beschwerdeführer hat drei Schwestern und einen Bruder. Sein Vater ist bereits verstorben. In Syrien leben seine Mutter und eine Schwester. Seine anderen beiden Schwestern leben in Saudi-Arabien und Österreich. Der Bruder ist in Deutschland aufhältig.
Der Beschwerdeführer hat Kontakt zu seiner Familie in Syrien.
1.1.4. Der Beschwerdeführer reiste von der Türkei über verschiedene Länder unter Umgehung der Grenzkontrollen nach Österreich, wo er am 04.10.2022 den gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz stellte. Mit Bescheid des BFA vom 19.12.2023 wurde ihm der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt.
1.1.5. Der Beschwerdeführer ist gesund und strafrechtlich unbescholten.
1.2. Zu den Fluchtgründen des Beschwerdeführers:
1.2.1. Der Herkunftsort des Beschwerdeführers, die Stadt Deir ez-Zor, im gleichnamigen syrischen Gouvernement befindet sich seit dem Sturz von Staatspräsident Baschar al-Assad unter der Kontrolle der Opposition, angeführt von der Gruppierung Hay’at Tahrir ash-Sham (in der Folge: HTS). Die Einreise in dieses Gebiet ist über einen von der HTS kontrollierten Grenzübergang auf dem ebenso von der HTS kontrollierten Landweg möglich.
1.2.2. In Syrien bestand beim vormaligen syrischen Regime unter der Führung von Baschar al-Assad ein verpflichtender Wehrdienst für syrische Staatsbürger im Alter von 18 bis 42 Jahren (Siehe unter Punkt II.1.3.1.). Der Beschwerdeführer hat seinen Wehrdienst beim vormaligen syrischen Regime nicht abgeleistet und war von diesem auch nicht befreit. Die Herrschaft Baschar al-Assads ist Anfang Dezember 2024 im Zuge einer monatelang vorbereiteten Offensive unter Führung der oppositionellen „Hay´at Tahrir ash-Sham“ (HTS) binnen weniger Tage zusammengebrochen; Baschar al-Assad ist mit seiner Familie nach Russland geflohen; die syrische Armee wurde von der HTS nach der Machtübernahme aufgelöst (vgl. hierzu die Feststellungen unter Punkt II.1.3.2. sowie II.1.3.4.). Der Beschwerdeführer kann nicht mehr vom vormaligen syrischen Regime zum Wehrdienst eingezogen werden.
Dem Beschwerdeführer droht mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit keine Verfolgung auf Grund seiner Familienzugehörigkeit, der illegalen Ausreise, der Asylantragstellung im Ausland oder aus sonstigen Gründen durch das vormalige syrische Regime.
Im Falle einer Rückkehr ist nicht maßgeblich wahrscheinlich, dass der Beschwerdeführer durch Anhänger des vormaligen syrischen Regimes Verfolgung zu gegenwärtigen hat.
1.2.3. Der Beschwerdeführer ist von den Bürgerkriegsparteien, insbesondere der HTS, nicht zur Teilnahme an Kampfhandlungen oder der Ableistung eines Militärdienstes aufgefordert oder sonst dazu verhalten worden. Im Falle einer Rückkehr nach Syrien droht dem Beschwerdeführer keine Zwangsrekrutierung durch die HTS oder andere Konfliktparteien.
Der Beschwerdeführer lehnt die Ableistung eines Militärdienstes für eine Konfliktpartei aufgrund der damit einhergehenden notorischen Gefahren und Handlungen ab.
1.2.4. Der Beschwerdeführer ist nicht in das Blickfeld einer der syrischen Konfliktparteien geraten. Weder der Beschwerdeführer selbst noch seine Familienangehörigen sind als (politische oder religiöse) Gegner der derzeitigen Machthaber in Erscheinung getreten. Der Beschwerdeführer hat keine als oppositionell eingestuften Handlungen gesetzt und weist keine verinnerlichte politische Überzeugung gegen die HTS auf. Ihm droht keine Verfolgung auf Grund seiner Familienzugehörigkeit durch die HTS, den IS oder andere syrische Konfliktparteien.
1.2.5. Es ist nicht glaubhaft, dass dem Beschwerdeführer nach einer Rückkehr in seine Heimatregion die Gefahr droht, einem Konflikt zwischen Clans ausgesetzt zu sein.
1.2.6. Der Beschwerdeführer ist wegen seiner Ausreise aus Syrien, wegen seines Aufenthalts in Österreich, wegen seiner Asylantragstellung, seiner Herkunft und/oder wegen seiner allgemeinen Wertehaltung in Syrien keinen psychischen oder physischen Eingriffen in seine körperliche Integrität ausgesetzt.
1.2.7. Der Beschwerdeführer ist im Herkunftsstaat nicht mit hinreichender Wahrscheinlichkeit von einer Verfolgung aufgrund seiner ethnischen, religiösen oder staatsbürgerlichen Zugehörigkeit, wegen der Zugehörigkeit zu einer sozialen Gruppe oder seiner politischen Gesinnung bedroht und keinen psychischen oder physischen Eingriffen in seine körperliche Integrität ausgesetzt.
1.3. Zur maßgeblichen Situation im Herkunftsstaat:
1.3.1. Auszüge aus der Länderinformation der Staatendokumentation zu „Syrien“
Aufgrund der jüngsten Ereignisse im Dezember 2024 in Syrien, insbesondere des Sturzes sowie der Flucht des Staatspräsidenten Baschar al-Assad, kann das Länderinformationsblatt der Staatendokumentation zu Syrien mit Stand vom 27.03.2024 mangels Aktualität nur teilweise herangezogen werden. Im Folgenden werden die wesentlichen Feststellungen aus der vom Bundesverwaltungsgericht herangezogenen Länderinformation der Staatendokumentation, Version 11 vom 27.03.2024, bezogen auf jene Teile, wo Feststellungen zur Lage vor dem Sturz des Assad-Regimes erforderlich sind, wiedergegeben:
„[…]
Wehrdienst- und Reservedienst und Rekrutierungen (vor dem Sturz des Assad-Regimes)
Rechtliche Bestimmungen
Für männliche syrische Staatsbürger ist im Alter zwischen 18 bis 42 Jahren die Ableistung eines Wehrdienstes verpflichtend (ÖB Damaskus 12.2022). Laut Gesetzesdekret Nr. 30 von 2007 Art. 4 lit b gilt dies vom 1. Januar des Jahres, in dem das Alter von 18 Jahren erreicht wird, bis zum Überschreiten des Alters von 42 Jahren (PAR 12.5.2007). Die Dauer des Wehrdienstes beträgt 18 Monate bzw. 21 Monate für jene, die die fünfte Klasse der Grundschule nicht abgeschlossen haben (PAR 1.6.2011). Polizeidienst wird im Rahmen des Militärdienstes organisiert. Eingezogene Männer werden entweder dem Militär oder der Polizei zugeteilt (AA 2.2.2024). In der Vergangenheit wurde es auch akzeptiert, sich, statt den Militärdienst in der syrischen Armee zu leisten, einer der bewaffneten regierungsfreundlichen Gruppierung anzuschließen. Diese werden inzwischen teilweise in die Armee eingegliedert, jedoch ohne weitere organisatorische Integrationsmaßnahmen zu setzen oder die Kämpfer auszubilden (ÖB Damaskus 12.2022). Wehrpflichtige und Reservisten können im Zuge ihres Wehrdienstes bei der Syrischen Arabischen Armee (SAA) auch den Spezialeinheiten (Special Forces), der Republikanischen Garde oder der Vierten Division zugeteilt werden, wobei die Rekruten den Dienst in diesen Einheiten bei Zuteilung nicht verweigern können (DIS 4.2023). Um dem verpflichtenden Wehrdienst zu entgehen, melden sich manche Wehrpflichtige allerdings aufgrund der höheren Bezahlung auch freiwillig zur Vierten Division, die durch die von ihr kontrollierten Checkpoints Einnahmen generiert (EB 17.1.2023). Die 25. (Special Tasks) Division (bis 2019: Tiger Forces) rekrutiert sich dagegen ausschließlich aus Freiwilligen (DIS 4.2023).
Ausnahmen von der Wehrpflicht bestehen für Studenten, Staatsangestellte, aus medizinischen Gründen und für Männer, die die einzigen Söhne einer Familie sind. Insbesondere die Ausnahmen für Studenten können immer schwieriger in Anspruch genommen werden. Fallweise wurden auch Studenten eingezogen. In letzter Zeit mehren sich auch Berichte über die Einziehung von Männern, die die einzigen Söhne einer Familie sind (ÖB Damaskus 12.2022). Einer vertraulichen Quelle des niederländischen Außenministeriums zufolge sollen Männer auch unabhängig ihres Gesundheitszustandes eingezogen und in der Verwaltung eingesetzt worden sein (NMFA 8.2023).
Die im März 2020, Mai 2021 und Jänner 2022 vom Präsidenten erlassenen Generalamnestien umfassten auch einen Straferlass für Vergehen gegen das Militärstrafgesetz, darunter Fahnenflucht. Die Verpflichtung zum Wehrdienst bleibt davon unberührt (ÖB Damaskus 12.2022).
Binnenvertriebene sind wie andere Syrer zur Ableistung des Wehrdienstes verpflichtet und werden rekrutiert (FIS 14.12.2018). Auch geflüchtete Syrer, die nach Syrien zurückkehren, müssen mit Zwangsrekrutierung rechnen (AA 2.2.2024). Laut Berichten und Studien verschiedener Menschenrechtsorganisationen ist für zahlreiche Geflüchtete die Gefahr der Zwangsrekrutierung neben anderen Faktoren eines der wesentlichen Rückkehrhindernisse (AA 2.2.2024; vgl. ICWA 24.5.2022).
Männliche Nachkommen palästinensischer Flüchtlinge, die zwischen 1948 und 1956 nach Syrien kamen und als solche bei der General Administration for Palestinian Arab Refugees (GAPAR) registriert sind (NMFA 5.2022), bzw. palästinensische Flüchtlinge mit dauerhaftem Aufenthalt in Syrien unterliegen ebenfalls der Wehrpflicht (AA 13.11.2018; vgl. Action PAL 3.1.2023, ACCORD 21.9.2022). Ihren Wehrdienst leisten sie für gewöhnlich in einer Unterabteilung der syrischen Armee, die den Namen Palästinensische Befreiungsarmee trägt: Palestinian Liberation Army (PLA) (BAMF 2.2023, (AA 13.11.2018; vgl. ACCORD 21.9.2022). Es konnten keine Quellen gefunden werden, die angeben, dass Palästinenser vom Reservedienst ausgeschlossen seien (ACCORD 21.9.2022; vgl. BAMF 2.2023).
Frauen können als Berufssoldatinnen dem syrischen Militär beitreten. Dies kommt in der Praxis tatsächlich vor, doch stoßen die Familien oft auf kulturelle Hindernisse, wenn sie ihren weiblichen Verwandten erlauben, in einem so männlichen Umfeld zu arbeiten. Dem Vernehmen nach ist es in der Praxis häufiger, dass Frauen in niedrigeren Büropositionen arbeiten als in bewaffneten oder leitenden Funktionen. Eine Quelle erklärt dies damit, dass Syrien eine männlich geprägte Gesellschaft ist, in der Männer nicht gerne Befehle von Frauen befolgen (NMFA 5.2022).
Mit Stand Mai 2023 werden die regulären syrischen Streitkräfte immer noch von zahlreichen regierungsfreundlichen Milizen unterstützt (CIA 9.5.2023). Frauen sind auch regierungsfreundlichen Milizen beigetreten. In den Reihen der National Defence Forces (NDF) dienen ca. 1.000 bis 1.500 Frauen, eine vergleichsweise geringe Anzahl. Die Frauen sind an bestimmten Kontrollpunkten der Regierung präsent, insbesondere in konservativen Gebieten, um Durchsuchungen von Frauen durchzuführen (FIS 14.12.2018).
Die Umsetzung
Bei der Einberufung neuer Rekruten sendet die Regierung Wehrdienstbescheide mit der Aufforderung, sich zum Militärdienst anzumelden, an Männer, die das wehrfähige Alter erreicht haben. Die Namen der einberufenen Männer werden in einer zentralen Datenbank erfasst. Männer, die sich beispielsweise im Libanon aufhalten, können mittels Bezahlung von Bestechungsgeldern vor ihrer Rückkehr nach Syrien überprüfen, ob sich ihr Name in der Datenbank befindet (DIS 5.2020). Laut Gesetz sind in Syrien junge Männer im Alter von 17 Jahren dazu aufgerufen, sich ihr Wehrbuch abzuholen und sich einer medizinischen Untersuchung zu unterziehen. Im Alter von 18 Jahren wird man einberufen, um den Wehrdienst abzuleisten. Wenn bei der medizinischen Untersuchung ein gesundheitliches Problem festgestellt wird, wird man entweder vom Wehrdienst befreit oder muss diesen durch Tätigkeiten, die nicht mit einer Teilnahme an einer Kampfausbildung bzw. -einsätzen verbunden sind, ableisten (STDOK 8.2017; vgl. DIS 7.2023). Wenn eine Person physisch tauglich ist, wird sie entsprechend ihrer schulischen bzw. beruflichen Ausbildung eingesetzt. Die Rekruten müssen eine 45-tägige militärische Grundausbildung absolvieren. Männer mit niedrigem Bildungsstand werden häufig in der Infanterie eingesetzt, während Männer mit einer höheren Bildung oft in prestigeträchtigeren Positionen eingesetzt werden. Gebildetere Personen kommen damit auch mit höherer Wahrscheinlichkeit in Positionen, in denen sie über andere Personen Bericht erstatten oder diese bestrafen müssen (STDOK 8.2017).
Obwohl die offizielle Wehrdienstzeit etwa zwei Jahre beträgt, werden Wehrpflichtige in der Praxis auf unbestimmte Zeit eingezogen (NMFA 5.2022; vgl. AA 29.3.2022), wobei zuletzt von einer "Verkürzung" des Wehrdienstes auf 7,5 Jahre berichtet wurde. Die tatsächliche Dauer richtet sich laut UNHCR Syrien jedoch nach Rang und Funktion der Betreffenden (ÖB Damaskus 12.2022). Personen, die aufgrund ihrer besonderen Fachkenntnisse von großem Wert für die Armee und nur schwer zu ersetzen sind, können daher über Jahre hinweg im Militärdienst gehalten werden. Personen, deren Beruf oder Fachwissen in der Gesellschaft sehr gefragt ist, wie z.B. Ärzte, dürfen eher nach Ablauf der offiziellen Militärdienstzeit ausscheiden (NMFA 5.2022).
Seit März 2020 hat es in Syrien keine größeren militärischen Offensiven an den offiziellen Frontlinien mehr gegeben. Scharmützel, Granatenbeschuss und Luftangriffe gingen weiter, aber die Frontlinien waren im Grunde genommen eingefroren. Nach dem Ausbruch von COVID-19 und der Einstellung größerer Militäroperationen in Syrien Anfang 2020 verlangsamten sich Berichten zufolge die militärischen Rekrutierungsmaßnahmen der SAA. Die SAA berief jedoch regelmäßig neue Wehrpflichtige und Reservisten ein. Im Oktober 2021 wurde ein Rundschreiben herausgegeben, in dem die Einberufung von männlichen Syrern im wehrpflichtigen Alter angekündigt wurde. Auch in den wiedereroberten Gebieten müssen Männer im wehrpflichtigen Alter den Militärdienst ableisten (EUAA 9.2022). Der Personalbedarf des syrischen Militärs bleibt aufgrund von Entlassungen langgedienter Wehrpflichtiger und zahlreicher Verluste durch Kampfhandlungen unverändert hoch (AA 2.2.2024).
[….]
Nicht-staatliche bewaffnete Gruppierungen (regierungsfreundlich und regierungsfeindlich) (vor dem Sturz des Assad-Regimes)
Letzte Änderung 2024-03-13 15:02
Manche Quellen berichten, dass die Rekrutierung durch regierungsfreundliche Milizen im Allgemeinen auf freiwilliger Basis geschieht. Personen schließen sich häufig auch aus finanziellen Gründen den National Defense Forces (NDF) oder anderen regierungstreuen Gruppierungen an (FIS 14.12.2018). Andere Quellen berichten von der Zwangsrekrutierung von Kindern im Alter von sechs Jahren durch Milizen, die für die Regierung kämpfen, wie die Hizbollah und die NDF (auch als "shabiha" bekannt) (USDOS 29.7.2022). In vielen Fällen sind bewaffnete regierungstreue Gruppen lokal organisiert, wobei Werte der Gemeinschaft wie Ehre und Verteidigung der Gemeinschaft eine zentrale Bedeutung haben. Dieser soziale Druck basiert häufig auf der Zugehörigkeit zu einer bestimmten Religionsgemeinschaft (FIS 14.12.2018). Oft werden die Kämpfer mit dem Versprechen, dass sie in der Nähe ihrer lokalen Gemeinde ihren Einsatz verrichten können und nicht in Gebieten mit direkten Kampfhandlungen und damit die Wehrpflicht umgehen könnten, angeworben. In der Realität werden diese Milizen aber trotzdem an die Front geschickt, wenn die SAA Verstärkung braucht bzw. müssen die Männer oft nach erfolgtem Einsatz in einer Miliz trotzdem noch ihrer offiziellen Wehrpflicht nachkommen (EUAA 10.2023). In manchen Fällen aber führte der Einsatz bei einer Miliz tatsächlich dazu, der offiziellen Wehrpflicht zu entgehen, bzw. profitierten einige Kämpfer in regierungsnahen Milizen von den letzten Amnestien, sodass sie nach ihrem Einsatz in der Miliz nur mehr die sechsmonatige Grundausbildung absolvieren mussten um ihrer offiziellen Wehrpflicht nachzugehen, berichtet eine vertrauliche Quelle des niederländischen Außenministeriums (NMFA 8.2023).
Anders als die Regierung und die Syrian Democratic Forces (SDF), erlegen bewaffnete oppositionelle Gruppen wie die SNA (Syrian National Army) und HTS (Hay'at Tahrir ash-Sham) Zivilisten in von ihnen kontrollierten Gebieten keine Wehrdienstpflicht auf (NMFA 5.2022; vgl. DIS 12.2022). Quellen des niederländischen Außenministeriums berichten, dass es keine Zwangsrekrutierungen durch die SNA und die HTS gibt (NMFA 8.2023). In den von den beiden Gruppierungen kontrollierten Gebieten in Nordsyrien herrscht kein Mangel an Männern, die bereit sind, sich ihnen anzuschließen. Wirtschaftliche Anreize sind der Hauptgrund, den Einheiten der SNA oder HTS beizutreten. Die islamische Ideologie der HTS ist ein weiterer Anreiz für junge Männer, sich dieser Gruppe anzuschließen. Im Jahr 2022 erwähnt der Danish Immigration Service (DIS) Berichte über Zwangsrekrutierungen der beiden Gruppierungen unter bestimmten Umständen im Verlauf des Konfliktes. Während weder die SNA noch HTS institutionalisierte Rekrutierungsverfahren anwenden, weist die Rekrutierungspraxis der HTS einen höheren Organisationsgrad auf als die SNA (DIS 12.2022). Im Mai 2021 kündigte HTS an, künftig in ldlib Freiwilligenmeldungen anzuerkennen, um scheinbar Vorarbeit für den Aufbau einer "regulären Armee" zu leisten. Der Grund dieses Schrittes dürfte aber eher darin gelegen sein, dass man in weiterer Zukunft mit einer regelrechten "HTS-Wehrpflicht" in ldlib liebäugelte, damit dem "Staatsvolk" von ldlib eine "staatliche" Legitimation der Gruppierung präsentiert werden könnte (BMLV 12.10.2022). Die HTS rekrutiert auch gezielt Kinder, bildet sie religiös und militärisch aus und sendet sie an die Front (SNHR 20.11.2023).
[…]
Religionsfreiheit
Letzte Änderung 2023-07-17 13:11
Die anhaltende Vertreibung der syrischen Bevölkerung führt zu einem gewissen Grad an Unsicherheit in den demografischen Daten. Schätzungen der US-Regierung zufolge dürften die Sunniten 74 % der Bevölkerung stellen, wobei diese sich aus AraberInnen, KurdInnen, TscherkessInnen, TschetschenInnen und einigen TurkmenInnen zusammensetzen. Andere muslimische Gruppen, einschließlich Alawiten, Ismailiten und (Zwölfer) Schiiten machen zusammen 13 % aus, die Drusen 3 %. Verschiedene christliche Gruppen bilden die verbleibenden 10 %, wobei laut Berichten davon auszugehen ist, dass ihre Zahl mit geschätzten 2,5 % nun bedeutend geringer ist. Vor dem Bürgerkrieg gab es in Syrien ungefähr 80.000 Jesiden (USDOS 2.6.2022).
Bereits vor dem Konflikt wuchs die Bedeutung von religiösen Stiftungen, um fehlende staatliche soziale und wirtschaftliche Leistungen auszugleichen. Im Zuge des Konfliktes verstärkte sich diese Rolle abermals. Religiöse Netzwerke in oppositionellen Gebieten, die in Verbindung mit bewaffneten Fraktionen stehen, wurden quasi Organe der Lokalverwaltung und übernahmen Aufgaben, wie z. B. die Verteilung von Hilfsgütern, Sozialleistungen, Bildung, Verwaltung von Bäckereien und die Verwaltung von Flüchtlingslagern. Begleitend zu diesen sozialen Diensten gab es klare Bemühungen um religiöse Indoktrination, z. B. die Vereinheitlichung der Verschleierung, die Verbreitung des Korans und den Betrieb von Waisenhäusern (in denen sich das Leben um religiöse Lehren und das Auswendiglernen des Korans dreht). Auch in den von der Regierung kontrollierten Gebieten wurden religiösen Akteuren, die vom Staat als vertrauenswürdig erachtet wurden, beispiellose Vorrechte innerhalb ihrer Gemeinschaften eingeräumt. Sie übernahmen kommunale Aufgaben, um den Zerfall staatlicher Strukturen und Leistungen auszugleichen, wie beispielsweise die Stromversorgung durch private Stromgeneratoren (CMEC 19.3.2019).
[…]
Gebiete außerhalb der Regierungskontrolle
In den Gebieten außerhalb der Regierungskontrolle wenden irreguläre Gerichte und lokale Autoritäten eine Bandbreite inoffizieller Gesetzbücher mit diversen Vorgaben für Religionsfreiheit an (USDOS 2.6.2022). Die Dominanz extremistischer Gruppen in den Oppositonsgebieten Westsyriens bedroht die freie Andachtsausübung der lokalen Bevölkerung und der IDPs. Der sogenannte Islamische Staat (IS) ist weiterhin als Terror- und Guerillagruppe aktiv. Er verfolgt religiöse Aktivitäten, die nicht mit seiner Interpretation von sunnitischem Islam übereinstimmen (FH 9.3.2023).
Der syrische Bürgerkrieg hat alle religiösen und ethnischen Gemeinschaften in Mitleidenschaft gezogen. Religiöse Gemeinschaften in den von islamistischen Milizen kontrollierten Zonen, darunter die Baha'i, Ahmadis, Juden, Jesiden und Christen, wurden jedoch besonders schlecht behandelt. Viele waren gezwungen, aufgrund des feindlichen Umfelds aus dem Land zu fliehen, sodass einige Gebiete "religiös gesäubert" wurden (UNHRC 1.11.2021). Der aktuelle Bericht des US-Außenministeriums zur Religionsfreiheit erwähnt besonders kürzliche Menschenrechtsverletzungen gegen religiöse Minderheiten wie Jesiden und Christen in Gebieten unter Dominanz von HTS (Hay’at Tahrir ash-Sham) oder pro-türkische Gruppen unter dem Schirm der SNA (Syrian National Army) (USDOS 2.6.2022).
In den [Anm.: nordöstlichen, nicht staatlich anerkannten kurdisch] selbstverwalteten Gebieten des Landes sind Konversionen und interreligiöse Ehen in Form von Zivilehen erlaubt (UNHRC 1.11.2021). Das staatliche syrische Familienrecht erkennt diese Heiraten insbesondere dann nicht an, wenn sie einen Verstoß gegen das Ehehindernis aufgrund von Religionsverschiedenheit darstellen. Inwieweit letztere Kategorie auch Frauen jesidischen Glaubens umfasst, ist unklar (FNO 2018).
[…]
Ethnische und religiöse Minderheiten
Letzte Änderung 2023-07-17 13:20
Anm.: Einige der angeführten Minderheiten sind ethno-religiöse Minderheiten (z. B. armenische Christen, kurdische Jesiden) oder sie verfügen über kulturell bedingte eigene Interpretationen des Islams im Alltag (z. B. viele sunnitische Kurden). Dazu kommen winzige weitere Minderheiten, welche in den üblichen Überblickaufzählungen gar keine Erwähnung finden. Nähere Informationen zu einzelnen Minderheiten können nach Bedarf im Rahmen von Anfragebeantwortungen geboten werden.
Die anhaltende Vertreibung der syrischen Bevölkerung führt zu einem gewissen Grad an Unsicherheit in den demografischen Daten. Schätzungen der US-Regierung zufolge dürften die Sunniten 74 % der Bevölkerung stellen, wobei diese sich aus AraberInnen, KurdInnen, TscherkessInnen, TschetschenInnen und einigen TurkmenInnen zusammensetzen. Andere muslimische Gruppen, einschließlich AlawitInnen, IsmailitInnen und (Zwölfer) SchiitInnen machen zusammen 13 % aus, die DrusInnen 3 %. Verschiedene christliche Gruppen bilden die verbleibenden 10 %, wobei laut Berichten davon auszugehen ist, dass ihre Zahl mit geschätzten 2,5 % nun bedeutend geringer ist. Vor dem Bürgerkrieg gab es in Syrien ungefähr 80.000 JesidInnen (USDOS 2.6.2022).
Die alawitische Gemeinschaft [Anm.: zu der Bashar al-Assad gehört] genießt in Relation zu ihrem Bevölkerungsanteil weiterhin einen privilegierten politischen Status, auch durch die Dominanz in den Führungspositionen im Militär sowie den Sicherheits- und Geheimdiensten, wobei auch bei Alawiten gilt, dass, so wie bei Angehörigen den anderen Religionsgemeinschaften, nur diejenigen, welche zum inneren Machtzirkel um Bashar al-Assad gehören, politischen Einfluss besitzen. Auch einige Sunniten gehören zur politischen Elite (USDOS 2.6.2022). Familien und Netzwerke mit Verbindungen zur herrschenden Elite werden in Rechtsangelegenheiten bevorzugt behandelt und sind disproportional oft AlawitInnen, während AlawitInnen ohne solche Verbindungen weniger wahrscheinlich von solchen Vorteilen profitieren. Die bewaffnete Opposition ist hingegen in der überwältigenden Mehrheit arabisch-sunnitisch, und Mitglieder dieser Bevölkerungsgruppe sind wahrscheinlich Diskriminierung durch den Staat ausgesetzt, wenn sie nicht enge Verbindungen zum Regime genießen (FH 9.3.2023).
Daher lässt sich die konfessionalistische Dimension des Regimes besser als ein alawitisch-dominiertes säkulares Regime beschreiben, das auf Loyalitäten basierend auf regionale, tribale und familiäre Verbindungen sowie auf gesellschaftliche Kohäsion ('asabiya) aufbaut. Diese Kohäsion bezieht sich auf ein Gefühl der Gruppenzugehörigkeit einer beschränkten Zahl an AlawitInnen aus der alawitischen Gemeinschaft, aber nicht auf die Religionsgemeinschaft als Ganzes. Als Folge der konfessionellen Polarisierung, die durch das Regime selbst gefördert wurde, wie auch durch seine islamistischen und jihadistischen Feinde, waren viele AlawitInnen gezwungen, sich aus Angst vor sunnitisch-arabischen Vergeltungsschlägen auf die Seite des Regimes zu stellen (Al-Majalla 15.3.2023).
In einer Diktatur wie in Syrien kommt die Repression überall in den Gebieten unter der Kontrolle des Regimes zur Anwendung - auch in den ländlichen Gebieten mit alawitischer Bevölkerungsmehrheit. AlawitInnen unter Oppositionsverdacht werden im Allgemeinen inhaftiert, schwer unter Druck gesetzt oder getötet. Alawitische OpponentInnen der Assad-Herrschaft [Anm.: seit 1970] waren gelegentlich in einer schlimmeren Lage als sunnitische Oppositionelle, weil sie potenziell eine größere Bedrohung durch ihre Zugehörigkeit zur alawitischen Gemeinschaft darstellen (Al-Majalla 15.3.2023). So werden Berichten zufolge auch weiterhin alawitische oppositionelle AktivistInnen Opfer von willkürlichen Verhaftungen, Folter und Mord durch die Regierung. AlawitInnen werden zudem aufgrund ihrer wahrgenommenen Unterstützung des Regimes zu Opfern von Angriffen durch aufständische extremistische Gruppen (USDOS 30.3.2023).
Im Zuge des Bürgerkriegs kam es zu verschiedenen konfessionalistischen Exzessen, welche die Möglichkeiten für eine Versöhnung zwischen den Kriegsparteien untergraben. Es gab Berichte über Massaker, konfessionalistische Säuberungsaktionen wie auch Entführungen und sexuelle Gewalt gegen AlawitInnen und ChristInnen und umgekehrt von Angehörigen der alawitischen Glaubensgemeinschaft gegen Mitglieder der sunnitschen Bevölkerungsgruppe (Al-Majalla 15.3.2023).
Religiöse bzw. interkonfessionelle Faktoren spielen auf allen Seiten des Konfliktes eine Rolle, doch fließen auch andere Faktoren im Kampf um die politische Vormachtstellung mit ein. Die Gewalt seitens des Regimes gegen Oppositionsgruppen aber auch Zivilisten weist sowohl konfessionelle Elemente als auch Elemente ohne konfessionellen Bezug auf. Beobachtern zufolge ist die Vorgehensweise der Regierung gegen Oppositionsgruppen, welche die Vormachtstellung der Regimes bedrohen, nicht in erster Linie konfessionell motiviert, doch zeigt sie konfessionelle Auswirkungen (USDOS 10.6.2020). So versucht die syrische Regierung, konfessionell motivierte Unterstützung zu gewinnen, indem sie sich als Beschützerin der religiösen Minderheiten vor Angriffen von gewalttätigen sunnitisch-extremistischen Gruppen darstellt. Manche Rebellengruppen bezeichnen sich in Statements und Veröffentlichungen explizit als sunnitische Araber oder sunnitische Muslime und haben Beobachtern zufolge eine fast ausschließlich sunnitische Unterstützerbasis (USDOS 2.6.2022). Der Einsatz von schiitischen Kämpfern durch den Iran, z. B. aus Afghanistan, um gegen die mehrheitlich sunnitische Opposition vorzugehen, verstärkt zusätzlich die konfessionellen Spannungen. Laut Experten stellen die Regierung und ihre Verbündeten Russland und Iran die bewaffnete Opposition und oppositionelle Protestierende sowie humanitäre Hilfsorganisationen auch als konfessionalistisch motiviert dar, indem sie diese mit extremistischen islamistischen Gruppen und Terroristen in Zusammenhang bringen, welche die religiösen Minderheiten sowie die säkulare Regierung eliminieren wollen (USDOS 10.6.2020).
Im Allgemeinen bestehen in Gebieten, die unter Regierungskontrolle stehen, keine Hindernisse für religiöse Minderheiten, insbesondere nicht für Christen. Schätzungen zufolge leben nur mehr 3 % (vor dem Konflikt über 10 %) Christen im Land; viele sind seit Ausbruch des Konflikts geflohen – ihre Rückkehr scheint unwahrscheinlich. In Rebellengebieten, die von sunnitischen Fraktionen kontrolliert werden, ist die Religionsausübung zwar möglich, aber nur sehr eingeschränkt. Zusätzlich erschwert wird die Situation der Christen dadurch, dass sie als regierungsnahe wahrgenommen werden. Sowohl aufseiten der regierungstreuen als auch aufseiten der Opposition sind alle religiösen Gruppen vertreten. Aufgrund ihrer starken Dominanz in der Regierung und im Sicherheitsapparat werden Alawiten aber grundsätzlich als regierungstreu wahrgenommen, während sich viele Sunniten (sie bilden die Mehrheit der Bevölkerung, vor Beginn des Konflikts waren es 72 %) in der (auch bewaffneten) Opposition finden. Aufgrund dieser Zugehörigkeit zur Opposition ist die Mehrheit der politischen Gefangenen und Verschwundenen sunnitisch. Bei der militärischen Rückeroberung der syrischen Armee von Gebieten wie Homs oder Ost-Ghouta wurden sunnitisch dominierte Viertel stark in Mitleidenschaft gezogen. Dadurch wurden viele Sunniten aus diesen Gebieten vertrieben und faktisch ein demografischer Wandel dieser Gebiete herbeigeführt. Die wirtschaftliche Implosion und die damit verbundene Verarmung weiter Teile der Bevölkerung unterminieren auch die Loyalitäten von als regimenah geltenden Bevölkerungsgruppen, inklusive der Alawiten (ÖB Damaskus 1.10.2021).
Die Situation von Angehörigen religiöser und ethnischer Minderheiten ist von Gebiet zu Gebiet unterschiedlich und hängt insbesondere von den Akteuren ab, die das Gebiet kontrollieren, von den Ansichten und Wahrnehmungen dieser Akteure gegenüber Angehörigen anderer religiöser und ethnischer Minderheitengruppen sowie von den spezifischen Konfliktentwicklungen in diesen Gebieten (UNHCR 3.2021). Im Zuge des Konflikts wurden Mitglieder religiöser Minderheiten wie auch SunnitInnen Ziel von verschiedenen Gruppen, welche von der UNO, den USA und anderen als Terrorgruppen eingestuft worden waren - darunter auch HTS, in Form von Morden, Entführungen, physischen Misshandlungen und Haft. Tausende tote und verschwundene ZivilistInnen waren die Folge (USDOS 2.6.2022).
Die syrische Regierung, kurdische Truppen, von der Türkei unterstützte oppositionelle Milizen und islamistisch-extremistische Gruppen haben alle versucht, die ethnische Zusammensetzung ihrer Gebiete zu verändern. Sie haben ZivilistInnen gezwungen, bei ihrer jeweiligen religiösen oder ethnischen Gemeinschaft Zuflucht zu suchen, was zu demografischen Änderungen durch den Bürgerkrieg beiträgt (FH 9.3.2023).
Die sunnitisch-arabische Zivilbevölkerung traf die Hauptlast der Angriffe der alawitisch-geführten Regierung und ihrer Milizen. Von 2018 bis 2019 vertrieb das Regime 900.000 ZivilistInnen - meist sunnitische AraberInnen - aus den zurückeroberten Oppositionsgebieten durch Bombardierungen und Belagerungen in die Provinz Idlib (FH 9.3.2023).
Ende 2019 führte das türkische Militär eine Offensive in Nordost-Syrien durch, um eine Pufferzone zur Zurückdrängung seiner kurdischen Gegner aus dem Gebiet zu schaffen [siehe auch die jeweiligen relevanten Unterkapitel im Kapitel Sicherheitslage] (FH 9.3.2023). Mitglieder religiöser und ethnischer Minderheiten, besonders vertriebene KurdInnen, JesidInnen und ChristInnen, z. B. in der Stadt Afrin, berichteten von Menschenrechtsverletzungen und Marginalisierung (USDOS 2.6.2023). Von der Türkei unterstützte Milizen wurden in Folge beschuldigt, Grundstücke und Häuser zu enteignen (FH 9.3.2023). Sie begingen u. a. auch Menschenrechtsverletzungen wie Folter, Vergewaltigung und Plünderungen von Privatbesitz - besonders in kurdischen Gebieten - wie auch Vandalenakte gegen jesidische religiöse Stätten. Bezüglich in und um Afrin werden zusätzlich besonders auch Tötungen und willkürliche Verhaftungen von ZivilistInnen genannt. Besonders oft waren JesidInnen Ziel der Taten. Weiterhin werden von pro-türkischen Milizen verschleppte jesidische Frauen vermisst. Berichten zufolge leben in Afrin nur mehr 5.000 JesidInnen, während vor der türkischen Invasion von 2018 25.000 JesidInnen in 22 Dörfern ansässig waren (USDOS 2.6.2022).
Sunnitisch-islamistische und jihadistische Gruppen verfolgen oft religiöse Minderheiten und Muslime, welche sie der Pietätlosigkeit oder der Apostasie beschuldigen (FH 9.3.2023). Verschiedene islamistische Gruppen in Idlib legen Medienberichten zufolge ChristInnen die Anwendung der Scharia auf wie auch die Jizya, eine Steuer für Nicht-Muslime, um sie dazu zu zwingen, ihre Häuser zu verlassen. Die HTS verstärkte demnach den Druck auf ChristInnen in Idlib durch solche Restriktionen wie auch durch eine Erhöhung von Mieten von Häusern und Geschäften, weil die HTS den Immobilienbesitz von ChristInnen als Kriegsbeute ansieht. Die HTS beging zudem weitere Arten von Misshandlungen/Machtmissbrauch ('abuses') auf Basis der konfessionellen Identität der Betroffenen (USDOS 12.5.2021). Für das Jahr 2021 werden weiterhin solche Restriktionen der HTS gegen ChristInnen in Idlib Stadt berichtet. Es wurde bekannt, dass HTS im Zeitraum Ende 2018 bis Ende 2019 Hunderte Immobilien, darunter mindestens 550 Häuser und Geschäfte in der Provinz Idlib, die vertriebenen ChristInnen gehörten, beschlagnahmt hatte (USDOS 2.6.2022).
Das Schicksal von 8,648 Personen, die vom IS seit 2014 verschleppt wurden, bleibt unbekannt (USDOS 2.6.2022). Nach Schätzung der Independent International Commission of Inquiry on the Syrian Arab Republic der Vereinten Nationen tötete oder entführte der sogenannte Islamische Staat (IS) allein mehr als 9.000 JesidInnen. Die UNO bewertete dies als "Kampagne des Genozids" (USDOS 10.6.2020), wobei der IS ab 2014 ungefähr 6.000 großteils jesidische, aber auch christliche und turkmenische Frauen und Mädchen im Irak verschleppte (USDOS 10.6.2020). Diese wurden nach Syrien gebracht und als Sexsklavinnen verkauft, in nominelle Heiraten mit IS-Kämpfern gezwungen oder dienten als 'Geschenke' für IS-Kommandanten. Von diesen Frauen und Kindern ist weiterhin der Verbleib von 2.763 Menschen unbekannt (USDOS 2.6.2022).
Trotz der territorialen Niederlage des IS berichteten Medien und NGOs, dass seine extremistische Ideologie weiterhin stark im Land präsent ist (USDOS 12.5.2021). Im Jahr 2022 nahmen gewalttätige Übergriffe durch IS-Überreste zu. Menschenrechtsorganisation berichten, dass diese häufig Zivilisten, Personen, welche der Zusammenarbeit mit Sicherheitskräften verdächtig sind, und Gruppen, die vom IS als Apostaten gesehen werden, ins Visier nehmen (USDOS 2.6.2022). Siehe dazu auch das Kapitel Sicherheitslage.
Kurdische Milizen werden beschuldigt, arabische und turkmenische Gemeinschaften vertrieben zu haben (FH 9.3.2023). Im Jahr 2021 vertrieben christlichen Anführern zufolge türkische Bombardierungen in Nordost-Syrien ChristInnen und andere Minderheiten aus Tel Tamer und umgebenden Dörfern südöstlich des Gebiets der türkischen Militäroperation 'Friedensquelle' (siehe auch Kapitel Sicherheitslage) (USDOS 2.6.2022).
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1.3.2. Kurzinformation der Staatendokumentation, Syrien, Sicherheitslage, Politische Lage
Dezember 2024: Opposition übernimmt Kontrolle, al Assad flieht vom 10.12.2024
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1. Zusammenfassung der Ereignisse
Nach monatelanger Vorbereitung und Training (NYT 1.12.2024) starteten islamistische Regierungsgegner unter der Führung der Hay’at Tahrir ash-Sham (HTS) (Standard 1.12.2024) die Operation „Abschreckung der Aggression“ – auf نن Arabisch: ردع العدوا - Rad’a al-‘Adwan (AJ 2.12.2024) und setzten der Regierung von Präsident Bashar al-Assad innerhalb von 11 Tagen ein Ende.
[…]
Am 30.11. nahmen die Oppositionskämpfer Aleppo ein und stießen weiter in Richtung der Stadt Hama vor, welche sie am 5.12. einnahmen. Danach setzten sie ihre Offensive in Richtung der Stadt Homs fort (AJ 8.12.2024). Dort übernahmen sie die Kontrolle in der Nacht vom 7.12. auf 8.12. (BBC 8.12.2024). Am 6.12. zog der Iran sein Militärpersonal aus Syrien ab (NYT 6.12.2024). Russland forderte am 7.12. seine Staatsbürger auf, das Land zu verlassen (FR 7.12.2024). Am 7.12. begannen lokale Milizen und Rebellengruppierungen im Süden Syriens ebenfalls mit einer Offensive und nahmen Daraa ein (TNA 7.12.2024; Vgl. AJ 8.12.2024), nachdem sie sich mit der Syrischen Arabischen Armee auf deren geordneten Abzug geeinigt hatten (AWN 7.12.2024). Aus den südlichen Provinzen Suweida und Quneitra zogen ebenfalls syrische Soldaten, sowie Polizeichefs und Gouverneure ab (AJ 7.12.2024). Erste Oppositionsgruppierungen stießen am 7.12. Richtung Damaskus vor (AJ 8.12.2024). Am frühen Morgen des 8.12. verkündeten Medienkanäle der HTS, dass sie in die Hauptstadt eingedrungen sind und schließlich, dass sie die Hauptstadt vollständig unter ihre Kontrolle gebracht haben (Tagesschau 8.12.2024). Die Einnahme Damaskus’ ist ohne Gegenwehr erfolgt (REU 9.12.2024), die Regierungstruppen hatten Stellungen aufgegeben, darunter den Flughafen (Tagesschau 8.12.2024). Das Armeekommando hatte die Soldaten außer Dienst gestellt (Standard 8.12.2024).
Russland verkündete den Rücktritt und die Flucht von al-Assad (BBC 8.12.2024). Ihm und seiner Familie wurde Asyl aus humanitären Gründen gewährt (REU 9.12.2024).
Kurdisch geführte Kämpfer übernahmen am 6.12.2024 die Kontrolle über Deir ez-Zour im Nordosten Syriens, nachdem vom Iran unterstützte Milizen dort abgezogen waren (AJ 7.12.2024), sowie über einen wichtigen Grenzübergang zum Irak. Sie wurden von den USA bei ihrem Vorgehen unterstützt (AWN 7.12.2024).
Die von der Türkei unterstützten Rebellengruppierungen unter dem Namen Syrian National Army (SNA) im Norden Syriens starteten eine eigene Operation gegen die von den Kurden geführten Syrian Democratic Forces (SDF) im Norden von Aleppo (BBC 8.12.2024). ج فف ج Im Zuge der Operation „Morgenröte der Freiheit“ (auf Arabisch را ر ح ة يية - Fajr al-Hurriya) nahmen diese Gruppierungen am 9.12.2024 die Stadt Manbij ein (SOHR 9.12.2024). Die Kampfhandlungen zwischen Einheiten der durch die Türkei unterstützten Syrian National Army (SNA) auf der einen Seite und den SDF auf der anderen Seite dauerten danach weiter an. Türkische Drohnen unterstützten dabei die Truppen am Boden durch Luftangriffe (SOHR 9.12.2024b).
[…]
Der Syrischen Beobachtungsstelle für Menschenrechte zufolge sind seit Beginn der Offensive 910 Menschen ums Leben gekommen, darunter 138 Zivilisten (AAA 8.12.2024). Beim Vormarsch auf Homs waren tausende Menschen Richtung Küste nach Westen geflohen (AJ 6.12.2024). Bei der Offensive gegen Manbij wurden hingegen einige Zivilisten in Richtung Osten vertrieben (SOHR 9.12.2024).
In Damaskus herrschte weit verbreitetes Chaos nach der Machtübernahme durch die Opposition. So wurde der Sturz von Assad mit schweren Schüssen gefeiert und Zivilisten stürmten einige staatliche Einrichtungen, wie die Zentralbank am Saba-Bahrat-Platz, das Verteidigungsministerium (Zivilschutz) in Mleiha und die Einwanderungs- und Passbehörde in der Nähe von Zabaltani, außerdem wurden in verschiedenen Straßen zerstörte und brennende Fahrzeuge gefunden (AJ 8.12.2024b). Anführer al-Joulani soll die Anweisung an die Oppositionskämpfer erlassen haben, keine öffentlichen Einrichtungen anzugreifen (8.12.2024c) und erklärte, dass die öffentlichen Einrichtungen bis zur offiziellen Übergabe unter der Aufsicht von Ministerpräsident Mohammed al-Jalali aus der Assad-Regierung bleiben (Rudaw 9.12.2024).
Gefangene wurden aus Gefängnissen befreit, wie aus dem berüchtigten Sedanaya Gefängnis im Norden von Damaskus (AJ 8.12.2024c).
2. Die Akteure
Syrische Arabische Armee (SAA): Die Syrische Arabische Armee kämpfte gemeinsam mit den National Defense Forces, einer regierungsnahen, paramilitärischen Gruppierung. Unterstützt wurde die SAA von der Hisbollah, Iran und Russland (AJ 8.12.2024). Die Einheiten der syrischen Regierungstruppen zogen sich beim Zusammenstoß mit den Oppositionskräften zurück, während diese weiter vorrückten. Viele Soldaten flohen oder desertierten (NZZ 8.12.2024). In Suweida im Süden Syriens sind die Soldaten der Syrischen Arabischen Armee massenweise desertiert (Standard 7.12.2024). Am 7.12. flohen mehrere Tausend syrische Soldaten über die Grenze in den Irak (Arabiya 7.12.2024; vgl. Guardian 8.12.2024). Präsident al-Assad erhöhte am 4.12. die Gehälter seiner Soldaten, nicht aber dasjenige von Personen, die ihren Pflichtwehrdienst ableisteten (TNA 5.12.2024). Dieser Versuch, die Moral zu erhöhen, blieb erfolglos (Guardian 8.12.2024). Die Opposition forderte die Soldaten indes zur Desertion auf (TNA 5.12.2024). Aktivisten der Syrischen Beobachtungsstelle für Menschenrechte beobachteten, dass Hunderte Soldaten ihre Militäruniformen ausgezogen haben, nachdem sie entlassen wurden (SOHR 8.12.2024). Offiziere und Mitarbeiter des Regimes ließen ihre Militär- und Sicherheitsfahrzeuge in der Nähe des Republikanischen Palastes, des Büros des Premierministers und des Volkspalastes unverschlossen stehen, aus Angst von Rebellen am Steuer erwischt zu werden (AJ 8.12.2024b).
Opposition: Obwohl Hay’at Tahrir ash-Sham (HTS) den plötzlichen Vormarsch auf Aleppo gestartet hat und treibende Kraft der Offensive war haben auch andere Rebellengruppierungen sich gegen die Regierung gewandt und sich am Aufstand beteiligt (BBC 8.12.2024c).
Hay’at Tahrir ash-Sham (HTS): Die HTS wurde 2011 als Ableger der al-Qaida unter dem Namen Jabhat an-Nusra gegründet (BBC 8.12.2024c). Im Jahr 2017 brach die Gruppierung ihre Verbindung mit der Al-Qaida (CSIS 2018) und formierte sich unter dem Namen Hay’at Tahrir ash-Sham neu, gemeinsam mit anderen Gruppierungen (BBC 8.12.2024c). Sie wird von der UN, den USA, der Europäischen Union (AJ 4.12.2024) und der Türkei als Terrororganisation eingestuft (BBC 8.12.2024c). Der Anführer der HTS, der bisher unter seinem Kampfnamen Abu Mohammed al-Joulani bekannt war, hat begonnen wieder seinen bürgerlichen Namen, Ahmad ash-Shara’a zu verwenden (Nashra 8.12.2024). Er positioniert sich als Anführer im Post-Assad Syrien (BBC 8.12.2024c). Die HTS hat in den letzten Jahren versucht, sich als nationalistische Kraft (BBC 8.12.2024b) und pragmatische Alternative zu al-Assad zu positionieren (BBC 8.12.2024c). Der Gruppierung werden Menschenrechtsverletzungen vorgeworfen (BBC 8.12.2024c). Einem Terrorismusexperten zufolge gibt es bereits erste Videos von Personen aus dem HTS-Umfeld, die ein Kalifat aufbauen wollen (WiWo 9.12.2024).
National Liberation Front (NFL): Eine Reihe kleinerer Kampfgruppen, aus denen sich die NFL zusammensetzt, nahmen an der Operation „Abschreckung der Aggression“ teil, darunter die Jaish al-Nasr, das Sham Corps und die Freie Idlib-Armee. Die 2018 in Idlib gegründete NFL umfasst mehrere nordsyrische Fraktionen, von denen einige auch unter das Dach der Freien Syrischen Armee fallen (AJ 2.12.2024b).
Ahrar al-Sham Movement: Die Ahrar al-Sham-Bewegung ist hauptsächlich in Aleppo und Idlib aktiv und wurde 2011 gegründet. Sie definiert sich selbst als „umfassende reformistische islamische Bewegung, die in die Islamische Front eingebunden und integriert ist“ (AJ 2.12.2024b).
Jaish al-Izza: Jaish al-Izza: Übersetzt: „Die Armee des Stolzes“ ist Teil der Freien Syrischen Armee und konzentriert sich auf den Norden des Gouvernements Hama und einige Teile von Lattakia. Im Jahr 2019 erhielt die Gruppierung Unterstützung aus dem Westen, darunter auch Hochleistungswaffen (AJ 2.12.2024b).
Nur Eddin Zinki-Bewegung (Zinki): Diese Gruppierung entstand 2014 in Aleppo, versuchte 2017, sich mit der HTS zusammenzuschließen, was jedoch nicht funktionierte. Die beiden Gruppierungen kämpften 2018 gegeneinander, und „Zinki“ wurde Anfang 2019 von ihren Machtpositionen in der Provinz Aleppo vertrieben. Ein Jahr später verhandelte „Zinki“ mit der HTS, und ihre Kämpfer kehrten an die Front zurück, und seitdem ist die Gruppe unter den oppositionellen Kämpfern präsent (AJ 2.12.2024b).
Milizen in Südsyrien: Gruppierungen aus südlichen Städten und Ortschaften, die sich in den letzten Jahren zurückhielten, aber nie ganz aufgaben und einst unter dem Banner der Freien Syrien Armeekämpften, beteiligten sich am Aufstand (BBC 8.12.2024c). In Suweida nahmen Milizen der syrischen Minderheit der Drusen Militärstützpunkte ein (Standard 7.12.2024).
Syrian Democratic Forces (SDF): Die SDF ist eine gemischte Truppe aus arabischen und kurdischen Milizen sowie Stammesgruppen. Die kurdische Volksschutzeinheit YPG ist die stärkste Miliz des Bündnisses und bildet die militärische Führung der SDF (WiWo 9.12.2024). Sie werden von den USA unterstützt (AJ 8.12.2024). Im kurdisch kontrollierten Norden liegen die größten Ölreserven des Landes (WiWo 9.12.2024).
Syrian National Army (SNA): Diese werden von der Türkei unterstützt (BBC 8.12.2024c) und operieren im Norden Syriens im Grenzgebiet zur Türkei (AJ 8.12.2024). Der SNA werden mögliche Kriegsverbrechen, wie Geiselnahmen, Folter und Vergewaltigung vorgeworfen. Plünderungen und die Aneignung von Privatgrundstücken, insbesondere in den kurdischen Gebieten, sind ebenfalls dokumentiert (WiWo 9.12.2024).
3. Aktuelle Lageentwicklung
Sicherheitslage:
Israel hat Gebäude der Syrischen Sicherheitsbehörden und ein Forschungszentrum in Damaskus aus der Luft angegriffen, sowie militärische Einrichtungen in Südsyrien, und den Militärflughafen in Mezzeh. Israelische Streitkräfte marschierten außerdem in al-Quneitra ein (Almodon 8.12.2024) und besetzten weitere Gebiete abseits der Golan-Höhen, sowie den Berg Hermon (NYT 8.12.2024). Die israelische Militärpräsenz sei laut israelischem Außenminister nur temporär, um die Sicherheit Israels in der Umbruchphase sicherzustellen (AJ 8.12.2024d). Am 9.12.2024 wurden weitere Luftangriffe auf syrische Ziele durchgeführt (SOHR 9.12.2024c). Einer Menschenrechtsorganisation zufolge fliegt Israel seine schwersten Angriffe in Syrien. Sie fokussieren auf Forschungszentren, Waffenlager, Marine-Schiffe, Flughäfen und Luftabwehr (NTV 9.12.2024). Quellen aus Sicherheitskreisen berichten indes, dass Israelisches Militär bis 25km an Damaskus in Südsyrien einmarschiert wäre (AJ 10.12.2024).
Das US-Central Command gab an, dass die US-Streitkräfte Luftangriffe gegen den Islamischen Staat in Zentralsyrien geflogen sind (REU 9.12.2024). Präsident Biden kündigte an, weitere Angriffe gegen den Islamischen Staat vorzunehmen, der das Machtvakuum ausnützen könnte, um seine Fähigkeiten wiederherzustellen (BBC 7.12.2024).
Russland versucht, obwohl es bis zum Schluss al-Assad unterstützte, mit der neuen Führung Syriens in Dialog zu treten. Anstatt wie bisher als Terroristen bezeichnen russische Medien die Opposition mittlerweile als „bewaffnete Opposition“ (BBC 8.12.2024d).
Sozio-Ökonomische Lage:
Die Opposition versprach, den Minderheiten keinen Schaden zuzufügen und sie nicht zu diskriminieren, egal ob es sich um Christen, Drusen, Schiiten oder Alawiten handle. Gerade letztere besetzten unter der Führung Al-Assad’s oft hohe Positionen im Militär und den Geheimdiensten (TNA 5.12.2024).
Für alle Wehrpflichtigen, die in der Syrischen Arabischen Armee gedient haben, wurde von den führenden Oppositionskräften eine Generalamnestie erlassen. Ihnen werde Sicherheit garantiert und jegliche Übergriffe auf sie wurden untersagt (Presse 9.12.2024). Ausgenommen von der Amnestie sind jene Soldaten, die sich freiwillig für den Dienst in der Armee gemeldet haben (Spiegel 9.12.2024).
Die syrischen Banken sollen ihre Arbeit am 10.12.2024 wiederaufnehmen, die Bediensteten wurden aufgefordert, an ihre Arbeitsplätze zurückzukehren (Arabiya 9.12.2024).
Die HTS, die weiterhin auf der Terrorliste der UN steht, ist seit 2016 von Sanktionen des UN-Sicherheitsrates betroffen. Diplomaten zufolge war die Streichung der HTS von der Sanktionenliste kein Thema bei der jüngsten Ratssitzung (REU 10.12.2024).
Bevor der Wiederaufbau zerstörter Städte, Infrastruktur und Öl- und Landwirtschaftssektoren beginnen kann, muss mehr Klarheit über die neue Regierung Syriens geschaffen werden (DW 10.12.2024).
[…]“
1.3.3. Auszug aus der Anfragebeantwortung Rekrutierungspraxis der Übergangsregierung, Rekrutierungen durch andere bewaffnete Gruppen (z.B. Yekîneyên Parastina Gel, YPG); Zwangsrekrutierungen [a-12592-v2] vom 21.03.2025
Rekrutierungspraxis der Übergangsregierung; Zwangsrekrutierungen
Mehrere Quellen berichten im Februar 2025, dass der Präsident der syrischen Übergangsregierung, Ahmed Al-Scharaa, erklärt habe, dass er die Wehrdienstpflicht abgeschafft habe und stattdessen auf freiwillige Rekrutierung setze (Enab Baladi, 12. Februar 2025; France 24, 10. Februar 2025; siehe auch Markaz Al-Jazeera l-il-Dirasat, 30. Jänner 2025; FDD,28. Jänner 2025). Anfang Februar 2025 wurde berichtet, dass sich Scharaa zufolge tausende Freiwillige der neuen Armee anschließen würden (France 24, 10. Februar 2025; Enab Baladi, 12. Februar 2025). Dem Online-Begleittext eines Videobeitrags des schwedischen Fernsehprogramms Svtnyheter von Jänner 2025 zufolge hätte die Hayat Tahrir Al-Scham (HTS)aktiv mit intensiven Rekrutierungen für die Reihen der Polizei und des Militärs begonnen (Svt nyheter, 18. Jänner 2025). In einem undatierten arabischsprachigen Artikel bezieht sich das Swedish Center for Information (SCI) auf den genannten Videobeitrag. Laut dem SCI-Artikelwürden Berichten zufolge Soldaten, Unteroffiziere und Offiziere mittels intensiver Programme rekrutiert, die von traditionellen akademischen Standards und Trainingsstandards abweichen würden. Dies habe den Zweck, die Ausbildung der Militär- und Sicherheitskräfte zu beschleunigen, um den Bedarf des neuen Staates zu decken (SCI, ohne Datum).
In einem arabischsprachigen Artikel von Februar 2025 berichtet Enab Baladi, die Rekrutierungsabteilung in Aleppo habe verkündet, dass die Anmeldungen für eine Militärausbildung begonnen hätten. Die Bedingungen für den Eintritt in die Reihen des Verteidigungsministeriums der Übergangsregierung seien festgelegt worden. Interessierte könnten sich bis 15. Februar 2025 in der Rekrutierungsabteilung in Aleppo im Viertel Al-Furqan anmelden. Voraussetzung sei, dass Bewerber ledig, zwischen 18 und 22 Jahre alt seien, keine chronischen Erkrankungen hätten und nicht verletzt seien. Für eine Anmeldung seien zwei Fotos, eine Kopie des Personalausweises sowie, sofern vorhanden, eine Kopie des Nachweises über einen akademischen Abschluss vorzulegen (Enab Baladi,12. Februar 2025). Ähnliche Informationen finden sich in den nachfolgendbeschriebenen zwei Facebook-Beiträgen. In einem arabischsprachigen Facebook-Beitrag vom 12. Februar 2025 auf der Facebook-Seite „Al Arabiya Syria“ wird berichtet, dass das Gouvernement Aleppo verkündet habe, dass die Anmeldungen für die Aufnahme in die Reihender Armee eröffnet seien. Die Anmeldungen würden im Offiziersclub im Viertel Al-Furqan entgegengenommen. Bewerber hätten ledig sowie zwischen 18 und 22 Jahre alt und gesund zu sein (Al Arabiya Syria,12. Februar 2025). Auf der Facebook-Seite „Nachrichten des freien Syrien“(„Achbar Suriya al-Hurra“) findet sich ein Beitrag vom 6. Februar 2025, der eine Rekrutierungsanzeige der Rekrutierungsabteilung in Idlib veröffentlicht. Die Anmeldung zur Teilnahme am Militärkurs für jene, die unter dem Verteidigungsministerium dienen möchten, sei eröffnet. Interessierten sei es möglich, sich zwischen dem 9. Februar 2025 und dem 15. Februar 2025 in der Rekrutierungsabteilung in Idlib anzumelden. Bewerber hätten ledig und zwischen 18 und 22 Jahre alt zu sein. Siedürften nicht chronisch krank oder verletzt sein. Vorzulegen seien ein Foto, eine Kopie des Personalausweises und eine Kopie desakademischen Nachweises, wenn vorhanden (Nachrichten des freien Syrien, 6. Februar 2025).
Syria TV, ein syrischer Fernsehsender mit Sitz in Instanbul, der im Besitzeines katarischen Mediennetzwerks ist und sich in Opposition zur Assad-Regierung positioniert hatte, berichtet in einem arabischsprachigen Artikel vom Februar 2025, dass sich der Rekrutierungsprozess für die neuen syrischen Militär- und Sicherheitsinstitutionen, wie die Polizei sowie Kriminal- und Geheimdienste, von Gouvernement zu Gouvernementunterscheide. Am 10. Jänner 2025 habe das Innenministerium der Übergangsregierung verkündet, dass Anmeldungen zum Eintritt in die Polizeiakademie begonnen hätten. Die Kurse, die einen Eintritt in die Reihen der Polizei und Dienste der öffentlichen Sicherheit ermöglichen sollen, hätten in fast allen Gouvernements, insbesondere in Damaskus, Rif Dimaschq, Homs, Tartus, Idlib, Sweida und Deir ez-Zor begonnen. Dem Artikel zufolge sei Idlib in dieser Hinsicht am aktivsten, gefolgt von Deir ez-Zor und Teilen von Rif Dimaschq, während der Rekrutierungsprozess in den Küstenregionen sowie in Homs eher verhalten verlaufe. Bewerberhätten zwischen 20 und 30 Jahre alt zu sein, einen Sekundarschulabschluss oder einen entsprechenden Abschlussvorzuweisen, die vorgeschriebenen Kurse absolviert zu haben, unbescholten sowie gesund und von guter Statur zu sein. Sie hätten zudem körperlich fit zu sein und müssten mindestens 168 cm groß sein.
Einem für den Artikel interviewten 27-jährigen Mann zufolge stelle der freiwillige Beitritt zum Polizei- oder Geheimdienstapparat für ihn eine gute Beschäftigungsmöglichkeit dar. Das Gehalt betrage mindestens 200 US-Dollar, während ein Arbeiter in Idlib täglich nicht mehr als umgerechnet drei US-Dollar verdiene. Der Mann aus Süd-Idlib habe auf Facebook eine Rekrutierungsanzeige gesehen und sich daraufhin beeilt, sich zu bewerben. Er habe erklärt, dass für die Bewerbung ein Formular mitpersönlichen Daten auszufüllen sei. Das Formular gebe an, dass Bewerber nicht älter als 30 Jahre sein dürften. Man dürfe im Formular angeben, ob man in die Reihen des Geheimdienstes oder der Polizei, darunter die Kriminalpolizei, die Verkehrspolizei und die Moralpolizei, aufgenommen werden wolle. Die Moralpolizeit sei eine Abteilung, die in Idlib vor dem Sturz der Assad-Regierung hätte gegründet werden sollen, aber trotz der Verbschiedung eines Gesetzes mit dem Titel „Öffentliche Moral“, auf Eisgelegt worden sei (Syria TV, 21. Februar 2025).
In einem Artikel vom 19. Februar 2025 berichtet The National von einem Funktionär der HTS, der im Damaszener Außenbezirk Ost-Ghuta junge Männer rekrutieren solle. Die HTS benötige dem Artikel zufolge so viele Männer wie möglich, insbesondere für entlegenere Gegenden. An einemöffentlichen Platz im Vorort Ain Tarma habe der Funktionär ein kommunales Gebäude betreten und einen Zuständigen dort gefragt, ob er Personen kenne, die geeignet seien, der HTS beizutreten. Er habe eine Telefonnummer hinterlegt und sei zu einer ehemaligen Regierungskaserne weitergegangen, die sich auf dem Gebiet befinde, wo neue HTS-Rekruten ein dreiwöchiges Training absolvieren sollen. Dem Funktionär zufolge hätten sich seit dem Fall der Assad-Regierung tausende der HTS angeschlossen. Hunderte weitere würden bald in den Kasernen in Ost-Ghuta erwartet (The National, 19. Februar 2025)
Laut einem Artikel der Foundation for Defense of Democracies (FDD) von Jänner 2025 behaupte die syrische Übergangsregierung zwar, sich für religiöse Toleranz einzusetzen. Gleichzeitig werde die von der Regierung bevorzugte sunnitisch-islamische Glaubensströmung der Rekrutierung und der Ausbildung neuer Sicherheitskräfte zugrunde gelegt. Berichten zufolge würden neue Rekruten eine 21-tägige Scharia –Ausbildung durchlaufen (FDD, 28. Jänner 2025).
In einem Artikel von Jänner 2025 berichtet Reuters von der Rekrutierung von Polizisten durch die Übergangsregierung. Polizisten, die aus der ehemals HTS-regierten Enklave in Idlib nach Damaskus gebracht worden seien, würden Bewerbernach ihrem Glauben befragen. Die Ausbildung von Polizisten dauere zehn Tage und der Fokus liege Ausbildnern und Absolventen zufolge auf dem Umgang mit Waffen und der Vermittlung von islamischem Recht. Dem Leiter der Polizei in Aleppo zufolge sei geplant, die Ausbildung auf neun Monate auszuweiten, wenn sich die Sicherheitslage gebessert habe. Ihm zufolge würden den Polizeirekruten die Prinzipien der islamischen Rechtsprechung, die Biographie des Propheten Mohammed und Verhaltensregeln gelehrt. Die Bewerbungsformulare würden Reuters zufolge einen Abschnitt „Glaube, Orientierung und Standpunkte“ enthalten, in welchem Bewerber nach ihrer „Bezugsautorität“ („referential authority“) befragt würden. Drei anonymen HTS-Beamten zufolge diene die Frage dazu, Bewerber zu identifizieren, die einer genaueren Prüfung unterzogen werden müssen, insbesondere Alawiten, die derselben Glaubensströmung wie die Assad-Familie angehören würden und möglicherweise Verbindungen zur Assad-Regierung gehabt hätten (Reuters, 23. Jänner 2025).
Dem von Reuters befragten Wissenschaftler Aron Lund zufolge fänden viele Syrer·innen die religiöse Komponente bei der Rekrutierung von Polizisten bedenklich. Das betreffe nicht nur Minderheiten wie Christ·innen, Alawit·innen und Druz·innen, sondern auch urbane, säkulare sunnitische Muslim·innen. Das Innenministerium der Übergangsregierung, welches für Polizeiangelegenheiten zuständig sei, habe Reuters Fragen zum religiösen Fokus bei der Rekrutierung und Ausbildung von Polizisten nicht beantwortet. Mehreren von Reuters interviewten führenden Polizeioffizieren zufolge diene dieser nicht dazu, der Allgemeinbevölkerung religiöse Inhalte aufzuzwingen, sondern dazu, Rekruten ethisches Verhalten zu vermitteln. Sieben Polizeioffiziere, die Polizeistationen verwalten oder im Rekrutierungsprozess involviert seien, hätten ausgesagt, dass die Polizei mehr Mitarbeiter benötige und Bewerbungen von Personen jeder Glaubensrichtung willkommen seien (Reuters, 23. Jänner 2025).
Einem Polizei-Ausbildner an einer Polizeiakademie in Damaskus zufolge hätten sich über 200.000 Personen gemeldet, die Teil des neuen Polizeidienstes werden wollen. Alle fünf von Reuters interviewten hochrangingen Offiziere seien davon ausgegangen, dass sich die Personalausstattung vor dem Hintergrund der Ausweitung von Rekrutierung und Training im Jahr 2025 verbessern werde. Die Anmeldung von Polizisten, die vor dem Sturz der Assad-Regierung zu den Rebellen übergelaufen seien, werde laut von Reuters befragten führenden Polizeioffizieren begrüßt (Reuters, 23. Jänner 2025; siehe auch Enab Baladi, 12.
Februar 2025). Diejenigen, die nicht übergelaufen seien, hätten einen „Aussöhnungsprozess“ zu durchlaufen. Im Zuge dessen hätten sie ein Dokument zu unterzeichnen, worin sie den Regierungswechselanerkennen würden, und sie hätten ihre Waffe abzugeben. Es sei noch unklar, ob sie dem neuen Polizeidienst beitreten dürften (Reuters,23. Jänner 2025).
In einem Artikel von Ende Februar 2025 berichtet Syria TV von Gerüchten, denen zufolge die Übergangsregierung in den Gouvernements Tartus und Latakia Männer zum Militärdienst rekrutiert und zwangsverpflichtet hätte. Auf Facebook-Seiten, die der Quelle zufolge von Medienfachleutenbetrieben würden, die der Assad-Regierung naheständen, sei berichtet worden, dass Sicherheitskräfte in den Städten Dschableh, Baniyas und Qardaha Checkpoints aufgestellt und Personen mit Statusregelungsausweisen („Bidaqat Taswiya“) festgenommen hätten. Offizielle Quellen des Gouvernements Tartus hätten den Verantwortlichen der Rekrutierungsabteilung der Stadt Baniyas zitiert, der diese Gerüchtevehement abgestritten habe. Er habe darauf hingewiesen, dass der Militärdienst nunmehr auf Freiwilligkeit aufbaue und dazu aufgerufen, offizielle Quellen für Informationen zu konsultieren (Syria TV, 26. Februar2025).
Rekrutierungen durch andere bewaffnete Gruppen; Zwangsrekrutierungen
SDF und SDF-nahe Kräfte
Mitte März 2025 berichten Quellen von einer zwischen Ahmad Scharaa und Mazloum Abdi, dem Leiter der SDF, getroffenen Einigung, die Ende2025 umgesetzt werden solle (DW, 11. März 2025; CNN, 11. März 2025; The Guardian, 10. März 2025). Die Vereinbarung sehe vor, alle „zivilen und militärischen Einrichtungen“ in Nordost-Syrien der Verwaltung dessyrischen Staates zu unterstellen (DW, 11. März 2025, siehe auch The Guardian, 10. März 2025). Der von CNN dazu interviewten Wissenschaftlerin am Center for Strategic and International Studies Natasha Hall zufolge sei zu dem Zeitpunkt unklar, wie die Integrierung der SDF in die Institutionen des syrischen Staates aussehen werde. Zum Zeitpunkt der Berichterstattung sei es der SDF erlaubt, ihre Struktur und ihre Waffen zu behalten (CNN, 11. März 2025).
In einem arabischsprachigen Artikel von März 2025 von Al Jazeera wird ein Mann zitiert, der an den zu der Zeit bestehenden Protesten in Deir ez-Zor teilgenommen habe. Er habe unter anderem darauf hingewiesen, dass SDF-Kräfte Verhaftungskampagnen in den von der SDF kontrollierten Gebieten durchgeführt hätten, in deren Rahmen Dutzende junge Männerunter dem Vorwurf der Gruppe Islamischer Staat (IS) beitreten zu wollen, verhaftet und zwangsrekrutiert worden seien (Al Jazeera, 8. März 2025). In einem arabischsprachigen Artikel von Jänner 2025 zitiert Al Jazeera den Wissenschaftler Amir Al-Mithqal, dem zufolge die Demokratischen Kräfte Syriens (Syrian Democratic Forces, SDF) aufgrund eines Mangels an kurdischen Kräften ethnische Araber zwangsrekrutiert hätten (Al Jazeera,29. Jänner 2025). Ende Jänner 2025 berichtet Syria TV, dass seit dem Sturz der Assad-Regierung über 5.000 Männer die SDF verlassen hätten, in dem sie übergelaufen oder geflohen seien. Einer der SDF nahestehenden Quelle zufolge bestehe ein Mangel an Kräften in den Reihen der SDF und diese sei nicht imstande neue Rekrutierungskampagnen in der Region zu starten. Es würden nur begrenzt Rekrutierungsoperationen durchgeführt, und zwar hauptsächlich im Gouvernement Hasaka. Der Quelle zufolge prüfe die SDF sämtliche Optionen, um ihre Militär- und Sicherheitskräfte zu stärken, unter anderem durch den Aufbau neuer Kräfte. Mitte Jänner habe die SDF die Demobilisierung von Wehrpflichtigen, die ihre Wehrpflicht bereits abgeleistet hätten, aufgrund des bedeutenden Anstiegs an Desertionen und Überläufen in ihren Kreisen gestoppt. Die SDF sehe für jeden Mann, der das Alter von 18 Jahren erreicht habe und zwischen 1998 und 2006 geboren sei, eine einjährige Wehrpflicht vor. Ein von der SDF zwangsrekrutierter Mann habe Syria TV erzählt, dass er seinen Wehrdienst vor zwei Monaten erfüllt habe und die SDF sich ohne Angabe von Gründen weigern würde, ihn aus der Pflicht zu entlassen. Davon seien hunderte andere Personen betroffen (Syria TV, 31. Jänner 2025).
Mehrere Quellen berichten im Februar 2025 von der Entführung eines Minderjährigen durch SDF-nahe Kräfte im Viertel Scheich Maqsoud in Aleppo zum Zweck der Zwangsrekrutierung. Er sei den Quellen zufolge von der Revolutionären Jugend entführt worden. (REBAZ, 21. Februar2025; Basnews, 22. Februar 2025; @HalabTodayTV, 28. Februar 2025). Einem Artikel von Basnews von Februar 2025 zufolge sei der Minderjährige zum Zweck der Zwangsrekrutierung durch die Volksverteidigungseinheiten (YPG) von der Revolutionären Jugendentführt worden. Zudem sei zuvor ein Minderjähriger in der Stadt Kobane von der Revolutionären Jugend entführt worden (Basnews, 22. Februar2025). Ende Februar 2025 berichtet das syrische Netzwerk für Menschenrechte namens RASD Syria von der Entführung eines 12-jährigen Mädchens, ebenfalls aus dem Viertel Scheich Maqsud. Das Mädchen sei Mitte Februar von der SDF nahestehenden Kräften entführt und in ein Kinderrekrutierungslager gebracht worden. Obwohl die Eltern das Mädchen gesucht hätten, hätten sie es nicht finden können. Der Quelle zufolge würden SDF-Kräfte weiterhin Kinder festnehmen und sie unter Zwang in Kinderrekrutierungslagern festhalten. Diese und andere Übertretungen hätten in der Zeit, die der Berichterstattung vorangegangen sei, zugenommen. Auch Entführungen und Rekrutierungen von Kindern durch die der SDF nahestehenden Revolutionären Jugend hätten zugenommen (RASD Syria, 27. Februar 2025).
Gruppe Islamischer Staat (IS)
Laut einem Al-Monitor-Artikel von Dezember 2024 nutze der IS wahrscheinlich das durch den Sturz der Assad-Regierung entstandene Chaos, um neue Mitglieder zu rekrutieren, darunter möglicherweise auch militante Hardliner aus den Reihen der HTS, denen die moderate Linie von Ahmed Al-Scharaa nicht zusage (Al-Monitor, 28. Dezember 2024).Einem Artikel des Soufan-Center, ebenso von Dezember 2024, zufolge, könne es sein, dass der IS sich nach dem Sturz der Assad-Regierung nunmehr anstrengen müsse, um zu rekrutieren (The Soufan Center,18. Dezember 2024). Anfang Jänner 2025 berichtet der Council on Foreign Relations (CFR), dass der IS zu einem Großteil zwar besiegt worden sei, er jedoch weiterhin in Syrien und darüber hinaus rekrutiere und operiere (CFR, 9. Jänner 2025).
In einem Artikel vom 13. Februar 2025 zitiert Al Arabiya den Co-Vorsitzenden des Büros der Angelegenheiten Vertriebener und Geflüchteter in der Demokratischen Autonomen Verwaltung Nord- und Ostsyriens (DAANES), der erklärt habe, dass der IS weiterhin im Lager Al-Hol rekrutiere (Al Arabiya, 13. Februar 2025).
Das US-Verteidigungsministerium (US Department of Defense, USDOD) schreibt im Februar 2025, dass die anhaltende Unterstützung des IS und Kontakte im Al-Hol-Lager zu IS-Mitgliedern es dem IS erlaubt hätten, weiterhin aus dem Lager zu rekrutieren (USDOD, 19. Februar 2025, S. 32).
In einem Artikel vom 30. Jänner 2025 berichtet das Middle East Media Research Institute (MEMRI), dass eine Plattform, die offizielles IS-Materialveröffentliche, einen neuen Telegram-Bot beworben habe, der programmiert sei, abtrünnig gewordene HTS-Mitglieder, die dem IS beitreten wollen, zu beraten (MEMRI, 30. Jänner 2025).
Das Institute for the Study of War (ISW) und das Critical Threats Project(CTP) berichten im Jänner 2025, dass die Sicherheitslage in Syrien nachdem Sturz der Assad-Regierung dazu führen könne, dass die Fähigkeit des IS neue Kämpfer zu rekrutieren, gestärkt werde, sollte der Sektarismus im Land außer Kontrolle geraten (ISW CTP, 9. Jänner 2025; siehe auch The Soufan Center, 18. Dezember 2024). Dem oben erwähnten USDOD-Bericht von Februar 2025 zufolge werde der IS wahrscheinlich seinen Vorteil aus der geschwächten Sicherheitslage in Syrien ziehen, um seine Präsenz über die Wüste in Zentralsyrien hinaus auszuweiten und seinen Einfluss in Syrien zu vergrößern. Die Gruppe werde der Quelle zufolge die politische Instabilität in Syrien für sich nutzen, um Rekrutierungen untermarginalisierten lokalen Gemeinschaften auszuweiten (USDOD,19. Februar 2025, S. 11; siehe auch The Soufan Center, 18. Dezember2024).
[…]“
1.3.4. Auszug aus dem EUAA, Syria: Country Focus, Country of Origin Information Report vom März 2025:
Zur aktuelle Lage in Syrien wird anhand des Berichts der EUAA, Syria: Country Focus, Country of Origin Information Report vom März 2025 folgendes festgestellt (Nummerierung der Überschriften des englischen Original-Berichts beibehalten):
„[….]
1.2.2. Regierungsführung unter der Übergangsverwaltung (S. 20-23)
(a) Politischer Übergang (S. 20-21)
Nach dem Sturz der Regierung von Bashar Al-Assad am 8. Dezember 2024 wurde eine Übergangsverwaltung geschaffen. Der ehemalige Premierminister Mohammed Al-Jalali übertrug die Macht formell an Mohammed al-Bashir, den neu ernannten Übergangspremierminister, um die Fortführung der staatlichen Aufgaben einschließlich der Zahlung der Gehälter im öffentlichen Dienst zu gewährleisten, wie Al-Jalali erklärte.
Al-Sharaa erklärte, dass die Organisation nationaler Wahlen bis zu fünf Jahre dauern könnte, da die Wahlinfrastruktur erst wieder aufgebaut werden müsse. Er versicherte ferner, dass Syrien als „Republik mit einem Parlament und einer Exekutivregierung“ strukturiert sein werde.
Am 29. Dezember skizzierte Ahmad al-Sharaa einen mehrjährigen Fahrplan, der die Ausarbeitung einer neuen Verfassung innerhalb von drei Jahren und anschließende Wahlen vorsieht, sowie Pläne für eine Konferenz des nationalen Dialogs zur Förderung von Versöhnung und Inklusion. Als Teil des Übergangsprozesses betonte Al-Sharaa die Bedeutung der Bewahrung der nationalen Einheit und lehnte den Föderalismus ab. Erste Verhandlungen wurden mit den SDF und dem Kurdischen Nationalrat (KNC) geführt, um die kurdischen Gruppierungen in den politischen Prozess einzubeziehen. Die ursprünglich für Anfang Januar geplante Konferenz für den nationalen Dialog wurde jedoch verschoben, um ein breiteres Vorbereitungskomitee einzusetzen, in dem alle Teile der syrischen Gesellschaft vertreten sind. Die Konferenz fand schließlich am 25. Februar 2025 statt, der vorbereitende Workshops auf lokaler Ebene vorausgegangen waren. Sie trat in Damaskus mit rund 600 Teilnehmern zusammen und betonte in ihrer Abschlusserklärung die territoriale Integrität Syriens, verurteilte die israelischen Angriffe und forderte einen Rückzug. Ferner wurde die Annahme einer vorläufigen Verfassungserklärung, die Bildung eines vorläufigen Legislativrats und die Ausarbeitung eines Entwurfs für eine ständige Verfassung mit Schwerpunkt auf Menschenrechten und Freiheit festgelegt. In der Abschlusserklärung wurde ferner die Bedeutung der Beteiligung von Frauen, der friedlichen Koexistenz und der Einrichtung von Mechanismen für den laufenden nationalen Dialog hervorgehoben. Die Konferenz wurde jedoch als übereilt organisiert und unzureichend repräsentativ kritisiert.
Ende Januar erklärte die Übergangsregierung die Verfassung Syriens aus dem Jahr 2012 für ungültig und löste das Parlament, das Militär und die Sicherheitsorgane der früheren Regierung auf. Al-Sharaa erklärte, er werde einen legislativen Interimsrat einrichten, der die Regierung bis zur Verabschiedung einer neuen Verfassung unterstützen soll.
(b) Regierungsbildung (S.21-22)
Nach der Machtübernahme in Damaskus setzte die HTS eine geschäftsführende Regierung ein, die sich hauptsächlich aus Beamten der ehemaligen Syrischen Heilsregierung (SSG) in Idlib zusammensetzte, was Al-Sharaa als eine vorübergehende Maßnahme zur Aufrechterhaltung der Stabilität und Wiederherstellung der wichtigsten Dienste bezeichnete. Zunächst übernahmen Minister der SSG nationale Ministerposten, wobei einige Beamte und Staatsbedienstete der früheren Regierung in ihren Positionen blieben, um die Kontinuität zu gewährleisten.
Am 10. Dezember 2024 wurde Mohammed Al-Bashir, ein Ingenieur aus dem Gouvernement Idlib und ehemaliger Leiter der SSG im Nordwesten Syriens, die zusammen mit der HTS gegründet wurde, zum Interimspremierminister ernannt. Seine Amtszeit und die der Übergangsregierung sollte am 1. März 2025 enden, aber Ende Januar 2025 gab es noch keinen Termin für Wahlen in Syrien. In der Zwischenzeit wurde Ahmad Al-Sharaa, der Anführer der HTS, zum De-facto-Führer Syriens ernannt. Am 29. Januar 2025 wurde Al-Sharaa zum Präsidenten für die Übergangszeit ernannt.
Am 21. Dezember ernannte die Übergangsregierung Asaad Hassan Al-Shibani zum Außenminister und Murhaf Abu Qasra zum Verteidigungsminister, die beide als Verbündete von Al-Sharaa bekannt waren. Weitere Ernennungen betrafen Mohamed Abdel Rahman als Innenminister, Mohammed Yaqoub Al-Omar als Informationsminister, Mohamed Taha Al-Ahmad als Minister für Landwirtschaft und Bewässerung, Nazir Mohammed Al-Qadri als Bildungsminister und Shadi Mohammed Al-Waisi als Justizminister, die alle zuvor in der Heilsregierung tätig waren. Darüber hinaus übernahmen Fadi Al-Qassem, Mohamed Abdel Rahman Muslim, Hossam Hussein und Basil Abdul Aziz das Amt des Ministers für Entwicklung, des Ministers für lokale Verwaltung und Dienstleistungen, des Ministers für Stiftungen und des Wirtschaftsministers. Anas Khattab (auch bekannt unter seinem Pseudonym Abu Ahmad Hudood), ein früherer Führer der Nusra-Front, wurde zum Leiter des Allgemeinen Nachrichtendienstes ernannt.
(c) Militärische Reformen (S.22-23)
Vor ihrem Einzug in Damaskus am 8. Dezember verpflichtete sich die HTS, den institutionellen Rahmen Syriens beizubehalten, und erklärte später eine Generalamnestie für die Soldaten der syrischen Armee. Die Übergangsregierung leitete daraufhin einen Beilegungsprozess ein, der die Wiedereingliederung zahlreicher ehemaliger Regierungs- und Militärangehöriger erleichterte, darunter auch hochrangige Beamte, von denen einige, wie z. B. Fadi Saqr, in schwerwiegende Übergriffe während des Krieges verwickelt waren. Neben den Verfahren zur freiwilligen Wiedereingliederung verfolgte die Military Operations Administration (MOA), die übergeordnete Kommandozentrale der neuen HTS-geführten Übergangsverwaltung, Personen, die sich der Wiedereingliederung entzogen. Im Rahmen dieser Kampagnen wurden frühere Offiziere verhaftet, während andere wieder freigelassen wurden, nachdem festgestellt worden war, dass sie nicht an Übergriffen beteiligt gewesen waren. Nach Angaben von Etana gab es Bedenken wegen fehlender Verfahren, da Berichten zufolge Hinrichtungen von Milizionären auf niedriger Ebene stattfanden, die von den Behörden als vereinzelte Racheakte der Gemeinschaft dargestellt werden. Die Syrische Beobachtungsstelle für Menschenrechte (SOHR), eine im Vereinigten Königreich ansässige Überwachungsorganisation, berichtete Mitte Januar, dass innerhalb weniger Tage 8.000 Personen in den MOA-Zentren in Sallamiyah, Hama, Versöhnungsabkommen geschlossen haben. Die Zahl der Offiziere und Angehörigen der Streitkräfte der früheren Regierung in Gefängnissen wie Adra, Hama und Harim stieg auf über 9.000, darunter 2.000, die aus dem Irak zurückgekehrt waren. Die meisten wurden verhaftet, nachdem sie bei Razzien oder an Checkpoints erwischt worden waren.
Die Übergangsregierung schaffte außerdem die Wehrpflicht ab, außer in Situationen wie dem nationalen Notstand. Laut Samir Saleh, Mitglied des Militärkommandos im Umland von Damaskus, wird die syrische Armee eine Freiwilligenarmee sein, an der sich die Bevölkerung beteiligen soll, um die Grenzen des Landes zu sichern. Frühere Überläufer, wie z. B. Offiziere der Freien Syrischen Armee (FSA), werden in der Struktur des Verteidigungsministeriums einen besonderen Status erhalten, je nach ihrer Expertise. Am 29. Dezember wurde eine Liste mit 49 neuen militärischen Befehlshabern veröffentlicht, darunter Mitglieder der HTS, übergelaufene Offiziere der syrischen Armee und mindestens sechs Nicht-Syrer, wobei die sieben höchsten Positionen Berichten zufolge mit HTS-Mitgliedern besetzt sind.
Schließlich verpflichtete sich die Übergangsregierung, alle Rebellengruppen in das Verteidigungsministerium zu integrieren. Zwischen Januar und Februar 2025 bemühten sich die Interimsministerien für Verteidigung und Inneres, alle bewaffneten Gruppen in einer einzigen Militär- und Polizeitruppe zu vereinen. Das Verteidigungsministerium berichtete, dass über 70 Gruppierungen aus sechs Regionen der Integration zugestimmt hätten, und es wurde ein Oberster Ausschuss eingerichtet, der den Einsatz militärischer Mittel, einschließlich Personal, Stützpunkte und Waffen, steuern sollte.
[…]
1.3. Behandlung bestimmter „Profile“ und Gruppen der Bevölkerung (S.26-42) 1.3.1. Personen, die der Regierung von Bashar Al-Assad nahestanden (S.26-29)
Nach der Machtübernahme verfolgte die Übergangsregierung keinen umfassenden Entbaathifizierungsprozess nach dem Vorbild der Nachkriegspolitik des Irak, und die Büros der Baath-Partei wurden nicht systematisch ins Visier genommen. Im Dezember stellte die Führung der Baath-Partei ihre Aktivitäten ein.
Ende Januar wurde bekannt gegeben, dass die Partei aufgelöst wurde. Von Anfang an verkündeten die neuen Behörden, dass die Soldaten, die im Rahmen der Wehrpflicht rekrutiert worden waren, sicher seien und dass es verboten sei, sie anzugreifen. Am 9. Dezember erließ das MOA eine Generalamnestie für alle zwangsrekrutierten Militärangehörigen. Die neue Regierung richtete daraufhin so genannte „Versöhnungszentren“ ein, in denen ehemalige Angehörige der Polizei, des Militärs, der Nachrichtendienste und der Pro-Assad-Milizen, die ihre Waffen abgegeben haben, vorübergehend zivile Ausweise erhalten. Diese Versöhnungszentren überwachen den Prozess, bei dem ehemalige Regimeangehörige ihre Waffen abgeben und ihre persönlichen Daten im Austausch gegen vorläufige Personalausweise registrieren. Diese Karten gewähren einen begrenzten Rechtsschutz und sicheres Reisen, aber das Verfahren ist nicht transparent, folgt uneinheitlichen Kriterien und wird von den Sicherheitsbehörden beeinflusst, so dass viele Antragsteller vor komplexen bürokratischen Hürden stehen. Ende Dezember berichtete die BBC von einer großen Beteiligung, bei der Hunderte von Personen vor einem Versöhnungszentrum in Damaskus Schlange standen.
Im Januar und Februar berichteten lokale Medien und Organisationen, die die Ereignisse in Syrien verfolgten, dass die neue Regierung einigen hochrangigen Persönlichkeiten, die mit der Assad-Regierung in Verbindung stehen, Amnestie gewährte, wie z. B. Fadi Saqr, dem früheren Führer der Nationalen Verteidigungskräfte. Außerdem soll die MOA Kollaborateuren von Maher Al-Assad, wie Geschäftsleuten, die seine Aktivitäten unterstützten, sowie Generalmajor Talal Makhlouf, Anführer der Republikanischen Garde der Assad-Regierung, Versöhnung gewährt haben. Gleichzeitig veranlasste der Zusammenbruch der Regierung von Bashar Al-Assad zahlreiche hochrangige Beamte und Angehörige der Herrscherfamilie zur Flucht in den Libanon. Die libanesischen Behörden wiesen jedoch syrische Offiziere und Soldaten, die illegal eingereist waren, aus und schickten sie nach Syrien zurück, wo sie von der neuen Regierung inhaftiert wurden.
Ende Dezember intensivierte die Übergangsverwaltung ihre Bemühungen, Personen festzunehmen, die mit der gestürzten Regierung in Verbindung stehen. Die Behörden behaupteten, ihre Verhaftungsaktionen zielten nur auf Personen ab, die im Namen des Assad-Regimes Verbrechen begangen hatten. Die Kampagnen in Deir Ez-Zor, Aleppo und Tartous konzentrierten sich auf die Beschlagnahmung illegaler Waffen und die Festnahme von Verdächtigen, die an illegalen Aktivitäten beteiligt waren. Allein in einer Woche wurden in Damaskus, Latakia, Tartus, Homs, Hama und Deir Ez-Zor fast 300 Personen festgenommen, darunter ehemalige Regimeinformanten, pro-iranische Kämpfer und rangniedrige Militäroffiziere. Nach Angaben des SOHR wurden einige Gefangene, die beschuldigt wurden, der Assad-Regierung Informationen geliefert zu haben, Berichten zufolge unmittelbar nach ihrer Verhaftung hingerichtet. Am 10. Januar berichtete das SOHR, dass Kämpfer, die mit der Übergangsregierung verbunden sind, Mazen Kneneh, einen lokalen Beamten, der beschuldigt wird, als Informant für den gestürzten Präsidenten Assad zu arbeiten, öffentlich hinrichteten. Im Februar wurden weitere außergerichtliche Tötungen ehemaliger Mitglieder von Milizen, die Bashar Al-Assad unterstützten, gemeldet, wie die Ermordung von vier Mitgliedern der Familie Meido, die einer lokalen Miliz angehörten, die an der Seite der früheren Regierung gekämpft hatte. Nach Angaben des SOHR wurden zwischen Anfang 2025 und Mitte Februar 2025 287 Personen durch außergerichtliche Tötungen und Racheakte getötet.
Die Operationen wurden den ganzen Januar über fortgesetzt, wobei Mitglieder der allgemeinen Sicherheitsverwaltung Häuser inspizierten und nach Waffen und Personen suchten, die sich nicht mit der Übergangsverwaltung ausgesöhnt hatten. Bei umfangreichen Militär- und Sicherheitsoperationen in Schlüsselregionen wie den Küstenstädten, Homs, Hama, Aleppo und Damaskus kam es zu Razzien, Waffendurchsuchungen und der Festnahme weiterer Hunderter von Personen. Die Operationen konzentrierten sich auf ehemalige militärische Kämpfer und Ex-Regierungsangehörige und führten zur Beschlagnahmung erheblicher Mengen an Waffen und Munition. Die festgenommenen Personen wurden in die Zentralgefängnisse von Homs, Hama und Adra im ländlichen Damaskus gebracht. Darüber hinaus wurden Videos ins Internet gestellt, auf denen zu sehen ist, wie Häftlinge, die bei diesen Operationen festgenommen wurden, körperlich und verbal misshandelt werden, einschließlich Angriffen und erniedrigender Behandlung. Nach Angaben des Syria Justice and Accountability Center kam es bei diesen Sicherheitsoperationen zu verschiedenen Menschenrechtsverletzungen, darunter dem Tod von Inhaftierten und der Verhaftung von Angehörigen gesuchter Personen, von denen sowohl ehemalige Angehörige der Assad-Regierung als auch nicht verwandte Zivilisten betroffen waren. Mitte Januar meldete das SOHR, dass über 9 000 Kämpfer und Offiziere weiterhin inhaftiert seien, wobei Foltervorwürfe erhoben und der Kontakt zu den Familien eingeschränkt wurde. Informationen des Syrischen Netzwerks für Menschenrechte (SNHR) stimmten mit den Foltervorwürfen überein, die von Familien berichtet wurden, denen die Leichen ihrer Familienmitglieder nach ihrer Inhaftierung durch das Generaldirektorat für Sicherheit zurückgegeben wurden. Gleichzeitig berichtete das SOHR, dass 275 Häftlinge aus dem Zentralgefängnis von Homs freigelassen wurden, nachdem ihre Unschuld an Kriegsverbrechen gegen die syrische Bevölkerung festgestellt worden war. Im Januar 2025 ließ die Übergangsverwaltung rund 641 Personen, hauptsächlich aus den Gouvernements Homs, Hama und Latakia, frei, die zwischen einigen Tagen und einem Monat inhaftiert waren, wobei die meisten in kleinen Gruppen aus dem Zentralgefängnis von Homs entlassen wurden.
Anfang Februar verhängte das Informationsministerium ein Verbot, Interviews mit Personen zu führen oder Aussagen zu verbreiten, die mit der früheren Regierung in Verbindung gebracht werden.
Seit der Machtübernahme durch die Übergangsregierung haben die verbliebenen Pro-Assad-Gruppen in ganz Syrien kleinere, gezielte Anschläge auf die Sicherheitskräfte der Regierung verübt. Diese Angriffe haben die Behörden dazu veranlasst, Operationen zur Ergreifung der Täter einzuleiten, die manchmal zu Opfern unter der Zivilbevölkerung führten. Anfang März führten koordinierte Angriffe von Pro-Assad-Gruppen auf Sicherheitskräfte, insbesondere in den Küstengebieten, zu einer erheblichen Eskalation, die eine große Zahl von Opfern unter der Zivilbevölkerung, vor allem unter den Alawiten, zur Folge hatte.
Neben den Operationen der Übergangsverwaltung wurden Vorfälle von mutmaßlichen Racheakten, einschließlich Tötungen, Entführungen und Brandstiftungen, durch nicht identifizierte Gruppen dokumentiert, deren Ausmaß jedoch unklar bleibt. Ende Dezember wurden drei alawitische Richter in Masyaf, die für Eigentumsstreitigkeiten zuständig waren, getötet, eine Tat, die von der Übergangsverwaltung verurteilt wurde. Im Januar meldete das SOHR die Hinrichtung von 15 Personen, darunter Beamte der ehemaligen Regierung, durch nicht identifizierte Bewaffnete im Gouvernement Homs. Außerdem wurden 53 Personen verhaftet und an unbekannte Orte gebracht.
1.3.2. Alawiten (S.29-31)
Nach ihrer Machtübernahme betonte die HTS ihr Engagement für die Integration der Alawiten in die syrische Staatsführung und nahm Gespräche mit lokalen Vertretern der Alawiten auf. HTS-Vertreter bekräftigten, dass die Rechenschaftspflicht für Verbrechen, die unter der Assad-Regierung begangen wurden, über das formelle Rechtssystem verfolgt werden würde. Trotz dieser Zusicherungen bleiben die Alawiten von den neuen politischen und militärischen Strukturen weitgehend ausgeschlossen, und es gibt keinen Plan für die Eingliederung entlassener Soldaten in die neue Armee, da die Differenzen aus der Kriegszeit fortbestehen. Das Misstrauen der Öffentlichkeit gegenüber ehemaligen Offizieren und Beamten des Regimes behindert ihre Wiedereingliederung zusätzlich. Die wirtschaftliche Unsicherheit stellt eine große Herausforderung dar, wobei die Massenentlassungen im öffentlichen Sektor vor allem Alawiten betreffen, darunter ehemalige Sicherheitsbeamte und ihre Familien, von denen viele auch staatlich bereitgestellte Wohnungen verloren haben.
Die Behandlung der alawitischen Gemeinschaften, insbesondere in Regionen wie Homs, Hama und den Küstengouvernements, gibt weiterhin Anlass zu großer Sorge. In der Stadt Homs errichteten Männer in Militäruniformen Kontrollpunkte an den Eingängen der mehrheitlich von Alawiten bewohnten Stadtteile, was die Ängste der Bewohner schürt. Berichten zufolge wurden junge Männer, darunter ehemalige Soldaten und Wehrpflichtige, die ihre Waffen abgegeben hatten, festgenommen. Die Männer an einem Kontrollpunkt haben angeblich ein Sektenprofil erstellt, bevor der Kontrollpunkt nach Beschwerden aufgelöst wurde. Shihadi Mayhoub, ein ehemaliger Gesetzgeber, sagte, er habe bis Januar 2025 über 600 Verhaftungen im Bezirk Zahra (Gouvernement Homs) und mehr als 1.380 in der Stadt Homs dokumentiert, wobei es sich bei den meisten Verhafteten um Zivilisten und Wehrpflichtige sowie um pensionierte Offiziere gehandelt haben soll. Das SOHR schätzt, dass in der Stadt Homs und ihrem Gouvernement mindestens 1.800 Personen, überwiegend Alawiten, inhaftiert wurden. Darüber hinaus nahm die gegen Alawiten gerichtete Gewalt landesweit zu, und es wurden 150 Morde gemeldet, insbesondere in Homs und Hama.
In der Zwischenzeit verschärften nicht identifizierte extremistische Gruppierungen die Ängste, indem sie Aufrufe zur Gewalt gegen Alawiten verbreiteten, darunter auch Videos, die wahllose Angriffe befürworteten. Gezielte Tötungen von Alawiten, die mit der früheren Regierung in Verbindung standen, wurden aus den Küstenregionen gemeldet, während bewaffnete Gruppen, die Militäruniformen trugen, die denen der HTS oder anderer Oppositionsgruppen ähnelten, überfielen über 20 alawitische Dörfer im ländlichen Hama, was zu Vertreibung, Diebstahl und Todesfällen führte.
Berichte über Schikanen, Entführungen und Tötungen von Alawiten nahmen nach dem Sturz Assads zu, wobei in den sozialen Medien - wenn auch unbestätigte - HTS-Kämpfer für die Gewalt verantwortlich gemacht wurden. Ein ehemaliger syrischer Soldat berichtete, er sei an einem HTS-Kontrollpunkt in der Nähe von Khirbet al-Ma'zah im Gouvernement Tartus festgenommen und geschlagen worden, als er unterwegs war, um Amnestie zu beantragen. Er gab an, er sei gezielt wegen seiner alawitischen Herkunft angegriffen und fünf Stunden lang körperlich misshandelt worden, bevor er freigelassen wurde. Die Vereinten Nationen bemühten sich, diese Behauptungen zu überprüfen, um eine weitere sektiererische Eskalation zu verhindern, während das SOHR schätzungsweise 150 alawitische Tötungen innerhalb eines Monats durch ungenannte Täter verzeichnete.
In Zahra, einem Viertel in Homs mit einem hohen Anteil an alawitischer Bevölkerung, nahm die Unsicherheit zu, und die Bewohner hielten sich aufgrund der Präsenz von HTS-Kräften an eine informelle Ausgangssperre. Die HTS ergriff Sicherheitsmaßnahmen in dem Gebiet, darunter Kontrollpunkte und Hausdurchsuchungen bei Personen, die sie als Überbleibsel der früheren Regierung identifizierte. In Berichten von Anwohnern wurde von Zwangsräumungen, der Erstellung von Profilen anhand von Ausweisdokumenten sowie von Gewalt, Verhaftungen, körperlichen Angriffen und Schüssen berichtet.
Ende Januar meldete das SOHR mehrere Fälle, in denen bewaffnete Gruppen, von denen einige behaupteten, mit der MOA in Verbindung zu stehen, Zivilisten aus politischen und konfessionellen Gründen angriffen und töteten. Insbesondere in Gemeinden im Umland von Homs, in denen die alawitische und schiitische Bevölkerung überwiegt, kam es zu einer drastischen Eskalation von Übergriffen, Straftaten und außergerichtlichen Tötungen von Zivilisten. In einem Dorf im Nordwesten des Gouvernements Hama, das hauptsächlich von Alawiten bewohnt wird, haben Bewaffnete Zivilisten erschossen und getötet. Nach Angaben der Behörden befanden sich unter den Getöteten ehemalige Offiziere und Soldaten.
Anfang Februar wurden weitere Angriffe auf Alawiten gemeldet. Die neuen Behörden leiteten Ermittlungen wegen unrechtmäßiger Tötungen ein und kündigten gleichzeitig Sicherheitsoperationen gegen Loyalisten der früheren Regierung an. Interimspräsident Ahmad Al-Sharaa betonte die Notwendigkeit, den zivilen Frieden zu wahren, und warnte vor den Gefahren einer Vertiefung der konfessionellen Spaltung.
Gregory Waters, Experte für syrische Sicherheitsfragen, wies auf die sehr unterschiedlichen Bedingungen in ehemaligen Regierungshochburgen wie Tartous, Latakia, Homs und Hama hin. Während von Fällen konfessioneller Einschüchterung und Belästigung durch Sicherheitskräfte berichtet wurde, beschrieben einige Alawiten in diesen Regionen den Umgang mit den Behörden als höflich und respektvoll. Laut Waters scheinen die dokumentierten Verstöße eher auf unprofessionelles Verhalten bei Verhaftungen als auf explizite konfessionelle Ziele zurückzuführen zu sein, wobei viele der begangenen Straftaten Banden und Zivilisten zugeschrieben werden, die keine Verbindung zur Übergangsregierung haben. Er stellte ferner fest, dass Menschenrechtsverletzungen manchmal im Kontext einer instabilen Sicherheitslage oder eines Sicherheitsvakuums sowie als Reaktion auf bestimmte Vorfälle begangen wurden, wie beispielsweise, als ehemalige Regierungsmilizionäre Ende Dezember in den ländlichen Gebieten von Tartus einen Hinterhalt gegen Sicherheitskräfte legten. Die Streitkräfte leiteten daraufhin eine Operation ein, die Hausdurchsuchungen, die Errichtung von Kontrollpunkten und Schießereien gegen Dörfer umfasste, die im Verdacht standen, die Kämpfer zu beherbergen, wie z. B. Khirbet Maazah, wo zahlreiche ehemalige Kämpfer der Regierungsmiliz und ein hochrangiger Gefängnisbeamter lebten, der beschuldigt wurde, an der Ermordung von Hunderten von Gefangenen beteiligt gewesen zu sein. Waters ist der Ansicht, dass zahlreiche Verbrechen von Banden und Zivilisten verübt wurden, die nicht mit der neuen Regierung verbunden sind, während einige untergeordnete Soldaten und lokale Führer an sektiererisch motivierten Einschüchterungen und Entführungen von alawitischen Zivilisten beteiligt waren.
Anfang März wurden bei Zusammenstößen zwischen pro-Assad-Gruppen und Sicherheitskräften in Latakia, Tartus und Hama Hunderte von Zivilisten getötet, die meisten von ihnen Alawiten. Dabei kam es auch zu Hinrichtungen im Schnellverfahren durch Kräfte, die mit der Übergangsregierung verbunden sind.
1.3.3. Kurden (S.31)
In Bezug auf die kurdische Gemeinschaft hielt Al-Sharaa nach der Übernahme der Kontrolle ein erstes Treffen mit einer hochrangigen SDF-Delegation ab, um die Grundlage für künftige Gespräche zu schaffen. Seine Äußerungen deuteten darauf hin, dass die Übergangsverwaltung nicht mit dem Anti-SDF-Ansatz der von der Türkei unterstützten SNA übereinstimmte. Dennoch bezeichnete Mohammed A. Salih, ein auf kurdische und regionale Fragen spezialisierter Wissenschaftler, seine Äußerungen als unklar und nicht unterstützend für die kurdischen Ziele. Nach der raschen Einnahme von Aleppo durch die von der HTS geführte Offensive Ende November zwangen die SNA-Kräfte Tausende von kurdischen Zivilisten zur Flucht westlich des Euphrat. In Aleppo hatten die Kurden in erster Linie mit der HTS zu tun, die sich moderat und offen für einen Dialog gezeigt hat. Im Gegensatz dazu geriet die SNA in Manbij immer wieder in Konflikt mit den SDF. Die durchgehende Existenz der SDF wurde von den Organisatoren der Nationalen Dialogkonferenz als Grund für den Ausschluss der halbautonomen kurdischen Verwaltung und der ihr nahestehenden Einrichtungen von der Konferenz angegeben.
Während des gesamten Januars kam es zu weiteren Wohnraums- und Eigentumsverletzungen, als vertriebene kurdische Einwohner versuchten, nach Afrin, einer mehrheitlich kurdisch bewohnten Region im Umland von Aleppo, und in die umliegenden Gebiete zurückzukehren. Berichten zufolge wurden sie von den SNA-Kräften gezwungen, bis zu 10 000 USD für die Rückgabe ihrer Häuser zu zahlen. Gleichzeitig nahmen SNA-Gruppierungen im Januar mindestens 10 Kurden in Afrin fest, wobei die Lösegeldforderungen für die Freilassung auf über 1 000 USD pro Person anstiegen. Bis Mitte Februar hatte sich für die Kurden in Afrin trotz des Einsatzes von Sicherheitskräften aus Damaskus in der Stadt am 7. Februar nur wenig geändert. Berichten zufolge hielten die Misshandlungen durch verschiedene Gruppierungen in Afrin an. Zurückkehrende Bewohner stellten fest, dass ihre Häuser von Kämpfern oder Zivilisten besetzt waren, die für ihre Abreise erhebliche Geldsummen verlangten, obwohl die früheren Bewohner von der Übergangsverwaltung förmliche Zusicherungen für ihre Rückkehr erhalten hatten. Gegen Ende Februar besuchte Al-Sharaa Afrin und traf sich mit lokalen kurdischen Vertretern, die ihre Beschwerden vortrugen; daraufhin sagte er zu, die Gruppierungen in der Stadt durch offizielle Sicherheitskräfte zu ersetzen und die gegen die kurdische Gemeinschaft gerichteten Übergriffe anzugehen.
1.3.4. Andere religiöse und ethnische Minderheiten (S.32-33)
Die neue syrische Führung hat zugesagt, die Rechte von Minderheiten zu wahren und die nationale Einheit zu fördern, in Anbetracht der Befürchtung, unter der islamistischen Herrschaft marginalisiert zu werden.
Im Rahmen seiner Bemühungen, die Minderheitengemeinschaften zu beruhigen, traf Ahmad Al-Sharaa am 22. Dezember mit dem libanesischen Drusenführer Walid Jumblatt zusammen. Später kam er nach einer Reihe von Angriffen auf religiöse Minderheiten mit christlichen Führern zusammen, darunter katholische, orthodoxe und anglikanische Geistliche. Dieses Treffen fand nach Protesten statt, die durch die Verbrennung eines Weihnachtsbaums durch mit der HTS verbundene ausländische Kämpfer am 23. Dezember in einer überwiegend christlichen Stadt in Hama ausgelöst worden waren, sowie nach weiteren Berichten über Schikanen. Nach dem Anschlag auf den Weihnachtsbaum nahm die Übergangsregierung die ausländischen Kämpfer fest, die sie für diesen als Einzelfall bezeichneten Vorfall verantwortlich machte. Darüber hinaus blieben die Regierungsbüros an den Weihnachtsfeiertagen und am folgenden Tag, dem 23. Dezember, geschlossen. Unterdessen berichtete France24, dass in Damaskus zwar Weihnachtsfeiern stattfanden, die christlichen Einwohner sich jedoch zurückhielten und einige aus Angst und Unsicherheit keinen Alkohol kauften.
Berichten zufolge kam es vermehrt zu gezielten Übergriffen auf christliche Gemeinschaften, darunter ein Angriff unbekannter Bewaffneter auf eine griechisch-orthodoxe Kirche in Hama am 18. Dezember, sowie zu verstärkten Spannungen in christlichen Vierteln von Damaskus aufgrund von Drohungen wie öffentlich gesungenen dschihadistischen Liedern und einer Drohbotschaft auf einem gepanzerten Fahrzeug.
Menschenrechtsorganisationen haben verschiedene Einschränkungen der religiösen Freiheiten dokumentiert. Richard Ghazal, Geschäftsführer von In Defense of Christians, wies auf Maßnahmen wie Alkoholverbote und die Präsenz von Flaggen des Islamischen Staates in Gebieten nahe Damaskus hin. In ähnlicher Weise dokumentierte Nadine Maenza vom in Washington ansässigen Sekretariat für internationale Religionsfreiheit Ende Dezember mindestens ein Dutzend Augenzeugenberichte über Angriffe gegen religiöse und ethnische Minderheiten in der Region Shehba in der Nähe von Aleppo. Rafif Jouejati, Wissenschaftler am Middle East Institute, vertrat jedoch die Ansicht, dass diese Vorfälle als Einzelfälle und nicht als Beweis für ein breiteres Muster systematischer Intoleranz betrachtet werden sollten.
Im Stadtteil Al-Qassaa, Damaskus, verteilten bewaffnete Personen Flugblätter, in denen sie Beschränkungen für die Kleidung von Frauen, das Rauchen und soziale Interaktionen forderten. Die HTS entsandte daraufhin Patrouillen, schrieb die Vorfälle nicht identifizierten Personen zu und lehnte eine Befürwortung ab. Die Häufigkeit solcher Aktionen gibt jedoch weiterhin Anlass zur Sorge.
Die neue Regierung unterstrich ihr Bekenntnis zur Inklusivität durch das Versprechen der Nationalen Dialogkonferenz, die darauf abzielte, verschiedene Gemeinschaften, darunter Christen, Kurden, Künstler und Intellektuelle, in die Gestaltung der Zukunft Syriens einzubeziehen. Als die Nationale Dialogkonferenz stattfand, konnte sie die Bedenken hinsichtlich der Inklusivität nicht zerstreuen. Von den sieben Personen, die in das Vorbereitungskomitee berufen wurden, gehörte nur eine einer religiösen Minderheit an, die christliche syrische Aktivistin Hind Kabawat, während die anderen sunnitische Muslime waren, von denen einige enge Verbindungen zu Sharaa oder HTS hatten. Kurdisch geführte Behörden aus dem Nordosten waren von der Konferenz gänzlich ausgeschlossen. Einige Christen erklärten, sie hielten ihr Urteil zurück, bis eine neue Verfassung ausgearbeitet sei und allgemeine Wahlen stattfänden. In der Übergangsregierung sind die Christen nicht vertreten, und sie setzt sich hauptsächlich aus Ministern zusammen, die zuvor in der Regierung von Idlib tätig waren.
Vor allem nach der einseitigen Reform des nationalen Lehrplans hat sich die Skepsis fortgesetzt. Der neue Bildungsminister, Nazir Mohammad Al-Qadri, versicherte, dass sowohl der Islam als auch das Christentum als Unterrichtsfächer Teil des Lehrplans bleiben würden. Anfang Januar kündigte das Bildungsministerium der Übergangsregierung jedoch Lehrplanänderungen an, die eine stärker islamische Perspektive widerspiegeln und gleichzeitig Bezüge zur Assad-Ära beseitigen sollen. Zu den vorgeschlagenen Änderungen gehören die Streichung der Evolution und der Urknalltheorie aus dem naturwissenschaftlichen Unterricht, die Streichung vorislamischer Gottheiten und ihrer Statuen aus dem Geschichtsunterricht und eine geringere Betonung der Königin Zenobia von Palmyra. Aktivisten der Zivilgesellschaft haben ihre Besorgnis darüber geäußert, dass diese Änderungen auf eine Missachtung unterschiedlicher Perspektiven hindeuten und das erklärte Engagement der Verwaltung für Inklusivität untergraben könnten. Das Ministerium wies jedoch diese Interpretationen der Änderungen zurück und betonte, dass die einzigen Änderungen „die Entfernung von Symbolen des früheren Regimes und dessen Verherrlichung sowie die Einführung von Bildern der neuen syrischen Flagge (der Flagge der Revolution) anstelle der früheren Flagge in allen Schulbüchern“ beträfen. Der Minister erläuterte, dass zu den Anpassungen auch die Korrektur „falscher“ Informationen gehörte, auf die sich die Vorgängerregierung bei der Erklärung einiger Koranverse gestützt hatte, und dass die in den Exegesebüchern für alle Bildungsstufen enthaltenen Informationen übernommen wurden.
1.3.5. Frauen (S.33-38)
a) Allgemeiner Überblick über Verstöße gegen Frauen
Laut eines SNHR Berichts wurden zwischen März 2011 und November 2024 mindestens 29.064 Frauen in Syrien getötet, und 11.268 Frauen wurden bei der Veröffentlichung des Berichts in Haft gehalten oder verschwanden gewaltsam. Im Zeitraum vom 1. Januar bis 27. Dezember 2024 dokumentierte das Amt des Hohen Kommissars für Menschenrechte (OHCHR) konfliktbezogene Vorfälle, bei denen 92 Frauen in ganz Syrien getötet wurden. Berichte über die Tötung von Frauen durch bewaffnete Akteure wurden im Bezugszeitraum fortgesetzt, und Frauen wurden auch weiterhin Opfer anderer Verstöße, darunter Todesfälle durch nicht explodierte Kampfmittel und Tötungen durch unbekannte Täter. Im Februar 2025 berichtete SOHR über eine erhöhte Zahl von Entführungsfällen von Frauen und Mädchen.
Die Krise in Syrien hatte unverhältnismäßige Auswirkungen auf Frauen, was zu Gewaltrisiken, negativen Bewältigungsmechanismen, einem eingeschränkten Zugang zu Dienstleistungen, einer erhöhten Anfälligkeit für sexuelle und geschlechtsspezifische Gewalt („sexual and genderbased violence – SGBV“), Diskriminierung und einem eingeschränkten Zugang zu medizinischer Versorgung und Rechtsbehelfen führte. Frauen und Mädchen waren beim Zugang zu humanitärer Hilfe benachteiligt und unverhältnismäßig stark von Ernährungsunsicherheit betroffen.
b) Legislative Entwicklungen und Maßnahmen, die Frauen betreffen
Quellen deuten darauf hin, dass zum Zeitpunkt der Erstellung dieses Berichts noch keine Klarheit über die Lage der Frauen in Syrien unter den HTS-Behörden besteht. Der neue Außenminister Assaad al-Shibani behauptete, dass die Behörden die Rechte der Frauen „voll und ganz unterstützen“ würden, und Ahmed al-Sharaa versprach, die Bildung von Frauen fortzusetzen. Zum 1. Januar 2025 wurden drei Frauen in offizielle Positionen unter der neuen Regierung in Syrien berufen. Die erste Frau, die ernannt wurde, war Aisha al-Dibs als Leiterin des Büros für Frauenangelegenheiten. Am 30. Dezember 2024 ernannten die neuen Behörden die erste weibliche Gouverneurin der syrischen Zentralbank, Maysaa Sabrine, die zuvor als stellvertretende Gouverneurin der Bank tätig war. Am 31. Dezember 2024 wurde Muhsina al-Mahithawi aus der drusischen Minderheit zur ersten weiblichen Gouverneurin der Provinz Sweida ernannt.
Auf nationaler Ebene ist der Regierungsansatz der Übergangsverwaltung nach wie vor unklar, insbesondere in Bezug auf die Rechte und die Vertretung von Frauen. Obaida Arnout, eine Regierungssprecherin, schlug vor, dass Frauen aufgrund ihrer inhärenten Merkmale für bestimmte Rollen in der Regierungsführung ungeeignet seien, während Aisha al-Dibs, die neu ernannte Ministerin für Frauen, sich gegen die Zusammenarbeit mit Organisationen der Zivilgesellschaft aussprach, die mit ihren Ansichten nicht einverstanden seien. Al-Dibs führte weiter steigende Scheidungsraten auf ein früheres Regierungsprogramm zurück und versprach, ähnliche Initiativen zu vermeiden.
Maßnahmen, die auf das öffentliche Engagement von Frauen abzielen, wurden auf Pläne für die Geschlechtertrennung in öffentlichen und privaten Bussen in Damaskus ausgeweitet. Im Januar kündigte die General Company for Internal Transport, „Zajal Transport“, an, dass in der Hauptstadt innerhalb weniger Tage, nach früheren Versuchen in Idlib, Aleppo, Hama und Homs, geschlechtergetrennte Transporte durchgeführt würden.
In Bezug auf die Arbeit von Richterinnen erklärte Obaida Arnout, dass dies „von Sachverständigen“ untersucht werden müsse, was die Situation von Richterinnen unklar lasse. Im Januar 2025 wurde berichtet, dass Shadi al-Waisi, der Justizminister in der derzeitigen Regierung, in zwei Videos gesehen wurde, in denen die Hinrichtung von zwei Frauen überwacht wurde, die 2015 im Raum Idlib wegen „Korruption und Prostitution“ verurteilt wurden. In Homs erschienen Beschilderungen, die die Geschlechtertrennung bewerben, in Bussen. In Damaskus wurden Plakate mit den „Bedingungen des schariakonformen Hijab“ im öffentlichen Raum gesehen. Laut Al-Dibs wird die Regierung syrischen Frauen jedoch keine Kleiderordnung auferlegen. In einem Interview vom 25. Dezember 2024 erklärte Ahmed al-Sharaa, dass „christliche Frauen nicht gezwungen würden, den Schleier einzuhalten“, ohne jedoch muslimischen Frauen zu erwähnen.
c) Frauen ohne männliche Unterstützung (weiblich geführter Haushalt/einzeln/verwitwet)
Der Konflikt in Syrien hat zu einem demografischen Wandel geführt, der zu mehr weiblichen Haushaltsvorständen/Familienoberhäuptern und Frauen die in die Berufswelt einsteigen geführt hat. Die Zahl der von Frauen geführten Haushalte hat aufgrund der Vertreibung zusätzlich zugenommen. Laut einer Analyse der Weltgesundheitsorganisation (WHO) vom Oktober 2024 wird in ganz Syrien „fast jede dritte Familie von einer Frau geleitet.“ Haushalte mit weiblichem „Oberhaupt“ gehören schutzbedürftigen Gruppen an, die unverhältnismäßig stark von dem Konflikt betroffen waren und deren Grundbedürfnisse wie Gesundheitsversorgung, Ernährung und Bildung nicht erfüllt wurden. Frauen wurden am Arbeitsplatz schikaniert und diskriminiert, insbesondere Frauen ohne Ehemänner, einschließlich Witwen. Die Arbeitslosenquote von Frauen in Syrien erreichte 2024 62,2 %, so das syrische Zentralamt für Statistik. Kinder von weiblichen Haushaltsvorständen waren einem erhöhten Risiko der Staatenlosigkeit ausgesetzt, da sie ihre Geburten nicht registrieren konnten. Geschiedene Frauen und Witwen waren dem Risiko von Zwangsverheiratung ausgesetzt. Schwierigkeiten bei der Rückforderung von Eigentum wurden in Bezug auf Witwen, zurückkehrende Frauen aus dem Libanon (mehr als die Hälfte dieser Haushalte waren weiblich geführt) und vertriebene Frauen im Nordosten Syriens gemeldet. Geschiedene Frauen im Nordwesten Syriens waren mit gesellschaftlicher Stigmatisierung, sozialer Ausgrenzung und mangelnder Unterstützung konfrontiert.
Ab Januar 2025 wurden etwa 40 000 Menschen im Lager al-Hol im Nordosten Syriens festgehalten, Berichten zufolge hauptsächlich Frauen und Kinder, Familienangehörige von ISIL-Mitgliedern, darunter Tausende von Ausländern. Die Bedingungen in den Lagern wurden als „unmenschlich“ und „lebensbedrohlich“ bezeichnet. Am 27. Januar ordnete die US-Regierung an, die „ausländische Entwicklungshilfe“ auszusetzen, woraufhin am nächsten Tag eine vorübergehende Ausnahmeregelung für „lebensrettende humanitäre Hilfe“ erlassen wurde. Quellen berichteten, dass das Einfrieren der humanitären Hilfe die Lebensbedingungen im Lager al-Hol weiter verschlechtert hat.
d) Sexuelle und geschlechtsspezifische Gewalt
Der im November 2024 veröffentlichte Jahresbericht der SNHR verzeichnete seit März 2011 11.553 Fälle sexueller Gewalt gegen Frauen. Die Haupttäter sexueller Gewalt, die von der SNHR dokumentiert wurden, wurden als ehemaliges syrisches Regime (8.024 Vorfälle) und ISIL (3.487 Vorfälle) identifiziert, während HTS für zwei Vorfälle verantwortlich gemacht wurde. Das OHCHR berichtete von einem Anstieg „aller Arten sexueller Gewalt und anderer geschlechtsspezifischer Gewalt“ in Syrien während des Konflikts. Misshandlungen gegen Frauen wurden unterschätzt, auch wegen gesellschaftlicher Stigmatisierung und Angst. Der Konflikt in Syrien hat zu vermehrten Fällen von Früh- und Zwangsheiraten geführt, auch als Bewältigungsmechanismus. Eine Studie der internationalen Organisation PAX ergab, dass die Verlagerung der Geschlechterrollen zu einem Anstieg häuslicher und geschlechtsspezifischer Gewalt beigetragen hat.
Im Januar 2025 berichtete der Bevölkerungsfonds der Vereinten Nationen (UNFPA), dass Frauen und Mädchen in Syrien aufgrund institutionalisierter Ungleichheit der Geschlechter und des Patriarchats sowohl im öffentlichen als auch im privaten Leben mit „allgegenwärtigen Formen“ von SGBV konfrontiert waren. Die Situation war durch einen Mangel an Unterstützungsdiensten, sicheren Räumen und Rechtsschutz gekennzeichnet. Nach Angaben des Büros der Vereinten Nationen für die Koordinierung humanitärer Angelegenheiten (UNOCHA) sind 93 % der rund 8,5 Millionen Menschen, die in Syrien Hilfe bei geschlechtsspezifischen Gewalttaten benötigen, Frauen und Mädchen. Sie sahen sich einer Vielzahl von Missbräuchen ausgesetzt, darunter „Gewalt durch intime Partner, häusliche Gewalt, wirtschaftliche und emotionale Gewalt sowie sexuelle Gewalt, einschließlich Vergewaltigung und sexueller Belästigung.“ Ab Januar 2025 waren im Nordwesten Syriens 67 sichere Räume für Frauen und Mädchen, die SGBV-Dienste anbieten, funktionsfähig. In Idlib wurden Ende 2024 Gesundheitseinrichtungen einschließlich einer Entbindungsklinik erheblich beschädigt. Frauen und Mädchen in Aleppo sahen sich beim Zugang zu Dienstleistungen für Opfer des SGBV mit „erheblichen Schwierigkeiten“ konfrontiert, einschließlich solcher, die den Transport und den Mangel an weiblichem Personal betrafen. Das Risiko von SGBV war Berichten zufolge für Frauen in Binnenvertriebenenlagern und in den Notunterkünften höher.
1.3.6. Kinder (S.38-41)
a) Auswirkungen von Gewalt auf Kinder
Nach Angaben des Kinderhilfswerks der Vereinten Nationen (UNICEF) wurden in den 13 Jahren des Konflikts rund 25.500 Verstöße gegen Kinder verzeichnet, darunter die Tötung und Verstümmelung von Kindern und die Rekrutierung von Kindern. SNHR gab an, dass in der Zeit vom März 2011 bis zum 10. November 2024 30.293 Kinder getötet wurden, und ab dem 20. November 2024 wurden 5.298 Kinder verhaftet, inhaftiert oder verschwanden gewaltsam. Im Zeitraum vom 1. Januar bis zum 27. Dezember 2024 dokumentierte das OHCHR Vorfälle, bei denen 212 Kinder in ganz Syrien getötet wurden. Nach dem Regimewechsel gab es weiterhin Berichte über die Tötung von Kindern durch bewaffnete Akteure. Kinder wurden auch weiterhin durch nicht explodierte Kampfmittel verletzt, die mindestens 116 im Dezember und 136 im Zeitraum vom 1. Januar bis zum 17. Februar töteten oder verletzten. Im Januar 2025 warnte das UNOCHA, dass schwerwiegende Verstöße gegen Kinder nach wie vor ein großes Problem darstellen, einschließlich der Gefahr, getötet, verletzt, rekrutiert und bei Feindseligkeiten eingesetzt zu werden.
Im Dezember 2024 waren schätzungsweise 7,5 Millionen Kinder in Syrien auf humanitäre Hilfe und rund 6,4 Millionen auf psychologische Hilfe angewiesen. Das Entwicklungsprogramm der Vereinten Nationen (UNDP) berichtete, dass Ernährungsunsicherheit und Unterernährung bei Kindern die Gesundheitsrisiken erhöhen. Etwa 506.000 Kinder unter fünf Jahren in Idlib und Aleppo litten unter akuter Unterernährung und über 609.000 unter „Stunting“ (Wachstumsverzögerung durch z.B. schlechte Ernährung, wiederholte Infektionen, mangelnder Zugang zu sauberen Trinkwasser, magelnde Gesundheitsversorgung). Die WHO stellte fest, dass in einigen Gouvernements das Stunting ein „alarmierend hohes Niveau“ erreicht hat. UNOCHA berichtete, dass Krankenhäuser überfüllt seien und dass psychische Belastungen bei Kindern weit verbreitet seien.
b) Negative Bewältigungsmechanismen
Nach Angaben des UNOCHA sind Kinderarbeit und Kinderehen nach wie vor „weitgehend akzeptierte“ Bewältigungsmechanismen für syrische Familien und die Tragweite wird nach wie vor nicht ausreichend erfasst. Kinder in Straßensituationen waren Ausbeutung ausgesetzt und standen „in Kontakt mit dem Gesetz wegen geringfügiger und schwerer Straftaten“.
Ein im Januar 2025 veröffentlichter UNOCHA-Bericht wies darauf hin, dass die Wirtschaftskrise in Syrien das Risiko von geschlechtsspezifischer Gewalt bei gefährdeten Bevölkerungsgruppen, auch bei jugendlichen Mädchen, sowie das Risiko von Kinderarbeit, Kinderheirat und sexueller Ausbeutung weiter erhöht hat.
Ein Bericht der internationalen NGO Welthungerhilfe über die Gouvernements Aleppo und Idlib zur Bewertung des Schutzbedarfs auf der Grundlage der im August 2024 erhobenen Daten ergab, dass Fälle sexueller Gewalt gegen Kinder, insbesondere jugendliche Mädchen, in verschiedenen Umgebungen auftraten unter anderem auch zu Hause, in der Schule, am Arbeitsplatz und in Binnenvertriebenenlagern. In dem Bericht wurde festgestellt, dass Kinderehen sowohl in Binnenvertriebenenlagern als auch in Aufnahmegemeinschaften nach wie vor „vorherrschend“ sind, wobei die Hauptgründe in erster Linie die Armut in Aleppo und die Bräuche und Traditionen in Idlib sind.
Nach Angaben des USDOS gab es unter der Assad-Regierung Unterkünfte für Waisenkinder. In Syrien gab es schätzungsweise 1,2 Millionen Waisenkinder, und nach einem Regierungserlass wurden Kinder als „muslimisch angenommen, sofern nichts anderes nachgewiesen wurde“, und sie konnten nur angenommen werden, „wenn das Paar und das Kind dieselbe Religion teilen“. Ein Bericht des Global Protection Cluster (GPC), eines Netzwerks von NRO, internationalen Organisationen und UN-Agenturen, der im Dezember 2024 veröffentlicht wurde, stellte fest, dass Kinder besonders von einem Mangel an zivilen Dokumenten betroffen waren.
c) Zwangsrekrutierung durch bewaffnete Gruppen
In einem am 20. November 2024 veröffentlichten Bericht erklärte die SNHR, dass im Zeitraum von März 2011 bis 10. November 2024 2.395 Kinder in Syrien zwangsrekrutiert wurden. Im Juni 2024 unterzeichnete der Sonderbeauftragte der Vereinten Nationen für Kinder in bewaffneten Konflikten einen Aktionsplan zur Beendigung und Verhinderung der Rekrutierung und des Einsatzes sowie der Tötung und Verstümmelung von Kindern mit der SNA und abgestimmten Fraktionen. Darüber hinaus wurde ein Fahrplan zur Umsetzung eines Aktionsplans von 2019 zwischen den Vereinten Nationen, den SDF und den Verwaltungen in Nord- und Ostsyrien angenommen, der die Rekrutierung und den Einsatz von Kindern in bewaffneten Konflikten verbietet. Dennoch wurden weiterhin Fälle von Rekrutierung von Kindern gemeldet, auch von SDF und einer kurdischen Jugendbewegung im Nordosten Syriens. Ende November 2024 dokumentierte die SNHR Operationen des ehemaligen Regimes zur Einberufung junger Männer und Jungen mit dem Ziel, sie nach Nordsyrien zu entsenden.
d) Zugang zu Bildung
Ab Januar 2025 gab es in Syrien etwa 2,4 Millionen Kinder, die die Schule verlassen hatten, und eine weitere Million, die vom Schulabbruch bedroht war. Seit Ende November 2024 wurde die Schulbildung für rund 230.000 Kinder im Nordosten Syriens aufgrund anhaltender Konflikte unterbrochen. Außerhalb der Schule waren Kinder einem erhöhten Risiko von Kinderarbeit und Kinderehen sowie Menschenhandel und Rekrutierung ausgesetzt. In einem Bericht des UNOCHA vom Januar 2025 heißt es, dass mehr als 5.200 Schulen beschädigt sind und keine Ausrüstung haben. Während die Bildung kostenlos ist, haben einige Familien negativen Bewältigungsmechanismen, die sich auf den Schulbesuch von Kindern auswirken, Priorität eingeräumt. Im Dezember 2024 berichteten die Vereinten Nationen, dass die Schulen zwar in ganz Syrien wiedereröffnet wurden, die „volatile Sicherheitslage“ jedoch den Schulbesuch in einigen Gebieten beeinträchtigte. Der Zugang zu den Schulen wurde durch nicht explodierte Kriegsreste erschwert. Einige Schulen sind nach der Offensive gegen Präsident Baschar al-Assad am 8. Dezember 2024 zu Unterkünften für neu Vertriebene geworden. Etwa 68.000 Kinder in Aleppo und anderen Gouvernements konnten keine Schule besuchen, da viele Schulen als Sammelunterkünfte für Vertriebene genutzt wurden.
Nach Angaben der International Crisis Group „setzten Interimsbeamte im Eiltempo Änderungen des Lehrplans für islamische Bildung durch.“ Im Januar 2025 wiesen Quellen darauf hin, dass die Behörden Änderungen des Lehrplans für Schulen einführten, ohne die Gesellschaft in den Prozess einzubeziehen, und in einigen Fällen Verweise auf das Assad-Regime durch religiöse Texte ersetzten.
1.3.7. LGBTIQ-Personen (S.41-42)
a) Rechtsrahmen
Nach Artikel 520 des Strafgesetzbuchs von 1949 ist „unnatürlicher Geschlechtsverkehr“ eine Straftat, die mit einer Freiheitsstrafe von bis zu drei Jahren bedroht ist und sowohl für Männer als auch für Frauen gilt. Zum Zeitpunkt der Erstellung dieses Berichts deuten Quellen darauf hin, dass noch nicht klar ist, wie die neuen Behörden zu gleichgeschlechtlichen Beziehungen stehen. Bei einem Treffen mit Journalisten im Dezember 2024 wies Mohamed Khaled vom politischen Büro des HTS darauf hin, dass die Behandlung von LGBTIQ-Personen eines der Themen ist, die von der neuen Regierung erörtert werden. BBC News berichtete, dass die neuen Behörden „in Gewalt und Verfolgung gegen Schwule verwickelt sind“, und ILGA wies darauf hin, dass „einvernehmliche gleichgeschlechtliche sexuelle Handlungen weiterhin kriminalisiert werden“.
b) Behandlung durch staatliche Behörden, Familie und Gesellschaft
Quellen haben Missbrauch von LGBTIQ-Personen während des syrischen Konflikts durch staatliche und nichtstaatliche Akteure dokumentiert. Darüber hinaus besteht laut Freedom House die Gefahr, dass Personen, die im Verdacht stehen, gleichgeschlechtliche Beziehungen zu haben, in Gebieten hingerichtet werden, die von extremistischen Gruppen gehalten werden. Quellen deuten darauf hin, dass Homophobie in der syrischen Gesellschaft weit verbreitet ist, auch unter Familienmitgliedern, religiösen Gruppen und der Gesellschaft insgesamt.
Im Jahr 2024 wurde eine syrische Transgender-Frau aus der Türkei in den Nordwesten Syriens deportiert und von türkisch unterstützten bewaffneten Gruppen in Zusammenarbeit mit ihrer Familie getötet. Im Februar 2025 berichteten Quellen über Angriffe auf Transgender-Personen in Syrien. Videos, die online kursierten, zeigten Berichten zufolge eine Kampagne der syrischen Behörden, die sich gegen Transgender-Personen zur Verhaftung richtete. Laut „einer anonymen Sicherheitsquelle in der Regierung von Damaskus“, die von der Jerusalem Post befragt wurde, bestand das Ziel der Operation darin, „diesen Menschen zu vermitteln, dass sie nicht ungezwungen in Erscheinung treten und ihre Aktivitäten in der Öffentlichkeit einstellen sollten.“ Laut einem Artikel der Guardians of Equality Movement (GEM), der ersten syrischen LGBTIQ-Organisation, wurden seit Dezember 2025 bewaffnete Gruppen, die mit den neuen Behörden verbunden sind, sowie nichtstaatliche Akteure in schwere Verstöße gegen LGBTIQ-Personen verwickelt, darunter „Vergewaltigung durch Dating-Apps, Hausdurchsuchungen, Entführungen, willkürliche Festnahmen, Folter, Demütigung, Androhung körperlicher Gewalt und Entstellung sowie andere gefährliche Praktiken wie erzwungenes Filmen und öffentliche Beschämung“. Die GEM wies auch darauf hin, dass „die Gesellschaft zu einer Hauptquelle der Gewalt gegen LGBTQIA+-Personen geworden ist“, während die Behörden sie nicht unterstützt haben.
[…]
4.5.5. Vertreibung und Rückkehr (S.89-91)
Die Zahl der Personen, die seit dem 27. November 2024 durch Konflikte neu vertrieben wurden, verzeichnete eine anfängliche große Welle, die am 12. Dezember mit 1,1 Millionen Menschen ihren Höhepunkt erreichte. Diese anfänglichen Vertreibungen, die von der Angst vor dem eskalierenden bewaffneten Konflikt getrieben wurden, wurden hauptsächlich in Hama und Aleppo, einschließlich der Stadt Aleppo, im Westen Aleppos und insbesondere in Tall Rifaat und Manbij, nach der Übernahme der beiden Städte durch von der Türkei unterstützte bewaffnete Fraktionen verzeichnet.
UN-Quellen schätzten anschließend die Zahl der seit Ende November 2024 neu vertriebenen Flüchtlinge, die am 18. Dezember 2024 auf 859.460, am 10. Januar 2025 auf rund 627.000 und am 5. Februar 2025 auf 650.000 zurückblieben. Anfang 2025 stellte das UNOCHA zusätzliche Wellen von konfliktbedingten Vertreibungen aus dem Gebiet von Manbij fest, mit bis zu 15.000 Vertreibungen Mitte Januar 2025, gefolgt von mehr als 25.000 Vertreibungen im selben Monat. Quellen schätzten die Zahl der Menschen, die Anfang Dezember 2024 vor der SNA-Offensive in Nordsyrien geflohen waren, auf 100.000 bis 120.000.
Nach dem Sturz Assads zogen zurückkehrende Binnenvertriebene in Gebiete, die zuvor von der ehemaligen Regierung kontrolliert wurden, darunter Aleppo, Hama, Homs und Damaskus. UN-Quellen schätzen, dass die Zahl der neu vertriebenen Menschen, die in ihre Heimatbasen zurückkehren, bis zum 10. Januar 2025 auf mehr als 522.000 gestiegen ist. Gleichzeitig blieben die Rückführungsbewegungen aus Binnenvertriebenenlagern „stabil, aber minimal“, wobei der Cluster „Camp Coordination and Camp Management“ (CCCM) Ende Januar 2025 angab, dass seit dem 3. Dezember 2024 rund 57 000 Menschen aus den Lagern abgereist seien. Diese Rückkehrer bestanden hauptsächlich aus einzelnen Familien oder Männern, die zurückkehrten, um sich mit ihren Familien zu vereinigen oder den Zustand ihrer Häuser zu beurteilen.
Schätzungen des UNHCR zufolge waren bis zum 26. Februar 2025 schätzungsweise 885.294 Binnenvertriebene zurückgekehrt, während etwa 7,4 Millionen Binnenvertriebene blieben. Die Gouvernements mit dem größten Anteil an Binnenvertriebenen waren Aleppo mit 425.705 Binnenvertriebenen, gefolgt von Hama mit 155.561 und Idlib mit 116.053 Binnenvertriebenen.
Wie das UNOCHA feststellte, betrafen die gemeldeten Bedenken, die die Rückkehrentscheidungen von Binnenvertriebenen beeinflussten, die Zerstörung von Eigentum, unzureichende Infrastruktur, Unsicherheit sowie den Zugang zu Zivildokumenten und Justizdiensten, einschließlich Dokumenten zu Wohn-, Grundstücks-und Eigentumsrechten (nicht alle Zivilregister und Gerichte waren Ende Januar 2025 in Betrieb). Ein weiteres kritisches Problem, das aufgeworfen wurde, war die Kontamination mit nicht explodierten Kriegsresten.
4.5.6. Rückkehr aus dem Ausland (S.91-92)
Nach Schätzungen des UNHCR kehrten zwischen dem 8. Dezember 2024 und Ende Februar 2025 etwa 297.292 Syrer aus dem Ausland nach Syrien zurück. Von diesen Flüchtlingen kehrten 53 % aus dem Libanon, 25 % aus der Türkei und 14 % aus Jordanien zurück. Bei der freiwilligen Rückkehr aus der Türkei, die sich nach Angaben der türkischen Regierung zum 30. Dezember 2024 auf 35.114 belief, handelte es sich hauptsächlich um Syrer, die allein zurückkehrten, einschließlich Personen, die vor der Wiedervereinigung mit ihren Familien die Lage in Syrien beurteilen wollten.
Nach Angaben des UNHCR waren von Anfang 2024 bis Ende Februar 2025 die Gouvernements, in welche Rückkehrer hauptsächlich heimkehrten Aleppo (mit schätzungsweise 143.680 Rückkehrern) und Raqqa (112.951 Rückkehrern), gefolgt von Dar’a (72.007), Homs (69.624), Rural Damascus (62.738) und Idlib (46.273).
Es ist nicht klar, ob jede Rückkehr dauerhaft ist. Laut einem Bericht von Refugees International kehren viele Syrer zurück, um ihre Grundstücke zu begutachten, die Sicherheit und die wirtschaftlichen Bedingungen nach dem Zusammenbruch des Assad-Regimes zu bewerten oder sich mit ihrer Familie wieder zu vereinigen. Für andere ist die Rückkehr eher eine Notwendigkeit als eine Wahl, da die sich verschlechternden Bedingungen in den Aufnahmeländern – gekennzeichnet durch wirtschaftliche Not, steigende Lebenshaltungskosten und begrenzte Möglichkeiten – das Leben zunehmend untragbar gemacht haben.
[…]“
2. Beweiswürdigung:
2.1. Zur Person des Beschwerdeführers:
2.1.1. Die Feststellungen zur Identität des Beschwerdeführers ergeben sich aus seinem im Original vorgelegten Reisepass (vgl. AS 81ff), an dessen Echtheit angesichts der amtswegig veranlassten Dokumentenüberprüfung, die keine Hinweise auf das Vorliegen einer Fälschung oder Verfälschung ergab, keine Zweifel bestehen (vgl. AS 91).
Die Feststellungen zur Staatsangehörigkeit des Beschwerdeführers, zu seiner Volksgruppen- und Religionszugehörigkeit, Sprachkenntnissen sowie seine Kinderlosigkeit gründen sich auf seine diesbezüglich im gesamten Verfahren im Wesentlichen einheitlichen, schlüssigen und stringenten Angaben.
Dass der Beschwerdeführer wieder geheiratet hätte war nicht festzustellen. Er konnte keine Unterlagen vorlegen, die eine rechtsgültige Eheschließung belegen. Zudem war aus seinen widersprüchlichen Aussagen in der Beschwerdeverhandlung nicht davon auszugehen, dass der Beschwerdeführer eine erneute Eheschließung rechtsgültig vorgenommen hat:
„R: Sind Sie nun nach islamischen Recht mit dieser Frau verheiratet oder noch nicht?
BF: Wir sind dokumentenmäßig verheiratet, aber der Vollzug der Ehe hat nicht stattgefunden. Ich erkläre es Ihnen. Es gibt ein Beispiel, dass die Eltern von zwei verschiedenen Personen, miteinander reden, dass sie ihre Kinder miteinander heiraten wenn sie älter sind. Wenn sie erwachsen sind, dann heiraten sie. Ich habe mit der Familie der Frau gesprochen, dass ich ihre Tochter heiraten werde, wenn die Umstände es erlauben.“ (vgl. Verhandlungsprotokoll S. 16)
Zudem hat er die Wiederverheiratung erst gegen Ende der Beschwerdeverhandlung erwähnt und zu einem früheren Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung noch behauptet geschieden zu sein (vgl. Verhandlungsprotokoll S. 9f). In einer Gesamtschau war von einer konstruierten Erzählung auszugehen und die Feststellung zu treffen, dass der Beschwerdeführer geschieden ist.
2.1.2. Die Feststellungen betreffend den Geburtsort, die Herkunft, das Aufwachsen des Beschwerdeführers, seine Ausbildung, seinen genauen Wohnort in Syrien, die Ausreise in die Türkei sowie seine beruflichen Tätigkeiten konnte der Beschwerdeführer glaubwürdig im Verfahren schildern. So sieht das Gericht keinen Anlass, die Angaben des Beschwerdeführers hierzu in Zweifel zu ziehen (vgl. AS 17, 19, 21; 46f, 51f, 55; Verhandlungsprotokoll S. 5, 7ff).
Dass nicht festgestellt werden kann, dass der Beschwerdeführer vor seiner Ausreise in die Türkei durchgängig in Syrien aufhältig war, ergibt sich aus einer Vielzahl an Stempeln in seinem Reisepass (vgl. Verhandlungsprotokoll S. 8f)
2.1.3. Die Feststellungen zu den Familienangehörigen, deren Aufenthaltsorte und zum bestehenden Kontakt zu seiner Familie in Syrien beruhen auf seinen Ausführungen in der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht (vgl. Verhandlungsprotokoll S. 10f, 19).
2.1.4. Die Feststellung zur Ausreise und Asylantragsstellung ergeben sich aus dem Erstbefragungsprotokoll vom 05.10.2022 (vgl. AS 19). Dass der Beschwerdeführer in Österreich der Status eines subsidiär Schutzberechtigten zukommt, war einem aktuellen Auszug aus dem Fremdenregister zu entnehmen.
2.1.5. Die Feststellungen zum Gesundheitszustand des Beschwerdeführers sind ebenfalls aus den Angaben des Beschwerdeführers in der mündlichen Verhandlung abzuleiten (vgl. Verhandlungsprotokoll S. 3, 6), und stützen sich zusätzlich auf den Umstand, dass keine medizinischen Unterlagen vorgelegt wurden, aus welchem Gegenteiliges hervorgehen würde. Daran vermögen auch die vorgelegten, auf einen anderen Namen lautenden Laborbefunde bezüglich der Fortpflanzungsfähigkeit nichts zu verändern.
Die strafrechtliche Unbescholtenheit geht aus dem amtswegig eingeholten Strafregisterauszug hervor.
2.2. Zu den Fluchtgründen des Beschwerdeführers:
2.2.1. Aus der Kurzinformation der Staatendokumentation zu Syrien „Sicherheitslage, Politische Lage Dezember 2024: Opposition übernimmt Kontrolle, al-Assad flieht“ vom 10.12.2024 ergibt sich in Verbindung mit der Einsicht in die „SyriaLiveMap“ im Entscheidungszeitpunkt, dass sich der Herkunftsort des Beschwerdeführers im syrischen Gouvernement Deir ez-Zor seit dem Sturz des Staatspräsidenten Baschar al-Assad unter der Kontrolle der Opposition, angeführt durch die Gruppierung Hay’at Tahrir ash-Sham (HTS), befindet. Dass der Beschwerdeführer über einen von der HTS kontrollierten Grenzübergang in sein Herkunftsgebiet einreisen kann, ergibt sich auch aus der Einsichtnahme in syria live map (Map of Syrian Civil War - syria.liveuamap.com) [Stand 18.04.2025].
2.2.2. Dem Vorbringen des Beschwerdeführers, wonach er in Syrien Verfolgung durch das syrische Regime zu erleiden hätte, kommt aus folgenden Erwägungen keine Asylrelevanz zu:
Aus den in das Verfahren einbezogenen und der gegenständlichen Entscheidung als Sachverhalt zu Grunde gelegten Länderberichten ergibt sich, dass in Syrien beim syrischen Regime unter Präsident Baschar al-Assad für männliche syrische Staatsbürger im Alter zwischen 18 bis 42 Jahren die Ableistung eines Wehrdienstes gesetzlich verpflichtend war (vgl. unter Punkt II.1.3.1.). Die Feststellung, dass der Beschwerdeführer seinen Wehrdienst beim vormaligen syrischen Regime nicht abgeleistet hat und von diesem auch nicht befreit war, beruht auf den diesbezüglich gleichbleibenden und insofern konsistenten Angaben des Beschwerdeführers im gesamten Verfahren. Der Beschwerdeführer hat Syrien bereits im Kindesalter verlassen.
Die Feststellung, dass der BF nicht zum Wehrdienst beim vormaligen syrischen Regime eingezogen werden kann, beruht auf dem Umstand, dass nach dem Sturz des syrischen Regimes unter der Führung von Baschar al-Assad betreffendes Regime keine Gebiets- und Herrschaftsgewalt mehr in Syrien hat (vgl. unter Punkt II.1.3.2. sowie unter Punkt II.1.3.4.). Auch die SyriaLiveMap weist keinerlei Gebiete unter der Führung der vormaligen syrischen Regierung unter Baschar al-Assad mehr aus. Wie oben dargelegt, liegt zum aktuellen Entscheidungszeitpunkt die Herkunftsregion des Beschwerdeführers unter der Kontrolle der HTS; eine gegenteilige Annahme ist anhand der zur Verfügung stehenden Länderinformationen nicht möglich. Ausgehend von den oben zitierten Länderfeststellungen zeichnet sich in der zu treffenden Prognose eine zeitnahe und großflächige Rückeroberung der Herkunftsregion des Beschwerdeführers, durch das vormalige syrische Regime aktuell nicht mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit ab.
Ebenso beruht die Feststellung, dass dem Beschwerdeführer mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit keine Verfolgung auf Grund seiner Familienzugehörigkeit, der illegalen Ausreise, der Asylantragstellung im Ausland oder aus sonstigen Gründen durch das vormalige syrische Regime droht, auf der Berichtslage, wonach der syrische Präsident Baschar al-Asad nach seinem Sturz am 08.12.2024 aus Syrien geflüchtet ist und dessen Regime seither nicht mehr existiert. Vor diesem Hintergrund lässt sich aus diesen Vorbringen keine Gefährdung im Fall der (hypothetischen) Rückkehr in den Herkunftsstaat ableiten.
Was die Verfolgungsgefahr durch Anhänger des vormaligen syrischen Regimes betrifft, ist diese nicht maßgeblich wahrscheinlich. In diesem Zusammenhang ist auf die aktuellen Länderberichte zu verweisen, wonach Anhänger des syrischen Regimes massenweise flohen, desertierten oder hingerichtet wurden (vgl. unter Punkt II.1.3.4). Zudem wurde der Geheimdienst des syrischen Regimes aufgelöst und ist eine grundlegende Neuorganisation angekündigt worden. Wie aus der ACCORD Anfragebeantwortung vom 21.03.2025 zu entnehmen ist, haben Polizisten die vor dem Sturz des Assad-Regimes nicht zu den Rebellen übergelaufen sind, einen „Aussöhnungsprozess“ zu durchlaufen. In diesem hätten sie den Regierungswechsel anzuerkennen und müssten ihre Waffen abgeben (vgl. ACCORD Anfragebeantwortung vom 21.03.2025, siehe unter Punkt II.1.3.3.). In einer Gesamtschau ist somit eine Verfolgung durch Assad-treue Gruppen nicht maßgeblich wahrscheinlich.
Im Übrigen ergibt sich aus dem Vorbringen des Beschwerdeführers in Verbindung mit den amtswegig herangezogenen Länderberichten auch keine Gefährdung von Seiten anderer syrischer Konfliktparteien, insbesondere der aktuellen Machthaber (HTS):
2.2.3. Im Rahmen des Beweisverfahrens sind keinerlei belastbaren, substantiierten Hinweise hervorgetreten, wonach der Beschwerdeführer in der Vergangenheit von einem der Akteure des syrischen Bürgerkrieges zur Teilnahme an Kampfhandlungen oder der Ableistung eines de facto Militärdienstes aufgefordert oder sonst dazu verhalten worden wären.
Wie oben bereits ausgeführt, droht dem Beschwerdeführer nach dem Sturz des syrischen Regimes in seiner Herkunftsregion keine reale Gefahr einer Einziehung zum bzw. keine Verfolgung oder relevante Repressalien aufgrund einer Weigerung der Ableistung des Wehrdienstes der nicht mehr an der Macht stehenden syrischen Armee. Das diesbezügliche Vorbringen des Beschwerdeführers hinsichtlich einer drohenden Einberufung ist daher nicht geeignet eine asylrelevante Verfolgung aufzuzeigen.
Dass ihm eine (zwangsweise) Rekrutierung durch andere (am Bürgerkrieg beteiligte) Gruppierungen im Herkunftsstaat gedroht habe, verneint er explizit:
„R: Ist je irgendeine andere Gruppierung an Sie herangetreten, um Sie zu rekrutieren?
BF: Nein, ich war ein Kind, ich war für das alles nicht geeignet.“ (vgl. Verhandlungsprotokoll S. 12)
Dass ihm im Falle der Rückkehr eine Zwangsrekrutierung drohen würde, brachte der Beschwerdeführer nicht glaubhaft vor:
Insbesondere ist darauf hinzuweisen, dass eine Zwangsrekrutierung des Beschwerdeführers in Anbetracht der bereits erfolgten Gebietsgewinne durch die HTS-Milizen nicht wahrscheinlich ist. Bereits vor der Großoffensive gegen das syrische Regime verpflichtete HTS die in ihrem Hoheitsbereich lebende Zivilbevölkerung laut der Länderinformation nicht zwangsweise zu einer Wehrdienstableistung (siehe unter Punkt II.1.3.1.). Es fehlte der Gruppierung nicht an Personen, die bereit waren, sich ihnen anzuschließen. Dabei waren wirtschaftliche Anreize und die islamische Ideologie die hauptsächlichen Beweggründe für junge Männer, Teil der Miliz zu werden.
Auch wenn der Rechtsvertreter in der Stellungnahme gegen Ende der mündlichen Verhandlung ausführte, dass von einer Rechtskontinuität im Herrschaftsbereich der nunmehrigen Machthaber auszugehen sei und sich die nunmehrigen Machthaber unter Führung des HTS jederzeit auf das weiterhin geltende und anwendbare bisherige Recht zum syrischen Wehrdienst berufen und Männer wie den Beschwerdeführer zum staatlichen Wehrdienst (zwangs-) rekrutieren könnten, ergibt sich aus aktuellen Länderberichten gegenteiliges:
Aus der ACCORD-Anfragebeantwortung vom 21.03.2025 zur Rekrutierungspraxis der Übergangsregierung, Rekrutierungen durch andere bewaffnete Gruppen geht hervor: „Mehrere Quellen berichten im Februar 2025, dass der Präsident der syrischen Übergangsregierung, Ahmed Al-Scharaa, erklärt habe, dass er die Wehrdienstpflicht abgeschafft habe und stattdessen auf freiwillige Rekrutierung setze (Enab Baladi, 12. Februar 2025; France 24, 10. Februar 2025; siehe auch Markaz Al-Jazeera l-il-Dirasat, 30. Jänner 2025; FDD, 28. Jänner 2025). Anfang Februar 2025 wurde berichtet, dass sich Scharaa zufolge tausende Freiwillige der neuen Armee anschließen würden (France 24, 10. Februar 2025; Enab Baladi, 12. Februar 2025). Dem Online-Begleittext eines Videobeitrags des schwedischen Fernsehprogramms Svtnyheter von Jänner 2025 zufolge hätte die Hayat Tahrir Al-Scham (HTS) aktiv mit intensiven Rekrutierungen für die Reihen der Polizei und des Militärs begonnen (Svt nyheter, 18. Jänner 2025). In einem undatierten arabischsprachigen Artikel bezieht sich das Swedish Center for Information (SCI) auf den genannten Videobeitrag. Laut dem SCI-Artikelwürden Berichten zufolge Soldaten, Unteroffiziere und Offiziere mittels intensiver Programme rekrutiert, die von traditionellen akademischen Standards und Trainingsstandards abweichen würden. Dies habe den Zweck, die Ausbildung der Militär- und Sicherheitskräfte zu beschleunigen, um den Bedarf des neuen Staates zu decken (SCI, ohne Datum).“
Selbiges ergibt sich aus dem EUAA Country Focus vom März 2025, wonach die Wehrpflicht durch die Übergangsregierung abgeschafft wurde und die syrische Armee eine Freiwilligenarmee sein soll, um die Grenzen des Landes zu sichern (vgl. EUAA Country Focus vom März 2025, S. 22f; siehe auch unter Punkt II.1.3.4.).
Sofern der Rechtsvertreter in seiner Stellungnahme vom 07.04.2025 noch darauf verweist, dass es trotzdem Berichte über Zwangsrekrutierungen gebe und generell die Pläne der neuen Machthaber unklar seien, so ist auszuführen, dass im Hinblick auf die derzeit vorliegenden herkunftsstaatsbezogenen Erkenntnisquellen zur Wehrpflicht in Syrien sich jedenfalls keine ausreichenden Anhaltspunkte dahingehend ergeben, dass systematische Zwangsrekrutierungen stattfinden würden. Nach derzeitigen Berichten ist die Wehrpflicht (zumindest faktisch) abgeschafft.
Auch ist der aktuellen Berichtslage nicht zu entnehmen, dass der IS seit dem Sturz des Assad-Regimes systematisch Zwangsrekrutierungen durchführt. Zwar operiert der IS weiterhin in Syrien, doch ist dieser zu einem Großteil besieht worden. Im Hinblick auf die derzeit vorliegenden herkunftsstaatsbezogenen Erkenntnisquellen zur aktuellen Lage in Syrien haben sich jedenfalls keine ausreichenden Anhaltspunkte dahingehend ergeben, dass der Beschwerdeführer im Falle einer Rückkehr einem erhöhten Risiko ausgesetzt wäre, vom IS rekrutiert zu werden oder dem Beschwerdeführer sonstige Verfolgung durch den IS droht (vgl. ACCORD Anfragebeantwortung vom 21.03.2025; siehe unter Punkt II.1.3.3.).
Bezüglich einer allfälligen Wehrdienstleistung bei den Kurden ist festzuhalten, dass diese mangels Gebietshoheit über den Herkunftsort des Beschwerdeführers keine Zugriffsmöglichkeit auf diesen haben (vgl. Punkt II.1.3.3.). Zudem wurde eine Integration der kurdischen Selbstverteidigungskräfte in die Armee der Übergangsregierung vereinbart (siehe unter Punkt II.1.3.3.).
Im Übrigen vertritt der Beschwerdeführer keine verinnerlichte politische oder religiöse Überzeugung gegen den Dienst an der Waffe:
In der Beschwerde führte der Beschwerdeführer aus, dass er nicht töten wolle oder selbst getötet werden wolle. Er wolle keine unschuldigen Personen töten und schon gar nicht gegen das eigene Volk kämpfen (vgl. Beschwerde S. 3, 14). Sein Vorbringen bezieht sich jedoch nur auf die Belastungen aufgrund der allgemeinen Bürgerkriegssituation in Syrien und nimmt nicht ausreichend Bezug auf eine individuelle politische oder religiöse Haltung, auf die seine Verweigerung zur Ableistung des Wehrdienstes fußt. In der mündlichen Verhandlung brachte er vor, dass er es ablehne eine Waffe zu tragen:
„R: Was meinen Sie mit Sie „neigen zum Frieden“?
BF: Sie sind alle auf einem falschen Weg. Sie tragen alle Waffen und ich lehne es ab, überhaupt eine Waffe zu tragen.
R: Warum lehnen Sie es ab, eine Waffe zu tragen?
BF: Weil es falsch ist.
R: Warum erachten Sie das als falsch?
BF: Weil in Syrien tragen alle Waffen oder die meisten tragen Waffen und gehen aufeinander los mit diesen Waffen, sie bringen einander um. Warum sollte ich eine Waffe tragen und andere umbringen oder mich umbringen lassen?
R: Wären Sie bereit einen Wehrdienst zu leisten?
BF: Nein, ich werde vielleicht einen anderen Dienst leisten, vielleicht in der Altenpflege oder so etwas Ähnlichem.“ (vgl. Verhandlungsprotokoll S. 12)
[…]
„RV: Warum würden Sie den Militärdienst bei der HTS ablehnen?
BF: Im Allgemeinen lehne ich es ab rekrutiert zu werden und speziell für die HTS, weil die haben eine sehr religiöse Interpretation für alles. Es ist alles halt extrem.“ (vgl. Verhandlungsprotokoll S. 15)
Nähere Ausführungen zur einer konkreten politischen oder religiösen Überzeugung des Beschwerdeführers waren seinen oberflächlichen Angaben hingegen nicht zu entnehmen. In einer Gesamtbetrachtung ist im gegenständlichen Fall nicht erkennbar, dass der Ableistung des Militärdienstes eine politische oder religiöse Gesinnung des Beschwerdeführers entgegensteht.
2.2.4. Es ergeben sich keine Anhaltspunkte, die darauf schließen lassen würden, dass der Beschwerdeführer in der Vergangenheit in das Blickfeld einer der syrischen Konfliktparteien geraten wäre oder er ein Verhalten gesetzt hätte, aufgrund dessen er im Fall der Rückkehr in den Herkunftsstaat von einer Konfliktpartei mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit als politische Gegner wahrgenommen würde.
Zunächst ist anzumerken, dass der Beschwerdeführer bereits als Kind im Alter von 11 Jahren Syrien verlassen hat.
Seinen Aussagen im Verfahren zufolge, war er nicht Mitglied in einer politischen Partei. Dass er oder seine Familie politisch aktiv gewesen seien, verneinte der Beschwerdeführer ebenso (vgl. AS 56; Verhandlungsprotokoll S. 13f). Sofern der Beschwerdeführer demgegenüber in der Beschwerdeverhandlung behauptete an Demonstrationen teilgenommen zu haben, ging daraus nicht hervor, dass er sich dabei explizit gegen eine der Bürgerkriegsparteien gestellt hat:
„R: Haben Sie jemals an Demonstrationen teilgenommen?
BF: Ja, ich habe teilgenommen als die Revolution begann.
R: In Syrien?
BF: Ja.
R: Hatten Sie da eine besondere Stellung oder haben Sie nur teilgenommen?
BF: Ich habe nur teilgenommen.
R: Wofür oder wogegen haben Sie demonstriert?
BF: Für den Frieden.“ (vgl. Verhandlungsprotokoll S. 14)
Dass er als Gegner des IS in Erscheinung getreten wäre, weil sein Bruder als Unterstützer des Regimes betrachtet worden sei, war nicht glaubhaft. Es handelt sich um ein vages, unsubstantiiertes und zugleich widersprüchliches Vorbringen, der Beschwerdeführer konnte die Bedrohungen gegenüber seinem Bruder nicht ansatzweise konkretisieren, auch keine Personen-, Orts- oder Datumsangaben nennen und verneinte wiederrum, dass sein Bruder konkrete Probleme gehabt habe:
„BF: […] Nachdem wir übersiedelt sind, sind mehrere Freunde meines Bruders zum IS gegangen und haben sich ihnen angeschlossen. Sie haben meinen Bruder als Unterstützer des Regimes betrachtet und seinen Namen an den IS weitergegeben. Er wurde auch nach der Abreise in die Türkei vom IS verfolgt.“ (vgl. AS 57)
[…]
„F: Von wem wird er bedroht?
BF: Ich weiß es nicht genau von wem, aber vom IS.“
F: Wie gestalten sich diese Bedrohungen?
BF: Ihm wurde gedroht, dass, wenn sie ihn finden, dann bringen sie ihn um.“ (vgl. AS 58)
Dass es ihm nicht möglich war konkrete Angaben zu den Ereignissen darzulegen, lässt auf ein konstruiertes Geschehen schließen.
Auch lässt sich aus dem oberflächlichen, widersprüchlichen Vorbringen keine aktuelle Gefährdung durch den IS ableiten. Schon der Bruder hatte keine konkreten Probleme, sondern lediglich eine abstrakte Befürchtung. Auch hätten andere Familienmitglieder keine Probleme mit dem IS gehabt:
„F: Hatte Ihr Bruder je konkrete Probleme in Syrien?
BF: Nein, er hatte keine Probleme, aber er hatte Angst. Er hatte Angst, dass er auch in der Türkei getötet wird.“ (vgl. AS 57)
[…]
„F: Hatten andere Familienangehörige ebenfalls Probleme mit dem IS?
BF: Nein.“ (vgl. AS 58)
Überdies verneinte der Beschwerdeführer in Syrien Kontakt mit Islamisten gehabt zu haben (vgl. AS 58).
Darüber hinaus geht aus aktuellen Länderinformationen hervor, dass der IS zwar weiterhin in Syrien operiert, doch ist dieser zu einem Großteil besiegt worden. Im Hinblick auf die derzeit vorliegenden herkunftsstaatsbezogenen Erkenntnisquellen zur aktuellen Lage in Syrien haben sich jedenfalls keine ausreichenden Anhaltspunkte dahingehend ergeben, dass der Beschwerdeführer im Falle einer Rückkehr einem erhöhten Risiko ausgesetzt wäre, ins Blickfeld des IS zu geraten (vgl. ACCORD Anfragebeantwortung vom 21.03.2025)
Weiters ist nicht maßgeblich wahrscheinlich, dass der Beschwerdeführer durch die HTS als Anhänger des Assad-Regimes eingestuft wird. Er war in keine aktiven Kampfeinsätze auf Seiten der syrischen Armee gegen die oppositionellen Milizen involviert. Er hat den Wehrdienst beim syrischen Regime nicht abgeleistet. Er verneinte an bewaffneten Auseinandersetzungen teilgenommen zu haben (vgl. AS 56; Verhandlungsprotokoll S. 11). Im Ergebnis besteht daher kein Risiko, dass der Beschwerdeführer von HTS als militärischer Gegner qualifiziert wird.
Dass er als Gegner der HTS gelte, weil sein Vater Beamter gewesen sei, dafür sind im Verfahren keine Anhaltspunkte hervorgekommen. Auch aus einer Gesamtschau der Länderinformationen geht nicht hervor, dass die neuen Machthaber jedem ehemaligen Staatsbediensteten und den Familienangehörigen, alleine aufgrund einer früheren Beamteneigenschaft ohne Hinzutreten weiterer Umstände, eine Anhängerschaft zum Assad-Regime unterstellen. Dass der Beschwerdeführer oder seine Familie in Syrien öffentlich gegen die HTS in Erscheinung getreten wären oder er oder sie eine verinnerlichte, politische Haltung gegen die HTS einnehmen würden, wurde vom Beschwerdeführer im gesamten Verfahren nicht ansatzweise behauptet.
Insbesondere sind die Familienangehörigen des Beschwerdeführers in Syrien nicht mit aktuellen Bedrohungen durch HTS oder andere bewaffnete Gruppierungen konfrontiert. Zu seinen Angehörigen in Syrien stehen der Beschwerdeführer seinen Angaben vor dem Bundesverwaltungsgericht nach in Kontakt (vgl. Verhandlungsprotokoll S. 16, 25). Aufgrund der aufrechten familiären Bindung zu seinen nach wie vor im Herkunftsstaat lebenden Angehörigen ist davon auszugehen, dass der Beschwerdeführer Kenntnis von etwaigen gegen diese gerichteten Verfolgungsbedrohungen oder -handlungen haben müsste. Im Verfahren und vor dem Bundesverwaltungsgericht sind allerdings vonseiten des Beschwerdeführers, abgesehen von pauschalen Befürchtungen, welche nicht asylrelevant sind, keine derartigen Schilderungen getätigt worden.
„R: Hat Ihre Familie Ihnen etwas über die aktuellen Ereignisse aus deren Sicht geschildert? Wie hat Ihre Familie diese Umbrüche erlebt?
BF: Ja, haben sie schon.
R: Was haben sie Ihnen berichtet?
BF: Das ist unmöglich, das durchzustehen, das Leben dort.“ (vgl. Verhandlungsprotokoll S. 10)
[…]
„R: Werden Ihre Familienangehörigen in Syrien verfolgt oder persönlich bedroht?
BF: Ich habe eine Schwester, die im Jahr 2013 ungefähr geboren ist, ich kann es nicht genau angeben. Wenn sie nicht verschleiert in der Öffentlichkeit ist, wird sie umgebracht. Stellen Sie sich vor, in diesem Alter ist sie gezwungen, verschleiert zu gehen.“ (vgl. Verhandlungsprotokoll S. 11)
An dieser Stelle ist anzumerken, dass aus neuesten Berichten hervorgeht, dass die HTS Frauen keine Bekleidungsvorschriften auferlegen wollen; dies bestätigt sich zumindest durch erste Aussagen der neuen Regierenden (vgl. EUAA Country Focus vom März 2025, S.32ff; siehe unter Punkt II.1.3.4.).
Dass der Beschwerdeführer aufgrund seines muslimisch sunnitischen Glaubens mit der HTS in Konflikt stünde, ist angesichts der Tatsache, dass die Angehörigen der HTS – soweit aus der herangezogenen Berichtslage ersichtlich – selbst der sunnitischen Ausrichtung des Islams angehören, nicht maßgeblich wahrscheinlich.
Auch mit dem Vorbringen in der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht, wonach die neuen Machthaber extreme Islamisten seien und er deshalb in Syrien nicht weiterleben könne (vgl. Verhandlungsprotokoll S. 14), vermag der Beschwerdeführer nicht glaubhaft darzutun, dass er daher im Fall einer Rückkehr eine auf ihn gezielt gerichtete Verfolgungshandlungen zu gewärtigen hätte, dies aus nachstehenden Gründen:
Eingangs ist darauf hinzuweisen, dass dem diesbezüglichen Vorbringen aufgrund seiner allgemein gehaltenen Angaben keine Glaubhaftigkeit zukommt:
„R: Was würde Sie im Falle einer Rückkehr in Ihren Herkunftsstaat konkret erwarten?
BF: Nachdem ich in Europa gelebt habe, auch wenn nicht für allzu lange Zeit, werde ich in Syrien nicht mehr weiterleben können. Zudem auch wegen der harten islamischen Einstellung der HTS Leute in Syrien. […]“ (vgl. Verhandlungsprotokoll S. 14)
[…]
„RV: Wie würden Sie Ihre religiöse Einstellung beschreiben?
BF: Ich bin zwar Moslem, aber ich rauche und trinke Alkohol. Nur deswegen, wenn ich nach Syrien zurückkehre, würde ich umgebracht werden. Meine Freundin bzw. meine Geliebte ist eine Schiitin. Wenn das bekannt wird, befürchte ich, dass ich umgebracht werde.“ (vgl. Verhandlungsprotokoll S. 15)
Aus den oberflächlichen Schilderungen kann nicht hinreichend konkret abgeleitet werden, dass der Beschwerdeführer im Fall der Rückkehr in den Herkunftsstaat infolge der von ihm geschilderten Furcht vor Islamisten mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit gezielte Verfolgungshandlungen drohen würden.
Insgesamt geht aus dem Vorbringen des Beschwerdeführers somit nicht glaubhaft hervor, dass er von Affiliierten der HTS als religiöser Gegner qualifiziert wird.
Ergänzend ist hierzu anzuführen, dass es zwar in der Vergangenheit Berichte über Verfolgung religiöser Minderheiten/Andersdenkende durch die HTS gab, doch ist seit dem Machtwechsel im Gegenteil eher anzunehmen, dass die nun die syrische Regierung stellende HTS, die - wie den Länderberichten zu entnehmen - unter internationaler Beobachtung steht, betreffend die Beschneidung von Religionsfreiheit zurückhaltender agieren wird als bisher. Im Hinblick auf die derzeit vorliegenden herkunftsstaatsbezogenen Erkenntnisquellen zur aktuellen Lage in Syrien haben sich jedenfalls keine ausreichenden Anhaltspunkte dahingehend ergeben, dass systematisch gegen religiös Andersdenkende vorgegangen wird.
In einer Gesamtschau zielt die Argumentation in der Stellungnahme des Rechtsvertreters gegen Ende der mündlichen Verhandlung, wonach Hay’at Tahrir ash-Sham (HTS) brutal gegen Andersdenkende vorgehe ins Leere.
2.2.5. Dass dem Beschwerdeführer im Falle einer Rückkehr mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit Gefahr droht, einem Konflikt zwischen Clans in Deir ez-Zor ausgesetzt zu sein, war nicht festzustellen:
„R: Gibt es noch andere, heute noch nicht erwähnte Gründe, warum Sie nicht nach Syrien zurückkehren können?
BF: Der letzte Grund, den ich erwähnen möchte, ist, dass in Deir ez-Zor ein Clansystem existiert und wenn sie nicht in einem Clansystem kämpfen, werden sie von den anderen umgebracht.“ (vgl. Verhandlungsprotokoll S. 14)
Aus dem abstrakten Vorbringen des Beschwerdeführers ergibt sich kein konkretes Bedrohungsszenario. Weder ergibt sich daraus, um welche Clans es sich handeln würde noch ob der Beschwerdeführer und/oder seine Familie konkret davon betroffen wären.
Dass es bereits in der Vergangenheit bereits zu Problemen mit Privatpersonen gekommen wäre, verneinte der Beschwerdeführer in der Einvernahme vor dem BFA (vgl. AS 56).
Zusammengefasst kann aus dieser Darstellung keine aktuelle Gefährdung abgeleitet werden, da der Beschwerdeführer nicht darlegen konnten, inwiefern aus seinem Vorbringen geschlossen werden könne, ihm würde bei der Rückkehr mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit die konkrete Gefahr eines Übergriffs, Racheaktes oder dergleichen drohen. Im Übrigen ist die allgemeine Angst vor einem kriminellen Übergriff zudem nicht asylrelevant.
2.2.6. Hinsichtlich des Vorbringens, wonach der Beschwerdeführer aufgrund seiner Ausreise aus Syrien oder der Asylantragstellung in Österreich in Syrien gezielt gegen ihn gerichtete Verfolgungshandlungen zu gegenwärtigen hätte, ist festzuhalten, dass sich seine diesbezüglichen Ausführungen auf eine potenzielle Verfolgung durch das Regime von Baschar al-Assad beziehen, welches – wie bereits ausgeführt – nicht mehr existent ist. Im Übrigen ergeben sich aus den Länderberichten auch keine hinreichend konkreten Anhaltspunkte für die Annahme, dass dem Beschwerdeführer in seinem Herkunftsort seitens der aktuellen Machthaber wegen seiner Flucht aus Syrien, der Stellung des verfahrensgegenständlichen Antrags oder allein aufgrund seiner Herkunft aus der Stadt Deir ez-Zor eine feindliche politische Gesinnung zugeschrieben wird. Auch lässt es sich den Länderinformationen nicht entnehmen, dass Rückkehrende in Gebieten, die unter Kontrolle der HTS stehen, von dieser verübten systematischen Menschenrechtsverletzungen ausgesetzt wären. Ein Eingriff in die psychische und/oder körperliche Unversehrtheit des Beschwerdeführers allein auf Grund seiner Ausreise und Asylantragstellung im Ausland ist nicht maßgeblich wahrscheinlich-
Überdies geht aus den Länderinformationen hervor, dass die aktuellen Machthabe an einer Rückkehr aller Syrer aus dem Ausland interessiert sind für einen Aufbau des Landes nach dem Sturz des Regimes von Baschar al-Assad.
Darüber hinaus kann auch nicht davon ausgegangen werden, dass die Stellung des Antrages auf internationalen Schutz einer der syrischen Konfliktparteien bekannt geworden ist, da es den österreichischen Behörden verboten ist, Daten über Asylwerber an Behörden aus deren Herkunftsstaat zu übermitteln. Ein Vorbringen, aus welchem abgeleitet werden könnte, dass die Asylantragstellung im Herkunftsstaat dennoch bekannt geworden wäre, wurde vom Beschwerdeführer nicht erstattet und sind auch sonst keine Hinweise hervorgekommen, die auf einen solchen Sachverhalt schließen lassen würden. Sohin finden sich keine ausreichend validen Anhaltspunkte dafür, dass der Beschwerdeführer mit verfahrensrelevanter Wahrscheinlichkeit unmittelbar konkret gefährdet wäre, im Fall der (hypothetischen) Rückkehr in den Herkunftsstaat in das Blickfeld von HTS oder einer der sonstigen Konfliktparteien zu geraten und von dieser wegen einer ihm zugeschriebenen oppositionellen Gesinnung unmittelbar und konkret persönlich verfolgt zu werden.
2.2.7. Im Übrigen ergibt sich aus dem Vorbringen des Beschwerdeführers in Verbindung mit den amtswegig herangezogenen Länderberichten auch keine sonstige Gefährdung aufgrund seiner ethnischen, religiösen, staatsbürgerlichen Zugehörigkeit oder wegen der Zugehörigkeit zu einer sozialen Gruppe.
Weder im Verfahren noch in der mündlichen Verhandlung sind weitere stichhaltige Hinweise dazu hervorgekommen, dass der Beschwerdeführer in Syrien wegen seiner ethnischen, religiösen oder staatsbürgerlichen Zugehörigkeit, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder seiner politischen Gesinnung Verfolgung zu befürchten hätte.
Sofern der Beschwerdeführer zum Ende der Befragung in der mündlichen Verhandlung ausführte, dass seine Gegend in Deir ez-Zor jetzt unter zwei verschiedenen Kräften, einmal die HTS und einmal die Kurden sei, diese einander bekriegen würden und die Leute, die nicht zu einer der Gruppierungen gehören, von den beiden Gruppierungen angegriffen und umgebracht würden, ist anzumerken, dass es sich um ein gänzlich unsubstantiiertes und vages Vorbringen handelt, dem es in seiner Pauschalität an der Glaubhaftigkeit mangelt. Auch steht dieses Vorbringen in Widerspruch zur aktuellen Berichtslage: Mitte März 2025 berichten Quellen von einer zwischen Ahmad Scharaa und Mazloum Abdi, dem Leiter der SDF, getroffenen Einigung, die Ende2025 umgesetzt werden solle (DW, 11. März 2025; CNN, 11. März 2025; The Guardian, 10. März 2025). Die Vereinbarung sehe vor, alle „zivilen und militärischen Einrichtungen“ in Nordost-Syrien der Verwaltung des syrischen Staates zu unterstellen (DW, 11. März 2025, siehe auch The Guardian, 10. März 2025) (siehe unter Punkt II.1.3.3.).
Sofern er Beschwerdeführer Eingriffe in seine körperliche Integrität schildert, bezog sich dies zum einen lediglich auf das syrische Regime, von welchem keine Verfolgungsgefahr mehr ausgeht (siehe Punkt II.2.2.2.). Zum anderen handelt es sich um eine völlig pauschale Behauptung, wobei das Erlebte lediglich allgemein und knapp geschildert wird: „R: Fanden in Syrien je Übergriffe gegen Ihre Person statt? BF: Selbst wenn wir Brot geholt bzw. gekauft haben, sind wir geschlagen worden. R: Wann und von wem? BF: Die Regimeleute. Sofort, als die Ereignisse in Syrien begonnen haben, R: Wurden auch Sie geschlagen? BF: Ja. R: Von wem? BF: Soldaten. R: Welche Soldaten waren das? BF: Soldaten vom syrischen Regime.“ (vgl. Verhandlungsprotokoll S. 13).
Zu einer möglichen religiösen Gegnerschaft gegenüber den aktuellen Machthaber siehe Punkt II.2.2.4.
Insgesamt hat der Beschwerdeführer im Laufe des Asylverfahrens keine konkreten und glaubhaften Bedrohungsszenarien seine Person betreffend vorgebracht, sondern lediglich pauschale Befürchtungen ins Treffen geführt. Aus dem verwaltungsbehördlichen Verfahren und der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht ergibt sich, dass er ausreichend Zeit und Gelegenheit hatte, eventuelle Fluchtgründe umfassend und im Detail darzulegen sowie allfällige Beweismittel oder Belege vorzulegen. Er wurde auch mehrmals zur umfassenden und detaillierten Schilderung der Fluchtgründe und zur Vorlage entsprechender Unterlagen aufgefordert sowie über die Folgen unrichtiger Angaben belehrt.
2.3. Zur maßgeblichen Situation im Herkunftsstaat:
Die Feststellungen zur maßgeblichen Situation im Herkunftsstaat stützen sich auf die zitierten Quellen. Da diese aktuellen Länderberichte auf einer Vielzahl verschiedener, voneinander unabhängiger Quellen von regierungsoffiziellen und nicht-regierungsoffiziellen Stellen beruhen und dennoch ein in den Kernaussagen übereinstimmendes Gesamtbild ohne wesentliche Widersprüche darbieten, besteht im vorliegenden Fall für das Bundesverwaltungsgericht kein Anlass, an der Richtigkeit der getroffenen Länderfeststellungen zu zweifeln. Angesichts der Seriosität der Quellen und der Plausibilität ihrer Aussagen besteht ebenfalls kein Grund, an der Richtigkeit der Angaben zu zweifeln, sodass sie den Feststellungen zur Situation in Syrien zugrunde gelegt werden konnten.
3. Rechtliche Beurteilung:
Zu A) Nichtzuerkennung des Status des Asylberechtigten (Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides):
Gemäß § 3 Abs. 1 Asylgesetz 2005 (AsylG 2005) ist einem Fremden, der in Österreich einen (zulässigen) Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft ist, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung im Sinn des Art. 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention (GFK) droht.
Nach Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK ist Flüchtling, wer sich aus wohlbegründeter Furcht, aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung verfolgt zu werden, außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen.
Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist zentraler Aspekt der in Art. 1 Abschnitt A Z 2 der GFK definierten Verfolgung im Herkunftsstaat die wohlbegründete Furcht davor. Eine Furcht kann nur dann wohlbegründet sein, wenn sie im Licht der speziellen Situation des Asylwerbers unter Berücksichtigung der Verhältnisse im Verfolgerstaat objektiv nachvollziehbar ist. Es kommt nicht darauf an, ob sich eine bestimmte Person in einer konkreten Situation tatsächlich fürchtet, sondern ob sich eine mit Vernunft begabte Person in dieser Situation aus Konventionsgründen fürchten würde (VwGH 05.09.2016, Ra 2016/19/0074). Die begründete Furcht einer Person vor Verfolgung in kausalem Zusammenhang mit einem oder mehreren Konventionsgründen stehen (VwGH 22.03.2017, Ra 2016/19/0350).
Unter „Verfolgung“ im Sinn des Art. 1 Abschnitt A Z 2 der GFK ist nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ein ungerechtfertigter Eingriff von erheblicher Intensität in die zu schützende persönliche Sphäre des Einzelnen zu verstehen. Erhebliche Intensität liegt vor, wenn der Eingriff geeignet ist, die Unzumutbarkeit der Inanspruchnahme des Schutzes des Heimatstaates zu begründen. Nicht jede diskriminierende Maßnahme gegen eine Person ist als „Verfolgung“ iSd Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK anzusehen, sondern nur solche Maßnahmen, die in ihrer Gesamtheit zu einer schwerwiegenden Verletzung grundlegender Menschenrechte der Betroffenen führen (vgl. Art. 9 Abs. 1 der Statusrichtlinie; vgl. VwGH 27.09.2022, Ra 2021/01/0305).
Eine Verfolgungsgefahr ist dann anzunehmen, wenn eine Verfolgung mit einer maßgeblichen Wahrscheinlichkeit droht; die entfernte Möglichkeit einer Verfolgung genügt nicht (VwGH 21.05.2021, Ra 2019/19/0428 mwN).
Die Verfolgungsgefahr muss aktuell sein, was bedeutet, dass sie zum Zeitpunkt der Entscheidung vorliegen muss; auf diesen Zeitpunkt hat die der Asylentscheidung immanente Prognose abzustellen, ob der Asylwerber mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit Verfolgung aus den in Art 1 Abschnitt A Z 2 GFK genannten Gründen zu befürchten habe (VwGH 19.10.2000, Zl. 98/20/0233). Für die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten ist demnach zum einen nicht zwingend erforderlich, dass der Antragsteller bereits in der Vergangenheit verfolgt wurde, zum anderen ist auch eine bereits stattgefundene Verfolgung ("Vorverfolgung") für sich genommen nicht hinreichend. Selbst wenn daher der Antragsteller im Herkunftsstaat bereits asylrelevanter Verfolgung ausgesetzt war, ist entscheidend, ob er im Zeitpunkt der Entscheidung (der Behörde beziehungsweise des Verwaltungsgerichtes) weiterhin mit einer maßgeblichen Wahrscheinlichkeit mit Verfolgungshandlungen rechnen müsste (vgl. VwGH 03.09.2021, Ra 2021/14/0108 mwN).
Geht die auf einem Konventionsgrund beruhenden Verfolgung von Privatpersonen bzw. privaten Gruppierungen aus, kommt ihr nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes dann Asylrelevanz zu, wenn der Staat nicht gewillt oder nicht in der Lage ist, diese Verfolgungshandlungen hintan zu halten. Die Schutzfähigkeit und -willigkeit der staatlichen Behörden ist dabei grundsätzlich daran zu messen, ob im Heimatland wirksame Rechtsvorschriften zur Ermittlung, Strafverfolgung und Ahndung von Handlungen, die eine Verfolgung oder einen ernsthaften Schaden darstellen, vorhanden sind und ob die schutzsuchende Person Zugang zu diesem Schutz hat. Dabei muss auch bei Vorhandensein von Strafnormen und Strafverfolgungsbehörden im Einzelfall geprüft werden, ob die betroffene Parteien unter Berücksichtigung ihrer besonderen Umstände in der Lage sind, an diesem staatlichen Schutz wirksam teilzuhaben (vgl. VwGH 14.04.2021, Ra 2020/18/0126 mwN).
Die Voraussetzungen der GFK sind nur bei jenem Flüchtling gegeben, der im gesamten Staatsgebiet seines Heimatlandes keinen ausreichenden Schutz vor der konkreten Verfolgung findet (VwGH 08.10.1980, VwSlg. 10.255 A). Steht dem Asylwerber die Einreise in Landesteile seines Heimatstaates offen, in denen er frei von Furcht leben kann und ist ihm dies zumutbar, so bedarf er des asylrechtlichen Schutzes nicht; in diesem Fall liegt eine sog. "inländische Fluchtalternative" vor. Der Begriff "inländische Fluchtalternative" trägt dem Umstand Rechnung, dass sich die wohlbegründete Furcht vor Verfolgung iSd Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK, wenn sie die Flüchtlingseigenschaft begründen soll, auf das gesamte Staatsgebiet des Heimatstaates des Asylwerbers beziehen muss (VwGH 08.09.1999, Zl. 98/01/0503 und Zl. 98/01/0648).
Das Asylverfahren bietet nur beschränkte Möglichkeiten, Sachverhalte, die sich im Herkunftsstaat des Asylwerbers ereignet haben sollen, vor Ort zu verifizieren. Hat der Asylwerber keine anderen Beweismittel, so bleibt ihm lediglich seine Aussage gegenüber den Asylbehörden, um das Schutzbegehren zu rechtfertigen. Diesen Beweisschwierigkeiten trägt das österreichische Asylrecht in der Weise Rechnung, dass es lediglich die Glaubhaftmachung der Verfolgungsgefahr verlangt. Dabei hat der Asylwerber im Rahmen seiner Mitwirkungspflicht nach § 15 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005 alle zur Begründung des Antrags auf internationalen Schutz erforderlichen Anhaltspunkte über Nachfrage wahrheitsgemäß darzulegen (VwGH 12.03.2020, Ra 2019/01/0472).
Glaubhaftmachung bedeutet, die Behörde davon zu überzeugen, dass der behauptete Sachverhalt wahrscheinlich verwirklicht oder nicht verwirklicht worden ist (Walter/Thienel, Verwaltungsverfahrensgesetze I², Anm. 1 zu § 45, S. 640). Die „Glaubhaftmachung" wohlbegründeter Furcht setzt positiv getroffene Feststellungen seitens der Behörde und somit die Glaubwürdigkeit der „hierzu geeigneten Beweismittel“, insbesondere des diesen Feststellungen zugrundeliegenden Vorbringens des Asylwerbers voraus (VwGH 29.04.1992, 90/13/0201; 22.12.1992, 91/04/0019; 11.06.1997, 95/01/0627; 19.03.1997, 95/01/0466).
3.1. Subsumiert man den vom Bundesverwaltungsgericht festgestellten Sachverhalt den relevanten und im Lichte der zitierten Judikatur auszulegenden Rechtsvorschriften, ergibt sich, dass dem Beschwerdeführer der Status des Asylberechtigten nicht zuzuerkennen ist:
Aus dem der gegenständlichen Entscheidung zugrunde gelegten Sachverhalt ergibt sich insbesondere, dass sich der Herkunftsort des Beschwerdeführers seit dem Sturz von Baschar al-Assad unter der Kontrolle der Opposition, angeführt von der Gruppierung Hay’at Tahrir ash-Sham (HTS), befindet. Die Regierung von Baschar al-Assad besteht nicht mehr und geht folglich von dieser keine Verfolgungsgefahr aus.
Wie in der Beweiswürdigung näher dargelegt, liegen keine hinreichend konkreten Hinweise vor, dass der Beschwerdeführer im Fall der (hypothetischen) Rückkehr in den Herkunftsstaat von einer sonstigen syrischen Konfliktpartei, insbesondere von der Gruppierung HTS, als politische und/oder religiöser Gegner wahrgenommen würden. Ebenso wenig ergibt sich aus den Länderberichten, dass die oppositionellen Gruppierungen, welche derzeit – mit Ausnahme des Gebiets der Demokratischen Selbstverwaltung Nord- und Ostsyriens – das syrische Staatsgebiet kontrollieren, Rückkehrende, die im Ausland um Asyl angesucht haben, gezielt verfolgen würden. Dass der Beschwerdeführer Verfolgung aufgrund seiner Religion zu gewärtigen hätte, war im Übrigen nicht zu folgen.
Die Durchsicht der aktuellen Länderberichte zur Herkunftsregion des Beschwerdeführers erlaubt es auch nicht anzunehmen, dass gegenständlich sonstige mögliche Gründe für die Befürchtung einer entsprechenden Verfolgungsgefahr vorliegen.
Der Beschwerdeführer konnten zusammengefasst sohin nicht glaubhaft machen, dass ihm im Herkunftsstaat seitens einer der syrischen Konfliktparteien aufgrund einer vermeintlich unterstellten politischen Gesinnung - oder aus anderen Gründen - Verfolgung im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK droht. Auch haben sich im Verfahren ansonst keine Anhaltspunkte ergeben, die eine Verfolgung des Beschwerdeführers aus asylrelevanten Gründen im Herkunftsstaat maßgeblich wahrscheinlich erscheinen ließen.
Die allgemeine Lage in Syrien ist nicht dergestalt, dass automatisch jedem Antragsteller der Status eines Asylberechtigten zuerkannt werden müsste.
3.2. Dem Risiko des Beschwerdeführers, infolge der allgemein volatilen Sicherheitslage in ihren nach Art. 2 EMRK und Art 3 EMRK gewährleisteten Rechten verletzt zu werden, wurde im Übrigen bereits durch die Gewährung von subsidiärem Schutz Rechnung getragen.
Der Vollständigkeit halber sei noch darauf hingewiesen, dass die im Dezember 2024 veröffentlichte Position der UNHCR der vorliegenden Entscheidung nicht entgegensteht:
Die von UNHCR thematisierten Fragen der freiwilligen Rückkehr („Voluntary Returns“) sowie des Moratoriums zwangsweiser Rückführungen („Moratorium on Forced Returns“) sind mit Blick auf den Gegenstand der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts nicht relevant.
Des Weiteren plädiert UNHCR dafür, dass vorerst keine negativen Asylanträge von syrischen Staatsangehörigen und Staatenlosen, die früher ihren gewöhnlichen Aufenthalt in Syrien hatten, erlassen werden. Zutreffend weist UNHCR zunächst darauf hin, dass das Risiko einer Verfolgung durch die einstige Regierung, also das Assad-Regime, geendet habe. Diese Ausführungen stehen im Einklang mit den Informationen, auf die sich das Bundesverwaltungsgericht in seiner Entscheidung stützt. Soweit UNHCR allerdings vermeint, dass andere Risiken fortbestehen oder zunehmen könnten, ist festzuhalten, dass das Vorbringen einer asylrelevanten Verfolgung infolge der Lageänderung in Syrien ab Ende November/Anfang Dezember 2024 eine entsprechende Glaubhaftmachung an dem – rechtskundig vertretenen und über seine Mitwirkungspflicht mehrfach belehrten – Beschwerdeführer liegt. Zum für die Beurteilung und Entscheidung maßgeblichen Zeitpunkt ist jedenfalls von keiner asylrelevanten Verfolgung des Beschwerdeführers durch einen der Akteure in Syrien auszugehen. Im Übrigen ist beachtlich, dass auch UNHCR keine neuen Verfolgungsrisken ins Treffen führt, sondern sich allgemein auf die in Syrien vorherrschende Unsicherheit und Instabilität bezieht. Vor diesem Hintergrund sei abschließend noch einmal daran erinnert, dass der Beschwerdeführer ohnedies bereits den Status des subsidiär Schutzberechtigten innehat.
3.3. Der Beschwerde gegen die Nichtzuerkennung des Status des Asylberechtigten durch das BFA war daher der Erfolg zu versagen.
Zu B) Unzulässigkeit der Revision:
Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen. Nach Art. 133 Abs. 4 erster Satz B-VG idF BGBl. I Nr. 51/2012 ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (vgl. die unter Punkt II.3. angeführten Erkenntnisse des Verwaltungsgerichtshofes) ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Das Bundesverwaltungsgericht konnte sich bei allen erheblichen Rechtsfragen auf eine ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes stützen, die bei den jeweiligen Erwägungen wiedergegeben wurde. Insoweit die in der rechtlichen Beurteilung angeführte Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes zu früheren Rechtslagen ergangen ist, ist diese nach Ansicht des Bundesverwaltungsgerichtes auf die inhaltlich meist völlig gleichlautenden Bestimmungen der nunmehr geltenden Rechtslage unverändert übertragbar. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.
Daher war spruchgemäß zu entscheiden.