Spruch
W299 2286302-1/15E
IM NAMEN DER REPUBLIK
Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin Mag. Dr. Elisabeth NEUHOLD als Einzelrichterin über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , StA. Syrien, vertreten durch die Bundesagentur für Betreuungs- und Unterstützungsleistungen – BBU GmbH, 1020 Wien, Leopold-Moses-Gasse 4, gegen Spruchpunkt I. des Bescheides des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom XXXX , Zl. XXXX , nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung, zu Recht:
A)
Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
B)
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
Entscheidungsgründe:
I. Verfahrensgang:
1. Der Beschwerdeführer, ein syrischer Staatsangehöriger, reiste unter Umgehung der Grenzkontrollen nach Österreich und stellte am 17.10.2022 einen Antrag auf internationalen Schutz.
2. Am selben Tag fand unter Beiziehung eines Dolmetschers die Erstbefragung des Beschwerdeführers vor Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes statt. Zu seinen Fluchtgründen befragt, gab er an, dass er Anfang 2012 verhaftet und für 15 Tage eingesperrt worden sei, weil er an einer Demonstration teilgenommen habe. Nach seiner Entlassung habe er weiter an Demonstrationen teilgenommen und würde deswegen in seinem Heimatland nach ihm gesucht. Weiters habe er den Wehrdienst noch nicht abgeleistet und wolle dies auch nicht tun. Würde er in sein Heimatland zurückkehren würde er vom Regime verhaftet werden. Er sei zuletzt im humanitären Bereich tätig gewesen und habe ein Sanitätshaus geleitet. Dort seien Kriegsverwundete behandelt worden. Das seien alle seine Fluchtgründe. Im Falle einer Rückkehr habe er Angst um sein Leben und das seiner Familie.
3. Vom Beschwerdeführer wurde im Original sein syrischer Personalausweis vorgelegt, welcher vom Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (in der Folge: BFA) auf Echtheit überprüft wurde.
4. Am 16.11.2023 langte beim BFA der Untersuchungsbericht einer LPD ein, aus dem hervorgeht, dass es sich hinsichtlich der vorgelegten ID-Card nach derzeitigem Wissenstand um ein Originaldokument handelt.
5. Am 01.12.2023 langte beim BFA eine Säumnisbeschwerde von Rechtsanwalt Dr. Gregor Klammer ein.
6. Am 08.01.2024 erfolgte unter Beiziehung einer Dolmetscherin für die Sprache Arabisch eine niederschriftliche Einvernahme des Beschwerdeführers vor dem BFA. Zu seinen Fluchtgründen befragt, gab der Beschwerdeführer an, dass er vom syrischen Regime aufgrund des Wehrdienstes und seiner Teilnahme an Demonstrationen gesucht werde. Ende 2011 sei er vom Regime aufgrund einer falschen Anschuldigung inhaftiert worden. Sein Bruder Saleh und er hätten den Wehrdienst nicht geleistet, die anderen Brüder schon. Sein Bruder Ayoub sei vom Militärdienst desertiert. Zudem habe die Al Nusra Front mit ihm zusammenarbeiten wollen, als er dies abgelehnt habe, sei er bedroht worden. Seiner Frau sei ein an ihn gerichteter Fahndungsbrief der FSA und Al Nusra Front übergeben worden.
Im Zuge der Einvernahme wurden vom Beschwerdeführer diverse Dokumente in Vorlage gebracht. Darunter im Original die Geburtsurkunden der drei Kinder und der Ehefrau; eine Heiratsurkunde; ein Auszug aus dem Melderegister der Familie; Auszüge aus dem Zivilregister der Kinder und der Ehefrau; ein Ehevertrag vom Scharia Gericht; ein Maturazeugnis; ein Studentenausweis sowie ein Fahndungsbrief der Generalstabstelle der FSA vom 17.05.2022. Weiters wurden noch ein Noten Transkript der Universität; eine Deutschkurs-Teilnahmebestätigung; eine BBU-Bestätigung über Ehrenamtliche Tätigkeit; div. Fotos über Teilnahmen an Demonstrationen aus den Jahren 2012, 2017 und 2018 (AS 105ff); sowie Fotos über seine Arbeit im med. Bereich (AS 119ff) in Vorlage gebracht.
7. Mit dem im Erkenntniskopf genannten Bescheid vom 09.01.2024, wurde der Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 abgewiesen (Spruchpunkt I.). Gemäß § 8 Abs. 1 AsylG 2005 wurde dem Beschwerdeführer der Status des subsidiär Schutzberechtigen zuerkannt (Spruchpunkt II.) und ihm eine befristete Aufenthaltsberechtigung gemäß § 8 Abs. 4 AsylG 2005 für ein Jahr erteilt (Spruchpunkt III.).
Die Abweisung des Antrages auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten wurde seitens des BFA im Wesentlichen damit begründet, dass allein der Umstand, dass in Teilen seines Heimatlandes Bürgerkrieg herrsche für sich allein keine Verfolgungsgefahr im Sinne der Flüchtlingskonvention indizieren würde. Eine bestehende Rekrutierungsbeabsichtigung zum Zeitpunkt der Ausreise habe er nicht glaubhaft vorgebracht und wurde zudem als nicht glaubhaft vorliegend angesehen. Bei der HTS gebe es keinen verpflichtenden Wehrdienst. Zudem habe diesbezüglich keine Übergriffe vorgebracht und habe er auch keinen Einberufungsbefehl zum Militärdienst erhalten. Weiters könne seinen Angaben nicht entnommen werden, dass er Demonstrationen gegen das syrische Regime organisiert hätte. Wobei ausgeführt wurde, dass selbst wenn dies zutreffen würde, es für die Behörde nicht erklärbar ist, warum sich dadurch Probleme für ihn ergeben hätten, hätte er doch zusammengefasst auch keine Probleme angeführt. Seinen Ausführungen im Jahr 2012 für 15 Tage inhaftiert gewesen zu sein, wurde von der Behörde ebenso kein Glaube geschenkt. Es würde sich aus seinen Angaben kein Zusammenhang, wonach der syrische Staat ihn im Falle einer Rückkehr als politischer Gegner qualifizieren würde, nur, weil er sich mehrere Jahre im Ausland aufgehalten habe, ergeben. Seine Behauptung, er würde von der FSA, sowie von der HTS gesucht werden, sei nicht glaubhaft unter anderem da der vorgelegte Fahndungsbrief keine Aussagekraft habe und es sich dabei, um jedes beliebige Schriftstück handeln könne. Ebenso wurde darauf hingewiesen, dass sich seine Herkunftsregion nicht unter Kontrolle des syrischen Regimes befinden würde. Laut den festgestellten Länderberichten sei es dem syrischen Regime daher auch nicht möglich, in diesem Gebiet Rekrutierungen vorzunehmen und drohe daher im Falle der Rückkehr nicht die Gefahr der Zwangsrekrutierung oder Verfolgung des syrischen Regimes aufgrund seiner Weigerung, den Militärdienst zu leisten.
8. Gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer fristgerecht Beschwerde und brachte vor, dass er im Falle einer Rückkehr Verfolgung vor allem durch das syrische Regime wegen seiner Weigerung den Militärdienst zu leisten, ausgesetzt wäre. Ihm würde eine oppositionelle Gesinnung von Seiten des Regimes, vor allem aufgrund des Zusammentreffens mehrerer Faktoren, die den Beschwerdeführer als Oppositionellen qualifizieren würden, zumindest unterstellt werden (Wehrdienstverweigerung, Asylantragstellung im Ausland, illegale Ausreise, Herkunftsregion Idlib). Zudem sei der Beschwerdeführer persönlich von einem HTS-Miliz mit Verhaftung und Schlimmeren bedroht worden. Danach sei ein Festnahmebefehl zugestellt worden. Durch die Abweisung des Angebotes dem HTS das Gesundheitszentrum zu überlassen, sei der Beschwerdeführer offiziell zum Feind (politischer Gegner) des HTS erklärt worden. Es werde vehement bestritten, dass bewaffnete oppositionelle Gruppen wie SNA und HTS Zivilisten in von ihnen kontrollierten Gebieten keine Wehrdienstpflicht auferlegen, und dass der Wehrdienst für diese Gruppierungen nur auf einer freiwilligen Basis stattfindet. Der Beschwerdeführer wolle für keine Seite kämpfen oder Waffen tragen, da er nicht dazu beitragen wolle, unschuldige Menschen zu töten.
9. Mit Schreiben vom 04. sowie vom 05.09.2024 wurden von der Rechtsvertretung des Beschwerdeführers Dokumente in Vorlage gebracht.
10. Zur Ermittlung des entscheidungserheblichen Sachverhaltes fand am 12.09.2024 in Anwesenheit eines Dolmetschers für die Sprache Arabisch und der Rechtsvertretung des Beschwerdeführers, eine öffentliche mündliche Verhandlung statt. Das BFA gab mit Schreiben vom 18.06.2024 die Nichtteilnahme an der Verhandlung bekannt. Zu Beginn wurde mitgeteilt weitere Länderberichte der Entscheidung zu Grunde zu legen, nämlich den Themenbericht der Staatendokumentation, Syrien-Grenzübergänge vom 25. Oktober 2023 sowie die Anfragebeantwortung der Staatendokumentation zu Syrien: Zwangsrekrutierung und Kontrolle in Idlib vom 17.03.2022 und die Möglichkeit eingeräumt entweder im Rahmen der mündlichen Verhandlung oder schriftlich binnen 14 Tagen eine Stellungnahme abzugeben.
In der mündlichen Verhandlung wurde der Beschwerdeführer ausführlich zu seinen persönlichen Lebensumständen in Syrien und seinen Fluchtgründen sowie zu seiner Situation im Falle einer Rückkehr in den Herkunftsstaat befragt. Gegen Ende der Verhandlung gab der Rechtsvertreter des Beschwerdeführers eine abschließende Stellungnahme ab.
Eine Verkündung erfolgte auf Grund des Erfordernisses ergänzender beweiswürdigender Erwägungen nicht.
11. Mit Schreiben vom 28.10.2024 wurden dem BFA und der Rechtsvertretung des Beschwerdeführers Länderinformationen der EUAA, nämlich Syria-Country Focus und Syria- Security Situation vom Oktober 2024 übermittelt und die Möglichkeit eingeräumt binnen 14 Tagen – ab Erhalt des Schreibens – eine Stellungnahme abzugeben.
12. Mit Schreiben vom 11.11.2024, eingelangt beim BVwG am 12.11.2024, erfolgte die aufgetragene Stellungnahme zu den Länderberichten.
13. Mit Schreiben vom 08.04.2025 langte eine weitere Stellungnahme des Beschwerdeführers bei Gericht ein.
13. Am 10.04.2024 fand eine weitere öffentliche mündliche Verhandlung statt, in welcher aktuelle Länderberichte zur Lageänderung in Syrien (Sturz des Assad Regimes) in das Verfahren einbezogen wurden und dem Beschwerdeführer auch die Möglichkeit eingeräumt wurde, neuerlich über seine persönlichen Lebensumstände, seine Fluchtgründe sowie über seine Situation im Falle einer Rückkehr in den Herkunftsstaat zu berichten. Eine Stellungnahme zu den in der mündlichen Verhandlung in das Verfahren neu einbezogenen Länderberichten wurde auch innerhalb der eingeräumten Stellungnahmefrist hierzu nicht abgegeben.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen:
1.1. Zur Person des Beschwerdeführers:
1.1.1. Der Beschwerdeführer führt den Namen XXXX und wurde am XXXX geboren. Er ist syrischer Staatsangehöriger, gehört der arabischen Volksgruppe an und bekennt sich zum islamisch-sunnitischen Glauben. Seine Muttersprache ist Arabisch. Er ist verheiratet und hat zwei Töchter und einen Sohn.
1.1.2. Der Beschwerdeführer wurde im Dorf XXXX (auch Bashir), Jisr-al-Shughor, Provinz Idlib geboren, ist dort aufgewachsen und hat die Schule besucht. Bis zu seiner Ausreise in die Türkei im August 2022 hat er in XXXX im Familienverband gelebt.
Die Schule hat er mit Matura abgeschlossen und anschließend drei Jahre Rechtswissenschaften an der Universität Damaskus studiert. Er hat eine Ausbildung zum Krankenpfleger absolviert und war von 2012 bis 2022 in einem Gesundheitszentrum tätig. Die alleinige Leitung desselben hatte er nicht inne. Weiters hat er in einem Gemüseladen gearbeitet.
1.1.3. In XXXX leben nach wie vor seine sieben Brüder und die drei Schwestern des Beschwerdeführers. Sein Vater, seine Ehefrau und die Kinder halten sich im Dorf XXXX , etwa sechs Kilometer von XXXX entfernt, auf. In Österreich lebt ein Neffe des Beschwerdeführers.
Der Beschwerdeführer hat Kontakt zu seiner Familie in Syrien.
1.1.4. Der Beschwerdeführer reiste von der Türkei über verschiedene Länder unter Umgehung der Grenzkontrollen nach Österreich, wo er am 17.10.2022 den gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz stellte. Mit Bescheid des BFA vom XXXX wurde ihm der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt.
1.1.5. Der Beschwerdeführer ist gesund und strafrechtlich unbescholten.
1.2. Zu den Fluchtgründen des Beschwerdeführers:
1.2.1. Der Herkunftsort des Beschwerdeführers, XXXX , befindet sich im Entscheidungszeitpunkt - wie auch vor dem Sturz des ehemaligen syrischen Regimes - unter der Kontrolle von HTS („Hayat Tahrir ash-Sham“). Die Einreise in dieses Gebiet ist über einen von der HTS kontrollierten Grenzübergang auf dem ebenso von der HTS kontrollierten Landweg möglich.
1.2.2. In Syrien bestand beim vormaligen syrischen Regime unter der Führung von Bashar al-Assad ein verpflichtender Wehrdienst für syrische Staatsbürger im Alter von 18 bis 42 Jahren (vgl. unter Punkt II.1.3.1.). Der Beschwerdeführer hat seinen Wehrdienst beim vormaligen syrischen Regime nicht abgeleistet und war von diesem auch nicht befreit. Die Herrschaft Bashar al-Assads ist Anfang Dezember 2024 im Zuge einer monatelang vorbereiteten Offensive unter Führung der oppositionellen "Hay’at Tahrir ash-Sham"(HTS) binnen weniger Tage zusammengebrochen; Bashar al-Assad ist mit seiner Familie nach Russland geflohen; die syrische Armee wurde von der HTS nach der Machtübernahme aufgelöst, die Soldaten entlassen (vgl. hierzu die Feststellungen unter Punkt II.1.3.4.).Der Beschwerdeführer kann nicht mehr vom vormaligen syrischen Regime zum Wehrdienst eingezogen werden.
Der Beschwerdeführer hat in Syrien an Demonstrationen gegen das vormalige syrische Regime teilgenommen. Er wurde vom vormaligen syrischen Regime nicht inhaftiert, eine Folterung fand nicht statt. Eine Verfolgung auf Grund seiner Demonstrationsteilnahme oder einer (unterstellten) oppositionellen Gesinnung gegen das vormalige syrische Regime ist nicht maßgeblich wahrscheinlich.
Dem Beschwerdeführer droht mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit keine Verfolgung auf Grund seiner Familienzugehörigkeit oder aus sonstigen Gründen durch das vormalige syrische Regime.
Im Falle einer Rückkehr ist nicht maßgeblich wahrscheinlich, dass der Beschwerdeführer durch Anhänger des vormaligen syrischen Regimes Verfolgung zu gegenwärtigen hätte.
1.2.3. Eine Verfolgung des Beschwerdeführers durch bewaffnete Gruppierungen in Syrien – insbesondere durch HTS – ist nicht maßgeblich wahrscheinlich. Er setzte keine als oppositionell eingestuften Handlungen und wird von den HTS-Milizen nicht als (politischer) Gegner angesehen. Er ist auf Grund seiner Tätigkeit im Gesundheitszentrum nicht in das Blickfeld der HTS gelangt und hat die Zusammenarbeit mit diesen nicht abgelehnt. Der Beschwerdeführer weist keine verinnerlichte politische Überzeugung gegen die HTS auf. Er ist von diesen auch nicht zur Teilnahme an Kampfhandlungen oder der Ableistung eines Militärdienstes aufgefordert oder sonst dazu verhalten worden. Im Falle einer Rückkehr nach Syrien droht dem Beschwerdeführer keine Zwangsrekrutierung durch die HTS oder andere Konfliktparteien.
Der Beschwerdeführer lehnt die Ableistung eines Militärdienstes für eine Konfliktpartei aufgrund der damit einhergehenden notorischen Gefahren und Handlungen ab.
1.2.4. Auch auf Grund seiner Ausreise aus Syrien und seiner Asylantragstellung in Österreich droht dem Beschwerdeführer nicht mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit die Gefahr einer Verfolgung auf Grund der Unterstellung einer oppositionellen Gesinnung oder aus sonstigen Gründen. Dem Beschwerdeführer droht bei einer Rückkehr in sein Herkunftsgebiet in Syrien wegen seiner Ausreise oder der Stellung eines Antrages auf internationalen Schutz in Österreich keine Lebensgefahr und auch kein Eingriff in seine körperliche Integrität. Der Beschwerdeführer ist auch auf Grund seiner Herkunft aus einem ehemaligen Oppositionsgebiet nicht der Gefahr ausgesetzt, mit der Anwendung von physischer und/oder psychischer Gewalt bedroht zu werden.
1.2.5. Dem Beschwerdeführer ist im Herkunftsstaat nicht mit hinreichender Wahrscheinlichkeit von einer Verfolgung aufgrund seiner ethnischen, religiösen oder staatsbürgerlichen Zugehörigkeit, wegen der Zugehörigkeit zu einer sozialen Gruppe oder seiner politischen Gesinnung bedroht.
1.3. Zur maßgeblichen Situation im Herkunftsstaat:
1.3.1. Auszüge aus der Länderinformation der Staatendokumentation zu „Syrien“
Aufgrund der jüngsten Ereignisse im Dezember 2024 in Syrien, insbesondere des Sturzes sowie der Flucht des Staatspräsidenten Baschar al-Assad, kann das Länderinformationsblatt der Staatendokumentation zu Syrien mit Stand vom 27.03.2024 mangels Aktualität nur teilweise herangezogen werden. Im Folgenden werden Feststellungen aus der vom Bundesverwaltungsgericht herangezogenen Länderinformation der Staatendokumentation, Version 11 vom 27.03.2024, bezogen auf jenen Teile, wo Feststellungen zur Lage vor dem Sturz des Assad-Regimes erforderlich sind, wiedergegeben:
„
„[…]
Sicherheitslage (vor dem Sturz des Assad-Regimes)
Letzte Änderung 2024-03-08 11:17
Die Gesamtzahl der Kriegstoten wird auf fast eine halbe Million geschätzt (USIP 14.3.2023). Die Zahl der zivilen Kriegstoten zwischen 1.3.2011 und 31.3.2021 beläuft sich laut UNO auf 306.887 Personen - dazu kommen noch viele zivile Tote durch den Verlust des Zugangs zu Gesundheitsversorgung, Lebensmittel, sauberem Wasser und anderem Grundbedarf (UNHCHR 28.6.2022).
Überlappende bewaffnete Konflikte und komplexe Machtverhältnisse
Der Konflikt in Syrien seit 2011 besteht aus einem Konvolut überlappender Krisen (ICG o.D.). Die Suche nach einer politischen Beilegung verlief im Sand (USIP 14.3.2023). Im Wesentlichen gibt es drei Militärkampagnen: Bestrebungen durch eine Koalition den Islamischen Staat zu besiegen, Kampfhandlungen zwischen der Syrischen Regierung und Kräften der Opposition und türkische Militäroperationen gegen syrische Kurden (CFR 24.1.2024). Dazu kommt das bestehende Informationsdefizit. Obwohl der Syrien-Konflikt mit einer seit Jahren anhaltenden, extensiven Medienberichterstattung einen der am besten dokumentierten Konflikte aller Zeiten darstellt, bleiben dennoch eine Reihe grundlegender Fragen offen. Angesichts der Vielschichtigkeit des Konflikts ist es auch Personen, die in Syrien selbst vor Ort sind, oft nicht möglich, sich ein Gesamtbild über alle Aspekte zu verschaffen. Das Phänomen des Propagandakrieges besteht auf allen Seiten und wird von allen kriegsführenden Parteien und ihren Unterstützern gezielt und bewusst eingesetzt, sodass sich das Internet, soziale und sonstige Medien angesichts der Verzerrungen der Darstellungen nur bedingt zur Informationsbeschaffung eignen. Darüber hinaus sind offiziell verfügbare Quellen (Berichte, Analysen etc.) aufgrund der Entwicklungen vor Ort oft schnell überholt (ÖB Damaskus 1.10.2021). In vielen Fällen wird die tatsächliche Kontrolle auf lokaler Ebene von unterschiedlichen Gruppierungen ausgeübt. Selbst in formal ausschließlich vom Regime kontrollierten Gebieten wie dem Südwesten des Landes (Gouvernements Dara’a, Suweida) sind die Machtverhältnisse mitunter komplex und können sich insofern von Ort zu Ort, von Stadtviertel zu Stadtviertel unterscheiden. Auch Überschneidungen sind möglich (v.a. Nordwesten und Nordosten). Die tatsächliche Kontrolle liegt lokal häufig ganz oder in Teilen bei bewaffneten Akteuren bzw. traditionellen Herrschaftsstrukturen (AA 29.3.2023).
Die militärische Landkarte Syriens hat sich nicht substantiell verändert. Das Regime kontrolliert weiterhin rund 60 Prozent des syrischen Staatsgebiets, mit Ausnahme von Teilen des Nordwestens, des Nordens und des Nordostens (AA 2.2.2024). United Nations Geospatial veröffentlichte eine Karte mit Stand Juni 2023, in welcher die wichtigsten militärischen Akteure und ihre Einflussgebiete verzeichnet sind (UNGeo 1.7.2023):
Die folgende Karte zeigt Kontroll- und Einflussgebiete unterschiedlicher Akteure in Syrien, wobei auch Konvoi- und Patrouille-Routen eingezeichnet sind, die von syrischen, russischen und amerikanischen Kräften befahren werden. Im Nordosten kommt es dabei zu gemeinsam genutzten Straßen [Anm.: zu den Gebieten mit IS-Präsenz siehe Unterkapitel zu den Regionen]:
[…]
Nordwest-Syrien
Letzte Änderung 2024-03-08 11:28
[…]
Das Gebiet unter Kontrolle von Hay'at Tahrir ash-Sham (HTS)
In der nordwestlichen Provinz Idlib und den angrenzenden Teilen der Provinzen Nord-Hama und West-Aleppo befindet sich die letzte Hochburg der Opposition in Syrien (BBC 2.5.2023). Das Gebiet wird von dem ehemaligen al-Qaida-Ableger Hay'at Tahrir ash-Sham (HTS) [Anm.: übersetzt soviel wie: Komitee zur Befreiung der Levante] beherrscht, der nach Ansicht von Analysten einen Wandel durchläuft, um seine Herrschaft in der Provinz zu festigen (Alaraby 5.6.2023). Das Gebiet beherbergt aber auch andere etablierte Rebellengruppen, die von der Türkei unterstützt werden (BBC 2.5.2023). HTS hat die stillschweigende Unterstützung der Türkei, die die Gruppe als Quelle der Stabilität in der Provinz und als mäßigenden Einfluss auf die radikaleren, transnationalen dschihadistischen Gruppen in der Region betrachtet. Durch eine Kombination aus militärischen Konfrontationen, Razzien und Festnahmen hat die HTS alle ihre früheren Rivalen wie Hurras ad-Din und Ahrar ash-Sham effektiv neutralisiert. Durch diese Machtkonsolidierung unterscheidet sich das heutige Idlib deutlich von der Situation vor fünf Jahren, als dort eine große Anzahl an dschihadistischen Gruppen um die Macht konkurrierte. HTS hat derzeit keine nennenswerten Rivalen. Die Gruppe hat Institutionen aufgebaut und andere Gruppen davon abgehalten, Angriffe im Nordwesten zu verüben. Diese Tendenz hat sich nach Ansicht von Experten seit dem verheerenden Erdbeben vom 6.2.2023, das Syrien und die Türkei erschütterte, noch beschleunigt (Alaraby 5.6.2023).
[…] […]
Wehrdienst- und Reservedienst und Rekrutierungen (vor dem Sturz des Assad-Regimes)
Rechtliche Bestimmungen
Für männliche syrische Staatsbürger ist im Alter zwischen 18 bis 42 Jahren die Ableistung eines Wehrdienstes verpflichtend (ÖB Damaskus 12.2022). Laut Gesetzesdekret Nr. 30 von 2007 Art. 4 lit b gilt dies vom 1. Januar des Jahres, in dem das Alter von 18 Jahren erreicht wird, bis zum Überschreiten des Alters von 42 Jahren (PAR 12.5.2007). Die Dauer des Wehrdienstes beträgt 18 Monate bzw. 21 Monate für jene, die die fünfte Klasse der Grundschule nicht abgeschlossen haben (PAR 1.6.2011). Polizeidienst wird im Rahmen des Militärdienstes organisiert. Eingezogene Männer werden entweder dem Militär oder der Polizei zugeteilt (AA 2.2.2024). In der Vergangenheit wurde es auch akzeptiert, sich, statt den Militärdienst in der syrischen Armee zu leisten, einer der bewaffneten regierungsfreundlichen Gruppierung anzuschließen. Diese werden inzwischen teilweise in die Armee eingegliedert, jedoch ohne weitere organisatorische Integrationsmaßnahmen zu setzen oder die Kämpfer auszubilden (ÖB Damaskus 12.2022). Wehrpflichtige und Reservisten können im Zuge ihres Wehrdienstes bei der Syrischen Arabischen Armee (SAA) auch den Spezialeinheiten (Special Forces), der Republikanischen Garde oder der Vierten Division zugeteilt werden, wobei die Rekruten den Dienst in diesen Einheiten bei Zuteilung nicht verweigern können (DIS 4.2023). Um dem verpflichtenden Wehrdienst zu entgehen, melden sich manche Wehrpflichtige allerdings aufgrund der höheren Bezahlung auch freiwillig zur Vierten Division, die durch die von ihr kontrollierten Checkpoints Einnahmen generiert (EB 17.1.2023). Die 25. (Special Tasks) Division (bis 2019: Tiger Forces) rekrutiert sich dagegen ausschließlich aus Freiwilligen (DIS 4.2023).
Ausnahmen von der Wehrpflicht bestehen für Studenten, Staatsangestellte, aus medizinischen Gründen und für Männer, die die einzigen Söhne einer Familie sind. Insbesondere die Ausnahmen für Studenten können immer schwieriger in Anspruch genommen werden. Fallweise wurden auch Studenten eingezogen. In letzter Zeit mehren sich auch Berichte über die Einziehung von Männern, die die einzigen Söhne einer Familie sind (ÖB Damaskus 12.2022). Einer vertraulichen Quelle des niederländischen Außenministeriums zufolge sollen Männer auch unabhängig ihres Gesundheitszustandes eingezogen und in der Verwaltung eingesetzt worden sein (NMFA 8.2023).
Die im März 2020, Mai 2021 und Jänner 2022 vom Präsidenten erlassenen Generalamnestien umfassten auch einen Straferlass für Vergehen gegen das Militärstrafgesetz, darunter Fahnenflucht. Die Verpflichtung zum Wehrdienst bleibt davon unberührt (ÖB Damaskus 12.2022).
Binnenvertriebene sind wie andere Syrer zur Ableistung des Wehrdienstes verpflichtet und werden rekrutiert (FIS 14.12.2018). Auch geflüchtete Syrer, die nach Syrien zurückkehren, müssen mit Zwangsrekrutierung rechnen (AA 2.2.2024). Laut Berichten und Studien verschiedener Menschenrechtsorganisationen ist für zahlreiche Geflüchtete die Gefahr der Zwangsrekrutierung neben anderen Faktoren eines der wesentlichen Rückkehrhindernisse (AA 2.2.2024; vgl. ICWA 24.5.2022).
Männliche Nachkommen palästinensischer Flüchtlinge, die zwischen 1948 und 1956 nach Syrien kamen und als solche bei der General Administration for Palestinian Arab Refugees (GAPAR) registriert sind (NMFA 5.2022), bzw. palästinensische Flüchtlinge mit dauerhaftem Aufenthalt in Syrien unterliegen ebenfalls der Wehrpflicht (AA 13.11.2018; vgl. Action PAL 3.1.2023, ACCORD 21.9.2022). Ihren Wehrdienst leisten sie für gewöhnlich in einer Unterabteilung der syrischen Armee, die den Namen Palästinensische Befreiungsarmee trägt: Palestinian Liberation Army (PLA) (BAMF 2.2023, (AA 13.11.2018; vgl. ACCORD 21.9.2022). Es konnten keine Quellen gefunden werden, die angeben, dass Palästinenser vom Reservedienst ausgeschlossen seien (ACCORD 21.9.2022; vgl. BAMF 2.2023).
Frauen können als Berufssoldatinnen dem syrischen Militär beitreten. Dies kommt in der Praxis tatsächlich vor, doch stoßen die Familien oft auf kulturelle Hindernisse, wenn sie ihren weiblichen Verwandten erlauben, in einem so männlichen Umfeld zu arbeiten. Dem Vernehmen nach ist es in der Praxis häufiger, dass Frauen in niedrigeren Büropositionen arbeiten als in bewaffneten oder leitenden Funktionen. Eine Quelle erklärt dies damit, dass Syrien eine männlich geprägte Gesellschaft ist, in der Männer nicht gerne Befehle von Frauen befolgen (NMFA 5.2022).
Mit Stand Mai 2023 werden die regulären syrischen Streitkräfte immer noch von zahlreichen regierungsfreundlichen Milizen unterstützt (CIA 9.5.2023). Frauen sind auch regierungsfreundlichen Milizen beigetreten. In den Reihen der National Defence Forces (NDF) dienen ca. 1.000 bis 1.500 Frauen, eine vergleichsweise geringe Anzahl. Die Frauen sind an bestimmten Kontrollpunkten der Regierung präsent, insbesondere in konservativen Gebieten, um Durchsuchungen von Frauen durchzuführen (FIS 14.12.2018).
Die Umsetzung
Bei der Einberufung neuer Rekruten sendet die Regierung Wehrdienstbescheide mit der Aufforderung, sich zum Militärdienst anzumelden, an Männer, die das wehrfähige Alter erreicht haben. Die Namen der einberufenen Männer werden in einer zentralen Datenbank erfasst. Männer, die sich beispielsweise im Libanon aufhalten, können mittels Bezahlung von Bestechungsgeldern vor ihrer Rückkehr nach Syrien überprüfen, ob sich ihr Name in der Datenbank befindet (DIS 5.2020). Laut Gesetz sind in Syrien junge Männer im Alter von 17 Jahren dazu aufgerufen, sich ihr Wehrbuch abzuholen und sich einer medizinischen Untersuchung zu unterziehen. Im Alter von 18 Jahren wird man einberufen, um den Wehrdienst abzuleisten. Wenn bei der medizinischen Untersuchung ein gesundheitliches Problem festgestellt wird, wird man entweder vom Wehrdienst befreit oder muss diesen durch Tätigkeiten, die nicht mit einer Teilnahme an einer Kampfausbildung bzw. -einsätzen verbunden sind, ableisten (STDOK 8.2017; vgl. DIS 7.2023). Wenn eine Person physisch tauglich ist, wird sie entsprechend ihrer schulischen bzw. beruflichen Ausbildung eingesetzt. Die Rekruten müssen eine 45-tägige militärische Grundausbildung absolvieren. Männer mit niedrigem Bildungsstand werden häufig in der Infanterie eingesetzt, während Männer mit einer höheren Bildung oft in prestigeträchtigeren Positionen eingesetzt werden. Gebildetere Personen kommen damit auch mit höherer Wahrscheinlichkeit in Positionen, in denen sie über andere Personen Bericht erstatten oder diese bestrafen müssen (STDOK 8.2017).
Obwohl die offizielle Wehrdienstzeit etwa zwei Jahre beträgt, werden Wehrpflichtige in der Praxis auf unbestimmte Zeit eingezogen (NMFA 5.2022; vgl. AA 29.3.2022), wobei zuletzt von einer "Verkürzung" des Wehrdienstes auf 7,5 Jahre berichtet wurde. Die tatsächliche Dauer richtet sich laut UNHCR Syrien jedoch nach Rang und Funktion der Betreffenden (ÖB Damaskus 12.2022). Personen, die aufgrund ihrer besonderen Fachkenntnisse von großem Wert für die Armee und nur schwer zu ersetzen sind, können daher über Jahre hinweg im Militärdienst gehalten werden. Personen, deren Beruf oder Fachwissen in der Gesellschaft sehr gefragt ist, wie z.B. Ärzte, dürfen eher nach Ablauf der offiziellen Militärdienstzeit ausscheiden (NMFA 5.2022).
Seit März 2020 hat es in Syrien keine größeren militärischen Offensiven an den offiziellen Frontlinien mehr gegeben. Scharmützel, Granatenbeschuss und Luftangriffe gingen weiter, aber die Frontlinien waren im Grunde genommen eingefroren. Nach dem Ausbruch von COVID-19 und der Einstellung größerer Militäroperationen in Syrien Anfang 2020 verlangsamten sich Berichten zufolge die militärischen Rekrutierungsmaßnahmen der SAA. Die SAA berief jedoch regelmäßig neue Wehrpflichtige und Reservisten ein. Im Oktober 2021 wurde ein Rundschreiben herausgegeben, in dem die Einberufung von männlichen Syrern im wehrpflichtigen Alter angekündigt wurde. Auch in den wiedereroberten Gebieten müssen Männer im wehrpflichtigen Alter den Militärdienst ableisten (EUAA 9.2022). Der Personalbedarf des syrischen Militärs bleibt aufgrund von Entlassungen langgedienter Wehrpflichtiger und zahlreicher Verluste durch Kampfhandlungen unverändert hoch (AA 2.2.2024).
[…]
Nicht-staatliche bewaffnete Gruppierungen (regierungsfreundlich und regierungsfeindlich) (vor dem Sturz des Assad-Regimes)
Letzte Änderung 2024-03-13 15:02
Manche Quellen berichten, dass die Rekrutierung durch regierungsfreundliche Milizen im Allgemeinen auf freiwilliger Basis geschieht. Personen schließen sich häufig auch aus finanziellen Gründen den National Defense Forces (NDF) oder anderen regierungstreuen Gruppierungen an (FIS 14.12.2018). Andere Quellen berichten von der Zwangsrekrutierung von Kindern im Alter von sechs Jahren durch Milizen, die für die Regierung kämpfen, wie die Hizbollah und die NDF (auch als "shabiha" bekannt) (USDOS 29.7.2022). In vielen Fällen sind bewaffnete regierungstreue Gruppen lokal organisiert, wobei Werte der Gemeinschaft wie Ehre und Verteidigung der Gemeinschaft eine zentrale Bedeutung haben. Dieser soziale Druck basiert häufig auf der Zugehörigkeit zu einer bestimmten Religionsgemeinschaft (FIS 14.12.2018). Oft werden die Kämpfer mit dem Versprechen, dass sie in der Nähe ihrer lokalen Gemeinde ihren Einsatz verrichten können und nicht in Gebieten mit direkten Kampfhandlungen und damit die Wehrpflicht umgehen könnten, angeworben. In der Realität werden diese Milizen aber trotzdem an die Front geschickt, wenn die SAA Verstärkung braucht bzw. müssen die Männer oft nach erfolgtem Einsatz in einer Miliz trotzdem noch ihrer offiziellen Wehrpflicht nachkommen (EUAA 10.2023). In manchen Fällen aber führte der Einsatz bei einer Miliz tatsächlich dazu, der offiziellen Wehrpflicht zu entgehen, bzw. profitierten einige Kämpfer in regierungsnahen Milizen von den letzten Amnestien, sodass sie nach ihrem Einsatz in der Miliz nur mehr die sechsmonatige Grundausbildung absolvieren mussten um ihrer offiziellen Wehrpflicht nachzugehen, berichtet eine vertrauliche Quelle des niederländischen Außenministeriums (NMFA 8.2023).
Anders als die Regierung und die Syrian Democratic Forces (SDF), erlegen bewaffnete oppositionelle Gruppen wie die SNA (Syrian National Army) und HTS (Hay'at Tahrir ash-Sham) Zivilisten in von ihnen kontrollierten Gebieten keine Wehrdienstpflicht auf (NMFA 5.2022; vgl. DIS 12.2022). Quellen des niederländischen Außenministeriums berichten, dass es keine Zwangsrekrutierungen durch die SNA und die HTS gibt (NMFA 8.2023). In den von den beiden Gruppierungen kontrollierten Gebieten in Nordsyrien herrscht kein Mangel an Männern, die bereit sind, sich ihnen anzuschließen. Wirtschaftliche Anreize sind der Hauptgrund, den Einheiten der SNA oder HTS beizutreten. Die islamische Ideologie der HTS ist ein weiterer Anreiz für junge Männer, sich dieser Gruppe anzuschließen. Im Jahr 2022 erwähnt der Danish Immigration Service (DIS) Berichte über Zwangsrekrutierungen der beiden Gruppierungen unter bestimmten Umständen im Verlauf des Konfliktes. Während weder die SNA noch HTS institutionalisierte Rekrutierungsverfahren anwenden, weist die Rekrutierungspraxis der HTS einen höheren Organisationsgrad auf als die SNA (DIS 12.2022). Im Mai 2021 kündigte HTS an, künftig in ldlib Freiwilligenmeldungen anzuerkennen, um scheinbar Vorarbeit für den Aufbau einer "regulären Armee" zu leisten. Der Grund dieses Schrittes dürfte aber eher darin gelegen sein, dass man in weiterer Zukunft mit einer regelrechten "HTS-Wehrpflicht" in ldlib liebäugelte, damit dem "Staatsvolk" von ldlib eine "staatliche" Legitimation der Gruppierung präsentiert werden könnte (BMLV 12.10.2022). Die HTS rekrutiert auch gezielt Kinder, bildet sie religiös und militärisch aus und sendet sie an die Front (SNHR 20.11.2023).
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1.3.2. Kurzinformation der Staatendokumentation, Syrien, Sicherheitslage, Politische Lage
Dezember 2024: Opposition übernimmt Kontrolle, al Assad flieht vom 10.12.2024
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1. Zusammenfassung der Ereignisse
Nach monatelanger Vorbereitung und Training (NYT 1.12.2024) starteten islamistische Regierungsgegner unter der Führung der Hay’at Tahrir ash-Sham (HTS) (Standard 1.12.2024) die Operation „Abschreckung der Aggression“ – auf نن Arabisch: ردع العدوا - Rad’a al-‘Adwan (AJ 2.12.2024) und setzten der Regierung von Präsident Bashar al-Assad innerhalb von 11 Tagen ein Ende.
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Am 30.11. nahmen die Oppositionskämpfer Aleppo ein und stießen weiter in Richtung der Stadt Hama vor, welche sie am 5.12. einnahmen. Danach setzten sie ihre Offensive in Richtung der Stadt Homs fort (AJ 8.12.2024). Dort übernahmen sie die Kontrolle in der Nacht vom 7.12. auf 8.12. (BBC 8.12.2024). Am 6.12. zog der Iran sein Militärpersonal aus Syrien ab (NYT 6.12.2024). Russland forderte am 7.12. seine Staatsbürger auf, das Land zu verlassen (FR 7.12.2024). Am 7.12. begannen lokale Milizen und Rebellengruppierungen im Süden Syriens ebenfalls mit einer Offensive und nahmen Daraa ein (TNA 7.12.2024; Vgl. AJ 8.12.2024), nachdem sie sich mit der Syrischen Arabischen Armee auf deren geordneten Abzug geeinigt hatten (AWN 7.12.2024). Aus den südlichen Provinzen Suweida und Quneitra zogen ebenfalls syrische Soldaten, sowie Polizeichefs und Gouverneure ab (AJ 7.12.2024). Erste Oppositionsgruppierungen stießen am 7.12. Richtung Damaskus vor (AJ 8.12.2024). Am frühen Morgen des 8.12. verkündeten Medienkanäle der HTS, dass sie in die Hauptstadt eingedrungen sind und schließlich, dass sie die Hauptstadt vollständig unter ihre Kontrolle gebracht haben (Tagesschau 8.12.2024). Die Einnahme Damaskus’ ist ohne Gegenwehr erfolgt (REU 9.12.2024), die Regierungstruppen hatten Stellungen aufgegeben, darunter den Flughafen (Tagesschau 8.12.2024). Das Armeekommando hatte die Soldaten außer Dienst gestellt (Standard 8.12.2024).
Russland verkündete den Rücktritt und die Flucht von al-Assad (BBC 8.12.2024). Ihm und seiner Familie wurde Asyl aus humanitären Gründen gewährt (REU 9.12.2024).
Kurdisch geführte Kämpfer übernahmen am 6.12.2024 die Kontrolle über Deir ez-Zour im Nordosten Syriens, nachdem vom Iran unterstützte Milizen dort abgezogen waren (AJ 7.12.2024), sowie über einen wichtigen Grenzübergang zum Irak. Sie wurden von den USA bei ihrem Vorgehen unterstützt (AWN 7.12.2024).
Die von der Türkei unterstützten Rebellengruppierungen unter dem Namen Syrian National Army (SNA) im Norden Syriens starteten eine eigene Operation gegen die von den Kurden geführten Syrian Democratic Forces (SDF) im Norden von Aleppo (BBC 8.12.2024). ج فف ج Im Zuge der Operation „Morgenröte der Freiheit“ (auf Arabisch را ر ح ة يية - Fajr al-Hurriya) nahmen diese Gruppierungen am 9.12.2024 die Stadt Manbij ein (SOHR 9.12.2024). Die Kampfhandlungen zwischen Einheiten der durch die Türkei unterstützten Syrian National Army (SNA) auf der einen Seite und den SDF auf der anderen Seite dauerten danach weiter an. Türkische Drohnen unterstützten dabei die Truppen am Boden durch Luftangriffe (SOHR 9.12.2024b).
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Der Syrischen Beobachtungsstelle für Menschenrechte zufolge sind seit Beginn der Offensive 910 Menschen ums Leben gekommen, darunter 138 Zivilisten (AAA 8.12.2024). Beim Vormarsch auf Homs waren tausende Menschen Richtung Küste nach Westen geflohen (AJ 6.12.2024). Bei der Offensive gegen Manbij wurden hingegen einige Zivilisten in Richtung Osten vertrieben (SOHR 9.12.2024).
In Damaskus herrschte weit verbreitetes Chaos nach der Machtübernahme durch die Opposition. So wurde der Sturz von Assad mit schweren Schüssen gefeiert und Zivilisten stürmten einige staatliche Einrichtungen, wie die Zentralbank am Saba-Bahrat-Platz, das Verteidigungsministerium (Zivilschutz) in Mleiha und die Einwanderungs- und Passbehörde in der Nähe von Zabaltani, außerdem wurden in verschiedenen Straßen zerstörte und brennende Fahrzeuge gefunden (AJ 8.12.2024b). Anführer al-Joulani soll die Anweisung an die Oppositionskämpfer erlassen haben, keine öffentlichen Einrichtungen anzugreifen (8.12.2024c) und erklärte, dass die öffentlichen Einrichtungen bis zur offiziellen Übergabe unter der Aufsicht von Ministerpräsident Mohammed al-Jalali aus der Assad-Regierung bleiben (Rudaw 9.12.2024).
Gefangene wurden aus Gefängnissen befreit, wie aus dem berüchtigten Sedanaya Gefängnis im Norden von Damaskus (AJ 8.12.2024c).
2. Die Akteure
Syrische Arabische Armee (SAA): Die Syrische Arabische Armee kämpfte gemeinsam mit den National Defense Forces, einer regierungsnahen, paramilitärischen Gruppierung. Unterstützt wurde die SAA von der Hisbollah, Iran und Russland (AJ 8.12.2024). Die Einheiten der syrischen Regierungstruppen zogen sich beim Zusammenstoß mit den Oppositionskräften zurück, während diese weiter vorrückten. Viele Soldaten flohen oder desertierten (NZZ 8.12.2024). In Suweida im Süden Syriens sind die Soldaten der Syrischen Arabischen Armee massenweise desertiert (Standard 7.12.2024). Am 7.12. flohen mehrere Tausend syrische Soldaten über die Grenze in den Irak (Arabiya 7.12.2024; vgl. Guardian 8.12.2024). Präsident al-Assad erhöhte am 4.12. die Gehälter seiner Soldaten, nicht aber dasjenige von Personen, die ihren Pflichtwehrdienst ableisteten (TNA 5.12.2024). Dieser Versuch, die Moral zu erhöhen, blieb erfolglos (Guardian 8.12.2024). Die Opposition forderte die Soldaten indes zur Desertion auf (TNA 5.12.2024). Aktivisten der Syrischen Beobachtungsstelle für Menschenrechte beobachteten, dass Hunderte Soldaten ihre Militäruniformen ausgezogen haben, nachdem sie entlassen wurden (SOHR 8.12.2024). Offiziere und Mitarbeiter des Regimes ließen ihre Militär- und Sicherheitsfahrzeuge in der Nähe des Republikanischen Palastes, des Büros des Premierministers und des Volkspalastes unverschlossen stehen, aus Angst von Rebellen am Steuer erwischt zu werden (AJ 8.12.2024b).
Opposition: Obwohl Hay’at Tahrir ash-Sham (HTS) den plötzlichen Vormarsch auf Aleppo gestartet hat und treibende Kraft der Offensive war haben auch andere Rebellengruppierungen sich gegen die Regierung gewandt und sich am Aufstand beteiligt (BBC 8.12.2024c).
Hay’at Tahrir ash-Sham (HTS): Die HTS wurde 2011 als Ableger der al-Qaida unter dem Namen Jabhat an-Nusra gegründet (BBC 8.12.2024c). Im Jahr 2017 brach die Gruppierung ihre Verbindung mit der Al-Qaida (CSIS 2018) und formierte sich unter dem Namen Hay’at Tahrir ash-Sham neu, gemeinsam mit anderen Gruppierungen (BBC 8.12.2024c). Sie wird von der UN, den USA, der Europäischen Union (AJ 4.12.2024) und der Türkei als Terrororganisation eingestuft (BBC 8.12.2024c). Der Anführer der HTS, der bisher unter seinem Kampfnamen Abu Mohammed al-Joulani bekannt war, hat begonnen wieder seinen bürgerlichen Namen, Ahmad ash-Shara’a zu verwenden (Nashra 8.12.2024). Er positioniert sich als Anführer im Post-Assad Syrien (BBC 8.12.2024c). Die HTS hat in den letzten Jahren versucht, sich als nationalistische Kraft (BBC 8.12.2024b) und pragmatische Alternative zu al-Assad zu positionieren (BBC 8.12.2024c). Der Gruppierung werden Menschenrechtsverletzungen vorgeworfen (BBC 8.12.2024c). Einem Terrorismusexperten zufolge gibt es bereits erste Videos von Personen aus dem HTS-Umfeld, die ein Kalifat aufbauen wollen (WiWo 9.12.2024).
National Liberation Front (NFL): Eine Reihe kleinerer Kampfgruppen, aus denen sich die NFL zusammensetzt, nahmen an der Operation „Abschreckung der Aggression“ teil, darunter die Jaish al-Nasr, das Sham Corps und die Freie Idlib-Armee. Die 2018 in Idlib gegründete NFL umfasst mehrere nordsyrische Fraktionen, von denen einige auch unter das Dach der Freien Syrischen Armee fallen (AJ 2.12.2024b).
Ahrar al-Sham Movement: Die Ahrar al-Sham-Bewegung ist hauptsächlich in Aleppo und Idlib aktiv und wurde 2011 gegründet. Sie definiert sich selbst als „umfassende reformistische islamische Bewegung, die in die Islamische Front eingebunden und integriert ist“ (AJ 2.12.2024b).
Jaish al-Izza: Jaish al-Izza: Übersetzt: „Die Armee des Stolzes“ ist Teil der Freien Syrischen Armee und konzentriert sich auf den Norden des Gouvernements Hama und einige Teile von Lattakia. Im Jahr 2019 erhielt die Gruppierung Unterstützung aus dem Westen, darunter auch Hochleistungswaffen (AJ 2.12.2024b).
Nur Eddin Zinki-Bewegung (Zinki): Diese Gruppierung entstand 2014 in Aleppo, versuchte 2017, sich mit der HTS zusammenzuschließen, was jedoch nicht funktionierte. Die beiden Gruppierungen kämpften 2018 gegeneinander, und „Zinki“ wurde Anfang 2019 von ihren Machtpositionen in der Provinz Aleppo vertrieben. Ein Jahr später verhandelte „Zinki“ mit der HTS, und ihre Kämpfer kehrten an die Front zurück, und seitdem ist die Gruppe unter den oppositionellen Kämpfern präsent (AJ 2.12.2024b).
Milizen in Südsyrien: Gruppierungen aus südlichen Städten und Ortschaften, die sich in den letzten Jahren zurückhielten, aber nie ganz aufgaben und einst unter dem Banner der Freien Syrien Armeekämpften, beteiligten sich am Aufstand (BBC 8.12.2024c). In Suweida nahmen Milizen der syrischen Minderheit der Drusen Militärstützpunkte ein (Standard 7.12.2024).
Syrian Democratic Forces (SDF): Die SDF ist eine gemischte Truppe aus arabischen und kurdischen Milizen sowie Stammesgruppen. Die kurdische Volksschutzeinheit YPG ist die stärkste Miliz des Bündnisses und bildet die militärische Führung der SDF (WiWo 9.12.2024). Sie werden von den USA unterstützt (AJ 8.12.2024). Im kurdisch kontrollierten Norden liegen die größten Ölreserven des Landes (WiWo 9.12.2024).
Syrian National Army (SNA): Diese werden von der Türkei unterstützt (BBC 8.12.2024c) und operieren im Norden Syriens im Grenzgebiet zur Türkei (AJ 8.12.2024). Der SNA werden mögliche Kriegsverbrechen, wie Geiselnahmen, Folter und Vergewaltigung vorgeworfen. Plünderungen und die Aneignung von Privatgrundstücken, insbesondere in den kurdischen Gebieten, sind ebenfalls dokumentiert (WiWo 9.12.2024).
3. Aktuelle Lageentwicklung
Sicherheitslage:
Israel hat Gebäude der Syrischen Sicherheitsbehörden und ein Forschungszentrum in Damaskus aus der Luft angegriffen, sowie militärische Einrichtungen in Südsyrien, und den Militärflughafen in Mezzeh. Israelische Streitkräfte marschierten außerdem in al-Quneitra ein (Almodon 8.12.2024) und besetzten weitere Gebiete abseits der Golan-Höhen, sowie den Berg Hermon (NYT 8.12.2024). Die israelische Militärpräsenz sei laut israelischem Außenminister nur temporär, um die Sicherheit Israels in der Umbruchphase sicherzustellen (AJ 8.12.2024d). Am 9.12.2024 wurden weitere Luftangriffe auf syrische Ziele durchgeführt (SOHR 9.12.2024c). Einer Menschenrechtsorganisation zufolge fliegt Israel seine schwersten Angriffe in Syrien. Sie fokussieren auf Forschungszentren, Waffenlager, Marine-Schiffe, Flughäfen und Luftabwehr (NTV 9.12.2024). Quellen aus Sicherheitskreisen berichten indes, dass Israelisches Militär bis 25km an Damaskus in Südsyrien einmarschiert wäre (AJ 10.12.2024).
Das US-Central Command gab an, dass die US-Streitkräfte Luftangriffe gegen den Islamischen Staat in Zentralsyrien geflogen sind (REU 9.12.2024). Präsident Biden kündigte an, weitere Angriffe gegen den Islamischen Staat vorzunehmen, der das Machtvakuum ausnützen könnte, um seine Fähigkeiten wiederherzustellen (BBC 7.12.2024).
Russland versucht, obwohl es bis zum Schluss al-Assad unterstützte, mit der neuen Führung Syriens in Dialog zu treten. Anstatt wie bisher als Terroristen bezeichnen russische Medien die Opposition mittlerweile als „bewaffnete Opposition“ (BBC 8.12.2024d).
Sozio-Ökonomische Lage:
Die Opposition versprach, den Minderheiten keinen Schaden zuzufügen und sie nicht zu diskriminieren, egal ob es sich um Christen, Drusen, Schiiten oder Alawiten handle. Gerade letztere besetzten unter der Führung Al-Assad’s oft hohe Positionen im Militär und den Geheimdiensten (TNA 5.12.2024).
Für alle Wehrpflichtigen, die in der Syrischen Arabischen Armee gedient haben, wurde von den führenden Oppositionskräften eine Generalamnestie erlassen. Ihnen werde Sicherheit garantiert und jegliche Übergriffe auf sie wurden untersagt (Presse 9.12.2024). Ausgenommen von der Amnestie sind jene Soldaten, die sich freiwillig für den Dienst in der Armee gemeldet haben (Spiegel 9.12.2024).
Die syrischen Banken sollen ihre Arbeit am 10.12.2024 wiederaufnehmen, die Bediensteten wurden aufgefordert, an ihre Arbeitsplätze zurückzukehren (Arabiya 9.12.2024).
Die HTS, die weiterhin auf der Terrorliste der UN steht, ist seit 2016 von Sanktionen des UN-Sicherheitsrates betroffen. Diplomaten zufolge war die Streichung der HTS von der Sanktionenliste kein Thema bei der jüngsten Ratssitzung (REU 10.12.2024).
Bevor der Wiederaufbau zerstörter Städte, Infrastruktur und Öl- und Landwirtschaftssektoren beginnen kann, muss mehr Klarheit über die neue Regierung Syriens geschaffen werden (DW 10.12.2024).
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1.3.3. Auszug aus der Anfragebeantwortung Rekrutierungspraxis der Übergangsregierung, Rekrutierungen durch andere bewaffnete Gruppen (z.B. Yekîneyên Parastina Gel, YPG); Zwangsrekrutierungen [a-12592] vom 21.03.2025
Rekrutierungspraxis der Übergangsregierung; Zwangsrekrutierungen
Mehrere Quellen berichten im Februar 2025, dass der Präsident der syrischen Übergangsregierung, Ahmed Al-Scharaa, erklärt habe, dass er die Wehrdienstpflicht abgeschafft habe und stattdessen auf freiwillige Rekrutierung setze (Enab Baladi, 12. Februar 2025; France 24, 10. Februar 2025; siehe auch Markaz Al-Jazeera l-il-Dirasat, 30. Jänner 2025; FDD,28. Jänner 2025). Anfang Februar 2025 wurde berichtet, dass sich Scharaa zufolge tausende Freiwillige der neuen Armee anschließen würden (France 24, 10. Februar 2025; Enab Baladi, 12. Februar 2025). Dem Online-Begleittext eines Videobeitrags des schwedischen Fernsehprogramms Svtnyheter von Jänner 2025 zufolge hätte die Hayat Tahrir Al-Scham (HTS)aktiv mit intensiven Rekrutierungen für die Reihen der Polizei und des Militärs begonnen (Svt nyheter, 18. Jänner 2025). In einem undatierten arabischsprachigen Artikel bezieht sich das Swedish Center for Information (SCI) auf den genannten Videobeitrag. Laut dem SCI-Artikelwürden Berichten zufolge Soldaten, Unteroffiziere und Offiziere mittels intensiver Programme rekrutiert, die von traditionellen akademischen Standards und Trainingsstandards abweichen würden. Dies habe den Zweck, die Ausbildung der Militär- und Sicherheitskräfte zu beschleunigen, um den Bedarf des neuen Staates zu decken (SCI, ohne Datum).
In einem arabischsprachigen Artikel von Februar 2025 berichtet Enab Baladi, die Rekrutierungsabteilung in Aleppo habe verkündet, dass die Anmeldungen für eine Militärausbildung begonnen hätten. Die Bedingungen für den Eintritt in die Reihen des Verteidigungsministeriums der Übergangsregierung seien festgelegt worden. Interessierte könnten sich bis 15. Februar 2025 in der Rekrutierungsabteilung in Aleppo im Viertel Al-Furqan anmelden. Voraussetzung sei, dass Bewerber ledig, zwischen 18 und 22 Jahre alt seien, keine chronischen Erkrankungen hätten und nicht verletzt seien. Für eine Anmeldung seien zwei Fotos, eine Kopie des Personalausweises sowie, sofern vorhanden, eine Kopie des Nachweises über einen akademischen Abschluss vorzulegen (Enab Baladi,12. Februar 2025). Ähnliche Informationen finden sich in den nachfolgendbeschriebenen zwei Facebook-Beiträgen. In einem arabischsprachigen Facebook-Beitrag vom 12. Februar 2025 auf der Facebook-Seite „Al Arabiya Syria“ wird berichtet, dass das Gouvernement Aleppo verkündet habe, dass die Anmeldungen für die Aufnahme in die Reihender Armee eröffnet seien. Die Anmeldungen würden im Offiziersclub im Viertel Al-Furqan entgegengenommen. Bewerber hätten ledig sowie zwischen 18 und 22 Jahre alt und gesund zu sein (Al Arabiya Syria,12. Februar 2025). Auf der Facebook-Seite „Nachrichten des freien Syrien“(„Achbar Suriya al-Hurra“) findet sich ein Beitrag vom 6. Februar 2025, der eine Rekrutierungsanzeige der Rekrutierungsabteilung in Idlib veröffentlicht. Die Anmeldung zur Teilnahme am Militärkurs für jene, die unter dem Verteidigungsministerium dienen möchten, sei eröffnet. Interessierten sei es möglich, sich zwischen dem 9. Februar 2025 und dem 15. Februar 2025 in der Rekrutierungsabteilung in Idlib anzumelden. Bewerber hätten ledig und zwischen 18 und 22 Jahre alt zu sein. Siedürften nicht chronisch krank oder verletzt sein. Vorzulegen seien ein Foto, eine Kopie des Personalausweises und eine Kopie desakademischen Nachweises, wenn vorhanden (Nachrichten des freien Syrien, 6. Februar 2025).
Syria TV, ein syrischer Fernsehsender mit Sitz in Instanbul, der im Besitzeines katarischen Mediennetzwerks ist und sich in Opposition zur Assad-Regierung positioniert hatte, berichtet in einem arabischsprachigen Artikel vom Februar 2025, dass sich der Rekrutierungsprozess für die neuen syrischen Militär- und Sicherheitsinstitutionen, wie die Polizei sowie Kriminal- und Geheimdienste, von Gouvernement zu Gouvernementunterscheide. Am 10. Jänner 2025 habe das Innenministerium der Übergangsregierung verkündet, dass Anmeldungen zum Eintritt in die Polizeiakademie begonnen hätten. Die Kurse, die einen Eintritt in die Reihen der Polizei und Dienste der öffentlichen Sicherheit ermöglichen sollen, hätten in fast allen Gouvernements, insbesondere in Damaskus, Rif Dimaschq, Homs, Tartus, Idlib, Sweida und Deir ez-Zor begonnen. Dem Artikel zufolge sei Idlib in dieser Hinsicht am aktivsten, gefolgt von Deir ez-Zor und Teilen von Rif Dimaschq, während der Rekrutierungsprozess in den Küstenregionen sowie in Homs eher verhalten verlaufe. Bewerberhätten zwischen 20 und 30 Jahre alt zu sein, einen Sekundarschulabschluss oder einen entsprechenden Abschlussvorzuweisen, die vorgeschriebenen Kurse absolviert zu haben, unbescholten sowie gesund und von guter Statur zu sein. Sie hätten zudem körperlich fit zu sein und müssten mindestens 168 cm groß sein.
Einem für den Artikel interviewten 27-jährigen Mann zufolge stelle der freiwillige Beitritt zum Polizei- oder Geheimdienstapparat für ihn eine gute Beschäftigungsmöglichkeit dar. Das Gehalt betrage mindestens 200 US-Dollar, während ein Arbeiter in Idlib täglich nicht mehr als umgerechnet drei US-Dollar verdiene. Der Mann aus Süd-Idlib habe auf Facebook eine Rekrutierungsanzeige gesehen und sich daraufhin beeilt, sich zu bewerben. Er habe erklärt, dass für die Bewerbung ein Formular mitpersönlichen Daten auszufüllen sei. Das Formular gebe an, dass Bewerber nicht älter als 30 Jahre sein dürften. Man dürfe im Formular angeben, ob man in die Reihen des Geheimdienstes oder der Polizei, darunter die Kriminalpolizei, die Verkehrspolizei und die Moralpolizei, aufgenommen werden wolle. Die Moralpolizeit sei eine Abteilung, die in Idlib vor dem Sturz der Assad-Regierung hätte gegründet werden sollen, aber trotz der Verbschiedung eines Gesetzes mit dem Titel „Öffentliche Moral“, auf Eisgelegt worden sei (Syria TV, 21. Februar 2025).
In einem Artikel vom 19. Februar 2025 berichtet The National von einem Funktionär der HTS, der im Damaszener Außenbezirk Ost-Ghuta junge Männer rekrutieren solle. Die HTS benötige dem Artikel zufolge so viele Männer wie möglich, insbesondere für entlegenere Gegenden. An einemöffentlichen Platz im Vorort Ain Tarma habe der Funktionär ein kommunales Gebäude betreten und einen Zuständigen dort gefragt, ob er Personen kenne, die geeignet seien, der HTS beizutreten. Er habe eine Telefonnummer hinterlegt und sei zu einer ehemaligen Regierungskaserne weitergegangen, die sich auf dem Gebiet befinde, wo neue HTS-Rekruten ein dreiwöchiges Training absolvieren sollen. Dem Funktionär zufolge hätten sich seit dem Fall der Assad-Regierung tausende der HTS angeschlossen. Hunderte weitere würden bald in den Kasernen in Ost-Ghuta erwartet (The National, 19. Februar 2025)
Laut einem Artikel der Foundation for Defense of Democracies (FDD) von Jänner 2025 behaupte die syrische Übergangsregierung zwar, sich für religiöse Toleranz einzusetzen. Gleichzeitig werde die von der Regierung bevorzugte sunnitisch-islamische Glaubensströmung der Rekrutierung und der Ausbildung neuer Sicherheitskräfte zugrunde gelegt. Berichten zufolge würden neue Rekruten eine 21-tägige Scharia –Ausbildung durchlaufen (FDD, 28. Jänner 2025).
In einem Artikel von Jänner 2025 berichtet Reuters von der Rekrutierung von Polizisten durch die Übergangsregierung. Polizisten, die aus der ehemals HTS-regierten Enklave in Idlib nach Damaskus gebracht worden seien, würden Bewerbernach ihrem Glauben befragen. Die Ausbildung von Polizisten dauere zehn Tage und der Fokus liege Ausbildnern und Absolventen zufolge auf dem Umgang mit Waffen und der Vermittlung von islamischem Recht. Dem Leiter der Polizei in Aleppo zufolge sei geplant, die Ausbildung auf neun Monate auszuweiten, wenn sich die Sicherheitslage gebessert habe. Ihm zufolge würden den Polizeirekruten die Prinzipien der islamischen Rechtsprechung, die Biographie des Propheten Mohammed und Verhaltensregeln gelehrt. Die Bewerbungsformulare würden Reuters zufolge einen Abschnitt „Glaube, Orientierung und Standpunkte“ enthalten, in welchem Bewerber nach ihrer „Bezugsautorität“ („referential authority“) befragt würden. Drei anonymen HTS-Beamten zufolge diene die Frage dazu, Bewerber zu identifizieren, die einer genaueren Prüfung unterzogen werden müssen, insbesondere Alawiten, die derselben Glaubensströmung wie die Assad-Familie angehören würden und möglicherweise Verbindungen zur Assad-Regierung gehabt hätten (Reuters, 23. Jänner 2025).
Dem von Reuters befragten Wissenschaftler Aron Lund zufolge fänden viele Syrer·innen die religiöse Komponente bei der Rekrutierung von Polizisten bedenklich. Das betreffe nicht nur Minderheiten wie Christ·innen, Alawit·innen und Druz·innen, sondern auch urbane, säkulare sunnitische Muslim·innen. Das Innenministerium der Übergangsregierung, welches für Polizeiangelegenheiten zuständig sei, habe Reuters Fragen zum religiösen Fokus bei der Rekrutierung und Ausbildung von Polizisten nicht beantwortet. Mehreren von Reuters interviewten führenden Polizeioffizieren zufolge diene dieser nicht dazu, der Allgemeinbevölkerung religiöse Inhalte aufzuzwingen, sondern dazu, Rekruten ethisches Verhalten zu vermitteln. Sieben Polizeioffiziere, die Polizeistationen verwalten oder im Rekrutierungsprozess involviert seien, hätten ausgesagt, dass die Polizei mehr Mitarbeiter benötige und Bewerbungen von Personen jeder Glaubensrichtung willkommen seien (Reuters, 23. Jänner 2025).
Einem Polizei-Ausbildner an einer Polizeiakademie in Damaskus zufolge hätten sich über 200.000 Personen gemeldet, die Teil des neuen Polizeidienstes werden wollen. Alle fünf von Reuters interviewten hochrangingen Offiziere seien davon ausgegangen, dass sich die Personalausstattung vor dem Hintergrund der Ausweitung von Rekrutierung und Training im Jahr 2025 verbessern werde. Die Anmeldung von Polizisten, die vor dem Sturz der Assad-Regierung zu den Rebellen übergelaufen seien, werde laut von Reuters befragten führenden Polizeioffizieren begrüßt (Reuters, 23. Jänner 2025; siehe auch Enab Baladi, 12.
Februar 2025). Diejenigen, die nicht übergelaufen seien, hätten einen „Aussöhnungsprozess“ zu durchlaufen. Im Zuge dessen hätten sie ein Dokument zu unterzeichnen, worin sie den Regierungswechselanerkennen würden, und sie hätten ihre Waffe abzugeben. Es sei noch unklar, ob sie dem neuen Polizeidienst beitreten dürften (Reuters,23. Jänner 2025).
In einem Artikel von Ende Februar 2025 berichtet Syria TV von Gerüchten, denen zufolge die Übergangsregierung in den Gouvernements Tartus und Latakia Männer zum Militärdienst rekrutiert und zwangsverpflichtet hätte. Auf Facebook-Seiten, die der Quelle zufolge von Medienfachleutenbetrieben würden, die der Assad-Regierung naheständen, sei berichtet worden, dass Sicherheitskräfte in den Städten Dschableh, Baniyas und Qardaha Checkpoints aufgestellt und Personen mit Statusregelungsausweisen („Bidaqat Taswiya“) festgenommen hätten. Offizielle Quellen des Gouvernements Tartus hätten den Verantwortlichen der Rekrutierungsabteilung der Stadt Baniyas zitiert, der diese Gerüchtevehement abgestritten habe. Er habe darauf hingewiesen, dass der Militärdienst nunmehr auf Freiwilligkeit aufbaue und dazu aufgerufen, offizielle Quellen für Informationen zu konsultieren (Syria TV, 26. Februar2025).
Rekrutierungen durch andere bewaffnete Gruppen; Zwangsrekrutierungen
SDF und SDF-nahe Kräfte
Mitte März 2025 berichten Quellen von einer zwischen Ahmad Scharaa und Mazloum Abdi, dem Leiter der SDF, getroffenen Einigung, die Ende2025 umgesetzt werden solle (DW, 11. März 2025; CNN, 11. März 2025; The Guardian, 10. März 2025). Die Vereinbarung sehe vor, alle „zivilen und militärischen Einrichtungen“ in Nordost-Syrien der Verwaltung dessyrischen Staates zu unterstellen (DW, 11. März 2025, siehe auch The Guardian, 10. März 2025). Der von CNN dazu interviewten Wissenschaftlerin am Center for Strategic and International Studies Natasha Hall zufolge sei zu dem Zeitpunkt unklar, wie die Integrierung der SDF in die Institutionen des syrischen Staates aussehen werde. Zum Zeitpunkt der Berichterstattung sei es der SDF erlaubt, ihre Struktur und ihre Waffen zu behalten (CNN, 11. März 2025).
In einem arabischsprachigen Artikel von März 2025 von Al Jazeera wird ein Mann zitiert, der an den zu der Zeit bestehenden Protesten in Deir ez-Zor teilgenommen habe. Er habe unter anderem darauf hingewiesen, dass SDF-Kräfte Verhaftungskampagnen in den von der SDF kontrollierten Gebieten durchgeführt hätten, in deren Rahmen Dutzende junge Männerunter dem Vorwurf der Gruppe Islamischer Staat (IS) beitreten zu wollen, verhaftet und zwangsrekrutiert worden seien (Al Jazeera, 8. März 2025). In einem arabischsprachigen Artikel von Jänner 2025 zitiert Al Jazeera den Wissenschaftler Amir Al-Mithqal, dem zufolge die Demokratischen Kräfte Syriens (Syrian Democratic Forces, SDF) aufgrund eines Mangels an kurdischen Kräften ethnische Araber zwangsrekrutiert hätten (Al Jazeera,29. Jänner 2025). Ende Jänner 2025 berichtet Syria TV, dass seit dem Sturz der Assad-Regierung über 5.000 Männer die SDF verlassen hätten, in dem sie übergelaufen oder geflohen seien. Einer der SDF nahestehenden Quelle zufolge bestehe ein Mangel an Kräften in den Reihen der SDF und diese sei nicht imstande neue Rekrutierungskampagnen in der Region zu starten. Es würden nur begrenzt Rekrutierungsoperationen durchgeführt, und zwar hauptsächlich im Gouvernement Hasaka. Der Quelle zufolge prüfe die SDF sämtliche Optionen, um ihre Militär- und Sicherheitskräfte zu stärken, unter anderem durch den Aufbau neuer Kräfte. Mitte Jänner habe die SDF die Demobilisierung von Wehrpflichtigen, die ihre Wehrpflicht bereits abgeleistet hätten, aufgrund des bedeutenden Anstiegs an Desertionen und Überläufen in ihren Kreisen gestoppt. Die SDF sehe für jeden Mann, der das Alter von 18 Jahren erreicht habe und zwischen 1998 und 2006 geboren sei, eine einjährige Wehrpflicht vor. Ein von der SDF zwangsrekrutierter Mann habe Syria TV erzählt, dass er seinen Wehrdienst vor zwei Monaten erfüllt habe und die SDF sich ohne Angabe von Gründen weigern würde, ihn aus der Pflicht zu entlassen. Davon seien hunderte andere Personen betroffen (Syria TV, 31. Jänner 2025).
Mehrere Quellen berichten im Februar 2025 von der Entführung eines Minderjährigen durch SDF-nahe Kräfte im Viertel Scheich Maqsoud in Aleppo zum Zweck der Zwangsrekrutierung. Er sei den Quellen zufolge von der Revolutionären Jugend entführt worden. (REBAZ, 21. Februar2025; Basnews, 22. Februar 2025; @HalabTodayTV, 28. Februar 2025). Einem Artikel von Basnews von Februar 2025 zufolge sei der Minderjährige zum Zweck der Zwangsrekrutierung durch die Volksverteidigungseinheiten (YPG) von der Revolutionären Jugendentführt worden. Zudem sei zuvor ein Minderjähriger in der Stadt Kobane von der Revolutionären Jugend entführt worden (Basnews, 22. Februar2025). Ende Februar 2025 berichtet das syrische Netzwerk für Menschenrechte namens RASD Syria von der Entführung eines 12-jährigen Mädchens, ebenfalls aus dem Viertel Scheich Maqsud. Das Mädchen sei Mitte Februar von der SDF nahestehenden Kräften entführt und in ein Kinderrekrutierungslager gebracht worden. Obwohl die Eltern das Mädchen gesucht hätten, hätten sie es nicht finden können. Der Quelle zufolge würden SDF-Kräfte weiterhin Kinder festnehmen und sie unter Zwang in Kinderrekrutierungslagern festhalten. Diese und andere Übertretungen hätten in der Zeit, die der Berichterstattung vorangegangen sei, zugenommen. Auch Entführungen und Rekrutierungen von Kindern durch die der SDF nahestehenden Revolutionären Jugend hätten zugenommen (RASD Syria, 27. Februar 2025).
Gruppe Islamischer Staat (IS)
Laut einem Al-Monitor-Artikel von Dezember 2024 nutze der IS wahrscheinlich das durch den Sturz der Assad-Regierung entstandene Chaos, um neue Mitglieder zu rekrutieren, darunter möglicherweise auch militante Hardliner aus den Reihen der HTS, denen die moderate Linie von Ahmed Al-Scharaa nicht zusage (Al-Monitor, 28. Dezember 2024).Einem Artikel des Soufan-Center, ebenso von Dezember 2024, zufolge, könne es sein, dass der IS sich nach dem Sturz der Assad-Regierung nunmehr anstrengen müsse, um zu rekrutieren (The Soufan Center,18. Dezember 2024). Anfang Jänner 2025 berichtet der Council on Foreign Relations (CFR), dass der IS zu einem Großteil zwar besiegt worden sei, er jedoch weiterhin in Syrien und darüber hinaus rekrutiere und operiere (CFR, 9. Jänner 2025).
In einem Artikel vom 13. Februar 2025 zitiert Al Arabiya den Co-Vorsitzenden des Büros der Angelegenheiten Vertriebener und Geflüchteter in der Demokratischen Autonomen Verwaltung Nord- und Ostsyriens (DAANES), der erklärt habe, dass der IS weiterhin im Lager Al-Hol rekrutiere (Al Arabiya, 13. Februar 2025).
Das US-Verteidigungsministerium (US Department of Defense, USDOD) schreibt im Februar 2025, dass die anhaltende Unterstützung des IS und Kontakte im Al-Hol-Lager zu IS-Mitgliedern es dem IS erlaubt hätten, weiterhin aus dem Lager zu rekrutieren (USDOD, 19. Februar 2025, S. 32).
In einem Artikel vom 30. Jänner 2025 berichtet das Middle East Media Research Institute (MEMRI), dass eine Plattform, die offizielles IS-Materialveröffentliche, einen neuen Telegram-Bot beworben habe, der programmiert sei, abtrünnig gewordene HTS-Mitglieder, die dem IS beitreten wollen, zu beraten (MEMRI, 30. Jänner 2025).
Das Institute for the Study of War (ISW) und das Critical Threats Project(CTP) berichten im Jänner 2025, dass die Sicherheitslage in Syrien nachdem Sturz der Assad-Regierung dazu führen könne, dass die Fähigkeit des IS neue Kämpfer zu rekrutieren, gestärkt werde, sollte der Sektarismus im Land außer Kontrolle geraten (ISW CTP, 9. Jänner 2025; siehe auch The Soufan Center, 18. Dezember 2024). Dem oben erwähnten USDOD-Bericht von Februar 2025 zufolge werde der IS wahrscheinlich seinen Vorteil aus der geschwächten Sicherheitslage in Syrien ziehen, um seine Präsenz über die Wüste in Zentralsyrien hinaus auszuweiten und seinen Einfluss in Syrien zu vergrößern. Die Gruppe werde der Quelle zufolge die politische Instabilität in Syrien für sich nutzen, um Rekrutierungen untermarginalisierten lokalen Gemeinschaften auszuweiten (USDOD,19. Februar 2025, S. 11; siehe auch The Soufan Center, 18. Dezember2024).
[…]“
1.3.4. Auszug aus dem EUAA, Syria: Country Focus, Country of Origin Information Report vom März 2025:
Zur aktuelle Lage in Syrien wird anhand des Berichts der EUAA, Syria: Country Focus, Country of Origin Information Report vom März 2025 folgendes festgestellt (Nummerierung der Überschriften des englischen Original-Berichts beibehalten):
„[….]
1.2.2. Regierungsführung unter der Übergangsverwaltung (S. 20-23)
(a) Politischer Übergang (S. 20-21)
Nach dem Sturz der Regierung von Bashar Al-Assad am 8. Dezember 2024 wurde eine Übergangsverwaltung geschaffen. Der ehemalige Premierminister Mohammed Al-Jalali übertrug die Macht formell an Mohammed al-Bashir, den neu ernannten Übergangspremierminister, um die Fortführung der staatlichen Aufgaben einschließlich der Zahlung der Gehälter im öffentlichen Dienst zu gewährleisten, wie Al-Jalali erklärte.
Al-Sharaa erklärte, dass die Organisation nationaler Wahlen bis zu fünf Jahre dauern könnte, da die Wahlinfrastruktur erst wieder aufgebaut werden müsse. Er versicherte ferner, dass Syrien als „Republik mit einem Parlament und einer Exekutivregierung“ strukturiert sein werde.
Am 29. Dezember skizzierte Ahmad al-Sharaa einen mehrjährigen Fahrplan, der die Ausarbeitung einer neuen Verfassung innerhalb von drei Jahren und anschließende Wahlen vorsieht, sowie Pläne für eine Konferenz des nationalen Dialogs zur Förderung von Versöhnung und Inklusion. Als Teil des Übergangsprozesses betonte Al-Sharaa die Bedeutung der Bewahrung der nationalen Einheit und lehnte den Föderalismus ab. Erste Verhandlungen wurden mit den SDF und dem Kurdischen Nationalrat (KNC) geführt, um die kurdischen Gruppierungen in den politischen Prozess einzubeziehen. Die ursprünglich für Anfang Januar geplante Konferenz für den nationalen Dialog wurde jedoch verschoben, um ein breiteres Vorbereitungskomitee einzusetzen, in dem alle Teile der syrischen Gesellschaft vertreten sind. Die Konferenz fand schließlich am 25. Februar 2025 statt, der vorbereitende Workshops auf lokaler Ebene vorausgegangen waren. Sie trat in Damaskus mit rund 600 Teilnehmern zusammen und betonte in ihrer Abschlusserklärung die territoriale Integrität Syriens, verurteilte die israelischen Angriffe und forderte einen Rückzug. Ferner wurde die Annahme einer vorläufigen Verfassungserklärung, die Bildung eines vorläufigen Legislativrats und die Ausarbeitung eines Entwurfs für eine ständige Verfassung mit Schwerpunkt auf Menschenrechten und Freiheit festgelegt. In der Abschlusserklärung wurde ferner die Bedeutung der Beteiligung von Frauen, der friedlichen Koexistenz und der Einrichtung von Mechanismen für den laufenden nationalen Dialog hervorgehoben. Die Konferenz wurde jedoch als übereilt organisiert und unzureichend repräsentativ kritisiert.
Ende Januar erklärte die Übergangsregierung die Verfassung Syriens aus dem Jahr 2012 für ungültig und löste das Parlament, das Militär und die Sicherheitsorgane der früheren Regierung auf. Al-Sharaa erklärte, er werde einen legislativen Interimsrat einrichten, der die Regierung bis zur Verabschiedung einer neuen Verfassung unterstützen soll.
(b) Regierungsbildung (S.21-22)
Nach der Machtübernahme in Damaskus setzte die HTS eine geschäftsführende Regierung ein, die sich hauptsächlich aus Beamten der ehemaligen Syrischen Heilsregierung (SSG) in Idlib zusammensetzte, was Al-Sharaa als eine vorübergehende Maßnahme zur Aufrechterhaltung der Stabilität und Wiederherstellung der wichtigsten Dienste bezeichnete. Zunächst übernahmen Minister der SSG nationale Ministerposten, wobei einige Beamte und Staatsbedienstete der früheren Regierung in ihren Positionen blieben, um die Kontinuität zu gewährleisten.
Am 10. Dezember 2024 wurde Mohammed Al-Bashir, ein Ingenieur aus dem Gouvernement Idlib und ehemaliger Leiter der SSG im Nordwesten Syriens, die zusammen mit der HTS gegründet wurde, zum Interimspremierminister ernannt. Seine Amtszeit und die der Übergangsregierung sollte am 1. März 2025 enden, aber Ende Januar 2025 gab es noch keinen Termin für Wahlen in Syrien. In der Zwischenzeit wurde Ahmad Al-Sharaa, der Anführer der HTS, zum De-facto-Führer Syriens ernannt. Am 29. Januar 2025 wurde Al-Sharaa zum Präsidenten für die Übergangszeit ernannt.
Am 21. Dezember ernannte die Übergangsregierung Asaad Hassan Al-Shibani zum Außenminister und Murhaf Abu Qasra zum Verteidigungsminister, die beide als Verbündete von Al-Sharaa bekannt waren. Weitere Ernennungen betrafen Mohamed Abdel Rahman als Innenminister, Mohammed Yaqoub Al-Omar als Informationsminister, Mohamed Taha Al-Ahmad als Minister für Landwirtschaft und Bewässerung, Nazir Mohammed Al-Qadri als Bildungsminister und Shadi Mohammed Al-Waisi als Justizminister, die alle zuvor in der Heilsregierung tätig waren. Darüber hinaus übernahmen Fadi Al-Qassem, Mohamed Abdel Rahman Muslim, Hossam Hussein und Basil Abdul Aziz das Amt des Ministers für Entwicklung, des Ministers für lokale Verwaltung und Dienstleistungen, des Ministers für Stiftungen und des Wirtschaftsministers. Anas Khattab (auch bekannt unter seinem Pseudonym Abu Ahmad Hudood), ein früherer Führer der Nusra-Front, wurde zum Leiter des Allgemeinen Nachrichtendienstes ernannt.
(c) Militärische Reformen (S.22-23)
Vor ihrem Einzug in Damaskus am 8. Dezember verpflichtete sich die HTS, den institutionellen Rahmen Syriens beizubehalten, und erklärte später eine Generalamnestie für die Soldaten der syrischen Armee. Die Übergangsregierung leitete daraufhin einen Beilegungsprozess ein, der die Wiedereingliederung zahlreicher ehemaliger Regierungs- und Militärangehöriger erleichterte, darunter auch hochrangige Beamte, von denen einige, wie z. B. Fadi Saqr, in schwerwiegende Übergriffe während des Krieges verwickelt waren. Neben den Verfahren zur freiwilligen Wiedereingliederung verfolgte die Military Operations Administration (MOA), die übergeordnete Kommandozentrale der neuen HTS-geführten Übergangsverwaltung, Personen, die sich der Wiedereingliederung entzogen. Im Rahmen dieser Kampagnen wurden frühere Offiziere verhaftet, während andere wieder freigelassen wurden, nachdem festgestellt worden war, dass sie nicht an Übergriffen beteiligt gewesen waren. Nach Angaben von Etana gab es Bedenken wegen fehlender Verfahren, da Berichten zufolge Hinrichtungen von Milizionären auf niedriger Ebene stattfanden, die von den Behörden als vereinzelte Racheakte der Gemeinschaft dargestellt werden. Die Syrische Beobachtungsstelle für Menschenrechte (SOHR), eine im Vereinigten Königreich ansässige Überwachungsorganisation, berichtete Mitte Januar, dass innerhalb weniger Tage 8.000 Personen in den MOA-Zentren in Sallamiyah, Hama, Versöhnungsabkommen geschlossen haben. Die Zahl der Offiziere und Angehörigen der Streitkräfte der früheren Regierung in Gefängnissen wie Adra, Hama und Harim stieg auf über 9.000, darunter 2.000, die aus dem Irak zurückgekehrt waren. Die meisten wurden verhaftet, nachdem sie bei Razzien oder an Checkpoints erwischt worden waren.
Die Übergangsregierung schaffte außerdem die Wehrpflicht ab, außer in Situationen wie dem nationalen Notstand. Laut Samir Saleh, Mitglied des Militärkommandos im Umland von Damaskus, wird die syrische Armee eine Freiwilligenarmee sein, an der sich die Bevölkerung beteiligen soll, um die Grenzen des Landes zu sichern. Frühere Überläufer, wie z. B. Offiziere der Freien Syrischen Armee (FSA), werden in der Struktur des Verteidigungsministeriums einen besonderen Status erhalten, je nach ihrer Expertise. Am 29. Dezember wurde eine Liste mit 49 neuen militärischen Befehlshabern veröffentlicht, darunter Mitglieder der HTS, übergelaufene Offiziere der syrischen Armee und mindestens sechs Nicht-Syrer, wobei die sieben höchsten Positionen Berichten zufolge mit HTS-Mitgliedern besetzt sind.
Schließlich verpflichtete sich die Übergangsregierung, alle Rebellengruppen in das Verteidigungsministerium zu integrieren. Zwischen Januar und Februar 2025 bemühten sich die Interimsministerien für Verteidigung und Inneres, alle bewaffneten Gruppen in einer einzigen Militär- und Polizeitruppe zu vereinen. Das Verteidigungsministerium berichtete, dass über 70 Gruppierungen aus sechs Regionen der Integration zugestimmt hätten, und es wurde ein Oberster Ausschuss eingerichtet, der den Einsatz militärischer Mittel, einschließlich Personal, Stützpunkte und Waffen, steuern sollte.
[…]
1.3. Behandlung bestimmter „Profile“ und Gruppen der Bevölkerung (S.26-42) 1.3.1. Personen, die der Regierung von Bashar Al-Assad nahestanden (S.26-29)
Nach der Machtübernahme verfolgte die Übergangsregierung keinen umfassenden Entbaathifizierungsprozess nach dem Vorbild der Nachkriegspolitik des Irak, und die Büros der Baath-Partei wurden nicht systematisch ins Visier genommen. Im Dezember stellte die Führung der Baath-Partei ihre Aktivitäten ein.
Ende Januar wurde bekannt gegeben, dass die Partei aufgelöst wurde. Von Anfang an verkündeten die neuen Behörden, dass die Soldaten, die im Rahmen der Wehrpflicht rekrutiert worden waren, sicher seien und dass es verboten sei, sie anzugreifen. Am 9. Dezember erließ das MOA eine Generalamnestie für alle zwangsrekrutierten Militärangehörigen. Die neue Regierung richtete daraufhin so genannte „Versöhnungszentren“ ein, in denen ehemalige Angehörige der Polizei, des Militärs, der Nachrichtendienste und der Pro-Assad-Milizen, die ihre Waffen abgegeben haben, vorübergehend zivile Ausweise erhalten. Diese Versöhnungszentren überwachen den Prozess, bei dem ehemalige Regimeangehörige ihre Waffen abgeben und ihre persönlichen Daten im Austausch gegen vorläufige Personalausweise registrieren. Diese Karten gewähren einen begrenzten Rechtsschutz und sicheres Reisen, aber das Verfahren ist nicht transparent, folgt uneinheitlichen Kriterien und wird von den Sicherheitsbehörden beeinflusst, so dass viele Antragsteller vor komplexen bürokratischen Hürden stehen. Ende Dezember berichtete die BBC von einer großen Beteiligung, bei der Hunderte von Personen vor einem Versöhnungszentrum in Damaskus Schlange standen.
Im Januar und Februar berichteten lokale Medien und Organisationen, die die Ereignisse in Syrien verfolgten, dass die neue Regierung einigen hochrangigen Persönlichkeiten, die mit der Assad-Regierung in Verbindung stehen, Amnestie gewährte, wie z. B. Fadi Saqr, dem früheren Führer der Nationalen Verteidigungskräfte. Außerdem soll die MOA Kollaborateuren von Maher Al-Assad, wie Geschäftsleuten, die seine Aktivitäten unterstützten, sowie Generalmajor Talal Makhlouf, Anführer der Republikanischen Garde der Assad-Regierung, Versöhnung gewährt haben. Gleichzeitig veranlasste der Zusammenbruch der Regierung von Bashar Al-Assad zahlreiche hochrangige Beamte und Angehörige der Herrscherfamilie zur Flucht in den Libanon. Die libanesischen Behörden wiesen jedoch syrische Offiziere und Soldaten, die illegal eingereist waren, aus und schickten sie nach Syrien zurück, wo sie von der neuen Regierung inhaftiert wurden.
Ende Dezember intensivierte die Übergangsverwaltung ihre Bemühungen, Personen festzunehmen, die mit der gestürzten Regierung in Verbindung stehen. Die Behörden behaupteten, ihre Verhaftungsaktionen zielten nur auf Personen ab, die im Namen des Assad-Regimes Verbrechen begangen hatten. Die Kampagnen in Deir Ez-Zor, Aleppo und Tartous konzentrierten sich auf die Beschlagnahmung illegaler Waffen und die Festnahme von Verdächtigen, die an illegalen Aktivitäten beteiligt waren. Allein in einer Woche wurden in Damaskus, Latakia, Tartus, Homs, Hama und Deir Ez-Zor fast 300 Personen festgenommen, darunter ehemalige Regimeinformanten, pro-iranische Kämpfer und rangniedrige Militäroffiziere. Nach Angaben des SOHR wurden einige Gefangene, die beschuldigt wurden, der Assad-Regierung Informationen geliefert zu haben, Berichten zufolge unmittelbar nach ihrer Verhaftung hingerichtet. Am 10. Januar berichtete das SOHR, dass Kämpfer, die mit der Übergangsregierung verbunden sind, Mazen Kneneh, einen lokalen Beamten, der beschuldigt wird, als Informant für den gestürzten Präsidenten Assad zu arbeiten, öffentlich hinrichteten. Im Februar wurden weitere außergerichtliche Tötungen ehemaliger Mitglieder von Milizen, die Bashar Al-Assad unterstützten, gemeldet, wie die Ermordung von vier Mitgliedern der Familie Meido, die einer lokalen Miliz angehörten, die an der Seite der früheren Regierung gekämpft hatte. Nach Angaben des SOHR wurden zwischen Anfang 2025 und Mitte Februar 2025 287 Personen durch außergerichtliche Tötungen und Racheakte getötet.
Die Operationen wurden den ganzen Januar über fortgesetzt, wobei Mitglieder der allgemeinen Sicherheitsverwaltung Häuser inspizierten und nach Waffen und Personen suchten, die sich nicht mit der Übergangsverwaltung ausgesöhnt hatten. Bei umfangreichen Militär- und Sicherheitsoperationen in Schlüsselregionen wie den Küstenstädten, Homs, Hama, Aleppo und Damaskus kam es zu Razzien, Waffendurchsuchungen und der Festnahme weiterer Hunderter von Personen. Die Operationen konzentrierten sich auf ehemalige militärische Kämpfer und Ex-Regierungsangehörige und führten zur Beschlagnahmung erheblicher Mengen an Waffen und Munition. Die festgenommenen Personen wurden in die Zentralgefängnisse von Homs, Hama und Adra im ländlichen Damaskus gebracht. Darüber hinaus wurden Videos ins Internet gestellt, auf denen zu sehen ist, wie Häftlinge, die bei diesen Operationen festgenommen wurden, körperlich und verbal misshandelt werden, einschließlich Angriffen und erniedrigender Behandlung. Nach Angaben des Syria Justice and Accountability Center kam es bei diesen Sicherheitsoperationen zu verschiedenen Menschenrechtsverletzungen, darunter dem Tod von Inhaftierten und der Verhaftung von Angehörigen gesuchter Personen, von denen sowohl ehemalige Angehörige der Assad-Regierung als auch nicht verwandte Zivilisten betroffen waren. Mitte Januar meldete das SOHR, dass über 9 000 Kämpfer und Offiziere weiterhin inhaftiert seien, wobei Foltervorwürfe erhoben und der Kontakt zu den Familien eingeschränkt wurde. Informationen des Syrischen Netzwerks für Menschenrechte (SNHR) stimmten mit den Foltervorwürfen überein, die von Familien berichtet wurden, denen die Leichen ihrer Familienmitglieder nach ihrer Inhaftierung durch das Generaldirektorat für Sicherheit zurückgegeben wurden. Gleichzeitig berichtete das SOHR, dass 275 Häftlinge aus dem Zentralgefängnis von Homs freigelassen wurden, nachdem ihre Unschuld an Kriegsverbrechen gegen die syrische Bevölkerung festgestellt worden war. Im Januar 2025 ließ die Übergangsverwaltung rund 641 Personen, hauptsächlich aus den Gouvernements Homs, Hama und Latakia, frei, die zwischen einigen Tagen und einem Monat inhaftiert waren, wobei die meisten in kleinen Gruppen aus dem Zentralgefängnis von Homs entlassen wurden.
Anfang Februar verhängte das Informationsministerium ein Verbot, Interviews mit Personen zu führen oder Aussagen zu verbreiten, die mit der früheren Regierung in Verbindung gebracht werden.
Seit der Machtübernahme durch die Übergangsregierung haben die verbliebenen Pro-Assad-Gruppen in ganz Syrien kleinere, gezielte Anschläge auf die Sicherheitskräfte der Regierung verübt. Diese Angriffe haben die Behörden dazu veranlasst, Operationen zur Ergreifung der Täter einzuleiten, die manchmal zu Opfern unter der Zivilbevölkerung führten. Anfang März führten koordinierte Angriffe von Pro-Assad-Gruppen auf Sicherheitskräfte, insbesondere in den Küstengebieten, zu einer erheblichen Eskalation, die eine große Zahl von Opfern unter der Zivilbevölkerung, vor allem unter den Alawiten, zur Folge hatte.
Neben den Operationen der Übergangsverwaltung wurden Vorfälle von mutmaßlichen Racheakten, einschließlich Tötungen, Entführungen und Brandstiftungen, durch nicht identifizierte Gruppen dokumentiert, deren Ausmaß jedoch unklar bleibt. Ende Dezember wurden drei alawitische Richter in Masyaf, die für Eigentumsstreitigkeiten zuständig waren, getötet, eine Tat, die von der Übergangsverwaltung verurteilt wurde. Im Januar meldete das SOHR die Hinrichtung von 15 Personen, darunter Beamte der ehemaligen Regierung, durch nicht identifizierte Bewaffnete im Gouvernement Homs. Außerdem wurden 53 Personen verhaftet und an unbekannte Orte gebracht.
1.3.2. Alawiten (S.29-31)
Nach ihrer Machtübernahme betonte die HTS ihr Engagement für die Integration der Alawiten in die syrische Staatsführung und nahm Gespräche mit lokalen Vertretern der Alawiten auf. HTS-Vertreter bekräftigten, dass die Rechenschaftspflicht für Verbrechen, die unter der Assad-Regierung begangen wurden, über das formelle Rechtssystem verfolgt werden würde. Trotz dieser Zusicherungen bleiben die Alawiten von den neuen politischen und militärischen Strukturen weitgehend ausgeschlossen, und es gibt keinen Plan für die Eingliederung entlassener Soldaten in die neue Armee, da die Differenzen aus der Kriegszeit fortbestehen. Das Misstrauen der Öffentlichkeit gegenüber ehemaligen Offizieren und Beamten des Regimes behindert ihre Wiedereingliederung zusätzlich. Die wirtschaftliche Unsicherheit stellt eine große Herausforderung dar, wobei die Massenentlassungen im öffentlichen Sektor vor allem Alawiten betreffen, darunter ehemalige Sicherheitsbeamte und ihre Familien, von denen viele auch staatlich bereitgestellte Wohnungen verloren haben.
Die Behandlung der alawitischen Gemeinschaften, insbesondere in Regionen wie Homs, Hama und den Küstengouvernements, gibt weiterhin Anlass zu großer Sorge. In der Stadt Homs errichteten Männer in Militäruniformen Kontrollpunkte an den Eingängen der mehrheitlich von Alawiten bewohnten Stadtteile, was die Ängste der Bewohner schürt. Berichten zufolge wurden junge Männer, darunter ehemalige Soldaten und Wehrpflichtige, die ihre Waffen abgegeben hatten, festgenommen. Die Männer an einem Kontrollpunkt haben angeblich ein Sektenprofil erstellt, bevor der Kontrollpunkt nach Beschwerden aufgelöst wurde. Shihadi Mayhoub, ein ehemaliger Gesetzgeber, sagte, er habe bis Januar 2025 über 600 Verhaftungen im Bezirk Zahra (Gouvernement Homs) und mehr als 1.380 in der Stadt Homs dokumentiert, wobei es sich bei den meisten Verhafteten um Zivilisten und Wehrpflichtige sowie um pensionierte Offiziere gehandelt haben soll. Das SOHR schätzt, dass in der Stadt Homs und ihrem Gouvernement mindestens 1.800 Personen, überwiegend Alawiten, inhaftiert wurden. Darüber hinaus nahm die gegen Alawiten gerichtete Gewalt landesweit zu, und es wurden 150 Morde gemeldet, insbesondere in Homs und Hama.
In der Zwischenzeit verschärften nicht identifizierte extremistische Gruppierungen die Ängste, indem sie Aufrufe zur Gewalt gegen Alawiten verbreiteten, darunter auch Videos, die wahllose Angriffe befürworteten. Gezielte Tötungen von Alawiten, die mit der früheren Regierung in Verbindung standen, wurden aus den Küstenregionen gemeldet, während bewaffnete Gruppen, die Militäruniformen trugen, die denen der HTS oder anderer Oppositionsgruppen ähnelten, überfielen über 20 alawitische Dörfer im ländlichen Hama, was zu Vertreibung, Diebstahl und Todesfällen führte.
Berichte über Schikanen, Entführungen und Tötungen von Alawiten nahmen nach dem Sturz Assads zu, wobei in den sozialen Medien - wenn auch unbestätigte - HTS-Kämpfer für die Gewalt verantwortlich gemacht wurden. Ein ehemaliger syrischer Soldat berichtete, er sei an einem HTS-Kontrollpunkt in der Nähe von Khirbet al-Ma'zah im Gouvernement Tartus festgenommen und geschlagen worden, als er unterwegs war, um Amnestie zu beantragen. Er gab an, er sei gezielt wegen seiner alawitischen Herkunft angegriffen und fünf Stunden lang körperlich misshandelt worden, bevor er freigelassen wurde. Die Vereinten Nationen bemühten sich, diese Behauptungen zu überprüfen, um eine weitere sektiererische Eskalation zu verhindern, während das SOHR schätzungsweise 150 alawitische Tötungen innerhalb eines Monats durch ungenannte Täter verzeichnete.
In Zahra, einem Viertel in Homs mit einem hohen Anteil an alawitischer Bevölkerung, nahm die Unsicherheit zu, und die Bewohner hielten sich aufgrund der Präsenz von HTS-Kräften an eine informelle Ausgangssperre. Die HTS ergriff Sicherheitsmaßnahmen in dem Gebiet, darunter Kontrollpunkte und Hausdurchsuchungen bei Personen, die sie als Überbleibsel der früheren Regierung identifizierte. In Berichten von Anwohnern wurde von Zwangsräumungen, der Erstellung von Profilen anhand von Ausweisdokumenten sowie von Gewalt, Verhaftungen, körperlichen Angriffen und Schüssen berichtet.
Ende Januar meldete das SOHR mehrere Fälle, in denen bewaffnete Gruppen, von denen einige behaupteten, mit der MOA in Verbindung zu stehen, Zivilisten aus politischen und konfessionellen Gründen angriffen und töteten. Insbesondere in Gemeinden im Umland von Homs, in denen die alawitische und schiitische Bevölkerung überwiegt, kam es zu einer drastischen Eskalation von Übergriffen, Straftaten und außergerichtlichen Tötungen von Zivilisten. In einem Dorf im Nordwesten des Gouvernements Hama, das hauptsächlich von Alawiten bewohnt wird, haben Bewaffnete Zivilisten erschossen und getötet. Nach Angaben der Behörden befanden sich unter den Getöteten ehemalige Offiziere und Soldaten.
Anfang Februar wurden weitere Angriffe auf Alawiten gemeldet. Die neuen Behörden leiteten Ermittlungen wegen unrechtmäßiger Tötungen ein und kündigten gleichzeitig Sicherheitsoperationen gegen Loyalisten der früheren Regierung an. Interimspräsident Ahmad Al-Sharaa betonte die Notwendigkeit, den zivilen Frieden zu wahren, und warnte vor den Gefahren einer Vertiefung der konfessionellen Spaltung.
Gregory Waters, Experte für syrische Sicherheitsfragen, wies auf die sehr unterschiedlichen Bedingungen in ehemaligen Regierungshochburgen wie Tartous, Latakia, Homs und Hama hin. Während von Fällen konfessioneller Einschüchterung und Belästigung durch Sicherheitskräfte berichtet wurde, beschrieben einige Alawiten in diesen Regionen den Umgang mit den Behörden als höflich und respektvoll. Laut Waters scheinen die dokumentierten Verstöße eher auf unprofessionelles Verhalten bei Verhaftungen als auf explizite konfessionelle Ziele zurückzuführen zu sein, wobei viele der begangenen Straftaten Banden und Zivilisten zugeschrieben werden, die keine Verbindung zur Übergangsregierung haben. Er stellte ferner fest, dass Menschenrechtsverletzungen manchmal im Kontext einer instabilen Sicherheitslage oder eines Sicherheitsvakuums sowie als Reaktion auf bestimmte Vorfälle begangen wurden, wie beispielsweise, als ehemalige Regierungsmilizionäre Ende Dezember in den ländlichen Gebieten von Tartus einen Hinterhalt gegen Sicherheitskräfte legten. Die Streitkräfte leiteten daraufhin eine Operation ein, die Hausdurchsuchungen, die Errichtung von Kontrollpunkten und Schießereien gegen Dörfer umfasste, die im Verdacht standen, die Kämpfer zu beherbergen, wie z. B. Khirbet Maazah, wo zahlreiche ehemalige Kämpfer der Regierungsmiliz und ein hochrangiger Gefängnisbeamter lebten, der beschuldigt wurde, an der Ermordung von Hunderten von Gefangenen beteiligt gewesen zu sein. Waters ist der Ansicht, dass zahlreiche Verbrechen von Banden und Zivilisten verübt wurden, die nicht mit der neuen Regierung verbunden sind, während einige untergeordnete Soldaten und lokale Führer an sektiererisch motivierten Einschüchterungen und Entführungen von alawitischen Zivilisten beteiligt waren.
Anfang März wurden bei Zusammenstößen zwischen pro-Assad-Gruppen und Sicherheitskräften in Latakia, Tartus und Hama Hunderte von Zivilisten getötet, die meisten von ihnen Alawiten. Dabei kam es auch zu Hinrichtungen im Schnellverfahren durch Kräfte, die mit der Übergangsregierung verbunden sind.
1.3.3. Kurden (S.31)
In Bezug auf die kurdische Gemeinschaft hielt Al-Sharaa nach der Übernahme der Kontrolle ein erstes Treffen mit einer hochrangigen SDF-Delegation ab, um die Grundlage für künftige Gespräche zu schaffen. Seine Äußerungen deuteten darauf hin, dass die Übergangsverwaltung nicht mit dem Anti-SDF-Ansatz der von der Türkei unterstützten SNA übereinstimmte. Dennoch bezeichnete Mohammed A. Salih, ein auf kurdische und regionale Fragen spezialisierter Wissenschaftler, seine Äußerungen als unklar und nicht unterstützend für die kurdischen Ziele. Nach der raschen Einnahme von Aleppo durch die von der HTS geführte Offensive Ende November zwangen die SNA-Kräfte Tausende von kurdischen Zivilisten zur Flucht westlich des Euphrat. In Aleppo hatten die Kurden in erster Linie mit der HTS zu tun, die sich moderat und offen für einen Dialog gezeigt hat. Im Gegensatz dazu geriet die SNA in Manbij immer wieder in Konflikt mit den SDF. Die durchgehende Existenz der SDF wurde von den Organisatoren der Nationalen Dialogkonferenz als Grund für den Ausschluss der halbautonomen kurdischen Verwaltung und der ihr nahestehenden Einrichtungen von der Konferenz angegeben.
Während des gesamten Januars kam es zu weiteren Wohnraums- und Eigentumsverletzungen, als vertriebene kurdische Einwohner versuchten, nach Afrin, einer mehrheitlich kurdisch bewohnten Region im Umland von Aleppo, und in die umliegenden Gebiete zurückzukehren. Berichten zufolge wurden sie von den SNA-Kräften gezwungen, bis zu 10 000 USD für die Rückgabe ihrer Häuser zu zahlen. Gleichzeitig nahmen SNA-Gruppierungen im Januar mindestens 10 Kurden in Afrin fest, wobei die Lösegeldforderungen für die Freilassung auf über 1 000 USD pro Person anstiegen. Bis Mitte Februar hatte sich für die Kurden in Afrin trotz des Einsatzes von Sicherheitskräften aus Damaskus in der Stadt am 7. Februar nur wenig geändert. Berichten zufolge hielten die Misshandlungen durch verschiedene Gruppierungen in Afrin an. Zurückkehrende Bewohner stellten fest, dass ihre Häuser von Kämpfern oder Zivilisten besetzt waren, die für ihre Abreise erhebliche Geldsummen verlangten, obwohl die früheren Bewohner von der Übergangsverwaltung förmliche Zusicherungen für ihre Rückkehr erhalten hatten. Gegen Ende Februar besuchte Al-Sharaa Afrin und traf sich mit lokalen kurdischen Vertretern, die ihre Beschwerden vortrugen; daraufhin sagte er zu, die Gruppierungen in der Stadt durch offizielle Sicherheitskräfte zu ersetzen und die gegen die kurdische Gemeinschaft gerichteten Übergriffe anzugehen.
1.3.4. Andere religiöse und ethnische Minderheiten (S.32-33)
Die neue syrische Führung hat zugesagt, die Rechte von Minderheiten zu wahren und die nationale Einheit zu fördern, in Anbetracht der Befürchtung, unter der islamistischen Herrschaft marginalisiert zu werden.
Im Rahmen seiner Bemühungen, die Minderheitengemeinschaften zu beruhigen, traf Ahmad Al-Sharaa am 22. Dezember mit dem libanesischen Drusenführer Walid Jumblatt zusammen. Später kam er nach einer Reihe von Angriffen auf religiöse Minderheiten mit christlichen Führern zusammen, darunter katholische, orthodoxe und anglikanische Geistliche. Dieses Treffen fand nach Protesten statt, die durch die Verbrennung eines Weihnachtsbaums durch mit der HTS verbundene ausländische Kämpfer am 23. Dezember in einer überwiegend christlichen Stadt in Hama ausgelöst worden waren, sowie nach weiteren Berichten über Schikanen. Nach dem Anschlag auf den Weihnachtsbaum nahm die Übergangsregierung die ausländischen Kämpfer fest, die sie für diesen als Einzelfall bezeichneten Vorfall verantwortlich machte. Darüber hinaus blieben die Regierungsbüros an den Weihnachtsfeiertagen und am folgenden Tag, dem 23. Dezember, geschlossen. Unterdessen berichtete France24, dass in Damaskus zwar Weihnachtsfeiern stattfanden, die christlichen Einwohner sich jedoch zurückhielten und einige aus Angst und Unsicherheit keinen Alkohol kauften.
Berichten zufolge kam es vermehrt zu gezielten Übergriffen auf christliche Gemeinschaften, darunter ein Angriff unbekannter Bewaffneter auf eine griechisch-orthodoxe Kirche in Hama am 18. Dezember, sowie zu verstärkten Spannungen in christlichen Vierteln von Damaskus aufgrund von Drohungen wie öffentlich gesungenen dschihadistischen Liedern und einer Drohbotschaft auf einem gepanzerten Fahrzeug.
Menschenrechtsorganisationen haben verschiedene Einschränkungen der religiösen Freiheiten dokumentiert. Richard Ghazal, Geschäftsführer von In Defense of Christians, wies auf Maßnahmen wie Alkoholverbote und die Präsenz von Flaggen des Islamischen Staates in Gebieten nahe Damaskus hin. In ähnlicher Weise dokumentierte Nadine Maenza vom in Washington ansässigen Sekretariat für internationale Religionsfreiheit Ende Dezember mindestens ein Dutzend Augenzeugenberichte über Angriffe gegen religiöse und ethnische Minderheiten in der Region Shehba in der Nähe von Aleppo. Rafif Jouejati, Wissenschaftler am Middle East Institute, vertrat jedoch die Ansicht, dass diese Vorfälle als Einzelfälle und nicht als Beweis für ein breiteres Muster systematischer Intoleranz betrachtet werden sollten.
Im Stadtteil Al-Qassaa, Damaskus, verteilten bewaffnete Personen Flugblätter, in denen sie Beschränkungen für die Kleidung von Frauen, das Rauchen und soziale Interaktionen forderten. Die HTS entsandte daraufhin Patrouillen, schrieb die Vorfälle nicht identifizierten Personen zu und lehnte eine Befürwortung ab. Die Häufigkeit solcher Aktionen gibt jedoch weiterhin Anlass zur Sorge.
Die neue Regierung unterstrich ihr Bekenntnis zur Inklusivität durch das Versprechen der Nationalen Dialogkonferenz, die darauf abzielte, verschiedene Gemeinschaften, darunter Christen, Kurden, Künstler und Intellektuelle, in die Gestaltung der Zukunft Syriens einzubeziehen. Als die Nationale Dialogkonferenz stattfand, konnte sie die Bedenken hinsichtlich der Inklusivität nicht zerstreuen. Von den sieben Personen, die in das Vorbereitungskomitee berufen wurden, gehörte nur eine einer religiösen Minderheit an, die christliche syrische Aktivistin Hind Kabawat, während die anderen sunnitische Muslime waren, von denen einige enge Verbindungen zu Sharaa oder HTS hatten. Kurdisch geführte Behörden aus dem Nordosten waren von der Konferenz gänzlich ausgeschlossen. Einige Christen erklärten, sie hielten ihr Urteil zurück, bis eine neue Verfassung ausgearbeitet sei und allgemeine Wahlen stattfänden. In der Übergangsregierung sind die Christen nicht vertreten, und sie setzt sich hauptsächlich aus Ministern zusammen, die zuvor in der Regierung von Idlib tätig waren.
Vor allem nach der einseitigen Reform des nationalen Lehrplans hat sich die Skepsis fortgesetzt. Der neue Bildungsminister, Nazir Mohammad Al-Qadri, versicherte, dass sowohl der Islam als auch das Christentum als Unterrichtsfächer Teil des Lehrplans bleiben würden. Anfang Januar kündigte das Bildungsministerium der Übergangsregierung jedoch Lehrplanänderungen an, die eine stärker islamische Perspektive widerspiegeln und gleichzeitig Bezüge zur Assad-Ära beseitigen sollen. Zu den vorgeschlagenen Änderungen gehören die Streichung der Evolution und der Urknalltheorie aus dem naturwissenschaftlichen Unterricht, die Streichung vorislamischer Gottheiten und ihrer Statuen aus dem Geschichtsunterricht und eine geringere Betonung der Königin Zenobia von Palmyra. Aktivisten der Zivilgesellschaft haben ihre Besorgnis darüber geäußert, dass diese Änderungen auf eine Missachtung unterschiedlicher Perspektiven hindeuten und das erklärte Engagement der Verwaltung für Inklusivität untergraben könnten. Das Ministerium wies jedoch diese Interpretationen der Änderungen zurück und betonte, dass die einzigen Änderungen „die Entfernung von Symbolen des früheren Regimes und dessen Verherrlichung sowie die Einführung von Bildern der neuen syrischen Flagge (der Flagge der Revolution) anstelle der früheren Flagge in allen Schulbüchern“ beträfen. Der Minister erläuterte, dass zu den Anpassungen auch die Korrektur „falscher“ Informationen gehörte, auf die sich die Vorgängerregierung bei der Erklärung einiger Koranverse gestützt hatte, und dass die in den Exegesebüchern für alle Bildungsstufen enthaltenen Informationen übernommen wurden.
[…]
4.5.5. Vertreibung und Rückkehr (S.89-91)
Die Zahl der Personen, die seit dem 27. November 2024 durch Konflikte neu vertrieben wurden, verzeichnete eine anfängliche große Welle, die am 12. Dezember mit 1,1 Millionen Menschen ihren Höhepunkt erreichte. Diese anfänglichen Vertreibungen, die von der Angst vor dem eskalierenden bewaffneten Konflikt getrieben wurden, wurden hauptsächlich in Hama und Aleppo, einschließlich der Stadt Aleppo, im Westen Aleppos und insbesondere in Tall Rifaat und Manbij, nach der Übernahme der beiden Städte durch von der Türkei unterstützte bewaffnete Fraktionen verzeichnet.
UN-Quellen schätzten anschließend die Zahl der seit Ende November 2024 neu vertriebenen Flüchtlinge, die am 18. Dezember 2024 auf 859.460, am 10. Januar 2025 auf rund 627.000 und am 5. Februar 2025 auf 650.000 zurückblieben. Anfang 2025 stellte das UNOCHA zusätzliche Wellen von konfliktbedingten Vertreibungen aus dem Gebiet von Manbij fest, mit bis zu 15.000 Vertreibungen Mitte Januar 2025, gefolgt von mehr als 25.000 Vertreibungen im selben Monat. Quellen schätzten die Zahl der Menschen, die Anfang Dezember 2024 vor der SNA-Offensive in Nordsyrien geflohen waren, auf 100.000 bis 120.000.
Nach dem Sturz Assads zogen zurückkehrende Binnenvertriebene in Gebiete, die zuvor von der ehemaligen Regierung kontrolliert wurden, darunter Aleppo, Hama, Homs und Damaskus. UN-Quellen schätzen, dass die Zahl der neu vertriebenen Menschen, die in ihre Heimatbasen zurückkehren, bis zum 10. Januar 2025 auf mehr als 522.000 gestiegen ist. Gleichzeitig blieben die Rückführungsbewegungen aus Binnenvertriebenenlagern „stabil, aber minimal“, wobei der Cluster „Camp Coordination and Camp Management“ (CCCM) Ende Januar 2025 angab, dass seit dem 3. Dezember 2024 rund 57 000 Menschen aus den Lagern abgereist seien. Diese Rückkehrer bestanden hauptsächlich aus einzelnen Familien oder Männern, die zurückkehrten, um sich mit ihren Familien zu vereinigen oder den Zustand ihrer Häuser zu beurteilen.
Schätzungen des UNHCR zufolge waren bis zum 26. Februar 2025 schätzungsweise 885.294 Binnenvertriebene zurückgekehrt, während etwa 7,4 Millionen Binnenvertriebene blieben. Die Gouvernements mit dem größten Anteil an Binnenvertriebenen waren Aleppo mit 425.705 Binnenvertriebenen, gefolgt von Hama mit 155.561 und Idlib mit 116.053 Binnenvertriebenen.
Wie das UNOCHA feststellte, betrafen die gemeldeten Bedenken, die die Rückkehrentscheidungen von Binnenvertriebenen beeinflussten, die Zerstörung von Eigentum, unzureichende Infrastruktur, Unsicherheit sowie den Zugang zu Zivildokumenten und Justizdiensten, einschließlich Dokumenten zu Wohn-, Grundstücks-und Eigentumsrechten (nicht alle Zivilregister und Gerichte waren Ende Januar 2025 in Betrieb). Ein weiteres kritisches Problem, das aufgeworfen wurde, war die Kontamination mit nicht explodierten Kriegsresten.
4.5.6. Rückkehr aus dem Ausland (S.91-92)
Nach Schätzungen des UNHCR kehrten zwischen dem 8. Dezember 2024 und Ende Februar 2025 etwa 297.292 Syrer aus dem Ausland nach Syrien zurück. Von diesen Flüchtlingen kehrten 53 % aus dem Libanon, 25 % aus der Türkei und 14 % aus Jordanien zurück. Bei der freiwilligen Rückkehr aus der Türkei, die sich nach Angaben der türkischen Regierung zum 30. Dezember 2024 auf 35.114 belief, handelte es sich hauptsächlich um Syrer, die allein zurückkehrten, einschließlich Personen, die vor der Wiedervereinigung mit ihren Familien die Lage in Syrien beurteilen wollten.
Nach Angaben des UNHCR waren von Anfang 2024 bis Ende Februar 2025 die Gouvernements, in welche Rückkehrer hauptsächlich heimkehrten Aleppo (mit schätzungsweise 143.680 Rückkehrern) und Raqqa (112.951 Rückkehrern), gefolgt von Dar’a (72.007), Homs (69.624), Rural Damascus (62.738) und Idlib (46.273).
Es ist nicht klar, ob jede Rückkehr dauerhaft ist. Laut einem Bericht von Refugees International kehren viele Syrer zurück, um ihre Grundstücke zu begutachten, die Sicherheit und die wirtschaftlichen Bedingungen nach dem Zusammenbruch des Assad-Regimes zu bewerten oder sich mit ihrer Familie wieder zu vereinigen. Für andere ist die Rückkehr eher eine Notwendigkeit als eine Wahl, da die sich verschlechternden Bedingungen in den Aufnahmeländern – gekennzeichnet durch wirtschaftliche Not, steigende Lebenshaltungskosten und begrenzte Möglichkeiten – das Leben zunehmend untragbar gemacht haben.
[…]“
2. Beweiswürdigung:
2.1. Zur Person des Beschwerdeführers:
2.1.1. Die Feststellungen zur Identität des Beschwerdeführers ergeben sich aus seiner im Original vorgelegten ID-Card (vgl. AS 17ff), an deren Echtheit angesichts der amtswegig veranlassten Dokumentenüberprüfung, die keine Hinweise auf das Vorliegen einer Fälschung oder Verfälschung ergab, keine Zweifel bestehen (vgl. AS 23).
Die Feststellungen zur Staatsangehörigkeit des Beschwerdeführers, zu seiner Volksgruppen- und Religionszugehörigkeit, den Sprachkenntnissen sowie zu seinem Familienstand und seinen Kindern gründen sich auf seine diesbezüglich im gesamten Verfahren im Wesentlichen einheitlichen, schlüssigen und stringenten Angaben und die in diesem Zusammenhang vorgelegten Unterlagen.
2.1.2. Die Feststellungen betreffend den Geburtsort, die Herkunft, das Aufwachsen des Beschwerdeführers, seine Ausbildung, seinen genauen Wohnort in Syrien, die Ausreise in die Türkei sowie seine beruflichen Tätigkeiten konnte der Beschwerdeführer glaubwürdig im Verfahren schildern. So sieht das Gericht keinen Anlass, die Angaben des Beschwerdeführers hierzu in Zweifel zu ziehen (vgl. AS 1ff; 39ff; Verhandlungsprotokoll vom 12.09.2024 S. 7f, 10, 12, 18, 22; Verhandlungsprotokoll vom 10.04.2025, S.6). Zur Beweiswürdigung betreffend die Feststellung, dass der Beschwerdeführer nicht die alleinige Leitung des Gesundheitszentrums innehatte wird auf die Ausführungen unter Punkt II.2.2.3. verwiesen.
2.1.3. Die Feststellungen zu den Familienangehörigen, deren Aufenthaltsorte und zum bestehenden Kontakt zu seiner Familie in Syrien beruhen auf seinen Ausführungen in der Einvernahme vom 08.01.2024 und der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht (vgl. AS 46; Verhandlungsprotokoll vom 12.09.2024 S. 13; Verhandlungsprotokoll vom 10.04.2025, S.6). Die Feststellung, dass der Beschwerdeführer in Kontakt zu seiner Familie steht, fußt auf den in diesem Zusammenhang einheitlichen und gleichbleibenden Aussagen des Beschwerdeführers im Laufe des gesamten Verfahrens.
2.1.4. Die Feststellung zur Ausreise und Asylantragsstellung ergeben sich aus dem Erstbefragungsprotokoll vom 17.10.2022 (vgl. AS 2). Dass der Beschwerdeführer in Österreich der Status eines subsidiär Schutzberechtigten zukommt, war einem aktuellen Auszug aus dem Fremdenregister zu entnehmen.
2.1.5. Die Feststellungen zum Gesundheitszustand des Beschwerdeführers sind ebenfalls aus den Angaben des Beschwerdeführers in der mündlichen Verhandlung abzuleiten (vgl. Verhandlungsprotokoll vom 12.09.2024 S. 7), und stützen sich zusätzlich auf den Umstand, dass keine medizinischen Unterlagen vorgelegt wurden, aus welchem Gegenteiliges hervorgehen würde.
2.1.6. Die strafrechtliche Unbescholtenheit geht aus dem amtswegig eingeholten Strafregisterauszug hervor.
2.2. Zu den Fluchtgründen des Beschwerdeführers:
2.2.1. Die Gebietskontrolle im Herkunftsort ergibt sich aus den festgestellten Länderinformationen, aus der Einsicht in die tagesaktuelle Karte https://syria.liveuamap.com/ sowie in die historische Karte der Website Exploring Historical Control in Syria (cartercenter.org) (vgl. Verhandlungsprotokoll vom 12.09.2024 S. 17f ) und den damit übereinstimmenden Angaben des Beschwerdeführers während der Beschwerdeverhandlung (vgl. Verhandlungsprotokoll vom 12.09.2024 S. 12, 14). Dass der Beschwerdeführer über einen von der HTS kontrollierten Grenzübergang in sein Herkunftsgebiet einreisen kann, ergibt sich auch aus der Einsichtnahme in syria live map (Map of Syrian Civil War - syria.liveuamap.com) [Stand 18.04.2025].
2.2.2. Zur Gefahr der Verfolgung durch das vormalige syrische Regime:
Aus den in das Verfahren einbezogenen und der gegenständlichen Entscheidung als Sachverhalt zugrunde gelegten Länderberichten ergibt sich, dass in Syrien beim syrischen Regime unter Präsident Bashar al-Assad für männliche syrische Staatsbürger im Alter zwischen 18 bis 42 Jahren die Ableistung eines Wehrdienstes gesetzlich verpflichtend war. Die Feststellung, dass der Beschwerdeführer seinen Wehrdienst beim vormaligen syrischen Regime nicht abgeleistet hat und von diesem auch nicht befreit war, beruht auf den diesbezüglich gleichbleibenden und insofern konsistenten Angaben des Beschwerdeführers im gesamten Verfahren (vgl. AS 6; AS 43; Verhandlungsprotokoll vom 12.04.2024 S. 15).
Die Feststellung, dass der Beschwerdeführer nicht mehr zum Wehrdienst beim vormaligen syrischen Regime eingezogen werden kann, beruht auf dem Umstand, dass nach dem Sturz des syrischen Regimes unter der Führung von Bashar al-Assad betreffendes Regime keine Gebiets- und Herrschaftsgewalt mehr in Syrien hat (vgl. unter Punkt II.1.3.2. sowie II.1.3.4.). Auch die SyriaLiveMap weist keinerlei Gebiete unter der Führung der syrischen Regierung unter Bashar al-Assad mehr aus. Wie oben dargelegt, liegt zum aktuellen Entscheidungszeitpunkt die Herkunftsregion des Beschwerdeführers unter Kontrolle der HTS; eine gegenteilige Annahme ist anhand der zur Verfügung stehenden Länderinformationen nicht möglich. Ausgehend von den oben zitierten Länderfeststellungen zeichnet sich in der zu treffenden Prognose eine zeitnahe und großflächige Rückeroberung der Herkunftsregion des Beschwerdeführers, die auch schon vor dem Sturz des Regimes von Bashar al-Assad, unter Kontrolle der HTS stand, durch das vormalige syrische Regime aktuell nicht mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit ab, weswegen die entsprechende Feststellung zu treffen war. Zudem wurden die syrische Armee und der Geheimdienst von der HTS nach der Machtübernahme aufgelöst. (vgl. hierzu die Feststellungen unter Punkt II.1.3.2. sowie II.1.3.4.).
Die Feststellung, dass der Beschwerdeführer an Demonstrationen gegen das vormalige syrische Regime unter der Führung von Bashar al-Assad teilgenommen hat, ergibt sich aus den diesbezüglich gleichbleibenden Angaben des Beschwerdeführers im Lauf des Verfahrens (vgl. AS 6, 42; Verhandlungsprotokoll vom 12.09.2024, S 10, 11; Verhandlungsprotokoll vom 10.04.2025, S.7).
Die Feststellung, dass der Beschwerdeführer durch das vormalige syrische Regime nicht inhaftiert wurde und keine Folterung stattfand, beruht auf folgenden Erwägungen:
Es wird nicht verkannt, dass der Beschwerdeführer gleichbleibend im Verfahren angab, vom vormaligen syrischen Regime inhaftiert worden zu sein (vgl. AS 6, AS 42 ; Verhandlungsprotokoll vom 12.09.2024, S.9). Dennoch widersprach sich der Asylwerber in den wesentlichen Aussagen den Grund der Inhaftierung betreffend, weshalb das Vorbringen als unschlüssig und daraus folgend nicht glaubhaft erachtet wird. So gab der Beschwerdeführer in der Erstbefragung an, auf Grund seiner Teilnahme an Demonstrationen verhaftet und für 15 Tage eingesperrt worden zu sein (vgl. AS 6). Demgegenüber schilderte er in der Befragung vor dem BFA, dass er beschuldigt worden wäre, an Demonstrationen teilgenommen zu haben und auch dafür, dass er für Aufstände gesorgt hätte, was er jedoch nicht gemacht hätte und eine falsche Anschuldigung gewesen sei (vgl. AS 42). In der mündlichen Beschwerdeverhandlung am 12.09.2024 gab er abermals konträr dazu an, auf Grund seiner Herkunft inhaftiert worden zu sein. Konkret schilderte er Folgendes (vgl. Verhandlungsprotokoll vom 12.09.2024, S. 9):
„R: Welcher Umstand hat unmittelbar zu Ihrer Ausreise aus Syrien geführt? Wann fassten Sie den Entschluss Syrien zu verlassen? Warum wollten Sie Syrien verlassen?
BF: Es gibt mehrere Gründe. Ende 2011 wurde ich vom Regime inhaftiert, weil ich aus Jesr Alshohor stamme. Ich war ungefähr 15 Tage in Haft, ich wurde auch gefoltert. Man warf mir Unruhestiftung und Demonstrationsteilnahme vor, aber ich hatte bis dahin noch nicht an Demonstrationen teilgenommen. Ich wurde gezwungen, ein Dokument zu unterschreiben, in dem ich mich verpflichte, nie wieder an Demonstrationen gegen das syrische Regime teilzunehmen. Nach meiner Entlassung nahm ich dennoch an Demonstrationen teil und organisierte diese sogar.“
Ebenso legte er im weiteren Verhandlungsverlauf neuerlich dar, auf Grund seiner Herkunft inhaftiert worden zu sein (vgl. Verhandlungsprotokoll vom 12.09.2024, S. 11): „R: Warum haben Sie an Demos teilgenommen und diese organisiert?
BF: Ich wurde aufgrund meines Ursprungsorts inhaftiert. Deshalb demonstrierte ich zunächst gegen das Regime. Wir demonstrierten für die Freiheit und Gleichberechtigung aber auch um das Regime zu stürzen. Wir demonstrierten danach aber auch wegen den ganzen Massaker, in denen auch Familienmitglieder von mir ermordet wurden.“
Dass er während der (vermeintlichen) Inhaftierung auch gefoltert worden sei, brachte er erstmalig im Zuge der mündlichen Beschwerdeverhandlung vor. Dass ein derart gravierender Eingriff in die körperliche und psychische Integrität erst zu so einem späten Zeitpunkt im Verfahren dargelegt wird, widerspricht der allgemeinen Lebenserfahrung und stellt aus Perspektive des erkennenden Gerichts ein gesteigertes Fluchtvorbringen dar, welches das Vorliegen eines konstruierten Vorbringens bekräftigt. Dies umso mehr, als dem Beschwerdeführer bereits zu einem früheren Zeitpunkt im Verfahren (vgl. AS 6, AS 42f) - etwa im Zuge der Befragung durch das BFA - die Möglichkeit eingeräumt wurde, seine Fluchtgründe frei zu schildern (vgl. AS 43) und er auch explizit befragt wurde, ob er sämtliche Gründe, die ihn veranlasst hätten, Syrien zu verlassen, vollständig vorbringen konnte, was er bejahte (vgl. AS 43):
„BFA: Haben Sie sämtliche Gründe, die Sie veranlasst haben, Syrien zu verlassen, vollständig vorbringen können? VP: Das war alles.“
Die Feststellung, dass dem Beschwerdeführer aufgrund seiner Demonstrationsteilnahme oder einer (unterstellten) oppositionellen Gesinnung gegen das vormalige syrische Regime mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit keine Verfolgungshandlung droht, beruht einerseits auf dem Umstand, dass nach dem Sturz des Regimes unter der Führung von Bashar al-Assad selbiges keine Gebiets- und Herrschaftsgewalt in Syrien mehr innehat und die Rückerlangung einer solchen aktuell nicht maßgeblich wahrscheinlich ist. Andererseits ergibt sich für Personen, die gegen das (vormalige) syrische Regime demonstriert haben aus den Länderberichten auch keine maßgebliche Wahrscheinlichkeit der Verfolgung, etwa durch die HTS oder Anhänger des vormaligen syrischen Regimes. (vgl. Punkt II.1.3.4.). So wurde etwa der Geheimdienst des syrischen Regimes aufgelöst und ist eine grundlegende Neuorganisation angekündigt worden. Auch ist der Berichtslage zu entnehmen, dass die neuen Machthaber gegen Assad-treue Milizen vorgehen. Wie aus der ACCORD Anfragebeantwortung vom 21.03.2025 zu entnehmen ist, haben Polizisten, die vor dem Sturz des Assad-Regimes nicht zu den Rebellen übergelaufen sind, einen „Aussöhnungsprozess“ zu durchlaufen. In diesem hätten sie den Regierungswechsel anzuerkennen und müssten ihre Waffe abgeben (vgl. ACCORD Anfragebeantwortung vom 21.03.2025, Punkt II.1.3.3.). In einer Gesamtschau ist somit eine Verfolgung durch Assad-treue Gruppen nicht maßgeblich wahrscheinlich.
In der mündlichen Verhandlung am 12.09.2024 erwähnte der Beschwerdeführer erstmalig, dass seine Familie vom syrischen Regime verfolgt werde, da sie an Demonstrationen teilnahm. Bereits vor dem BFA behauptete der Beschwerdeführer, dass ein Bruder von ihm desertiert sei (vgl. AS 44; Verhandlungsprotokoll vom 12.09.2024 S. 14.) Abgesehen davon, dass er gegen Ende der mündlichen Verhandlung widersprechend behauptet seine Familie sei nicht politisch aktiv gewesen (vgl. Verhandlungsprotokoll vom 12.09.2024 S. 19), vermag angesichts der aktuellen Machtverhältnisse in Syrien aber eine mutmaßliche Verfolgung der Familie des Beschwerdeführers durch die syrischen Regimekräfte keine asylrelevante Reflexverfolgung aufzuzeigen. Auch droht dem Beschwerdeführer keine asylrelevante Verfolgung auf Grund der Tätigkeit im medizinischen Bereich durch das vormalige syrische Regime.
Dass die vorgebrachte drohende Verfolgung durch das (vormalige) Regime unter der Führung von Bashar al-Assad weggefallen ist, wird auch vom Beschwerdeführers in der mündlichen Beschwerdeverhandlung am 10.04.2025 außer Streit gestellt (vgl. Verhandlungsprotokoll vom 10.04.2025, S. 7) „BF: Die Verfolgung durch das Assad-Regime ist mit seinem Sturz beendet. […]“
2.2.3. Zur Gefahr der Verfolgung durch die Gruppierung Hay'at Tahrir ash-Sham
Aufgrund ihres in der mündlichen Verhandlung erhaltenen persönlichen Eindrucks sowie der im erstinstanzlichen Verwaltungsakt einliegenden Niederschriften der Erstbefragung und der Einvernahme des Beschwerdeführers vor dem BFA geht die zur Entscheidung berufene Richterin des Bundesverwaltungsgerichtes davon aus, dass dem Beschwerdeführer hinsichtlich seines Fluchtvorbringens betreffend die ihm drohende Verfolgung durch die Gruppierung Hay'at Tahrir ash-Sham (HTS) keine Glaubhaftigkeit und -würdigkeit zukommt; dies aus nachstehenden Gründen:
In der Einvernahme vor dem BFA brachte der Beschwerdeführer erstmals vor, dass die al-Nusra Front, welche nunmehr als Hay'at Tahrir ash-Sham (HTS) bekannt ist und in der Folge auch so bezeichnet wird, auf eine Zusammenarbeit mit dem Gesundheitszentrum, in welchem der Beschwerdeführer tätig war, bestand. Die Ablehnung dieser Zusammenarbeit durch den Beschwerdeführer hätte zu Bedrohungen gegen seine Person geführt. Zudem hätte er mehrere Einberufungsbefehle bzw. Ladungen nach Hause zugestellt bekommen und drohe ihm Inhaftierung (vgl. AS 42ff; Verhandlungsprotokoll vom 10.4.2025, S.8). Darauf hinzuweisen ist, dass die Bedrohung durch die HTS bei der Erstbefragung des Beschwerdeführers bei der Frage zu seine Fluchtgründen keinerlei Erwähnung gefunden hat. Dabei wird jedoch nicht übersehen, dass die Erstbefragung vorrangig der Klärung der Identität und Reiseroute eines Fremden dient und sich nicht auf die "näheren" Fluchtgründe zu beziehen hat (vgl. § 19 Abs. 1 AsylG 2005). Die Beweisergebnisse der Erstbefragung dürfen nicht unreflektiert übernommen werden (vgl. VwGH 13.11.2014, Ra 2014/18/0061). Ein vollständiges Beweisverwertungsverbot normiert § 19 Abs. 1 AsylG 2005 jedoch nicht. Es ist jedenfalls nicht nachvollziehbar, einen derart gewichtigen Fluchtgrund, welcher unmittelbar zur Ausreise geführt haben soll (vgl. Verhandlungsprotokoll vom 12.09.2024 S. 19; Verhandlungsprotokoll vom 10.04.2025, S.8), mit keinem Wort zu erwähnen. Dies gilt umso mehr als der Beschwerdeführer in der mündlichen Verhandlung am 10.04.2025 betreffenden Fluchtgrund als Hauptgrund für seine Flucht darstellte:
„BF: [….] Also, der tatsächliche Hauptgrund, warum ich Syrien verlassen habe, ist meine Verfolgung durch die HTS, denn meine Ortschaft Idlib war außerhalb der Macht des syrischen Regimes.“
Erst recht auch deshalb, weil der Beschwerdeführer bereits in der Erstbefragung explizit anführte, in einem Gesundheitszentrum tätig gewesen zu sein. Dementsprechend ist zu erwarten, dass ein in diesem Zusammenhang stehender Fluchtgrund bei erstmaliger Gelegenheit angeführt wird. Außerdem war es dem Beschwerdeführer möglich seine Fluchtgründen frei zu schildern (vgl. AS 6). Es sind keinerlei Hinweise hervorgekommen, dass die polizeiliche Erstbefragung im vorliegenden Fall nicht ordnungsgemäß protokolliert wurde, sondern wurde diese dem Beschwerdeführer rückübersetzt und machte er dazu keine Ergänzungen oder Korrekturen (vgl. AS 7).
Abgesehen davon ist aufzuführen, dass seine Schilderung in der Einvernahme äußerst knapp ausfällt. Insbesondere können daraus keinerlei genaueren Angaben erschlossen werden. Augenfällig ist hierbei, dass er weder die näheren Umstände oder ansatzweise eine ungefähre Zeit- oder Monatsangabe der Konfrontation mit der HTS nannte. „BFA: Warum werden Sie von der FSA und Hayat Tahrir Al-Sham gesucht?
BF: Ende 2021 haben die Al Nusra Front die Macht übernommen und wollten, dass die Gesundheitszentren mit ihnen zusammenarbeiten. Ich wollte dies aber nicht, da wir ein unabhängiges Gesundheitszentrum sind und ich wurde dann bedroht. (vgl. AS 42)
[…]
BFA: Warum werden Sie seit 2021 von terroristischen Organisationen gesucht?
BF: Ich habe es vorhin bereits erwähnt, ich wollte nicht mit den Al Nusra Front zusammenarbeiten, da unser Gesundheitszentrum unabhängig war. (vgl. AS 43)
[…]
BFA: Sie haben vorhin einen Fahndungsbrief der FSA und Hayat Tahrir Al-Sham (Al Nusra) vorgelegt. Warum haben Sie diesen bekommen?
BF: Ich war an diesem Tag nicht zuhause und der verantwortliche der Al Nusra Front hat ihn meiner Frau übergeben. Es geht dabei auch um die Verweigerung der Zusammenarbeit mit der Al Nusra Front.“ (vgl. AS 44)
Bemerkt wird auch, dass er demgegenüber in der mündlichen Verhandlung angab, erst ab 2022 von der Al Nusra Front bedroht worden zu sein (vgl. Verhandlungsprotokoll vom 12.09.2024, S.14f)
Überdies sind seine Aussagen in der Einvernahme widersprüchlich, da er die Frage ob er Kontakt mit Islamisten gehabt habe, verneinte (vgl. AS 43).
Dass es ihm nicht bereits in der Einvernahme möglich war, konkrete Angaben zu den Ereignissen darzulegen, lässt auf ein konstruiertes Geschehen schließen.
Darüber hinaus war der Beschwerdeführer nicht in der Lage sein Vorbringen durch konkrete Beweismittel zu belegen. Zwar legte der Beschwerdeführer Ladungen bzw. Einberufungsbefehle der HTS vor, diesen ist jedoch nur zu entnehmen, dass der Beschwerdeführer zu einer Inspektion zu erscheinen habe, andernfalls ihm die Bestrafung drohe. Ein Zusammenhang mit seiner Tätigkeit im Gesundheitszentrum oder einer behaupteten Verweigerung der Zusammenarbeit des Gesundheitszentrums mit der HTS oder ein sonstiger Zweck geht demgegenüber aus den Schreiben nicht hervor. Auch erscheint es nicht plausibel warum - sollte die HTS tatsächlich nach dem Beschwerdeführer fahnden – die HTS im Mai 2022 und dann erst rund zwei Jahre später und zwar im März 2024, also zu einem Zeitpunkt als der Beschwerdeführer schon nahezu zwei Jahre nicht mehr in Syrien aufhältig war, ein Interesse an seiner Person zeigen sollte. Dies gilt umso mehr, als das Gesundheitszentrum Aussagen des Beschwerdeführers zufolge weiterhin in Betrieb ist (vgl. Verhandlungsprotokoll vom 12.09.2024, S. 14f): „R: Gibt es das Gesundheitszentrum noch? BF: Ja. R: Wer betreibt es? BF: Zurzeit der XXXX .
R: Findet derzeit eine Kooperation des Gesundheitszentrums mit der Al Nusra Front statt?
BF: Das weiß ich nicht.“
Bezüglich der zwei in Kopie vorgelegten Einberufungsbefehle bzw. Ladungen der HTS ist zudem nicht nachvollziehbar, warum dem Beschwerdeführer die Dokumente nicht im Original zugesandt wurden, sind ihm doch bereits zahlreiche Original-Dokumente über den Postweg übermittelt worden. Gegenteiliges wurde auch nicht vorgebracht.
Bezeichnend ist in diesem Zusammenhang auch, dass der Beschwerdeführer bezüglich der Verweigerung der Zusammenarbeit des Gesundheitszentrums mit der HTS durchwegs im Plural spricht, wohingegen er im gesamten sonstigen Verfahren von sich selbst im Singular spricht (vgl. Verhandlungsprotokoll vom 12.09.2024, S. 14) „R: Was ist dann passiert?
BF: Die Anhänger der Al Nusra Front kamen im April 2022 zum Gesundheitszentrum, damit wir mit ihnen arbeiten. Wir lehnten aber die Zusammenarbeit ab, da die Al Nusra Frint eigentlich überall als terroristische Gruppierung eingestuft wird.“ R: Wen meinen Sie mit „wir“ lehnten die Zusammenarbeit ab? BF: Damit meine ich, die Leitung des Gesundheitszentrums. R: Wer stand in der Leitung des Gesundheitszentrums und wie viele waren das?
BF: Ich war der Leiter, aber ich habe auch die Meinung aller Mitarbeiter eingeholt und wir alle lehnten die Zusammenarbeit ab.“
Auch in der mündlichen Beschwerdeverhandlung am 10.04.2025 spricht er bei der Schilderung der Ereignisse im Zusammenhang mit dem Gesundheitszentrum abermals im Plural, diesmal aber mit einer anderen Begründung (vgl. Verhandlungsprotokoll vom 10.04.2025, S.7, S.9) und verstrickt er sich in Widersprüchlichkeiten:
„R: In der mündlichen Verhandlung am 12.09.2024 haben Sie erzählt, dass die Al Nusra Front im Jahr 2021 Druck auf sie und andere Demonstrationsteilnehmer verübt hätte und wollte, dass sie in den Demos ihre Flaggen hissen und für diese werben, was sie und die anderen ablehnten. Was genau wollte die Al-Nusra Front von Ihnen bzw. was geschah, als Sie dies ablehnten?
BF: 2021 haben wir es abgelehnt, deren Flaggen zu tragen und für die HTS zu werben. Wir haben dann aufgehört an Demonstrationen teilzunehmen. Die Al-Nusra Front hat zu dem Zeitpunkt nichts unternommen. Im April 2022 ist die Al-Nusra Front zu uns gekommen und hat von uns verlangt, mit ihnen bei einem Spital zusammenzuarbeiten. Hier haben wir es abgelehnt und da haben sie eine starke Reaktion gezeigt. Sie haben uns zu diesem Zeitpunkt bedroht und inhaftiert. Nach 10 Tagen hat mir eine Person, die mit der Al-Nusra Front zusammenarbeitet gesagt, dass die Al-Nusra Front vorhat, mich zu inhaftieren. Und tatsächlich ist im Mai die HTS zu mir nach Hause gekommen, aber ich war nicht zu Hause. Meine Frau war aber anwesend. Sie haben ihr eine Benachrichtigung hinterlassen, damit ich zu ihnen gehe, wenn sie mich dort gefunden hätten, hätten sie mich sofort festgenommen. Also, der tatsächliche Hauptgrund, warum ich Syrien verlassen habe, ist meine Verfolgung durch die HTS, denn meine Ortschaft Idlib war außerhalb der Macht des syrischen Regimes.
R: Sie haben gesagt, dass nicht nur Sie, sondern Sie haben im Plural gesprochen bezüglich der Inhaftierung. Wen haben Sie damit gemeint?
BF: Wir verwenden meisten das Personalpronomen „wir“ für „ich“. Damit meine ich mich.
R: Also es wurden nicht andere Personen mit der Inhaftierung bedroht?
BF: Ich wurde persönlich bedroht.
R: Und andere auch?
BF: Die anderen nicht, die waren angestellt im Spital.“
Dass der Beschwerdeführer von sich selbst im Plural spricht, erscheint nicht plausibel, zumal er im gesamten sonstigen Verfahren – wie bereits dargelegt - von seiner Person im Singular spricht und er im Verhandlung am 12.09.2024 eine gänzlich andere Argumentation für die Verwendung des Plural darbrachte. Vielmehr ist auch durch diese abermaligen Widersprüchlichkeiten vom Vorliegen eines konstruierten Vorbringens auszugehen.
Dies lässt darauf schließen, dass er nicht wie behauptet einzig und allein die Leitung über das Gesundheitszentrum innehatte, sondern vielmehr bloßer Beschäftigter im Gesundheitszentrum war. Für diese Annahme sprechen auch die vagen und nicht hinreichend konkreten Angaben über die Beschreibung seiner Tätigkeit (vgl. Verhandlungsprotokoll vom 12.09.2024, S. 18): „R: Was waren die Aufgaben im Gesundheitszentrum?
BF: Wir hatten eine Ambulanz für die Erstversorgung von Verletzten. Wir hatten eine Ordination für Kinder und eine Ordination für Frauen. Wir hatten auch ein Labor, eine Apotheke und eine Ordination für seelische Unterstützung und einen Allgemeinmediziner. R: Was waren Ihre Aufgaben im Gesundheitszentrum?
BF: Ich war der Leiter des Gesundheitszentrums. Ich habe die Mitarbeiter geleitet. Ich habe auch die Pläne festgelegt, um Flüchtlingscamps zu besuchen. Ich habe auch Kontakt zu humanitären Organisationen gehabt, damit diese uns medizinisch unterstützen.
R: Was waren Ihre Aufgaben in der Leitung Ihrer Mitarbeiter?
BF: Die Arbeitszeiten festlegen, die Arbeit der verschiedenen Ordinationen, auch den Besuch der Camps und die Sicherung der Medikamente durch humanitäre Organisationen, also auch die Logistik.“
Dem in Kopie vorgelegten Schreiben, welches in der mündlichen Verhandlung am 12.09.2024 übersetzt wurde, kommt kein Beweiswert zu. Es handelt sich um kein Originaldokument, welches einer Überprüfung zugänglich wäre. Zudem ist nicht nachvollziehbar, warum dem Beschwerdeführer das Dokument nicht im Original zugesandt wurde, sind ihm doch bereits zahlreiche Original-Dokumente über den Postweg übermittelt worden.
Die Feststellungen, dass der Beschwerdeführer auf Grund seiner Tätigkeit im Gesundheitszentrum nicht in das Blickfeld der HTS gelangte und nicht die Zusammenarbeit verweigerte, gründet sich auf diese Umstände.
Zudem spricht die Tatsache, dass es dem Beschwerdeführer möglich war, unbehelligt auszureisen, gegen das Vorbringen, dass die HTS bereits im Mai 2022 nach ihm gefahndet hätte. Aus den Angaben der Länderinformation ist abzuleiten, dass der Beschwerdeführer im August 2022 für die Ausreise aus Syrien HTS-kontrolliertes Gebiet zu durchqueren hatte (vgl. Punkt 1.3.1.). Folgt man den weiteren Schilderungen des Beschwerdeführers, so war die HTS damals auch im Herkunftsort präsent (vgl. vom 12.09.2024 S. 12). Aus den Schilderungen des Beschwerdeführers geht nicht hervor, dass er vonseiten der oppositionellen Kräfte in irgendeiner Weise Verfolgung zu gegenwärtigen gehabt hätte (vgl. Verhandlungsprotokoll vom 12.09.2024 S. 9). Er konnte unbehelligt ausreisen und hatte eine komplikationslose Reisebewegung.
Sofern in der Beschwerde behauptet wurde, dass sich der Beschwerdeführer nach Übergabe des ersten Festnahmebefehls an seine Ehefrau im Mai 2022 in einem Dorf namens XXXX zwei bis drei Monate versteckt hielt, war nicht glaubhaft, da er demgegenüber im gesamten Verfahren übereinstimmend angab immer in seinem Heimatdorf gewohnt zu haben.
„BFA: Nennen Sie Ihren Namen, Ihr Geburtsdatum und Ihren Geburtsort?
BF: […] in Idlib, Stadt Gezr Al Shour, Dorf XXXX , geboren und aufgewachsen und war dort bis zu meiner Ausreise.“ (vgl. AS 39)
[…]
„R: Wo haben Sie vor Ihrer Ankunft in Österreich gelebt?
BF: In Syrien, in meinem Dorf XXXX .“ (vgl. Verhandlungsprotokoll vom 12.09.2024 S. 8)
Der widersprüchlichen Behauptung in der Beschwerde war somit nicht zu folgen. Aufgrund der Unvereinbarkeit dieser Aussage in der Beschwerde mit seinen zuvor getätigten Schilderungen muss sich der Beschwerdeführer Verschleierungsabsicht hinsichtlich seines – komplikationslosen – Aufenthalts bis zur Ausreise aus Syrien vorwerfen lassen.
Aus dem Vorbringen des Beschwerdeführers ging somit nicht glaubhaft hervor, dass er von Affiliierten der HTS als politischer Gegner qualifiziert wird.
Anders als vom Beschwerdeführer dargestellt, ist darüber hinaus nicht maßgeblich wahrscheinlich, dass er durch die HTS als Anhänger des Assad-Regimes eingestuft wird. Er war in keine aktiven Kampfeinsätze auf Seiten der syrischen Armee gegen die oppositionellen Milizen involviert. Er hat seinen Wehrdienst bei der syrischen Armee nicht abgeleistet:
„BFA: Wurden Sie zur Stellungskommission in Syrien geladen?
BF: Nein. Ich bekam drei Aufschübe, da ich studiert habe.
BFA: Haben Sie ein Wehrdienstbuch?
BF: Ja. Ich habe es bereits beim ersten Aufschub erhalten. Es wurde jedoch bei einem Brand zerstört.
BFA: Haben Sie bereits Ihren regulären Wehrdienst für das syrische Regime geleistet?
BF: Nein.“ (vgl. AS 44f)
[…] „R: Haben Sie Ihren Wehrdienst für das syrische Regime abgeleistet?
BF: Nein.
R: Warum nicht?
BF: Weil ich studiert habe. Ich hatte bis zum Jahr 2012 Aufschübe und im Jahr 2011 nahm ich schon aktiv an Demos teil und deshalb konnte ich nicht zurückkehren, um den Wehrdienst zu absolvieren.
[…]
R: Haben Sie einen konkreten Einberufungsbefehl erhalten?
BF: Nein, ich hatte aufrechte Aufschübe und danach befand ich mich außerhalb der Kontrolle des syrischen Regimes.“ (vgl. Verhandlungsprotokoll vom 12.09.2024 S. 15)
Zudem verneinte er jemals an Kampfhandlungen aktiv teilgenommen zu haben (vgl. AS 43).
Daher ist nicht mit verfahrensrelevanter Wahrscheinlichkeit davon auszugehen, dass er durch eine der bewaffneten Konfliktparteien – insbesondere durch HTS – als Anhänger des Assad-Regimes eingestuft wird.
Auch bei seiner Arbeit für das Gesundheitszentrum ist er nicht als Anhänger des Assad-Regimes in Erscheinung getreten:
„R: Mit welchen humanitären Organisationen haben Sie zusammen gearbeitet?
BF: Hauptsächlich Unicef, aber auch nationale Organisationen wie SRD und Hajar.
R: Stand einer dieser Organisationen auch in der Nähe des syrischen Regimes?
BF: Nein, gar nicht. (vgl. Verhandlungsprotokoll vom 12.09.2024 S. 18)
[…]
R: Wer wurde in dem Gesundheitszentrum, in dem Sie gearbeitet haben, behandelt?
BF: Zivilisten, die sowohl vom Regime als auch von den Russen verletzt wurden.“ (vgl. Verhandlungsprotokoll vom 12.09.2024 S. 21)
Dass die HTS ihm Zusammenarbeit mit dem Regime unterstellen würde, ist angesichts dessen nicht glaubhaft.
Im Ergebnis besteht daher kein Risiko, dass der Beschwerdeführer von HTS als militärischer oder politischer Gegner qualifiziert wird.
Ferner war der Beschwerdeführer, seinen Aussagen in der mündlichen Verhandlung zufolge, in Syrien nicht politisch aktiv und war insbesondere nicht Mitglied in einer politischen Partei (vgl. Verhandlungsprotokoll vom 12.09.2024 S. 19, Verhandlungsprotokoll vom 10.04.2025, S.5). Sofern er demgegenüber behauptete an Demonstrationen teilgenommen und diese organisiert zu haben, waren diese gegen das syrische Regime gerichtet:
„BFA: Wurden Sie in Ihrer Heimat jemals wegen Ihrer politischen Gesinnung verfolgt?
BF: Ja. Befragt, Ich habe an Demonstrationen gegen das syrische Regime teilgenommen. (vgl. AS 42)
[…]
BFA: Um was genau ging es bei den Demonstrationen?
BF: Es ging um das syr. Regime.“ (vgl. AS 43)
[…]
„R: Warum haben Sie an Demos teilgenommen und diese organisiert?
BF: Ich wurde aufgrund meines Ursprungsorts inhaftiert. Deshalb demonstrierte ich zunächst gegen das Regime. Wir demonstrierten für die Freiheit und Gleichberechtigung aber auch um das Regime zu stürzen. Wir demonstrierten danach aber auch wegen den ganzen Massaker, in denen auch Familienmitglieder von mir ermordet wurden.“ (vgl. Verhandlungsprotokoll vom 12.09.2024 S. 11)
Dass er demgegenüber öffentlich gegen die HTS in Erscheinung trat wurde vom Beschwerdeführer im gesamten Verfahren nicht ansatzweise behauptet.
Auch blieben seine Aussagen betreffend seine Einstellung gegenüber der HTS im gesamten Verfahren oberflächlich und vage, weshalb das erkennende Gericht davon ausgeht, dass es sich um bloße Floskeln handelt, die nicht auf einer verinnerlichten politischen Überzeugung fußen. So konnte der Beschwerdeführer in der mündlichen Verhandlung am 10.04.2025 selbst auf ausdrückliche Nachfrage sein Vorbringen nicht konkretisieren (vgl. Verhandlungsprotokoll vom 10.04.2025, S. 7):
„R: Sie haben vorhin gesagt, Sie wurden auch wegen Ihrer Einstellung und weil Sie die Zusammenarbeit abgelehnt hätten, verfolgt. Was meinen Sie damit?
BF: Ich meine damit, dass die Al-Nusra Front dafür bekannt ist, dass sie eine terroristische Organisation ist.
R: Was meinen Sie mit Ihrer Einstellung, wenn Sie von Ihrer Einstellung sprechen, was meinen Sie damit?
BF: Ich meine damit, dass ich mit ihnen schon seit 2022 die Zusammenarbeit abgelehnt habe, weil sie eine terroristische Organisation sind und deren Denken ist auch terroristisch.“
Des Weiteren ist die Familie des Beschwerdeführers nicht mit Bedrohungen durch HTS oder andere bewaffnete Gruppierungen konfrontiert. Seine Familie lebt noch immer unbehelligt im bzw. nahe des Herkunftsortes (vgl. Verhandlungsprotokoll vom 12.09.2024 S. 13). Seine Familie hätte laut seiner Aussage vor dem BFA nicht „dieselben Probleme“ wie er:
„BFA: Wie geht es Ihrer Familie in Syrien?
BF: Es geht ihnen durchschnittlich gut. Mein Vater schaut auf die Familie.
BFA: Hat Ihre Familie dieselben Probleme wie Sie in Syrien?
BF: Nein haben sie nicht.“ (vgl. AS 45)
Laut Aussage des Beschwerdeführers in der mündlichen Verhandlung am 12.09.2024 sei seine Familie auch nicht politisch aktiv gewesen (vgl. Verhandlungsprotokoll vom 12.09.2024 S. 19).
Zu seiner Familie in Syrien steht der Beschwerdeführer seinen Angaben vor dem BVwG nach in Kontakt (vgl. Verhandlungsprotokoll vom 12.09.2024 S. 13, Verhandlungsprotokoll vom 10.04.2025, S.6). Aufgrund der aufrechten familiären Bindung zu seinen nach wie vor im Herkunftsstaat lebenden Angehörigen ist davon auszugehen, dass der Beschwerdeführer Kenntnis von etwaigen gegen diese gerichteten Verfolgungsbedrohungen oder -handlungen haben müsste. Im Verfahren und vor dem BVwG sind allerdings vonseiten des Beschwerdeführers keine derartigen Schilderungen getätigt worden. Das stützt die Annahme, dass es seinen Angehörigen möglich ist, sich verfolgungsfrei in bzw. nahe XXXX aufzuhalten. So brachte der Beschwerdeführer am 10.04.2025 vor (vgl. Verhandlungsprotokoll vom 10.04.2025, S.6):
„R: Werden Ihre in Syrien lebenden Familienangehörigen verfolgt oder persönlich bedroht? BF: Nein. Seitens der HTS bin nur ich bedroht.“
Abschließend ist darauf hinzuweisen, dass eine Zwangsrekrutierung des Beschwerdeführers in Anbetracht der bereits erfolgten Gebietsgewinne durch die HTS-Milizen nicht wahrscheinlich ist. Bereits vor der Großoffensive gegen das syrische Regime verpflichtete HTS die in ihrem Hoheitsbereich lebende Zivilbevölkerung laut der Länderinformation nicht zwangsweise zu einer Wehrdienstableistung. Es fehlte der Gruppierung nicht an Personen, die bereit waren, sich ihnen anzuschließen. Dabei waren wirtschaftliche Anreize und die islamische Ideologie die hauptsächlichen Beweggründe für junge Männer, Teil der Miliz zu werden (vgl. Punkt II.1.3.1.).
Dieses Bild bekräftigt sich auch durch die aktuellen, in das Verfahren einbezogenen Länderberichte. Aus der ACCORD-Anfragebeantwortung vom 21.03.2025 zur Rekrutierungspraxis der Übergangsregierung, Rekrutierungen durch andere bewaffnete Gruppen geht hervor: „Mehrere Quellen berichten im Februar 2025, dass der Präsident der syrischen Übergangsregierung, Ahmed Al-Scharaa, erklärt habe, dass er die Wehrdienstpflicht abgeschafft habe und stattdessen auf freiwillige Rekrutierung setze (Enab Baladi, 12. Februar 2025; France 24, 10. Februar 2025; siehe auch Markaz Al-Jazeera l-il-Dirasat, 30. Jänner 2025; FDD, 28. Jänner 2025). Anfang Februar 2025 wurde berichtet, dass sich Scharaa zufolge tausende Freiwillige der neuen Armee anschließen würden (France 24, 10. Februar 2025; Enab Baladi, 12. Februar 2025). Dem Online-Begleittext eines Videobeitrags des schwedischen Fernsehprogramms Svtnyheter von Jänner 2025 zufolge hätte die Hayat Tahrir Al-Scham (HTS) aktiv mit intensiven Rekrutierungen für die Reihen der Polizei und des Militärs begonnen (Svt nyheter, 18. Jänner 2025). In einem undatierten arabischsprachigen Artikel bezieht sich das Swedish Center for Information (SCI) auf den genannten Videobeitrag. Laut dem SCI-Artikelwürden Berichten zufolge Soldaten, Unteroffiziere und Offiziere mittels intensiver Programme rekrutiert, die von traditionellen akademischen Standards und Trainingsstandards abweichen würden. Dies habe den Zweck, die Ausbildung der Militär- und Sicherheitskräfte zu beschleunigen, um den Bedarf des neuen Staates zu decken (SCI, ohne Datum).“
Selbiges ergibt sich aus dem EUAA Country Focus, wonach die Wehrpflicht durch die Übergangsregierung abgeschafft wurde und die syrische Armee eine Freiwilligenarmee sein soll, an der sich die Bevölkerung beteiligen soll, um die Grenzen des Landes zu sichern (vgl. EUAA Coutry Focus vom März 2025, S. 22f; Punkt II.1.3.4.).
Im Übrigen vertritt der Beschwerdeführer keine verinnerlichte politische oder religiöse Überzeugung gegen den Dienst an der Waffe:
In der Beschwerde brachte er vor, dass er für keine Seite kämpfen oder Waffen tragen wolle, da er nicht dazu beitragen wolle unschuldige Menschen zu töten (vgl. Beschwerde S. 3). Nähere Ausführungen zur einer konkreten politischen oder religiösen Überzeugung des Beschwerdeführers waren seinen Angaben hingegen nicht zu entnehmen. Allerdings ist es der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zufolge für die Gewährung des Status eines Asylberechtigten nicht ausreichend, wenn ein Asylwerber angibt, sich keiner Konfliktpartei anschließen zu wollen, da es einem solchen Vorbringen am kausalen Zusammenhang zwischen der Verfolgungshandlung und einem Verfolgungsgrund im Sinne der GFK mangelt (vgl. unter vielen VwGH 08.03.2024, Ra 2023/01/0363 mwN). Sein Vorbringen bezieht sich jedoch nur auf die Belastungen aufgrund der allgemeinen Bürgerkriegssituation in Syrien und nimmt nicht ausreichend Bezug auf eine individuelle politische oder religiöse Haltung, auf die seine Verweigerung zur Ableistung des Wehrdienstes fußt.
Er brachte im Verfahren und vor dem BVwG keine persönlichen Gründe gegen den Dienst an der Waffe vor. In einer Gesamtbetrachtung ist im gegenständlichen Fall nicht erkennbar, dass der Ableistung des Militärdienstes eine politische oder religiöse Gesinnung des Beschwerdeführers entgegensteht.
Sofern er in der mündlichen Verhandlung ausführte, jedenfalls den Wehrdienst für das syrische Regime abzulehnen (vgl. Verhandlungsprotokoll vom 12.09.2024 S. 19), so ist auf die Länderinformationen zu verweisen, wonach angesichts der aktuellen Machtverhältnisse ein Wehrdienst für das syrische Regime keine Asylrelevanz mehr hat (siehe Punkt II.1.3.4. sowie II.2.2.2.).
2.2.4. Zum Vorbringen einer Verfolgung aufgrund der Ausreise und Asylantragstellung im Ausland:
Eine dem Beschwerdeführer drohende Verfolgung aufgrund seiner (illegalen) Ausreise, der Asylantragstellung im Ausland, seiner Herkunft aus einem ehemaligen Oppositionsgebiet und eine ihm hierdurch allenfalls unterstellte oppositionelle Gesinnung ist in einer Gesamtbetrachtung ebenfalls als nicht hinreichend wahrscheinlich anzusehen. Der Beschwerdeführer brachte im Verfahren hierzu zusammengefasst vor, dass er im Falle seiner Rückkehr auch wegen seiner Ausreise, der Asylantragstellung im Ausland und der Herkunft aus einem ehemaligen Oppositionsgebiet einer asylrelevanten Verfolgung vom ehemaligen syrischen Regime ausgesetzt wäre. Mittlerweile hat sich jedoch die Lage in Syrien maßgeblich geändert und das vormalige syrische Regime hat keine Gebiets- und Herrschaftsgewalt in Syrien mehr inne, eine Rückeroberung ist nach der derzeitigen Berichtslage nicht maßgeblich wahrscheinlich. Daher war zu prüfen, ob dem Beschwerdeführer im Falle seiner Rückkehr aus den genannten Gründen eine Bedrohung durch die HTS erwarten könnte.
Es liegen nach dem Ergebnis des durchgeführten Ermittlungsverfahrens und den aktuellen Länderberichten keine Anhaltspunkte dafür vor, dass die HTS dem Beschwerdeführer auf Grund seiner Ausreise, seiner Asylantragstellung im Ausland und seiner Herkunft aus einem ehemaligen Oppositionsgebiet eine oppositionelle politische Haltung unterstellen würde. Daher waren die betreffenden Feststellungen zu treffen.
Auch lässt es sich den Länderinformationen nicht entnehmen, dass Rückkehrer in Gebieten, die unter Kontrolle der HTS stehen, von dieser verübten systematischen Menschenrechtsverletzungen ausgesetzt wären. Ein Eingriff in die psychische und/oder körperliche Unversehrtheit des Beschwerdeführers allein aufgrund seiner Ausreise ist daher nicht maßgeblich wahrscheinlich.
Überdies geht aus den Länderinformationen hervor, dass die aktuellen Machthaber an einer Rückkehr aller Syrer aus dem Ausland interessiert sind für einen Aufbau des Landes nach dem Sturz des Regimes.
Davon abgesehen kann auch nicht davon ausgegangen werden, dass die Stellung des Antrages auf internationalen Schutz dem syrischen Staat bekanntgeworden ist, zumal es den österreichischen Behörden verboten ist, Daten über Asylwerber an Behörden aus deren Herkunftsstaat zu übermitteln. Ein Eingriff in die psychische und/oder körperliche Unversehrtheit des Beschwerdeführers allein aufgrund seiner Ausreise und der Asylantragstellung in Österreich ist daher nicht wahrscheinlich.
2.2.5. Hinsichtlich der vom Beschwerdeführer behaupteten Verfolgung aufgrund seines muslemisch-sunnitischen Glaubens ist zunächst anzumerken, dass dies lediglich gegen Ende der mündlichen Verhandlung vorgebracht wurde:
„R: Wurden Sie in Syrien aufgrund Ihrer Religion oder aus sonstigen Gründen (Rasse, Nationalität) verfolgt/schlechter behandelt/diskriminiert?
BF: Ich wurde inhaftiert, da ich aus einer Stadt stamme, die sunnitisch ist.“ (vgl. Verhandlungsprotokoll vom 12.09.2024 S. 20)
Demgegenüber verneinte er vor dem BFA eine Verfolgung aufgrund seiner Religion (vgl. AS 42).
Abgesehen davon, wird das Erlebte allgemein und knapp geschildert. Der Vorfall kann weder zeitlich eingeordnet werden, noch lassen sich aus dem völlig unsubstantiierten Vorbingen die genaueren Umstände des Vorfalls noch der/die Verfolger entnehmen. Diesen unsubstantiierten Behauptungen ist zudem entgegenzuhalten, dass allein aufgrund des Umstandes, dass, laut Länderinformationen, der überwiegende Großteil der in der Herkunftsprovinz des Beschwerdeführers lebenden Bevölkerung Sunniten sind und es sich bei den aktuellen Machthabern ebenso um eine sunnitische Gruppierung handelt, die Schilderung des Beschwerdeführers lebensfremd und konstruiert erscheinen lässt.
Im Ergebnis ist das Vorbringen unglaubwürdig und war daher festzustellen, dass aufgrund seines muslemisch-sunnitischen Glaubens keine Verfolgung/Inhaftierung droht.
Weder im Verfahren noch in der mündlichen Verhandlung sind weitere stichhaltige Hinweise dazu hervorgekommen, dass der Beschwerdeführer in Syrien wegen seiner ethnischen, religiösen oder staatsbürgerlichen Zugehörigkeit, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder seiner politischen Gesinnung Verfolgung zu befürchten hätte.
2.3. Zur maßgeblichen Situation im Herkunftsstaat:
Die Feststellungen zur maßgeblichen Situation im Herkunftsstaat stützen sich auf die zitierten Quellen. Da diese aktuellen Länderberichte auf einer Vielzahl verschiedener, voneinander unabhängiger Quellen von regierungsoffiziellen und nicht-regierungsoffiziellen Stellen beruhen und dennoch ein in den Kernaussagen übereinstimmendes Gesamtbild ohne wesentliche Widersprüche darbieten, besteht im vorliegenden Fall für das Bundesverwaltungsgericht kein Anlass, an der Richtigkeit der getroffenen Länderfeststellungen zu zweifeln. Angesichts der Seriosität der Quellen und der Plausibilität ihrer Aussagen besteht ebenfalls kein Grund, an der Richtigkeit der Angaben zu zweifeln, sodass sie den Feststellungen zur Situation in Syrien zugrunde gelegt werden konnten.
3. Rechtliche Beurteilung:
Zu A) Nichtzuerkennung des Status des Asylberechtigten (Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides):
Gemäß § 3 Abs. 1 Asylgesetz 2005 (AsylG 2005) ist einem Fremden, der in Österreich einen (zulässigen) Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft ist, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung im Sinn des Art. 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention (GFK) droht.
Nach Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK ist Flüchtling, wer sich aus wohlbegründeter Furcht, aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung verfolgt zu werden, außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen.
Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist zentraler Aspekt der in Art. 1 Abschnitt A Z 2 der GFK definierten Verfolgung im Herkunftsstaat die wohlbegründete Furcht davor. Eine Furcht kann nur dann wohlbegründet sein, wenn sie im Licht der speziellen Situation des Asylwerbers unter Berücksichtigung der Verhältnisse im Verfolgerstaat objektiv nachvollziehbar ist. Es kommt nicht darauf an, ob sich eine bestimmte Person in einer konkreten Situation tatsächlich fürchtet, sondern ob sich eine mit Vernunft begabte Person in dieser Situation aus Konventionsgründen fürchten würde (VwGH 05.09.2016, Ra 2016/19/0074). Die begründete Furcht einer Person vor Verfolgung in kausalem Zusammenhang mit einem oder mehreren Konventionsgründen stehen (VwGH 22.03.2017, Ra 2016/19/0350).
Unter „Verfolgung“ im Sinn des Art. 1 Abschnitt A Z 2 der GFK ist nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ein ungerechtfertigter Eingriff von erheblicher Intensität in die zu schützende persönliche Sphäre des Einzelnen zu verstehen. Erhebliche Intensität liegt vor, wenn der Eingriff geeignet ist, die Unzumutbarkeit der Inanspruchnahme des Schutzes des Heimatstaates zu begründen. Nicht jede diskriminierende Maßnahme gegen eine Person ist als „Verfolgung“ iSd Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK anzusehen, sondern nur solche Maßnahmen, die in ihrer Gesamtheit zu einer schwerwiegenden Verletzung grundlegender Menschenrechte der Betroffenen führen (vgl. Art. 9 Abs. 1 der Statusrichtlinie; vgl. VwGH 27.09.2022, Ra 2021/01/0305).
Eine Verfolgungsgefahr ist dann anzunehmen, wenn eine Verfolgung mit einer maßgeblichen Wahrscheinlichkeit droht; die entfernte Möglichkeit einer Verfolgung genügt nicht (VwGH 21.05.2021, Ra 2019/19/0428 mwN).
Die Verfolgungsgefahr muss aktuell sein, was bedeutet, dass sie zum Zeitpunkt der Entscheidung vorliegen muss; auf diesen Zeitpunkt hat die der Asylentscheidung immanente Prognose abzustellen, ob der Asylwerber mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit Verfolgung aus den in Art 1 Abschnitt A Z 2 GFK genannten Gründen zu befürchten habe (VwGH 19.10.2000, Zl. 98/20/0233). Für die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten ist demnach zum einen nicht zwingend erforderlich, dass der Antragsteller bereits in der Vergangenheit verfolgt wurde, zum anderen ist auch eine bereits stattgefundene Verfolgung ("Vorverfolgung") für sich genommen nicht hinreichend. Selbst wenn daher der Antragsteller im Herkunftsstaat bereits asylrelevanter Verfolgung ausgesetzt war, ist entscheidend, ob er im Zeitpunkt der Entscheidung (der Behörde beziehungsweise des Verwaltungsgerichtes) weiterhin mit einer maßgeblichen Wahrscheinlichkeit mit Verfolgungshandlungen rechnen müsste (vgl. VwGH 03.09.2021, Ra 2021/14/0108 mwN).
Geht die auf einem Konventionsgrund beruhenden Verfolgung von Privatpersonen bzw. privaten Gruppierungen aus, kommt ihr nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes dann Asylrelevanz zu, wenn der Staat nicht gewillt oder nicht in der Lage ist, diese Verfolgungshandlungen hintan zu halten. Die Schutzfähigkeit und -willigkeit der staatlichen Behörden ist dabei grundsätzlich daran zu messen, ob im Heimatland wirksame Rechtsvorschriften zur Ermittlung, Strafverfolgung und Ahndung von Handlungen, die eine Verfolgung oder einen ernsthaften Schaden darstellen, vorhanden sind und ob die schutzsuchende Person Zugang zu diesem Schutz hat. Dabei muss auch bei Vorhandensein von Strafnormen und Strafverfolgungsbehörden im Einzelfall geprüft werden, ob die betroffene Parteien unter Berücksichtigung ihrer besonderen Umstände in der Lage sind, an diesem staatlichen Schutz wirksam teilzuhaben (vgl. VwGH 14.04.2021, Ra 2020/18/0126 mwN).
Die Voraussetzungen der GFK sind nur bei jenem Flüchtling gegeben, der im gesamten Staatsgebiet seines Heimatlandes keinen ausreichenden Schutz vor der konkreten Verfolgung findet (VwGH 08.10.1980, VwSlg. 10.255 A). Steht dem Asylwerber die Einreise in Landesteile seines Heimatstaates offen, in denen er frei von Furcht leben kann und ist ihm dies zumutbar, so bedarf er des asylrechtlichen Schutzes nicht; in diesem Fall liegt eine sog. "inländische Fluchtalternative" vor. Der Begriff "inländische Fluchtalternative" trägt dem Umstand Rechnung, dass sich die wohlbegründete Furcht vor Verfolgung iSd Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK, wenn sie die Flüchtlingseigenschaft begründen soll, auf das gesamte Staatsgebiet des Heimatstaates des Asylwerbers beziehen muss (VwGH 08.09.1999, Zl. 98/01/0503 und Zl. 98/01/0648).
Das Asylverfahren bietet nur beschränkte Möglichkeiten, Sachverhalte, die sich im Herkunftsstaat des Asylwerbers ereignet haben sollen, vor Ort zu verifizieren. Hat der Asylwerber keine anderen Beweismittel, so bleibt ihm lediglich seine Aussage gegenüber den Asylbehörden, um das Schutzbegehren zu rechtfertigen. Diesen Beweisschwierigkeiten trägt das österreichische Asylrecht in der Weise Rechnung, dass es lediglich die Glaubhaftmachung der Verfolgungsgefahr verlangt. Dabei hat der Asylwerber im Rahmen seiner Mitwirkungspflicht nach § 15 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005 alle zur Begründung des Antrags auf internationalen Schutz erforderlichen Anhaltspunkte über Nachfrage wahrheitsgemäß darzulegen (VwGH 12.03.2020, Ra 2019/01/0472).
Glaubhaftmachung bedeutet, die Behörde davon zu überzeugen, dass der behauptete Sachverhalt wahrscheinlich verwirklicht oder nicht verwirklicht worden ist (Walter/Thienel, Verwaltungsverfahrensgesetze I², Anm. 1 zu § 45, S. 640). Die „Glaubhaftmachung" wohlbegründeter Furcht setzt positiv getroffene Feststellungen seitens der Behörde und somit die Glaubwürdigkeit der „hierzu geeigneten Beweismittel“, insbesondere des diesen Feststellungen zugrundeliegenden Vorbringens des Asylwerbers voraus (VwGH 29.04.1992, 90/13/0201; 22.12.1992, 91/04/0019; 11.06.1997, 95/01/0627; 19.03.1997, 95/01/0466).
3.1. Wie bereits im Rahmen der Beweiswürdigung dargelegt, ist es schon wegen der fehlenden Zugriffsmöglichkeit des vormaligen syrischen Regimes unter der Führung von Bashar al-Assad auf die unter Kontrolle der HTS stehende Herkunftsregion des Beschwerdeführers nicht als maßgeblich wahrscheinlich anzusehen, dass dem Beschwerdeführer aktuell in seiner Herkunftsregion tatsächlich eine Verfolgung durch dieses vormalige Regime drohen würde.
Des Weiteren haben sich – wie beweiswürdigend ausgeführt – auf den konkreten Fall bezogenkeine Hinweise darauf ergeben, dass der Beschwerdeführer vonseiten einer der bewaffneten Konfliktparteien aufgrund (unterstellter) oppositioneller Gesinnung oder aus sonstigen Gründen der realen Gefahr von Verfolgung ausgesetzt ist.
Schließlich droht dem Beschwerdeführer bei einer Rückkehr in sein Herkunftsgebiet in Syrien auch nicht bloß wegen seiner Ausreise, der Stellung eines Antrags auf internationalen Schutz in Österreich oder der Herkunft aus einem ehemaligen Oppositionsgebiet Lebensgefahr oder ein Eingriff in seine körperliche Integrität durch die HTS. Dem Beschwerdeführer droht in seinem Herkunftsstaat insbesondere keine maßgebliche Gefahr seitens der HTS auf Grund der gegenständlichen Asylantragstellung mit der Anwendung von physischer und/oder psychischer Gewalt bedroht zu werden, insbesondere weil die HTS, welche derzeit die Kontrolle in seiner Heimatregion innehat, davon nichts bekannt ist.
Auch aufgrund seiner ethnischen Zugehörigkeit, seiner Religion, seiner Staatsangehörigkeit und seiner etwaigen Zugehörigkeit zu einer sozialen Gruppe unterliegt der Beschwerdeführer in seinem Herkunftsstaat nicht mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit der Gefahr, Eingriffe in seine physische und psychische Integrität zu erleiden.
Die Durchsicht der aktuellen Länderberichte zur Herkunftsregion des Beschwerdeführers erlaubt es auch nicht anzunehmen, dass gegenständlich sonstige mögliche Gründe für die Befürchtung einer entsprechenden Verfolgungsgefahr vorliegen.
Dem Beschwerdeführer ist es damit nicht gelungen, eine konkret und gezielt gegen seine Person gerichtete aktuelle Verfolgung von maßgeblicher Intensität, welche ihre Ursache in einem der in der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Gründe hätte, glaubhaft zu machen. Auch haben sich im Verfahren ansonsten keine Anhaltspunkte ergeben, die eine Verfolgung des Beschwerdeführers aus asylrelevanten Gründen im Herkunftsstaat maßgeblich wahrscheinlich erscheinen ließen.
Die allgemeine Lage in Syrien ist nicht dergestalt, dass automatisch jedem Antragsteller der Status eines Asylberechtigten zuerkannt werden müsste.
Der allgemeinen Gefährdung der Beschwerdeführer durch die derzeitige Sicherheitslage und Versorgungslage in Syrien, vor allem aufgrund der Ungewissheit wie sich die Sicherheitslage nach dem Sturz des Assad-Regimes weiterentwickelt, wurde im gegenständlichen Verfahren mit der Zuerkennung des Status eines subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 8 AsylG 2005 bereits vorab Rechnung getragen.
Der Vollständigkeit halber sei noch darauf hingewiesen, dass die im Dezember 2024 veröffentlichte Position der UNHCR der vorliegenden Entscheidung nicht entgegensteht:
Die von UNHCR thematisierten Fragen der freiwilligen Rückkehr („Voluntary Returns“) sowie des Moratoriums zwangsweiser Rückführungen („Moratorium on Forced Returns“) sind mit Blick auf den Gegenstand der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts nicht relevant.
Des Weiteren plädiert die UNHCR dafür, dass vorerst keine negativen Asylanträge von syrischen Staatsangehörigen und Staatenlosen, die früher ihren gewöhnlichen Aufenthalt in Syrien hatten, erlassen werden. Zutreffend weist UNHCR zunächst darauf hin, dass das Risiko einer Verfolgung durch die einstige Regierung, also das Assad-Regime, geendet habe. Diese Ausführungen stehen im Einklang mit den Informationen, auf die sich das Bundesverwaltungsgericht in seiner Entscheidung stützt. Soweit UNHCR allerdings vermeint, dass andere Risiken fortbestehen oder zunehmen könnten, ist festzuhalten, dass das Vorbringen einer asylrelevanten Verfolgung infolge der Lageänderung in Syrien ab Ende November/Anfang Dezember 2024 eine entsprechende Glaubhaftmachung am – rechtskundig vertretenen und über seine Mitwirkungspflicht mehrfach belehrten – Beschwerdeführer liegt. Zum für die Beurteilung und Entscheidung maßgeblichen Zeitpunkt ist jedenfalls von keiner asylrelevanten Verfolgung des Beschwerdeführers durch einen der Akteure in Syrien auszugehen. Im Übrigen ist beachtlich, dass auch UNHCR keine neuen Verfolgungsrisken ins Treffen führt, sondern sich bloß allgemein auf die in Syrien vorherrschende Unsicherheit und Instabilität bezieht. Vor diesem Hintergrund sei abschließend noch einmal daran erinnert, dass der Beschwerdeführer ohnedies bereits den Status des subsidiär Schutzberechtigten innehat.
3.2. Die Beschwerde gegen Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides war daher gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 als unbegründet abzuweisen.
Zu B) Unzulässigkeit der Revision:
Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen. Nach Art. 133 Abs. 4 erster Satz B-VG idF BGBl. I Nr. 51/2012 ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (vgl. die unter Punkt II.3. angeführten Erkenntnisse des Verwaltungsgerichtshofes) ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Das Bundesverwaltungsgericht konnte sich bei allen erheblichen Rechtsfragen auf eine ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes stützen, die bei den jeweiligen Erwägungen wiedergegeben wurde. Insoweit die in der rechtlichen Beurteilung angeführte Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes zu früheren Rechtslagen ergangen ist, ist diese nach Ansicht des Bundesverwaltungsgerichtes auf die inhaltlich meist völlig gleichlautenden Bestimmungen der nunmehr geltenden Rechtslage unverändert übertragbar. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.
Daher war spruchgemäß zu entscheiden.