JudikaturBVwG

L516 2291343-1 – Bundesverwaltungsgericht Entscheidung

Entscheidung
09. April 2025

Spruch

L516 2291343-1/14E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Mag. Paul NIEDERSCHICK über die Beschwerde von XXXX , geb XXXX , StA Syrien, vertreten durch die BBU GmbH, gegen Spruchpunkt I des Bescheides des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 03.04.2024, 1368582301-231807632, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung zu Recht:

A) Die Beschwerde wird gemäß § 3 AsylG als unbegründet abgewiesen.

B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

Entscheidungsgründe:

Der Beschwerdeführer ist syrischer Staatsangehöriger und stellte am 11.09.2023 einen Antrag auf internationalen Schutz. Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) wies mit gegenständlich angefochtenem Bescheid vom 03.04.2024 den Antrag des Beschwerdeführers (I.) gemäß § 3 Abs 1 iVm § 2 Abs 1 Z 13 AsylG bezüglich der Zuerkennung des Status eines Asylberechtigten ab. Das BFA erkannte dem Beschwerdeführer unter einem (II.) gem § 8 Abs 1 AsylG den Status des subsidiär Schutzberechtigten zu und erteilte (III.) eine befristete Aufenthaltsberechtigung für subsidiär Schutzberechtigte für ein Jahr gemäß § 8 Abs 4 AsylG.

Dagegen richtet sich die vorliegende Beschwerde. Die Beschwerde richtet sich ausschließlich gegen Spruchpunkt I des angefochtenen Bescheides.

Das Bundesverwaltungsgericht führte in der Folge am 03.10.2024 und 03.04.2025 eine mündliche Verhandlung durch, an der der Beschwerdeführer mit seiner Rechtsvertretung teilnahm; die belangte Behörde verzichtete auf eine Teilnahme und erschien nicht.

1. Sachverhaltsfeststellungen:

[regelmäßige Beweismittel-Abkürzungen: S=Seite; AS=Aktenseite des Verwaltungsaktes des BFA; NS=Niederschrift; VS=Verhandlungsschrift; OZ=Ordnungszahl des Verfahrensaktes des Bundesverwaltungsgerichtes; IZR=Zentrales Fremdenregister;]

1.1 Zur Person des Beschwerdeführers

Der Beschwerdeführer führt in Österreich den im Spruch angeführten Namen und sowie das ebenso dort angeführte Geburtsdatum. Er ist syrischer Staatsangehöriger, gehört der arabischen Volksgruppe und der sunnitischen Glaubensgemeinschaft an. Er ist verheiratet und hat zwei Kinder. Seine Identität steht fest. (NS EV 26.03.2024 S 3; BFA Bescheid 03.04.2024 S 3, 8)

Der Beschwerdeführer hat in Syrien ein Jahr die Schule besucht und als Bauarbeiter in Syrien und in der Türkei gearbeitet. (NS EV 26.03.2024 S 5)

Der Beschwerdeführer verfügt in Österreich über den Status eines subsidiär Schutzberechtigten und eine Aufenthaltsberechtigung gemäß § 8 Abs 4 AsylG. (siehe die rechtskräftigen Spruchpunkte II und III des angefochtenen Bescheides; IZR)

1.2 Zum Herkunftsort und Aufenthalt des Beschwerdeführers in Syrien

Der Herkunftsort des Beschwerdeführers ist die Stadt Manbij (auch: Menbij [https://www.cartercenter.org/]), welche sich im Nord des Gouvernements Aleppo befindet. Er wurde XXXX dort geboren, zog jedoch bereits im Jahr 2006 mit seiner Familie in die Stadt Manbij. Er hielt sich mit seiner Familie wegen des Krieges von 2013 bis 2018 wieder in XXXX , und seine Familie kehrte ungefähr Ende 2018 wieder in die Stadt Manbij zurück, während der Beschwerdeführer in die Türkei ausgereist ist. Seine Eltern, seine Schwester und sein Bruder Abdelrasak leben aktuell weiterhin in der Stadt Manbij. (VS 03.10.2024 S 4; VS 03.04.2025 S 4)

Die Stadt Manbij befindet sich im Gouvernement Aleppo und aktuell unter der Kontrolle der Syrischen Nationalen Armee (SNA) und der Übergangsregierung (VS 03.04.2025 S 4; siehe auch https://syria.liveuamap.com/ und https://www.cartercenter.org).

1.3 Zur Begründung des Antrages auf internationalen Schutz Der Beschwerdeführer begründete während des Verfahrens seinen Antrag – zusammengefasst – damit, dass er eine Verfolgung und Rekrutierung durch das syrische Regime und durch „die Kurden“ befürchte. (VS 03.10.2024 S 7 f)

In der mündlichen Verhandlung am 03.04.2025 brachte er – zusammengefasst – zudem vor, dass die Lage unter dem Assad-Regime schlecht war und sie nun schlechter geworden sei. Aktuell habe man Angst, dass einem gesagt werde: „Warum hast du nicht mit uns gekämpft. Warum warst du nicht mit uns in Syrien.“ Man werde nach der Konfession gefragt. Man befinde sich in einer Spirale. Das sei schon früher passiert, alle Konfessionen würden gegeneinander kämpfen. Die Kurden seien in der Region TISCHRIN-Talsperre, einem Staudamm, also nicht so weit entfernt von Manbij. (VS 03.04.2025 S 3 f)

1.4 Zur Glaubhaftigkeit des Vorbringens und einer bestehenden Gefahr bei einer Rückkehr

Der Beschwerdeführer hat mit seinem Vorbringen nicht glaubhaft gemacht und es ergibt sich auch sonst nicht, dass er im Falle einer Rückkehr – zum gegenwärtigen Zeitpunkt – in Syrien – mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit – individuell konkret einer aktuellen und unmittelbaren Bedrohung aus ethnischen, religiösen oder politischen Gründen oder aufgrund der Nationalität oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe ausgesetzt sein wird, oder ihm aus einem dieser Motive Schutz durch die gegenwärtigen Machthaber in Syrien verweigert werden würde.

1.5 Zur Lage in Syrien

BAMF Briefing Notes Gruppe 62 – Informationszentrum Asyl und Migration

31.03.2025

Trotz Abkommen andauernde Kämpfe im Osten Aleppos

Trotz des zwischen der Übergangsregierung und dem Kommandeur der sog. Demokratischen Kräfte Syriens (SDF) unterzeichneten Abkommen über die Eingliederung der SDF in den syrischen Staatsapparat und einem Waffenstillstand kam es in der vergangenen Woche weiterhin zu Beschuss und Kämpfen im Osten des Gouvernements Aleppo.

Bei den kämpfenden Fraktionen handelt es sich auf der einen Seite um die SDF und auf der anderen Seite um die sog. Syrische Nationalarmee (SNA), die maßgeblich von der Türkei unterstützt und beeinflusst wird. Darüber hinaus erfolgen regelmäßig türkische Luftangriffe auf Ziele der SDF. Die SNA gelten nominell bereits als in das syrische Militär integriert, bestehen de facto jedoch in Kommandostruktur, Loyalität und Führung in unveränderter Form weiter. Auch die Gehälter ihrer Kämpfer sollen bislang zumindest teilweise nicht von der Übergangsregierung gezahlt werden. Die syrische Übergangsregierung bezog zu den andauernden Kämpfen nicht offiziell Stellung.

Im Rahmen der Kämpfe wurden in den vergangenen Wochen von keiner Seite maßgebliche Verluste oder Gewinne verzeichnet. Immer wieder werden beiden Seiten Angriffe vorgeworfen, die auch zivile Opfer forderten. Beide bestreiten jedoch für derartige Vorfälle verantwortlich zu sein.

Das Institute for the Study of War berichtete allerdings von einer viertägigen Pause, bevor Kämpfe und Angriffe am 22.03.25 fortgesetzt wurden. Auch am 27.03. und 28.03.25 erfolgten demnach keine Kämpfe und Angriffe zwischen den beiden Seiten.

Präsident al-Shar’a verkündet neue Übergangsregierung

Am 29.03.25 verkündete Syriens Übergangspräsident Ahmed al-Shar’a die Personalien der neuen Übergangsregierung, welche 23 Ministerien enthalten wird.

Während zentrale Ministerien, darunter das Außen-, Innen-, Verteidigungs- und Justizministerium weiterhin von HTS-nahen Figuren besetzt werden, wurden neben Vertretern der drusischen, kurdischen und alawitischen Minderheit auch politische Aktivisten sowie eine Christin in die Regierung aufgenommen. Insgesamt entstammen sieben Minister der vormaligen durch HTS dominierten Regierung in Idlib.

10.03.2025

Berichte von mehreren Hundert Toten bei Kämpfen und Massakern im alawitischen Kernland

Nachdem Medienberichten zufolge am 06.03.25 mehr als ein Dutzend Sicherheitskräfte der Übergangsregierung bei einem Hinterhalt durch bewaffnete Assad-Getreue in Jableh (Latakia) zu Tode kamen, brachen in der Küstenregion, in den Gouvernements Tartous und Latakia, die schwersten Kämpfe seit dem Fall der AssadRegierung aus.

Assad-getreue Gruppierungen lieferten sich demnach heftige Gefechte mit Truppen und Unterstützern der Übergangsregierung. Es folgten landesweit organisierte und koordinierte Angriffe auf Truppen der Übergangsregierung, insbesondere jedoch in der Küstenregion. Die Sicherheitskräfte verstärkten daraufhin ihre Präsenz, verhängten in Tartous und Latakia aber auch andernorts Ausgangssperren und begannen Operationen gegen bewaffnete Aufständische.

Es soll im Rahmen des Vorgehens der Sicherheitskräfte der Übergangsregierung zu Vergeltungsakten an der in Tartous und Latakia mehrheitlich alawitischen Zivilbevölkerung gekommen sein. Die Syrische Beobachtungsstelle für Menschenrechte (SOHR) berichtete, mehrere Ortschaften in der Küstenregion sollen durch die Sicherheitskräfteder Übergangsregierung gestürmt und zum Teil geplündert worden sein. Dabei seien wahllos Zivilpersonen, darunter auch Kinder, getötet worden. Insgesamt seien SOHR zufolge bis zum 09.03.25 insgesamt 231 Sicherheitskräfte, 250 Aufständische und etwa 830 Zivilpersonen getötet worden. Der Großteil der Getöteten habe der alawitischen Konfession angehört, es befänden sich jedoch auch andere Bevölkerungsgruppen unter den Getöteten. Betroffen war vor allem das Gouvernement Latakia, gefolgt von Tartous. Doch auch in Hama und Homs soll es zu Übergriffen auf die Zivilbevölkerung durch Sicherheitskräfte oder bewaffnete Unterstützer der Übergangsregierung gekommen sein.

Die Nachrichtenlage ist derzeit noch uneindeutig. So zitierte beispielsweise die Nachrichtenplattform Enab Baladi Angaben des Syrischen Netzwerks für Menschenrechte (SNHR), wonach bis zum 08.03.25 insgesamt 311 Todesopfer erfasst worden sein sollen. Banden der ehemaligen Regierung sollen 121 Mitglieder der Sicherheitskräfte und 26 Zivilpersonen getötet haben, während im Rahmen des Vorgehens der Sicherheitskräfte 164 Zivilpersonen, darunter Frauen und Kinder, durch „undisziplinierte Fraktionen“ getötet worden sein sollen. Es handele sich hierbei vor allem um Gruppierungen aus dem Norden (mutmaßlich Kämpfer der aus der Türkei unterstützen SNA) sowie Truppen, die noch nicht angemessen ausgebildet seien, und einzelne bewaffnete Männer, die sich kurzentschlossen den Sicherheitskräften angeschlossen hatten. Es lässt sich nicht unabhängig überprüfen, wer die Tötungen begangen hat und wie hoch die Opferzahlen tatsächlich sind. SOHR zufolge sollen die Bodenoperationen in Teilen durch Angriffe der syrischen Luftwaffe unterstützt worden sein. Mehrere Syrerinnen und Syrer sollen auch in der russischen Militärbasis Hmeimim Schutz durch das russische Militär erbeten haben.

Andauernde Kämpfe und Luftangriffe in Ost-Aleppo und Nordostsyrien

Im Nordosten dauern Kämpfe zwischen den durch die Türkei unterstützten der Milizen der sogenannten Syrischen Nationalarmee (SNA) und den Demokratischen Kräften Syriens (SDF) im Osten des Gouvernements Aleppo, vor allem im Distrikt Manbij, an.

Türkische Luftangriffe auf Ziele in den Gouvernements Aleppo und Raqqa hätten der Plattform Etana zufolge zugenommen und zu einem Anstieg an Todesopfern geführt. Genaue Zahlen liegen nicht vor.

03.03.2025

Andauernde Kämpfe und Luftangriffe in Ost-Aleppo und Nordostsyrien

Auch nach dem Aufruf Öcalans (vgl. Beitrag zu Türkei) an die PKK, die Waffen niederzulegen, gingen die Kämpfe zwischen den Kämpfern der durch die Türkei unterstützten Milizen der sogenannten Syrischen Nationalarmee (SNA) und den Demokratischen Kräften Syriens (SDF) in Ost-Aleppo, vor allem im Distrikt Manbij, weiter. Mazloum Abdi, Kommandeur der SDF, gab an, dass der Aufruf Öcalans die SDF nicht beträfe. Während die Türkei die Volksverteidigungseinheiten (YPG), die einflussreichste Fraktion innerhalb der SDF, als gleichbedeutend mit der PKK ansieht, betont die Führung der SDF seit Jahren ihre Distanz zur PKK.

Kämpfe zwischen Übergangsregierung und Assad-loyalen Gruppierungen

Es kommt landesweit immer wieder zu Angriffen Assad-treuer Milizen auf relevante Ziele innerhalb Syriens, darunter auf Sicherheitskräfte der Übergangsregierung, aber auch israelische Militärs. So zum Beispiel am 26.02.25, als Medienberichten zufolge mutmaßliche Anhänger der ehemaligen Assad-Regierung eine lokale Polizeistation in Qardaha angriffen und den Rückzug der internen Sicherheitskräfte der Übergangsregierung forderten. Es folgte eine Sicherheitskampagne der internen Sicherheitskräfte in der Ortschaft.

Konferenz des Nationalen Dialogs

Nur zwei Tage nach dem Versenden der Einladungen (vgl. BN v. 24.02.25) kamen am 24.02. und 25.02.25 hunderte Syrerinnen und Syrer zur Konferenz des Nationalen Dialogs in Damaskus zusammen. In Workshops erarbeiteten sie Vorschläge und Zielsetzungen in den Bereichen Übergangsjustiz, Verfassung, Aufbau von staatlichen Institutionen und persönliche Freiheiten sowie zu dem zukünftigen Wirtschaftsmodell Syriens und der Rolle der Zivilgesellschaft. Die konkreten Inhalte blieben unter Verschluss. Im Rahmen der 18 Punkte umfassenden Abschlusserklärung der eineinhalbtägigen Konferenz wurde sich für die Etablierung eines Komitees ausgesprochen, das mit dem Entwurf einer Verfassung betraut werden soll sowie die Festlegung von ethnischen oder religiösen Quoten innerhalb öffentlicher Einrichtungen abgelehnt. Außerdem wurde die territoriale Integrität Syriens betont und die Präsenz israelischer Truppen im Süden des Landes verurteilt.

Die übereilte Organisation und kurze Dauer der Konferenz, der Mangel an Vertretungen von Minderheiten und Frauen, die Intransparenz bei der Teilnehmendenauswahl und die offene Frage, inwiefern die Ergebnisse der Konferenz für die Übergangsregierung bindend sein würden, sorgten für weitreichende Kritik. Nicht eingeladen wurden u.a. Vertreterinnen und Vertreter der SDF, die über große Teile des Nordosten Syriens die Kontrolle innehaben. Aufgrund der kurzfristigen Organisation war vor allem einigen Personen, die sich im Ausland aufhielten, die Teilnahme nicht möglich.

Wenige Tage später, am 02.03.25 verkündete die Übergangsregierung die Einberufung eines Komitees, das mit dem Entwerfen einer Verfassung beauftragt wurde. Unter den sieben Mitgliedern, die alle eine juristische Ausbildung absolviert haben, befindet sich eine Frau. Die für den 01.03.25 angekündigte Regierungsumbildung steht weiterhin aus.

Kämpfe in Jaramana und Drohungen einer militärischen Intervention durch Israel

Am 28.02.25 kam es zu Kämpfen zwischen Sicherheitskräften der HTS-geführten Übergangsregierung und drusischen Fraktionen im Damaszener Vorort Jaramana. Der Syrischen Beobachtungsstelle für Menschenrechte (SOHR) zufolge sei ein Mitglied der Sicherheitskräfte getötet und neun weitere Personen seien verwundet worden.

Einflussreiche drusische Persönlichkeiten bekräftigen, es habe sich bei den drusischen Fraktionen um einen „undisziplinierten Mob“ gehandelt, der nicht stellvertretend für die drusische Bevölkerung Jaramanas sei. Die Berichterstattung über die Ereignisse und den Auslöser der Kämpfe ist uneindeutig und es werden verschiedene Narrative über die Geschehnisse wiedergegeben. Syrische Sicherheitskräfte wurden in die Ortschaft entsandt.

Spannungen vor Ort konnten durch die Vermittlung einflussreicher drusischer Personen, darunter auch Mitglieder bewaffneter Gruppierungen aus dem mehrheitlich drusischen Gouvernement Suweida, eingedämmt werden.

Der israelische Premierminister Netanyahu kündigte am Folgetag jedoch an, sollte die drusische Bevölkerung verletzt werden, würde Israel einschreiten. Das israelische Militär sei demnach angewiesen worden, sich auf eine Intervention vorzubereiten.

Netanyahus Ankündigung wurde durch drusische Führungspersönlichkeiten sowie die syrische Übergangsregierung abgelehnt. Bereits eine Woche zuvor hatten Forderungen der israelischen Regierung nach einer Entmilitarisierung Südsyriens für Aufsehen und Proteste innerhalb Syriens gesorgt (vgl. BN v. 24.02.25)

24.02.2025

Andauernde Kämpfe und Luftangriffe in Ost-Aleppo und Nordostsyrien

Kämpfe zwischen den Milizen der sog. Syrischen Nationalarmee (SNA) und den kurdisch-dominierten Demokratischen Kräften Syriens (SDF) in Ost-Aleppo dauern weiterhin an. Ebenso bombardiert das türkische Militär weiterhin Ziele in den Gebieten unter SDF-Kontrolle. Im Fokus der Kämpfe stehen der Tishreen-Staudamm und die Qaraquzak-Brücke. Dabei soll es verschiedenen Berichten zufolge nur in wenigen Fällen zu Todesopfern gekommen sein. Zumeist würde es sich bei den Getöteten demnach um Mitglieder der jeweils bewaffneten Parteien handeln.

Konferenz des Nationalen Dialogs angekündigt

Obgleich ein Mitglied des Vorbereitungskomitees für die seit Langem angekündigte Nationale Dialogkonferenz noch zwei Tage vor Entsendung der Einladungen bekräftigte, dass der Zeitplan noch nicht festgelegt und es unklar sei, ob die Dialogkonferenz vor oder nach der angekündigten Umstrukturierung der Übergangsregierung am 01.03.25 stattfinden würde, ergingen am 23.02.25 offenbar kurzfristig Einladungen an zahlreiche Syrerinnen und Syrer, die sie dazu einluden, am Folgetag in Damaskus zu erscheinen, um an der Konferenz teilzunehmen.

In sozialen Medien kursierten Fotos der Tagesordnung, die die Konferenz auf den 25.02.25 datiert. Im Rahmen der Konferenz soll mit Vertreterinnen und Vertretern der Zivilgesellschaft über die Zukunft Syriens und drängende Herausforderungen gesprochen werden. Auch Teil der Tagesordnung soll eine sog. Verfassungserklärung sein, die einen rechtlichen Rahmen für die Regierungsgeschäfte bilden soll solange bis eine ordentliche Verfassung ausgearbeitet und verabschiedet werden konnte.

Im Vorfeld hielt das Vorbereitungskomitee Dutzende Treffen mit insgesamt etwa 4.000 Syrerinnen und Syrern aus verschiedenen Gouvernements ab. Der Teilnehmendenkreis der Konferenz blieb zunächst jedoch unklar.

Israelischer Premierminister fordert Entmilitarisierung Südsyriens

Israels Premierminister Benjamin Netanyahu erklärte am 23.02.25 in einer Rede vor Absolventinnen und Absolventen einer israelischen Militärakademie, dass Israel keine Militärpräsenz der syrischen Übergangsregierung südlich von Damaskus akzeptieren würde. In diesem Kontext forderte er die Entmilitarisierung der drei Gouvernements Quneitra, Dar’a und Suweida. Zuletzt hatte der israelische Verteidigungsminister angekündigt, dass die Armee auf unbestimmte Zeit auf dem Gipfel des Hermon und in der Pufferzone entlang der syrisch-israelischen Grenze stationiert bleiben würde, um israelische Gemeinden zu schützen und gegen mögliche Bedrohungen vorgehen zu können.

17.02.2025

Süden: Israelische Truppen weiten Präsenz aus

Nachrichtenmeldungen vom 14.02.25 zufolge drangen israelische Truppen in die Ortschaften Kudna, Saydna al-Golan und al-Rafid im Westen des Gouvernements Quneitra ein. Medienberichten nach sollen drei Brigaden des israelischen Militärs auf unbestimmte Zeit in Syrien bleiben. Demnach würde das Militär neun Posten auf den Golanhöhen bauen und Checkpoints an den Eingängen einiger Ortschaften betreiben, um Bewegungen der Bevölkerung leiten zu können. Einer Quelle zufolge soll das Militär inoffiziell im Austausch und in Koordination mit lokalen Sicherheitskräften und dem jordanischen Grenzschutz stehen.

Sicherheitsoperationen in Homs

Seit Anfang Januar 2025 führt die Abteilung für Allgemeine Sicherheit der Übergangsregierung in ganz Syrien Militäroperationen aus, die gegen ehemalige Mitglieder der Assad-Regierung oder seiner Sicherheitsdienste gerichtet sind. Insbesondere in Homs kam es in diesem Kontext zu einer Anzahl an Sicherheitsvorfällen. Im Rahmen der Operationen wurden bislang große Mengen an Waffen konfisziert und zahlreiche Personen inhaftiert.

Mehrere Organisationen warfen den Sicherheitskräften der Übergangsregierung jedoch Rechtsbrüche und die Misshandlung von Syrerinnen und Syrern während dieser Kampagnen vor. Das Syrian Justice and Accountability Center erfasste bspw. sechs Todesfälle von Personen, die sich in Haft befanden, sowie in zwei Fällen die Verhaftung von Verwandten von gesuchten Personen, um diese unter Druck zu setzen, sich den Behörden zu stellen. Die Behörden der Übergangsregierung geben in derartigen Fällen an, nicht in die vorgeworfenen Verbrechen involviert gewesen zu sein oder aber Kenntnis über die Rechtsverletzungen zu haben, diese aber weder angeordnet noch autorisiert zu haben. In mindestens einem der genannten Fälle wurde eine Untersuchung eingeleitet, Ergebnisse liegen bislang nicht vor.

Komitee zur Vorbereitung der Konferenz des Nationalen Dialogs

Die Übergangsregierung verkündete die Einrichtung eines Vorbereitungskomitees, das die Planung der lange angekündigten Nationalen Dialogkonferenz übernehmen solle. Die sieben Komiteemitglieder umfassen fünf Männer und zwei Frauen, darunter eine Christin. Der Großteil der Mitglieder stammt aus Kreisen, die der derzeit dominanten Gruppierung der Übergangsregierung, Hay’at Tahrir al-Sham, nahestehen. Ausgeschlossen von der Teilnahme an der Konferenz sollen jedoch Assad-loyale Personen und Organisationen sowie bewaffnete Gruppierungen sein, die sich der Entwaffnung und Eingliederung in das neue syrische Militär verweigern. Diese Einschränkung würde primär die kurdisch-dominierten Demokratischen Kräfte Syriens (SDF) der Selbstverwaltung im Nordosten Syriens betreffen. Zwar finden weiterhin Verhandlungen zwischen der SDF und der Übergangsregierung statt, es ist jedoch nicht klar, wann und wie eine derartige Integration vorgenommen werden könne. Ein Termin für die Konferenz wurde bislang nicht genannt.

10.02.2025

Nordwesten: Andauernde Kämpfe zwischen SDF und SNA in Ost-Aleppo; Eingliederung der SNA in neue Sicherheitskräfte

Luftangriffe des türkischen Militärs und des durch die Türkei unterstützten Milizenbündnisses, der sogenannten Syrischen Nationalarmee (SNA), auf Ziele der kurdisch dominierten sogenannten Demokratischen Kräfte Syriens (SDF) nahe des Tishreen-Staudamms und der Qaraquzak-Brücke dauern weiterhin an. Immer wieder kommt es zu Bodenkämpfen zwischen den beiden Seiten. Auch in den Gouvernements Hasaka und Raqqa zielen türkische Luftangriffe auf Positionen der SDF. In einem Beitrag in den sozialen Medien am 09.01.25 gab der Anführer der Suleiman-Shah-Brigade, einer Fraktion innerhalb der SNA, der zuletzt im Zuge der Integration in das neue syrische Militär zum Brigadegeneral ernannt wurde und das Kommando über die Hama-Brigade erhielt, dass seine Kämpfer den Tishreen-Damm zwischenzeitlich eingenommen hätten. Genauere Informationen zu den Hintergründen und die Involvierung der neuen Administration in die Kämpfe gab es zunächst keine. Der Brigadegeneral kündigte an, Aktivitäten erneut aufzunehmen, wenn weitere Anweisungen von Entscheidungsträgern erfolgt seien.

Im Rahmen der Eingliederung bewaffneter Gruppierungen in eine neue einheitliche syrische Armee, wurden Berichten zufolge Truppen der Übergangsregierung in Damaskus in Gebiete in Afrin und Jinderes entsandt, die zuvor durch die SNA kontrolliert wurden. Die sogenannte Syrische Interimsregierung, die die Verwaltungsaufgaben in den durch die SNA und Türkei kontrollierten Gebieten ausübte, verkündete in einem internen Schreiben am 30.01.25 die Überstellung der eigenen Gebiete, Behörden und bewaffneten Gruppen an die Übergangsregierung in Damaskus.

Es ist bislang jedoch unklar, in welchem Tempo die Auflösung der Fraktionen fortschreiten wird oder bereits fortgeschritten ist und wie die Mitglieder der SNA-Milizen tatsächlich in das neue Militär eingegliedert werden. Die SDF, sowie andere bewaffnete Gruppierungen insbesondere aus dem Süden, sind bislang noch nicht in das neue Militär integriert.

Truppen der Übergangsregierung sollen auch weiter östlich, in der Nähe von Manbij, positioniert worden sein, wo es in der vergangenen Woche zum siebten Sprengstoffanschlag seit dem Fall Assads gekommen war. Die Täter und das genaue Ziel sind weiterhin unbekannt (vgl. BN v. 03.02.25).22

Humanitäre Hilfen: Weitreichende Konsequenzen nach Stopp von US-Hilfsgeldern

Die bereits prekäre humanitäre Lage in Syrien wird durch einen Ausfall von Hilfsgeldern Medienberichten zufolge weiter verschärft. Zahlreiche Organisationen in Syrien sind von dem Stopp der US-amerikanischen Auslandshilfen durch US-Präsident Donald Trump betroffen und sollen ihre Arbeit bereits eingestellt oder reduziert haben müssen. Im Jahr 2024 stellte die USA insgesamt 25,3 % der humanitären Hilfen für Syrien, gefolgt von Deutschland mit 12,5 % und der EU-Kommission mit 11,4 %. Zahlreiche Organisationen sahen sich aufgrund des Wegfalls dieser Summen nun gezwungen, Dienstleistungen einzustellen und Personal zu entlassen. So musste zum Beispiel die in Nordsyrien operierende türkische NGO Doctors of the World Turkey, zwölf Feldkrankenhäuser schließen und mehr als 300 Angestellte in Syrien entlassen.

Auch das Lager al-Hol im Nordosten Syriens soll von derartigen Kürzungen betroffen worden sein. Medienberichten zufolge blieben Lebensmittelhilfen in dem weitgehend abgeriegelten Lager kurzzeitig aus, in dem vor allem Personen leben, die Verbindungen zum IS haben sollen. Die zuständige Organisation erhielt nach einem zweiwöchigen Aufschub des Zahlungsstopps wieder Gelder durch die USA, um die Arbeit kurzfristig fortzusetzen. Die Anschlussfinanzierung bleibt jedoch ungewiss und die Lagerleitung warnt vor möglichen Aufständen und einer Instrumentalisierung der Umstände durch den IS.

27.01.2025

Zahlreiche Tote durch Kriegsrückstände

Medienberichten zufolge kommt es derzeit häufig zu Todesfällen und Verwundungen aufgrund der Explosion von nicht explodierten Sprengkörpern und Kriegsüberresten, die sich in großen Teilen des Landes finden.

Der syrische Zivilschutz, auch bekannt als Weißhelme, erfasste zwischen dem 27.11.24 und dem 19.01.25 insgesamt 40 durch zurückgebliebene Sprengkörper getötete und 65 verwundete Personen. Das UN-Büro für die Koordinierung von humanitären Angelegenheiten (UN OCHA) veröffentlichte hingegen Zahlen ihrer Partnerorganisationen, denen zufolge in den ersten zwei Januarwochen allein mind. 45 Personen durch Blindgänger und Landminen getötet sowie 60 weitere verwundet worden sein sollen. Insbesondere Gebiete, in denen es in den vergangenen 13 Jahren zu intensiven Kampfhandlungen kam, seien hiervon betroffen. Die Weißhelme konnten seit dem 26.11.24 bereits mehr als 1.060 Kampfmittelrückstände beseitigen, identifizierte bislang jedoch auch 134 Minenfelder und einzelne verminte Punkte.37

DAANES bringt freiwillige Rückkehr aus al-Hol-Camp auf den Weg

Zum ersten Mal verlassen syrische Staatsangehörige das al-Hol-Camp im Nordosten Syriens, um in ihre Heimatregionen (außerhalb der Kontrolle der DAANES) zurückzukehren. Die Lagerdirektion verkündete die Vorbereitung für die freiwillige Rückkehr von insgesamt 66 Familien.

Das Lager hat eine Bevölkerung von etwa 40.000 Personen, ein großer Anteil hiervon soll in Verbindung zum IS stehen und seit dessen militärischer Niederlage im Jahr 2019 in dem Lager leben. Es gilt als Sicherheitsrisiko und Nährboden für extremistische Ideologie. Bereits seit Jahren ruft die sog. Demokratische Autonome Administration für Nord- und Ostsyrien (DAANES) Drittstaaten dazu auf, ihre Angehörigen aus dem Lager zu repatriieren. Bei einem Großteil der Einwohnerinnen und Einwohner handele es sich um ausländische Staatsangehörige, nur etwa 16.000 Syrerinnen und Syrer würden in dem Lager leben. Bereits seit Oktober 2020 wäre es Angaben der DAANES nach möglich gewesen, das Lager freiwillig zu verlassen, doch aufgrund der Herrschaft Bashar al-Assads sei dies von den Betroffenen nicht wahrgenommen worden.

Andauernde Kämpfe zwischen SDF und SNA in Ost-Aleppo

Die Kämpfe zwischen den durch die Türkei unterstützten Milizen der sog. Syrischen Nationalarmee (SNA), mit militärischer Luftunterstützung durch die Türkei, und den kurdisch-dominierten sog. Demokratischen Kräften Syriens (SDF) im Osten des Gouvernements Aleppo dauern weiterhin an (vgl. BN v. 13.01.25).

Der Tishreen-Damm, auf den sich die Kämpfe und Luftangriffe weiter konzentrieren, liegt strategisch bedeutsam, generiert Strom und stellt Wassernachschub für einen großen Teil der SDF-kontrollierten Gebiete. Der Staudamm stellt dementsprechend ein wertvolles Druckmittel dar, sollte die SNA Kontrolle darüber erlangen. Die Syrische Beobachtungsstelle für Menschenrechte (SOHR) erfasste seit Beginn der Auseinandersetzungen am 12.12.24 insgesamt 483 Personen, die im Rahmen der Kämpfe und Luftangriffe getötet worden seien. Darunter sollen sich demnach 51 Zivilpersonen, 363 SNA-Kämpfer und 76 SDF-Angehörige befinden. Medienberichten zufolge soll die HTS-geführte Abteilung für Militäroperationen einen Konvoi nach Manbij in die Nähe des Staudamms entsandt haben. Eine Beteiligung an den Kämpfen fand zunächst jedoch nicht statt.

Bewaffnete Auseinandersetzungen mit SDF in Raqqa und Deir ez-Zor

Medien berichteten am 25.01.25, dass im ländlichen Deir ez-Zor drei Kämpfer der SDF in einer Auseinandersetzung mit bewaffneten Stammesangehörigen, die nach dem Sturz Assads loyal gegenüber der Übergangsregierung in Damaskus gewesen sein sollen, getötet worden sind.

Mehrere Beiträge in sozialen Medien berichteten außerdem, dass es am 25.01.25 zwischen SDF-Truppen und der HTS-geführten Abteilung für Militäroperationen entlang der Grenze zu den durch die beiden Akteure kontrollierten Gebieten im Gouvernement Raqqa zu gegenseitigem Beschuss kam. Die genauen Hintergründe und potentielle Opferzahlen blieben zunächst jedoch unklar.

20.01.2025

Vergeltungsakte und Selbstjustiz

Berichte über Vergeltungsakte und Selbstjustiz in Syrien nach dem Ende der Assad-Herrschaft dauern weiterhin an. Immer wieder gibt es Berichte über Einzelfälle, in denen die lokale Bevölkerung, Nachbarn und Bekannte zu Gewalt greifen und Vergeltung an (tatsächlichen oder vermeintlichen) Anhängerinnen und Anhängern der Assad-Regierung verüben. Eine internationale Tageszeitung berichtete am 16.01.25 von einem Vorfall, in dem eine betroffene Familie angab, dass eines ihrer Mitglieder ermordet wurde, obwohl es sich bei dem Opfer um einen einfachen, wehrdienstleistenden Soldaten gehandelt habe, der zweimal versucht haben soll zu desertieren. Die lokale Bevölkerung, aus der die Täter stammen sollen, die den Mann nach seiner Rückkehr nach Hause umgebracht hätten, unterstellte ihm jedoch, Informationen an die damalige Regierung weitergegeben zu haben, die zur Inhaftierung und Tötung von anderen geführt haben sollen. Ein Mitarbeiter der Polizei, die den Fall untersucht, sagte ebenfalls aus, die Familie des Ermordeten sei bekannt dafür gewesen, mit der Regierung zusammen zu arbeiten. Zunächst wurde niemand für die mutmaßlich außergerichtliche Tötung verhaftet.

Selbst einfachen Wehrdienstleistenden, die nach dem Sturz Assads nach Hause zurückkehrten, würde dem Zeitungsbericht zufolge mit Misstrauen begegnet. Es werde ihnen vorgeworfen, sie hätten die Verbrechen der Regierung ermöglicht.

Häufig wird außerdem über außergerichtliche Tötungen vormaliger Funktionäre unter der Assad-Regierung berichtet sowie Tötungen vor unklarem Hintergrund.

Israelischer Luftangriff auf HTS-Mitglieder in Quneitra

Bei einem israelischen Luftangriff auf Ziele in der Ortschaft Ghadir al-Bustan im südlichen Gouvernement Quneitra wurden drei Personen getötet und fünf weitere verwundet. Zwei der Getöteten sollen Angehörige von Hay’at Tahrir al-Shams (HTS) gewesen sein, während der Dritte ein Gemeindebeamter war, der ebenfalls mit der HTSÜbergangsregierung in Verbindung stand. Das israelische Militär gab an, dass Fahrzeuge, die Waffen transportierten, das Ziel der Luftschläge gewesen seien.

Israel führte nach dem Sturz Assads hunderte Luftschläge gegen staatliche militärische Ziele und Ausstattung aus (vgl. BN v. 23.12.24). Die syrische Übergangsregierung hatte bislang signalisiert, keinen Konflikt mit Israel zu suchen und die Luftangriffe und Bodenoperationen zwar verurteilt, aber keine militärischen Schritte eingeleitet. Es handelt sich jedoch um den ersten Luftangriff mit Opfern, die direkt mit der HTS-Übergangsregierung in Verbindung stehen.

13.01.2025

Andauernde Kämpfe zwischen SDF und SNA in Ost-Aleppo

Im Norden Syriens dauern türkische Luftangriffe und Kämpfe zwischen dem durch die Türkei unterstützten Milizenbündnis, der sog. Syrische Nationalarmee (SNA), und den kurdisch-dominierten Demokratischen Kräften Syriens (SDF) weiterhin an.

Im Fokus türkischer Angriffe steht nach der Einnahme Manbijs und Tall Rif’ats durch die SNA (vgl. BN v. 23.12.24) besonders der Tishreen-Staudamm. Am 08.01.25 sammelten sich über 1.000 Protestierende, um auf Aufforderung der Demokratischen Autonomen Administration von Nord- und Ostsyrien (DAANES) gegen den andauernden Beschuss zu demonstrieren. Medienberichten zufolge sollen während des Protestzugs Ziele in der Nähe bombardiert worden sein. Die Gesundheitsbehörde in Ayn al-Arab (Kobanê) berichtete, dass fünf Zivilpersonen getötet und 15 weitere verwundet worden seien. Türkische Behörden lehnten eine türkische Verantwortung hierfür ab und beschuldigten die DAANES und SDF, die Zivilbevölkerung als menschliche Schilde zu missbrauchen. Am Tag darauf sollen Berichten der Syrischen Beobachtungsstelle für Menschenrechte (SOHR) zufolge 37 Personen getötet worden sein. Darunter befanden sich demnach primär SNA-Kämpfer, aber auch sechs Mitglieder der SDF. Insgesamt steigt die Todeszahl des vergangenen Monats damit auf 332 Tote. Ferner sollen SDF-Angaben zufolge am 11.01.25 drei Zivilpersonen durch türkische Luftangriffe getötet worden sein.

Proteste der alawitischen Bevölkerung; Berichte über Tote bei Ausschreitungen und Vergeltungsakten

Am 25.12.24 brachen in mehreren Städten des Landes Proteste der alawitischen Bevölkerung aus, nachdem online ein Video zirkulierte, dass die Zerstörung eines alawitischen Schreins in Aleppo zeigte. Die Behörden gaben später an, es habe sich um ein älteres Video gehandelt. Homs neu ernannter Polizeichef berichtete von friedlichen Protesten in Homs-Stadt, die von Gruppierungen, die mit der gestürzten Assad-Regierung in Verbindung standen, missbraucht worden seien. Dabei sollen Einzelne das Feuer auf Protestierende und anwesende Sicherheitskräfte eröffnet haben, wodurch eine Person getötet und mehrere verletzt worden sein sollen. Sicherheitskräfte erließen temporäre Ausgangssperren und errichteten Checkpoints, um die Situation unter Kontrolle zu bringen. SOHR berichtete zunächst, dass die Proteste von HTS-Kämpfern niedergeschlagen worden sein sollen.

Weitere Proteste brachen in Damaskus aus, nachdem ein Video, das die Verbrennung eines Weihnachtsbaums zeigte, publik wurde. Am Folgetag gab das Informationsministerium der Übergangsregierung bekannt, die Verbreitung von Videos mit einem „sektiererischen Charakter, der auf die Verbreitung von Spaltung abzielt“ zu verbieten.

Seit der Machtübernahme der HTS sollen Dutzende Syrerinnen und Syrer durch Racheakte getötet worden sein, insbesondere Mitglieder der alawitischen Bevölkerungsgruppe. Die Sorge vor Vergeltungsschlägen unter Alawitinnen und Alawiten ist weiterhin groß. Eine konkrete Opferzahl liegt nicht vor.

Vorgehen gegen Assad-treue Milizen

Bewaffnete Gruppen der Übergangsregierung führen in verschiedenen Orten Verhaftungskampagnen durch, um die Auflösung Assad-treuer Milizen voranzutreiben. So fand am 30.12.24 eine Verhaftungskampagne in der Ortschaft Adra nahe Damaskus statt, in deren Zuge mehrere Anführer solcher Milizen inhaftiert worden sein sollen.

Am 25.12.24 kam es in der Küstenstadt Tartous zu Kämpfen zwischen HTS-Kämpfern und Unterstützern der gestürzten Regierung, nachdem Medienberichten zufolge ein hochrangiger Funktionär der vormaligen Regierung verhaftet werden sollte. Dabei sollen 14 HTS-Kämpfer getötet und weitere verwundet worden sein.

Im Nachgang an die in Kämpfe eskalierten Proteste in Homs-Stadt (s.o.) führten die neuen syrischen Sicherheitskräfte am 02.01.25 unter dem Einsatz von Panzern eine weitere Verhaftungskampagne gegen ehemalige Milizenangehörige und Soldaten in Homs-Stadt durch, die sich ihrer Entwaffnung verweigert und der Beteiligung an Kriegsverbrechen verdächtigt werden sollen. Bereits am ersten Tag der mehrtägigen Kampagne sollen über 100 Personen inhaftiert worden sein.

Das Vorgehen gegen Mitglieder und Funktionäre der ehemaligen Regierung führte auch zu Kritik. Menschenrechtsorganisationen warfen der Übergangsregierung willkürliche Verhaftungen und intransparentes Vorgehen gegen mutmaßliche Assad-Unterstützer vor. Dies bestritten die Übergangsbehörden und verwiesen darauf, gegen bewaffnete, gewaltbereite Assad-Loyalisten vorzugehen, nicht jedoch gegen einfache Sympathisanten.

Einige Tage später, am 12.01.25 ergingen Berichte, dass etwa 360 Personen, die im Zuge der Verhaftungskampagnen in Gewahrsam genommen worden waren, durch die Abteilung für Allgemeine Sicherheit, freigelassen wurden. Es hätte sich bestätigt, dass sich die betroffenen Personen der Entwaffnung und der Übergangsregierung nicht widersetzen würden und sich keiner Kriegsverbrechen schuldig gemacht hätten. Wie viele der Inhaftierten aus Homs in Gewahrsam verblieben, war zunächst nicht bekannt.

Wirtschaftliche Situation und Lockerung von Sanktionen

Die desolate wirtschaftliche Lage sorgt weiterhin für Herausforderungen bei der Versorgung der syrischen Bevölkerung. Während Hilfsorganisationen davon ausgehen, dass noch immer ca. 90 % der Bevölkerung unterhalb der Armutsgrenze leben und etwa 13,1 Mio. Menschen in Syrien nicht ausreichend Nahrungsmittel zur Verfügung haben, bemüht sich die Übergangsregierung um das Einholen weiterer Hilfsgelder und Wiederaufbauhilfen.

Zuletzt kamen am 10.01.25 vor der Umayyaden-Moschee in Damaskus mind. drei Personen in der sich dort versammelnden Menschenmasse zu Tode. Berichten zufolge kommen zahlreiche Menschen zur Moschee und auf den Vorplatz, um dort das Freitagsgebet zu verrichten, aber auch um dort Lebensmittelhilfen zu erhalten.

Nachdem zuletzt die Verlängerung der US-Sanktionen des Caesar Act, der eines von mehreren Sanktionspaketen darstellt, um weitere fünf Jahre eingeleitet wurde, lockerte die US-Regierung am 06.01.25 einige Restriktionen für die kommenden sechs Monate, um es Investoren zu ermöglichen, mit syrischen Behörden zusammenzuarbeiten. Insbesondere in Bereichen die zur Versorgung der Bevölkerung beitragen, wie die humanitäre Hilfe, aber auch Strom, Energie, Wasser, Sanitäranlagen, sollen die Lockerungen der Sanktionen Wirkung zeigen.

In einem weiteren Schritt der Öffnung Syriens nahm der internationale Flughafen Damaskus am 07.01.25 den kommerziellen internationalen Luftverkehr wieder auf.

Die Zusammenführung der syrischen Wirtschaft nach der mehrjährigen de-facto-Teilung stellt die Übergangsregierung vor Herausforderungen. Aufgrund einer angestrebten Angleichung öffentlicher Gehälter zwischen den vormaligen Gebieten der HTS-geführten Administration in Idlib und den vormals durch die Assad-Regierung kontrollierten Gebieten, nahm die Übergangsregierung temporäre Kürzungen der Gehälter in Idlib um die Hälfte der Gesamtsumme vor (diese lagen bislang bei etwa 100-170 USD/Monat). Gleichzeitig wurden im Rahmen von Notfallmaßnahmen öffentliche Gehälter in den vormaligen Gebieten der Assad-Regierung erhöht, da diese bislang bei nur etwa 17 USD/Monat lagen. Lehrkräfte in Idlib kündigten daraufhin einen Streik gegen die temporären Kürzungen an, da auch sie trotz der verhältnismäßig höheren Gehälter unter großem finanziellem Druck stünden.

23.12.2024

Statusklärungsprozesse für ehemalige Angehörige der SAA und NDF

Ehemalige Angehörige der Syrischen Arabischen Armee (SAA) und irantreuer Milizen, welche unter dem Verbund der Nationalen Verteidigungskräfte (NDF) organisiert waren, sollen nach Angaben der neuen Herrscher die Möglichkeit bekommen, einen Statusklärungsprozess zu durchlaufen, in dem festgestellt werden soll, ob die betreffende Person entweder für Verbrechen unter der Assad-Regierung verantwortlich gewesen war und eine entsprechende Strafverfolgung zu erwarten hat, oder ob sie eine Amnestie erhalten kann.

Ehemalige Soldaten, Offiziere und medizinisches Personal der SAA wurden dazu aufgerufen, sich dafür in sogenannten Versöhnungszentren zu melden, um sich auszuweisen und Waffen sowie Gerätschaften abzugeben. Einer internationalen Tageszeitung zufolge öffnete am 18.12.24 in Latakia eines der ersten solcher Versöhnungszentren auf dem Boden einer ehemaligen Sicherheitsbehörde. Am ersten Tag sollen mehr als 600 Personen erschienen sein, gefolgt von einer noch größeren nicht näher bestimmten Zahl am Tag darauf.

Alle Personen, überwiegend Männer, aber auch einzelne Frauen, würden abfotografiert und ein zunächst für drei Monate gültiges Ausweisdokument erhalten. Einem örtlichen Vertreter des Innenministeriums in Latakia zufolge müssten sich die Betroffenen im Rahmen des Aussöhnungsprozesses nach drei Monaten bei einem Sicherheitshauptquartier melden, um das Verfahren weiter betreiben zu können.

Vor dem Sturz der Assad-Regierung am 08.12.24 ist bereits im zuvor von HTS eroberten Aleppo am 06.12.24 ein sogenanntes Versöhnungszentrum eingerichtet worden.

Ehemalige bewaffnete Oppositionsgruppen sollen in die syrische Armee eingegliedert werden

Wie syrische Staatsmedien am 17.12.24 berichteten, sollen dem Anführer von Hayat Tahrir al-Sham (HTS) zufolge alle bewaffneten Gruppen im Land aufgelöst und deren Kämpfer dem Verteidigungsministerium unterstellt werden. Unterdessen rief das neue Innenministerium Interessierte dazu auf, sich in den Polizeiakademien des Landes für den Sicherheitsdienst zu bewerben.

Berichte über einzelne Übergriffe auf Alawitinnen und Alawiten

Dem Bericht einer internationalen Presseagentur vom 21.12.24 zufolge dokumentierte die Syrische Beobachtungsstelle für Menschenrechte (SOHR) seit dem Sturz der Assad-Regierung am 08.12.24 mindestens 72 Fälle von Tötungen an verschiedenen ethnischen und religiösen Minderheiten. Alle Vorfälle wurden demnach in den religiös vielfältigen Gouvernements Hama, Homs, Tartus und Latakia verortet.

Zwischen dem 09.12. und 11.12.24 wurden dem Presseagenturbericht zufolge in der Ortschaft Bahra (Hama) etwa ein Dutzend Alawitinnen und Alawiten von bewaffneten Männern erschossen. In den benachbarten Ortschaften Mouaa und Um al-Amad wurden ebenfalls jeweils sechs und zwei Personen getötet. Alle drei Orte sollen inzwischen nahezu verlassen sein, nachdem die Bewohnerinnen und Bewohner nach Tartus geflohen seien.

Am Wochenende des 20.12. und 21.12.24 soll daraufhin die HTS-Miliz ein Treffen veranstaltet haben, zu dem sunnitische und alawitische Würdenträger aus den Ortschaften Rabia, Tizin, Metnine und Mouaa erschienen sein und ein Ende der gewalttätigen Übergriffe beschlossen haben sollen.

Besetzte Pufferzone: Israel geht von längerer Präsenz aus

Nachdem die israelische Armee kurz nach dem Sturz der Assad-Regierung in die entmilitarisierte Pufferzone entlang den Golanhöhen im syrischen Gouvernement Quneitra eingedrungen war (vgl. BN v. 09.12.24) und den Gipfel des Hermon, Syriens höchstem Berg, eingenommen hat, besuchte der israelische Premierminister Benjamin Netanjahu am 17.12.24 einen der neu errichteten Stützpunkte und bekräftigte die Absicht Israels, die Pufferzone solange militärisch zu halten bis ein Abkommen mit den neuen Herrschern in Damaskus getroffen worden sei, das die Sicherheit Israels garantiere.

Der Hermon ist weniger als zehn km von den seit 1967 israelisch besetzten Golanhöhen entfernt und stellt einer Presseerklärung des israelischen Verteidigungsministeriums vom 17.12.24 zufolge eine strategisch wichtige Position dar, von der aus man Hisbollah-Einheiten in der Bekaa-Ebene des benachbarten Libanon besser beobachten könne. Außerdem würde die israelische Präsenz eine abschreckende Wirkung auf Rebellen in Damaskus haben, die eine moderate Fassade für sich behaupten, aber den extremsten Zweigen des Islamismus zuzurechnen seien.

Ahmad al-Shara, Anführer der HTS-Miliz, kritisierte das israelische Vorgehen und versicherte, dass Syrien das im Jahr 1974 geschlossene Waffenstillstandsabkommen mit Israel wahren werde. Vielmehr sei die Gefahr, die von irantreuen Milizen für Israel ausgegangen sei, durch den Sturz der Assad-Regierung gebannt worden.

Am 15.12.24 genehmigte die israelische Regierung zudem den Ausbau weiterer Siedlungen auf den Golanhöhen. Eine Verdoppelung der israelischen Bevölkerung in den Golanhöhen, die mit den Siedlungsgenehmigungen erreicht werden soll, diene der Verteidigungsfähigkeit der Region.

Gegenwärtig leben schätzungsweise 20.000 israelische neben 20.000 syrischen Staatsangehörigen auf den Golanhöhen. Letztere setzen sich vor allem aus der drusisch-arabischen Minderheit Syriens zusammen. Anders etwa als das Westjordanland, das Israel als umstrittenes Gebiet betrachtet, werden die Golanhöhen seit ihrer Annexion von Syrien im Jahre 1981 als israelisches Staatsgebiet behandelt.19

Nordosten: Angriffe der SNA auf Ain al-Arab (Kobanê)

Die kurdisch geführten Demokratischen Kräfte Syriens (SDF) berichteten, am 18.12.24 an zahlreichen Stellungen um die im Gouvernement Aleppo gelegene Ortschaft Ain al-Arab (kurdisch Kobanê) und entlang des Euphrat von Kämpfern der von der Türkei unterstützten Syrischen Nationalen Armee (SNA) angegriffen worden zu sein.

Die Ortschaft ist die letzte größere Bastion der SDF im Gouvernement Aleppo zwischen Tal Abyad im Osten und Jarabulus sowie Manbij im Westen, die sich inzwischen allesamt unter der Kontrolle der SNA und des türkischen Militärs befinden. Zugleich ist Ain al-Arab bzw. Kobanê mehrheitlich kurdisch bewohnt. Der Stadt wird durch den hart erkämpften Sieg über die IS-Herrschaft im Jahr 2016 große symbolische Bedeutung beigemessen. Nach der Einnahme Manbijs durch die SNA am 11.12.24 (vgl. BN v. 16.12.24) wurde eine zeitlich begrenzte Waffenruhe für die gesamte Region beschlossen. Vorausgegangene Kämpfe hatten Tausende Menschen zur Flucht bewegt.

Die Führung der SDF bekannte sich am 17.12.24 öffentlich zu einem Friedensplan, wonach sie ihre Kämpferinnen und Kämpfer aus Kobanê abziehen würden, wenn dafür eine entmilitarisierte Zone unter Aufsicht der US-Armee geschaffen werde.

Am 20.12.24 wurden Medienberichten zufolge eine Journalistin und ein Journalist bei einem türkischen Drohnenangriff nahe der Tischrin-Talsperre, etwa 60 km südlich von Ain al-Arab bzw. Kobanê, getötet. Die beiden arbeiteten für kurdische Medienunternehmen in der Türkei.

16.12.2024

Machtwechsel; Schicksal vieler Assad-Getreuer ungewiss

Am 13.12.24 kamen in Damaskus Zehntausende Menschen am Umayyaden-Platz, einem Kreisverkehr nahe der gleichnamigen Moschee im Zentrum der Stadt, zusammen, um das Freitagsgebet zu begehen und das Ende der Assad-Herrschaft zu feiern. Die Predigt in der Umayyaden-Moschee wurde von Interims-Premierminister al-Bashir gehalten. Der Anführer der Hayat Tahrir al-Sham (HTS), Ahmad al-Sharaa, der inzwischen seinen Kampfnamen Abu Mohammed al-Jolani abgelegt hat, wandte sich in einer Videobotschaft an die Bevölkerung, um ihr zu gratulieren.

Am 11.12.24 hatte al-Sharaa in einer schriftlichen Stellungnahme angekündigt, keine Begnadigungen für Personen auszusprechen, die an der Folter oder dem Mord von Häftlingen unter der Assad-Regierung beteiligt waren. Man werde die im Land verbliebenen Täter ausfindig machen und ausländische Staaten um eine Überstellung bitten. Die in London ansässige Syrische Beobachtungsstelle für Menschenrechte (SOHR) berichtete am selben Tag von Übergriffen bewaffneter Gruppen auf Personen in Wohnvierteln, die als Assad-Hochburgen bekannt waren. Es soll demnach zu Plünderungen und Einschüchterungen gekommen sein. Während prominente Assad-Anhänger wie dessen Bruder Maher oder Generalmajor Al Mamlouk Berichten zufolge nach Russland bzw. Libanon geflohen sein sollen, ist der Verbleib vieler weiterer Führungspersönlichkeiten der gestürzten Regierung ungeklärt.

Am 14.12.24 eröffnete der türkische Außenminister Hakan Fidan die türkische Botschaft in Damaskus, die seit dem Jahr 2012 geschlossen war.

Nordostsyrien: SDF geben Manbij auf; hissen die neue Flagge Syriens

Die kurdisch geführten Demokratischen Kräfte Syriens (SDF) erklärten am 11.12.24, einem durch die USA und Türkei vermittelten (vgl. BN v. 09.12.24) Waffenstillstandsabkommen zugestimmt zu haben, wonach sie ihre Streitkräfte aus Manbij abziehen mussten. Die Ortschaft steht damit unter der Kontrolle der Syrischen Nationalen Armee (SNA), einem aus der Türkei geförderten islamistischen Rebellenverbund. Manbij befand sich seit mehr als acht Jahren unter Kontrolle der SDF, nachdem sie den IS im August 2016 aus der Ortschaft vertrieben hatten. Die Führung der SDF kritisierte die USA dafür, die Angriffe der Türkei und der mit ihr verbündeten Milizen auf die Kurden nicht verhindert haben zu können, schließlich sei Manbij auch mit Hilfe des US-Militärs vom IS befreit worden. Dieser könne eine Schwächung der SDF in der Region möglicherweise auch für sich zu nutzen wissen. US-Angaben zufolge halten die SDF derzeit noch ca. 9.000 IS-Kämpfer in über 20 Haftanstalten verteilt über Nordostsyrien gefangen.

Am 12.12.24 erklärte die Demokratische Autonome Administration von Nord- und Ostsyrien (DAANES), das zivile Pendant zu den SDF, auf allen Gebäuden ihrer Institutionen die neue Flagge Syriens gehisst zu haben. In der Stellungnahme bekannte sie sich zur Einheit Syriens und ihrer nationalen Identität. Bis dato positionierte sich die DAANES seit Jahren als dritte Partei zwischen syrischer Regierung und der bewaffneten Opposition. In dem symbolischen Akt kann eine Bereitschaft zur Zusammenarbeit mit den neuen Herrschern in Damaskus gesehen werden.

Fluchtbewegungen

Aktualisierten Zahlen der UN zufolge sind im Zuge der HTS-Offensive 1,1 Mio. Menschen zu Binnenflüchtlingen geworden, insbesondere Bewohnerinnen und Bewohner der Gouvernements Aleppo, Idlib, Hama und Homs. Fluchtbewegungen können vor allem in die Gouvernements Idlib, Hama, Rif Dimashq, Aleppo und Tartus verzeichnet werden. Demgegenüber hätten ca. 5.000 Menschen ihre Notunterkunft in Binnenvertriebenenlagern verlasen, um in ihre Häuser zurückzukehren. In den meisten Regionen habe sich die Sicherheitslage zuletzt verbessert, nur in Nordostsyrien sprechen die UN von einer volatilen Situation infolge von großen territorialen und politischen Veränderungen.

Die UN berichten außerdem mit Stand 13.12.24, dass seit dem 08.12.24 etwas weniger als 10.000 Menschen aus dem Libanon nach Syrien zurückgekehrt seien. Zehntausende wären zur selben Zeit (vor dem Hintergrund des Waffenstillstandes zwischen Israel und Hisbollah) von Syrien in den Libanon zurückgekehrt. Etwa 1.000 Syrerinnen und Syrer wären demnach in den Irak geflohen, 800 Personen alleine am 11.12.24.

09.12.2024

Sturz der Assad-Regierung

Mit der weitgehend kampflosen Einnahme weiterer Gouvernementhauptstädte (05.12.24 Hama, 07.12.24 Homs) fiel am Morgen des 08.12.24 schließlich auch die Hauptstadt Damaskus unter die Kontrolle von Hayat Tahrir al-Sham (HTS).

Zur Offensive aus dem Nordwesten (vgl. BN v. 02.12.24) kamen spontan regionale bewaffnete Aufstände hinzu, wodurch auch die südlichen Gouvernements Suweida und Dar’a von Umstürzen erfasst wurden. Am 06.12.24 rief außerdem die russische Botschaft in Damaskus ihre Staatsbürgerinnen und Staatsbürger zum Verlassen des Landes auf und das iranische Militär verließ das Land über die Grenzübergänge nach Irak und Libanon oder den Luft- bzw. Seeweg über Latakia.

Die syrische Armee verließ Medienberichten zufolge in großer Zahl ihre Posten und ließ militärisches Gerät und Ausrüstung zurück. Zu Tausenden sollen Soldaten desertiert sein, ihre Militäruniformen durch zivile Kleidung ersetzt und sich unter die Zivilbevölkerung gemischt haben. Die staatlichen Institutionen des Landes würden der HTS-Miliz zufolge zunächst unter der Aufsicht des bisherigen Premierministers stehen, der die Übergangszeit begleite. Nach gegenwärtiger Informationslage ist noch nicht bekannt, ob HTS-Kämpfer bereits in die Gouvernementhauptstädte der syrischen Küste, Latakia und Tartus, vorgedrungen sind, wo sich die große Mehrheit der Alawiten im Land und eine Machtbasis des laut Medienberichten mit russischer Unterstützung nach Moskau geflohenen ehemaligen Präsidenten Assad befindet. Abu Mohammed al-Jolani, Anführer der islamistischen HTS-Miliz, betrat am 08.12.24 medienwirksam die Umayyaden-Moschee in Damaskus, wo er eine Siegesrede über die Assad-Herrschaft und „iranische Bestrebungen“ in Syrien hielt.

Außerdem große Beachtung fand die Einnahme des berüchtigten Sednaya-Gefängniskomplexes, wo zahlreiche Männer, Frauen und Kinder befreit wurden. Die Gefängnisanlage enthält Berichten zufolge mehrere unterirdische und zum Teil verbarrikadierte Etagen, zu denen am Morgen des 09.12.24 Rettungskräfte noch immer nicht vollständig durchgedrungen waren. Eine Untersuchung durch die UN im Jahr 2016 hatte ergeben, dass während der Assad-Herrschaft so viele Menschen in den Gefängnissen zu Tode gefoltert wurden, dass sie in ihrem Bericht den Begriff „Vernichtung“ verwendet hat.

Aus den Protesten gegen die Assad-Herrschaft, die im Jahr 2011 im Zuge des sogenannten Arabischen Frühlings ihren Anfang nahmen, gelang es der Opposition nie, jenseits der Forderung nach dem Sturz der Regierung eine gemeinsame Vorstellung hinsichtlich einer neuen Staatsordnung für die Zeit nach Assad zu formulieren.

Nordsyrien: SNA und türkische Armee greifen SDF an

Mehreren übereinstimmenden Berichten zufolge griff die türkische Armee am 08.12.24 Stellungen der Demokratischen Kräfte Syriens (SDF) in Manbij im Norden des Gouvernements Aleppo mit Drohnen an, nachdem es am Vortag bereits zu Kämpfen zwischen den SDF und der Syrischen Nationalen Armee (SNA) gekommen war. Den SDF zufolge waren dabei mindestens 22 ihrer Kämpfer getötet und 40 weitere verletzt worden.

Den UN zufolge sollen in Nordsyrien bereits zum 05.12.24 etwa zwischen 60.000 und 80.000 Personen vor anhaltenden Kämpfen zwischen SDF und SNA geflohen sein.

Sowohl SDF als auch SNA begrüßten den Fall der Assad-Regierung, stehen sich im Kampf um die Kontrolle der nördlichen (teils mehrheitlich kurdisch bevölkerten) Gebieten jedoch feindlich gegenüber. Die Verteidigungsminister der USA und der Türkei telefonierten nach den Kampfhandlungen miteinander, um eine Deeskalation zu bewirken.

USA bombardieren IS-Stellungen; Israel sichert Golanhöhen

Die USA verkündeten am 08.12.24, Dutzende Stellungen des IS in Zentralsyrien aus der Luft angegriffen zu haben. Insgesamt 75 Ziele sollen demnach getroffen worden sein. Es lägen demnach keine Berichte über zivile Opfer vor. Der Zeitpunkt der Angriffe sei so gewählt worden, damit der IS die volatile politische Lage im Land nicht für sich nutzen könne.

Einem Zeitungsbericht zufolge hat sich das israelische Militär am 08.12.24 erstmals seit dem Oktober- bzw. Jom-Kippur-Krieg im Jahr 1973 auf syrisches Territorium jenseits der annektierten Golanhöhen bewegt. Es sei die Bergregion im syrischen Gouvernement Quneitra um den Gipfel Hermon, der höchste Berg Syriens, gesichert worden, um eine temporäre „Pufferzone“ einzurichten, bis eine Vereinbarung über die Nachbarschaft mit den neuen Herrschern in Damaskus getroffen worden sei.

Außerdem habe die israelische Luftwaffe am 07.12. und 08.12.24 mehrere Militäranlagen Syriens bombardiert. Diese sollten das verbliebene Chemiewaffenarsenal des Landes lagern. Dabei wurden auch Elemente russischer Luftabwehrsysteme und ein Arsenal an ballistischen Boden-Boden-Raketen zerstört.

Kurzinformation der Staatendokumentation SYRIEN, 10.12.2024

Sicherheitslage, Politische Lage Dezember 2024: Opposition übernimmt Kontrolle, al-Assad flieht

1. Zusammenfassung der Ereignisse

Nach monatelanger Vorbereitung und Training (NYT 1.12.2024) starteten islamistische Regierungsgegner unter der Führung der Hay’at Tahrir ash-Sham (HTS) (Standard 1.12.2024) die Operation „Abschreckung der Aggression“ – auf نن Arabisch: ردع العدوا - Rad’a al-‘Adwan (AJ 2.12.2024) und setzten der Regierung von Präsident Bashar al-Assad innerhalb von 11 Tagen ein Ende.

Am 30.11. nahmen die Oppositionskämpfer Aleppo ein und stießen weiter in Richtung der Stadt Hama vor, welche sie am 5.12. einnahmen. Danach setzten sie ihre Offensive in Richtung der Stadt Homs fort (AJ 8.12.2024). Dort übernahmen sie die Kontrolle in der Nacht vom 7.12. auf 8.12. (BBC 8.12.2024).

Am 6.12. zog der Iran sein Militärpersonal aus Syrien ab (NYT 6.12.2024). Russland forderte am 7.12. seine Staatsbürger auf, das Land zu verlassen (FR 7.12.2024). Am 7.12. begannen lokale Milizen und Rebellengruppierungen im Süden Syriens ebenfalls mit einer Offensive und nahmen Daraa ein (TNA 7.12.2024; Vgl. AJ 8.12.2024), nachdem sie sich mit der Syrischen Arabischen Armee auf deren geordneten Abzug geeinigt hatten (AWN 7.12.2024). Aus den südlichen Provinzen Suweida und Quneitra zogen ebenfalls syrische Soldaten, sowie Polizeichefs und Gouverneure ab (AJ 7.12.2024). Erste Oppositionsgruppierungen stießen am 7.12. Richtung Damaskus vor (AJ 8.12.2024). Am frühen Morgen des 8.12. verkündeten Medienkanäle der HTS, dass sie in die Hauptstadt eingedrungen sind und schließlich, dass sie die Hauptstadt vollständig unter ihre Kontrolle gebracht haben (Tagesschau 8.12.2024). Die Einnahme Damaskus’ ist ohne Gegenwehr erfolgt (REU 9.12.2024), die Regierungstruppen hatten Stellungen aufgegeben, darunter den Flughafen (Tagesschau 8.12.2024). Das Armeekommando hatte die Soldaten außer Dienst gestellt (Standard 8.12.2024).

Russland verkündete den Rücktritt und die Flucht von al-Assad (BBC 8.12.2024). Ihm und seiner Familie wurde Asyl aus humanitären Gründen gewährt (REU 9.12.2024).

Kurdisch geführte Kämpfer übernahmen am 6.12.2024 die Kontrolle über Deir ez-Zour im Nordosten Syriens, nachdem vom Iran unterstützte Milizen dort abgezogen waren (AJ 7.12.2024), sowie über einen wichtigen Grenzübergang zum Irak. Sie wurden von den USA bei ihrem Vorgehen unterstützt (AWN 7.12.2024).

Die von der Türkei unterstützten Rebellengruppierungen unter dem Namen Syrian National Army (SNA) im Norden Syriens starteten eine eigene Operation gegen die von den Kurden geführten Syrian Democratic Forces (SDF) im Norden von Aleppo (BBC 8.12.2024). ج فف ج Im Zuge der Operation „Morgenröte der Freiheit“ (auf Arabisch رال ر ح ة يية - Fajr al-Hurriya) nahmen diese Gruppierungen am 9.12.2024 die Stadt Manbij ein (SOHR 9.12.2024). Die Kampfhandlungen zwischen Einheiten der durch die Türkei unterstützten Syrian National Army (SNA) auf der einen Seite und den SDF auf der anderen Seite dauerten danach weiter an. Türkische Drohnen unterstützten dabei die Truppen am Boden durch Luftangriffe (SOHR 9.12.2024b).

Der Syrischen Beobachtungsstelle für Menschenrechte zufolge sind seit Beginn der Offensive 910 Menschen ums Leben gekommen, darunter 138 Zivilisten (AAA 8.12.2024). Beim Vormarsch auf Homs waren tausende Menschen Richtung Küste nach Westen geflohen (AJ 6.12.2024). Bei der Offensive gegen Manbij wurden hingegen einige Zivilisten in Richtung Osten vertrieben (SOHR 9.12.2024).

In Damaskus herrschte weit verbreitetes Chaos nach der Machtübernahme durch die Opposition. So wurde der Sturz von Assad mit schweren Schüssen gefeiert und Zivilisten stürmten einige staatliche Einrichtungen, wie die Zentralbank am Saba-Bahrat-Platz, das Verteidigungsministerium (Zivilschutz) in Mleiha und die Einwanderungs- und Passbehörde in der Nähe von Zabaltani, außerdem wurden in verschiedenen Straßen zerstörte und brennende Fahrzeuge gefunden (AJ 8.12.2024b). Anführer al-Joulani soll die Anweisung an die Oppositionskämpfer erlassen haben, keine öffentlichen Einrichtungen anzugreifen (8.12.2024c) und erklärte, dass die öffentlichen Einrichtungen bis zur offiziellen Übergabe unter der Aufsicht von Ministerpräsident Mohammed al-Jalali aus der Assad-Regierung bleiben (Rudaw 9.12.2024).

Gefangene wurden aus Gefängnissen befreit, wie aus dem berüchtigten Sedanaya Gefängnis im Norden von Damaskus (AJ 8.12.2024c).

2. Die Akteure

Syrische Arabische Armee (SAA): Die Syrische Arabische Armee kämpfte gemeinsam mit den National Defense Forces, einer regierungsnahen, paramilitärischen Gruppierung. Unterstützt wurde die SAA von der Hisbollah, Iran und Russland (AJ 8.12.2024).

Die Einheiten der syrischen Regierungstruppen zogen sich beim Zusammenstoß mit den Oppositionskräften zurück, während diese weiter vorrückten. Viele Soldaten flohen oder desertierten (NZZ 8.12.2024). In Suweida im Süden Syriens sind die Soldaten der Syrischen Arabischen Armee massenweise desertiert (Standard 7.12.2024). Am 7.12. flohen mehrere Tausend syrische Soldaten über die Grenze in den Irak (Arabiya 7.12.2024; vgl. Guardian 8.12.2024). Präsident al-Assad erhöhte am 4.12. die Gehälter seiner Soldaten, nicht aber dasjenige von Personen, die ihren Pflichtwehrdienst ableisteten (TNA 5.12.2024). Dieser Versuch, die Moral zu erhöhen, blieb erfolglos (Guardian 8.12.2024).

Die Opposition forderte die Soldaten indes zur Desertion auf (TNA 5.12.2024). Aktivisten der Syrischen Beobachtungsstelle für Menschenrechte beobachteten, dass Hunderte Soldaten ihre Militäruniformen ausgezogen haben, nachdem sie entlassen wurden (SOHR 8.12.2024). Offiziere und Mitarbeiter des Regimes ließen ihre Militär- und Sicherheitsfahrzeuge in der Nähe des Republikanischen Palastes, des Büros des Premierministers und des Volkspalastes unverschlossen stehen, aus Angst von Rebellen am Steuer erwischt zu werden (AJ 8.12.2024b).

Opposition: Obwohl Hay’at Tahrir ash-Sham (HTS) den plötzlichen Vormarsch auf Aleppo gestartet hat und treibende Kraft der Offensive war haben auch andere Rebellengruppierungen sich gegen die Regierung gewandt und sich am Aufstand beteiligt (BBC 8.12.2024c).

• Hay’at Tahrir ash-Sham (HTS): Die HTS wurde 2011 als Ableger der al-Qaida unter dem Namen Jabhat an-Nusra gegründet (BBC 8.12.2024c). Im Jahr 2017 brach die Gruppierung ihre Verbindung mit der Al-Qaida (CSIS 2018) und formierte sich unter dem Namen Hay’at Tahrir ash-Sham neu, gemeinsam mit anderen Gruppierungen (BBC 8.12.2024c). Sie wird von der UN, den USA, der Europäischen Union (AJ 4.12.2024) und der Türkei als Terrororganisation eingestuft (BBC 8.12.2024c). Der Anführer der HTS, der bisher unter seinem Kampfnamen Abu Mohammed al-Joulani bekannt war, hat begonnen wieder seinen bürgerlichen Namen, Ahmad ash-Shara’a zu verwenden (Nashra 8.12.2024). Er positioniert sich als Anführer im Post-Assad Syrien (BBC 8.12.2024c). Die HTS hat in den letzten Jahren versucht, sich als nationalistische Kraft (BBC 8.12.2024b) und pragmatische Alternative zu al-Assad zu positionieren (BBC 8.12.2024c).

Der Gruppierung werden Menschenrechtsverletzungen vorgeworfen (BBC 8.12.2024c). Einem Terrorismusexperten zufolge gibt es bereits erste Videos von Personen aus dem HTS-Umfeld, die ein Kalifat aufbauen wollen (WiWo 9.12.2024).

• National Liberation Front (NFL): Eine Reihe kleinerer Kampfgruppen, aus denen sich die NFL zusammensetzt, nahmen an der Operation „Abschreckung der Aggression“ teil, darunter die Jaish al-Nasr, das Sham Corps und die Freie Idlib-Armee. Die 2018 in Idlib gegründete NFL umfasst mehrere nordsyrische Fraktionen, von denen einige auch unter das Dach der Freien Syrischen Armee fallen (AJ 2.12.2024b).

• Ahrar al-Sham Movement: Die Ahrar al-Sham-Bewegung ist hauptsächlich in Aleppo und Idlib aktiv und wurde 2011 gegründet. Sie definiert sich selbst als „umfassende reformistische islamische Bewegung, die in die Islamische Front eingebunden und integriert ist“ (AJ 2.12.2024b).

• Jaish al-Izza: Jaish al-Izza: Übersetzt: „Die Armee des Stolzes“ ist Teil der Freien Syrischen Armee und konzentriert sich auf den Norden des Gouvernements Hama und einige Teile von Lattakia. Im Jahr 2019 erhielt die Gruppierung Unterstützung aus dem Westen, darunter auch Hochleistungswaffen (AJ 2.12.2024b).

• Nur Eddin Zinki-Bewegung (Zinki): Diese Gruppierung entstand 2014 in Aleppo, versuchte 2017, sich mit der HTS zusammenzuschließen, was jedoch nicht funktionierte. Die beiden Gruppierungen kämpften 2018 gegeneinander, und „Zinki“ wurde Anfang 2019 von ihren Machtpositionen in der Provinz Aleppo vertrieben. Ein Jahr später verhandelte „Zinki“ mit der HTS, und ihre Kämpfer kehrten an die Front zurück, und seitdem ist die Gruppe unter den oppositionellen Kämpfern präsent (AJ 2.12.2024b).

• Milizen in Südsyrien: Gruppierungen aus südlichen Städten und Ortschaften, die sich in den letzten Jahren zurückhielten, aber nie ganz aufgaben und einst unter dem Banner der Freien Syrien Armeekämpften, beteiligten sich am Aufstand (BBC 8.12.2024c). In Suweida nahmen Milizen der syrischen Minderheit der Drusen Militärstützpunkte ein (Standard 7.12.2024).

• Syrian Democratic Forces (SDF): Die SDF ist eine gemischte Truppe aus arabischen und kurdischen Milizen sowie Stammesgruppen. Die kurdische Volksschutzeinheit YPG ist die stärkste Miliz des Bündnisses und bildet die militärische Führung der SDF (WiWo 9.12.2024). Sie werden von den USA unterstützt (AJ 8.12.2024). Im kurdisch kontrollierten Norden liegen die größten Ölreserven des Landes (WiWo 9.12.2024).

• Syrian National Army (SNA): Diese werden von der Türkei unterstützt (BBC 8.12.2024c) und operieren im Norden Syriens im Grenzgebiet zur Türkei (AJ 8.12.2024). Der SNA werden mögliche Kriegsverbrechen, wie Geiselnahmen, Folter und Vergewaltigung vorgeworfen. Plünderungen und die Aneignung von Privatgrundstücken, insbesondere in den kurdischen Gebieten, sind ebenfalls dokumentiert (WiWo 9.12.2024).

3. Aktuelle Lageentwicklung

Sicherheitslage:

Israel hat Gebäude der Syrischen Sicherheitsbehörden und ein Forschungszentrum in Damaskus aus der Luft angegriffen, sowie militärische Einrichtungen in Südsyrien, und den Militärflughafen in Mezzeh. Israelische Streitkräfte marschierten außerdem in al-Quneitra ein (Almodon 8.12.2024) und besetzten weitere Gebiete abseits der Golan-Höhen, sowie den Berg Hermon (NYT 8.12.2024). Die israelische Militärpräsenz sei laut israelischem Außenminister nur temporär, um die Sicherheit Israels in der Umbruchphase sicherzustellen (AJ 8.12.2024d). Am 9.12.2024 wurden weitere Luftangriffe auf syrische Ziele durchgeführt (SOHR 9.12.2024c). Einer Menschenrechtsorganisation zufolge fliegt Israel seine schwersten Angriffe in Syrien. Sie fokussieren auf Forschungszentren, Waffenlager, Marine-Schiffe, Flughäfen und Luftabwehr (NTV 9.12.2024). Quellen aus Sicherheitskreisen berichten indes, dass Israelisches Militär bis 25km an Damaskus in Südsyrien einmarschiert wäre (AJ 10.12.2024).

Das US-Central Command gab an, dass die US-Streitkräfte Luftangriffe gegen den Islamischen Staat in Zentralsyrien geflogen sind (REU 9.12.2024). Präsident Biden kündigte an, weitere Angriffe gegen den Islamischen Staat vorzunehmen, der das Machtvakuum ausnützen könnte, um seine Fähigkeiten wiederherzustellen (BBC 7.12.2024).

Russland versucht, obwohl es bis zum Schluss al-Assad unterstützte, mit der neuen Führung Syriens in Dialog zu treten. Anstatt wie bisher als Terroristen bezeichnen russische Medien die Opposition mittlerweile als „bewaffnete Opposition“ (BBC 8.12.2024d).

Sozio-Ökonomische Lage:

Die Opposition versprach, den Minderheiten keinen Schaden zuzufügen und sie nicht zu diskriminieren, egal ob es sich um Christen, Drusen, Schiiten oder Alawiten handle. Gerade letztere besetzten unter der Führung Al-Assad’s oft hohe Positionen im Militär und den Geheimdiensten (TNA 5.12.2024).

Für alle Wehrpflichtigen, die in der Syrischen Arabischen Armee gedient haben, wurde von den führenden Oppositionskräften eine Generalamnestie erlassen. Ihnen werde Sicherheit garantiert und jegliche Übergriffe auf sie wurden untersagt (Presse 9.12.2024). Ausgenommen von der Amnestie sind jene Soldaten, die sich freiwillig für den Dienst in der Armee gemeldet haben (Spiegel 9.12.2024).

Die syrischen Banken sollen ihre Arbeit am 10.12.2024 wiederaufnehmen, die Bediensteten wurden aufgefordert, an ihre Arbeitsplätze zurückzukehren (Arabiya 9.12.2024).

Die HTS, die weiterhin auf der Terrorliste der UN steht, ist seit 2016 von Sanktionen des UN-Sicherheitsrates betroffen. Diplomaten zufolge war die Streichung der HTS von der Sanktionenliste kein Thema bei der jüngsten Ratssitzung (REU 10.12.2024).

Bevor der Wiederaufbau zerstörter Städte, Infrastruktur und Öl- und Landwirtschaftssektoren beginnen kann, muss mehr Klarheit über die neue Regierung Syriens geschaffen werden (DW 10.12.2024).

ISW – Institute for the Study of War, Iran Update, December 16, 2024

HTS Anführer Ahmed al Sharaa (aka Abu Mohammad al Jolani) verkündete am 15. Dezember, dass er Wehrdienstpflicht in Syrien abschaffen werde. (https://www.ecoi.net/de/dokument/2119182.html; https://understandingwar.org/backgrounder/iran-update-december-16-2024 : HTS leader Ahmed al Sharaa (aka Abu Mohammad al Jolani) stated on December 15 that he will end mandatory conscription in Syria.)

ACCORD - Zusammenstellung von Informationen zum Wehrdienst (bei den syrischen Streitkräften und in der DAANES), 23.09.2024

Den von DIS befragten Quellen waren keine Fälle bekannt, in denen Familienmitglieder aufgrund der Flucht oder Desertion ihrer Angehörigen Schikanen oder Ähnlichem ausgesetzt waren (DIS, Juni 2024, S.44, 57), selbst in Fällen, in denen die Fluchtwilligen an einem Kontrollpunkt festgenommen wurden (DIS, Juni 2024, S.66).

[Verweis auf DIS – Danish Immigration Service Bericht mit Informationen von einer Fact-Finding-Mission in die Autonome Region Kurdistan vom 27. April bis 4. Mai 2024 zur militärischen Rekrutierung im Norden und Osten Syriens (Profile der Rekrut·innen; Aufschub und Ausnahme von der Selbstverteidigungspflicht; Einberufungsprozess; Verwendung von Einberufenen in Kampfhandlungen; Menschenrechtsverletzungen an Zivilist·innen; Behandlung anderer ethnsicher Gruppen im Dienst; Rekrutierung durch Syrisch Demokratische Kräfte (SDF), PKK und die Syrische Arabische Armee (SAA)), Juni 2024]

Länderinformationen der BFA-Staatendokumentation aus dem COI-CMS, Syrien, Version 11, 27.03.2024

DEMOKRATISCHE SELBSTVERWALTUNG FÜR NORD- UND OSTSYRIEN

Wehrpflichtgesetz der "Demokratischen Selbstverwaltung für Nord- und Ostsyrien"

Auch aus den nicht vom Regime kontrollierten Gebieten Syriens gibt es Berichte über Zwangsrekrutierungen. Im Nordosten des Landes hat die von der kurdischen Partei PYD [Partiya Yekîtiya Demokrat, Partei der Demokratischen Union] dominierte "Demokratische Selbstverwaltung für Nord- und Ostsyrien" [Autonomous Administration of North and East Syria, AANES] 2014 ein Wehrpflichtgesetz verabschiedet, welches vorsah, dass jede Familie einen "Freiwilligen" im Alter zwischen 18 und 40 Jahren stellen muss, der für den Zeitraum von sechs Monaten bis zu einem Jahr in den YPG [Yekîneyên Parastina Gel, Volksverteidigungseinheiten] dient (AA 2.2.2024). Im Juni 2019 ratifizierte die AANES ein Gesetz zur "Selbstverteidigungspflicht", das den verpflichtenden Militärdienst regelt, den Männer über 18 Jahren im Gebiet der AANES ableisten müssen (EB 15.8.2022; vgl. DIS 6.2022). Am 4.9.2021 wurde das Dekret Nr. 3 erlassen, welches die Selbstverteidigungspflicht auf Männer beschränkt, die 1998 oder später geboren wurden und ihr 18. Lebensjahr erreicht haben. Gleichzeitig wurden die Jahrgänge 1990 bis 1997 von der Selbstverteidigungspflicht befreit (ANHA, 4.9.2021). Der Altersrahmen für den Einzug zum Wehrdienst ist nun in allen betreffenden Gebieten derselbe, während er zuvor je nach Gebiet variierte. So kam es in der Vergangenheit zu Verwirrung, wer wehrpflichtig war (DIS 6.2022). Mit Stand September 2023 war das Dekret noch immer in Kraft (ACCORD 7.9.2023).

Die Wehrpflicht gilt in allen Gebieten unter der Kontrolle der AANES, auch wenn es Gebiete gibt, in denen die Wehrpflicht nach Protesten zeitweise ausgesetzt wurde [Anm.: Siehe weiter unten]. Es ist unklar, ob die Wehrpflicht auch für Personen aus Afrin gilt, das sich nicht mehr unter der Kontrolle der "Selbstverwaltung" befindet. Vom Danish Immigration Service (DIS) befragte Quellen machten hierzu unterschiedliche Angaben. Die Wehrpflicht gilt nicht für Personen, die in anderen Gebieten als den AANES wohnen oder aus diesen stammen. Sollten diese Personen jedoch seit mehr als fünf Jahren in den AANES wohnen, würde das Gesetz auch für sie gelten. Wenn jemand in seinem Ausweis als aus Hasakah stammend eingetragen ist, aber sein ganzes Leben lang z.B. in Damaskus gelebt hat, würde er von der "Selbsverwaltung" als aus den AANES stammend betrachtet werden und er müsste die "Selbstverteidigungspflicht" erfüllen. Alle ethnischen Gruppen und auch staatenlose Kurden (Ajanib und Maktoumin) sind zum Wehrdienst verpflichtet. Araber wurden ursprünglich nicht zur "Selbstverteidigungspflicht" eingezogen, dies hat sich allerdings seit 2020 nach und nach geändert (DIS 6.2022; vgl. NMFA 8.2023).

Ursprünglich betrug die Länge des Wehrdiensts sechs Monate, sie wurde aber im Jänner 2016 auf neun Monate verlängert (DIS 6.2022). Artikel zwei des Gesetzes über die "Selbstverteidigungspflicht" vom Juni 2019 sieht eine Dauer von zwölf Monaten vor (RIC 10.6.2020). Aktuell beträgt die Dauer ein Jahr und im Allgemeinen werden die Männer nach einem Jahr aus dem Dienst entlassen. In Situationen höherer Gewalt kann die Dauer des Wehrdiensts verlängert werden, was je nach Gebiet entschieden wird. Beispielsweise wurde der Wehrdienst 2018 aufgrund der Lage in Baghouz um einen Monat verlängert. In Afrin wurde der Wehrdienst zu drei Gelegenheiten in den Jahren 2016 und 2017 um je zwei Monate ausgeweitet. Die Vertretung der "Selbstverwaltung" gab ebenfalls an, dass der Wehrdienst in manchen Fällen um einige Monate verlängert wurde. Wehrdienstverweigerer können zudem mit der Ableistung eines zusätzlichen Wehrdienstmonats bestraft werden (DIS 6.2022).

Nach dem abgeleisteten Wehrdienst gehören die Absolventen zur Reserve und können im Fall "höherer Gewalt" einberufen werden. Diese Entscheidung trifft der Militärrat des jeweiligen Gebiets. Derartige Einberufungen waren den vom DIS befragten Quellen nicht bekannt (DIS 6.2022).

Einsatzgebiet von Wehrpflichtigen

Die Selbstverteidigungseinheiten [Hêzên Xweparastinê, HXP] sind eine von den SDF separate Streitkraft, die vom Demokratischen Rat Syriens (Syrian Democratic Council, SDC) verwaltet wird und über eigene Militärkommandanten verfügt. Die SDF weisen den HXP allerdings Aufgaben zu und bestimmen, wo diese eingesetzt werden sollen. Die HXP gelten als Hilfseinheit der SDF. In den HXP dienen Wehrpflichtige wie auch Freiwillige, wobei die Wehrpflichtigen ein symbolisches Gehalt erhalten. Die Rekrutierung von Männern und Frauen in die SDF erfolgt dagegen freiwillig (DIS 6.2022).

Die Einsätze der Rekruten im Rahmen der "Selbstverteidigungspflicht" erfolgen normalerweise in Bereichen wie Nachschub oder Objektschutz (z.B. Bewachung von Gefängnissen wie auch jenes in al-Hasakah, wo es im Jänner 2022 zu dem Befreiungsversuch des sogenannten Islamischen Staats (IS) mit Kampfhandlungen kam). Eine Versetzung an die Front erfolgt fallweise auf eigenen Wunsch, ansonsten werden die Rekruten bei Konfliktbedarf an die Front verlegt, wie z. B. bei den Kämpfen gegen den IS 2016 und 2017 in Raqqa (DIS 6.2022).

Rekrutierungspraxis

Die Aufrufe für die "Selbstverteidigungspflicht" erfolgen jährlich durch die Medien, wo verkündet wird, welche Altersgruppe von Männern eingezogen wird. Es gibt keine individuellen Verständigungen an die Wehrpflichtigen an ihrem Wohnsitz. Die Wehrpflichtigen erhalten dann beim "Büro für Selbstverteidigungspflicht" ein Buch, in welchem ihr Status bezüglich Ableistung des Wehrdiensts dokumentiert wird - z. B. die erfolgte Ableistung oder Ausnahme von der Ableistung. Es ist das einzige Dokument, das im Zusammenhang mit der Selbstverteidigungspflicht ausgestellt wird (DIS 6.2022). Das Wehrpflichtgesetz von 2014 wird laut verschiedenen Menschenrechtsorganisationen mit Gewalt durchgesetzt. Berichten zufolge kommt es auch zu Zwangsrekrutierungen von Jungen und Mädchen (AA 2.2.2024).

Wehrdienstverweigerung und Desertion

Es kommt zu Überprüfungen von möglichen Wehrpflichtigen an Checkpoints und auch zu Ausforschungen (ÖB Damaskus 12.2022). Die Selbstverwaltung informiert einen sich dem Wehrdienst Entziehenden zweimal bezüglich der Einberufungspflicht durch ein Schreiben an seinen Wohnsitz, und wenn er sich nicht zur Ableistung einfindet, sucht ihn die "Militärpolizei" unter seiner Adresse. Die meisten sich der "Wehrpflicht" entziehenden Männer werden jedoch an Checkpoints ausfindig gemacht (DIS 6.2022).

Die Sanktionen für die Wehrdienstverweigerung ähneln denen im von der Regierung kontrollierten Teil (ÖB Damaskus 12.2022). Laut verschiedener Menschenrechtsorganisationen wird das "Selbstverteidigungspflichtgesetz" auch mit Gewalt durchgesetzt (AA 2.2.2024), während der DIS nur davon berichtet, dass Wehrpflichtige, welche versuchen, dem Militärdienst zu entgehen, laut Gesetz durch die Verlängerung der "Wehrpflicht" um einen Monat bestraft würden - zwei Quellen zufolge auch in Verbindung mit vorhergehender Haft "für eine Zeitspanne". Dabei soll es sich oft um ein bis zwei Wochen handeln, um einen Einsatzort für die Betreffenden zu finden (DIS 6.2022). Ähnliches berichteten ein von ACCORD befragter Experte, demzufolge alle Wehrdienstverweigerer nach dem Gesetz der Selbstverteidigungspflicht gleichbehandelt würden. Die kurdischen Sicherheitsbehörden namens Assayish würden den Wohnort der für die Wehrpflicht gesuchten Personen durchsuchen, an Checkpoints Rekrutierungslisten überprüfen und die Gesuchten verhaften. Nach dem Gesetz werde jede Person, die dem Dienst fernbleibe, verhaftet und mit einer Verlängerung des Dienstes um einen Monat bestraft (ACCORD 6.9.2023). Die ÖB Damaskus erwähnt auch Haftstrafen zusätzlich zur [Anm.: nicht näher spezifizierten] Verlängerung des Wehrdiensts. Hingegen dürften die Autonomiebehörden eine Verweigerung nicht als Ausdruck einer bestimmten politischen Gesinnung sehen (ÖB Damaskus 12.2022). Einem von ACCORD befragten Syrienexperten zufolge hängen die Konsequenzen für die Wehrdienstverweigerung vom Profil des Wehrpflichtigen ab sowie von der Region, aus der er stammt. In al-Hasakah beispielsweise könnten Personen im wehrpflichtigen Alter zwangsrekrutiert und zum Dienst gezwungen werden. Insbesondere bei der Handhabung des Gesetzes zur Selbstverteidigungspflicht gegenüber Arabern in der AANES gehen die Meinungen der Experten auseinander. Grundsätzlich gilt die Pflicht für Araber gleichermaßen, aber einem Experten zufolge könne die Behandlung je nach Region und Zugriffsmöglichkeit der SDF variieren und wäre aufgrund der starken Stammespositionen oft weniger harsch als gegenüber Kurden. Ein anderer Experte wiederum berichtet von Beleidigungen und Gewalt gegenüber arabischen Wehrdienstverweigerern (ACCORD 6.9.2023).

Bei Deserteuren hängen die Konsequenzen abseits von einer Zurücksendung zur Einheit und einer eventuellen Haft von ein bis zwei Monaten von den näheren Umständen und eventuellem Schaden ab. Dann könnte es zu einem Prozess vor einem Kriegsgericht kommen (DIS 6.2022).

Eine Möglichkeit zur Verweigerung des Wehrdienstes aus Gewissensgründen besteht nicht (DIS 6.2022; vgl. EB 12.7.2019).

NICHT-STAATLICHE BEWAFFNETE GRUPPIERUNGEN (REGIERUNGSFREUNDLICH UND REGIERUNGSFEINDLICH)

Manche Quellen berichten, dass die Rekrutierung durch regierungsfreundliche Milizen im Allgemeinen auf freiwilliger Basis geschieht. Personen schließen sich häufig auch aus finanziellen Gründen den National Defense Forces (NDF) oder anderen regierungstreuen Gruppierungen an (FIS 14.12.2018). Andere Quellen berichten von der Zwangsrekrutierung von Kindern im Alter von sechs Jahren durch Milizen, die für die Regierung kämpfen, wie die Hizbollah und die NDF (auch als "shabiha" bekannt) (USDOS 29.7.2022). In vielen Fällen sind bewaffnete regierungstreue Gruppen lokal organisiert, wobei Werte der Gemeinschaft wie Ehre und Verteidigung der Gemeinschaft eine zentrale Bedeutung haben. Dieser soziale Druck basiert häufig auf der Zugehörigkeit zu einer bestimmten Religionsgemeinschaft (FIS 14.12.2018). Oft werden die Kämpfer mit dem Versprechen, dass sie in der Nähe ihrer lokalen Gemeinde ihren Einsatz verrichten können und nicht in Gebieten mit direkten Kampfhandlungen und damit die Wehrpflicht umgehen könnten, angeworben. In der Realität werden diese Milizen aber trotzdem an die Front geschickt, wenn die SAA Verstärkung braucht bzw. müssen die Männer oft nach erfolgtem Einsatz in einer Miliz trotzdem noch ihrer offiziellen Wehrpflicht nachkommen (EUAA 10.2023). In manchen Fällen aber führte der Einsatz bei einer Miliz tatsächlich dazu, der offiziellen Wehrpflicht zu entgehen, bzw. profitierten einige Kämpfer in regierungsnahen Milizen von den letzten Amnestien, sodass sie nach ihrem Einsatz in der Miliz nur mehr die sechsmonatige Grundausbildung absolvieren mussten um ihrer offiziellen Wehrpflicht nachzugehen, berichtet eine vertrauliche Quelle des niederländischen Außenministeriums (NMFA 8.2023).

Anders als die Regierung und die Syrian Democratic Forces (SDF), erlegen bewaffnete oppositionelle Gruppen wie die SNA (Syrian National Army) und HTS (Hay'at Tahrir ash-Sham) Zivilisten in von ihnen kontrollierten Gebieten keine Wehrdienstpflicht auf (NMFA 5.2022; vgl. DIS 12.2022). Quellen des niederländischen Außenministeriums berichten, dass es keine Zwangsrekrutierungen durch die SNA und die HTS gibt (NMFA 8.2023). In den von den beiden Gruppierungen kontrollierten Gebieten in Nordsyrien herrscht kein Mangel an Männern, die bereit sind, sich ihnen anzuschließen. Wirtschaftliche Anreize sind der Hauptgrund, den Einheiten der SNA oder HTS beizutreten. Die islamische Ideologie der HTS ist ein weiterer Anreiz für junge Männer, sich dieser Gruppe anzuschließen. Im Jahr 2022 erwähnt der Danish Immigration Service (DIS) Berichte über Zwangsrekrutierungen der beiden Gruppierungen unter bestimmten Umständen im Verlauf des Konfliktes. Während weder die SNA noch HTS institutionalisierte Rekrutierungsverfahren anwenden, weist die Rekrutierungspraxis der HTS einen höheren Organisationsgrad auf als die SNA (DIS 12.2022). Im Mai 2021 kündigte HTS an, künftig in ldlib Freiwilligenmeldungen anzuerkennen, um scheinbar Vorarbeit für den Aufbau einer "regulären Armee" zu leisten. Der Grund dieses Schrittes dürfte aber eher darin gelegen sein, dass man in weiterer Zukunft mit einer regelrechten "HTS-Wehrpflicht" in ldlib liebäugelte, damit dem "Staatsvolk" von ldlib eine "staatliche" Legitimation der Gruppierung präsentiert werden könnte (BMLV 12.10.2022). Die HTS rekrutiert auch gezielt Kinder, bildet sie religiös und militärisch aus und sendet sie an die Front (SNHR 20.11.2023).

NORDWEST-SYRIEN

Die Gebiete unter Kontrolle der Türkei und Türkei-naher Milizen

Die Opposition im Nordwesten Syriens ist in zwei große Gruppen/Bündnisse gespalten: HTS im Gouvernement Idlib und die von der Türkei unterstützte SNA im Gouvernement Aleppo. Die SNA setzt sich in erster Linie aus ehemaligen Gruppen der FSA zusammen, hat sich jedoch zu einer gespaltenen Organisation mit zahlreichen Fraktionen entwickelt, die zu internen Kämpfen neigen (CC 1.5.2023). Die SNA ist auf dem Papier die Streitkraft der syrischen Übergangsregierung (SIG), die rund 2,3 Millionen Syrer regiert. In Wirklichkeit ist die SNA allerdings keine einheitliche Truppe, sondern setzt sich aus verschiedenen Fraktionen zusammen, die unterschiedliche Legionen bilden und nicht unbedingt der Führung des Verteidigungsministers der SIG folgen (Forbes 22.10.2022). Eine hochrangige syrische Oppositionsquelle in Afrîn sagte, dass innerhalb der SNA strukturelle Probleme bestehen, seit die von der Türkei unterstützten Kräfte das Gebiet 2018 von kurdischen Kräften erobert haben (MEE 15.10.2022) und es wird von internen Kämpfen der SNA-Fraktionen berichtet (MEE 25.10.2022). Trotz der internen Streitigkeiten operieren die SIG-Verwaltungen und die bewaffneten Gruppen innerhalb der SNA innerhalb der von Ankara vorgegebenen Grenzen (Forbes 22.10.2022; vgl. Brookings 27.1.2023). Die Anwesenheit der Türkei bringt ein gewisses Maß an Stabilität, aber ihre Abhängigkeit von undisziplinierten lokalen Vertretern, ihre Unfähigkeit, die Fraktionsbildung unter den Dutzenden von bewaffneten Gruppen, die mit der SNA verbunden sind, zu überwinden, und ihre Duldung des Missbrauchs und der Ausbeutung der Zivilbevölkerung haben dazu geführt, dass ihre Kontrollzone die am wenigsten sichere und am brutalsten regierte im Norden Syriens ist (Brookings 27.1.2023).

TÜRKISCHE MILITÄROPERATIONEN IN NORDSYRIEN

"Operation Olivenzweig" (türk. "Zeytin Dalı Harekâtı")

Im März 2018 nahmen Einheiten der türkischen Armee und der mit ihnen verbündeten Freien Syrischen Armee (FSA) im Rahmen der "Operation Olive Branch" (OOB) den zuvor von der YPG kontrollierten Distrikt Afrin ein (Bellingcat 1.3.2019). Laut türkischem Außenministerium waren die Ziele der OOB die Gewährleistung der türkischen Grenzsicherheit, die Entmachtung der "Terroristen" in Afrin und die Befreiung der lokalen Bevölkerung von der Unterdrückung der "Terroristen". Das türkische Außenministerium berichtete weiter, dass das Gebiet in weniger als zwei Monaten von PKK/YPG- und IS-Einheiten befreit wurde (MFATR o.D.). Diese Aussage impliziert, dass Ankara bei der Verfolgung der Grenzsicherheit und der regionalen Stabilität keinen Unterschied zwischen IS und YPG macht (TWI 26.3.2019). Bis März 2018 hatte die türkische Offensive Berichten zufolge den Tod Dutzender Zivilisten und laut den Vereinten Nationen (UN) die Vertreibung Zehntausender zur Folge. Von der Türkei unterstützte bewaffnete Gruppierungen, die mit der FSA in Zusammenhang stehen, beschlagnahmten, zerstörten und plünderten das Eigentum kurdischer Zivilisten in Afrin (HRW 17.1.2019).

"Operation Frühlingsschild" (türk. "Bahar Kalkanı Harekâtı")

Nachdem die syrische Regierung im Dezember 2019 eine bewaffnete Offensive gestartet hatte, gerieten ihre Streitkräfte im Februar 2020 mit den türkischen Streitkräften in einen direkten Konflikt (CC 17.2.2021). Während des gesamten Februars führten die syrische Regierung und regierungsnahe Kräfte im Nordwesten Syriens Luftangriffe durch, und zwar in einem Ausmaß, das laut den Vereinten Nationen zu den höchsten seit Beginn des Konflikts gehörte. Auch führten die syrischen Regierungskräfte Vorstöße am Boden durch. Zu den täglichen Zusammenstößen mit nicht-staatlichen bewaffneten Gruppen gehörten gegenseitiger Artilleriebeschuss und Bodenkämpfe mit einer hohen Zahl von Opfern (UNSC 23.4.2020). Nach Angriffen syrischer Streitkräfte auf Stellungen der türkischen Armee, bei denen 34 türkische Soldaten getötet wurden, leitete Ankara die Operation "Frühlingsschild" in der Enklave Idlib (INSS 4.9.2022) am 27.2.2020 ein (UNSC 23.4.2020). Die Türkei versuchte damit ein Übergreifen des syrischen Konflikts auf die Türkei als Folge der neuen Regimeoffensive - insbesondere in Form eines Zustroms von Extremisten und Flüchtlingen in die Türkei - zu verhindern. Ein tieferer Beweggrund für die Operation war der Wunsch Ankaras, eine Grenze gegen weitere Vorstöße des Regimes zu ziehen, welche die türkischen Gebietsgewinne in Nordsyrien gefährden könnten. Hay'at Tahrir ash-Sham (HTS) war ein - wenn auch unintendierter - wichtiger Profiteur der Operation (Clingendael 9.2021). Im März 2020 wurde ein Waffenstillstandsabkommen zwischen der Türkei und Russland in Idlib unterzeichnet, das die Schaffung eines sicheren Korridors um die Autobahn M4 und gemeinsame Patrouillen der russischen und türkischen Streitkräfte vorsah (INSS 4.9.2022). Der zwischen den Präsidenten Erdoğan und Putin vereinbarte Waffenstillstand sorgte für eine Deeskalation. Es kommt aber immer wieder zu lokal begrenzten militärischen Gefechten zwischen den erwähnten Konfliktparteien (ÖB Damaskus 12.2022). Rund 8.000 Soldaten des türkischen Militärs verbleiben in der Region und unterstützen militärisch und logistisch die dort operierenden Organisationen, vor allem die Syrian National Army (SNA, ehemals Free Syrian Army, FSA) und die HTS (INSS 4.9.2022).

DIE SYRISCHEN STREITKRÄFTE – WEHR- UND RESERVEDIENST

Rekrutierung von Personen aus Gebieten außerhalb der Regierungskontrolle

Die Syrische Nationale Armee (Syrian National Army, SNA) ist die zweitgrößte Oppositionspartei, die sich auf das Gouvernement Aleppo konzentriert. Sie wird von der Türkei unterstützt und besteht aus mehreren Fraktionen der Freien Syrischen Armee (Free Syrian Army, FSA). Sie spielt nach wie vor eine wichtige Rolle in Nordsyrien, wird aber von politischen Analysten bisweilen als türkischer Stellvertreter gebrandmarkt. Die SNA hat die Kontrolle über die von der Türkei gehaltenen Gebiete (Afrin und Jarabulus) in Syrien und wird von der Türkei geschützt. Die syrische Regierung unterhält keine Präsenz in den von der Türkei gehaltenen Gebieten und kann keine Personen aus diesen Gebieten für die Armee rekrutieren, es sei denn, sie kommen in Gebiete, die von der syrischen Regierung kontrolliert werden (Rechtsexperte 14.9.2022). Auch mit Stand Februar 2023 hat die syrische Armee laut einem von ACCORD befragten Syrienexperten keine Zugriffsmöglichkeit auf wehrdienstpflichtige Personen in Jarabulus (ACCORD 20.3.2023).

ALLGEMEINE MENSCHENRECHTSLAGE

Teile der SDF, einer Koalition aus syrischen Kurden, Arabern, Turkmenen und anderen Minderheiten, zu der auch Mitglieder der Kurdischen Volksverteidigungseinheiten (YPG) gehören, sollen ebenfalls für Menschenrechtsverletzungen verantwortlich sein, darunter Angriffe auf Wohngebiete, willkürliche Inhaftierungen, Misshandlungen, Rekrutierung und Einsatz von Kindersoldaten sowie Einschränkungen der Versammlungs- und Redefreiheit wie auch die willkürliche Zerstörung von Häusern. Die SDF untersuchen die meisten gegen sie vorgebrachten Klagen, und einige SDF-Mitglieder werden wegen Misshandlungen angeklagt, wozu aber keine Statistiken vorliegen (USDOS 20.3.2023). Die SDF führten im Jahr 2023 willkürliche Verhaftungen von Zivilisten, darunter Journalisten durch (HRW 11.1.2024). Die menschenrechtliche Situation in den kurdisch kontrollierten Gebieten stellt sich insgesamt jedoch laut Einschätzung des Auswärtigen Amtes erkennbar weniger gravierend dar als in den Gebieten, die sich unter Kontrolle des syrischen Regimes oder islamistischer und dschihadistischer Gruppen befinden (AA 29.3.2023). Im Nordosten Syriens dokumentierte die CoI im Berichtszeitraum mehrere Todesfälle in den Zentralgefängnissen von Hasakeh und Raqqa und stellt fest, dass diese möglicherweise auf schlechte Behandlung oder Folter zurückzuführen sein könnten. Laut SNHR seien im Gewahrsam der SDF / Partei der Demokratischen Union (PYD) seit März 2011 insgesamt 96 Menschen durch Folter zu Tode gekommen. Kontakte der Botschaft berichteten zudem von Repressionen durch die kurdische sogenannte „Selbstverwaltung“ (AANES) gegen politische Gegner, wie z.B. Angehörige von Oppositionsparteien. Daneben kritisiert die CoI in ihrem jüngsten Bericht auch die, ihrer Einschätzung nach, menschenrechtswidrige Inhaftierung und Behandlung zehntausender IS-Affiliierter in nordostsyrischen Haftanstalten und lagerähnlichen Camps (AA 2.2.2024). Obwohl der Spielraum der Redefreiheit etwas größer ist, als in Gebieten unter Kontrolle der Regierung oder extremistischer Gruppierungen, schränkt die PYD und einige andere Oppositionsfraktionen Berichten zufolge auch die Redefreiheit ein. So suspendierte die PYD-geführte Verwaltung im Februar 2022 die Lizenz der im Nordirak ansässigen Rudaw-Mediengruppe unter dem Vorwurf der Falschinformation und Aufhetzung. Mitte März 2022 verlangte dieselbe Verwaltung von JournalistInnen den Beitritt zur Union of Free Media, welche sich unter ihrem Einfluss befindet (FH 9.3.2023).

Anfragebeantwortung zu Syrien: Konsequenzen bei Verweigerung des Dienstes in den Selbstverteidigungskräften; Konsequenzen für Angehörige; Wahrnehmung von Personen, die den Dienst in den Selbstverteidigungskräften verweigern; Situation von Arabern; Einsatz von Rekruten im Rahmen der Selbstverteidigungspflicht an der Front vom 06.09.2023:

[…]

Konsequenzen bei Verweigerung des Dienstes in den Selbstverteidigungskräften (Tod, Folter, Freiheitsentzug)

Das Rojava Information Center (RIC) veröffentlicht im Juni 2020 eine englische Übersetzung des Militärdienstgesetzes von Nord- und Ostsyrien (Autonomous Administration of North and East Syria, AANES). Laut Artikel 13 werde jede Abwesenheit mit einer Verlängerung der Dienstzeit um einen Monat bestraft. Ein Wehrpflichtiger gelte als abwesend, wenn die Person kein Selbstverteidigungsdienstbuch erhalten habe und/oder nicht binnen 60 Tagen ab Datum des Einzugs in den Selbstverteidigungsbüros vorstellig geworden sei (RIC, Juni 2020).

Das Danish Immigration Service (DIS) veröffentlicht im Juni 2022 einen Bericht über militärische Rekrutierung in der Provinz Hasaka. Für den Bericht führte DIS im Jänner und Februar 2022 fünfzehn Interviews mit Expert·innen und Informanten, die unter anderem über die Situation von Personen, die sich dem Selbstverteidigungsdienst entziehen, befragt wurden. Laut einem kurdisch-syrischen Journalisten und Autoren aus Qamischli, sowie Wladimir van Wilgenburg (Journalist, politischer Analyst und Autor mehrerer Bücher über Kurd·innen in Syrien) sei Kriegsdienstverweigerung für Wehrpflichtige in der AANES keine Option (DIS, Juni 2022, S. 49; DIS, Juni 2022, S. 70).

Fabrice Balanche, Associate Professor an der Universität von Lyon 2, ein/e Expert·in der International Crisis Group, der genannte syrisch-kurdische Journalist und Autor, ein syrisch-kurdischer politischer Analyst, ein/e Repräsentant·in der AANES in der Region Kurdistan Irak und ein syrisch-kurdischer Universitätsprofessor im Irak bestätigen gegenüber DIS, dass eine Person, die den Selbstverteidigungsdienst verweigere oder sich ihm entziehe („draft evader“), wenn sie aufgegriffen werde, direkt in ein Trainingslager überstellt werde, um ihren Dienst anzutreten (DIS, Juni 2022, S. 42; DIS, Juni 2022, S. 45; DIS, Juni 2022, S. 49; DIS, Juni 2022, S. 57; DIS, Juni 2022, S. 66).

Laut Fabrice Balanche und drei lokalen Bewohnern der Provinz Hasaka könnten gefasste Wehrpflichtige, die sich dem Dienst entzogen hätten, von den Behörden festgehalten werden, bis ihr Status geklärt sei (DIS, Juni 2022, S. 42) oder ein geeigneter Ausbildungsort für sie gefunden werde (DIS, Juni 2022, S. 61). Laut Fabrice Balanche könnten Wehrpflichtige aus diesem Grund für ein bis zwei Tage (DIS, Juni 2022, S. 42), laut den Bewohnern von Hasaka ein bis zwei Wochen (DIS, Juni 2022, S. 61) inhaftiert werden. Beide Quellen hätten nicht von Misshandlungen während der Haftzeit gehört (DIS, Juni 2022, S. 42; DIS, Juni 2022, S. 62).

Der/Die Repräsentant·in der AANES in der Region Kurdistan Irak habe gegenüber DIS angegeben, dass es keine Strafe für Personen gebe, die sich der Selbstverteidigungspflicht entzogen hätten (DIS, Juni 2022, S. 57). Fabrice Balanche habe erwähnt, dass Wehrdienstverweigerer weder eine Geldstrafe noch eine Gefängnisstrafe erhalten würden (DIS, Juni 2022, S. 42; siehe auch: DIS, Juni 2022, S. 49). Laut dem/r Experten/in der International Crisis Group gebe es keine Strategie zur Inhaftierung von Wehrdienstverweigerern (DIS, Juni 2022, S. 45). Der syrisch-kurdische Journalist und Autor erklärt gegenüber DIS, dass Wehrdienstverweigerer ihren Selbstverteidigungsdienst einen Monat länger als die anderen Rekruten ableisten müssten. Er habe nicht von Misshandlungen von Wehrdienstverweigerern während ihres Dienstes aufgrund ihres Entzugs vom Wehrdienst gehört (DIS, Juni 2022, S. 49-50). Auch die drei Bewohner von Hasaka hätten berichtet, dass ihrer Erfahrung nach die Wehrdienstverweigerung keinen Einfluss auf die Behandlung des eingezogenen Wehrdienstverweigerers habe (DIS, Juni 2022, S. 62). Der syrisch-kurdische politische Analyst habe erklärt, dass es Wehrdienstverweigerern, die gefasst würden, nicht gestattet sei, nach Hause zu gehen, um ihre Sachen zu holen oder sich von ihrer Familie zu verabschieden. Die Person könne um Erlaubnis bitten, während ihres Dienstes ihre Familie zu besuchen. Sollten die Behörden jedoch vermuten, dass die Person bei einer Freistellung desertieren könnte, werde die Genehmigung nicht erteilt. Nach Beendigung der Dienstzeit werde die Person entlassen und ihre ursprüngliche Weigerung habe keinen Einfluss auf die Dauer der Dienstzeit (DIS, Juni 2022, S. 53-54). Laut dem syrisch-kurdischen Journalisten würden Wehrdienstverweigerer in ein Gebiet weit von ihrem Wohnort entfernt geschickt und mit schwierigen Aufgaben betraut. Sie würden keine Geldstrafe erhalten (DIS, Juni 2022, S. 59).

Ein von ACCORD kontaktierter Syrienexperte gibt in einer E-Mail-Auskunft vom August 2023 an, dass die Konsequenzen bei Verweigerung des Dienstes in den Selbstverteidigungskräften vom Profil des Wehrpflichtigen und der Region, aus der er stamme, abhingen. Je strenger die kurdische Kontrolle, desto höher sei die Wahrscheinlichkeit, dass Rekruten nicht das Risiko eingehen würden, offen Einwände gegen den Selbstverteidigungsdienst zu zeigen. In Hasaka beispielsweise könnten Personen im dienstfähigen Alter verhaftet und zum Dienst gezwungen werden (Syrienexperte, 15. August 2023).

Muhsen Al-Mustafa, Forscher am Omran Center for Strategic Studies, schreibt in einer E-Mail an ACCORD vom September 2023, dass alle Wehrdienstverweigerer unter die Bestimmungen des Gesetzes zur Selbstverteidigungspflicht fallen würden und dem Gesetz entsprechend behandelt würden. Die Asayish (kurdische Sicherheitsbehörde, Anmerkung ACCORD) würde den Wohnort von zum Dienst gesuchten Personen durchsuchen, an Checkpoints Rekrutierungslisten überprüfen und die Gesuchten verhaften. Nach dem Gesetz werde jede Person, die dem Dienst fernbleibe, verhaftet und mit einer Verlängerung des Dienstes um einen Monat bestraft (Al-Mustafa, 1. September 2023).

[…]

Situation von Arabern

Ein Universitätsprofessor in Erbil habe gegenüber DIS im Jänner 2022 ausgesagt, dass er davon ausgehe, dass Araber, die sich dem Dienst in den Selbstverteidigungskräften entzogen hätten, nicht im gleichen Ausmaß zum Beitritt gezwungen würden wie Kurden (DIS, Juni 2022, S. 66).

Fabrice Balanche erklärt in einer E-Mail an ACCORD vom August 2023, dass Araber und Kurden, die keinen Selbstverteidigungsdienst leisten, vor dem Gesetz gleichbehandelt würden. Es gebe eine Verhaftung und Zwangsbeitritt in die Selbstverteidigungskräfte. Laut Balanche zeige man in der AANES jedoch mehr Flexibilität gegenüber Arabern, um einen Aufstand zu vermeiden. Arabische Stammesführer hätten lokal die Macht und würden für bestimmte junge Araber Ausnahmen und Aufschiebungen erwirken (Balanche, 9. August 2023).

Laut dem Syrienexperten seien die speziellen Konsequenzen für Araber von Region zu Region unterschiedlich. Nicht alle von den SDF kontrollierten Gebiete würden unter derselben Art von Kontrolle stehen. In den vornehmlich arabisch besiedelten Stammesregionen von Deir Ezzour hätten die SDF beispielsweise nicht die Kapazität, eine direkte Rekrutierung wie in der Provinz Hasaka durchzusetzen (Syrienexperte, 15. August 2023).

Auf die Frage, ob arabische Wehrdienstverweigerer anders behandelt werden als kurdische, antwortet Al-Mustafa im September 2023, dass die Konsequenzen des Fernbleibens für alle gleich seien, jedoch könnten arabische Wehrdienstverweigerer bei der Festnahme anders behandelt werden und Beleidigungen und Gewalt ausgesetzt sein. Es sei anzumerken, so Al-Mustafa, dass sich die meisten kurdischen jungen Männer freiwillig bei den SDF [Syrian Democratic Forces, Demokratische Kräfte Syriens] melden würden und daher von der Selbstverteidigungspflicht befreit seien (Al-Mustafa, 1. September 2023). […]

UNHCR - Regional Flash Update #18 Syria situation crisis 14.03.2025

Syrien

Nach Schätzungen des UNHCR vom 14. März 2025 sind seit dem 8. Dezember 2024 354.900 Syrer aus den Nachbarländern nach Syrien zurückgekehrt. Die meisten Rückkehrer kommen weiterhin aus dem Libanon, gefolgt von der Türkei, Jordanien, dem Irak und Ägypten.

Seit dem 6. März haben eskalierende Feindseligkeiten in den Tartous, Lattakia, Homs und Hama zum Tod von Dutzenden von Zivilisten, Schäden an Eigentum und Infrastruktur sowie Tausenden von Menschen, die in den Küstengebieten vertrieben wurden, geführt. Am 13. März sagte Yasser al-Farhan, der Sprecher des Fact-Finding Committee on the Syrian Coastal Events, dass das Komitee seine Arbeit vor Ort durchführt und Listen von Zeugen und potenziellen Verdächtigen hat. Al-Farhan bestätigte, dass der Ausschuss „alle Operationen an der Küste untersuchen wird“, und stellte fest, dass „die Position der syrischen Behörden durch die Bildung eines Ausschusses zur Untersuchung der Frage der Verstöße gegen die Zivilbevölkerung zum Ausdruck gebracht wurde“.

Aufgrund der katastrophalen Sicherheitslage sind die vom UNHCR unterstützten Gemeinschaftszentren (Community Centres – CC) in den Küstengebieten seit dem 7. März gezwungen, ihre Tätigkeiten vorübergehend auszusetzen. Ab dem 13. März konnten jedoch zwei CC in Ras Al-Basit (Lattakia) und Tartous City wiedereröffnet werden, um den vertriebenen Familien Hilfe zu leisten.

Nach den politischen Entwicklungen im Land unterzeichneten die Betreuerbehörden am 13. März eine Verfassungserklärung, nachdem am 10. März die Integration der Demokratischen Kräfte Syriens (SDF) in die staatlichen Institutionen Syriens angekündigt worden war. Der UN-Sondergesandte für Syrien, Geir Pedersen, begrüßte den Schritt zur Wiederherstellung der Rechtsstaatlichkeit und hoffte, dass die Erklärung ein solider rechtlicher Rahmen für einen wirklich glaubwürdigen und inklusiven politischen Übergang sein kann. Die ordnungsgemäße Umsetzung wird von entscheidender Bedeutung sein, ebenso wie die fortgesetzten Bemühungen um eine geordnete Übergangsregierung.

Was die Reaktion des UNHCR betrifft, so spielt das Flüchtlingshilfswerk der Vereinten Nationen nach wie vor eine zentrale Rolle bei der Unterstützung von Vertriebenen und Rückkehrern in ganz Syrien und stellt den Zugang zu grundlegenden Dienstleistungen und Schutz sicher. An wichtigen Grenzübergangsstellen, darunter Joussieh, Jdaidet Yabous, Nassib, Bab Al-Hawa und Bab Al-Salama, unterhält das UNHCR eine konsequente Präsenz, um Rückführungstrends zu überwachen und entscheidende Hilfe zu leisten. Dazu gehört das Anbieten von Informationen über verfügbare Dienste am Zielort sowie die Erleichterung der grundlegenden Dienste und der Transporthilfe für diejenigen, die sich den Posten nähern.

Das UNHCR ermittelt und unterstützt weiterhin Binnenvertriebene, Binnenvertriebene aus Idlib und syrische Flüchtlingsrückkehrer aus Libanon, der Türkei und Jordanien durch Hausbesuche und Überweisungen an vom UNHCR unterstützte Gemeinschaftszentren, mobile Teams und freiwillige Helfer. Zu den dringendsten Bedürfnissen gehören zivile Dokumente (wie Personalausweise und Heiratsbestätigungen), grundlegende Hilfsgüter, Hygiene-Kits, Bargeldhilfe und Möglichkeiten zum Lebensunterhalt. Erst in der vergangenen Woche profitierten über 300 neu zurückgekehrte Familien in Aleppo von der Pionier-Intervention für Schutzpakete, und in der Stadt Deir ez-Zor wurden Decken an über 2.200 Rückkehrer verteilt. Im ganzen Land wurden einige andere Tausende von Dignity-Kits (angepasste Nothilfe Pakete mit Hygieneprodukten für Frauen und Mädchen), medizinischen Geräten und grundlegenden Hilfsgütern an Bedürftige verteilt, zusätzlich zu Existenzsicherungsprogrammen, Minenrisiko-Aufklärungssitzungen als Teil des Kinderschutzlehrplans, geschlechtsspezifischen Gewaltpräventions- und -reaktionsaktivitäten sowie Diensten für psychische Gesundheit und psychosoziale Unterstützung (MHPSS), die von allen Bevölkerungsgruppen in Syrien weiterhin gut angenommen werden.

Im Anschluss an die jüngste Vereinbarung zwischen den Caretaker Behörden und dem SDF hat das UNHCR mit der Koordinierung und Bewertung von vier CC in Bereichen begonnen, in denen Rückführungen aus Nordostsyrien möglich sind – Dayr Hafir, Maskaneh, Khafseh und Rasm Haram El-Imam –, um ihre Dienste zur Unterstützung von Rückkehrern und ihren Aufnahmegemeinschaften wiederaufzunehmen.

Türkei

Am 6. März gab Präsident Erdoğan bekannt, dass seit dem Sturz des Assad-Regimes 133.000 Syrer freiwillig und in würdiger Weise in ihre Heimat zurückgekehrt sind und fügte hinzu, dass die Zahl der Syrer, die bisher sicher nach Syrien zurückgekehrt sind, 873.000 erreicht hat.

Das UNHCR überwacht weiterhin die Rückführungen an verschiedenen Orten, unter anderem in 13 Provinzen, und fügt kürzlich Kahramanmaraş und an Grenzübergangsstellen hinzu: Cilvegözü / Bab al Hawa, Yayladağı / Keseb, Öncüpınar /Bab al Salama, Karkamış /Jarablus sowie am Istanbul International Airport. Ab dem 11. März sind Çobanbey / Al Rai und Zeytindalı / Jinderes offen für die Bearbeitung von Go-and-See-Besuchen für Syrer unter vorübergehendem Schutz sowie für alle syrischen Staatsangehörigen, die sich rechtmäßig in der Türkei aufhalten, und für diejenigen, die die türkische Staatsbürgerschaft erworben haben. Die Verarbeitung der freiwilligen Rückkehr wird in den Provinzen und an fünf Grenzübergängen fortgesetzt: Cilvegözü / Bab al Hawa, Yayladağı / Keseb, Öncüpınar /Bab al Salama, Karkamış /Jarablus und Akçakale / Tel Abyad.

Wie in den vergangenen Wochen reisen viele Rückkehrer allein, oft um die Bedingungen vor der Familienzusammenführung zu beurteilen. Während Sicherheit und politische Veränderungen eine Rückkehr antreiben, spielen auch Nostalgie und wirtschaftliche Faktoren eine Rolle. Die meisten zielen darauf ab, sich in ihrer Heimatprovinz umzusiedeln, aber Zerstörung, Sicherheit und wirtschaftliche Bedingungen beeinflussen ihr endgültiges Ziel. Eigentum ist üblich, aber Dokumentationslücken bestehen fort. In der Türkei stammten die Einnahmen hauptsächlich aus informeller Arbeit und Hilfe, während Rückkehrer erwarten, in Syrien Arbeit zu suchen. Der Zugriff auf die Dienste ist nach wie vor ungewiss und erfordert kontinuierliche Unterstützung. Go-and-see-Besuche zeigen, dass Sehnsucht, Neugier und vermisste Verwandte Besuche motivieren, aber Sicherheit, Lebensbedingungen und wirtschaftliche Instabilität bleiben wichtige Bedenken.

In dieser Woche führte der Vertreter des UNHCR in Syrien eine zweitägige Mission nach Ankara durch, um sich mit wichtigen Amtskollegen der türkischen Regierung über Bedürfnisse, Lücken und mögliche Zusammenarbeit mit denen in Syrien auszutauschen.

Libanon

Seit dem 6. März haben eskalierende Feindseligkeiten in den Gouvernements Tartous, Lattakia, Homs und Hama in Syrien zum Tod von Dutzenden von Zivilisten, Schäden an Eigentum und Infrastruktur sowie Hunderten von Menschen geführt, die in Küstengebieten vertrieben wurden. Die Kämpfe haben auch dazu geführt, dass Syrer über die Grenze in den Libanon geflohen sind, wobei die Mehrheit in den vorangegangenen Tagen angekommen ist. 10.500 Personen (2.596 Familien, davon 63 libanesische Familien, die in Syrien lebten) sind nach Angaben der lokalen Behörden seit dem 6. März an 20 Orten im Nord- und Akkar-Gouvernement neu angekommen. Die koordinierte Reaktion der humanitären Partner hat bereits begonnen, um den unmittelbaren Bedarf zu decken, einschließlich der Verteilung von Hilfsgütern, nahrungsfertigen Lebensmitteln, Reparaturen von Unterkünften und mobilen medizinischen Teams.

Am 5. März meldete das Katastrophenrisikomanagement der Regierung rund 90.540 Ankünfte aus Syrien im Gouvernement Baalbek, Nord-Bekaa, darunter 32.948 in 193 informellen Sammelunterkünften, 57.600 in Gemeinden, darunter 20.000 libanesische Rückkehrer.

Jordan

Am 9. März empfing Seine Majestät König Abdullah II. Vertreter Syriens, der Türkei, des Irak und des Libanon, die an einem von Jordanien ausgerichteten hochrangigen Treffen für die Nachbarländer Syriens teilnahmen. Während des Treffens betonte Seine Majestät die Notwendigkeit, geeignete Bedingungen für die freiwillige und sichere Rückkehr syrischer Flüchtlinge in ihr Land zu schaffen, damit sie zum Wiederaufbauprozess beitragen können.

In der vergangenen Woche blieb die Passagierbewegung über die Jaber-Grenze leicht, während der kommerzielle Verkehr weiterhin stark war. Am 7. März kündigte der Innenminister eine Verlängerung der Arbeitszeit an der Grenze an, wobei das Jaber-Zentrum nun sieben Tage die Woche von 8.00 Uhr bis 12.00 Uhr in Betrieb ist.

Seit dem 8. Dezember 2024 sind mehr als 48.000 beim UNHCR registrierte Flüchtlinge aus Jordanien nach Syrien zurückgekehrt. In der vergangenen Woche (vom 1. bis 8. März) ging die Zahl der Flüchtlingsrückkehrer zurück, wobei durchschnittlich 240 Personen nach Syrien zurückkehrten, verglichen mit rund 450 Rückkehrern im vorangegangenen Berichtszeitraum (vom 23. Februar bis 1. März).

Die Demografie der Rückkehrer blieb gegenüber den Vorwochen weitgehend unverändert, wobei Frauen und Mädchen rund 45 Prozent der gesamten Flüchtlingsrückkehrer ausmachten. Auf Kinder entfielen rund 42 Prozent, und Männer im Militäralter (18-40 Jahre) machten 23 Prozent der Gesamtrückkehrenden aus. Die meisten Flüchtlinge (83 Prozent) kehren weiterhin aus den Aufnahmegemeinschaften zurück, vor allem aus Amman (24 Prozent) und Irbid (23 Prozent). Weitere Einzelheiten zu den Zahlen und dem Profil der Rückkehrer sind dem Rückführungs-Dashboard des UNHCR Jordanien zu entnehmen.

Seit Beginn des Transport-Pilotprojekts am 20. Januar 2025 hat das UNHCR über 1.300 Flüchtlinge bei der Rückkehr nach Syrien unterstützt. Vor der Abreise werden persönliche Interviews durchgeführt, um sicherzustellen, dass die Rückkehr freiwillig und gut informiert ist, mit Beratung und Informationen über verfügbare Dienste innerhalb Syriens. Der Rückführungsprozess wird eng mit dem UNHCR Syrien koordiniert, um Flüchtlinge bei der Ankunft an ihrem endgültigen Bestimmungsort zu unterstützen. Am 11. März organisierte das UNHCR einen Bus von Azraq aus für 33 Flüchtlinge, die nach Syrien zurückkehren wollten. Die Transporthilfe des UNHCR hat sich im März verlangsamt, da viele Flüchtlinge berichtet haben, dass sie sich dafür entscheiden, ihre Rückkehr bis nach dem Ramadan zu verzögern.

Während der jüngsten Informationssitzungen und Fokusgruppendiskussionen stellten die Flüchtlinge fest, dass sie sich in Bezug auf die aktuelle Sicherheitslage in Syrien sehr unsicher fühlen, und verwiesen auf Ängste vor bewaffneten Gruppen, instabile Bedingungen und einen Mangel an angemessenem Wohnraum und angemessenen Dienstleistungen. Die jüngsten Gewalttaten in Syrien haben die Rückkehr von Flüchtlingen noch zögerlicher gemacht. Flüchtlinge erwähnten auch, dass einige Rückkehrer, die in den letzten Monaten gereist waren, berichten, dass sie ihre Entscheidung aufgrund der Wohn- und wirtschaftlichen Herausforderungen in Syrien bedauern, während andere sagten, dass ihre Familien in Syrien ihren Verwandten in Jordanien raten, ihre Rückkehr zu verzögern.

Irak

Zwischen dem 8. Dezember 2024 und dem 27. Februar 2025 sind mehr als 8.900 Syrer aus dem Irak nach Syrien zurückgekehrt, darunter etwa 600 Flüchtlinge und Asylbewerber, die beim UNHCR registriert sind. Dazu gehören auch Syrer, die über die Grenzübergangsstellen Peshkhabour und Al-Qaim zurückgekehrt sind. Die Zahl der registrierten syrischen Flüchtlinge, die diese Woche zurückgekehrt sind (65 Personen), ist höher als die Zahl der Rückkehrer in der Vorwoche (54 Personen). Die verbesserte Sicherheitslage in Syrien, die Wiedervereinigung mit der Familie und die Vermeidung von Bußgeldern wegen Überschreitung der Aufenthaltsdauer in der Region Kurdistan im Irak sind die häufigsten Gründe, warum Syrer ihre Rückkehr melden.

Im Berichtszeitraum beobachtete das UNHCR weiterhin Ankünfte aus Syrien in die Region Kurdistan im Irak, hauptsächlich aus den Gebieten Aleppo, Ar-Raqqa und Al-Hasakeh. In der vergangenen Woche kamen etwa 300 Syrer über den Grenzübergang Peshkhabour an. Der Besuch der Familie, die Rückkehr von einem Besuch in Syrien, die Familienzusammenführung oder die Durchreise durch die Region Kurdistan zu anderen Zielen wurden als Hauptgründe für die Ankunft angegeben, wobei die meisten ihre Absicht zum Ausdruck brachten, nach ihrem Besuch nach Syrien zurückzukehren. Nur wenige syrische Familien, die in die Region Kurdistan im Irak einreisen, bekundeten ihre Absicht, sich beim UNHCR im Irak zu registrieren.

Ägypten

Bis zum 13. März 2025 sind über 140.600 syrische Flüchtlinge in Ägypten registriert. Syrer machen fast 15% der gesamten Flüchtlingsbevölkerung im Land aus.

Seit dem Regimewechsel in Syrien hat sich die Zahl der Syrer, die sich an UNHCR in Kairo und Alexandria wenden, erheblich erhöht, um die Einstellung ihrer Asylverfahren zu beantragen. Bis zum 10. März 2025 wurden seit dem 8. Dezember 2024 rund 6.500 Anträge auf Schließung eingereicht, an denen fast 13.300 Personen beteiligt waren, was einem Durchschnitt von 104 Anträgen pro Tag entspricht, verglichen mit nur sieben Anträgen pro Tag im November.

Das UNHCR beobachtete im Februar 2025 (Tagesmittelwert 80) und Anfang März 2025 (Tagesmittelwert 39) eine Verlangsamung der Zahl der syrischen Haushalte, die die Schließung ihrer Flüchtlingsakten beantragten, verglichen mit dem Höchststand im Januar (Tagesmittelwert 147). Dieser Rückgang könnte auf eine Stabilisierung der Situation hindeuten. Für März könnte der bemerkenswerte Rückgang der Anfragen auch auf den Beginn des Ramadan zurückzuführen sein. Den Ergebnissen der im Januar 2025 durchgeführten regionalen Flash-Umfrage zu den Wahrnehmungen und Absichten syrischer Flüchtlinge bei der Rückkehr nach Syrien zufolge rechnet das UNHCR jedoch mit einem Anstieg der Syrer, die nach dem Ramadan und dem Ende des Schuljahres aus Ägypten zurückkehren.

In Bezug auf ihre Rückkehrpläne beabsichtigen 60 %, nach Damaskus zurückzukehren, 11 % nach Homs, 9 % in das ländliche Damaskus, 4 % nach Al Bab und die restlichen 16 % an andere Orte innerhalb des Landes. 98% identifizierten diese Orte als ihre ursprünglichen Heimatgebiete. Der Anteil der Antragsteller aus Damaskus sank von 43 % Anfang Februar auf 39 % Anfang März, wobei die männlichen Antragsteller konstant bei 66 % blieben.

UNHCR POSITION ÜBER DIE RÜCKKEHR IN DIE SYRISCHE ARABISCHE REPUBLIK, Dezember 2024

Freiwillige Rückkehr

Syrien befindet sich an einem Scheideweg – zwischen Frieden und Krieg, Stabilität und Gesetzlosigkeit, Wiederaufbau oder weiterem Ruin. Es gibt jetzt eine bemerkenswerte Gelegenheit für Syrien, sich in Richtung Frieden zu bewegen, und für sein Volk, nach Hause zurückzukehren. Seit vielen Jahren besteht das UNHCR auf der Notwendigkeit, die Anstrengungen zu verdoppeln, um günstige Bedingungen für Flüchtlinge und Vertriebene zu schaffen, damit sie nach Hause zurückkehren können, und die derzeitige Situation eröffnet in dieser Hinsicht neue Möglichkeiten, die von allen genutzt werden müssen. Dazu gehört auch die Beseitigung und/oder das Thematisieren neuer sicherheitspolitischer, rechtlicher und administrativer Hindernisse seitens der syrischen De-facto-Behörden; umfangreiche humanitäre Hilfe und Soforthilfe, die von den Geberstaaten für Rückkehrer, Gemeinschaften, die sie zurückerhalten, und Gebiete mit tatsächlicher und potenzieller Rückkehr im Allgemeinen bereitzustellen ist; und die Ermächtigung des UNHCR und seiner Partner, die Rückführungen an Grenzübergängen und an Orten, an denen sich die Menschen für die Rückkehr entscheiden, zu überwachen.

Jeder hat das Recht, in sein Herkunftsland zurückzukehren. UNHCR ist bereit, syrische Flüchtlinge zu unterstützen, die sich nach umfassender Information über die Lage an ihren Herkunftsorten oder in einem alternativen Gebiet ihrer Wahl freiwillig für eine Rückkehr entscheiden. Angesichts der zahlreichen Herausforderungen, mit denen die syrische Bevölkerung konfrontiert ist, darunter eine groß angelegte humanitäre Krise, ein anhaltend hohes Maß an Binnenvertreibung und die weit verbreitete Zerstörung und Beschädigung von Häusern und kritischer Infrastruktur, fördert das UNHCR jedoch vorerst keine groß angelegte freiwillige Rückführung nach Syrien.

Moratorium für Zwangsrückführungen

Zum gegenwärtigen Zeitpunkt ist Syrien weiterhin von Angriffen und Gewalt in Teilen des Landes betroffen; großflächige interne Verdrängung; Kontamination vieler Teile des Landes mit explosiven Kriegsresten; eine verwüstete Wirtschaft und eine große humanitäre Krise, in der vor den jüngsten Entwicklungen bereits über 16 Millionen Menschen humanitäre Hilfe benötigen. Darüber hinaus hat Syrien, wie bereits erwähnt, massive Zerstörungen und Schäden an Häusern, kritischen Infrastrukturen und landwirtschaftlichen Flächen erlitten. Eigentumsrechte wurden stark beeinträchtigt, wobei in den letzten zehn Jahren weit verbreitete Verstöße gegen Wohn-, Grundstücks- und Eigentumsrechte verzeichnet wurden, was zu komplexen Eigentumsstreitigkeiten führte, deren Beilegung Zeit in Anspruch nehmen wird. Vor diesem Hintergrund fordert das UNHCR die Staaten vorerst weiterhin auf, syrische Staatsangehörige und ehemalige gewöhnliche Bewohner Syriens, einschließlich Palästinenser, die zuvor in Syrien wohnhaft waren, nicht gewaltsam in einen Teil Syriens zurückzuführen.

Aussetzung der Ausstellung negativer Entscheidungen für syrische Antragsteller auf internationalen Schutz

Das UNHCR fordert weiterhin alle Staaten auf, Zivilisten, die aus Syrien fliehen, Zugang zu ihren Hoheitsgebieten zu gewähren, das Recht auf Asyl zu gewährleisten und jederzeit die Achtung des Grundsatzes der Nichtzurückweisung zu gewährleisten.

Während die Risiken im Zusammenhang mit der Verfolgung durch die ehemalige Regierung aufgehört haben, können andere Risiken bestehen bleiben oder sich verstärken. Angesichts der rasch veränderten Dynamik und der sich wandelnden Lage in Syrien ist das UNHCR derzeit nicht in der Lage, den Asylentscheidern detaillierte Leitlinien für den internationalen Schutzbedarf der Syrer zur Verfügung zu stellen. Das UNHCR wird die Lage weiterhin genau beobachten, um detailliertere Leitlinien bereitzustellen, sobald die Umstände dies zulassen. Angesichts der derzeitigen Ungewissheit über die Lage in Syrien fordert das UNHCR die Asylstaaten auf, die Ausstellung negativer Entscheidungen über Anträge auf internationalen Schutz durch syrische Staatsangehörige oder Staatenlose, die ihren früheren gewöhnlichen Aufenthalt in Syrien hatten, auszusetzen. Die Aussetzung des Erlasses negativer Entscheidungen sollte so lange in Kraft bleiben, bis sich die Lage in Syrien stabilisiert hat und zuverlässige Informationen über die Sicherheits- und Menschenrechtslage vorliegen, um eine umfassende Bewertung der Notwendigkeit vorzunehmen, einzelnen Antragstellern den Flüchtlingsstatus zuzuerkennen.

Das UNHCR ist der Auffassung, dass die Voraussetzungen für die Beendigung der Flüchtlingseigenschaft für Personen, denen internationaler Schutz zuerkannt wurde und die aus Syrien stammen, derzeit nicht erfüllt sind.

2. Beweiswürdigung:

Die Sachverhaltsfeststellungen stützen sich auf den Verwaltungsverfahrensakt des BFA, den Gerichtsakt des Bundesverwaltungsgerichtes und das Ergebnis der durchgeführten mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht. Die konkreten Beweismittel sind bei den Sachverhaltsfeststellungen bzw in der Beweiswürdigung in Klammer angeführt.

2.1 Zur Person des Beschwerdeführers (oben 1.1)

Die Angaben des Beschwerdeführers zu seiner Staatsangehörigkeit und Herkunft, zu seiner Schulbildung und Arbeit, die er im Zuge des Verfahrens vor dem BFA und in der mündlichen Verhandlung gemacht hat, waren konsistent, schlüssig und auf Grund seiner Orts- und Sprachkenntnisse sowie der vorgelegten Unterlagen nicht zu bezweifeln. Die Identität wurde bereits vom BFA als feststehend festgestellt.

Der festgestellte gegenwärtige Aufenthaltsstatus ergibt sich aus den rechtskräftigen Spruchpunkten II und III des gegenständlich angefochtenen Bescheides in Zusammenschau mit den dazu korrespondierenden Eintragungen im Zentralen Fremdenregister (IZR).

2.2 Zum Herkunftsort und Aufenthalt des Beschwerdeführers in Syrien (oben 1.2)

Die Feststellung, dass die Stadt Manbij der Herkunftsort des Beschwerdeführers ist ergibt sich aus den eigenen Angaben des Beschwerdeführers, der vorbrachte, dass er bereits vor dem Krieg im Jahr 2006 mit seiner in die Stadt Manbij gezogen sei, er nur wegen des Krieges für wenige Jahre in seinen Geburtsort zurückgekehrt sei und seine Familie inzwischen wieder seit 2018 in der Stadt Manbij lebe. Die Feststellungen zur aktuellen Machtverteilung in der Stadt Manbij beruhen auf den eigenen Angaben des Beschwerdeführers und der zum Entscheidungszeitpunkt aktuellsten online verfügbaren Dokumentation über die Machtverteilung in den verschiedenen Regionen Syriens (https://www.cartercenter.org/news/multimedia/map/exploring-historical-control-in-syria.html [09.04.2025]; https://syria.liveuamap.com/ [09.04.2025]) sowie den Länderberichten (vgl. oben: Nordostsyrien: SDF geben Manbij auf; hissen die neue Flagge Syriens)

2.3 Zur Begründung des Antrages auf internationalen Schutz und zur Beurteilung der Glaubhaftigkeit (oben 1.3 und 1.4)

2.3.1 Die Ausführungen des Beschwerdeführers zu seinen Fluchtgründen beruhen auf seinen protokollierten Aussagen im Zuge der Befragungen durch den öffentlichen Sicherheitsdienst, der Einvernahme vor dem BFA sowie seiner Beschwerde und dem Ergebnis der mündlichen Verhandlung.

2.3.2 Die Feststellungen, wonach der Beschwerdeführer mit seinem Vorbringen nicht glaubhaft gemacht hat und es sich auch sonst nicht ergibt, dass er im Falle einer Rückkehr – zum gegenwärtigen Zeitpunkt – in Syrien – mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit – individuell konkret einer aktuellen und unmittelbaren Bedrohung aus ethnischen, religiösen oder politischen Gründen oder aufgrund der Nationalität oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe ausgesetzt sein wird, oder ihm aus einem dieser Motive Schutz durch die gegenwärtigen Machthaber in Syrien verweigert werden würde, beruhen auf folgenden Erwägungen:

Zu einer Verfolgung durch das vormalige syrische Assad-Regime

2.3.2.1 Glaubhaft ist die vom Beschwerdeführer als Ausreisegrund vorgebrachte Furcht vor dem vormaligen syrischen Regime, der drohenden Einberufung zum Militärdienst in der syrischen Armee, der Bestrafung durch das vormalige syrische Regime wegen seiner Wehrdienstentziehung, da der Beschwerdeführer dies während des gesamten Verfahrens vor dem BFA, in der Beschwerde und auch in der mündlichen Verhandlung im Wesentlichen übereinstimmend, widerspruchsfrei und schlüssig darlegen konnte.

Aufgrund der festgestellten aktuellen Lage in Syrien seit 08.12.2024 besteht für den Beschwerdeführer nach dem Sturz des syrischen Assad-Regimes jedoch mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit keine Gefahr mehr, von diesem verfolgt oder zum Militärdienst der syrischen Armee eingezogen oder wegen Wehrdienstentziehung oder seiner Asylantragstellung im Ausland bestraft zu werden. Das bestätigte der Beschwerdeführer auch in der mündlichen Verhandlung am 03.04.2025 (VS 03.04.2025 S 4)

Zu einer Verfolgung durch die SNA, FSA oder HTS

2.3.2.2 Dem Beschwerdeführer droht auch keine Zwangsrekrutierung durch die SNA, FSA, oder die HTS. Er war diesbezüglich keinen konkreten Rekrutierungsversuchen ausgesetzt und hat auch keine derartige Befürchtung geäußert.

Zunächst ergibt sich aus den Länderfeststellungen, dass die FSA in der ursprünglichen Form nicht mehr existiert, sondern aktuell im Wesentlichen Teil der SNA (Syrian National Army) ist. (siehe oben 1.5 Länderinformationen der BFA-Staatendokumentation aus dem COI-CMS, Syrien, Version 11, 27.03.2024 (Kapitel NORDWEST-SYRIEN, TÜRKISCHE MILITÄROPERATIONEN IN NORDSYRIEN und DIE SYRISCHEN STREITKRÄFTE – WEHR- UND RESERVEDIENST); Kurzinformation der Staatendokumentation SYRIEN, 10.12.2024 (Kapitel Akteure))

Des Weiteren ergibt sich aus den Länderfeststellungen, dass bewaffnete oppositionelle Gruppen wie die SNA und HTS Zivilisten in von ihnen kontrollierten Gebieten keine Wehrdienstpflicht auferlegen. Quellen des niederländischen Außenministeriums berichten, dass es keine Zwangsrekrutierungen durch die SNA und die HTS gibt. In den von den beiden Gruppierungen kontrollierten Gebieten in Nordsyrien herrscht kein Mangel an Männern, die bereit sind, sich ihnen anzuschließen. Wirtschaftliche Anreize sind der Hauptgrund, den Einheiten der SNA oder HTS beizutreten. Die islamische Ideologie der HTS ist ein weiterer Anreiz für junge Männer, sich dieser Gruppe anzuschließen. Im Jahr 2022 erwähnt der Danish Immigration Service (DIS) Berichte über Zwangsrekrutierungen der beiden Gruppierungen unter bestimmten Umständen im Verlauf des Konfliktes. Während weder die SNA noch HTS institutionalisierte Rekrutierungsverfahren anwenden, weist die Rekrutierungspraxis der HTS einen höheren Organisationsgrad auf als die SNA. Im Mai 2021 kündigte HTS an, künftig in ldlib Freiwilligenmeldungen anzuerkennen, um scheinbar Vorarbeit für den Aufbau einer "regulären Armee" zu leisten. Der Grund dieses Schrittes dürfte aber eher darin gelegen sein, dass man in weiterer Zukunft mit einer regelrechten "HTS-Wehrpflicht" in ldlib liebäugelte, damit dem "Staatsvolk" von ldlib eine "staatliche" Legitimation der Gruppierung präsentiert werden könnte. (siehe oben 1.5 Länderinformationen der BFA-Staatendokumentation aus dem COI-CMS, Syrien, Version 11, 27.03.2024, NICHT-STAATLICHE BEWAFFNETE GRUPPIERUNGEN (REGIERUNGSFREUNDLICH UND REGIERUNGSFEINDLICH)

Ausgehend von diesen Länderfeststellungen ist daher eine zwangsweise Rekrutierung des Beschwerdeführers durch die SNA (einschließlich FSA) in der Stadt Manbij oder anderen Teilen Syriens oder durch die HTS jedenfalls nicht maßgeblich wahrscheinlich.

In Bezug auf die HTS hat zudem deren Anführer Ahmed al Sharaa (aka Abu Mohammad al Jolani), der am 29.01.2025 zum Übergangspräsidenten Syriens gewählt wurde, bereits am 15.12.2024 verkündet, dass er eine Wehrdienstpflicht in Syrien abschaffen werde. (oben 1.5 ISW – Institute for the Study of War, Iran Update, December 16, 2024) Dem Beschwerdeführer droht damit zum gegenwärtigen Zeitpunkt auch keine Wehrpflicht in einer Armee der aktuellen Machthaber.

Zu einer drohenden Zwangsrekrutierung und Verfolgung durch die SDF oder die „Kurden“ bei Rückkehr

2.3.2.3 Der Beschwerdeführer brachte auch vor, bei einer Rückkehr gegen seinen Willen von der SDF bzw „den Kurden“ rekrutiert und an die Front geschickt zu werden.

Der Herkunftsort des Beschwerdeführers, die Stadt Manbij, befindet sich aktuell unter der Kontrolle der SNA und der Übergangsregierung, wie dies auch der Beschwerdeführer selbst in der mündlichen Verhandlung am 03.04.2025 angegeben hat.

Davon ausgehend sowie unter Berücksichtigung der aktuellen Länderfeststellungen droht dem Beschwerdeführer – zum gegenwärtigen Entscheidungszeitpunkt – nicht mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit eine Verfolgung oder Zwangsrekrutierung des Beschwerdeführers durch kurdische Kräfte oder Gruppierungen.

Keine weiteren Verfolgungsgründe

2.3.2.4 In der mündlichen Verhandlung am 03.04.2025 brachte der Beschwerdeführer – zusammengefasst – zudem vor, dass die Lage unter dem Assad-Regime schlecht war und sie nun schlechter geworden sei. Aktuell habe man Angst, dass einem gesagt werde: „Warum hast du nicht mit uns gekämpft. Warum warst du nicht mit uns in Syrien.“ Man werde nach der Konfession gefragt. Man befinde sich in einer Spirale. Das sei schon früher passiert, alle Konfessionen würden gegeneinander kämpfen. Die Kurden seien in der Region TISCHRIN-Talsperre, einem Staudamm, also nicht so weit entfernt von Manbij. (VS 03.04.2025 S 3 f)

Mit der hier in der mündlichen Verhandlung am 03.04.2025 geäußerten Befürchtung hat der Beschwerdeführer vor dem Hintergrund der aktuellen Länderfeststellungen nicht glaubhaft gemacht, dass ihm deshalb bei einer Rückkehr mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit konkret und unmittelbar Verfolgungshandlungen drohen, zumal er auch bereits bei der Einvernahme vor dem BFA am 26.03.2024 explizit angegeben hat, nie politisch aktiv gewesen zu sein und keine Probleme wegen seiner Religions- oder Volkszugehörigkeit gehabt zu haben. (NS EV 26.03.2024 S 7)

Ergebnis

2.3.3 Der Beschwerdeführer hat somit seinem Vorbringen nicht glaubhaft gemacht und es ergibt sich auch sonst nicht, dass er im Falle einer Rückkehr – zum gegenwärtigen Zeitpunkt – in Syrien – mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit – individuell konkret einer aktuellen und unmittelbaren Bedrohung aus ethnischen, religiösen oder politischen Gründen oder aufgrund der Nationalität oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe ausgesetzt sein wird, oder ihm aus einem dieser Motive Schutz durch die gegenwärtigen Machthaber in Syrien verweigert werden würde.

2.4 Zur aktuellen Lage in Syrien (oben 1.5)

Die Feststellungen zur aktuellen Lage beruhen auf den jüngsten BAMF Briefing Notes seit 09.12.2024, der Kurzinformation der Staatendokumentation vom 10.12.2024 zu Syrien, Sicherheitslage, Politische Lage Dezember 2024: Opposition übernimmt Kontrolle, al-Assad flieht, den Länderinformationen der BFA-Staatendokumentation aus dem COI-CMS, Syrien, Version 11, 27.03.2024, dem Bericht des ISW – Institute for the Study of War, Iran Update, December 16, 2024, der ACCORD - Zusammenstellung von Informationen zum Wehrdienst (bei den syrischen Streitkräften und in der DAANES) vom 23.09.2024, der Anfragebeantwortung zu Syrien: Konsequenzen bei Verweigerung des Dienstes in den Selbstverteidigungskräften; Konsequenzen für Angehörige; Wahrnehmung von Personen, die den Dienst in den Selbstverteidigungskräften verweigern; Situation von Arabern; Einsatz von Rekruten im Rahmen der Selbstverteidigungspflicht an der Front vom 06.09.2023, dem UNHCR - Regional Flash Update #18 Syria situation crisis vom 14.03.2025 und der UNHCR Position über die Rückkehr in die Syrische Arabische Republik vom Dezember 2024.

3. Rechtliche Beurteilung:

Zu A)

Zum Status eines Asylberechtigten (§ 3 AsylG 2005)

3.1 Voraussetzung für die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten ist die Glaubhaftmachung, dass dem Asylwerber im Herkunftsstaat Verfolgung im Sinn des Art. 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention, demnach aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung, droht (VwGH 02.09.2015, Ra 2015/19/0143).

Zentraler Aspekt der in Art 1 Abschnitt A Z 2 GFK definierten Verfolgung im Herkunftsstaat ist die wohlbegründete Furcht davor. Eine Furcht kann nur dann wohlbegründet sein, wenn sie im Licht der speziellen Situation des Asylwerbers unter Berücksichtigung der Verhältnisse im Verfolgerstaat objektiv nachvollziehbar ist. Es kommt nicht darauf an, ob sich eine bestimmte Person in einer konkreten Situation tatsächlich fürchtet, sondern ob sich eine mit Vernunft begabte Person in dieser Situation aus Konventionsgründen fürchten würde (VwGH 05.09.2016, Ra 2016/19/0074).

3.2 Die Gefahr der Verfolgung im Sinn des § 3 Abs 1 AsylG 2005 iVm Art 1 Abschnitt A Z 2 der GFK kann nicht nur ausschließlich aus individuell gegenüber dem Einzelnen gesetzten Verfolgungshandlungen abgeleitet werden. Sie kann auch darin begründet sein, dass regelmäßig Maßnahmen zielgerichtet gegen Dritte gesetzt werden, und zwar wegen einer Eigenschaft, die der Betreffende mit diesen Personen teilt, sodass die begründete Annahme besteht, (auch) er könnte unabhängig von individuellen Momenten solchen Maßnahmen ausgesetzt sein. Droht den Angehörigen bestimmter Personengruppen eine über die allgemeinen Gefahren eines Bürgerkriegs hinausgehende "Gruppenverfolgung", hat bei einer solchen, gegen eine ganze Personengruppe gerichteten Verfolgung jedes einzelne Mitglied schon wegen seiner Zugehörigkeit zu dieser Gruppe Grund, auch individuell gegen seine Person gerichtete Verfolgung zu befürchten; diesfalls genügt für die geforderte Individualisierung einer Verfolgungsgefahr die Glaubhaftmachung der Zugehörigkeit zu dieser Gruppe (VwGH 28.03.2019, Ra 2018/14/0428).

Zum gegenständlichen Fall

3.3 Aufgrund des festgestellten Sachverhaltes und der aktuellen Lage in Syrien besteht für den Beschwerdeführer nach dem Sturz des syrischen Assad-Regimes mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit keine Gefahr mehr, von diesem verfolgt oder zum Militärdienst der syrischen Armee eingezogen oder wegen Wehrdienstentziehung bestraft zu werden.

Ebenso besteht ausgehend vom festgestellten Sachverhalt für Beschwerdeführer zum gegenwärtigen Entscheidungszeitpunkt keine Gefahr, bei einer Rückkehr nach Syrien dort mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit durch die SNA, FSA, HTS oder durch kurdische Gruppierungen zwangsrekrutiert zu werden. Dem Beschwerdeführer droht zum gegenwärtigen Zeitpunkt auch keine Wehrpflicht in einer Armee der aktuellen Machthaber.

3.4 Der Beschwerdeführer hat im Verfahren bis zum Entscheidungszeitpunkt auch nicht glaubhaft gemacht, aus anderen Gründen mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit einer unmittelbaren und konkreten Verfolgung ausgesetzt zu sein.

3.5 Der Beschwerdeführer hat somit mit seinem Vorbringen insgesamt nicht glaubhaft gemacht und es ergibt sich auch sonst nicht, dass er im Fall seiner Rückkehr nach Syrien – zum gegenwärtigen Zeitpunkt – tatsächlich – mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit – dort individuell konkret einer unmittelbaren Bedrohung oder Verfolgung aus ethnischen, religiösen oder politischen Gründen oder aufgrund der Nationalität oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe ausgesetzt sein wird, oder ihm aus einem dieser Motive Schutz durch die gegenwärtigen Machthaber in Syrien verweigert werden würde.

3.6 Im gegenständlichen Fall liegen somit keine substantiellen stichhaltigen Gründe für das Vorliegen einer mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit drohenden individuellen Gefahr der Verfolgung nach § 3 Abs 1 AsylG iVm Art 1 Abschnitt A Z 2 der GFK vor.

Es sind somit die Voraussetzungen für die Zuerkennung des Status eines Asylberechtigten zum gegenwärtigen Entscheidungszeitpunkt nicht gegeben.

3.7 UNHCR fordert in seiner Position über die Rückkehr in die Syrische Arabische Republik vom Dezember 2024 dazu auf, keine negativen Entscheidungenüber Anträge auf internationalen Schutz zu treffen, differenziert dabei jedoch nicht zwischen Personen, denen bereits internationaler Schutz in Form des subsidiären Schutzes zukommt, und Personen, denen noch keine Form des Schutzes zukommt. Im vorliegenden Fall kommt dem Beschwerdeführer jedoch bereits rechtskräftig der Status eines subsidiär Schutzberechtigten zu und an diesem Status ändert sich auch nichts durch die hier zu treffende Entscheidung. Sollte der Beschwerdeführer in naher oder entfernterer Zukunft eine Verfolgung iSd GFK befürchten, so hat der Beschwerdeführer weiterhin das Recht, dann einen neuen Antrag auf internationalen Schutz in Hinblick auf die Zuerkennung des Status eines Asylberechtigten zu stellen.

3.8 Die Beschwerde gegen Spruchpunkt I des angefochtenen Bescheides des BFA wird daher als unbegründet abgewiesen.

Zu B)

Revision

3.9 Die ordentliche Revision ist nicht zulässig, da die für den vorliegenden Fall relevante Rechtslage durch die zitierte Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes geklärt ist.

3.10 Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.

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