JudikaturBVwG

L516 2291958-1 – Bundesverwaltungsgericht Entscheidung

Entscheidung
27. März 2025

Spruch

L516 2291958-1/15E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Mag. Paul NIEDERSCHICK über die Beschwerde von XXXX geb XXXX , StA Syrien, gegen Spruchpunkt I des Bescheides des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 11.04.2024, 1358215500-231222235, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung zu Recht:

A) Die Beschwerde wird gemäß § 3 AsylG als unbegründet abgewiesen.

B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

Entscheidungsgründe:

Der Beschwerdeführer ist syrischer Staatsangehöriger und stellte am 26.06.2023 einen Antrag auf internationalen Schutz. Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) wies mit gegenständlich angefochtenem Bescheid vom 11.04.2024 den Antrag des Beschwerdeführers (I.) gemäß § 3 Abs 1 iVm § 2 Abs 1 Z 13 AsylG bezüglich der Zuerkennung des Status eines Asylberechtigten ab. Das BFA erkannte dem Beschwerdeführer unter einem (II.) gem § 8 Abs 1 AsylG den Status des subsidiär Schutzberechtigten zu und erteilte (III.) eine befristete Aufenthaltsberechtigung für subsidiär Schutzberechtigte für ein Jahr gemäß § 8 Abs 4 AsylG.

Dagegen richtet sich die vorliegende Beschwerde. Die Beschwerde richtet sich ausschließlich gegen Spruchpunkt I des angefochtenen Bescheides.

Das Bundesverwaltungsgericht führte in der Folge am 17.10.2024 eine mündliche Verhandlung durch, an der der Beschwerdeführer mit seiner Rechtsvertretung teilnahm; die belangte Behörde verzichtete auf eine Teilnahme und erschien nicht.

1. Sachverhaltsfeststellungen:

[regelmäßige Beweismittel-Abkürzungen: S=Seite; AS=Aktenseite des Verwaltungsaktes des BFA; NS=Niederschrift; VS=Verhandlungsschrift; OZ=Ordnungszahl des Verfahrensaktes des Bundesverwaltungsgerichtes; IZR=Zentrales Fremdenregister;]

1.1 Zur Person des Beschwerdeführers

Der Beschwerdeführer führt in Österreich den im Spruch angeführten Namen und sowie das ebenso dort angeführte Geburtsdatum. Er ist syrischer Staatsangehöriger, gehört der arabischen Volksgruppe und der sunnitischen Glaubensgemeinschaft an. Seine Identität steht fest. (NS EB 26.06.2023 S 1-3; NS EV 25.03.2024 S 3-5)

Der Beschwerdeführer hat in Syrien neun Jahre die Schule besucht und als Kraftfahrer und Landwirt gearbeitet. (NS EV 25.03.2024 S 5)

Der Beschwerdeführer verfügt in Österreich über den Status eines subsidiär Schutzberechtigten und eine Aufenthaltsberechtigung gemäß § 8 Abs 4 AsylG. (siehe die rechtskräftigen Spruchpunkte II und III des angefochtenen Bescheides; IZR)

Der Beschwerdeführer ist am 26.02.2025 unterstützt freiwillig nach Syrien zurückgereist. (Ausreisebestätigung (OZ 11))

1.2 Zum Herkunftsort und Aufenthalt des Beschwerdeführers in Syrien

Der Herkunftsort des Beschwerdeführers ist der Ort XXXX im im Gouvernement Quneitra. Er wurde zwar im Ort XXXX geboren, zog aber mit seiner Familie noch vor seinem Schulbeginn in den Ort XXXX , wo er sich bis zu seiner Ausreise im Mai 2023 aufhielt. (NS EV 25.03.2024 S 5; VS 17.10.2025 S 7)

1.3 Zur Begründung des Antrages auf internationalen Schutz

Erstbefragung 26.03.2023

Bei der Erstbefragung gab der Beschwerdeführer an, er habe Syrien wegen des Krieges und der Armut verlassen. Es gebe dort keine Zukunft. Außerdem sei sein Sohn Udai krank. Er wolle hier arbeiten und seine Familie unterstützen. Sonst habe er keine weiteren Fluchtgründe. Er habe Angst vor der Zukunft. (NS EB 26.03.2023)

Einvernahme vor dem BFA am 25.03.2024

Bei der Einvernahme vor dem BFA führte der Beschwerdeführer – zusammengefasst – aus, Er habe 2017, 2018 und 2019 Einberufungsbefehle für den Reservedienst in der syrischen Armee erhalten. Er habe sich immer zu Hause versteckt. Er wolle keine Waffe tragen, er wolle niemanden töten. Er wolle für Bashar und dessen Leute keine unschuldigen Leute töten. Das seien Verräter. Er sei einmal an der Straße angehalten und brutal bis zur Ohnmacht geschlagen worden. Er sei erst wieder im Krankenhaus aufgewacht. Er wolle einfach keine Waffe tragen. Er habe auch Drohungen von der Freien Armee erhalten für den Fall, dass er zum Regime gehe. ER sei auch von den Alewiten beleidigt worden; sie hätten gesagt, dass sie (iSv „wir“) Sklaven wären. Das seien die Leute von Bashar gewesen. (NS EV 25.03.2024 S 7 ff, 10)

Beschwerde vom 08.05.2024

In der Beschwerde wurde – zusammengefasst – das bisherige Vorbringen in geraffter Form wiederholt und vorgebracht, dass dem Beschwerdeführer die Rekrutierung zum Reservedienst durch das Regime drohe. Darüber hinaus fürchte der Beschwerdeführer asylrelevante Verfolgung seitens des syrischen Regimes aufgrund seiner illegalen Ausreise. (Beschwerde 10.05.2024 S 2 ff)

Mündliche Verhandlung am 17.10.2024

In der mündlichen Verhandlung brachte der Beschwerdeführer – zusammengefasst – vor, das Regime würde ihn zum Reservedienst einziehen, falls er nach Syrien zurückkehre. Er sei auch von den alawitischen Angehörigen der Al-Shabiha-Milizen im unteren Bereich seines Rückens verbrannt worden. Nur weil er Muslim sei, werde er von den Angehörigen der Al-Shabiha, den Drusen, gesucht. In Quneitra seien Angehörige der Al-Shabiha, der Drusen, Alawiten und sogar Schiiten. Die Drusen, die Angehörigen der Al-Shabiha würden junge Männer festnehmen und sie dem Regime ausliefern. Er werde von mehreren Sicherheitsdienststellen gesucht. Er werde von Drusen gesucht, weil er Muslim sei. Er werde vom Regime, Al-Shabiha und von der FSA gesucht. Er werde von allen Parteien gesucht. (VS 17.10.2024 S 7 ff)

1.4 Zur Glaubhaftigkeit des Vorbringens

Der Beschwerdeführer hat mit seinem Vorbringen nicht glaubhaft gemacht und es ergibt sich auch sonst nicht, dass er im Falle einer Rückkehr – zum gegenwärtigen Zeitpunkt – in Syrien – mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit – individuell konkret einer aktuellen und unmittelbaren Bedrohung aus ethnischen, religiösen oder politischen Gründen oder aufgrund der Nationalität oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe ausgesetzt sein wird, oder ihm aus einem dieser Motive Schutz durch die gegenwärtigen Machthaber in Syrien verweigert werden würde.

1.5 Zur Lage in Syrien

BAMF Briefing Notes Gruppe 62 – Informationszentrum Asyl und Migration

17.03.2025

Hunderte getötete Zivilpersonen nach Kämpfen und Massakern in Syriens Küstenregion

Nach mehreren koordinierten Angriffen auf syrische Sicherheitskräfte am 06.03.25 mobilisierte die Übergangsregierung die ihnen offiziell angeschlossenen Sicherheitskräfte und bewaffneten Gruppierungen. Im Rahmen der darauffolgenden Kämpfe kam es zu zahlreichen extralegalen Hinrichtungen und Massakern an der Zivilbevölkerung, besonders in der Küstenregion (vgl. BN v. 10.03.25).

Die Kämpfe ereigneten sich zwischen bewaffneten Assad-treuen Gruppierungen und offiziellen Sicherheitskräften sowie Unterstützern der Übergangsregierung. Medienberichten zufolge kämpften auf Seite der Übergangsregierung neben den offiziellen Truppen auch lokale bewaffnete Gruppierungen, Milizen des durch die Türkei unterstützten Bündnisses der SNA aus dem Norden und ausländische islamistische Gruppierungen. Diese gelten nominell zwar als in den neuen syrischen Sicherheitsapparat integriert, de facto unterliegen sie bislang jedoch denselben organisatorischen, personellen und Kommandostrukturen wie zuvor, da bislang keine oder nicht vollumfängliche Eingliederungsprozesse stattgefunden haben.

Verschiedenen Berichten zufolge bewaffneten sich auch Zivilpersonen und schlossen sich den bewaffneten Parteien an. Die anfänglichen Kämpfe gingen daraufhin in Übergriffe auf die Zivilbevölkerung über. Es soll zu Racheakten durch die Truppen und Unterstützer der Übergangsregierung entlang konfessioneller Linien gekommen sein. Insbesondere die alawitische Bevölkerung, die von großen Teilen der syrischen Bevölkerung, wenn nicht als Unterstützer, dann zumindest als Profiteure der gestürzten Assad-Regierung betrachtet wird, war daher von Hinrichtungen und Massentötungen betroffen.

Das Syrische Netzwerk für Menschenrechte (SNHR) war eigenen Angaben zufolge in der Lage, bis zum 15.03.25 die Tötung und Hinrichtung von mindestens 1.034 Zivilpersonen zu verifizieren. 439 wurden demnach durch Anhänger der Assad-Regierung getötet, während 595 Tötungen den Sicherheitskräften und ihren Unterstützern zugeordnet werden. Die Organisation gab an, weiterhin Ereignisse in diesem Kontext zu verifizieren, es handelt sich daher zunächst um vorläufige Ergebnisse. Unter den Gruppierungen der Sicherheitskräfte sollen insbesondere Fraktionen der SNA, sowie ausländische Milizen in die Massaker involviert gewesen sein. Allerdings beteiligten sich auch einige der aus den Kämpfern der HTS entstandenen offiziellen Sicherheitskräfte unter der Abteilung der Allgemeinen Sicherheit an den Tötungen. Zusätzlich zu der hohen Zahl an zivilen Opfern sollen auch Hunderte Kämpfer zu Tode gekommen sein.

Bereits seit dem Sturz der Assad-Regierung und der Machtübernahme der HTS sind Alawitinnen und Alawiten zunehmend Racheakten in Form von Übergriffen und Drohungen ausgesetzt. Währenddessen haben hochrangige Militärs und Geheimdienstoffiziere der gestürzten Assad-Regierung sich den durch die Übergangsregierung eingerichteten Versöhnungsprozessen entzogen und bewaffnete Gruppierungen gegründet oder zusammengeschlossen. Hierzu zählen die Syrian Popular Resistance, die Syrian Islamic Resistance Front, der Militärrat des freien Syriens sowie Überbleibsel des Milizenzusammenschlusses der Nationalen Verteidigungskräfte (NDF). Diese Gruppierungen waren in die Angriffe auf die Truppen der Übergangsregierung am 06.03.25 involviert. Obgleich die Übergangsregierung am 10.03.25 angab, die Kontrolle zurückerlangt zu haben, dauerten Angriffe bewaffneter Gruppierungen auf Sicherheitskräfte noch mindestens bis zum 14.03.25 weiter an. Mehrere Mitglieder der Streitkräfte wurden getötet, Berichte über getötete Zivilpersonen gab es zunächst keine.

Übergangspräsident al-Shar’a kündigte weitreichende Untersuchungen und strafrechtliche Konsequenzen für jene an, die für die Tötungen von Zivilpersonen verantwortlich seien, auch für Verbündete. Zu diesem Zweck rief er ein Komitee ins Leben, das innerhalb von 30 Tagen Ergebnisse an ihn übermitteln solle.

Vereinbarung über Integration in Staatsapparat zwischen SDF und Übergangsregierung

Am 10.03.25 unterzeichneten Übergangspräsident al-Shar’a und SDF-Kommandeur Mazloum Abdi eine Vereinbarung, die einen Waffenstillstand ermöglichen und den Weg zu einer politischen Einigung zwischen den beiden politischen Entitäten enthalten soll.

Die Absichtserklärung umfasst mehrere Punkte, darunter zentral die bis Ende des Jahres 2025 angestrebte Integration der militärischen und zivilen Bestandteile der SDF in die Übergangsregierung, wobei Details dieses Prozesses bislang nicht enthalten sind. Trotz der Einigung dauerten türkische Luftangriffe und Kämpfe zwischen Fraktionen der SNA und der SDF in Ost-Aleppo weiter an, was Fragen über die Kontrollfähigkeit der Übergangsregierung über die SNA-Gruppierungen aufwirft. Eine Quelle des türkischen Verteidigungsministeriums gab gegenüber einer Nachrichtenagentur an, dass die Vereinbarung das Vorgehen der Türkei gegen terroristische Vereinigungen in Syrien nicht betreffen würde. Die Türkei betrachtete die YPG, die stärkste Gruppierung innerhalb der SDF, als eine terroristische Gruppierung und verlangt weiterhin deren Entwaffnung und Auflösung.

Am 10.03.25 unterzeichneten außerdem drusische Milizen und die syrische Übergangsregierung ein Abkommen, das unter anderem die Rekrutierung von Sicherheitskräften aus Suweida und die Einrichtung militärischer Einheiten aus Suweida unter dem Schirm des Innenministeriums vorsieht. Eine einflussreiche drusische Führungspersönlichkeit, Sheikh al-Hijri, gab jedoch wenig später an, es sei keine Einigung erzielt worden. Inwiefern diese Aussage Auswirkungen auf die unterzeichnete Vereinbarung hat, ist nicht bekannt.

Temporäre Verfassungserklärung unterzeichnet

Am 13.03.25 unterzeichnete Übergangspräsident al-Shar’a eine Verfassungserklärung, die für eine Übergangsperiode von fünf Jahren gültig sein und nach Ablauf dieses Zeitraums durch eine dauerhafte Verfassung abgelöst und durch Parlaments- und Präsidentschaftswahlen begleitet werden soll.

Diese vorläufige Verfassung gewährt al-Shar‘a weitreichende Kompetenzen und Einfluss auf die personelle Besetzung sowohl der Legislative als auch der Judikative, obgleich sie auch eine Gewaltenteilung vorsieht. Ein Drittel der Mitglieder des künftigen Parlamentes würde demnach durch den Übergangspräsidenten ernannt. Zudem soll ein Ausschuss gebildet werden, der wiederum ein weiteres Komitee benennen würde, das die üblichen zwei Drittel bestimmen solle. Außerdem würde Shar’a die Richter des Obersten Verfassungsgerichts benennen. Als „die Hauptquelle“ für die zukünftige Gesetzgebung wurde in einer Lesung einer Zusammenfassung der Erklärung die Scharia aufgeführt, die zuvor nur als eine der Hauptquellen galt. Grundrechte, darunter die Meinungs- und Glaubensfreiheit, sollen für alle Syrerinnen und Syrern innerhalb der fünfjährigen Übergangsperiode gewahrt bleiben. Rechtseinschränkungen seien nur in Fällen der nationalen Sicherheit möglich. Der Präsident habe die Möglichkeit, den nationalen Notstand auszurufen. Außerdem sei die Glorifizierung der Assad-Regierung von der Meinungsfreiheit ausgenommen. Die Erklärung wurde durch das verfassungsgebende Komitee auf Grundlage der Ergebnisse der Nationalen Dialogkonferenz erarbeitet.

Al-Shar’a verkündete außerdem die Einrichtung eines Nationalen Sicherheitsrats, in dem sich unter anderem die derzeitigen Minister für Verteidigung, Inneres, Auswärtige Angelegenheiten sowie der Direktor des Nachrichtendienstes befinden. Sie gelten bislang als loyal gegenüber al-Shar’a. Darüber hinaus sollen zwei Beraterinnen oder Berater benannt werden, die ebenfalls dem Rat angehören werden.

Der Demokratische Rat Syriens (SDC), der politische Arm der SDF, sowie der oppositionelle Kurdische Nationalrat (KNC) kritisierten die Verfassungserklärung jedoch mit deutlichen Worten. Sie würde der Exekutive absolute Macht einräumen und politische Pluralität verunmöglichen.

Erst wenige Tage zuvor gelang es der Übergangsregierung und den SDF eine Vereinbarung zu unterzeichnen, die den Weg für eine Integration der kurdisch-dominierten Gruppen und Administration im Nordosten Syriens in die Übergangsregierung vorsah. Im Nordosten kam es zu Protesten der lokalen Bevölkerung.

10.03.2025

Berichte von mehreren Hundert Toten bei Kämpfen und Massakern im alawitischen Kernland

Nachdem Medienberichten zufolge am 06.03.25 mehr als ein Dutzend Sicherheitskräfte der Übergangsregierung bei einem Hinterhalt durch bewaffnete Assad-Getreue in Jableh (Latakia) zu Tode kamen, brachen in der Küstenregion, in den Gouvernements Tartous und Latakia, die schwersten Kämpfe seit dem Fall der AssadRegierung aus.

Assad-getreue Gruppierungen lieferten sich demnach heftige Gefechte mit Truppen und Unterstützern der Übergangsregierung. Es folgten landesweit organisierte und koordinierte Angriffe auf Truppen der Übergangsregierung, insbesondere jedoch in der Küstenregion. Die Sicherheitskräfte verstärkten daraufhin ihre Präsenz, verhängten in Tartous und Latakia aber auch andernorts Ausgangssperren und begannen Operationen gegen bewaffnete Aufständische.

Es soll im Rahmen des Vorgehens der Sicherheitskräfte der Übergangsregierung zu Vergeltungsakten an der in Tartous und Latakia mehrheitlich alawitischen Zivilbevölkerung gekommen sein. Die Syrische Beobachtungsstelle für Menschenrechte (SOHR) berichtete, mehrere Ortschaften in der Küstenregion sollen durch die Sicherheitskräfteder Übergangsregierung gestürmt und zum Teil geplündert worden sein. Dabei seien wahllos Zivilpersonen, darunter auch Kinder, getötet worden. Insgesamt seien SOHR zufolge bis zum 09.03.25 insgesamt 231 Sicherheitskräfte, 250 Aufständische und etwa 830 Zivilpersonen getötet worden. Der Großteil der Getöteten habe der alawitischen Konfession angehört, es befänden sich jedoch auch andere Bevölkerungsgruppen unter den Getöteten. Betroffen war vor allem das Gouvernement Latakia, gefolgt von Tartous. Doch auch in Hama und Homs soll es zu Übergriffen auf die Zivilbevölkerung durch Sicherheitskräfte oder bewaffnete Unterstützer der Übergangsregierung gekommen sein.

Die Nachrichtenlage ist derzeit noch uneindeutig. So zitierte beispielsweise die Nachrichtenplattform Enab Baladi Angaben des Syrischen Netzwerks für Menschenrechte (SNHR), wonach bis zum 08.03.25 insgesamt 311 Todesopfer erfasst worden sein sollen. Banden der ehemaligen Regierung sollen 121 Mitglieder der Sicherheitskräfte und 26 Zivilpersonen getötet haben, während im Rahmen des Vorgehens der Sicherheitskräfte 164 Zivilpersonen, darunter Frauen und Kinder, durch „undisziplinierte Fraktionen“ getötet worden sein sollen. Es handele sich hierbei vor allem um Gruppierungen aus dem Norden (mutmaßlich Kämpfer der aus der Türkei unterstützen SNA) sowie Truppen, die noch nicht angemessen ausgebildet seien, und einzelne bewaffnete Männer, die sich kurzentschlossen den Sicherheitskräften angeschlossen hatten. Es lässt sich nicht unabhängig überprüfen, wer die Tötungen begangen hat und wie hoch die Opferzahlen tatsächlich sind. SOHR zufolge sollen die Bodenoperationen in Teilen durch Angriffe der syrischen Luftwaffe unterstützt worden sein. Mehrere Syrerinnen und Syrer sollen auch in der russischen Militärbasis Hmeimim Schutz durch das russische Militär erbeten haben.

Andauernde Kämpfe und Luftangriffe in Ost-Aleppo und Nordostsyrien

Im Nordosten dauern Kämpfe zwischen den durch die Türkei unterstützten der Milizen der sogenannten Syrischen Nationalarmee (SNA) und den Demokratischen Kräften Syriens (SDF) im Osten des Gouvernements Aleppo, vor allem im Distrikt Manbij, an.

Türkische Luftangriffe auf Ziele in den Gouvernements Aleppo und Raqqa hätten der Plattform Etana zufolge zugenommen und zu einem Anstieg an Todesopfern geführt. Genaue Zahlen liegen nicht vor.

03.03.2025

Andauernde Kämpfe und Luftangriffe in Ost-Aleppo und Nordostsyrien

Auch nach dem Aufruf Öcalans (vgl. Beitrag zu Türkei) an die PKK, die Waffen niederzulegen, gingen die Kämpfe zwischen den Kämpfern der durch die Türkei unterstützten Milizen der sogenannten Syrischen Nationalarmee (SNA) und den Demokratischen Kräften Syriens (SDF) in Ost-Aleppo, vor allem im Distrikt Manbij, weiter. Mazloum Abdi, Kommandeur der SDF, gab an, dass der Aufruf Öcalans die SDF nicht beträfe. Während die Türkei die Volksverteidigungseinheiten (YPG), die einflussreichste Fraktion innerhalb der SDF, als gleichbedeutend mit der PKK ansieht, betont die Führung der SDF seit Jahren ihre Distanz zur PKK.

Kämpfe zwischen Übergangsregierung und Assad-loyalen Gruppierungen

Es kommt landesweit immer wieder zu Angriffen Assad-treuer Milizen auf relevante Ziele innerhalb Syriens, darunter auf Sicherheitskräfte der Übergangsregierung, aber auch israelische Militärs. So zum Beispiel am 26.02.25, als Medienberichten zufolge mutmaßliche Anhänger der ehemaligen Assad-Regierung eine lokale Polizeistation in Qardaha angriffen und den Rückzug der internen Sicherheitskräfte der Übergangsregierung forderten. Es folgte eine Sicherheitskampagne der internen Sicherheitskräfte in der Ortschaft.

Konferenz des Nationalen Dialogs

Nur zwei Tage nach dem Versenden der Einladungen (vgl. BN v. 24.02.25) kamen am 24.02. und 25.02.25 hunderte Syrerinnen und Syrer zur Konferenz des Nationalen Dialogs in Damaskus zusammen. In Workshops erarbeiteten sie Vorschläge und Zielsetzungen in den Bereichen Übergangsjustiz, Verfassung, Aufbau von staatlichen Institutionen und persönliche Freiheiten sowie zu dem zukünftigen Wirtschaftsmodell Syriens und der Rolle der Zivilgesellschaft. Die konkreten Inhalte blieben unter Verschluss. Im Rahmen der 18 Punkte umfassenden Abschlusserklärung der eineinhalbtägigen Konferenz wurde sich für die Etablierung eines Komitees ausgesprochen, das mit dem Entwurf einer Verfassung betraut werden soll sowie die Festlegung von ethnischen oder religiösen Quoten innerhalb öffentlicher Einrichtungen abgelehnt. Außerdem wurde die territoriale Integrität Syriens betont und die Präsenz israelischer Truppen im Süden des Landes verurteilt.

Die übereilte Organisation und kurze Dauer der Konferenz, der Mangel an Vertretungen von Minderheiten und Frauen, die Intransparenz bei der Teilnehmendenauswahl und die offene Frage, inwiefern die Ergebnisse der Konferenz für die Übergangsregierung bindend sein würden, sorgten für weitreichende Kritik. Nicht eingeladen wurden u.a. Vertreterinnen und Vertreter der SDF, die über große Teile des Nordosten Syriens die Kontrolle innehaben. Aufgrund der kurzfristigen Organisation war vor allem einigen Personen, die sich im Ausland aufhielten, die Teilnahme nicht möglich.

Wenige Tage später, am 02.03.25 verkündete die Übergangsregierung die Einberufung eines Komitees, das mit dem Entwerfen einer Verfassung beauftragt wurde. Unter den sieben Mitgliedern, die alle eine juristische Ausbildung absolviert haben, befindet sich eine Frau. Die für den 01.03.25 angekündigte Regierungsumbildung steht weiterhin aus.

Kämpfe in Jaramana und Drohungen einer militärischen Intervention durch Israel

Am 28.02.25 kam es zu Kämpfen zwischen Sicherheitskräften der HTS-geführten Übergangsregierung und drusischen Fraktionen im Damaszener Vorort Jaramana. Der Syrischen Beobachtungsstelle für Menschenrechte (SOHR) zufolge sei ein Mitglied der Sicherheitskräfte getötet und neun weitere Personen seien verwundet worden.

Einflussreiche drusische Persönlichkeiten bekräftigen, es habe sich bei den drusischen Fraktionen um einen „undisziplinierten Mob“ gehandelt, der nicht stellvertretend für die drusische Bevölkerung Jaramanas sei. Die Berichterstattung über die Ereignisse und den Auslöser der Kämpfe ist uneindeutig und es werden verschiedene Narrative über die Geschehnisse wiedergegeben. Syrische Sicherheitskräfte wurden in die Ortschaft entsandt.

Spannungen vor Ort konnten durch die Vermittlung einflussreicher drusischer Personen, darunter auch Mitglieder bewaffneter Gruppierungen aus dem mehrheitlich drusischen Gouvernement Suweida, eingedämmt werden.

Der israelische Premierminister Netanyahu kündigte am Folgetag jedoch an, sollte die drusische Bevölkerung verletzt werden, würde Israel einschreiten. Das israelische Militär sei demnach angewiesen worden, sich auf eine Intervention vorzubereiten.

Netanyahus Ankündigung wurde durch drusische Führungspersönlichkeiten sowie die syrische Übergangsregierung abgelehnt. Bereits eine Woche zuvor hatten Forderungen der israelischen Regierung nach einer Entmilitarisierung Südsyriens für Aufsehen und Proteste innerhalb Syriens gesorgt (vgl. BN v. 24.02.25)

24.02.2025

Andauernde Kämpfe und Luftangriffe in Ost-Aleppo und Nordostsyrien

Kämpfe zwischen den Milizen der sog. Syrischen Nationalarmee (SNA) und den kurdisch-dominierten Demokratischen Kräften Syriens (SDF) in Ost-Aleppo dauern weiterhin an. Ebenso bombardiert das türkische Militär weiterhin Ziele in den Gebieten unter SDF-Kontrolle. Im Fokus der Kämpfe stehen der Tishreen-Staudamm und die Qaraquzak-Brücke. Dabei soll es verschiedenen Berichten zufolge nur in wenigen Fällen zu Todesopfern gekommen sein. Zumeist würde es sich bei den Getöteten demnach um Mitglieder der jeweils bewaffneten Parteien handeln.

Konferenz des Nationalen Dialogs angekündigt

Obgleich ein Mitglied des Vorbereitungskomitees für die seit Langem angekündigte Nationale Dialogkonferenz noch zwei Tage vor Entsendung der Einladungen bekräftigte, dass der Zeitplan noch nicht festgelegt und es unklar sei, ob die Dialogkonferenz vor oder nach der angekündigten Umstrukturierung der Übergangsregierung am 01.03.25 stattfinden würde, ergingen am 23.02.25 offenbar kurzfristig Einladungen an zahlreiche Syrerinnen und Syrer, die sie dazu einluden, am Folgetag in Damaskus zu erscheinen, um an der Konferenz teilzunehmen.

In sozialen Medien kursierten Fotos der Tagesordnung, die die Konferenz auf den 25.02.25 datiert. Im Rahmen der Konferenz soll mit Vertreterinnen und Vertretern der Zivilgesellschaft über die Zukunft Syriens und drängende Herausforderungen gesprochen werden. Auch Teil der Tagesordnung soll eine sog. Verfassungserklärung sein, die einen rechtlichen Rahmen für die Regierungsgeschäfte bilden soll solange bis eine ordentliche Verfassung ausgearbeitet und verabschiedet werden konnte.

Im Vorfeld hielt das Vorbereitungskomitee Dutzende Treffen mit insgesamt etwa 4.000 Syrerinnen und Syrern aus verschiedenen Gouvernements ab. Der Teilnehmendenkreis der Konferenz blieb zunächst jedoch unklar.

Israelischer Premierminister fordert Entmilitarisierung Südsyriens

Israels Premierminister Benjamin Netanyahu erklärte am 23.02.25 in einer Rede vor Absolventinnen und Absolventen einer israelischen Militärakademie, dass Israel keine Militärpräsenz der syrischen Übergangsregierung südlich von Damaskus akzeptieren würde. In diesem Kontext forderte er die Entmilitarisierung der drei Gouvernements Quneitra, Dar’a und Suweida. Zuletzt hatte der israelische Verteidigungsminister angekündigt, dass die Armee auf unbestimmte Zeit auf dem Gipfel des Hermon und in der Pufferzone entlang der syrisch-israelischen Grenze stationiert bleiben würde, um israelische Gemeinden zu schützen und gegen mögliche Bedrohungen vorgehen zu können.

17.02.2025

Süden: Israelische Truppen weiten Präsenz aus

Nachrichtenmeldungen vom 14.02.25 zufolge drangen israelische Truppen in die Ortschaften Kudna, Saydna al-Golan und al-Rafid im Westen des Gouvernements Quneitra ein. Medienberichten nach sollen drei Brigaden des israelischen Militärs auf unbestimmte Zeit in Syrien bleiben. Demnach würde das Militär neun Posten auf den Golanhöhen bauen und Checkpoints an den Eingängen einiger Ortschaften betreiben, um Bewegungen der Bevölkerung leiten zu können. Einer Quelle zufolge soll das Militär inoffiziell im Austausch und in Koordination mit lokalen Sicherheitskräften und dem jordanischen Grenzschutz stehen.

Sicherheitsoperationen in Homs

Seit Anfang Januar 2025 führt die Abteilung für Allgemeine Sicherheit der Übergangsregierung in ganz Syrien Militäroperationen aus, die gegen ehemalige Mitglieder der Assad-Regierung oder seiner Sicherheitsdienste gerichtet sind. Insbesondere in Homs kam es in diesem Kontext zu einer Anzahl an Sicherheitsvorfällen. Im Rahmen der Operationen wurden bislang große Mengen an Waffen konfisziert und zahlreiche Personen inhaftiert.

Mehrere Organisationen warfen den Sicherheitskräften der Übergangsregierung jedoch Rechtsbrüche und die Misshandlung von Syrerinnen und Syrern während dieser Kampagnen vor. Das Syrian Justice and Accountability Center erfasste bspw. sechs Todesfälle von Personen, die sich in Haft befanden, sowie in zwei Fällen die Verhaftung von Verwandten von gesuchten Personen, um diese unter Druck zu setzen, sich den Behörden zu stellen. Die Behörden der Übergangsregierung geben in derartigen Fällen an, nicht in die vorgeworfenen Verbrechen involviert gewesen zu sein oder aber Kenntnis über die Rechtsverletzungen zu haben, diese aber weder angeordnet noch autorisiert zu haben. In mindestens einem der genannten Fälle wurde eine Untersuchung eingeleitet, Ergebnisse liegen bislang nicht vor.

Komitee zur Vorbereitung der Konferenz des Nationalen Dialogs

Die Übergangsregierung verkündete die Einrichtung eines Vorbereitungskomitees, das die Planung der lange angekündigten Nationalen Dialogkonferenz übernehmen solle. Die sieben Komiteemitglieder umfassen fünf Männer und zwei Frauen, darunter eine Christin. Der Großteil der Mitglieder stammt aus Kreisen, die der derzeit dominanten Gruppierung der Übergangsregierung, Hay’at Tahrir al-Sham, nahestehen. Ausgeschlossen von der Teilnahme an der Konferenz sollen jedoch Assad-loyale Personen und Organisationen sowie bewaffnete Gruppierungen sein, die sich der Entwaffnung und Eingliederung in das neue syrische Militär verweigern. Diese Einschränkung würde primär die kurdisch-dominierten Demokratischen Kräfte Syriens (SDF) der Selbstverwaltung im Nordosten Syriens betreffen. Zwar finden weiterhin Verhandlungen zwischen der SDF und der Übergangsregierung statt, es ist jedoch nicht klar, wann und wie eine derartige Integration vorgenommen werden könne. Ein Termin für die Konferenz wurde bislang nicht genannt.

10.02.2025

Nordwesten: Andauernde Kämpfe zwischen SDF und SNA in Ost-Aleppo; Eingliederung der SNA in neue Sicherheitskräfte

Luftangriffe des türkischen Militärs und des durch die Türkei unterstützten Milizenbündnisses, der sogenannten Syrischen Nationalarmee (SNA), auf Ziele der kurdisch dominierten sogenannten Demokratischen Kräfte Syriens (SDF) nahe des Tishreen-Staudamms und der Qaraquzak-Brücke dauern weiterhin an. Immer wieder kommt es zu Bodenkämpfen zwischen den beiden Seiten. Auch in den Gouvernements Hasaka und Raqqa zielen türkische Luftangriffe auf Positionen der SDF. In einem Beitrag in den sozialen Medien am 09.01.25 gab der Anführer der Suleiman-Shah-Brigade, einer Fraktion innerhalb der SNA, der zuletzt im Zuge der Integration in das neue syrische Militär zum Brigadegeneral ernannt wurde und das Kommando über die Hama-Brigade erhielt, dass seine Kämpfer den Tishreen-Damm zwischenzeitlich eingenommen hätten. Genauere Informationen zu den Hintergründen und die Involvierung der neuen Administration in die Kämpfe gab es zunächst keine. Der Brigadegeneral kündigte an, Aktivitäten erneut aufzunehmen, wenn weitere Anweisungen von Entscheidungsträgern erfolgt seien.

Im Rahmen der Eingliederung bewaffneter Gruppierungen in eine neue einheitliche syrische Armee, wurden Berichten zufolge Truppen der Übergangsregierung in Damaskus in Gebiete in Afrin und Jinderes entsandt, die zuvor durch die SNA kontrolliert wurden. Die sogenannte Syrische Interimsregierung, die die Verwaltungsaufgaben in den durch die SNA und Türkei kontrollierten Gebieten ausübte, verkündete in einem internen Schreiben am 30.01.25 die Überstellung der eigenen Gebiete, Behörden und bewaffneten Gruppen an die Übergangsregierung in Damaskus.

Es ist bislang jedoch unklar, in welchem Tempo die Auflösung der Fraktionen fortschreiten wird oder bereits fortgeschritten ist und wie die Mitglieder der SNA-Milizen tatsächlich in das neue Militär eingegliedert werden. Die SDF, sowie andere bewaffnete Gruppierungen insbesondere aus dem Süden, sind bislang noch nicht in das neue Militär integriert.

Truppen der Übergangsregierung sollen auch weiter östlich, in der Nähe von Manbij, positioniert worden sein, wo es in der vergangenen Woche zum siebten Sprengstoffanschlag seit dem Fall Assads gekommen war. Die Täter und das genaue Ziel sind weiterhin unbekannt (vgl. BN v. 03.02.25).22

Humanitäre Hilfen: Weitreichende Konsequenzen nach Stopp von US-Hilfsgeldern

Die bereits prekäre humanitäre Lage in Syrien wird durch einen Ausfall von Hilfsgeldern Medienberichten zufolge weiter verschärft. Zahlreiche Organisationen in Syrien sind von dem Stopp der US-amerikanischen Auslandshilfen durch US-Präsident Donald Trump betroffen und sollen ihre Arbeit bereits eingestellt oder reduziert haben müssen. Im Jahr 2024 stellte die USA insgesamt 25,3 % der humanitären Hilfen für Syrien, gefolgt von Deutschland mit 12,5 % und der EU-Kommission mit 11,4 %. Zahlreiche Organisationen sahen sich aufgrund des Wegfalls dieser Summen nun gezwungen, Dienstleistungen einzustellen und Personal zu entlassen. So musste zum Beispiel die in Nordsyrien operierende türkische NGO Doctors of the World Turkey, zwölf Feldkrankenhäuser schließen und mehr als 300 Angestellte in Syrien entlassen.

Auch das Lager al-Hol im Nordosten Syriens soll von derartigen Kürzungen betroffen worden sein. Medienberichten zufolge blieben Lebensmittelhilfen in dem weitgehend abgeriegelten Lager kurzzeitig aus, in dem vor allem Personen leben, die Verbindungen zum IS haben sollen. Die zuständige Organisation erhielt nach einem zweiwöchigen Aufschub des Zahlungsstopps wieder Gelder durch die USA, um die Arbeit kurzfristig fortzusetzen. Die Anschlussfinanzierung bleibt jedoch ungewiss und die Lagerleitung warnt vor möglichen Aufständen und einer Instrumentalisierung der Umstände durch den IS.

27.01.2025

Zahlreiche Tote durch Kriegsrückstände

Medienberichten zufolge kommt es derzeit häufig zu Todesfällen und Verwundungen aufgrund der Explosion von nicht explodierten Sprengkörpern und Kriegsüberresten, die sich in großen Teilen des Landes finden.

Der syrische Zivilschutz, auch bekannt als Weißhelme, erfasste zwischen dem 27.11.24 und dem 19.01.25 insgesamt 40 durch zurückgebliebene Sprengkörper getötete und 65 verwundete Personen. Das UN-Büro für die Koordinierung von humanitären Angelegenheiten (UN OCHA) veröffentlichte hingegen Zahlen ihrer Partnerorganisationen, denen zufolge in den ersten zwei Januarwochen allein mind. 45 Personen durch Blindgänger und Landminen getötet sowie 60 weitere verwundet worden sein sollen. Insbesondere Gebiete, in denen es in den vergangenen 13 Jahren zu intensiven Kampfhandlungen kam, seien hiervon betroffen. Die Weißhelme konnten seit dem 26.11.24 bereits mehr als 1.060 Kampfmittelrückstände beseitigen, identifizierte bislang jedoch auch 134 Minenfelder und einzelne verminte Punkte.37

DAANES bringt freiwillige Rückkehr aus al-Hol-Camp auf den Weg

Zum ersten Mal verlassen syrische Staatsangehörige das al-Hol-Camp im Nordosten Syriens, um in ihre Heimatregionen (außerhalb der Kontrolle der DAANES) zurückzukehren. Die Lagerdirektion verkündete die Vorbereitung für die freiwillige Rückkehr von insgesamt 66 Familien.

Das Lager hat eine Bevölkerung von etwa 40.000 Personen, ein großer Anteil hiervon soll in Verbindung zum IS stehen und seit dessen militärischer Niederlage im Jahr 2019 in dem Lager leben. Es gilt als Sicherheitsrisiko und Nährboden für extremistische Ideologie. Bereits seit Jahren ruft die sog. Demokratische Autonome Administration für Nord- und Ostsyrien (DAANES) Drittstaaten dazu auf, ihre Angehörigen aus dem Lager zu repatriieren. Bei einem Großteil der Einwohnerinnen und Einwohner handele es sich um ausländische Staatsangehörige, nur etwa 16.000 Syrerinnen und Syrer würden in dem Lager leben. Bereits seit Oktober 2020 wäre es Angaben der DAANES nach möglich gewesen, das Lager freiwillig zu verlassen, doch aufgrund der Herrschaft Bashar al-Assads sei dies von den Betroffenen nicht wahrgenommen worden.

Andauernde Kämpfe zwischen SDF und SNA in Ost-Aleppo

Die Kämpfe zwischen den durch die Türkei unterstützten Milizen der sog. Syrischen Nationalarmee (SNA), mit militärischer Luftunterstützung durch die Türkei, und den kurdisch-dominierten sog. Demokratischen Kräften Syriens (SDF) im Osten des Gouvernements Aleppo dauern weiterhin an (vgl. BN v. 13.01.25).

Der Tishreen-Damm, auf den sich die Kämpfe und Luftangriffe weiter konzentrieren, liegt strategisch bedeutsam, generiert Strom und stellt Wassernachschub für einen großen Teil der SDF-kontrollierten Gebiete. Der Staudamm stellt dementsprechend ein wertvolles Druckmittel dar, sollte die SNA Kontrolle darüber erlangen. Die Syrische Beobachtungsstelle für Menschenrechte (SOHR) erfasste seit Beginn der Auseinandersetzungen am 12.12.24 insgesamt 483 Personen, die im Rahmen der Kämpfe und Luftangriffe getötet worden seien. Darunter sollen sich demnach 51 Zivilpersonen, 363 SNA-Kämpfer und 76 SDF-Angehörige befinden. Medienberichten zufolge soll die HTS-geführte Abteilung für Militäroperationen einen Konvoi nach Manbij in die Nähe des Staudamms entsandt haben. Eine Beteiligung an den Kämpfen fand zunächst jedoch nicht statt.

Bewaffnete Auseinandersetzungen mit SDF in Raqqa und Deir ez-Zor

Medien berichteten am 25.01.25, dass im ländlichen Deir ez-Zor drei Kämpfer der SDF in einer Auseinandersetzung mit bewaffneten Stammesangehörigen, die nach dem Sturz Assads loyal gegenüber der Übergangsregierung in Damaskus gewesen sein sollen, getötet worden sind.

Mehrere Beiträge in sozialen Medien berichteten außerdem, dass es am 25.01.25 zwischen SDF-Truppen und der HTS-geführten Abteilung für Militäroperationen entlang der Grenze zu den durch die beiden Akteure kontrollierten Gebieten im Gouvernement Raqqa zu gegenseitigem Beschuss kam. Die genauen Hintergründe und potentielle Opferzahlen blieben zunächst jedoch unklar.

20.01.2025

Vergeltungsakte und Selbstjustiz

Berichte über Vergeltungsakte und Selbstjustiz in Syrien nach dem Ende der Assad-Herrschaft dauern weiterhin an. Immer wieder gibt es Berichte über Einzelfälle, in denen die lokale Bevölkerung, Nachbarn und Bekannte zu Gewalt greifen und Vergeltung an (tatsächlichen oder vermeintlichen) Anhängerinnen und Anhängern der Assad-Regierung verüben. Eine internationale Tageszeitung berichtete am 16.01.25 von einem Vorfall, in dem eine betroffene Familie angab, dass eines ihrer Mitglieder ermordet wurde, obwohl es sich bei dem Opfer um einen einfachen, wehrdienstleistenden Soldaten gehandelt habe, der zweimal versucht haben soll zu desertieren. Die lokale Bevölkerung, aus der die Täter stammen sollen, die den Mann nach seiner Rückkehr nach Hause umgebracht hätten, unterstellte ihm jedoch, Informationen an die damalige Regierung weitergegeben zu haben, die zur Inhaftierung und Tötung von anderen geführt haben sollen. Ein Mitarbeiter der Polizei, die den Fall untersucht, sagte ebenfalls aus, die Familie des Ermordeten sei bekannt dafür gewesen, mit der Regierung zusammen zu arbeiten. Zunächst wurde niemand für die mutmaßlich außergerichtliche Tötung verhaftet.

Selbst einfachen Wehrdienstleistenden, die nach dem Sturz Assads nach Hause zurückkehrten, würde dem Zeitungsbericht zufolge mit Misstrauen begegnet. Es werde ihnen vorgeworfen, sie hätten die Verbrechen der Regierung ermöglicht.

Häufig wird außerdem über außergerichtliche Tötungen vormaliger Funktionäre unter der Assad-Regierung berichtet sowie Tötungen vor unklarem Hintergrund.

Israelischer Luftangriff auf HTS-Mitglieder in Quneitra

Bei einem israelischen Luftangriff auf Ziele in der Ortschaft Ghadir al-Bustan im südlichen Gouvernement Quneitra wurden drei Personen getötet und fünf weitere verwundet. Zwei der Getöteten sollen Angehörige von Hay’at Tahrir al-Shams (HTS) gewesen sein, während der Dritte ein Gemeindebeamter war, der ebenfalls mit der HTSÜbergangsregierung in Verbindung stand. Das israelische Militär gab an, dass Fahrzeuge, die Waffen transportierten, das Ziel der Luftschläge gewesen seien.

Israel führte nach dem Sturz Assads hunderte Luftschläge gegen staatliche militärische Ziele und Ausstattung aus (vgl. BN v. 23.12.24). Die syrische Übergangsregierung hatte bislang signalisiert, keinen Konflikt mit Israel zu suchen und die Luftangriffe und Bodenoperationen zwar verurteilt, aber keine militärischen Schritte eingeleitet. Es handelt sich jedoch um den ersten Luftangriff mit Opfern, die direkt mit der HTS-Übergangsregierung in Verbindung stehen.

13.01.2025

Andauernde Kämpfe zwischen SDF und SNA in Ost-Aleppo

Im Norden Syriens dauern türkische Luftangriffe und Kämpfe zwischen dem durch die Türkei unterstützten Milizenbündnis, der sog. Syrische Nationalarmee (SNA), und den kurdisch-dominierten Demokratischen Kräften Syriens (SDF) weiterhin an.

Im Fokus türkischer Angriffe steht nach der Einnahme Manbijs und Tall Rif’ats durch die SNA (vgl. BN v. 23.12.24) besonders der Tishreen-Staudamm. Am 08.01.25 sammelten sich über 1.000 Protestierende, um auf Aufforderung der Demokratischen Autonomen Administration von Nord- und Ostsyrien (DAANES) gegen den andauernden Beschuss zu demonstrieren. Medienberichten zufolge sollen während des Protestzugs Ziele in der Nähe bombardiert worden sein. Die Gesundheitsbehörde in Ayn al-Arab (Kobanê) berichtete, dass fünf Zivilpersonen getötet und 15 weitere verwundet worden seien. Türkische Behörden lehnten eine türkische Verantwortung hierfür ab und beschuldigten die DAANES und SDF, die Zivilbevölkerung als menschliche Schilde zu missbrauchen. Am Tag darauf sollen Berichten der Syrischen Beobachtungsstelle für Menschenrechte (SOHR) zufolge 37 Personen getötet worden sein. Darunter befanden sich demnach primär SNA-Kämpfer, aber auch sechs Mitglieder der SDF. Insgesamt steigt die Todeszahl des vergangenen Monats damit auf 332 Tote. Ferner sollen SDF-Angaben zufolge am 11.01.25 drei Zivilpersonen durch türkische Luftangriffe getötet worden sein.

Proteste der alawitischen Bevölkerung; Berichte über Tote bei Ausschreitungen und Vergeltungsakten

Am 25.12.24 brachen in mehreren Städten des Landes Proteste der alawitischen Bevölkerung aus, nachdem online ein Video zirkulierte, dass die Zerstörung eines alawitischen Schreins in Aleppo zeigte. Die Behörden gaben später an, es habe sich um ein älteres Video gehandelt. Homs neu ernannter Polizeichef berichtete von friedlichen Protesten in Homs-Stadt, die von Gruppierungen, die mit der gestürzten Assad-Regierung in Verbindung standen, missbraucht worden seien. Dabei sollen Einzelne das Feuer auf Protestierende und anwesende Sicherheitskräfte eröffnet haben, wodurch eine Person getötet und mehrere verletzt worden sein sollen. Sicherheitskräfte erließen temporäre Ausgangssperren und errichteten Checkpoints, um die Situation unter Kontrolle zu bringen. SOHR berichtete zunächst, dass die Proteste von HTS-Kämpfern niedergeschlagen worden sein sollen.

Weitere Proteste brachen in Damaskus aus, nachdem ein Video, das die Verbrennung eines Weihnachtsbaums zeigte, publik wurde. Am Folgetag gab das Informationsministerium der Übergangsregierung bekannt, die Verbreitung von Videos mit einem „sektiererischen Charakter, der auf die Verbreitung von Spaltung abzielt“ zu verbieten.

Seit der Machtübernahme der HTS sollen Dutzende Syrerinnen und Syrer durch Racheakte getötet worden sein, insbesondere Mitglieder der alawitischen Bevölkerungsgruppe. Die Sorge vor Vergeltungsschlägen unter Alawitinnen und Alawiten ist weiterhin groß. Eine konkrete Opferzahl liegt nicht vor.

Vorgehen gegen Assad-treue Milizen

Bewaffnete Gruppen der Übergangsregierung führen in verschiedenen Orten Verhaftungskampagnen durch, um die Auflösung Assad-treuer Milizen voranzutreiben. So fand am 30.12.24 eine Verhaftungskampagne in der Ortschaft Adra nahe Damaskus statt, in deren Zuge mehrere Anführer solcher Milizen inhaftiert worden sein sollen.

Am 25.12.24 kam es in der Küstenstadt Tartous zu Kämpfen zwischen HTS-Kämpfern und Unterstützern der gestürzten Regierung, nachdem Medienberichten zufolge ein hochrangiger Funktionär der vormaligen Regierung verhaftet werden sollte. Dabei sollen 14 HTS-Kämpfer getötet und weitere verwundet worden sein.

Im Nachgang an die in Kämpfe eskalierten Proteste in Homs-Stadt (s.o.) führten die neuen syrischen Sicherheitskräfte am 02.01.25 unter dem Einsatz von Panzern eine weitere Verhaftungskampagne gegen ehemalige Milizenangehörige und Soldaten in Homs-Stadt durch, die sich ihrer Entwaffnung verweigert und der Beteiligung an Kriegsverbrechen verdächtigt werden sollen. Bereits am ersten Tag der mehrtägigen Kampagne sollen über 100 Personen inhaftiert worden sein.

Das Vorgehen gegen Mitglieder und Funktionäre der ehemaligen Regierung führte auch zu Kritik. Menschenrechtsorganisationen warfen der Übergangsregierung willkürliche Verhaftungen und intransparentes Vorgehen gegen mutmaßliche Assad-Unterstützer vor. Dies bestritten die Übergangsbehörden und verwiesen darauf, gegen bewaffnete, gewaltbereite Assad-Loyalisten vorzugehen, nicht jedoch gegen einfache Sympathisanten.

Einige Tage später, am 12.01.25 ergingen Berichte, dass etwa 360 Personen, die im Zuge der Verhaftungskampagnen in Gewahrsam genommen worden waren, durch die Abteilung für Allgemeine Sicherheit, freigelassen wurden. Es hätte sich bestätigt, dass sich die betroffenen Personen der Entwaffnung und der Übergangsregierung nicht widersetzen würden und sich keiner Kriegsverbrechen schuldig gemacht hätten. Wie viele der Inhaftierten aus Homs in Gewahrsam verblieben, war zunächst nicht bekannt.

Wirtschaftliche Situation und Lockerung von Sanktionen

Die desolate wirtschaftliche Lage sorgt weiterhin für Herausforderungen bei der Versorgung der syrischen Bevölkerung. Während Hilfsorganisationen davon ausgehen, dass noch immer ca. 90 % der Bevölkerung unterhalb der Armutsgrenze leben und etwa 13,1 Mio. Menschen in Syrien nicht ausreichend Nahrungsmittel zur Verfügung haben, bemüht sich die Übergangsregierung um das Einholen weiterer Hilfsgelder und Wiederaufbauhilfen.

Zuletzt kamen am 10.01.25 vor der Umayyaden-Moschee in Damaskus mind. drei Personen in der sich dort versammelnden Menschenmasse zu Tode. Berichten zufolge kommen zahlreiche Menschen zur Moschee und auf den Vorplatz, um dort das Freitagsgebet zu verrichten, aber auch um dort Lebensmittelhilfen zu erhalten.

Nachdem zuletzt die Verlängerung der US-Sanktionen des Caesar Act, der eines von mehreren Sanktionspaketen darstellt, um weitere fünf Jahre eingeleitet wurde, lockerte die US-Regierung am 06.01.25 einige Restriktionen für die kommenden sechs Monate, um es Investoren zu ermöglichen, mit syrischen Behörden zusammenzuarbeiten. Insbesondere in Bereichen die zur Versorgung der Bevölkerung beitragen, wie die humanitäre Hilfe, aber auch Strom, Energie, Wasser, Sanitäranlagen, sollen die Lockerungen der Sanktionen Wirkung zeigen.

In einem weiteren Schritt der Öffnung Syriens nahm der internationale Flughafen Damaskus am 07.01.25 den kommerziellen internationalen Luftverkehr wieder auf.

Die Zusammenführung der syrischen Wirtschaft nach der mehrjährigen de-facto-Teilung stellt die Übergangsregierung vor Herausforderungen. Aufgrund einer angestrebten Angleichung öffentlicher Gehälter zwischen den vormaligen Gebieten der HTS-geführten Administration in Idlib und den vormals durch die Assad-Regierung kontrollierten Gebieten, nahm die Übergangsregierung temporäre Kürzungen der Gehälter in Idlib um die Hälfte der Gesamtsumme vor (diese lagen bislang bei etwa 100-170 USD/Monat). Gleichzeitig wurden im Rahmen von Notfallmaßnahmen öffentliche Gehälter in den vormaligen Gebieten der Assad-Regierung erhöht, da diese bislang bei nur etwa 17 USD/Monat lagen. Lehrkräfte in Idlib kündigten daraufhin einen Streik gegen die temporären Kürzungen an, da auch sie trotz der verhältnismäßig höheren Gehälter unter großem finanziellem Druck stünden.

23.12.2024

Statusklärungsprozesse für ehemalige Angehörige der SAA und NDF

Ehemalige Angehörige der Syrischen Arabischen Armee (SAA) und irantreuer Milizen, welche unter dem Verbund der Nationalen Verteidigungskräfte (NDF) organisiert waren, sollen nach Angaben der neuen Herrscher die Möglichkeit bekommen, einen Statusklärungsprozess zu durchlaufen, in dem festgestellt werden soll, ob die betreffende Person entweder für Verbrechen unter der Assad-Regierung verantwortlich gewesen war und eine entsprechende Strafverfolgung zu erwarten hat, oder ob sie eine Amnestie erhalten kann.

Ehemalige Soldaten, Offiziere und medizinisches Personal der SAA wurden dazu aufgerufen, sich dafür in sogenannten Versöhnungszentren zu melden, um sich auszuweisen und Waffen sowie Gerätschaften abzugeben. Einer internationalen Tageszeitung zufolge öffnete am 18.12.24 in Latakia eines der ersten solcher Versöhnungszentren auf dem Boden einer ehemaligen Sicherheitsbehörde. Am ersten Tag sollen mehr als 600 Personen erschienen sein, gefolgt von einer noch größeren nicht näher bestimmten Zahl am Tag darauf.

Alle Personen, überwiegend Männer, aber auch einzelne Frauen, würden abfotografiert und ein zunächst für drei Monate gültiges Ausweisdokument erhalten. Einem örtlichen Vertreter des Innenministeriums in Latakia zufolge müssten sich die Betroffenen im Rahmen des Aussöhnungsprozesses nach drei Monaten bei einem Sicherheitshauptquartier melden, um das Verfahren weiter betreiben zu können.

Vor dem Sturz der Assad-Regierung am 08.12.24 ist bereits im zuvor von HTS eroberten Aleppo am 06.12.24 ein sogenanntes Versöhnungszentrum eingerichtet worden.

Ehemalige bewaffnete Oppositionsgruppen sollen in die syrische Armee eingegliedert werden

Wie syrische Staatsmedien am 17.12.24 berichteten, sollen dem Anführer von Hayat Tahrir al-Sham (HTS) zufolge alle bewaffneten Gruppen im Land aufgelöst und deren Kämpfer dem Verteidigungsministerium unterstellt werden. Unterdessen rief das neue Innenministerium Interessierte dazu auf, sich in den Polizeiakademien des Landes für den Sicherheitsdienst zu bewerben.

Berichte über einzelne Übergriffe auf Alawitinnen und Alawiten

Dem Bericht einer internationalen Presseagentur vom 21.12.24 zufolge dokumentierte die Syrische Beobachtungsstelle für Menschenrechte (SOHR) seit dem Sturz der Assad-Regierung am 08.12.24 mindestens 72 Fälle von Tötungen an verschiedenen ethnischen und religiösen Minderheiten. Alle Vorfälle wurden demnach in den religiös vielfältigen Gouvernements Hama, Homs, Tartus und Latakia verortet.

Zwischen dem 09.12. und 11.12.24 wurden dem Presseagenturbericht zufolge in der Ortschaft Bahra (Hama) etwa ein Dutzend Alawitinnen und Alawiten von bewaffneten Männern erschossen. In den benachbarten Ortschaften Mouaa und Um al-Amad wurden ebenfalls jeweils sechs und zwei Personen getötet. Alle drei Orte sollen inzwischen nahezu verlassen sein, nachdem die Bewohnerinnen und Bewohner nach Tartus geflohen seien.

Am Wochenende des 20.12. und 21.12.24 soll daraufhin die HTS-Miliz ein Treffen veranstaltet haben, zu dem sunnitische und alawitische Würdenträger aus den Ortschaften Rabia, Tizin, Metnine und Mouaa erschienen sein und ein Ende der gewalttätigen Übergriffe beschlossen haben sollen.

Besetzte Pufferzone: Israel geht von längerer Präsenz aus

Nachdem die israelische Armee kurz nach dem Sturz der Assad-Regierung in die entmilitarisierte Pufferzone entlang den Golanhöhen im syrischen Gouvernement Quneitra eingedrungen war (vgl. BN v. 09.12.24) und den Gipfel des Hermon, Syriens höchstem Berg, eingenommen hat, besuchte der israelische Premierminister Benjamin Netanjahu am 17.12.24 einen der neu errichteten Stützpunkte und bekräftigte die Absicht Israels, die Pufferzone solange militärisch zu halten bis ein Abkommen mit den neuen Herrschern in Damaskus getroffen worden sei, das die Sicherheit Israels garantiere.

Der Hermon ist weniger als zehn km von den seit 1967 israelisch besetzten Golanhöhen entfernt und stellt einer Presseerklärung des israelischen Verteidigungsministeriums vom 17.12.24 zufolge eine strategisch wichtige Position dar, von der aus man Hisbollah-Einheiten in der Bekaa-Ebene des benachbarten Libanon besser beobachten könne. Außerdem würde die israelische Präsenz eine abschreckende Wirkung auf Rebellen in Damaskus haben, die eine moderate Fassade für sich behaupten, aber den extremsten Zweigen des Islamismus zuzurechnen seien.

Ahmad al-Shara, Anführer der HTS-Miliz, kritisierte das israelische Vorgehen und versicherte, dass Syrien das im Jahr 1974 geschlossene Waffenstillstandsabkommen mit Israel wahren werde. Vielmehr sei die Gefahr, die von irantreuen Milizen für Israel ausgegangen sei, durch den Sturz der Assad-Regierung gebannt worden.

Am 15.12.24 genehmigte die israelische Regierung zudem den Ausbau weiterer Siedlungen auf den Golanhöhen. Eine Verdoppelung der israelischen Bevölkerung in den Golanhöhen, die mit den Siedlungsgenehmigungen erreicht werden soll, diene der Verteidigungsfähigkeit der Region.

Gegenwärtig leben schätzungsweise 20.000 israelische neben 20.000 syrischen Staatsangehörigen auf den Golanhöhen. Letztere setzen sich vor allem aus der drusisch-arabischen Minderheit Syriens zusammen. Anders etwa als das Westjordanland, das Israel als umstrittenes Gebiet betrachtet, werden die Golanhöhen seit ihrer Annexion von Syrien im Jahre 1981 als israelisches Staatsgebiet behandelt.19

Nordosten: Angriffe der SNA auf Ain al-Arab (Kobanê)

Die kurdisch geführten Demokratischen Kräfte Syriens (SDF) berichteten, am 18.12.24 an zahlreichen Stellungen um die im Gouvernement Aleppo gelegene Ortschaft Ain al-Arab (kurdisch Kobanê) und entlang des Euphrat von Kämpfern der von der Türkei unterstützten Syrischen Nationalen Armee (SNA) angegriffen worden zu sein.

Die Ortschaft ist die letzte größere Bastion der SDF im Gouvernement Aleppo zwischen Tal Abyad im Osten und Jarabulus sowie Manbij im Westen, die sich inzwischen allesamt unter der Kontrolle der SNA und des türkischen Militärs befinden. Zugleich ist Ain al-Arab bzw. Kobanê mehrheitlich kurdisch bewohnt. Der Stadt wird durch den hart erkämpften Sieg über die IS-Herrschaft im Jahr 2016 große symbolische Bedeutung beigemessen. Nach der Einnahme Manbijs durch die SNA am 11.12.24 (vgl. BN v. 16.12.24) wurde eine zeitlich begrenzte Waffenruhe für die gesamte Region beschlossen. Vorausgegangene Kämpfe hatten Tausende Menschen zur Flucht bewegt.

Die Führung der SDF bekannte sich am 17.12.24 öffentlich zu einem Friedensplan, wonach sie ihre Kämpferinnen und Kämpfer aus Kobanê abziehen würden, wenn dafür eine entmilitarisierte Zone unter Aufsicht der US-Armee geschaffen werde.

Am 20.12.24 wurden Medienberichten zufolge eine Journalistin und ein Journalist bei einem türkischen Drohnenangriff nahe der Tischrin-Talsperre, etwa 60 km südlich von Ain al-Arab bzw. Kobanê, getötet. Die beiden arbeiteten für kurdische Medienunternehmen in der Türkei.

16.12.2024

Machtwechsel; Schicksal vieler Assad-Getreuer ungewiss

Am 13.12.24 kamen in Damaskus Zehntausende Menschen am Umayyaden-Platz, einem Kreisverkehr nahe der gleichnamigen Moschee im Zentrum der Stadt, zusammen, um das Freitagsgebet zu begehen und das Ende der Assad-Herrschaft zu feiern. Die Predigt in der Umayyaden-Moschee wurde von Interims-Premierminister al-Bashir gehalten. Der Anführer der Hayat Tahrir al-Sham (HTS), Ahmad al-Sharaa, der inzwischen seinen Kampfnamen Abu Mohammed al-Jolani abgelegt hat, wandte sich in einer Videobotschaft an die Bevölkerung, um ihr zu gratulieren.

Am 11.12.24 hatte al-Sharaa in einer schriftlichen Stellungnahme angekündigt, keine Begnadigungen für Personen auszusprechen, die an der Folter oder dem Mord von Häftlingen unter der Assad-Regierung beteiligt waren. Man werde die im Land verbliebenen Täter ausfindig machen und ausländische Staaten um eine Überstellung bitten. Die in London ansässige Syrische Beobachtungsstelle für Menschenrechte (SOHR) berichtete am selben Tag von Übergriffen bewaffneter Gruppen auf Personen in Wohnvierteln, die als Assad-Hochburgen bekannt waren. Es soll demnach zu Plünderungen und Einschüchterungen gekommen sein. Während prominente Assad-Anhänger wie dessen Bruder Maher oder Generalmajor Al Mamlouk Berichten zufolge nach Russland bzw. Libanon geflohen sein sollen, ist der Verbleib vieler weiterer Führungspersönlichkeiten der gestürzten Regierung ungeklärt.

Am 14.12.24 eröffnete der türkische Außenminister Hakan Fidan die türkische Botschaft in Damaskus, die seit dem Jahr 2012 geschlossen war.

Nordostsyrien: SDF geben Manbij auf; hissen die neue Flagge Syriens

Die kurdisch geführten Demokratischen Kräfte Syriens (SDF) erklärten am 11.12.24, einem durch die USA und Türkei vermittelten (vgl. BN v. 09.12.24) Waffenstillstandsabkommen zugestimmt zu haben, wonach sie ihre Streitkräfte aus Manbij abziehen mussten. Die Ortschaft steht damit unter der Kontrolle der Syrischen Nationalen Armee (SNA), einem aus der Türkei geförderten islamistischen Rebellenverbund. Manbij befand sich seit mehr als acht Jahren unter Kontrolle der SDF, nachdem sie den IS im August 2016 aus der Ortschaft vertrieben hatten. Die Führung der SDF kritisierte die USA dafür, die Angriffe der Türkei und der mit ihr verbündeten Milizen auf die Kurden nicht verhindert haben zu können, schließlich sei Manbij auch mit Hilfe des US-Militärs vom IS befreit worden. Dieser könne eine Schwächung der SDF in der Region möglicherweise auch für sich zu nutzen wissen. US-Angaben zufolge halten die SDF derzeit noch ca. 9.000 IS-Kämpfer in über 20 Haftanstalten verteilt über Nordostsyrien gefangen.

Am 12.12.24 erklärte die Demokratische Autonome Administration von Nord- und Ostsyrien (DAANES), das zivile Pendant zu den SDF, auf allen Gebäuden ihrer Institutionen die neue Flagge Syriens gehisst zu haben. In der Stellungnahme bekannte sie sich zur Einheit Syriens und ihrer nationalen Identität. Bis dato positionierte sich die DAANES seit Jahren als dritte Partei zwischen syrischer Regierung und der bewaffneten Opposition. In dem symbolischen Akt kann eine Bereitschaft zur Zusammenarbeit mit den neuen Herrschern in Damaskus gesehen werden.

Fluchtbewegungen

Aktualisierten Zahlen der UN zufolge sind im Zuge der HTS-Offensive 1,1 Mio. Menschen zu Binnenflüchtlingen geworden, insbesondere Bewohnerinnen und Bewohner der Gouvernements Aleppo, Idlib, Hama und Homs. Fluchtbewegungen können vor allem in die Gouvernements Idlib, Hama, Rif Dimashq, Aleppo und Tartus verzeichnet werden. Demgegenüber hätten ca. 5.000 Menschen ihre Notunterkunft in Binnenvertriebenenlagern verlasen, um in ihre Häuser zurückzukehren. In den meisten Regionen habe sich die Sicherheitslage zuletzt verbessert, nur in Nordostsyrien sprechen die UN von einer volatilen Situation infolge von großen territorialen und politischen Veränderungen.

Die UN berichten außerdem mit Stand 13.12.24, dass seit dem 08.12.24 etwas weniger als 10.000 Menschen aus dem Libanon nach Syrien zurückgekehrt seien. Zehntausende wären zur selben Zeit (vor dem Hintergrund des Waffenstillstandes zwischen Israel und Hisbollah) von Syrien in den Libanon zurückgekehrt. Etwa 1.000 Syrerinnen und Syrer wären demnach in den Irak geflohen, 800 Personen alleine am 11.12.24.

09.12.2024

Sturz der Assad-Regierung

Mit der weitgehend kampflosen Einnahme weiterer Gouvernementhauptstädte (05.12.24 Hama, 07.12.24 Homs) fiel am Morgen des 08.12.24 schließlich auch die Hauptstadt Damaskus unter die Kontrolle von Hayat Tahrir al-Sham (HTS).

Zur Offensive aus dem Nordwesten (vgl. BN v. 02.12.24) kamen spontan regionale bewaffnete Aufstände hinzu, wodurch auch die südlichen Gouvernements Suweida und Dar’a von Umstürzen erfasst wurden. Am 06.12.24 rief außerdem die russische Botschaft in Damaskus ihre Staatsbürgerinnen und Staatsbürger zum Verlassen des Landes auf und das iranische Militär verließ das Land über die Grenzübergänge nach Irak und Libanon oder den Luft- bzw. Seeweg über Latakia.

Die syrische Armee verließ Medienberichten zufolge in großer Zahl ihre Posten und ließ militärisches Gerät und Ausrüstung zurück. Zu Tausenden sollen Soldaten desertiert sein, ihre Militäruniformen durch zivile Kleidung ersetzt und sich unter die Zivilbevölkerung gemischt haben. Die staatlichen Institutionen des Landes würden der HTS-Miliz zufolge zunächst unter der Aufsicht des bisherigen Premierministers stehen, der die Übergangszeit begleite. Nach gegenwärtiger Informationslage ist noch nicht bekannt, ob HTS-Kämpfer bereits in die Gouvernementhauptstädte der syrischen Küste, Latakia und Tartus, vorgedrungen sind, wo sich die große Mehrheit der Alawiten im Land und eine Machtbasis des laut Medienberichten mit russischer Unterstützung nach Moskau geflohenen ehemaligen Präsidenten Assad befindet. Abu Mohammed al-Jolani, Anführer der islamistischen HTS-Miliz, betrat am 08.12.24 medienwirksam die Umayyaden-Moschee in Damaskus, wo er eine Siegesrede über die Assad-Herrschaft und „iranische Bestrebungen“ in Syrien hielt.

Außerdem große Beachtung fand die Einnahme des berüchtigten Sednaya-Gefängniskomplexes, wo zahlreiche Männer, Frauen und Kinder befreit wurden. Die Gefängnisanlage enthält Berichten zufolge mehrere unterirdische und zum Teil verbarrikadierte Etagen, zu denen am Morgen des 09.12.24 Rettungskräfte noch immer nicht vollständig durchgedrungen waren. Eine Untersuchung durch die UN im Jahr 2016 hatte ergeben, dass während der Assad-Herrschaft so viele Menschen in den Gefängnissen zu Tode gefoltert wurden, dass sie in ihrem Bericht den Begriff „Vernichtung“ verwendet hat.

Aus den Protesten gegen die Assad-Herrschaft, die im Jahr 2011 im Zuge des sogenannten Arabischen Frühlings ihren Anfang nahmen, gelang es der Opposition nie, jenseits der Forderung nach dem Sturz der Regierung eine gemeinsame Vorstellung hinsichtlich einer neuen Staatsordnung für die Zeit nach Assad zu formulieren.

Nordsyrien: SNA und türkische Armee greifen SDF an

Mehreren übereinstimmenden Berichten zufolge griff die türkische Armee am 08.12.24 Stellungen der Demokratischen Kräfte Syriens (SDF) in Manbij im Norden des Gouvernements Aleppo mit Drohnen an, nachdem es am Vortag bereits zu Kämpfen zwischen den SDF und der Syrischen Nationalen Armee (SNA) gekommen war. Den SDF zufolge waren dabei mindestens 22 ihrer Kämpfer getötet und 40 weitere verletzt worden.

Den UN zufolge sollen in Nordsyrien bereits zum 05.12.24 etwa zwischen 60.000 und 80.000 Personen vor anhaltenden Kämpfen zwischen SDF und SNA geflohen sein.

Sowohl SDF als auch SNA begrüßten den Fall der Assad-Regierung, stehen sich im Kampf um die Kontrolle der nördlichen (teils mehrheitlich kurdisch bevölkerten) Gebieten jedoch feindlich gegenüber. Die Verteidigungsminister der USA und der Türkei telefonierten nach den Kampfhandlungen miteinander, um eine Deeskalation zu bewirken.

USA bombardieren IS-Stellungen; Israel sichert Golanhöhen

Die USA verkündeten am 08.12.24, Dutzende Stellungen des IS in Zentralsyrien aus der Luft angegriffen zu haben. Insgesamt 75 Ziele sollen demnach getroffen worden sein. Es lägen demnach keine Berichte über zivile Opfer vor. Der Zeitpunkt der Angriffe sei so gewählt worden, damit der IS die volatile politische Lage im Land nicht für sich nutzen könne.

Einem Zeitungsbericht zufolge hat sich das israelische Militär am 08.12.24 erstmals seit dem Oktober- bzw. Jom-Kippur-Krieg im Jahr 1973 auf syrisches Territorium jenseits der annektierten Golanhöhen bewegt. Es sei die Bergregion im syrischen Gouvernement Quneitra um den Gipfel Hermon, der höchste Berg Syriens, gesichert worden, um eine temporäre „Pufferzone“ einzurichten, bis eine Vereinbarung über die Nachbarschaft mit den neuen Herrschern in Damaskus getroffen worden sei.

Außerdem habe die israelische Luftwaffe am 07.12. und 08.12.24 mehrere Militäranlagen Syriens bombardiert. Diese sollten das verbliebene Chemiewaffenarsenal des Landes lagern. Dabei wurden auch Elemente russischer Luftabwehrsysteme und ein Arsenal an ballistischen Boden-Boden-Raketen zerstört.

Kurzinformation der Staatendokumentation SYRIEN, 10.12.2024

Sicherheitslage, Politische Lage Dezember 2024: Opposition übernimmt Kontrolle, al-Assad flieht

1. Zusammenfassung der Ereignisse

Nach monatelanger Vorbereitung und Training (NYT 1.12.2024) starteten islamistische Regierungsgegner unter der Führung der Hay’at Tahrir ash-Sham (HTS) (Standard 1.12.2024) die Operation „Abschreckung der Aggression“ – auf نن Arabisch: ردع العدوا - Rad’a al-‘Adwan (AJ 2.12.2024) und setzten der Regierung von Präsident Bashar al-Assad innerhalb von 11 Tagen ein Ende.

Am 30.11. nahmen die Oppositionskämpfer Aleppo ein und stießen weiter in Richtung der Stadt Hama vor, welche sie am 5.12. einnahmen. Danach setzten sie ihre Offensive in Richtung der Stadt Homs fort (AJ 8.12.2024). Dort übernahmen sie die Kontrolle in der Nacht vom 7.12. auf 8.12. (BBC 8.12.2024).

Am 6.12. zog der Iran sein Militärpersonal aus Syrien ab (NYT 6.12.2024). Russland forderte am 7.12. seine Staatsbürger auf, das Land zu verlassen (FR 7.12.2024). Am 7.12. begannen lokale Milizen und Rebellengruppierungen im Süden Syriens ebenfalls mit einer Offensive und nahmen Daraa ein (TNA 7.12.2024; Vgl. AJ 8.12.2024), nachdem sie sich mit der Syrischen Arabischen Armee auf deren geordneten Abzug geeinigt hatten (AWN 7.12.2024). Aus den südlichen Provinzen Suweida und Quneitra zogen ebenfalls syrische Soldaten, sowie Polizeichefs und Gouverneure ab (AJ 7.12.2024). Erste Oppositionsgruppierungen stießen am 7.12. Richtung Damaskus vor (AJ 8.12.2024). Am frühen Morgen des 8.12. verkündeten Medienkanäle der HTS, dass sie in die Hauptstadt eingedrungen sind und schließlich, dass sie die Hauptstadt vollständig unter ihre Kontrolle gebracht haben (Tagesschau 8.12.2024). Die Einnahme Damaskus’ ist ohne Gegenwehr erfolgt (REU 9.12.2024), die Regierungstruppen hatten Stellungen aufgegeben, darunter den Flughafen (Tagesschau 8.12.2024). Das Armeekommando hatte die Soldaten außer Dienst gestellt (Standard 8.12.2024).

Russland verkündete den Rücktritt und die Flucht von al-Assad (BBC 8.12.2024). Ihm und seiner Familie wurde Asyl aus humanitären Gründen gewährt (REU 9.12.2024).

Kurdisch geführte Kämpfer übernahmen am 6.12.2024 die Kontrolle über Deir ez-Zour im Nordosten Syriens, nachdem vom Iran unterstützte Milizen dort abgezogen waren (AJ 7.12.2024), sowie über einen wichtigen Grenzübergang zum Irak. Sie wurden von den USA bei ihrem Vorgehen unterstützt (AWN 7.12.2024).

Die von der Türkei unterstützten Rebellengruppierungen unter dem Namen Syrian National Army (SNA) im Norden Syriens starteten eine eigene Operation gegen die von den Kurden geführten Syrian Democratic Forces (SDF) im Norden von Aleppo (BBC 8.12.2024). ج فف ج Im Zuge der Operation „Morgenröte der Freiheit“ (auf Arabisch رال ر ح ة يية - Fajr al-Hurriya) nahmen diese Gruppierungen am 9.12.2024 die Stadt Manbij ein (SOHR 9.12.2024). Die Kampfhandlungen zwischen Einheiten der durch die Türkei unterstützten Syrian National Army (SNA) auf der einen Seite und den SDF auf der anderen Seite dauerten danach weiter an. Türkische Drohnen unterstützten dabei die Truppen am Boden durch Luftangriffe (SOHR 9.12.2024b).

Der Syrischen Beobachtungsstelle für Menschenrechte zufolge sind seit Beginn der Offensive 910 Menschen ums Leben gekommen, darunter 138 Zivilisten (AAA 8.12.2024). Beim Vormarsch auf Homs waren tausende Menschen Richtung Küste nach Westen geflohen (AJ 6.12.2024). Bei der Offensive gegen Manbij wurden hingegen einige Zivilisten in Richtung Osten vertrieben (SOHR 9.12.2024).

In Damaskus herrschte weit verbreitetes Chaos nach der Machtübernahme durch die Opposition. So wurde der Sturz von Assad mit schweren Schüssen gefeiert und Zivilisten stürmten einige staatliche Einrichtungen, wie die Zentralbank am Saba-Bahrat-Platz, das Verteidigungsministerium (Zivilschutz) in Mleiha und die Einwanderungs- und Passbehörde in der Nähe von Zabaltani, außerdem wurden in verschiedenen Straßen zerstörte und brennende Fahrzeuge gefunden (AJ 8.12.2024b). Anführer al-Joulani soll die Anweisung an die Oppositionskämpfer erlassen haben, keine öffentlichen Einrichtungen anzugreifen (8.12.2024c) und erklärte, dass die öffentlichen Einrichtungen bis zur offiziellen Übergabe unter der Aufsicht von Ministerpräsident Mohammed al-Jalali aus der Assad-Regierung bleiben (Rudaw 9.12.2024).

Gefangene wurden aus Gefängnissen befreit, wie aus dem berüchtigten Sedanaya Gefängnis im Norden von Damaskus (AJ 8.12.2024c).

2. Die Akteure

Syrische Arabische Armee (SAA): Die Syrische Arabische Armee kämpfte gemeinsam mit den National Defense Forces, einer regierungsnahen, paramilitärischen Gruppierung. Unterstützt wurde die SAA von der Hisbollah, Iran und Russland (AJ 8.12.2024).

Die Einheiten der syrischen Regierungstruppen zogen sich beim Zusammenstoß mit den Oppositionskräften zurück, während diese weiter vorrückten. Viele Soldaten flohen oder desertierten (NZZ 8.12.2024). In Suweida im Süden Syriens sind die Soldaten der Syrischen Arabischen Armee massenweise desertiert (Standard 7.12.2024). Am 7.12. flohen mehrere Tausend syrische Soldaten über die Grenze in den Irak (Arabiya 7.12.2024; vgl. Guardian 8.12.2024). Präsident al-Assad erhöhte am 4.12. die Gehälter seiner Soldaten, nicht aber dasjenige von Personen, die ihren Pflichtwehrdienst ableisteten (TNA 5.12.2024). Dieser Versuch, die Moral zu erhöhen, blieb erfolglos (Guardian 8.12.2024).

Die Opposition forderte die Soldaten indes zur Desertion auf (TNA 5.12.2024). Aktivisten der Syrischen Beobachtungsstelle für Menschenrechte beobachteten, dass Hunderte Soldaten ihre Militäruniformen ausgezogen haben, nachdem sie entlassen wurden (SOHR 8.12.2024). Offiziere und Mitarbeiter des Regimes ließen ihre Militär- und Sicherheitsfahrzeuge in der Nähe des Republikanischen Palastes, des Büros des Premierministers und des Volkspalastes unverschlossen stehen, aus Angst von Rebellen am Steuer erwischt zu werden (AJ 8.12.2024b).

Opposition: Obwohl Hay’at Tahrir ash-Sham (HTS) den plötzlichen Vormarsch auf Aleppo gestartet hat und treibende Kraft der Offensive war haben auch andere Rebellengruppierungen sich gegen die Regierung gewandt und sich am Aufstand beteiligt (BBC 8.12.2024c).

• Hay’at Tahrir ash-Sham (HTS): Die HTS wurde 2011 als Ableger der al-Qaida unter dem Namen Jabhat an-Nusra gegründet (BBC 8.12.2024c). Im Jahr 2017 brach die Gruppierung ihre Verbindung mit der Al-Qaida (CSIS 2018) und formierte sich unter dem Namen Hay’at Tahrir ash-Sham neu, gemeinsam mit anderen Gruppierungen (BBC 8.12.2024c). Sie wird von der UN, den USA, der Europäischen Union (AJ 4.12.2024) und der Türkei als Terrororganisation eingestuft (BBC 8.12.2024c). Der Anführer der HTS, der bisher unter seinem Kampfnamen Abu Mohammed al-Joulani bekannt war, hat begonnen wieder seinen bürgerlichen Namen, Ahmad ash-Shara’a zu verwenden (Nashra 8.12.2024). Er positioniert sich als Anführer im Post-Assad Syrien (BBC 8.12.2024c). Die HTS hat in den letzten Jahren versucht, sich als nationalistische Kraft (BBC 8.12.2024b) und pragmatische Alternative zu al-Assad zu positionieren (BBC 8.12.2024c).

Der Gruppierung werden Menschenrechtsverletzungen vorgeworfen (BBC 8.12.2024c). Einem Terrorismusexperten zufolge gibt es bereits erste Videos von Personen aus dem HTS-Umfeld, die ein Kalifat aufbauen wollen (WiWo 9.12.2024).

• National Liberation Front (NFL): Eine Reihe kleinerer Kampfgruppen, aus denen sich die NFL zusammensetzt, nahmen an der Operation „Abschreckung der Aggression“ teil, darunter die Jaish al-Nasr, das Sham Corps und die Freie Idlib-Armee. Die 2018 in Idlib gegründete NFL umfasst mehrere nordsyrische Fraktionen, von denen einige auch unter das Dach der Freien Syrischen Armee fallen (AJ 2.12.2024b).

• Ahrar al-Sham Movement: Die Ahrar al-Sham-Bewegung ist hauptsächlich in Aleppo und Idlib aktiv und wurde 2011 gegründet. Sie definiert sich selbst als „umfassende reformistische islamische Bewegung, die in die Islamische Front eingebunden und integriert ist“ (AJ 2.12.2024b).

• Jaish al-Izza: Jaish al-Izza: Übersetzt: „Die Armee des Stolzes“ ist Teil der Freien Syrischen Armee und konzentriert sich auf den Norden des Gouvernements Hama und einige Teile von Lattakia. Im Jahr 2019 erhielt die Gruppierung Unterstützung aus dem Westen, darunter auch Hochleistungswaffen (AJ 2.12.2024b).

• Nur Eddin Zinki-Bewegung (Zinki): Diese Gruppierung entstand 2014 in Aleppo, versuchte 2017, sich mit der HTS zusammenzuschließen, was jedoch nicht funktionierte. Die beiden Gruppierungen kämpften 2018 gegeneinander, und „Zinki“ wurde Anfang 2019 von ihren Machtpositionen in der Provinz Aleppo vertrieben. Ein Jahr später verhandelte „Zinki“ mit der HTS, und ihre Kämpfer kehrten an die Front zurück, und seitdem ist die Gruppe unter den oppositionellen Kämpfern präsent (AJ 2.12.2024b).

• Milizen in Südsyrien: Gruppierungen aus südlichen Städten und Ortschaften, die sich in den letzten Jahren zurückhielten, aber nie ganz aufgaben und einst unter dem Banner der Freien Syrien Armeekämpften, beteiligten sich am Aufstand (BBC 8.12.2024c). In Suweida nahmen Milizen der syrischen Minderheit der Drusen Militärstützpunkte ein (Standard 7.12.2024).

• Syrian Democratic Forces (SDF): Die SDF ist eine gemischte Truppe aus arabischen und kurdischen Milizen sowie Stammesgruppen. Die kurdische Volksschutzeinheit YPG ist die stärkste Miliz des Bündnisses und bildet die militärische Führung der SDF (WiWo 9.12.2024). Sie werden von den USA unterstützt (AJ 8.12.2024). Im kurdisch kontrollierten Norden liegen die größten Ölreserven des Landes (WiWo 9.12.2024).

• Syrian National Army (SNA): Diese werden von der Türkei unterstützt (BBC 8.12.2024c) und operieren im Norden Syriens im Grenzgebiet zur Türkei (AJ 8.12.2024). Der SNA werden mögliche Kriegsverbrechen, wie Geiselnahmen, Folter und Vergewaltigung vorgeworfen. Plünderungen und die Aneignung von Privatgrundstücken, insbesondere in den kurdischen Gebieten, sind ebenfalls dokumentiert (WiWo 9.12.2024).

3. Aktuelle Lageentwicklung

Sicherheitslage:

Israel hat Gebäude der Syrischen Sicherheitsbehörden und ein Forschungszentrum in Damaskus aus der Luft angegriffen, sowie militärische Einrichtungen in Südsyrien, und den Militärflughafen in Mezzeh. Israelische Streitkräfte marschierten außerdem in al-Quneitra ein (Almodon 8.12.2024) und besetzten weitere Gebiete abseits der Golan-Höhen, sowie den Berg Hermon (NYT 8.12.2024). Die israelische Militärpräsenz sei laut israelischem Außenminister nur temporär, um die Sicherheit Israels in der Umbruchphase sicherzustellen (AJ 8.12.2024d). Am 9.12.2024 wurden weitere Luftangriffe auf syrische Ziele durchgeführt (SOHR 9.12.2024c). Einer Menschenrechtsorganisation zufolge fliegt Israel seine schwersten Angriffe in Syrien. Sie fokussieren auf Forschungszentren, Waffenlager, Marine-Schiffe, Flughäfen und Luftabwehr (NTV 9.12.2024). Quellen aus Sicherheitskreisen berichten indes, dass Israelisches Militär bis 25km an Damaskus in Südsyrien einmarschiert wäre (AJ 10.12.2024).

Das US-Central Command gab an, dass die US-Streitkräfte Luftangriffe gegen den Islamischen Staat in Zentralsyrien geflogen sind (REU 9.12.2024). Präsident Biden kündigte an, weitere Angriffe gegen den Islamischen Staat vorzunehmen, der das Machtvakuum ausnützen könnte, um seine Fähigkeiten wiederherzustellen (BBC 7.12.2024).

Russland versucht, obwohl es bis zum Schluss al-Assad unterstützte, mit der neuen Führung Syriens in Dialog zu treten. Anstatt wie bisher als Terroristen bezeichnen russische Medien die Opposition mittlerweile als „bewaffnete Opposition“ (BBC 8.12.2024d).

Sozio-Ökonomische Lage:

Die Opposition versprach, den Minderheiten keinen Schaden zuzufügen und sie nicht zu diskriminieren, egal ob es sich um Christen, Drusen, Schiiten oder Alawiten handle. Gerade letztere besetzten unter der Führung Al-Assad’s oft hohe Positionen im Militär und den Geheimdiensten (TNA 5.12.2024).

Für alle Wehrpflichtigen, die in der Syrischen Arabischen Armee gedient haben, wurde von den führenden Oppositionskräften eine Generalamnestie erlassen. Ihnen werde Sicherheit garantiert und jegliche Übergriffe auf sie wurden untersagt (Presse 9.12.2024). Ausgenommen von der Amnestie sind jene Soldaten, die sich freiwillig für den Dienst in der Armee gemeldet haben (Spiegel 9.12.2024).

Die syrischen Banken sollen ihre Arbeit am 10.12.2024 wiederaufnehmen, die Bediensteten wurden aufgefordert, an ihre Arbeitsplätze zurückzukehren (Arabiya 9.12.2024).

Die HTS, die weiterhin auf der Terrorliste der UN steht, ist seit 2016 von Sanktionen des UN-Sicherheitsrates betroffen. Diplomaten zufolge war die Streichung der HTS von der Sanktionenliste kein Thema bei der jüngsten Ratssitzung (REU 10.12.2024).

Bevor der Wiederaufbau zerstörter Städte, Infrastruktur und Öl- und Landwirtschaftssektoren beginnen kann, muss mehr Klarheit über die neue Regierung Syriens geschaffen werden (DW 10.12.2024).

ISW – Institute for the Study of War, Iran Update, December 16, 2024

HTS Anführer Ahmed al Sharaa (aka Abu Mohammad al Jolani) verkündete am 15. Dezember, dass er Wehrdienstpflicht in Syrien abschaffen werde. (https://www.ecoi.net/de/dokument/2119182.html; https://understandingwar.org/backgrounder/iran-update-december-16-2024 : HTS leader Ahmed al Sharaa (aka Abu Mohammad al Jolani) stated on December 15 that he will end mandatory conscription in Syria.)

Länderinformationen der BFA-Staatendokumentation aus dem COI-CMS, Syrien, Version 11, 27.03.2024

NICHT-STAATLICHE BEWAFFNETE GRUPPIERUNGEN (REGIERUNGSFREUNDLICH UND REGIERUNGSFEINDLICH)

Manche Quellen berichten, dass die Rekrutierung durch regierungsfreundliche Milizen im Allgemeinen auf freiwilliger Basis geschieht. Personen schließen sich häufig auch aus finanziellen Gründen den National Defense Forces (NDF) oder anderen regierungstreuen Gruppierungen an (FIS 14.12.2018). Andere Quellen berichten von der Zwangsrekrutierung von Kindern im Alter von sechs Jahren durch Milizen, die für die Regierung kämpfen, wie die Hizbollah und die NDF (auch als "shabiha" bekannt) (USDOS 29.7.2022). In vielen Fällen sind bewaffnete regierungstreue Gruppen lokal organisiert, wobei Werte der Gemeinschaft wie Ehre und Verteidigung der Gemeinschaft eine zentrale Bedeutung haben. Dieser soziale Druck basiert häufig auf der Zugehörigkeit zu einer bestimmten Religionsgemeinschaft (FIS 14.12.2018). Oft werden die Kämpfer mit dem Versprechen, dass sie in der Nähe ihrer lokalen Gemeinde ihren Einsatz verrichten können und nicht in Gebieten mit direkten Kampfhandlungen und damit die Wehrpflicht umgehen könnten, angeworben. In der Realität werden diese Milizen aber trotzdem an die Front geschickt, wenn die SAA Verstärkung braucht bzw. müssen die Männer oft nach erfolgtem Einsatz in einer Miliz trotzdem noch ihrer offiziellen Wehrpflicht nachkommen (EUAA 10.2023). In manchen Fällen aber führte der Einsatz bei einer Miliz tatsächlich dazu, der offiziellen Wehrpflicht zu entgehen, bzw. profitierten einige Kämpfer in regierungsnahen Milizen von den letzten Amnestien, sodass sie nach ihrem Einsatz in der Miliz nur mehr die sechsmonatige Grundausbildung absolvieren mussten um ihrer offiziellen Wehrpflicht nachzugehen, berichtet eine vertrauliche Quelle des niederländischen Außenministeriums (NMFA 8.2023).

Anders als die Regierung und die Syrian Democratic Forces (SDF), erlegen bewaffnete oppositionelle Gruppen wie die SNA (Syrian National Army) und HTS (Hay'at Tahrir ash-Sham) Zivilisten in von ihnen kontrollierten Gebieten keine Wehrdienstpflicht auf (NMFA 5.2022; vgl. DIS 12.2022). Quellen des niederländischen Außenministeriums berichten, dass es keine Zwangsrekrutierungen durch die SNA und die HTS gibt (NMFA 8.2023). In den von den beiden Gruppierungen kontrollierten Gebieten in Nordsyrien herrscht kein Mangel an Männern, die bereit sind, sich ihnen anzuschließen. Wirtschaftliche Anreize sind der Hauptgrund, den Einheiten der SNA oder HTS beizutreten. Die islamische Ideologie der HTS ist ein weiterer Anreiz für junge Männer, sich dieser Gruppe anzuschließen. Im Jahr 2022 erwähnt der Danish Immigration Service (DIS) Berichte über Zwangsrekrutierungen der beiden Gruppierungen unter bestimmten Umständen im Verlauf des Konfliktes. Während weder die SNA noch HTS institutionalisierte Rekrutierungsverfahren anwenden, weist die Rekrutierungspraxis der HTS einen höheren Organisationsgrad auf als die SNA (DIS 12.2022). Im Mai 2021 kündigte HTS an, künftig in ldlib Freiwilligenmeldungen anzuerkennen, um scheinbar Vorarbeit für den Aufbau einer "regulären Armee" zu leisten. Der Grund dieses Schrittes dürfte aber eher darin gelegen sein, dass man in weiterer Zukunft mit einer regelrechten "HTS-Wehrpflicht" in ldlib liebäugelte, damit dem "Staatsvolk" von ldlib eine "staatliche" Legitimation der Gruppierung präsentiert werden könnte (BMLV 12.10.2022). Die HTS rekrutiert auch gezielt Kinder, bildet sie religiös und militärisch aus und sendet sie an die Front (SNHR 20.11.2023).

NORDWEST-SYRIEN

Die Gebiete unter Kontrolle der Türkei und Türkei-naher Milizen

Die Opposition im Nordwesten Syriens ist in zwei große Gruppen/Bündnisse gespalten: HTS im Gouvernement Idlib und die von der Türkei unterstützte SNA im Gouvernement Aleppo. Die SNA setzt sich in erster Linie aus ehemaligen Gruppen der FSA zusammen, hat sich jedoch zu einer gespaltenen Organisation mit zahlreichen Fraktionen entwickelt, die zu internen Kämpfen neigen (CC 1.5.2023). Die SNA ist auf dem Papier die Streitkraft der syrischen Übergangsregierung (SIG), die rund 2,3 Millionen Syrer regiert. In Wirklichkeit ist die SNA allerdings keine einheitliche Truppe, sondern setzt sich aus verschiedenen Fraktionen zusammen, die unterschiedliche Legionen bilden und nicht unbedingt der Führung des Verteidigungsministers der SIG folgen (Forbes 22.10.2022). Eine hochrangige syrische Oppositionsquelle in Afrîn sagte, dass innerhalb der SNA strukturelle Probleme bestehen, seit die von der Türkei unterstützten Kräfte das Gebiet 2018 von kurdischen Kräften erobert haben (MEE 15.10.2022) und es wird von internen Kämpfen der SNA-Fraktionen berichtet (MEE 25.10.2022). Trotz der internen Streitigkeiten operieren die SIG-Verwaltungen und die bewaffneten Gruppen innerhalb der SNA innerhalb der von Ankara vorgegebenen Grenzen (Forbes 22.10.2022; vgl. Brookings 27.1.2023). Die Anwesenheit der Türkei bringt ein gewisses Maß an Stabilität, aber ihre Abhängigkeit von undisziplinierten lokalen Vertretern, ihre Unfähigkeit, die Fraktionsbildung unter den Dutzenden von bewaffneten Gruppen, die mit der SNA verbunden sind, zu überwinden, und ihre Duldung des Missbrauchs und der Ausbeutung der Zivilbevölkerung haben dazu geführt, dass ihre Kontrollzone die am wenigsten sichere und am brutalsten regierte im Norden Syriens ist (Brookings 27.1.2023).

DIE SYRISCHEN STREITKRÄFTE – WEHR- UND RESERVEDIENST

Rekrutierung von Personen aus Gebieten außerhalb der Regierungskontrolle

Die Syrische Nationale Armee (Syrian National Army, SNA) ist die zweitgrößte Oppositionspartei, die sich auf das Gouvernement Aleppo konzentriert. Sie wird von der Türkei unterstützt und besteht aus mehreren Fraktionen der Freien Syrischen Armee (Free Syrian Army, FSA). Sie spielt nach wie vor eine wichtige Rolle in Nordsyrien, wird aber von politischen Analysten bisweilen als türkischer Stellvertreter gebrandmarkt. Die SNA hat die Kontrolle über die von der Türkei gehaltenen Gebiete (Afrin und Jarabulus) in Syrien und wird von der Türkei geschützt. Die syrische Regierung unterhält keine Präsenz in den von der Türkei gehaltenen Gebieten und kann keine Personen aus diesen Gebieten für die Armee rekrutieren, es sei denn, sie kommen in Gebiete, die von der syrischen Regierung kontrolliert werden (Rechtsexperte 14.9.2022). Auch mit Stand Februar 2023 hat die syrische Armee laut einem von ACCORD befragten Syrienexperten keine Zugriffsmöglichkeit auf wehrdienstpflichtige Personen in Jarabulus (ACCORD 20.3.2023).

ALLGEMEINE MENSCHENRECHTSLAGE

Teile der SDF, einer Koalition aus syrischen Kurden, Arabern, Turkmenen und anderen Minderheiten, zu der auch Mitglieder der Kurdischen Volksverteidigungseinheiten (YPG) gehören, sollen ebenfalls für Menschenrechtsverletzungen verantwortlich sein, darunter Angriffe auf Wohngebiete, willkürliche Inhaftierungen, Misshandlungen, Rekrutierung und Einsatz von Kindersoldaten sowie Einschränkungen der Versammlungs- und Redefreiheit wie auch die willkürliche Zerstörung von Häusern. Die SDF untersuchen die meisten gegen sie vorgebrachten Klagen, und einige SDF-Mitglieder werden wegen Misshandlungen angeklagt, wozu aber keine Statistiken vorliegen (USDOS 20.3.2023). Die SDF führten im Jahr 2023 willkürliche Verhaftungen von Zivilisten, darunter Journalisten durch (HRW 11.1.2024). Die menschenrechtliche Situation in den kurdisch kontrollierten Gebieten stellt sich insgesamt jedoch laut Einschätzung des Auswärtigen Amtes erkennbar weniger gravierend dar als in den Gebieten, die sich unter Kontrolle des syrischen Regimes oder islamistischer und dschihadistischer Gruppen befinden (AA 29.3.2023). Im Nordosten Syriens dokumentierte die CoI im Berichtszeitraum mehrere Todesfälle in den Zentralgefängnissen von Hasakeh und Raqqa und stellt fest, dass diese möglicherweise auf schlechte Behandlung oder Folter zurückzuführen sein könnten. Laut SNHR seien im Gewahrsam der SDF / Partei der Demokratischen Union (PYD) seit März 2011 insgesamt 96 Menschen durch Folter zu Tode gekommen. Kontakte der Botschaft berichteten zudem von Repressionen durch die kurdische sogenannte „Selbstverwaltung“ (AANES) gegen politische Gegner, wie z.B. Angehörige von Oppositionsparteien. Daneben kritisiert die CoI in ihrem jüngsten Bericht auch die, ihrer Einschätzung nach, menschenrechtswidrige Inhaftierung und Behandlung zehntausender IS-Affiliierter in nordostsyrischen Haftanstalten und lagerähnlichen Camps (AA 2.2.2024). Obwohl der Spielraum der Redefreiheit etwas größer ist, als in Gebieten unter Kontrolle der Regierung oder extremistischer Gruppierungen, schränkt die PYD und einige andere Oppositionsfraktionen Berichten zufolge auch die Redefreiheit ein. So suspendierte die PYD-geführte Verwaltung im Februar 2022 die Lizenz der im Nordirak ansässigen Rudaw-Mediengruppe unter dem Vorwurf der Falschinformation und Aufhetzung. Mitte März 2022 verlangte dieselbe Verwaltung von JournalistInnen den Beitritt zur Union of Free Media, welche sich unter ihrem Einfluss befindet (FH 9.3.2023).

UNHCR - Regional Flash Update #19 Syria situation crisis 14.03.2025

Syrien

Zum 20. März 2025 schätzt das UNHCR, dass seit dem 8. Dezember 2024 356.200 Syrer aus den Nachbarländern nach Syrien zurückgekehrt sind. Dies ergibt die Gesamtzahl von 717.017 syrischen Personen, die seit Anfang 2024 wieder nach Syrien zurückgekehrt sind. Die meisten Rückkehrer kommen weiterhin aus dem Libanon, gefolgt von der Türkei, Jordanien, dem Irak und Ägypten.

In Bezug auf die Binnenvertreibung gab es zum 15. März rund 926.000 Binnenvertriebene (IDPs), die seit dem 27. November 2024 an ihre Herkunftsorte in Syrien zurückgekehrt sind, so die jüngsten Daten der IDP Task Force.

UNHCR unterhielt eine Präsenz an den Grenzübergangsstellen Joussieh, Jdaidet Yabous, Nassib, Bab Al-Hawa und Bab Al-Salama, überwachte die Rückführungstrends und stellte Informationen, Wasser und Internetzugang zur Verfügung. Die Bewegung in Joussieh wurde jedoch durch militärische Operationen am 16. und 17. März erheblich beeinträchtigt. Die Grenzübergänge Daboussieh, Jesr Kamar und Matraba sind immer noch wegen umfangreicher Schäden geschlossen, Anstrengungen zur Wiederherstellung sind im Gange.

Nach den politischen Entwicklungen im Land kündigten die Übergangsbehörden am 17. März die Bildung eines Sonderausschusses zur Umsetzung des Abkommens zwischen dem syrischen Staat und den Demokratischen Kräften Syriens (SDF) an, was einen wichtigen Schritt in den laufenden Verhandlungen zwischen Damaskus und der Autonomen Verwaltung Nord- und Ostsyriens (AANES) darstellt. Das Abkommen, das mit der AANES verbundene militärische und zivile Strukturen in die staatlichen Institutionen Syriens integriert, hat breite arabische und internationale Unterstützung gefunden.

In den Küstengebieten war die Verfolgung von Vertreibungen nach wie vor eine Herausforderung, insbesondere in ländlichen Gebieten, aber Schätzungen zufolge sind Tausende zu Binnenvertriebenen geworden. Einige Familien flohen über inoffizielle Grenzübergänge in den Libanon, während andere in sicherere Gebiete innerhalb Syriens umzogen. Für diejenigen, die kürzlich vertrieben wurden, umfassen ihre dringendsten Bedürfnisse Nahrungsmittel, Non-Food-Artikel (NFIs), Dignity-Kits (angepasste Nothilfe Pakete mit Hygieneprodukten für Frauen und Mädchen), medizinische Unterstützung und Unterkünfte. Der Zugang zu medizinischen Einrichtungen blieb eine Herausforderung aufgrund zerstörter oder geplünderter Apotheken, insbesondere in Banyas und Jableh. UNHCR verteilte in Zusammenarbeit mit SARC und lokalen Organisationen wichtige Non-Food-Artikel an Tausende von Familien in Banyas, Jableh und im ländlichen Lattakia. Darüber hinaus sind ab dem 20. März 9 von 11 Gemeindezentren voll funktionsfähig und bieten psychologische Erste Hilfe, Beratung und lebenswichtige Dienste an. In Abstimmung mit UNFPA und UNICEF hat UNHCR Schutzlücken geschlossen, Gemeinschaftsinitiativen gefördert und die Verteilung von Dignity-Kits neben psychologischer Erster Hilfe für betroffene Personen unterstützt.

In Bezug auf die Reaktion auf Rückführungsbewegungen führte das UNHCR weiterhin mehrere Feldmissionen und Koordinierungssitzungen durch, um den Bedarf an Rückkehrern zu bewerten und die Reaktionsmechanismen zu verbessern, insbesondere dort, wo der Bedarf an Unterkünften am dringendsten ist, wie in Harasta und Shabaa (Damaskus), Al-Ma’ra (Idlib) und Al Zebdeiah und Marran (Aleppo). In der Zwischenzeit hat eine gemeinsame Mission des UNHCR, des AHC und des OCHA in Qamishli mit Vertretern der lokalen Selbstverwaltung über die Wiederaufnahme des öffentlichen Dienstes und die Rückkehr vertriebener Syrer, einschließlich derjenigen aus dem Lager Al Hol, gesprochen.

Über 2.000 Familien in Homs, Aleppo, Deir ez-Zor und Ar-Raqqa erhielten grundlegende Hilfsgüter, darunter Matratzen, Decken, Kunststoffplatten, Küchensets, Solarlampen und Winterkits. In Aleppo erhielten rund 100 Begünstigte Geldzuschüsse, um einkommensschaffende Tätigkeiten zu unterstützen und die wirtschaftliche Widerstandsfähigkeit zu stärken. In Deir ez-Zor und Hassakeh wurden auch Rechts- und Sensibilisierungsveranstaltungen zu den Rechten in den Bereichen Wohnung, Land und Eigentum (HLP) durchgeführt, um sicherzustellen, dass die Rückkehrer über ihre Rechte und Ansprüche informiert werden. Insgesamt erreichte die humanitäre Hilfe im Berichtszeitraum Tausende schutzbedürftiger Personen in ganz Syrien.

Türkei

Nach der Ankündigung des Vizepräsidenten vom 17. März sind nach den Ereignissen vom 8. Dezember 145.639 Syrer freiwillig aus der Türkei zurückgekehrt. In der Zwischenzeit äußerte Präsident Erdoğan die Hoffnung auf mehr syrische Rückkehrer mit der steigenden Stabilität in Syrien und betonte, dass die Türkei niemanden zwingen wird, sondern denjenigen, die zurückkehren wollen, die notwendige Erleichterung bieten wird.

Die Bearbeitung der freiwilligen Rückkehr wird in den Provinzen und an fünf Grenzübergängen fortgesetzt: Cilvegözü / Bab al Hawa, Yayladağı / Keseb, Öncüpınar /Bab al Salama, Karkamış /Jarablus und Akçakale / Tel Abyad. Ab dem 18. März sind Çobanbey / Al Rai und Zeytindalı / Jinderes für die Bearbeitung von Go-and-See-Besuchen geöffnet.

Derzeit überwacht das UNHCR die Rückkehr in 13 Provinzen und an den Grenzübergängen Cilvegözü/Bab al-Hawa, Yayladağı/Keseb, Öncüpınar/Bab al-Salama und Karkamış/Jarablus im Südosten sowie am Flughafen Istanbul.

Die Bemerkungen des UNHCR zu den Rückführungen stehen nach wie vor weitgehend im Einklang mit den vorangegangenen Wochen. Viele Rückkehrer reisen alleine, oft um die Bedingungen vor der Wiedervereinigung mit der Familie zu beurteilen. Die primären Motivationen für die Rückkehr sind politische Veränderungen, verbesserte Sicherheit, Familienzusammenführung und wirtschaftliche Erwägungen. Das demografische Profil der Rückkehrer ist vielfältig, wobei Erwachsene im Alter von 18 bis 59 Jahren die größte Gruppe bilden, gefolgt von Kindern. Unter den Rückkehrern sind nach wie vor mehr Männer als Frauen. Die Dokumentationsprobleme bestehen nach wie vor, da ein erheblicher Teil der Rückkehrer keine offiziellen syrischen Zivildokumente hat. Obwohl Eigentum häufig ist, stehen viele Rückkehrer vor Problemen wie Sachschäden oder dem Fehlen gültiger Eigentumsdokumente.

Wirtschaftliche Stabilität ist ein großes Problem, da viele Rückkehrer in der Türkei auf informelle Beschäftigung oder Sozialhilfe angewiesen sind. In Syrien geht ein großer Teil davon aus, zunächst arbeitslos zu sein, während andere davon ausgehen, informelle Arbeit zu finden oder auf familiäre Unterstützung angewiesen zu sein. Der Zugang zu grundlegenden Dienstleistungen in den Rückkehrbereichen ist uneinheitlich, so dass viele Rückkehrer unsicher sind, ob solche Dienstleistungen verfügbar sind.

In Fokusgruppendiskussionen und Treffen mit geflüchteten Organisationen teilten syrische Einzelpersonen, die die Gelegenheit zum Besuch nutzten, die Herausforderungen, mit denen sie konfrontiert waren, und ihre Beobachtungen. Es wurden Bedenken hinsichtlich der schlechten Infrastruktur, des eingeschränkten Zugangs zu Dienstleistungen und der Sicherheitsprobleme in Syrien geäußert. Um den Prozess zu verbessern, empfahlen die Teilnehmer, die Berechtigung für Besichtigungen und die Dauer zu erweitern, die finanzielle Unterstützung zu erhöhen, den Informationsaustausch zu verbessern und die Ein- und Ausfahrt über zusätzliche Kreuzungen zu ermöglichen.

Libanon

Die Feindseligkeiten in den Gouvernements Tartous, Lattakia, Homs und Hama Anfang März verdrängen weiterhin täglich Menschen in die Gouvernements Nord- und Akkar im Nordlibanon. Neu angekommene Flüchtlinge befinden sich nun an 25 verschiedenen Orten, überwiegend in Akkar in 22 Dörfern nahe der Grenze zu Syrien. Offizielle Zahlen der lokalen Behörden von Disaster Risk Management (DRM) zitieren 12.798 Personen (2.792 Familien) zum 17. März in Akkar (siehe auch Lebanon Flash Update). Die koordinierte Reaktion der humanitären Partner auf den unmittelbaren Bedarf wird fortgesetzt, einschließlich der Verteilung von Hilfsgütern, nahrungsfertigen Lebensmitteln, Reparaturen von Unterkünften und mobilen medizinischen Teams.

Am 13. März meldete das Katastrophenrisikomanagement der Regierung rund 91 937 Ankünfte aus Syrien im Gouvernement Baalbek, Nord-Bekaa, darunter 34.345 in 200 informellen Sammelunterkünften und 57.592 in der Gemeinde, darunter 20 000 libanesische Rückkehrer.

Jordan

Am 18. März betonte Jordaniens stellvertretender Ministerpräsident und Außenminister auf der Brüsseler IX. Konferenz, wie wichtig es sei, das syrische Volk beim Wiederaufbau seines Landes zu unterstützen. Er bekräftigte, dass die Lösung der Flüchtlingsfrage die freiwillige Rückkehr in ihre Heimat sei, „aber bis die Bedingungen für ihre Rückkehr geeignet sind, müssen ihre Bedürfnisse angegangen werden, und die Aufnahmeländer können die Last nicht allein tragen.“ Er bemerkte als alarmierend den Rückgang der Mittel für die Flüchtlingshilfe, auch für die Agenturen, die sich um Flüchtlinge kümmern, und erinnerte daran, dass Jordanien ohne die Unterstützung von Gebern nicht in der Lage gewesen wäre, die Flüchtlinge so zu unterstützen, wie es dies getan hat, wobei er als Beispiel die Tatsache anführte, dass 11 Prozent der Schüler in jordanischen Schulen syrische Flüchtlinge sind.

In diesem Sinne bekräftigte der Minister für Regierungskommunikation bei einem Treffen mit dem UNHCR-Vertreter am 16. März die anhaltende Unterstützung Jordaniens für Syrien und sein Engagement für die Förderung eines sicheren Umfelds für die freiwillige Rückkehr syrischer Flüchtlinge.

In der vergangenen Woche blieb die Passagierbewegung über die Jaber-Grenze leicht, während der kommerzielle Verkehr weiterhin stark war. Wie Medien berichteten, haben seit Anfang des Jahres 49.679 Lastkraftwagen die Jaber-Grenze überquert oder durchquert, verglichen mit 12.689 Lastkraftwagen im selben Zeitraum im Jahr 2024. Ab dem 23. März ist das Grenzzentrum Jaber rund um die Uhr geöffnet.

Bis zum 15. März sind seit dem 8. Dezember 2024 fast 49.000 beim UNHCR registrierte Flüchtlinge aus Jordanien nach Syrien zurückgekehrt. In der vergangenen Woche (vom 9. bis 15. März) betrug die Zahl der Flüchtlingsrückkehrer durchschnittlich 135 Personen pro Tag.

Die Demografie der Rückkehrer blieb gegenüber den Vorwochen weitgehend unverändert, wobei Frauen und Mädchen rund 45 Prozent der gesamten Flüchtlingsrückkehrer ausmachten. Auf Kinder entfielen rund 42 Prozent, und Männer im Militäralter (18-40 Jahre) machten 23 Prozent der Gesamtrendite aus. Weitere Einzelheiten zu den Zahlen und dem Profil der Rückkehrer sind dem Rückführungs-Dashboard des UNHCR Jordanien zu entnehmen.

Darüber hinaus analysierte das UNHCR das Kompetenzprofil von rund 20.000 Flüchtlingen im Alter von 18 bis 64 Jahren, die in den letzten zwei Monaten nach Syrien zurückgekehrt waren. Mehr als 3.000 haben einen Sekundarschulabschluss und rund 800 einen Tertiärschulabschluss. Knapp 3.000 Rückkehrer hatten ihre höchste Ausbildung in Jordanien abgeschlossen. Fast 4.800 Rückkehrer gaben an, über einige Englischkenntnisse zu verfügen. Darüber hinaus waren rund 3.600 Rückkehrer in Jordanien in arbeits- und einkommensschaffenden Tätigkeiten tätig, die Erfahrungen sammelten, die sie bei der Rückkehr in viele Sektoren, darunter Baugewerbe, Verkehr, Gastgewerbe, Großhandel, Landwirtschaft, verarbeitendes Gewerbe und kommunale Dienstleistungen, einbringen können.

Seit Beginn des Transport-Pilotprojekts am 20. Januar 2025 hat das UNHCR mehr als 1.370 Flüchtlinge bei der Rückkehr nach Syrien unterstützt. Vor der Abreise werden persönliche Befragungen durchgeführt, um sicherzustellen, dass die Rückkehr freiwillig und gut informiert ist, wobei Beratung und Informationen über die verfügbaren Dienste innerhalb Syriens bereitgestellt werden. Der Rückführungsprozess wird eng mit dem UNHCR Syrien koordiniert, um Flüchtlinge bei der Ankunft an ihrem endgültigen Bestimmungsort zu unterstützen. Am 18. und 20. März organisierte UNHCR den Transport aus dem Lager Azraq und Amman für fast 50 Flüchtlinge, die nach Syrien zurückkehren wollten.

Während der jüngsten Fokusgruppendiskussionen stellte das UNHCR fest, dass die Sicherheitsbedenken im Vergleich zu früheren Gesprächen mit Flüchtlingen zugenommen haben. Die Teilnehmer hoben die Ängste vor eskalierender sektiererischer Gewalt, willkürlichen Verhaftungen und Schikanen hervor. Während viele Flüchtlinge zuvor über eine Rückkehr nachgedacht haben, insbesondere nach dem Ramadan, haben gewalttätige Zwischenfälle in Küstengebieten viele dazu veranlasst, ihre Pläne zu verzögern, auch wenn diese Gebiete nicht ihr beabsichtigtes Ziel für die Rückkehr waren. Darüber hinaus tragen gemeldete Ausgangssperren in einigen Gebieten (dh Homs) auch zu ihrer Zurückhaltung bei, da sie sich an die Bewegungsfreiheit in Jordanien gewöhnt haben. Auch die Herausforderungen in Jordanien wirken sich nach wie vor auf Rückkehrentscheidungen aus. Wirtschaftliche Schwierigkeiten, einschließlich eingeschränkter Arbeitserlaubnisse, steigender Lebenshaltungskosten und Verzögerungen bei der Neuansiedlungsbearbeitung, schaffen Druck auf die Rückkehr. Jedoch machen der Mangel an Existenzgrundlagen, Grundversorgung in Syrien sowie Sicherheitsrisiken die Entscheidung äußerst schwierig. Flüchtlinge wiederholten ihre Bitte um Hilfe bei Go-and-See-Besuchen, um eine fundierte Entscheidung über die Rückkehr zu treffen.

Irak

Zwischen dem 8. Dezember 2024 und dem 16. März 2025 sind mehr als 10.200 Syrer aus dem Irak nach Syrien zurückgekehrt, darunter etwa 700 Flüchtlinge und Asylbewerber, die beim UNHCR registriert sind. Dazu gehören auch Syrer, die über die Grenzübergangsstellen Peshkhabour und Al-Qaim zurückgekehrt sind. Die Zahl der registrierten syrischen Flüchtlinge und Asylsuchenden, die in der vergangenen Woche zurückgekehrt sind (39 registrierte Flüchtlinge), ist niedriger als in der Vorwoche (99 registrierte Flüchtlinge). Die verbesserte Sicherheitslage in Syrien, die Wiedervereinigung mit der Familie und die Vermeidung von Bußgeldern wegen Überschreitung der Aufenthaltsdauer in der Region Kurdistan im Irak sind die häufigsten Gründe, warum Syrer ihre Rückkehr melden.

Im Berichtszeitraum beobachtete das UNHCR weiterhin Ankünfte aus Syrien in die Region Kurdistan im Irak, hauptsächlich aus den Gebieten Aleppo, Ar-Raqqa und Al-Hasakeh. In der vergangenen Woche kamen etwa 200 Syrer über den Peshkhabour-Grenzübergang an. Familienbesuche, die Rückkehr von Besuchen in Syrien, die Familienzusammenführung oder die Durchreise durch die Region Kurdistan zu anderen Zielen wurden als Hauptgründe für die Ankunft angegeben, wobei die meisten ihre Absicht bekundeten, nach ihrem Besuch nach Syrien zurückzukehren. Keine der syrischen Familien, die in die Region Kurdistan im Irak einreisen, hat ihre Absicht bekundet, sich beim UNHCR im Irak zu registrieren.

Ägypten

Bis zum 18. März 2025 sind 140.150 syrische Flüchtlinge in Ägypten registriert, rund 450 weniger als vor einer Woche. Syrer machen fast 15% der gesamten Flüchtlingsbevölkerung im Land aus.

Seit dem Regimewechsel in Syrien hat sich die Zahl der Syrer, die sich dem UNHCR in Kairo und Alexandria nähern, erheblich erhöht, um die Einstellung ihrer Asylverfahren zu beantragen. Bis zum 18. März 2025 wurden seit dem 8. Dezember 2024 rund 6.710 Anträge auf Schließung eingereicht, an denen mehr als 13.684 Personen beteiligt waren, was einem Durchschnitt von 104 Anträgen pro Tag entspricht, verglichen mit nur sieben Anträgen pro Tag im November 2024. UNHCR beobachtete einen anhaltenden Rückgang der Zahl der syrischen Haushalte, die bis Mitte März 2025 die Schließung von Fällen beantragten, und stellte einen Stabilisierungstrend bei den im Februar verzeichneten Antragszahlen fest. Der Rückgang der Anfragen könnte auf den Beginn des Ramadans und die jüngsten Ereignisse in Syrien zurückzuführen sein. Sollte sich die Lage in Syrien jedoch nicht verschlechtern, geht das UNHCR auf der Grundlage der Ergebnisse der im Januar 2025 regionalen Flash-Umfrage zu den zu den Wahrnehmungen und Absichten syrischer Flüchtlinge bei der Rückkehr nach Syrien von einer Zunahme der Anträge auf Schließung von Fällen nach dem Ramadan und dem Abschluss des Schuljahres aus, da sich mehr Syrer in Ägypten für die Rückkehr in die Heimat entscheiden könnten.

Als Reaktion auf festgestellte Informationslücken in der syrischen Flüchtlingsgemeinschaft wurde Ende Januar eine umfassende Feldbewertung durchgeführt, um das Bewusstsein für UNHCR-Dienste zu bewerten und Fehlinformationen zu überwachen. Terre des Hommes (TdH) befragte in Zusammenarbeit mit dem UNHCR 100 Begünstigte im UNHCR-Büro Zamalek (Groß-Kairo). Die Ergebnisse zeigten, dass 81 % der Anfragen sich auf Verfahren zur Schließung von Dateien konzentrierten, wobei zusätzliche Bedenken hinsichtlich der Wiedereröffnung von Dateien (9 %), Neuregistrierungen (8 %) und Kartenverlängerungen (2 %) bestanden. Die Bewertung deckte auch weit verbreitete Fehlinformationen über Abschiebungen, Rückführungsflüge und politische Änderungen auf und betonte die Notwendigkeit einer gezielten Kommunikationsstrategie. Als Reaktion darauf hielt das UNHCR eine zweitägige Sitzung zum Informationsaustausch in Zamalek ab, bei der das Team 176 Begünstigte durch Diskussionen in kleinen Gruppen unterstützte und klarere Leitlinien zu Schlüsselfragen wie Aktenschließungen, Registrierungen und Wiedereröffnungsanträgen sicherstellte. Um die Kommunikationsbemühungen weiter zu verstärken, ist das PSTIC-TdH-Informationsteam ab März 2025 zweimal wöchentlich im Zamalek-Registrierungszentrum präsent und führt Informationssitzungen durch, die sich speziell auf Rückführungsverfahren für Syrer konzentrieren.

UNHCR POSITION ÜBER DIE RÜCKKEHR IN DIE SYRISCHE ARABISCHE REPUBLIK, Dezember 2024

Freiwillige Rückkehr

Syrien befindet sich an einem Scheideweg – zwischen Frieden und Krieg, Stabilität und Gesetzlosigkeit, Wiederaufbau oder weiterem Ruin. Es gibt jetzt eine bemerkenswerte Gelegenheit für Syrien, sich in Richtung Frieden zu bewegen, und für sein Volk, nach Hause zurückzukehren. Seit vielen Jahren besteht das UNHCR auf der Notwendigkeit, die Anstrengungen zu verdoppeln, um günstige Bedingungen für Flüchtlinge und Vertriebene zu schaffen, damit sie nach Hause zurückkehren können, und die derzeitige Situation eröffnet in dieser Hinsicht neue Möglichkeiten, die von allen genutzt werden müssen. Dazu gehört auch die Beseitigung und/oder das Thematisieren neuer sicherheitspolitischer, rechtlicher und administrativer Hindernisse seitens der syrischen De-facto-Behörden; umfangreiche humanitäre Hilfe und Soforthilfe, die von den Geberstaaten für Rückkehrer, Gemeinschaften, die sie zurückerhalten, und Gebiete mit tatsächlicher und potenzieller Rückkehr im Allgemeinen bereitzustellen ist; und die Ermächtigung des UNHCR und seiner Partner, die Rückführungen an Grenzübergängen und an Orten, an denen sich die Menschen für die Rückkehr entscheiden, zu überwachen.

Jeder hat das Recht, in sein Herkunftsland zurückzukehren. UNHCR ist bereit, syrische Flüchtlinge zu unterstützen, die sich nach umfassender Information über die Lage an ihren Herkunftsorten oder in einem alternativen Gebiet ihrer Wahl freiwillig für eine Rückkehr entscheiden. Angesichts der zahlreichen Herausforderungen, mit denen die syrische Bevölkerung konfrontiert ist, darunter eine groß angelegte humanitäre Krise, ein anhaltend hohes Maß an Binnenvertreibung und die weit verbreitete Zerstörung und Beschädigung von Häusern und kritischer Infrastruktur, fördert das UNHCR jedoch vorerst keine groß angelegte freiwillige Rückführung nach Syrien.

Moratorium für Zwangsrückführungen

Zum gegenwärtigen Zeitpunkt ist Syrien weiterhin von Angriffen und Gewalt in Teilen des Landes betroffen; großflächige interne Verdrängung; Kontamination vieler Teile des Landes mit explosiven Kriegsresten; eine verwüstete Wirtschaft und eine große humanitäre Krise, in der vor den jüngsten Entwicklungen bereits über 16 Millionen Menschen humanitäre Hilfe benötigen. Darüber hinaus hat Syrien, wie bereits erwähnt, massive Zerstörungen und Schäden an Häusern, kritischen Infrastrukturen und landwirtschaftlichen Flächen erlitten. Eigentumsrechte wurden stark beeinträchtigt, wobei in den letzten zehn Jahren weit verbreitete Verstöße gegen Wohn-, Grundstücks- und Eigentumsrechte verzeichnet wurden, was zu komplexen Eigentumsstreitigkeiten führte, deren Beilegung Zeit in Anspruch nehmen wird. Vor diesem Hintergrund fordert das UNHCR die Staaten vorerst weiterhin auf, syrische Staatsangehörige und ehemalige gewöhnliche Bewohner Syriens, einschließlich Palästinenser, die zuvor in Syrien wohnhaft waren, nicht gewaltsam in einen Teil Syriens zurückzuführen.

Aussetzung der Ausstellung negativer Entscheidungen für syrische Antragsteller auf internationalen Schutz

Das UNHCR fordert weiterhin alle Staaten auf, Zivilisten, die aus Syrien fliehen, Zugang zu ihren Hoheitsgebieten zu gewähren, das Recht auf Asyl zu gewährleisten und jederzeit die Achtung des Grundsatzes der Nichtzurückweisung zu gewährleisten.

Während die Risiken im Zusammenhang mit der Verfolgung durch die ehemalige Regierung aufgehört haben, können andere Risiken bestehen bleiben oder sich verstärken. Angesichts der rasch veränderten Dynamik und der sich wandelnden Lage in Syrien ist das UNHCR derzeit nicht in der Lage, den Asylentscheidern detaillierte Leitlinien für den internationalen Schutzbedarf der Syrer zur Verfügung zu stellen. Das UNHCR wird die Lage weiterhin genau beobachten, um detailliertere Leitlinien bereitzustellen, sobald die Umstände dies zulassen. Angesichts der derzeitigen Ungewissheit über die Lage in Syrien fordert das UNHCR die Asylstaaten auf, die Ausstellung negativer Entscheidungen über Anträge auf internationalen Schutz durch syrische Staatsangehörige oder Staatenlose, die ihren früheren gewöhnlichen Aufenthalt in Syrien hatten, auszusetzen. Die Aussetzung des Erlasses negativer Entscheidungen sollte so lange in Kraft bleiben, bis sich die Lage in Syrien stabilisiert hat und zuverlässige Informationen über die Sicherheits- und Menschenrechtslage vorliegen, um eine umfassende Bewertung der Notwendigkeit vorzunehmen, einzelnen Antragstellern den Flüchtlingsstatus zuzuerkennen.

Das UNHCR ist der Auffassung, dass die Voraussetzungen für die Beendigung der Flüchtlingseigenschaft für Personen, denen internationaler Schutz zuerkannt wurde und die aus Syrien stammen, derzeit nicht erfüllt sind.

2. Beweiswürdigung:

Die Sachverhaltsfeststellungen stützen sich auf den Verwaltungsverfahrensakt des BFA, den Gerichtsakt des Bundesverwaltungsgerichtes und das Ergebnis der durchgeführten mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht. Die konkreten Beweismittel sind bei den Sachverhaltsfeststellungen bzw in der Beweiswürdigung in Klammer angeführt.

2.1 Zur Person des Beschwerdeführers (oben 1.1)

Die Angaben des Beschwerdeführers zu seiner Staatsangehörigkeit und Herkunft, seinem Familienstand sowie zu seiner Schulbildung und Arbeit in Syrien, die er im Zuge des Verfahrens vor dem BFA und in der mündlichen Verhandlung gemacht hat, waren konsistent, schlüssig und auf Grund seiner Orts- und Sprachkenntnisse sowie der vorgelegten Unterlagen nicht zu bezweifeln.

Der festgestellte gegenwärtige Aufenthaltsstatus ergibt sich aus den rechtskräftigen Spruchpunkten II und III des gegenständlich angefochtenen Bescheides in Zusammenschau mit den dazu korrespondierenden Eintragungen im Zentralen Fremdenregister (IZR).

Die Feststellung, dass der Beschwerdeführer am 26.02.2025 Österreich verlassen hat und unterstützt freiwillig nach Syrien ausgereist ist, ergibt sich aus der entsprechenden Ausreisebestätigung in Verbindung mit den Eintragungen im Fremdenregister. (OZ 11; IZR)

2.2 Zum Herkunftsort und Aufenthalt des Beschwerdeführers in Syrien (oben 1.2)

Die Feststellungen zum Herkunftsort beruhen auf den dazu widerspruchsfreien und schlüssigen Angaben des Beschwerdeführers vor dem BFA sowie in der mündlichen Verhandlung.

2.3 Zur Begründung des Antrages auf internationalen Schutz und zur Beurteilung der Glaubhaftigkeit (oben 1.3 und 1.4)

2.3.1 Die Ausführungen des Beschwerdeführers zu seinen Fluchtgründen beruhen auf seinen protokollierten Aussagen im Zuge der Befragungen durch den öffentlichen Sicherheitsdienst, der Einvernahme vor dem BFA sowie seiner Beschwerde und dem Ergebnis der mündlichen Verhandlung.

Zu einer Verfolgung durch das vormalige syrische Assad-Regime

2.3.2 Soweit der Beschwerdeführer seinen Antrag mit der Furcht vor einer Verfolgung durch das vormalige syrischen Assad-Regime begründete, besteht aufgrund der festgestellten aktuellen Lage in Syrien seit 08.12.2024 für den Beschwerdeführer nach dem Sturz des syrischen Assad-Regimes jedoch mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit keine Gefahr mehr, von diesem verfolgt oder zum Militärdienst der syrischen Armee eingezogen oder wegen Wehrdienstentziehung oder seiner Asylantragstellung im Ausland bestraft zu werden.

Zu einer Verfolgung durch die SNA, FSA oder HTS

2.3.3 Dem Beschwerdeführer droht auch keine Zwangsrekrutierung durch die SNA, FSA, oder die HTS. Er war diesbezüglich keinen konkreten Rekrutierungsversuchen ausgesetzt.

Zunächst ergibt sich aus den Länderfeststellungen, dass die FSA in der ursprünglichen Form nicht mehr existiert, sondern aktuell im Wesentlichen Teil der SNA (Syrian National Army) ist. (siehe oben 1.5 Länderinformationen der BFA-Staatendokumentation aus dem COI-CMS, Syrien, Version 11, 27.03.2024 (Kapitel NORDWEST-SYRIEN, TÜRKISCHE MILITÄROPERATIONEN IN NORDSYRIEN und DIE SYRISCHEN STREITKRÄFTE – WEHR- UND RESERVEDIENST); Kurzinformation der Staatendokumentation SYRIEN, 10.12.2024 (Kapitel Akteure))

Des Weiteren ergibt sich aus den Länderfeststellungen, dass bewaffnete oppositionelle Gruppen wie die SNA und HTS Zivilisten in von ihnen kontrollierten Gebieten keine Wehrdienstpflicht auferlegen. Quellen des niederländischen Außenministeriums berichten, dass es keine Zwangsrekrutierungen durch die SNA und die HTS gibt. In den von den beiden Gruppierungen kontrollierten Gebieten in Nordsyrien herrscht kein Mangel an Männern, die bereit sind, sich ihnen anzuschließen. Wirtschaftliche Anreize sind der Hauptgrund, den Einheiten der SNA oder HTS beizutreten. Die islamische Ideologie der HTS ist ein weiterer Anreiz für junge Männer, sich dieser Gruppe anzuschließen. Im Jahr 2022 erwähnt der Danish Immigration Service (DIS) Berichte über Zwangsrekrutierungen der beiden Gruppierungen unter bestimmten Umständen im Verlauf des Konfliktes. Während weder die SNA noch HTS institutionalisierte Rekrutierungsverfahren anwenden, weist die Rekrutierungspraxis der HTS einen höheren Organisationsgrad auf als die SNA. Im Mai 2021 kündigte HTS an, künftig in ldlib Freiwilligenmeldungen anzuerkennen, um scheinbar Vorarbeit für den Aufbau einer "regulären Armee" zu leisten. Der Grund dieses Schrittes dürfte aber eher darin gelegen sein, dass man in weiterer Zukunft mit einer regelrechten "HTS-Wehrpflicht" in ldlib liebäugelte, damit dem "Staatsvolk" von ldlib eine "staatliche" Legitimation der Gruppierung präsentiert werden könnte. (siehe oben 1.5 Länderinformationen der BFA-Staatendokumentation aus dem COI-CMS, Syrien, Version 11, 27.03.2024, NICHT-STAATLICHE BEWAFFNETE GRUPPIERUNGEN (REGIERUNGSFREUNDLICH UND REGIERUNGSFEINDLICH)

Ausgehend von diesen Länderfeststellungen ist daher eine zwangsweise Rekrutierung des Beschwerdeführers durch die SNA (einschließlich FSA) in Manbij oder anderen Teilen Syriens oder durch die HTS jedenfalls nicht maßgeblich wahrscheinlich.

In Bezug auf die HTS hat zudem deren Anführer Ahmed al Sharaa (aka Abu Mohammad al Jolani), der am 29.01.2025 zum Übergangspräsidenten Syriens gewählt wurde, bereits am 15.12.2024 verkündet, dass er eine Wehrdienstpflicht in Syrien abschaffen werde. (oben 1.5 ISW – Institute for the Study of War, Iran Update, December 16, 2024) Dem Beschwerdeführer droht damit zum gegenwärtigen Zeitpunkt auch keine Wehrpflicht in einer Armee der aktuellen Machthaber.

Keine Verfolgung mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit durch Drusen oder Alawiten

2.3.4 Soweit der Beschwerdeführer in der mündlichen Verhandlung die Furcht vor einer Verfolgung durch Drusen und Alawiten und Schiiten vorbrachte, hat der Beschwerdeführer nicht dargetan, dass zum gegenwärtigen Zeitpunkt mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit tatsächlich eine solche Frucht wohlbegründet ist. Aus den Länderfeststellungen ergibt sich eine derartige Wahrscheinlichkeit nicht. Dagegen spricht auch, dass der Beschwerdeführer am 26.02.2025 freiwillig nach Syrien zurückgekehrt ist.

Keine weiteren oder neuen Verfolgungsgründe

2.3.5 Der Beschwerdeführer hat im Verfahren keine weiteren oder anderen Fluchtgründe oder Rückkehrbefürchtungen vorgebracht.

Über die Lageentwicklung und Lageänderung in Syrien wird seit Anfang Dezember 2024 weltweit in den „klassischen“ Massenmedien (Rundfunk, Fernsehen, Print) sowie Sozialen Medien laufend mit aktuell erhöhter Aufmerksamkeit berichtet, weshalb es sich dabei um offenkundige Tatsachen handelt und vorausgesetzt werden kann, dass sie auch dem Beschwerdeführer bekannt sind. (siehe VwGH 05.09.1997, 96/02/0306, wonach eine Behörde nicht gehalten ist, offenkundige Tatsachen, von denen feststeht, dass sie der Partei bekannt sind, vorzuhalten, sowie VwGH 05.08.2021, Ra 2021/21/0188, wonach es am Fremden liegt, allfällige maßgebliche Änderungen in seinen persönlichen Verhältnissen von sich aus mitzuteilen.)

Der bis zu seiner freiwilligen Ausreise rechtsfreundlich vertretene Beschwerdeführer hat bis zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht bekannt gegeben, dass sich seine Ausreisegründe oder Rückkehrbefürchtungen seit der mündlichen Verhandlung oder aufgrund der nun aktuellen Lage in Syrien geändert hätten.

Ergebnis

2.3.6 Der Beschwerdeführer hat somit seinem Vorbringen nicht glaubhaft gemacht und es ergibt sich auch sonst nicht, dass er im Falle einer Rückkehr – zum gegenwärtigen Zeitpunkt – in Syrien – mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit – individuell konkret einer aktuellen und unmittelbaren Bedrohung aus ethnischen, religiösen oder politischen Gründen oder aufgrund der Nationalität oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe ausgesetzt sein wird, oder ihm aus einem dieser Motive Schutz durch die gegenwärtigen Machthaber in Syrien verweigert werden würde.

2.4 Zur aktuellen Lage in Syrien (oben 1.5)

Die Feststellungen zur aktuellen Lage beruhen auf den jüngsten BAMF Briefing Notes seit 09.12.2024, der Kurzinformation der Staatendokumentation vom 10.12.2024 zu Syrien, Sicherheitslage, Politische Lage Dezember 2024: Opposition übernimmt Kontrolle, al-Assad flieht, den Länderinformationen der BFA-Staatendokumentation aus dem COI-CMS, Syrien, Version 11, 27.03.2024, dem Bericht des ISW – Institute for the Study of War, Iran Update, December 16, 2024, der ACCORD - Zusammenstellung von Informationen zum Wehrdienst (bei den syrischen Streitkräften und in der DAANES) vom 23.09.2024, der Anfragebeantwortung zu Syrien: Konsequenzen bei Verweigerung des Dienstes in den Selbstverteidigungskräften; Konsequenzen für Angehörige; Wahrnehmung von Personen, die den Dienst in den Selbstverteidigungskräften verweigern; Situation von Arabern; Einsatz von Rekruten im Rahmen der Selbstverteidigungspflicht an der Front vom 06.09.2023, dem UNHCR - Regional Flash Update #19Syria situation crisis vom 21.03.2025 und der UNHCR Position über die Rückkehr in die Syrische Arabische Republik vom Dezember 2024.

3. Rechtliche Beurteilung:

Zu A)

Zum Status eines Asylberechtigten (§ 3 AsylG 2005)

3.1 Voraussetzung für die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten ist die Glaubhaftmachung, dass dem Asylwerber im Herkunftsstaat Verfolgung im Sinn des Art. 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention, demnach aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung, droht (VwGH 02.09.2015, Ra 2015/19/0143).

Zentraler Aspekt der in Art 1 Abschnitt A Z 2 GFK definierten Verfolgung im Herkunftsstaat ist die wohlbegründete Furcht davor. Eine Furcht kann nur dann wohlbegründet sein, wenn sie im Licht der speziellen Situation des Asylwerbers unter Berücksichtigung der Verhältnisse im Verfolgerstaat objektiv nachvollziehbar ist. Es kommt nicht darauf an, ob sich eine bestimmte Person in einer konkreten Situation tatsächlich fürchtet, sondern ob sich eine mit Vernunft begabte Person in dieser Situation aus Konventionsgründen fürchten würde (VwGH 05.09.2016, Ra 2016/19/0074).

3.2 Die Gefahr der Verfolgung im Sinn des § 3 Abs 1 AsylG 2005 iVm Art 1 Abschnitt A Z 2 der GFK kann nicht nur ausschließlich aus individuell gegenüber dem Einzelnen gesetzten Verfolgungshandlungen abgeleitet werden. Sie kann auch darin begründet sein, dass regelmäßig Maßnahmen zielgerichtet gegen Dritte gesetzt werden, und zwar wegen einer Eigenschaft, die der Betreffende mit diesen Personen teilt, sodass die begründete Annahme besteht, (auch) er könnte unabhängig von individuellen Momenten solchen Maßnahmen ausgesetzt sein. Droht den Angehörigen bestimmter Personengruppen eine über die allgemeinen Gefahren eines Bürgerkriegs hinausgehende "Gruppenverfolgung", hat bei einer solchen, gegen eine ganze Personengruppe gerichteten Verfolgung jedes einzelne Mitglied schon wegen seiner Zugehörigkeit zu dieser Gruppe Grund, auch individuell gegen seine Person gerichtete Verfolgung zu befürchten; diesfalls genügt für die geforderte Individualisierung einer Verfolgungsgefahr die Glaubhaftmachung der Zugehörigkeit zu dieser Gruppe (VwGH 28.03.2019, Ra 2018/14/0428).

Zum gegenständlichen Fall

3.3 Aufgrund des festgestellten Sachverhaltes und der aktuellen Lage in Syrien besteht für den Beschwerdeführer nach dem Sturz des syrischen Assad-Regimes mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit keine Gefahr mehr, von diesem verfolgt oder zum Militärdienst der syrischen Armee eingezogen oder wegen Wehrdienstentziehung bestraft zu werden.

Der Beschwerdeführer hat mit seinem Vorbringen auch sonst nicht glaubhaft gemacht und es ergibt sich auch sonst nicht, dass er im Falle einer Rückkehr – zum gegenwärtigen Zeitpunkt – in Syrien – mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit – individuell konkret einer aktuellen und unmittelbaren Bedrohung aus ethnischen, religiösen oder politischen Gründen oder aufgrund der Nationalität oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe ausgesetzt sein wird, oder ihm aus einem dieser Motive Schutz durch die gegenwärtigen Machthaber in Syrien verweigert werden würde.

3.4 Im gegenständlichen Fall liegen somit keine substantiellen stichhaltigen Gründe für das Vorliegen einer mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit drohenden individuellen Gefahr der Verfolgung nach § 3 Abs 1 AsylG iVm Art 1 Abschnitt A Z 2 der GFK vor.

Es sind somit die Voraussetzungen für die Zuerkennung des Status eines Asylberechtigten zum gegenwärtigen Entscheidungszeitpunkt nicht gegeben.

3.5 UNHCR fordert in seiner Position über die Rückkehr in die Syrische Arabische Republik vom Dezember 2024 dazu auf, keine negativen Entscheidungenüber Anträge auf internationalen Schutz zu treffen, differenziert dabei jedoch nicht zwischen Personen, denen bereits internationaler Schutz in Form des subsidiären Schutzes zukommt, und Personen, denen noch keine Form des Schutzes zukommt. Im vorliegenden Fall kommt dem Beschwerdeführer jedoch bereits rechtskräftig der Status eines subsidiär Schutzberechtigten zu und an diesem Status ändert sich auch nichts durch die hier zu treffende Entscheidung. Sollte der Beschwerdeführer in naher oder entfernterer Zukunft eine Verfolgung iSd GFK befürchten, so hat der Beschwerdeführer weiterhin das Recht, dann einen neuen Antrag auf internationalen Schutz in Hinblick auf die Zuerkennung des Status eines Asylberechtigten zu stellen.

3.6 Die Beschwerde gegen Spruchpunkt I des angefochtenen Bescheides des BFA wird daher als unbegründet abgewiesen.

Zu B)

Revision

3.7 Die ordentliche Revision ist nicht zulässig, da die für den vorliegenden Fall relevante Rechtslage durch die zitierte Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes geklärt ist.

3.8 Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.

Rückverweise