Spruch
L516 2296744-1/11E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Mag. Paul NIEDERSCHICK über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , Staatenlos/Gazastreifen, vertreten durch die BBU GmbH gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 21.06.2024, 1345853110-230534255, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung zu Recht:
A) Der Beschwerde des XXXX wird stattgegeben und ihm wird gemäß § 3 Abs. 1 AsylG der Status des Asylberechtigten zuerkannt. Gemäß § 3 Abs 5 AsylG wird festgestellt, dass XXXX damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.
B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
Entscheidungsgründe:
Der Beschwerdeführer ist staatenlos, sein Herkunftsort ist der Gazastreifen. Er stellte am 13.03.2023 einen Antrag auf internationalen Schutz. Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) wies mit gegenständlich angefochtenem Bescheid den Antrag des Beschwerdeführers (I.) gemäß § 3 Abs 3 Z 2 iVm § 2 Z 13 und § 6 Abs 1 Z 2 und 3 AsylG bezüglich der Zuerkennung des Status eines Asylberechtigten ab. Das BFA wies den Antrag zudem (II.) gemäß § 8 Abs 3a iVm § 9 Abs 2 AsylG hinsichtlich des Status des subsidiär Schutzberechtigten ab und stellte fest, dass eine Abschiebung in die Palästinensischen Gebiete – Gaza – unzulässig ist.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde. Die Beschwerde wird zur Gänze angefochten.
Das Bundesverwaltungsgericht führte in der Folge am 20.02.2025 eine mündliche Verhandlung durch, an welcher der Beschwerdeführer mit seiner Rechtsvertretung in Präsenz und die belangte Behörde via Videokonferenzschaltung (§ 25a VwGVG) teilnahmen.
1. Sachverhaltsfeststellungen:
[regelmäßige Beweismittel-Abkürzungen: S=Seite; AS=Aktenseite des Verwaltungsaktes des BFA; NS=Niederschrift; VS=Verhandlungsschrift; OZ=Ordnungszahl des Verfahrensaktes des Bundesverwaltungsgerichtes]
1.1 Zur Person des Beschwerdeführers
Der Beschwerdeführer führt in Österreich den im Spruch angeführten Namen und sowie das ebenso dort angeführte Geburtsdatum. Der Beschwerdeführer ist im Gazastreifen geboren und ist ein staatenloser Palästinenser. Er ist nicht bei der UNRWA registriert. Seine Identität steht fest. (BFA Bescheid S 25, 35)
Der Beschwerdeführer ist strafrechtlich unbescholten. (SA)
Das BFA hatte aufgrund des Vorbringens des Beschwerdeführers in seiner Einvernahme vom 08.11.2023 und des deshalb vom BFA angenommenen Verdachts auf Vorliegen einer Straftat mit Terrorbezug am 21.01.2024 einen Bericht an das Landesamt Staatsschutz und Extremismusbekämpfung XXXX (LSE) übermittelt. Das LSE berichtete darüber am 29.01.2024 der Staatsanwaltschaft XXXX zur strafrechtlichen Beurteilung gemäß § 100 Abs 3a StPO, da aus Sicht der Kriminalpolizei kein Anfangsverdacht vorlag oder sie Zweifel hatte, ob ein Anfangsverdacht vorliegt. (Bericht Landesamt Staatsschutz und Extremismusbekämpfung XXXX (LSE) vom 29.01.2024 (OZ 8)) Die Staatsanwaltschaft Klagenfurt hat in der Folge von der Einleitung eines Ermittlungsverfahrens gemäß § 35c StAG abgesehen, weil kein Anfangsverdacht (§ 1 Abs 3 StPO) besteht. (Verständigung vom Absehen von der Einleitung eines Ermittlungsverfahrens vom 05.03.2024 (OZ 8))
1.2 Zum Ausreisegrund und zur bestehenden Gefahr bei einer Rückkehr
1.2.1 Zum Ausreisegrund
Dem Beschwerdeführer wurde bereits vor seiner Ausreise von der Hamas wegen seiner kritischen Äußerungen über Praktiken der Hamas festgenommen, mehrere Tage festgehalten, verhört und misshandelt.
Zusammengefasst verdiente der Beschwerdeführer – soweit für den vorliegenden Fall relevant – vor seiner Ausreise im Gazastreifen seinen Lebensunterhalt damit, von zwei Firmen medizinisches Gebrauchs- und Verbrauchsgüter anzukaufen und diese in der Folge an Ärzt:innen und Student:innen weiterzuverkaufen.
Bei einem Teil der medizinischen Waren, die er von einem Unternehmen namens XXXX , bezog, handelte es sich um Spenden anderer Staaten an ein Krankenhaus im Gazastreifen, die nicht für den Verkauf bestimmt waren und deren Verkauf illegal war, was dem Beschwerdeführer auch bewusst war. Allerdings wusste der Beschwerdeführer nicht, von wem XXXX diese Spenden bezog, weshalb er nicht wissentlich die Hamas unterstützt hat.
Als der Beschwerdeführer Anfang Mai 2019 eines Tages bei XXXX einen Mann namens XXXX sah, den er als Mitglied der Hamas und als Sohn eines der Führungskräfte der Hamas erkannte und mit dem er eine alte Verfeindung hatte. Der Beschwerdeführer fragte deshalb kurz darauf den Besitzer von XXXX , ob die nicht für den Verkauf bestimmten Waren von jenem XXXX stammten, sagte ihm der Besitzer, dass er den Mund halten solle. Ein Mitarbeiter von XXXX , den der Beschwerdeführer anschließend fragte, bestätigte dem Beschwerdeführer dann, dass jene Waren von jenem Mitglied der Hamas bezogen wurden. Das war für den Beschwerdeführer ein Schock und er erzählte anschließend auch seinen Freunden davon, dass er darauf gekommen ist, dass jene Personen diese Sachen aus dem Krankenhaus genommen hätten. In der Folge wurde er von den im Gazastreifen unter der Kontrolle der Hamas stehenden Sicherheitsbehörden vorgeladen und festgenommen. Diese Ereignisse fanden innerhalb weniger Tage statt. Nach seiner Festnahme wurde er von den Sicherheitsbehörden mehrere Tage festgehalten und verhört. Ihm wurde vorgeworfen, für die Palästinensische Autonomiebehörde oder für Israel und gegen die Hamas zu arbeiten. Im Zuge seiner anschließenden Freilassung wurde er in einem Lieferwagen geschlagen, ihm wurden dabei mehrere Knochen gebrochen und er wurde aus dem fahrenden Auto geworfen.
Nach der medizinischen Behandlung und Genesung von diesen Misshandlungen, die insgesamt ungefähr 17-18 Monate dauerte, nahm der Beschwerdeführer seine Arbeit wieder auf. Er bezog dazu zwar auch wieder Waren von XXXX , da bestimmte Waren nur bei diesem Unternehmen erhältlich waren, wobei er allerdings nicht mehr die ursprünglich gespendeten und nicht für den Verkauf bestimmten Waren kaufte, sondern nur noch legale Waren für den Weiterverkauf erwarb.
Als der Beschwerdeführer im Jahr 2022 auf einer Messe für medizinisches Zubehör für ein Konkurrenzunternehmen von XXXX arbeitete, erzählte er davon, was er über XXXX wusste, dass XXXX illegal gespendete Waren von der Hamas bezog und weiterverkaufte. Aus diesem Grund erhielt der Beschwerdeführer wenige Tage danach erneut eine Ladung von der Polizei. Der Beschwerdeführer befolgte die Ladung nicht, sondern flüchtete innerhalb weniger Tage aus dem Gazastreifen nach Ägypten. (NS EV 08.11.2023 S 12 ff; NS EV 25.04.2024 S 4 ff; VS 20.02.2025 S 4 ff)
1.2.2 Zur bestehenden Gefahr bei einer Rückkehr
Dem Beschwerdeführer wurde bereits vor seiner Ausreise von den unter der Kontrolle der Hamas stehenden Sicherheitsbehörden wegen seiner kritischen Äußerungen über die Hamas vorgeworfen, für die Palästinensische Autonomiebehörde oder für Israel und gegen die Hamas zu arbeiten. Einer weiteren Festnahme aus diesem Grund entzog er sich durch Flucht aus dem Gazastreifen. (NS EV 08.11.2023 S 12 ff; NS EV 25.04.2024 S 4 ff; VS 20.02.2025 S 4 ff)
Der Beschwerdeführer lehnt die Hamas ab, hält die Leute der Hamas für Terroristen und äußert sich auch offen dazu. (NS EV 08.11.2023 S 16; VS 20.02.2025 S 5, 6, 13)
Dem Beschwerdeführer droht aufgrund seiner Vorverfolgung im Gazastreifen und seiner kritischen Haltung über die Hamas bei einer Rückkehr im ganzen Gazastreifen mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit Verfolgung und Eingriffe in seine körperliche Integrität in erheblichen Ausmaß in Form von Festnahmen, Verhören und Misshandlungen durch die Hamas und die unter der Kontrolle der Hamas stehenden Sicherheitsbehörden.
1.3 Zur Ländersituation im Gazastreifen
BAMF - Briefing Notes
31.03.2025
Proteste gegen Hamas in Gaza
Als seltenes Zeichen des Widerstands innerhalb des Gazastreifens protestierten vom 25.03. bis 27.03.25 hunderte Palästinenserinnen und Palästinenser gegen eine Fortsetzung des Krieges. Auch Parolen gegen die Hamas sollen von einigen Teilnehmenden skandiert worden sein.
Die Demonstrationen fanden in verschiedenen Ortschaften, darunter Gaza Stadt, Nuseirat und Deir al-Balah statt. Ein blutiges Niederschlagen der Proteste, wie Hamas sie in der Vergangenheit vornahm, blieb nach gegenwärtigem Stand aus. Dies ist mutmaßlich auf einen Rückgang der gesellschaftlichen Unterstützung für Hamas im Gazastreifen sowie der eigenen reduzierten Mobilisierungsmöglichkeiten aufgrund der Gefahr israelischer Luftschläge zurückzuführen. Berichten zufolge sei die Berichterstattung über die Proteste durch die Polizeikräfte der Hamas mindestens teilweise behindert worden. Die Familie eines Demonstrationsteilnehmers gab außerdem an, er sei aufgrund seiner Teilnahme durch die Hamas entführt und zu Tode gefoltert worden. Zuvor seien Drohungen der Hamas gegen die Demonstrierenden ergangen.
Hamas und ihnen nahestehende Medien versuchten, die Proteste als israelfeindlich darzustellen. Eine der größten arabischen (überregionalen) Tageszeitungen zitierte in einem Artikel vom 28.03.25 Quellen innerhalb der Hamas, 6 die berichtet hätten, dass mehrere Personen, die durch Hamas der Spionage für Israel bezichtigt wurden, durch die Gruppierung hingerichtet worden seien. Die genaue Zahl blieb jedoch unbekannt.
Gazastreifen: Kampfhandlungen fortgesetzt
Seit dem 18.03.25 werden erneut gegenseitige Angriffe zwischen dem israelischen Militär und Hamas sowie damit einhergehende zivile Opfer im Gazastreifen dokumentiert. Die israelische Armee erließ verschiedenen Berichten zufolge Evakuierungsanordnungen für verschiedene Teile des Gazastreifens, die am 23.03.25 zusammen genommen etwa 15 % des gesamten Gebiets umfassten. Zahlreiche Palästinenserinnen und Palästinenser, die gerade erst dorthin zurückgekehrt waren, sahen sich erneut zur Flucht innerhalb des Küstenstreifens gezwungen.
Medienberichten zufolge unterbinden die israelischen Behörden seit dem 02.03.25 die Einfuhr von humanitären Hilfsgütern in den Gazastreifen. Die Versorgung mit essentiellen medizinischen Gütern, wie Betäubungsmitteln, und Lebensmitteln droht daher erschöpft zu werden. Die UN gaben bereits am 30.01.25 an, dass Bäckereien im Gazastreifen innerhalb einer Woche ihre Arbeit würden einstellen müssen. Die Marktpreise für Lebensmittel schossen in die Höhe. 2 kg Zwiebeln würden demnach bis zu 14 USD kosten, 1 kg Tomaten etwa 6 USD.
Nachdem am 19.03.25 eine internationale UN-Mitarbeiterin bei der Bombardierung eines UN-Gebäudes getötet und sechs weitere Mitarbeitende verwundet worden waren, gaben die UN an, ihre Präsenz in dem Gebiet um etwa ein Drittel ihres internationalen Personals verringern zu wollen. Lokale Angestellte würden jedoch regulär weiterarbeiten.
Am 24.03.25 gab das palästinensische Gesundheitsministerium zudem erneut eine Liste mit den identifizierbaren Namen von Todesopfern in Folge des Krieges heraus, die 50.251 Namen umfasst. Davon sind etwa 30 % minderjährig und rd. 45 % Männer im wehrfähigen Alter. Erwachsene Frauen machen etwa 16 % der Opfer aus, eine ähnlich große Zahl sind Senioren beiderlei Geschlechts.
24.03.2025
Situation in Gaza
Seit dem 18.03.25 wurden die Kampfhandlungen in Gaza von Seiten der israelischen Streitkräfte wiederaufgenommen. Hamas und Israel werfen sich dabei gegenseitig die Verletzung des Waffenstillstandsabkommens vor, nach dem u.a. einerseits indirekte Verhandlungen über ein Ende des Krieges beginnen sowie die Hälfte der verbliebenen Geiseln zu Beginn der zweiten Phase des Waffenstillstandes hätten freigelassen werden sollen. Die Schläge des israelischen Militärs zielen derzeit sichtbar auf die Fähigkeiten der Hamas, den Gazastreifen zu verwalten. Mehrere hochrangige Mitglieder der Verwaltung der Hamas sollen dabei ums Leben gekommen sein, darunter auch das Oberhaupt der Verwaltung Gazas, Issam ad-Da‘alis. Im Gegenzug kam es am 20.03.25 erneut zu ungezielten Raketenangriffen der Hamas auf Israel, die dem israelischen Militär zufolge aber abgefangen wurden. Nach Aussagen des von der Hamas geführten Gesundheitsministeriums in Gaza hat die Zahl der seit dem 07.10.23 getöteten Einwohnerinnen und Einwohner Gazas nun die Schwelle von 50.000 überschritten. Das Gesundheitsministerium unterscheidet nicht zwischen zivilen und militärischen Toten.
17.03.2025
Israelische Elektrizitätsversorgung für Gaza eingestellt
In einer Stellungnahme am 09.03.25 erklärte der israelische Energieminister, mit sofortiger Wirkung die Stromversorgung für den Gazastreifen eingestellt zu haben. Er begründete den Schritt damit, Druck auf die Hamas ausüben zu wollen, damit diese die verbleibenden Geiseln freiließe und den Küstenstreifen nach einem Ende des Krieges nicht länger regieren können würde.
Die tatsächlichen Auswirkungen sollen Medienberichten zufolge begrenzt sein, da die Stromversorgung für die meisten Menschen in dem Gebiet ohnehin stark begrenzt war. So soll bis zum Ausbruch des Krieges einer Studie von 2023 zufolge mehr als die Hälfte der Stromversorgung im Gazastreifen durch verschiedene, meist private Quellen wie Dieselgeneratoren oder Solaranlagen sichergestellt worden sein. Aufgrund des Stopps der Einfuhren humanitärer Lieferungen ist jedoch die Verfügbarkeit von Treibstoff für die Generatoren ebenfalls gefährdet. Der Schritt des israelischen Energieministeriums brachte die Arbeit einer Kläranlage und einer Entsalzungsanlage zur Gewinnung von Trinkwasser zum Erliegen, die bisher mit israelischem Strom betrieben wurden. Ein Sprecher des Politbüros der Hamas bezeichnete die israelische Maßnahme als „Zeitverschwendung“ vor dem Hintergrund laufender Verhandlungen über eine Beendigung des Krieges.
Noch 59 israelische Geiseln in Gefangenschaft
Von den insgesamt 251 Personen, die am 07.10.23 von Israel nach Gaza entführt wurden, sind Medienberichten zufolge inzwischen etwas mehr als 130 im Rahmen von Abkommen, die auch die Freilassung von palästinensischen Häftlingen aus israelischen Gefängnissen beinhalteten, lebendig zurückgekehrt.
Die israelische Regierung geht davon aus, dass derzeit noch 59 Personen in Gaza gefangen gehalten werden. Nur noch 24 von ihnen sollen demnach am Leben sein.
Israelischen Angaben zufolge sollen sieben Personen von ihren Geiselnehmern hingerichtet worden sein, als sich israelische Militärangehörige ihnen näherten. Vier weitere Geiseln sollen demnach in Folge von israelischen Luftschlägen ihr Leben verloren haben. Drei Geiseln sollen irrtümlicherweise durch israelischen Beschuss getötet worden sein, weil sie für bewaffnete Palästinenser gehalten worden sind. In einem Fall soll eine Person in einem Kreuzfeuer ums Leben gekommen sein. In 26 weiteren Fällen sind die Todesumstände bislang ungeklärt.
Auch etwa 40 Leichname, einige darunter von Personen, die am 07.10.23 getötet und anschließend leblos nach Gaza verschleppt wurden, soll das israelische Militär inzwischen zurückgeholt haben. Acht Leichname wurden im Februar 2025 durch die Hamas übergeben.
Im Rahmen mit der Hamas geschlossenen Abkommen zur Freilassung israelischer Geiseln sollen Medienberichten zufolge inzwischen mehr als 1.000 palästinensische Gefangene aus ihrer Haft entlassen worden sein. Die Mehrheit von ihnen soll demnach ohne eine Anklage in Administrativhaft gehalten oder wegen geringfügiger Vergehen von israelischen Sicherheitsbehörden inhaftiert gewesen sein. Diese Gruppe wird von großen Teilen der palästinensischen Gesellschaft ebenfalls als Geiseln im weiteren Sinne des israelisch-palästinensischen Konflikt betrachtet.
Unter den Freigelassenen befinden sich Berichten zufolge jedoch auch über 200 Gewalttäter, die für Mord, Beteiligung an Anschlägen oder andere Verbrechen in Haft waren, so bspw. auch der am 25.01.25 freigelassene Ashraf Zughayer. Zughayer soll ein Selbstmordattentat orchestriert haben, bei dem im September 2002 sechs Menschen vor der Hauptsynagoge in Tel Aviv getötet wurden. Er hatte die Tat gestanden und ist heute 46 Jahre alt. Nach seiner Freilassung wurde er in Ostjerusalem von einer jubelnden Menge empfangen.
03.03.2025
Gazastreifen: Ende der ersten Phase des Waffenstillstands; Stopp humanitärer Einfuhren in den Gazastreifen
Am 01.03.25 endete die erste Phase des im Januar 2025 abgeschlossenen Waffenstillstands zwischen Israel und Hamas (vgl. BN v. 20.01.25). Die darin vorgesehenen Verhandlungen zu den Bedingungen und Umständen der zweiten Phase des Waffenstillstandes konnten bislang jedoch nicht abgeschlossen werden, sodass das weitere Vorgehen zunächst unklar bleibt.
Die US-Regierung schlug eine Verlängerung der ersten Phase um sieben Wochen vor, der die israelische Regierung zugestimmt hatte. Hamas lehnte den Vorschlag ab und hielt an der Vereinbarung fest, die den Übergang in Phase Zwei vorsieht. Im Rahmen der zweiten Phase sollte der Krieg dauerhaft beendet und alle verbliebenen israelischen Truppen aus dem Gazastreifen abgezogen werden. Außerdem sollten weitere israelische Geiseln und palästinensische Gefangene in vereinbarten Austauschen freigelassen werden. Der neue amerikanisch-israelische Vorschlag sähe im Rahmen der Verlängerung des Waffenstillstandes zu Beginn der sieben Wochen die Freilassung der Hälfte der noch lebenden sowie toten Geiseln vor.
Bislang wurden im Rahmen des Waffenstillstandabkommens 25 lebende und acht getötete Geiseln an Israel übergeben. Im Gegenzug wurden mehr als 1.500 palästinensische Gefangene freigelassen. Noch immer sollen sich Angaben der israelischen Regierung zufolge 25 Geiseln sowie die sterblichen Überreste von 30 getöteten Geiseln im Gazastreifen befinden. Obgleich das Kriegsgeschehen bislang von keiner Seite wieder aufgenommen wurde, bereiten sich beide auf eine Fortsetzung der Kämpfe, im Falle des Scheiterns von weiteren Verhandlungen, vor. Nur wenige Stunden nach der Veröffentlichung des neuen Vorschlags verkündete die israelische Regierung am 02.03.25 die Aussetzung aller humanitären Hilfen (mit Ausnahme von Wasser) in den Gazastreifen. Medien berichten, dies diene dazu, den Druck auf Hamas zu erhöhen, der Verlängerung des Waffenstillstandes zuzustimmen. Der Stopp dürfte die humanitäre Situation und Versorgungslage im Gazastreifen nach einer deutlichen Verbesserung durch erhöhte Einfuhren nach Abschluss des Waffenstillstandabkommens, erneut beeinträchtigen.
Die winterlichen Bedingungen stellen die Bevölkerung vor große Herausforderungen. Nach Angaben der Gesundheitsbehörde seien sechs Neugeborene aufgrund des kalten Wetters in Khan Younis und Gaza Stadt gestorben.
17.02.2025 Gazastreifen: Geiseln- und Gefangenenaustausch; weitreichende Zerstörung in Gaza
Nachdem die Hamas zunächst mit der Aussetzung der Geiselübergabe drohte, kam es am 15.02.25 doch zur Freilassung dreier Geiseln im Gegenzug zur Freilassung von 369 palästinensischen Gefangenen. Die Hamas hatte Israel vorgeworfen, die Waffenstillstandsvereinbarung gebrochen zu haben, da die Einfuhr einiger elementarer Hilfsgüter, wie Zelte, in den Gazastreifen nicht in ausreichendem Maße stattfand.
Am 16.02.25 wurden drei Personen in dem im Süden des Gazastreifens gelegenen Rafah durch Beschuss einer Kampfdrohne getötet und eine weitere Person wurde verwundet. Die Hamas gab kurz darauf an, es habe sich um Hamas-Polizisten gehandelt, die humanitäre Hilfsgüter gesichert hätten, während das israelische Militär meldete, die Personengruppe habe sich den dort stationierten israelischen Truppen genähert. Bei der verletzten Person soll es sich Angaben der palästinensischen Nachrichtenagentur Wafa um eine Zivilperson handeln. Die Hamas warf dem israelischen Militär erneut Verhalten vor, dass die Waffenstillstandsvereinbarung bräche.
10.02.2025 Gazastreifen: Geiseln- und Gefangenenaustausch; weitreichende Zerstörung in Gaza
Im Rahmen des Waffenstillstandes gewährte die Hamas am 30.01.25 und am 08.02.25 die Freilassung von insgesamt 16 Geiseln, darunter auch fünf thailändische Staatsangehörige. Im Gegenzug wurden mehrere Hundert palästinensische Gefangene aus israelischen Gefängnissen entlassen. Seit Einstellung der Kampfhandlungen am 19.01.25 wurden damit insgesamt 21 Geiseln gegen 730 palästinensische Gefangene getauscht.
Im Gazastreifen und an seinen Grenzen, kommt es zwar vereinzelt immer wieder zum Einsatz von Waffen, grundsätzlich hält die erste Phase des Waffenstillstands bislang jedoch an.
Am 01.02.25 wurde der Rafah-Grenzübergang für die Evakuierung von medizinischen Patientinnen und Patienten geöffnet. Seitdem sind Krankentransporte und die Einfuhr von humanitären Hilfen über den Grenzübergang erneut möglich. Am 09.02.25 zog sich das israelische Militär außerdem aus dem sogenannten Netzarim-Korridor zurück, der den Norden und Süden des Gazastreifens teilte und dementsprechend einen wichtigen Übergang für die nach Nord-Gaza zurückkehrende Zivilbevölkerung darstellt.
Insbesondere im Norden des Gazastreifens ist die Infrastruktur weitreichend zerstört. Obgleich der Bedarf hoch ist, ist ein Großteil der Gesundheitseinrichtungen zerstört und die verfügbare medizinische Versorgung nicht ausreichend. Laut Angaben der WHO sind derzeit nur die Hälfte der 36 Krankenhäuser im Gazastreifen in Teilen funktionsfähig, außerdem seien zwei Drittel der Gesundheitszentren geschlossen. Der Bedarf sei nach Monaten des bewaffneten Konflikts jedoch deutlich höher als zuvor und würde schätzungsweise auch 30.000 Personen betreffen, die aufgrund lebensverändernder Verletzungen, wie bspw. Amputationen, längerfristiger Reha-Maßnahmen bedürfen. 12.000 dieser Personen benötigten demnach spezielle Behandlungen und müssten hierzu evakuiert werden. Außerdem gibt es kaum sauberes Wasser und Abwassersysteme, was wiederum die Gefahr von Infektionskrankheiten, ähnlich dem Polioausbruch im vergangenen Jahr, weiter erhöhe. Kampfmittelrückstände, aber auch giftige Substanzen und menschliche Überreste in Ruinen von Häusern stellen weitere Herausforderungen dar.
Landwirtschaftliche Grundlagen und Ausrüstung wurde ebenfalls in großen Teilen zerstört. So ergaben Auswertungen von Satellitenbildern vom 31.12.24, dass etwa 75 % der landwirtschaftliche genutzten Flächen und Olivenhaine beschädigt oder zerstört worden sein sollen. Der Rinderbestand schrumpfte um 96 %, während noch mehr als 25.000 Schafe (43 % des Viehbestands vor Oktober 2023) und 3.000 Ziegen (37 %) zu finden sind.
Die Zahl der Lieferungen mit humanitären Hilfsgütern hat deutlich zugenommen und ist über mehrere Grenzübergänge möglich. Obgleich es noch immer zu Schwierigkeiten bei der Verteilung kommt, aufgrund der zerstörten Infrastruktur und des Missbrauchs der Lieferungen durch Mittelsmänner, erreichen mehr Lieferungen die Menschen im Gazastreifen als während der aktiven Kampfhandlungen. Darüber hinaus sanken die Preise für zahlreiche Lebensmittel langsam, auch wenn sie noch immer auf einem deutlich höheren Niveau als vor Oktober 2023 liegen.
13.01.2025 Gazastreifen: Aktuelle Entwicklungen; Humanitäre Lage
Angaben des Hamas-geführten Gesundheitsministeriums vom 08.01.25 zufolge wurden seit Beginn des Gaza-Krieges im Oktober 2023 mindestens 45.936 palästinensische Personen im Gazastreifen getötet und 109.274 weitere verwundet. Das Ministerium unterscheidet offiziell nicht zwischen Kombattanten und Zivilpersonen. Die 6 Zahlen lassen sich nicht unabhängig überprüfen. Nach Angaben des israelischen Militärs vom 29.10.24 wurden seit Beginn der Bodenoffensiven insgesamt 393 israelische Militärangehörige getötet und 2.535 weitere verwundet. Nach der Bergung zweier getöteter Geiseln werden weiterhin 98 Israelis in Gaza vermisst. Die Kämpfe konzentrieren sich derzeit auf den Norden Gazas, der seit Anfang Oktober 2024 unter intensiver Belagerung steht. Die drei wesentlichen Krankenhäuser des Gebietes, das Indonesische Krankenhaus, das Kamal Adwan Krankenhaus und das Al-Awda-Krankenhaus wurden jeweils am 24.12,24, 27.12.24 und 03.01.25 von den israelischen Streitkräften besetzt. Israel verweist auf die Präsenz von teilweise hochrangigen Hamas-Mitgliedern und Waffen in allen drei Einrichtungen, womit sie ihren Schutz nach der Ersten Genfer Konvention (Genfer Abkommen zur Verbesserung des Loses der Verwundeten und Kranken der bewaffneten Kräfte im Felde) verloren hätten. In allen Fällen wurden Verdächtige festgenommen und nicht verdächtige Patienten sowie medizinisches Personal evakuiert. Der Norden Gazas ist Berichten zufolge seit Oktober 2024 nur schwer bis nicht für humanitäre Hilfe zugänglich. Es sei demnach unklar, wie viele Zivilpersonen noch in dem Gebiet verblieben sind. Ebenso stehen keine belastbaren Daten zur Versorgungslage zur Verfügung und es besteht eine große Unsicherheit bezüglich der Verteilung vorhandener Hilfsgüter, da es sowohl zu Schwierigkeiten bei den Grenzübergängen als auch bei der Verteilung in Gaza gibt.
ARD Tagesschau: „Warum die Hamas noch immer so stark ist“, 22.01.2025
https://www.tagesschau.de/ausland/asien/israel-gaza-krieg-hamas-100.html
Israel hat sich die Vernichtung der Hamas zum Ziel gesetzt. Doch nach einem Jahr Krieg erhält die Terrororganisation weiter Zulauf. Viele fragen sich, ob ein militärischer Sieg überhaupt möglich ist.
Von Jan-Christoph Kitzler und Anne Armbrecht, Tel Aviv
Sieht so eine Terrororganisation am Boden aus? Die Bilder, die aus Gaza-Stadt um die Welt gingen, sollen wohl das Gegenteil demonstrieren. Dutzende Männer zeigten sich da im Zentrum der Stadt, wo die israelische Armee sie über Monate heftigst bekämpft hatte. Viele in der Menschenmenge trugen Uniform und waren schwer bewaffnet, hatten grüne Bänder der Hamas um den Kopf gewickelt. Es war ein Zeichen der Stärke, das da am Sonntag gezeigt werden sollte, als die Feuerpause in Kraft trat und drei israelische Geiseln aus der Gefangenschaft freikamen.
Viel Schmerz und ein Gefühl von Verwundbarkeit
Immer wieder hat Israels Regierungschef Benjamin Netanjahu in den letzten Monaten seine Ziele für den Krieg im Gazastreifen wiederholt. "Wir sind entschlossen, den totalen Sieg zu erreichen", sagte er: "Alle Geiseln zurückzubringen, die Auslöschung der Hamas zu vollenden im gesamten Gazastreifen - und sicherzustellen, dass von Gaza nie wieder eine Bedrohung für Israel ausgeht." Der Krieg hatte am 7. Oktober 2023 mit dem Überfall der Hamas und verbündeter Palästinensergruppen auf Israel begonnen. Terroristen ermordeten damals in den Orten in Grenznähe mehr als 1.200 Menschen und verschleppten 250 weitere in den Gazastreifen. Es war das schlimmste Massaker an Jüdinnen und Juden seit dem Holocaust - und es hat neben viel Schmerz auch ein tiefes Gefühl der Verwundbarkeit in der israelischen Gesellschaft hinterlassen.
Ein "totaler Sieg" - was ist das überhaupt?
Durch das Vorgehen gegen die Hamas in Gaza sollten nicht nur die Entführten, sondern den Israelis auch Sicherheit zurückgebracht werden. Doch nach mehr als 15 Monaten Krieg gibt es inzwischen viele, die nicht mehr daran glauben, dass die Hamas verschwindet - und dass ein "totaler Sieg", wie Netanjahu es formuliert, überhaupt möglich ist. Yair Golan fragt sogar, was ein "totaler Sieg" überhaupt sein soll. "Ich kann sagen, dass die, die vom totalen Sieg sprechen, keine Ahnung haben", sagt er. Golan selbst versteht etwas vom Krieg: Er hat für Israel an allen Fronten gekämpft und war unter anderen stellvertretender Generalstabschef. Inzwischen ist er Chef der Arbeitspartei und damit einer der führenden Oppositionspolitiker.
Die Hamas rekrutiert immer neue Kämpfer
Auch wenn es seit Sonntag eine zunächst temporäre Waffenruhe gibt: Der Krieg in Gaza dauert Golan schon viel zu lange. Es gehe dabei nicht nur um die Sicherheit der Israelis, erklärt er: "Ich kenne die Doktrin der israelischen Armee gut: So kurze Kriege wie möglich." Die israelische Armee hat nach eigenen Angaben zwar seit Kriegsbeginn fast 20.000 palästinensische Kämpfer getötet. Schätzungen zufolge sollen vor dem Krieg allein 30.000 bis 40.000 Kämpfer der Hamas angehört haben - dazu kommen weitere der anderen Terrororganisationen wie dem Islamischen Dschihad. Doch einige Berichte sprechen auch davon, dass die Hamas inzwischen mehr als die getöteten 20.000 an neuen Kämpfern rekrutiert hat.
"Sie kommen zur Hamas, um Rache zu nehmen"
Warum, erklärt Fayez Abu Shamaleh in einem Interview mit der ARD. Er war einst Bürgermeister von Khan Yunis, der zweitgrößten Stadt Gazas, im Süden des Küstenstreifens. Die Stadt, die früher etwa 300.000 Menschen bewohnten, ist inzwischen flächendeckend zerstört. Ein unabhängiger Gesprächspartner ist Shamaleh nicht - er gehört zur Hamas." Die Hamas hat Erfolge im Kampf und das zieht junge Leute an, die in der Hamas zu Helden werden wollen", sagt er im Gespräch mit einem ARD-Mitarbeiter in Gaza. "Mich wundert nicht, dass hunderte, vielleicht tausende Palästinenser zur Hamas kommen, wenn ihrer Mütter getötet wurden oder ihre Häuser zerstört sind. Wenn sie ihre verletzten Brüder sehen oder ihre Väter, die kein Essen besorgen können." Die Menschen litten unter den israelischen Angriffen und der Vertreibung, sagt er. "Und sie kommen zur Hamas, um Rache zu nehmen."
Bis zu 90 Prozent von Hunger bedroht
Nach palästinensischen Angaben wurden seit Kriegsbeginn mehr als 46.000 Palästinenserinnen und Palästinenser in Gaza getötet und weitere 110.000 verletzt. Unabhängig prüfen lassen sich die Zahlen nicht, sie unterscheiden nicht zwischen Zivilisten und bewaffneten Kämpfern. Der Krieg hat zu einer flächendeckenden Zerstörung des Gebiets geführt und zur Vertreibung von rund 90 Prozent der Bevölkerung. Das dürfte aber nicht der einzige Grund für den Zulauf bei der Hamas sein: Die Organisation kann neue und alte Kämpfer auch bezahlen. Den Berichten zufolge kontrolliert sie einen Teil der Hilfslieferungen, die in den Gazastreifen kommen. Die Rede ist von einer Art Zollgebühr, die sie einnimmt. Und Kämpfer, die Geld bekommen, kommen dann auch an Essen für ihre Familien. In einem Gebiet, in dem nach UN-Angaben bis zu 90 Prozent der Bevölkerung von Hunger bedroht sind, kann das das Überleben sichern.
"Die Hamas kontrolliert alle Lebensbereiche"
Abu Shamaleh, der frühere Hamas-Bürgermeister von Khan Yunis, betont, dass die Hamas auch nach 15 Monaten im Krieg noch organisiert sei: "Sie kontrolliert die Seelen und Gedanken der palästinensischen Nation, denn sie steht für den Widerstand gegen die Besatzung. Sie kontrolliert alle Lebensbereiche in jeder Straße, durch die Sicherheitskontrollen und Rechtsprechung. Auch Gesundheitswesen und soziale Angelegenheiten. Das alles ist unter Kontrolle der Hamas." Das mag ein wenig übertrieben sein, zumal auch viel an ziviler Infrastruktur wie Schulen und Kliniken bei den Kämpfen und Bombardements zerstört wurde. Aber fest steht auch nach mehr als einem Jahr Krieg: Die Hamas ist noch da. Bis kurz vor Inkrafttreten des Waffenstillstands feuerte sie sogar weiter vereinzelt Raketen in den Süden Israels. Bei Kämpfen und Hinterhalten in Gaza kamen immer wieder israelische Soldaten ums Leben.
Was ist die Alternative?
Yair Golan, der ehemalige General, glaubt, dass Israels Kriegführung falsch ist. Nach seiner Analyse liegt das allerdings nicht an den israelischen Streitkräften, sondern an falschen politischen Entscheidungen." Wenn man Terrororganisationen wie die Hamas bekämpft, muss man hart ihre militärischen Fähigkeiten bekämpfen", sagt er. "Und gleichzeitig brauchen die Menschen in Gaza eine Alternative zur Hamas." Darum hätte man sich seit dem 7. Oktober nicht gekümmert, sagt er. "Das ist das ganz große Versagen dieser Regierung."
Kurzinformation der Staatendokumentation, Israel und Gaza-Streifen: Hamas-Israel Krieg 09.10.2023
Israel:
Laut israelischem Militär sind 800 und 1.000 Hamas-Kämpfer seit Samstag, den 7.10.2023 nach Israel eingedrungen und haben unter anderem elf Militärstützpunkte und mehr als 20 Orte (ORF 9.10.2023c) attackiert. Auch ein Musikfestival wurde überfallen, wobei bisher 260 Leichen aufgefunden wurden (BBC 8.10.2023). 150 Personen, darunter Kinder, sind aus diversen grenznahen Ortschaften (NYT 9.10.2032) sowie Angehörigen zufolge auch von dem Musikfestival (BBC 8.10.2023) als Geiseln in den Gaza-Streifen verschleppt worden (NYT 9.10.2023a).
Bisher soll es in Israel mindestens 700 bestätigte Todesopfer, in der Mehrheit Zivilisten, gegeben haben, aber die Zahl könnte aufgrund noch stattfindender Kampfhandlungen bereits höher sein bzw. steigen (ORF 9.10.2023c).
Aktuell gibt es immer wieder in israelischen Städten Luftalarm wegen Raketen aus dem Gaza-Streifen. Laut israelischen Militärangaben sind zwar weiterhin Hamas-Terroristen in Israel aktiv, aber die israelischen Streitkräfte sollen wieder „die Kontrolle“ über die angegriffenen Orte erlangt haben (ORF 9.10.2023c). Es wurde der Kriegszustand ausgerufen und 300.000 ReservistInnen mobilisiert (ORF 9.10.2023c).
Der Angriff der Hamas signalisiert „ein schwerwiegendes Geheimdienstversagen und eine schwere Fehleinschätzung der Lage“ durch Israel, wobei Israel der Hamas militärisch weit überlegen ist (ORF 9.10.2023b): „Auch zuvor hat es entlang des Grenzzauns Panzerpositionen gegeben, diese sind aber in einiger Entfernung gewesen. Sie haben am Samstag in den Angriff praktisch nicht eingreifen können, da Hamas-Kämpfer, die mit Fluggeräten die Grenze überwunden haben, die zentrale Militärbasis überfallen und die Kommandozentrale ausgeschaltet haben.“ (ORF 9.10.2023c). Ob und wie stark Iran an der Organisation des Angriffs beteiligt war, wird aktuell von den USA und Israel unterschiedlich eingeschätzt. Während Israel davon ausgeht, können die USA aktuell keine Anzeichen dafür sehen (ORF 9.10.2023c).
Es wird aktuell eine Notstands-Einheitsregierung (emergency unity government) unter Einbindung der Opposition diskutiert, und die Kluft in der israelischen Gesellschaft bezüglich des Umbaus der Justiz durch die israelische Regierung „liegt auf Eis“ (ORF 9.10.2023b, vgl. TOI 8.10.2023).
Gaza-Streifen:
Israel reagierte auf den Angriff mit dem Einsatz von „Kampfjets, Hubschrauber, Flugzeuge und Artillerie“ gegen mehr als 500 Ziele im Gaza-Streifen, die es der Hamas oder dem Islamischen Jihad zuschreibt (ORF 9.10.2023c).
Durch die israelischen Luftangriffe sind nach palästinensischen Angaben bisher mindestens 493 Menschen gestorben und 2.751 Menschen verletzt worden. Allein im Flüchtlingslager Jabaliya gab es demnach Dutzende Tote oder Verwundete (ORF 9.10.2023c).
Laut Einschätzung des ORF handelt es sich für die Hamas um den „wohl größten militärischen Erfolg bisher. Der Preis, den die Hamas, aber vor allem die Zivilbevölkerung im Gazastreifen zahlen werden muss, dürfte hoch werden. Israel wird alles daran setzen, die Abschreckung zumindest mittelfristig wiederherzustellen. Der größte „Trumpf“ in den Händen der Hamas sind die israelischen Geiseln und Kriegsgefangenen.“ (ORF 9.10.2023b). Bis dato ist unklar, ob eine große Bodenoffensive Israels erfolgen wird (ORF 9.10.2023b).
Israels Verteidigungsminister Joav Gallant hat heute die totale Blockade des Gazastreifens angeordnet. Der Küstenstreifen solle „keinen Strom, keine Nahrungsmittel, keinen Treibstoff“ mehr erhalten. 123.538 Personen hätten ihre Häuser „aus Angst, aus Sorge um ihren Schutz und wegen der Zerstörung ihrer Häuser“ verlassen, erklärte das UNO-Büro für humanitäre Angelegenheiten (OCHA) heute (ORF 9.10.2023a). Die Wasserversorgung aus Israel wurde eingestellt (ORF 9.10.2023c). Das österreichische Außenministerium fror heute die Entwicklungshilfeprojekte für die palästinensischen Gebiete ein (ORF 9.10.2023c). Die israelische Zeitung Ha’aretz wies diesbezüglich darauf hin, dass bei dem Stopp der Hilfsgelder von 19 Millionen Euro nicht zwischen dem Gazastreifen und dem Gebiet der Autonomiebehörde (im Westjordanland) unterschieden werde, dessen Präsident Mahmoud Abbas ein Gegner der Hamas ist (Ha’aretz 9.10.2023).
Auswirkungen:
Der ORF weist daraufhin, dass „für die Bevölkerung in Israel und im Gazastreifen die Eskalation selbst für Nahost-Verhältnisse mit den vielen Toten traumatisch ist“, und dass die Folgen „vielfältig“ sein werden – „von innenpolitischen in Israel und bei den Palästinensern bis hin zum Ukraine-Krieg“. Die Hamas hat nun demnach mit dem Angriff eine Annäherung zwischen Saudi-Arabien und Israel unterbunden, welche den Einfluss Irans und Katars verringern würde. Darüber hinaus ruft die Hamas zu einem Aufstand der palästinensischen Bevölkerung in der Westbank, Ost-Jerusalem und Israel auf (ORF 9.10.2023b).
Die Hizbollah ließ unterdessen vom libanesischen Außenministerium verlautbaren, dass sie keinen Angriff auf Israel plane (ORF 9.10.2023c).
Der Krieg und die Solidaritätskundgebungen mit den PalästinenserInnen in mehreren arabischen Staaten sowie der Türkei unterstreichen in den Augen der New York Times, was viele Offizielle, WissenschafterInnen und BürgerInnen der Region seit Jahren sagen: Die Frage der Palästinenser wird weiterhin als zentral im Nahen Osten empfunden, und Israels Position wird im Nahen Osten instabil bleiben, so lange dieser Konflikt anhält (NYT 9.10.2023b).
Kurzinformation der Staatendokumentation, GAZASTREIFEN, Sicherheitslage, 19.01.2024
Die Kampfhandlungen halten an. Israelische Bombardements aus Luft, vom Boden und von der See aus treffen den Großteil des Gazastreifens, was weitere zivile Opfer und Zerstörung zur Folge hat. Ungezieltes Raketenfeuer palästinensischer bewaffneter Gruppen von Gaza nach Israel erfolgte am 17. Jänner ebenfalls. Bodenoperationen sowie Gefechte zwischen israelischen Truppen und palästinensischen bewaffneten Gruppen werden ebenfalls aus dem Großteil des Gebiets gemeldet. Der UN-Generalsekretär fordert einen sofortigen humanitären Waffenstillstand (OCHA 17.1.2024).
Es befinden sich weiterhin 136 Menschen, die aus Israel entführt wurden, im Gazastreifen. 121 Geiseln sind wieder frei (Haaretz 19.1.2024a) [Anm.: die Gesamtzahl der seit 7. Oktober zu Tode gekommenen Geiseln wird nicht tagesaktuell in der Sonderrubrik angegeben].
Das Tunnel-System der Hamas unter dem Gazastreifen wird mittlerweile vom israelischen Militär auf 350 bis 450 Meilen [Anm.: rund 563 km bis 724 km] geschätzt, was sehr viel ist angesichts dessen, wie klein der Gazastreifen ist. Die Tunnel befinden sich auch unter ziviler Infrastruktur, und israelische Militärs rechnen prinzipiell bei Schulen, Spitälern und Moscheen, dass sich darunter Tunnel befinden. Die Dauer bis zur völligen Zerstörung des Tunnelsystems nach einer Durchsuchung auf die verbliebenen Geiseln wird auf Jahre geschätzt. Eine Flutung mit Meerwasser funktionierte nicht (NYT 16.1.2024).
OCHA (United Nations Office for the Coordination of Humanitarian Affairs) zieht aktuell die Angaben des Gesundheitsministeriums der Hamas heran. Demnach wurden bisher 24.285 PalästinenserInnen getötet, „darunter etwa 1.000 Personen in Israel, einschließlich solcher, welche in den Angriff vom 7. Oktober verwickelt waren“. Hinzu kommen 61.154 Verwundete im Gazastreifen (OCHA 16.1.2024).
UNRWA (The United Nations Relief and Works Agency for Palestine Refugee) gibt die Zahl der intern im Gazastreifen Vertriebenen mit 1,9 Millionen (von insgesamt 2,3 Millionen EinwohnerInnen) an – das sind 85 Prozent der Gesamtbevölkerung (OCHA 16.1.2024). Sie drängen sich nun in Zelten und anderen Behelfsunterkünften vor allem im südlichsten Teil des Gazastreifens im Bezirk und der Stadt Rafah direkt an der ägyptischen Grenze. Aber auch im Gebiet von Rafah kam es in den letzten Tagen zu Bombardements mit mehreren Toten (Haaretz 19.1.2024b).
Der Grenzübergang Rafah ist nur für MitarbeiterInnen von Hilfsorganisationen und für einige Verwundete und Kranke offen. 15 von 36 Spitälern funktionieren noch teilweise (OCHA 16.1.2024), wobei dem größten noch teilweise funktionierenden Nasser-Krankenhaus aufgrund der Kampfhandlungen in Khan Younis so wie auch zwei weiteren Spitälern die Schließung droht. Israelische Behörden geben an, dass sich Hamas-Kämpfer im Spital verschanzen, was vom dortigen Personal abgestritten wird (ORF 19.1.2024).
Laut dem israelischen Premierminister Benjamin Netanyahu wird der Krieg noch viele Monate andauern (NYT 19.1.2024).
- Informationen speziell zur Sicherheit in und um UNRWA-Einrichtungen:
Die UNRWA gibt die Anzahl ihrer bisher getöteten MitarbeiterInnen mit 151 Personen (Stand: 17.1.2024) an (UNRWA 19.1.2024). UNRWA vermeldete bisher 238 Sicherheitsvorfälle betreffend UNRWA-Einrichtungen und darin befindlicher Personen - teilweise mehrere Ereignisse am selben Ort. Darunter waren mindestens 24 Fälle, bei denen ein Gebrauch des Ortes für militärische Zwecke und/oder eine Einmischung militärischer Art stattfand. In einem Fall wird auch explizit der Verwendung eines UNRWA-Schulgeländes durch israelische Truppen und damit einhergehende schwere Bauschäden genannt [Anm.: sonst werden keine militärischen Akteure bzgl. des Missbrauchs von UNRWA-Einrichtungen namentlich erwähnt]. 68 verschiedene UNRWA-Einrichtungen wurden direkt bei Kampfhandlungen getroffen und 69 UNRWA-Einrichtungen wurden als Kollateralschaden beschädigt. Mindestens 334 IDPs/Binnenvertriebene, die in UNRWA-Einrichtungen Zuflucht gesucht hatten, wurden getötet, und mindestens 1.159 wurden verletzt. Dazu kommen noch einige weitere Vorfälle, bei denen die Zahl der Verwundeten von UNRWA nicht festgestellt werden konnte (UNRWA 191.2024).
Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Palästinensische Gebiete – Gaza, 31.05.2022
Rechtsschutz/Justizwesen
Die Hamas unterhält ein ad hoc-Justizsystem, das getrennt von den Strukturen der PA funktioniert. Das System ist politischer Einflussnahme ausgesetzt, Richtern mangelt es an angemessener Ausbildung und Erfahrung (FH 28.2.2022). Von der Hamas ernannte Staatsanwälte und Richter arbeiteten de facto vor Gerichten, was die PA als illegal ansah. Die Bewohner des Gazastreifens können zivilrechtliche Klagen einreichen, auch wenn es um Vorwürfe von Menschenrechtsverletzungen geht; dies ist jedoch nicht üblich (USDOS 12.4.2022). Es gibt Berichte über willkürliche Verhaftungen und Inhaftierungen durch die Hamas sowie über politisch motivierte Festnahmen. Es gibt keine rechtlichen oder unabhängigen Institutionen, die in der Lage gewesen wären, die Hamas als de facto-Autorität im Gazastreifen zur Rechenschaft zu ziehen (USDOS 12.4.2022). Die Hamas setzte auch weiterhin Beschränkungen für die Bevölkerung des Gazastreifens auf der Grundlage ihrer Auslegung des Islam und der Scharia durch, einschließlich eines von den Gerichten der PA getrennten Justizsystems (USDOS 12.5.2021).
Sicherheitsbehörden
Im Gazastreifen hat die Hamas in allen Gesellschaftsbereichen de facto die Kontrolle. Es gibt keine rechtlichen oder unabhängigen Institutionen, die in der Lage sind, die Hamas zur Verantwortung bzw. Rechenschaft zu ziehen. Für die innere Sicherheit in Gaza zuständig sind Zivilpolizei, Wach- und Schutztruppen, eine interne Geheimdienst- und Ermittlungseinheit sowie der Zivilschutz. Für die nationale Sicherheit zuständig sind die nationalen Sicherheitskräfte, die Militärjustiz, die Militärpolizei, der medizinische Dienst und die Gefängnisbehörde. In einigen Fällen nutzen die „zivilen“ Hamas-Behörden de facto den militärischen Flügel der Hamas-Bewegung, um gegen interne Meinungsverschiedenheiten vorzugehen (USDOS 12.4.2022).
Die Hamas verfügt nicht über konventionelles Militär im Gazastreifen, sondern unterhält verschiedene Einheiten von Sicherheitskräften, zusätzlich zu ihrem bewaffneten Flügel, den Izz al-Din al-Qassam-Brigaden. Dieser militärische Flügel untersteht dem politischen Büro der Hamas. Es gibt mehrere andere militante Gruppierungen, die im Gazastreifen operieren, vor allem die Al-Quds-Brigaden des Palästinensischen Islamischen Jihad, die normalerweise, aber nicht immer, der Autorität der Hamas unterstehen (CIA 24.5.2022). Die Izz al-Din al-Qassam Brigade kann, gemäß Informationen aus dem Jahr 2014, als etwa 7.000 Mann starke „stehende Armee“ gesehen werden, mit einem Mobilisierungspotential von etwa 25.000 Mann (GS 1.5.2017). Einer Schätzung der CIA zufolge betrug ihre Stärke im Jahr 2021 20.000-25.000 Kämpfer (CIA 24.5.2022). Die EU, Israel und die USA stufen die Hamas als Terrororganisation ein (BBC 1.7.2021; EU 4.2.2022; USDOS 16.12.2021), genauso wie Izz al-Din al-Qassam und der Islamische Jihad von der EU als terroristische Gruppierungen eingestuft werden (EU 4.2.2022).
Die Auseinandersetzungen zwischen Fatah und Hamas wirken sich auch auf die Sicherheitskräfte aus. Nach der Spaltung im Jahr 2007 untersagte die palästinensische Behörde ehemaligen Mitarbeitern der Sicherheitskräfte, im Gazastreifen für die Verwaltung der Hamas zu arbeiten. Sie wurden stattdessen von der Palästinensischen Autonomiebehörde (PA) bezahlt, ohne zu arbeiten. Die Arbeit der palästinensischen Sicherheitsdienste und der Polizei wird jedoch auch durch die israelische Armee behindert, z.B. zerstörte sie während des Gaza-Krieges im Dezember 2008 alle Gefängnisse und Haftzentren in Gaza durch Bombenangriffe (GIZ 11.2020a).
Folter und unmenschliche Behandlung
Palästina hat im März 2014 die UN-Konvention gegen Folter (UNCAT) unterzeichnet (EU 30.3.2022) und das Grundgesetz der Palästinensischen Autonomiebehörde (PA) verbietet Folter sowie die Ausübung von Gewalt gegen Gefangene. Folter und Misshandlungen kommen jedoch weiterhin in Gaza wie im Westjordanland vor (USDOS 12.4.2022; vgl. EU 30.3.2022) bzw. sind sie weit verbreitet (AI 2022b; vgl. HRW 29.5.2019).
Mit den Auseinandersetzungen zwischen Hamas und Fatah ab 2007 wurden in beiden Gebieten Aktivisten der jeweils anderen Seite inhaftiert und misshandelt (GIZ 11.2020a). Die Hamas-Behörden im Gazastreifen verhaften und foltern routinemäßig friedliche Kritiker und Gegner. Bei der unabhängigen palästinensischen Menschenrechtskommission (ICHR) gingen zwischen Januar und September 2020 75 Beschwerden über willkürliche Verhaftungen und 72 über Folter und Misshandlungen gegen die Hamas-Behörden ein (HRW 13.1.2022).In den letzten vier Jahren wurden insgesamt 782 Beschwerden von Bürgern eingereicht, die angeben, von Vollzugsbeamten im Gazastreifen gefoltert und misshandelt worden zu sein. Unter anderem gingen bei der ICHR auch Beschwerden von Frauen und Kindern ein (ICHR 4.2022).
2. Beweiswürdigung:
Die Sachverhaltsfeststellungen stützen sich auf den Verwaltungsverfahrensakt des BFA, den Gerichtsakt des Bundesverwaltungsgerichtes und das Ergebnis der durchgeführten mündlichen Verhandlung und die vom BFA nach der mündlichen Verhandlung nachgereichten Berichte. Die konkreten Beweismittel sind bei den Sachverhaltsfeststellungen bzw in der Beweiswürdigung jeweils in Klammer angeführt.
2.1 Zur Person des Beschwerdeführers
Die Angaben des Beschwerdeführers zu seiner Staatenlosigkeit und Herkunft, die er im Zuge des Verfahrens vor dem BFA und in der mündlichen Verhandlung gemacht hat, waren auf Grund seiner Orts- und Sprachkenntnisse nicht zu bezweifeln. Die Identität des Beschwerdeführers wurde bereits vom BFA als feststehend festgestellt. (BFA Bescheid 21.06.2024 S 25)
Der Beschwerdeführer hat auch selbst angegeben, dass er NICHT bei der UNRWA registriert ist, was auch mit dem Ergebnis der vom BFA veranlassten Überprüfung übereinstimmt. (BFA Bescheid 21.06.2024 S 20)
Die Feststellung zur strafrechtlichen Unbescholtenheit ergibt sich aus dem aktuelle Auszug aus dem Strafregister der Republik Österreich, der keine Einträge aufweist. (SA)
Die Feststellung über den Bericht des BFA an das Landesamt Staatsschutz und Extremismusbekämpfung XXXX LSE), den Bericht des LSE Staatsanwaltschaft XXXX zur strafrechtlichen Beurteilung gemäß § 100 Abs 3a StPO sowie zur Verständigung der Staatsanwaltschaft darüber, dass von der Einleitung eines Ermittlungsverfahrens gemäß § 35c StAG abgesehen wurde, weil kein Anfangsverdacht (§ 1 Abs 3 StPO) besteht, ergibt sich aus den entsprechenden Berichten und der Verständigung der Staatsanwaltschaft, die das BFA dem Bundesverwaltungsgericht nach der mündlichen Beschwerdeverhandlung übermittelt hat.
Bemerkenswert dabei ist, dass die Verständigung der Staatsanwaltschaft vom Absehen von der Einleitung eines Ermittlungsverfahrens wegen Fehlen eines Anfangsverdachtes, die bereits mit 05.03.2024 datiert, weder im angefochtenen Bescheid Eingang fand, diese sich auch weder im vom BFA mit der Beschwerde vorgelegten Verwaltungsverfahrensakt befand und auch während des Beschwerdeverfahrens keine Verständigung an das Bundesverwaltungsgericht erfolgte (§ 31 BFA-VG). Das Bundesverwaltungsgericht wurde auch weder vor noch zu Beginn der mündlichen Verhandlung am 20.02.2025 aktiv davon in Kenntnis gesetzt, sondern das Bundesverwaltungsgericht erfuhr gegen Ende der mündlichen Verhandlung erst nach einer gezielten Frage an das BFA, ob das BFA eine Strafanzeige eingebracht habe, von der Anzeige und dem Absehen der Staatsanwaltschaft von der Einleitung eines Ermittlungsverfahrens mangels Anfangsverdachtes. (VS 20.02.2025 S 13))
2.2 Zum Ausreisegrund und bestehender Gefahr bei einer Rückkehr
2.2.1 Zum Ausreisegrund
2.2.1.1 Der Beschwerdeführer erstattete zu der von ihm vorgebrachten Furcht und seinen Erlebnissen vor seiner Ausreise von Beginn an während der Einvernahmen vor dem BFA, in seinen schriftlichen Ausführungen in der Beschwerde und in der mündlichen Verhandlung – im zentralen Kern seines Vorbringens – ein kohärentes, im Wesentlichen auch widerspruchsfreies, jedoch nicht gleichlautendes Vorbringen, sodass ein einstudierter Vortrag auszuschließen ist. (NS EV 08.11.2023 S 12 ff; NS EV 25.04.2024 S 4 ff; VS 20.02.2025 S 4 ff)
Bereits das BFA legte das Vorbringen des Beschwerdeführers in der Einvernahme vor dem BFA zu seinem Ausreisegrund der Beurteilung im angefochtenen Bescheid zugrunde und erachtete dieses insbesondere nicht als unglaubhaft. (vgl die Ausführungen im Bescheid des BFA, S 26, 34 ff) Auch das Bundesverwaltungsgericht gelangt nach Durchführung der mündlichen Verhandlung zu keinem anderen Ergebnis, sondern ebenso zur Glaubhaftigkeit des Vorbringens.
So war der Beschwerdeführer auch in der mündlichen Verhandlung am 20.02.2025 dazu in der Lage, ihm dabei auch bewusst zum Teil ungeordnet gestellte Fragen zu seinem Kernvorbringen vor dem BFA ohne zu zögern zu beantworten, wobei er die Fragen wiederum mit weiteren Erläuterungen, die sich in seine bisherigen Angaben konsistent einfügten, beantwortete und in stringenten Zusammenhang mit seinem bisherigen Vorbringen bringen konnte. (vgl VS 20.02.2025 S 6 ff). Vor diesem Hintergrund kommt daher im vorliegenden Fall den verbliebenen ungenauen Zeitangaben des Beschwerdeführers zu seiner Arbeitsaufnahme unmittelbar nach seinem Studienabschluss im Jahr 2011 und zu seinem genauen Ausreisezeitpunkt keine entscheidungswesentliche Bedeutung bei, zumal unter Berücksichtigung der hier als glaubhaft erachteten Erlebnisse des Beschwerdeführers nicht erwartet und gefordert werden kann, dass diese dazu in der Lage ist, Jahre später zu jedem Ereignis präzise Zeitangaben zu machen, sich an alles und stets detailreich und vollständig zu erinnern, und ihm auch nicht jeder geringfügigere Widerspruch anzulasten ist.
2.2.1.2 Die Annahme des BFA, dass der Beschwerdeführer wissentlich die Hamas unterstützt habe (BFA Bescheid S 26, 49), widerspricht dem Vorbringen des Beschwerdeführers sowohl vor dem BFA als auch in der mündlichen Verhandlung.
So gab der Beschwerdeführer bereits in der Einvernahme vor dem BFA am 08.11.2023 an, dass er zwar wusste, „schwarz“ illegale Waren zu kaufen, er aber nicht wusste, woher diese gekommen seien. (NS EV 08.11.2023 S 12: „Ich habe das gekauft, natürlich schwarz, um es dann weiter zu verkaufen. Ich habe aber nicht gewusst, woher es kommt.“; siehe auch S 14: „… ich wusste nicht, woher es kommt.“). Aus seinen Angaben vor dem BFA ergibt sich auch nicht, dass er illegale Waren bezogen hätte, nachdem er von deren Herkunft erfahren hat. So lagen zwischen dem Erkennen, dass XXXX die nicht für den Verkauf bestimmten Waren von der Hamas bezog, und der Festnahme des Beschwerdeführers durch die Sicherheitsbehörden nur wenige Tage. Er erzählte auch seinen Freunden davon, dass er darauf gekommen ist, dass jene Personen diese Sachen aus dem Krankenhaus genommen hätten. Und er gab gegenüber dem BFA an, dass es eine alte lange Geschichte über Feindlichkeiten gegeben hat. (NS EV 08.11.2023 S 13) In der mündlichen Verhandlung am 20.02.2025 schilderte er zudem, dass es ein Schock für ihn gewesen sei, als er erfahren hatte, woher XXXX die illegalen Waren bezog (VS 20.02.2025 S 12), und wiederholte, dass es zwischen dem XXXX und ihm eine alte Feindschaft gebe. (VS 20.02.2025 S 4) Aus seinen Angaben ergibt sich somit insgesamt, dass er keine illegalen Waren mehr bezog, nachdem er von deren Herkunft erfahren hatte.
Allein der ursprüngliche bloße unrechtmäßige An- und Weiterkauf von nicht für den Verkauf bestimmten Sachspenden für ein Krankenhaus ohne Kenntnis der Herkunft jener Waren stellt jedenfalls keine wissentliche Unterstützung der Hamas dar.
Auch aus seiner freien Erzählung seines Ausreisegrundes in der Einvernahme vor dem BFA ergibt sich, dass sich der Beschwerdeführer selbst sofort beim Besitzer und dem Mitarbeiter von XXXX erkundigte, woher die illegalen Waren stammten, nachdem er ein Mitglied der Hamas dort das erste Mal gesehen hat, und diese Fragen und das Weitererzählen an Freunde in unmittelbaren zeitlichen Zusammenhang dazu in wenigen Tagen zu seiner Festnahme geführt haben. Aus seinen Angaben ergeben sich auch keine Anhaltspunkte dafür, dass der Beschwerdeführer danach noch bis zu seiner Festnahme illegale Waren bezogen hätte. (NS EV 08.11.2023 S 12 ff)
Ebenso hatte er bereits dem BFA erklärt, dass er nach seiner Genesung zwar wieder mit der gleichen Tätigkeit begonnen hat, er aber dabei nur noch legale Waren von XXXX bezogen hat. (NS EV 08.11.2023 S 15: „Ich habe angefangen dort zu arbeiten[,] ich habe aber nur gekauft war legal ist.“) Diese Angaben decken sich auch mit seinem Vorbringen in der mündlichen Verhandlung (VS 20.02.2025 S 5: „Ich habe es gemieden, Ware der Hamas zu kaufen. … Ich habe wieder gearbeitet, aber ich habe es gemieden, Ware der Hamas zu kaufen. Die mir Schaden zugefügt haben.“ … S 12: „Ich habe legale Ware, die nicht von der Hamas ist, gekauft. Ich habe diese Ware früher gekauft, weil mir die Quelle dieser Ware nicht bekannt war. Als ich erfahren habe, welche Quelle diese Güter haben, ist mir dieses Problem passiert.“
Die Annahme des BFA, dass der Beschwerdeführer wissentlich die Hamas unterstützt habe, ist daher unzutreffend.
2.2.2 Zum Bestehen einer Rückkehrgefährdung
Die Feststellung, dass dem Beschwerdeführer bereits vor seiner Ausreise von den unter der Kontrolle der Hamas stehenden Sicherheitsbehörden wegen seiner kritischen Äußerungen über die Hamas vorgeworfen wurde, für die Palästinensische Autonomiebehörde oder für Israel und gegen die Hamas zu arbeiten, und er sich einer weiteren Festnahme aus diesem Grund durch Flucht aus dem Gazastreifen entzog, ergibt sich aus seinem diesbezüglich zuvor als glaubhaft erachtetem Vorbringen zu seinem Ausreisegrund (siehe oben 1.2.1 iVm 2.2.1)
Die Feststellung, dass der Beschwerdeführer die Hamas ablehnt und die Leute der Hamas für Terroristen hält ergibt sich aus seinen Angaben vor dem BFA und in der mündlichen Verhandlung mit seiner schlüssigen Erzählung dazu. Bereits beim BFA gab er an, er „hasse diese Leute“. (NS EV 08.11.2023 S 16) In der mündlichen Verhandlung schilderte, dass ein Bruder bei der palästinensischen Autonomiebehörde gearbeitet hat und bei einem Angriff der Hamas verletzt wurde (VS 20.02.2025 S 9), und er die Hamas verantwortlich macht für die aktuelle Lage im Gazastreifen und für das Schicksal seiner Familie (VS 20.02.2025 S 6: „Meine Familie ist in Gaza, im Norden. Sie sind dortgeblieben. Mein Bruder wurde im Gefängnis der Israelis getötet und ich habe zwei inhaftieren Brüder. Daher geht es mir psychisch nicht gut. Das passierte wegen der Hamas. Leute der Hamas sind Terroristen.“; VS 20.02.2025 S 13: „17 Jahre lang wurden wir von der Hamas unterdrückt.“) Vor diesem Hintergrund dieses spontanen, widerspruchsfreien und schlüssigen Vorbringens erweist es sich als glaubhaft, dass der Beschwerdeführer der Hamas gegenüber tatsächlich kritisch und diese ablehnend gegenübersteht und er dies auch offen äußert.
Die Feststellung, dass dem Beschwerdeführer aufgrund seiner Vorverfolgung und der Nichtbefolgung einer Ladung im Gazastreifen und seiner kritischen Haltung über die Hamas bei einer Rückkehr im ganzen Gazastreifen mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit Verfolgung und Eingriffe in seine körperliche Integrität in erheblichen Ausmaß in Form von Festnahmen, Verhören und Misshandlungen durch die Hamas und die unter der Kontrolle der Hamas stehenden Sicherheitsbehörden droht, ergibt sich in Zusammenschau mit den getroffenen Länderfeststellungen.
So ergibt sich aus den aktuellen Länderfeststellungen, dass die Hamas zum gegenwärtigen Zeitpunkt nach wie vor die beherrschende, kontrollierende und bestimmende Kraft im Gazastreifen ist, auch wenn die Hamas gegenwärtig durch die Operationen Israels im Gazastreifen erheblich geschwächt ist und seit wenigen Tagen vereinzelt offene Proteste gegen die Hamas stattfinden. Dies zeigt sich an den Verhandlungen mit Israel über die Geiselbefreiung, die von der Hamas geführt werden, die Steuerung und Kontrolle von Hilfsgütern der internationalen Staatengemeinschaft durch die Hamas, die öffentliche Vorführung und Demütigung der Geiseln im Zuge der Freilassung und die jüngsten öffentlichen Hinrichtungen von Hamas-Gegner durch die Hamas. Die Hamas-Behörden führen willkürliche Verhaftungen aufgrund von politischer Zugehörigkeit durch und verhafteten Gegner und Kritiker wegen ihrer friedlichen Äußerungen. Die Hamas-Behörden im Gazastreifen verhaften und foltern routinemäßig friedliche Kritiker und Gegner. (im Detail siehe oben 1.3)
2.4 Zur aktuellen Ländersituation im Gazastreifen
Die Feststellungen zur aktuellen Lage im Gazastreifen beruhen auf den jüngsten BAMF Briefing Notes seit 13.01.2025, dem zitierten Bericht der ARD Tagesschau: „Warum die Hamas noch immer so stark ist“, vom 22.01.2025, der der Kurzinformation der Staatendokumentation des BFA, Israel und Gaza-Streifen: Hamas-Israel Krieg vom 09.10.2023, der Kurzinformation der Staatendokumentation des BFA, Gazastreifen, Sicherheitslage vom 19.01.2024, sowie dem Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Palästinensische Gebiete – Gaza vom 31.05.2022. Angesichts der Ausgewogenheit und Seriosität der genannten Quellen sowie der Schlüssigkeit der weitestgehend übereinstimmenden Aussagen darin, besteht für das Bundesverwaltungsgericht kein Grund, an der Richtigkeit der Angaben zu zweifeln.
3. Rechtliche Beurteilung:
Zu A)
Zuerkennung des Status eines Asylberechtigten (§ 3 AsylG 2005)
Zum Begriff der politischen Überzeugung
3.1 Gemäß Artikel 10 Abs 1 lit e der Richtlinie 2011/95/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13.12.2011 über Normen für die Anerkennung von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Personen mit Anspruch auf internationalen Schutz, für einen einheitlichen Status für Flüchtlinge oder für Personen mit Anrecht auf subsidiären Schutz und für den Inhalt des zu gewährenden Schutzes (Qualifikationsrichtlinie) ist unter dem Begriff der politischen Überzeugung insbesondere zu verstehen, dass der Antragsteller in einer Angelegenheit, die die in Artikel 6 genannten potenziellen Verfolger sowie deren Politiken oder Verfahren betrifft, eine Meinung, Grundhaltung oder Überzeugung vertritt, wobei es unerheblich ist, ob der Antragsteller aufgrund dieser Meinung, Grundhaltung oder Überzeugung tätig geworden ist.
3.2 Der Verwaltungsgerichtshof hat ausgeführt, dass die völlige Unverhältnismäßigkeit staatlicher Maßnahmen, die wegen eines Verstoßes gegen bestimmte im Herkunftsstaat gesetzlich verbindliche Moralvorschriften drohen, darauf hindeuten kann, dass diese Maßnahmen an eine dem Zuwiderhandeln gegen das Gebot vermeintlich zu Grunde liegende, dem Betroffenen unterstellte Abweichung von der ihm von Staats wegen vorgeschriebenen Gesinnung anknüpfen. (17.09.2003, 99/20/0126 mwN). Als politisch kann dabei alles qualifiziert werden, was für den Staat sowie für die Gestaltung bzw. Erhaltung der Ordnung des Gemeinwesens und des geordneten Zusammenlebens der menschlichen Individuen in der Gemeinschaft von Bedeutung ist (VwGH 12.09.2002, 2001/20/0310 mwN; VfGH 12.12.2013, U616/2013).
Zu Verfolgungshandlungen
3.3 Für den Verwaltungsgerichtshof steht außer Frage, dass Verfolgungshandlungen, die sich in Beleidigungen, Bedrohungen und Körperverletzungen manifestieren, die für die Asylgewährung erforderliche Eingriffsintensität erreichen können. (VwGH 23.01.2003, 2002/20/0565)
Und auch der EGMR hat in seiner Entscheidung Bouyid vom 28.09.2015, 23.380/09 (Große Kammer) ausgesprochen, dass jeder Rückgriff auf physische Gewalt gegen eine ihrer Freiheit beraubte Person, der nicht durch deren Verhalten unbedingt erforderlich gemacht wurde, ihre Menschenwürde vermindert und daher grundsätzlich das in Art 3 EMRK vorgesehene Recht verletzt. Der Ausdruck »grundsätzlich« kann nicht dahingehend verstanden werden, dass es Situationen geben könnte, in denen eine solche Feststellung einer Verletzung nicht geboten ist, weil der gebotene Schweregrad nicht erreicht wurde. Jeder Eingriff in die Menschenwürde trifft den Kern der Konvention. Aus diesem Grund begründet jedes Verhalten von Exekutivbeamten gegenüber einer Person, das die Menschenwürde herabsetzt, eine Verletzung von Art 3 EMRK. Das gilt insbesondere für ihren Einsatz physischer Gewalt gegen eine Person, wenn dieser nicht aufgrund ihres Verhaltens absolut notwendig ist, unabhängig von seinen Auswirkungen auf die betroffene Person (vgl EGMR Bouyid, 28.09.2015, 23.380/09 (Große Kammer))
Zum gegenständlichen Verfahren
3.4 Vorliegen einer wohlbegründeten Furcht vor Verfolgung
Ausgehend vom festgestellten Sachverhalt wurde der Beschwerdeführer bereits vor seiner Ausreise von den unter der Kontrolle der Hamas stehenden Sicherheitsbehörden wegen seiner kritischen Äußerungen über die Hamas vorgeworfen, für die Palästinensische Autonomiebehörde oder für Israel und gegen die Hamas zu arbeiten. Einer weiteren Festnahme aus diesem Grund entzog er sich durch Flucht aus dem Gazastreifen. Der Beschwerdeführer lehnt zudem die Hamas ab, hält die Leute der Hamas für Terroristen und äußert sich auch offen dazu. Der Beschwerdeführer vertritt persönliche Meinungen und Überzeugung, welche in Opposition zur der von der Hamas vorgegebenen politischen Doktrinen, Meinungen und Erwartungen stehen. Es ist dem Beschwerdeführer auch nicht zuzumuten, seine persönliche Meinung, Grundhaltung oder Überzeugung abzulegen oder zu verleugnen.
Dem Beschwerdeführer droht aufgrund seiner Vorverfolgung im Gazastreifen und seiner politisch-oppositionellen kritischen Haltung gegenüber der Hamas und der bereits einmal von ihm missachteten Ladung bei einer Rückkehr im ganzen Gazastreifen mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit Verfolgung und Eingriffe in seine körperliche Integrität in erheblichen Ausmaß in Form von Festnahmen, Verhören und Misshandlungen durch die Hamas und die unter der Kontrolle der Hamas stehenden Sicherheitsbehörden.
Aus den aktuellen Länderfeststellungen, dass die Hamas zum gegenwärtigen Zeitpunkt nach wie vor die beherrschende, kontrollierende und bestimmende Kraft im Gazastreifen ist, auch wenn die Hamas gegenwärtig durch die Operationen Israels im Gazastreifen erheblich geschwächt ist und seit wenigen Tagen vereinzelt offene Proteste gegen die Hamas stattfinden. Dies zeigt sich an den Verhandlungen mit Israel über die Geiselbefreiung, die Steuerung und Kontrolle von Hilfsgütern der internationalen Staatengemeinschaft durch die Hamas, die öffentliche Vorführung und Demütigung der Geiseln im Zuge der Freilassung und die jüngsten öffentlichen Hinrichtungen von Hamas-Gegner durch die Hamas. Die Hamas-Behörden führen willkürliche Verhaftungen aufgrund von politischer Zugehörigkeit durch und verhafteten Gegner und Kritiker wegen ihrer friedlichen Äußerungen. Die Hamas-Behörden im Gazastreifen verhaften und foltern routinemäßig friedliche Kritiker und Gegner. Ausgehend von den getroffenen Länderfeststellungen ist auch kein rechtsstaatliches und faires Verfahren und kein Schutz vor diesen Eingriffen im Gazastreifen zu erwarten. Dem Vorbringen des Beschwerdeführers kommt damit Asylrelevanz zu.
Die Hamas und ihre militärischen Einheiten haben nach wie vor wesentlichen Einfluss im Gazastreifen, weshalb keine innerstaatlichen Fluchtalternative besteht. Einer solchen steht zudem der aktuelle Konflikt mit Israel entgegen. Bereits das BFA hat mit der Entscheidung, dass eine Abschiebung des Beschwerdeführers unzulässig ist, erkannt, dass keine innerstaatliche Fluchtalternative besteht.
Somit befindet sich der Beschwerdeführer zusammengefasst aus wohlbegründeter Furcht, asylrelevant verfolgt zu werden, außerhalb seines Herkunftsgebietes und ist im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt, dorthin zurückzukehren.
3.5. Kein Ausschluss von der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten (§ 6 AsylG)
Das BFA schloss den Beschwerdeführer unter Bezugnahme auf § 6 Abs 1 Z 2 und 3 AsylG von der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten aus und begründete dies – zusammengefasst – damit, dass der Beschwerdeführer wissentlich Hilfsgüter, welche von Mitgliedern der Hamas, einer terroristischen Vereinigung, illegal besorgt und zum Verkauf angeboten wurden, gekauft und gewinnbringend verkauft habe. Nach Ansicht des BFA hätte der Beschwerdeführer damit Handlungen gesetzt, welche im Widerspruch zu den Zielen und Grundsätzen der Vereinten Nationen stehen und der Beschwerdeführer würde aufgrund seiner Handlungen und seiner Verbindungen eine Gefahr für die Sicherheit der Republik Österreich darstellen. Das BFA gelangte so zu der Beurteilung, dass der Beschwerdeführer Handlungen gemäß § 278d Abs 1a Z 2 StGB gesetzt hätte.
Die Beurteilung des BFA erweist sich jedoch als unzutreffend, und zwar aus den folgenden Gründen:
Zunächst ist festzuhalten, dass im vorliegenden Fall allein der bloße unrechtmäßige An- und Weiterkauf von nicht für den Verkauf bestimmten Sachspenden an ein Krankenhaus keinen Ausschließungsgrund darstellt.
Des Weiteren ist die Annahme des BFA, dass der Beschwerdeführer durch den Ankauf von Sachspenden, die nicht für den freien Verkauf bestimmt waren, wissentlich die Hamas unterstützt habe, wie sich aus dem festgestellten Sachverhalt in Verbindung mit den Ausführungen in der Beweiswürdigung ergibt (oben 1.2.1 und 2.2.1.2), unzutreffend.
So ergibt sich bereits aus dem als glaubhaft festgestellten Sachverhalt, dass der Beschwerdeführer zunächst nicht wusste, von wem diese „illegalen“ Waren stammten, und der Beschwerdeführer, sobald er von der Herkunft wusste, diese nicht mehr bezog, sondern nur noch legale Waren kaufte. (im Detail oben 1.2.1 und 2.2.1.2) Dies blieb vom BFA gänzlich unberücksichtigt.
Schließlich berichtete das BFA am 21.01.2024 unter Hinweis auf das Vorbringen des Beschwerdeführers vor dem BFA und über den Verdacht auf das Vorliegen einer „Straftat mit Terrorbezug“ dem Landesamt Staatsschutz und Extremismusbekämpfung XXXX XXXX (LSE) und das LSE berichtete darüber am 29.01.2024 der Staatsanwaltschaft XXXX zur strafrechtlichen Beurteilung gemäß § 100 Abs 3a StPO, da aus Sicht der Kriminalpolizei kein Anfangsverdacht vorlag oder sie Zweifel hatte, ob ein Anfangsverdacht vorliegt.
Die Staatsanwaltschaft XXXX hat in der Folge bereits am 05.03.2024 von der Einleitung eines Ermittlungsverfahrens gemäß § 35c StAG abgesehen, weil kein Anfangsverdacht (§ 1 Abs 3 StPO) bestand. Auch wenn eine strafrechtliche Verurteilung keine Voraussetzung für einen Ausschließungsgrund ist, so ist im vorliegenden Fall der Entscheidung der Staatsanwaltschaft Beachtung zu schenken, zumal die Staatsanwaltschaft in Österreich die Trägerin der staatlichen Anklagebefugnis ist, der als darauf spezialisierte Organ der Gerichtsbarkeit die Führung von Ermittlungsverfahren im Strafverfahren obliegt. Das BFA hätte sich mit der Entscheidung der Staatsanwaltschaft auseinandersetzten müssen und, wenn es dieser nicht folgt, begründet darlegen müssen, warum und gestützt auf welche Erwägungen sie zu einer anderen Einschätzung gekommen ist. Die Einstellung des Verfahrens mangels Anfangsverdachts der Staatsanwaltschaft XXXX fand jedoch im angefochtenen, dreieinhalb Monate nach der Entscheidung der Staatsanwaltschaft ergangenen Bescheid vom 21.06.2024 keinen Eingang und blieb vom BFA bei der Beurteilung gänzlich unberücksichtigt.
Vor dem Hintergrund dieser Ausführungen liegt im Ergebnis der vom BFA angenommene Ausschlussgrund tatsächlich nicht vor.
3.6 Im Verfahren haben sich schließlich auch sonst keine Hinweise auf die weiteren in Artikel 1 Abschnitt C und F der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Endigungs- und Ausschlussgründe ergeben.
3.7 Im vorliegenden Fall des Beschwerdeführers sind somit die Voraussetzungen für die Zuerkennung des Status eines Asylberechtigten gegeben.
Gemäß § 3 Abs. 5 AsylG 2005 war die Entscheidung über die Asylgewährung mit der Feststellung zu verbinden, dass der Fremden damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.
Zu B)
Revision
3.8 Die ordentliche Revision ist nicht zulässig, da die für den vorliegenden Fall relevante Rechtslage durch die zitierte Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes geklärt ist.
3.9 Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.