JudikaturBVwG

I403 2273939-2 – Bundesverwaltungsgericht Entscheidung

Entscheidung
06. Februar 2025

Spruch

I403 2273939-2/36E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin MMag. Birgit ERTL als Einzelrichterin über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , StA. Ägypten, vertreten durch die Bundesagentur für Betreuungs- und Unterstützungsleistungen GmbH, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl, RD Wien Außenstelle Wien (BFA-W-ASt-Wien) vom 05.11.2024, Zl. XXXX , nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 29.01.2025 zu Recht:

A)

Der Beschwerde wird stattgegeben und XXXX gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 der Status einer Asylberechtigten zuerkannt. Gemäß § 3 Abs. 5 AsylG 2005 wird festgestellt, dass XXXX damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang:

XXXX (im Folgenden: Beschwerdeführerin) flog am 08.07.2022 von Kairo nach Wien mit dem Ziel nach Schweden zu gelangen; im Rahmen der Einreisekontrolle wurde festgestellt, dass gegen sie ein für den Schengenraum gültiges Einreiseverbot verhängt worden war. Daraufhin stellte die Beschwerdeführerin einen Antrag auf internationalen Schutz in Österreich. Nach zunächst zurückweisender Entscheidung und Feststellung der Zuständigkeit Schwedens (Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 29.07.2022) wurde die Beschwerdeführerin am 03.08.2022 zum Asylverfahren in Österreich zugelassen.

Ein Antrag der Beschwerdeführerin auf Erteilung eines Aufenthaltstitels nach § 57 AsylG 2005 wurde rechtskräftig mit 25.01.2023 vom Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA), der belangten Behörde, zurückgewiesen, weil sich die Beschwerdeführerin im Asylverfahren befand und ihr ein Aufenthaltsrecht nach dem AsylG 2005 zukam. Dennoch beantragte sie am 17.04.2023 die Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 56 AsylG 2005. Mit Bescheid vom 21.04.2023 wies das BFA den Antrag gemäß § 58 Abs. 9 Z 2 AsylG 2005 zurück; eine dagegen erhobene Beschwerde wurde mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 26.06.2023, I423 2273939-1/2E, als unbegründet abgewiesen.

Mit gegenständlich angefochtenem Bescheid vom 05.11.2024 wies die belangte Behörde den Antrag der Beschwerdeführerin auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status der Asylberechtigten gemäß § 3 Abs 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 (Spruchpunkt I.) sowie hinsichtlich des Status der subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf ihren Herkunftsstaat Ägypten gemäß § 8 Abs 1 iVm § 2 Abs 1 Z 13 AsylG 2005 (Spruchpunkt II.) ab. Zugleich wurde ihr ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG 2005 nicht erteilt (Spruchpunkt III.), gemäß § 10 Abs 1 Z 3 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-VG gegen sie eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs 2 Z 2 FPG erlassen (Spruchpunkt IV.) und gemäß § 52 Abs 9 FPG festgestellt, dass ihre Abschiebung gemäß § 46 FPG nach Ägypten zulässig ist (Spruchpunkt V.). Gemäß § 55 Abs 1a FPG wurde ihr eine Frist von 2 Wochen für die freiwillige Ausreise gewährt (Spruchpunkt VI.).

Dagegen wurde fristgerecht Beschwerde erhoben und diese dem Bundesverwaltungsgericht am 13.11.2024 vorgelegt. Am 29.01.2025 wurde eine Verhandlung durchgeführt, in welcher die Beschwerdeführerin und zudem als Zeuge ihr Lebensgefährte befragt wurden und die gegenständliche Rechtssache erörtert wurde. Das BFA hatte auf die Entsendung eines Vertreters verzichtet.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

1.1. Zur Beschwerdeführerin:

Die volljährige Beschwerdeführerin ist ägyptische Staatsangehörige. Ihre Identität steht fest. Sie leidet an keinen gesundheitlichen Einschränkungen und ist strafgerichtlich unbescholten.

Die Beschwerdeführerin war mit dem ägyptischen Staatsbürger XXXX verheiratet; der Ehe entstammen drei Kinder ( XXXX , geboren 2011; XXXX und XXXX , geboren 2014). Die Familie hielt sich ab 2016 in Schweden auf; dort kam es zu häuslicher Gewalt gegenüber der Beschwerdeführerin, die ein Betretungsverbot gegenüber ihrem damaligen Ehemann erreichte. Als sich die Kinder für ein Wochenende bei dem früheren Ehemann aufhielten, kehrte dieser ohne Zustimmung der Beschwerdeführerin gemeinsam mit den drei Kindern im Oktober 2017 nach Ägypten zurück. Er versuchte die Beschwerdeführerin damit zu einer Rückkehr nach Ägypten zu zwingen, doch blieb diese zunächst in Schweden, wo sie 2017 ihren ersten Antrag auf internationalen Schutz stellte, der abgewiesen wurde.

Die Ehe wurde am 10.01.2019 zivilrechtlich in Schweden – in Abwesenheit des damaligen Ehemannes – geschieden. Die Obsorge für die drei Kinder wurde im Jahr 2020 der früheren Schwiegermutter der Beschwerdeführerin zugesprochen. Die Beschwerdeführerin telefoniert gelegentlich per Videotelefonie mit ihren Kindern, doch wird der Kontakt durch die Familie ihres früheren Mannes kontrolliert und stark eingeschränkt.

Im April 2019 kehrte die Beschwerdeführerin nach Ägypten zurück, verließ das Land aber nach wenigen Monaten, weil sie sich von den Sicherheitsbehörden bedroht fühlte und stellte 2020 in der Schweiz einen Antrag auf internationalen Schutz, den sie mit einer politischen Verfolgung ihrer Person begründete. Der Antrag wurde allerdings abgewiesen und gegen die Beschwerdeführerin ein Einreiseverbot erlassen. Sie wurde von der Schweiz nach Ägypten abgeschoben und bei der Einreise von den ägyptischen Behörden etwa 12 Stunden lang befragt.

Am 28.05.2022 wurde der Beschwerdeführerin vom ägyptischen Staat ein Reisepass ausgestellt. Trotz Vorliegen eines von den Schweizer Behörden erlassenen Einreise- bzw. Aufenthaltsverbots reiste die Beschwerdeführerin am 08.07.2022 von Kairo kommend in das Bundesgebiet ein und stellte am selben Tag einen Antrag auf internationalen Schutz.

Die Beschwerdeführerin hat keinen Kontakt zu Freunden oder Verwandten in Ägypten; das Verhältnis zu ihrem Bruder, der mit ihrem Mann zusammenarbeitet und sich religiös radikalisiert hat, ist schlecht und der Kontakt abgebrochen.

Die Beschwerdeführerin studierte in Ägypten Medizin und arbeitete als Ärztin.

Die inzwischen verstorbene Mutter der Beschwerdeführerin stand dem christlichen Glauben immer offen gegenüber; als der jüngere Bruder der Beschwerdeführerin im Kleinkindalter schwer erkrankt war, wurde auch ein christlicher Priester zur Segnung herangezogen, der die Beschwerdeführerin ebenfalls segnete, was nachträglich von der Evangelischen Pfarrgemeinde als Aufnahme in die christliche Kirche angesehen wurde. Die Beschwerdeführerin und ihr Bruder besuchten trotz ihrer Zugehörigkeit zur muslimischen Glaubensgemeinschaft eine christliche Schule, die sie mit Matura abschlossen. Die Beschwerdeführer gehörte weiterhin der muslimischen Glaubensgemeinschaft an und hatte bis zum Jahr 2011 eine Nahebeziehung zur Muslimbruderschaft, ehe sie sich liberaleren Strömungen zuwandte. Während ihres Aufenthaltes in Schweden kam sie wieder in Kontakt mit dem christlichen Glauben; in Österreich besuchte sie zunächst ab Herbst 2022 Gottesdienste einer Freikirche und entschied sich schließlich zur Konversion zur evangelischen Glaubensgemeinde. Am 11.04.2023 trat sie aus der islamischen Glaubensgemeinschaft aus und am 15.06.2024 wurde sie konfirmiert. Die Beschwerdeführerin trägt bereits seit mehreren Jahren kein Kopftuch mehr und hat sich vom Islam abgewandt. Der frühere Ehemann und damit auch der Bruder der Beschwerdeführerin wissen von ihrem Übertritt zum christlichen Glauben. Ihr früherer Mann bedrohte sie aufgrund dessen auch mit einer SMS.

Die Beschwerdeführerin steht im Fokus der ägyptischen Sicherheitsbehörden und nahm Mitte Jänner 2023 an einer von Amnesty International in Wien organisierten Demonstration gegen die ägyptische Regierung teil, die von Botschaftsmitgliedern fotografiert und dokumentiert wurde.

Die Beschwerdeführerin führt seit etwa acht Monaten eine Beziehung mit einem österreichischen Staatsbürger, mit dem sie auch in einem gemeinsamen Haushalt lebt. Sie spricht perfekt Deutsch und war vom 19.06.2023 bis 29.02.2024 an den XXXX Landeskliniken beschäftigt. Sie ist politisch aktiv und Mitglied der Partei NEOS, für die ihr Lebensgefährte als Gemeinderat kandidiert.

1.2. Zur Lage von Personen, die vom Islam zum Christentum konvertiert sind:

Die Konversion vom Christentum zum Islam ist einfach und wird vom ägyptischen Staat anerkannt, während die umgekehrte Konversion vom Islam zum Christentum zu massiven Problemen für die Betroffen führt. Zwar ist die Aufgabe des islamischen Glaubens nicht im geschriebenen Recht, wohl aber nach islamischem Recht verboten. Aufgrund innerislamischer Vorschriften gegen Apostasie haben Konvertiten in Ägypten mit gesellschaftlicher Ächtung zu rechnen.

Christen, die vom Islam konvertiert sind, erleben die schwerste Verfolgung. Sie stehen unter enormem Druck durch ihre Familie und Gemeinschaft, zum Islam zurückzukehren. Die ägyptischen Sicherheitsdienste sind dafür bekannt, Konvertiten zu verhaften und einzuschüchtern, damit sie über ihre Konversion schweigen. Der Staat macht es den Konvertiten auch unmöglich, offiziell als Christen anerkannt zu werden. Die Behörden weigern sich in solchen Fällen häufig, neue Personaldokumente auszustellen.

Die Internationale Gesellschaft für Menschenrechte hält ebenfalls fest, dass Konvertiten vom Islam zum Christentum, deren Abfall vom Islam entdeckt wird, in Ägypten unmittelbar in Gefahr sind, misshandelt oder sogar umgebracht zu werden. Der Staat bietet keinen Schutz. Ganz besonders hart trifft es Frauen, deren Abkehr vom Islam entdeckt wurde. Entsprechend berichtet etwa ACCORD in einer Anfragebeantwortung aus 2016 von dem Fall einer 26jährigen Konvertitin, die 2015 von ihrer Familie getötet wurde. Sogenannte Ehrenmorde, gerade in konservativ islamisch geprägten Schichten, kommen in Ägypten immer wieder vor.

1.3. Zur politischen Lage in Ägypten:

Politische Lage

Das in der Verfassung garantierte Regierungssystem eines demokratischen Rechtsstaats, wie auch die dort enthaltenen Rechte wie Presse-, Versammlungs- und Meinungsfreiheit sind de facto und de jure ausgehöhlt. Verfassungsänderungen im April 2019 griffen erheblich in die Gewaltenteilung ein, stärkten die Kontrolle des Militärs über das zivile Leben und verlängerten die Amtszeit des Staatspräsidenten um zwei auf sechs Jahre (AA 26.1.2022). Präsident Abdel Fatah Al-Sisi regiert Ägypten seit seiner Machtübernahme auf eine immer autoritärere Weise (FH 28.2.2022). Die Lage in Ägypten unter Staatspräsident Al-Sisi ist durch ein hohes Maß an staatlicher Repression und eine Politik geprägt, die – dominiert durch Militär und Sicherheitsbehörden und vermeintlich im übergeordneten Interesse der Stabilität – für oppositionspolitische Betätigungen und die Entfaltung bürgerlicher Freiheiten kaum noch Raum lässt (AA 26.1.2022). Die anhaltende Menschenrechtskrise in Ägypten unter der Regierung von Präsident Abdel Fattah al-Sisi war Gegenstand internationaler Kritik im Menschenrechtsrat der Vereinten Nationen (HRW 13.1.2022).

Abdel Fatah Al-Sisi ist seit dem 8.6.2014 Präsident Ägyptens. Seine Wiederwahl erfolgte im März 2018 (AA 28.2.2022). Der Präsident wird durch Volksabstimmung für bis zu zwei Amtszeiten gewählt. Präsident Abdel Fattah Al-Sisi, der 2013 durch einen Staatsstreich an die Macht kam, während er als ägyptischer Verteidigungsminister und Befehlshaber der Streitkräfte diente, wurde nur durch unfaire, nicht wettbewerbsfähige Wettbewerbe gewählt. Bei den Wahlen 2018 erhielt Sisi 97% der Stimmen, nachdem er alle Oppositionskandidaten zum Rückzug gedrängt hatte, so dass nur noch Mousa Mostafa Mousa, der Vorsitzende der Al-Ghad-Partei, der sich für Sisi eingesetzt hatte, im Rennen war. Die Wahlen im Jahr 2018 wurden durch eine niedrige Wahlbeteiligung, den Einsatz staatlicher Mittel und Medien zur Unterstützung von Sisis Kandidatur, Einschüchterung der Wähler und Stimmenkauf beeinträchtigt (FH 28.2.2022).

Das im Jänner 2021 neu zusammengetretene Parlament ist von einer regierungstreuen nationalen Wahlliste dominiert. Lediglich eine kleine Gruppe von Abgeordneten nimmt, in einem sehr eng begrenzten Rahmen, oppositionelle Positionen ein. Parteien nehmen keine eigenständige Rolle in der Willensbildung ein und wurden durch das 2014 reformierte Wahlrecht weiter geschwächt. Angesichts breiter Desillusionierung bzgl. der Parlamentsarbeit und sehr niedriger Wahlbeteiligung setzte das neue Parlament Befragungen von Regierungsmitgliedern an, die aber die grundsätzliche Rolle des Parlaments als Legitimierungsinstitution für Exekutivhandeln nicht ändern (AA 26.1.2022).

Rechtsschutz / Justizwesen

Die Verfassung sieht die Unabhängigkeit der Justiz vor. Einzelnen Gerichten fehlt es manchmal an Unparteilichkeit und diese gelangen zu politisch motivierten Ergebnissen. Die Regierung respektiert in der Regel Gerichtsbeschlüsse (USDOS 12.4.2022). Die Unabhängigkeit der Justiz ist vor allem im Bereich der äußerst weit verstandenen Terrorismusbekämpfung erheblich beeinträchtigt. Willkürliche Verhaftungen, Fälle von erzwungenem Verschwindenlassen von Personen durch die Staatssicherheit und politisch motivierte Gerichtsverfahren sind an der Tagesordnung. Folter und Misshandlungen in Haft sind verbreitet (AA 26.1.2022).

Der Aufbau der Justiz und die Grundzüge der Verfahren folgen formell und materiell weitgehend europäischen (v.a. französischen) Mustern (Unabhängigkeit der Richter, Instanzenzüge etc). Islamische Einschläge existieren zwar (Sharia z.B. für muslimische Bürger relevant im Familien- und Erbrecht; Sharia in der Verfassung als Rechtsquelle festgelegt), sind aber für die Rechtsordnung insgesamt nicht bestimmend. Mit 4.6.2022 wurde auf Weisung des Präsidenten im Justizministerium ein Expertenkomitee zur Reform des Personenstandsrechts eingesetzt, welches die neuen Gesetzesvorlagen mit zivilgesellschaftlichen Organisationen diskutieren soll (ÖB 6.2022).

Staatsanwaltschaften und Gerichte verlängerten die Untersuchungshaft Tausender Inhaftierter, gegen die wegen fabrizierter Terrorismusanklagen ermittelt wurde, ohne ihnen die Möglichkeit einzuräumen, die Rechtmäßigkeit ihrer Haft anzufechten. Im Oktober 2021 erließ das Justizministerium eine Verordnung, wonach die Untersuchungshaft auch in Abwesenheit der Betroffenen und somit ohne ordnungsgemäße Verfahrensgarantien verlängert werden konnte (AI 29.3.2022).

Es existieren in Ägypten Straftatbestände, die, als solche oder in ihrer konkreten Anwendung, eine Diskriminierung aufgrund bestimmter Merkmale darstellen. So werden die vage gefassten Straftatbestände der Antiterror-Gesetzgebung und der Straftatbestand der Verbreitung von Falschnachrichten regelmäßig gegen politische Opposition oder politisch aktive Zivilgesellschaft eingesetzt. Insgesamt ist die Einleitung von Strafverfahren, die aufgrund vager Strafvorschriften regelmäßig möglich ist und lange Untersuchungen, Inhaftierung, Reisesperren oder Kontensperrung nach sich ziehen kann, häufiger zu beobachten gegen Personen, deren politische Meinung im Konflikt mit staatlichen Stellen steht, sowie gegen deren Umfeld und Verwandte. Der Blasphemieparagraph findet überproportional auf Christen und Atheisten Anwendung, der Unzuchtparagraph nahezu ausschließlich auf homosexuelle Männer (AA 26.1.2022).

Gesetzlich ist das Recht auf ein faires Verfahren vorgesehen, aber die Justiz kann dieses Recht oft nicht gewährleisten. Das Gesetz geht von einer Unschuld der Angeklagten aus und die Behörden informieren sie in der Regel unverzüglich und im Detail über die Anklagen gegen sie. Die Angeklagten haben das Recht, bei den Verfahren anwesend zu sein. Die Teilnahme ist verpflichtend für Personen, die eines Verbrechens angeklagt werden, und fakultativ für diejenigen, die wegen Vergehen angeklagt sind. Zivilverhandlungen sind in der Regel öffentlich. Die Angeklagten haben das Recht, einen Anwalt zu konsultieren, und die Regierung ist zuständig für die Finanzierung des Rechtsbeistands, wenn der Angeklagte sich keinen Rechtsanwalt leisten kann. Angeklagte haben das Recht auf Berufung. Verhandlungen vor dem Militärgericht sind nicht öffentlich (USDOS 12.4.2022).

Das Recht auf ein faires Verfahren ist in der Praxis – v.a. bei Delikten, die die Staatssicherheit betreffen – oft nicht gewährleistet und wird u.a. durch folgende Praktiken beeinträchtigt:

Verhaftungen ohne Haftbefehl, exzessive Anwendung von Präventiv- und Untersuchungshaft, Anwendung der Militärgerichtsbarkeit auf Zivilisten, Massenprozesse gegen eine große Anzahl von Beschuldigten mit mangelnder Beweisführung zum Einzelfall. Auffallend sind die teils unverhältnismäßigen Strafen, was nicht immer nur an den Rechtsnormen selbst, sondern oft auch an der Ermessensausübung durch die jeweiligen Richter liegt, sowie der Umstand, dass eine sehr dürftige Beweislage keineswegs einer Verurteilung entgegensteht (in dubio pro reo ist kein die Praxis bestimmendes Prinzip) (ÖB 6.2022).

Sicherheitsbehörden

Das Innenministerium ist zuständig für die Durchsetzung der Gesetze und innere Sicherheit, ihm unterstehen die Polizei (Public Security Sector Police), die Zentralen Sicherheitkräfte (Central Security Force – CSF), der Nationale Sicherheitssektor (National Security Sector – NSS) sowie Zoll und Immigration. Die Polizei ist für die Strafverfolgung bundesweit verantwortlich. Die Zentralen Sicherheitskräfte sorgen für die Sicherheit der Infrastruktur und führen Einsätze bei Demonstrationen durch. Der NSS ist bei Bedrohungen der inneren Sicherheit zuständig sowie für die Bekämpfung des Terrorismus, gemeinsam mit anderen ägyptischen Sicherheitskräften. Zivile Behörden haben eine wirksame Kontrolle über die Sicherheitskräfte (USDOS 12.4.2022).

Militär und Sicherheitsbehörden nehmen im Staatsgefüge eine dominierende Position ein und verfügen über weitreichende Befugnisse und Einflussmöglichkeiten bei fehlender Transparenz oder Rechenschaftspflicht. Die reguläre Polizei ist formal von den Sicherheitsdiensten getrennt, in der Praxis beaufsichtigt der Staatssicherheitsdienst das Handeln der Polizei. Gerade auf dem Gebiet der begrifflich sehr weit verstandenen Terrorismusbekämpfung sind die Sicherheitsbehörden der Kontrolle durch die Justiz und andere Verfassungsorgane weitgehend entzogen. Terrorismusvorwürfe werden weit ausgelegt und regelmäßig zur Ahndung jeder Form von Kritik an Regierungshandeln eingesetzt. Die Sicherheitsdienste genießen de facto Straffreiheit. Sie agieren zunehmend außerhalb rechtlicher Vorgaben und entziehen sich der Kontrolle durch Justiz und Politik (AA 26.1.2022).

Der seit 2017 bestehende Ausnahmezustand wurde im Oktober 2021 durch Präsident Sisi nicht verlängert, jedoch führte dieser im November 2021 gesetzliche Regelungen ein, die es dem Präsidenten erlauben, im Fall von Naturkatastrophen oder Terrorismus Maßnahmen zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Sicherheit zu ergreifen, wie Ausgangssperren oder Evakuierungen, für eine maximale Dauer von sechs Monaten (USDOS 12.4.2022; vgl. AA 26.1.2022), dadurch wurden im Ausnahmezustand bestehende Regelungen in reguläre Gesetze überführt (AA 26.1.2022).

Folter und unmenschliche Behandlung

Die Verfassung besagt, dass einer Person, die die Behörden inhaftiert oder festgenommen haben, keine Folter, Einschüchterung, Nötigung oder körperlicher oder moralischer Schaden zugefügt werden darf. Das Strafgesetzbuch verbietet Folter zur Erlangung eines Geständnisses, berücksichtigt aber keinen psychischen Missbrauch (USDOS 12.4.2022). Folter ist in offiziellen und inoffiziellen Haftanstalten weit verbreitet und nur in einzelnen Fällen werden Polizeibeamte strafrechtlich verfolgt (AI 29.3.2022; vgl. USDOS 12.4.2022).

Folter wird durch ägyptische Sicherheitsbehörden in unterschiedlichen Formen und Abstufungen praktiziert. In Gewahrsam der Staatssicherheit und der Polizei sind Folter und Misshandlungen weit verbreitet. In diesem Zusammenhang kommt es auch zu Todesfällen in Haft. Menschenrechtsverteidiger kritisierten, dass Beweise, die zu Verurteilungen in Strafverfahren führten, unter Folter gewonnen werden (AA 26.1.2022; USDOS 12.4.2022). Betroffen waren bisher vor allem Muslimbrüder und Islamisten. In letzter Zeit werden aber auch verstärkt Mitglieder der Zivilgesellschaft und Oppositionelle Opfer von Folter. Folter wird als Mittel zur Informationsgewinnung, Abschreckung und Einschüchterung eingesetzt (AA 26.1.2022). Lokale Menschenrechtsorganisationen berichten von systematischer Folter, die auch zu Todesfällen führt.

Nach Angaben inländischer und internationaler Menschenrechtsorganisationen greifen Polizei und Gefängniswärter auf Folter zurück, um Informationen aus Inhaftierten, darunter auch Minderjährigen, zu erlangen (USDOS 12.4.2022).

Extralegale Tötungen werden im Zusammenhang mit dem staatlichen Vorgehen gegen Islamisten verübt. Willkürliche Festnahmen und erzwungenes Verschwindenlassen, Inhaftierungen durch die Sicherheitsbehörden über längere Zeiträume ohne Anklage und Benachrichtigung von Angehörigen und Rechtsbeiständen sind verbreitet und üblich. Die Zahl solcher Fälle ist zuletzt im Zuge der verstärkten Repression gegen die politische Opposition und Zivilgesellschaft stark angestiegen (AA 26.1.2022; vgl. HRW 13.1.2022).

Allgemeine Menschenrechtslage

Die Menschenrechtslage in Ägypten hat sich – bei bereits Besorgnis erregendem Niveau – 2021 in fast allen Bereichen weiter verschlechtert (AA 26.1.2022).

Ägypten hat einige internationale Menschenrechtsübereinkommen ratifiziert. Erhebliche Vorbehalte zu diesen Instrumenten betreffen unter anderem Bestimmungen betreffend die Gleichstellung von Mann und Frau vor dem Hintergrund islamischen Rechts (Scharia-Vorbehalt) (AA 26.1.2022).

Die im September 2021 veröffentlichte nationale Menschenrechtsstrategie präsentiert Ägypten als Vorreiter in der Region. Dies spiegelt sich allerdings bisher in der Umsetzung des Schutzes von Menschenrechten nicht wieder. Während im Bereich Frauen- und Kinderrechte gewisse Fortschritte erzielt werden konnten, werden politische und zivile Rechte fast ausschließlich durch die Verfassung geschützt. Konkrete Gesetze zum Schutz von politischen Rechten fehlen. Die Umsetzung des Schutzes ist folglich mangelhaft. Auch die Menschenrechtsstrategie sieht Verantwortung für Menschenrechtsverletzungen vornehmlich bei der Zivilbevölkerung. Politisch motivierte Strafverfolgung und Einschränkung von Rechten seitens des Regimes und insbesondere der Sicherheitsdienste werden nicht thematisiert (AA 26.1.2022).

Zu den bedeutenden Menschenrechtsproblemen gehörten glaubwürdige Berichte über: rechtswidrige oder willkürliche Tötungen, einschließlich außergerichtlicher Tötungen durch die Regierung oder ihre Vertreter sowie durch terroristische Gruppen; erzwungenes Verschwindenlassen durch die Staatssicherheit; Folter und Fälle von grausamer, unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Bestrafung durch die Regierung; harte und lebensbedrohliche Haftbedingungen; willkürliche Inhaftierung; politische Gefangene oder Häftlinge; politisch motivierte Repressalien gegen Personen, die sich in einem anderen Land aufhalten; willkürliche oder unrechtmäßige Eingriffe in die Privatsphäre; schwerwiegende Verstöße in einem Konflikt, einschließlich Berichten zufolge Verschwindenlassen, Entführungen, körperliche Misshandlungen und außergerichtliche Tötungen; schwerwiegende Einschränkungen der freien Meinungsäußerung und der Medien, einschließlich Verhaftungen oder strafrechtliche Verfolgung von Journalisten, Zensur, Sperrung von Websites und Missbrauch von Verleumdungsgesetzen; schwerwiegende Einschränkungen der Internetfreiheit; erhebliche Eingriffe in die Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit, einschließlich übermäßig restriktiver Gesetze über die Organisation, Finanzierung oder Tätigkeit von Nichtregierungsorganisationen und Organisationen der Zivilgesellschaft; Einschränkungen der Bewegungsfreiheit, einschließlich Reiseverbote für Menschenrechtsverteidiger, Journalisten und Aktivisten; schwerwiegende und unangemessene Beschränkungen der politischen Partizipation; schwerwiegende staatliche Beschränkungen für inländische und internationale Menschenrechtsorganisationen; Straftaten, die mit Gewalt oder der Androhung von Gewalt gegen lesbische, schwule, bisexuelle, transgender, queere oder intersexuelle Personen verbunden sind, sowie die Anwendung des Gesetzes zur willkürlichen Verhaftung und Verfolgung dieser Personen (USDOS 12.4.2022; vgl. AI 29.3.2022). Todesurteile wurden nach grob unfairen Verfahren verhängt und Hinrichtungen vollstreckt, auch für Drogendelikte (AI 29.3.2022).

Haftbedingungen

Die Bedingungen in den Gefängnissen und Haftanstalten sind hart (USDOS 12.4.2022; vgl. AA 26.1.2022, AI 29.3.2022) und potenziell lebensbedrohlich, da die Gefängnisse überfüllt sind und es keinen angemessenen Zugang zu medizinischer Versorgung, angemessenen sanitären Einrichtungen und Belüftung, Nahrung und Trinkwasser gibt (USDOS 12.4.2022). Es existieren Spezialgefängnisse für politische Straftäter, in denen die Haftbedingungen deutlich härter sind als in regulären Gefängnissen (AA 26.1.2022). Die Behörden verweigerten kranken Gefangenen routinemäßig den Zugang zu einer angemessenen medizinischen Versorgung. Nach Angaben des Komitees für Gerechtigkeit, einer unabhängigen Organisation, starben in den ersten acht Monaten des Jahres 2021 57 Gefangene, die meisten von ihnen aus politischen Gründen, in der Untersuchungshaft (HRW 13.1.2022; vgl. AI 29.3.2022).

Die Behörden trennen nicht immer Jugendliche von Erwachsene und inhaftieren manchmal Untersuchungshäftlinge zusammen mit verurteilten Gefangenen. In einem Bericht vom 24.3.2021 berichtet eine lokale Menschenrechtsorganisation, dass die Bedingungen in den Gefängnissen und Haftanstalten medizinische Vernachlässigung, Isolationshaft und die Verweigerung von Besuchen, Telefongesprächen, akademischen Studien und der Versorgung von Gefangenen und Häftlingen mit Nahrungsmitteln außerhalb des Gefängnisses bzw. mit bestimmten Nahrungsmitteln umfassen (USDOS 12.4.2022).

Die Regierung organisierte zwischen Jänner und Mai 2021 Besuche von Delegationen lokaler und ausländischer Medienkorrespondenten, Vertretern von Menschenrechtsorganisationen, religiösen Führern und dem Nationalen Menschenrechtsrat im Tora-Gefängnis, im Borg al-Arab-Gefängnis, im El Marag-Gefängnis, im Wadi al-Natroun-Gefängnis, im Gefängnis von Fayoum und in drei Gefängnissen im Gouvernement Minya (USDOS 12.4.2022). Gemäß einer anderen Quelle blieben die ägyptischen Gefängnisse 2021 ohne unabhängige Kontrolle (HRW 13.1.2022).

1.4. Zur Lage von Frauen in Ägypten:

Die Verfassung verpflichtet den Staat, die Gleichheit von Männern und Frauen zu gewährleisten (AA 26.1.2022; vgl. USDOS 12.4.2022, FH 28.2.2022). Obwohl die Regierung Schritte zur Verbesserung ihrer Situation unternimmt, haben Frauen jedoch nicht die gleichen gesetzlichen Rechte und Chancen wie Männer (USDOS 12.4.2022; vgl. FH 28.2.2022). Diskriminierung ist weit verbreitet (USDOS 12.4.2022; vgl. AI 29.3.2022, FH 28.2.2022). Gesetze und traditionelle Praktiken beeinträchtigten Frauen im Familien-, Sozial- und Wirtschaftsleben und Frauen sehen sich weit verbreiteter gesellschaftlicher Diskriminierung, Bedrohungen ihrer körperlichen Sicherheit und Vorurteilen am Arbeitsplatz ausgesetzt, die ihren sozialen und wirtschaftlichen Fortschritt behindern (USDOS 12.4.2022; vgl. FH 28.2.2022).

Frauen werden auch durch Einzelvorschriften des ägyptischen Rechts diskriminiert. Insbesondere im Familienrecht kommt es zu einer systematischen Ungleichheit und auch im islamischen Erbrecht sind diskriminierende Regelungen vorhanden. Gesellschaftlich herrscht ein konservatives Rollenbild vor. Im öffentlichen Leben sind Frauen präsent, aber deutlich unterrepräsentiert. Bei der Beurteilung der Stellung der Frauen in der Gesellschaft ist nach der sozialen Stellung zu differenzieren. So sind die selbstbewusst und in angesehenen beruflichen Positionen oder öffentlichen Ämtern auftretenden Frauen in aller Regel Angehörige der Oberschicht (AA 26.1.2022).

Das Gesetz verbietet Vergewaltigung (USDOS 12.4.2022; vgl. AA 26.1.2022). Diese wird mit einer Freiheitsstrafe von 15 bis 25 Jahren bestraft. Das Gesetz wird jedoch nicht effektiv umgesetzt (USDOS 12.4.2022). Vergewaltigung in der Ehe ist nicht strafbar (USDOS 12.4.2022; vgl. AA 26.1.2022). Es gibt Berichte, dass die Polizei auf Opfer Druck ausübt, keine Anzeige zu erstatten (USDOS 12.4.2022).

Häusliche Gewalt bleibt weiterhin ein Problem. Es gibt keine Gesetze, die häusliche Gewalt oder Missbrauch durch den Ehepartner verbieten. Sogenannte „Ehrverbrechen“ werden gesetzlich nicht anders geahndet als andere Verbrechen (USDOS 12.4.2022). Frauen, die häuslicher Gewalt ausgesetzt sind und die durch die eigene Familie nicht geschützt werden, können sich häufig kaum wirksam gegen den Gewalttäter wehren, da solche Haltungen v..a. am Land, oft auch von den lokalen Polizisten geteilt werden (ÖB 6.2022).

Sexuelle Belästigungen und Übergriffe gegenüber Frauen finden häufig statt (AA 26.1.2022; vgl. USDOS 12.4.2022, ÖB 6.2022) und werden in der Regel nicht strafrechtlich verfolgt (AA 26.1.2022; vgl. USDOS 12.4.2022) bzw. haben eine gewisse gesellschaftliche Akzeptanz (ÖB 6.2022). Sexuelle Belästigung ist als Straftat definiert und kann seit August 2021 mit bis zu zwei Jahren bis sieben Jahren Haft geahndet werden (USDOS 12.4.2022). Dem Problem der verbreiteten sexuellen Gewalt wird vorherrschend durch Wegsehen und Verschweigen begegnet. Frauen, die sich öffentlich zu den Missständen und Übergriffen äußern, werden häufig in den Medien verunglimpft oder sogar strafrechtlich verfolgt. NGOs, die sich für die Rechte von Frauen und Gewaltopfern einsetzen, bemängeln das Fehlen einer Strategie der Regierung, sich dem Problem von Gewalt und Diskriminierung anzunehmen (AA 26.1.2022).

Genitalverstümmelung bei Frauen (englisches Akronym: FGM - Female Genital Mutilation) ist ein weit verbreitetes Phänomen, auch wenn die Praxis seit 2008 rechtlich verboten ist (AA 26.1.2022; vgl. ÖB 6.2022, USDOS 12.4.2022). Die Höchststrafe liegt bei 15 Jahren Haft. Einem Bericht von UNICEF aus dem Jahr 2016 zufolge befindet sich Ägypten unter den Ländern mit der höchsten FGM-Rate. Eine Umfrage der Regierung von 2015 schätzt, dass 87% der Frauen zwischen 15 und 49 Jahren betroffen sind (AA 26.1.2022). Die Praxis ist in allen sozialen Schichten und Religionen verbreitet, ist jedoch in den ländlichen Gegenden Oberägyptens besonders prominent. Im Durchschnitt wird der Eingriff im Alter von zehn Jahren durchgeführt (AA 26.1.2022; vgl. ÖB 6.2022).

1.5. Zur Frage der Rückkehr und einer innerstaatlichen Fluchtalternative:

Formale staatliche Institutionen für die Aufnahme von Rückkehrern sind nicht bekannt. Nach Ägypten zurückkehrende abgelehnte Asylwerber sind in der Regel keiner spezifischen Gefährdung aufgrund ihres Asylantrags im Ausland ausgesetzt. Sie unterliegen nach ihrer Rückkehr jedoch der allgemeinen Situation staatlicher Repression und der weitgehenden Einschränkung der Menschenrechte. Dies gilt besonders für die gefährdeten Gruppen (u. a. Angehörige der Opposition, insbesondere Muslimbrüder, religiöse Minderheiten, LGBTI-Personen, Frauen) (AA 26.1.2022).

Zu internen Ausweichmöglichkeiten liegen keine belastbaren Erkenntnisse vor. Es ist grundsätzlich von einer unterschiedslosen Verfolgungspraxis auszugehen. Allerdings kann zumindest bei vergleichsweise minder schweren Verfolgungsgründen (z.B. niedrigschwelligem oppositionellen Engagement) der Ortswechsel innerhalb des Landes dazu führen, dass die Betroffenen unbehelligt bleiben. Auf dem Nordsinai und in entlegenen Wüstenregionen ist das staatliche Gewaltmonopol zum Teil faktisch eingeschränkt. Bei geschlechtsspezifischen Verfolgungsgründen (z.B. Genitalverstümmelung, sexuelle und geschlechtsspezifische Gewalt) ist eine interne Ausweichmöglichkeit keine realistische Option (AA 26.1.2022).

2. Beweiswürdigung:

2.1. Beweismittel

Die folgenden Beweismittel wurden von der Beschwerdeführerin vorgelegt:

OZ 1: Beschwerde, 06.11.2024

- Islamische Scheidungsurkunde, Bescheinigung der Scheidung (Übersetzung)

- Vertrag, Rechtsschutzversicherung, Wiener Städtische

- Dokument Sorgerecht (mit Übersetzung)

- Antrag an das BFA auf Überprüfung und Scannen elektronischer Geräte zur Erkennung von Spyware/Tracking-Programmen sowie Berücksichtigung Video Material

- Übernahmebestätigung BFA über diverse Unterlagen und einen USB-Stick

- Beschluss Bezirksgericht XXXX vom 24.09.2024 betreffend der Anerkennung der Scheidung in Österreich

OZ 4: Stellungnahme + Unterlagenvorlage, 14.11.2024

- Strafregisterauszug Schweiz

- Bestätigung der BH XXXX über den Austritt aus der islamischen Glaubensgemeinschaft

- Detail-Statistik der BFA Kennzahlen

OZ 16: Beschwerdeergänzung, 02.12.2024

- Fotokonvolut Taufgottesdienst

- Zahlungsbestätigung Kirchenbeitrag

- Scheidungsurteil, Amtsgericht XXXX (Übersetzung)

- Echtheitsbestätigung, Österreichische Botschaft Kairo

- Unterlagen zum Nachweis der beruflichen Ausbildung und Integration

o Bescheid, Österreichische Ärztekammer betreffend Ausübungsbewilligung

o Bescheid, Beschäftigungsbewilligung AMS

o Masterurkunde der Universität Kairo (Übersetzung)

o Prüfungszertifikat, Österreichische Ärztekammer, Sprachprüfung Deutsch

o Bestätigung, Ärztekammer XXXX , Ausübungsberechtigung

o Einstellungszusage, Landeskrankenhaus XXXX

o Lebenslauf

o Medizinische Universität XXXX , Ergebnis der Beweisaufnahme: Nostrifizierungsantrag vom 24.04.2024

o Antrag auf Anerkennung einer EWR-Berufsqualifikation

o Zahlungsanweisung, Stadt XXXX für Aufenthaltstitel

o Überweisung/Übernahmebestätigung der Zahlungsanweisung der Stadt XXXX

o AMS Betreuungsvereinbarung

o Beschluss des schwedischen Zentralamtes für Gesundheits- und Sozialwesen über die Genehmigung des Antrages auf Prüfung einer ausländischen Ausbildung

o Bescheid, Medizinische Universität XXXX , über Antrag auf Nostrifizierung des Studiums der Humanmedizin an der Medizinischen Universität Kairo

o Lohnzettel und Beitragsgrundlagennachweis

o Gutachten des schwedischen Hochschulrates über die Beurteilung einer ausländischen Hochschulausbildung

o Studienzeitbestätigung der Medizinischen Universität XXXX

o Bezugsabrechung, XXXX Landeskrankenhäuser

OZ 17: Beweismittelvorlage, 02.12.2024

- Benachrichtigung des Opfers von der Einstellung des Verfahrens, Staatsanwaltschaft XXXX

- Fotokonvolut, Nachweis staatlicher Überwachung

OZ 18: Beweismittelvorlage, 06.12.2024

- Fotokonvolut, Nachweis staatlicher Überwachung

- Kirchenbeitragserklärung der Evangelischen Pfarrgemeinde XXXX XXXX

- Konfirmationsschein der Evangelischen Pfarrgemeinde A.B. XXXX - Aufenthaltsberechtigungskarte der Republik Österreich

- Bescheid Beschwerdevorentscheidung, Medizinische Universität XXXX

- Studienbeitragsstatus

- Turnusdienst – Anmeldung

- Auszug aus dem Gesundheitsberuferegister, Gesundheit Österreich GmbH

- CoPAMed Auszug

- E-Mail, Stadt XXXX , über das Einlangen der Bewerbung als „Turnusärztin/Turnusarzt“

- Terminbestätigung – Schnuppern für die Stelle „Ärzt*in in Ausbildung zum*r Fachärzt*in im Sonderfach Klinische Pathologie und Molekularpathologie“

- AMS, Rückmeldung über Erhalt der Meldung zur Arbeitssuche

- Fotokonvolut, Privatleben

OZ 19: Dokumentation, 26.12.2024

Medienberichte zur Überwachung der ägyptischen Diaspora:

- https://www.zeit.de/politik/ausland/2020-07/aegypten-ueberwachung-deutschland-spionage

- https://www.dw.com/en/egypt-secret-service-dissidents/a-54186906

- https://www.tandfonline.com/doi/pdf/10.1080/14747731.2023.2300849

- https://www.reuters.com/article/world/africa/feature-exposed-egypts-spies-dragged-from-shadows-idUSLDE7270UD

OZ 20: Bericht, 26.12.2024

Bericht an den UN-Menschenrechtsrat für die 4. Allgemeine Periodische Überprüfung UPR: https://egyptianforum.org/en/transnational-repression-joint-report-exposes-egypts-violations-and-calls-for-accountability

OZ 22: Dokumentenvorlage, 08.01.2025

- Mitteilung über die Ablehnung eines Aufenthaltstitels in der Schweiz (Schwedisch, nicht übersetzt)

- Schreiben an das BFA vom 25.07.2024

- Screenshots aus einem Video, zeigen Demonstration vor der ägyptischen Botschaft in XXXX

- Bestätigung Haftpflichtversicherung, XXXX

- XXXX , Buchung Krankenversicherungsbeitrag

- Konvolut, Meinungsumfrageformular des Ministeriums für Hochschulbildung (übersetzt)

- Einstellungszusage, Landeskrankenhaus XXXX

- Abschrift der Studiendaten, Medizinische Universität XXXX

- Dienstvertrag vom 31.05.2023, Landeskrankenhaus XXXX

- Einkommensteuerbescheid 2023, Finanzamt Österreich

- Studierendenausweis, Medizinische Universität XXXX

- Diplomzusatz, XXXX Universität

- Masterurkunde, XXXX Universität

- Fotokonvolut, Beschimpfungen/Beleidigungen

OZ 23: Unterlagenvorlage, 09.01.2025

- Arbeitgebererklärung, Landesklinikum XXXX

- Aufnahmebestätigung, Landesgesundheitsagentur

- Zahlungsbestätigung Sprachprüfung Deutsch, Akademie der Ärzte

- Prüfungsergebnis Sprachprüfung Deutsch, Akademie der Ärzte

- Dienstvertrag, Landeskrankenhaus XXXX

- Zeugnis Deutschprüfung Sprachniveau B2, Österreichsicher Integrations Fonds

- Zeugnis Integrationsprüfung Sprachniveau A2, Österreichischer Integrations Fonds

OZ 29: Dokumentenvorlage, 19.01.2025

- Fotokonvolut, Privatleben

- Rechnung, Dorotheum Juwelier

- ZMR-Auszug, Beschwerdeführerin

- ZMR-Auszug, XXXX

OZ 33: Beweismittelvorlage

- SMS des früheren Ehemannes

Verwaltungsakt:

- Ägyptischer Reisepass in Original Nr. XXXX

- Ägyptische ID Card in Original Nr. XXXX

- Dokument „Submission of Information to Special Procedures Report“

- Antrag auf Bewilligung einer ärztlichen Tätigkeit zu Studienzwecken, Österreichische Ärztekammer

- Teilnahmebestätigung, 6. XXXX XXXX

- Fortbildungskonto des DFP

- eAMS-Konto

- Bestätigung über Einbringung eines Antrages auf Nostrifizierung, Medizinische Universität XXXX

- Maturazeugnis

- Zertifikat Doktorat

- Zertifikat Bachlor

Dokumente in Original vorgelegt (bereits in der jeweiligen OZ aufgezählt):

- Ägyptischer Reisepass in Original Nr. XXXX

- Ägyptische ID Card in Original Nr. XXXX

- Doktorat in Original

- Masterstudium in Original

- Bachelor in Original

- Maturazeugnis in Original

- Konfirmationsschreiben in Original

- Austritt aus Islamischen Gemeinde in Österreich in Original

- Anmeldung bei der Ärztekammer in Original

- Sprachzeugnisse A2 und B2 in Original

- Scheidungsurkunde (seit Jänner 2019) in Original

- Islamische Scheidungsurkunde 05.03.2019 in Original

2.2. Zur Beschwerdeführerin:

Die Feststellungen zur Person und Identität konnten dem im IZR als authentisch klassifizierten ägyptischen Reisepass entnommen werden, den sich die Beschwerdeführerin am 28.05.2022 in Kairo ausstellen ließ. Auch die Feststellungen zu den Asylanträgen in Schweden, der Schweiz und Österreich, sowie zum Zulassungsverfahren, der Ausstellung der Karte gemäß § 51 AsylG 2005 und dem Verfahrensstand ergeben sich aus dem amtswegig eingeholten Auszug aus dem Zentralen Fremdenregister (IZR).

Die Feststellung zum Gesundheitszustand der Beschwerdeführerin ergibt sich aus dem Umstand, dass sie in der Verhandlung am 29.01.2025 angab, gesund zu sein. Die strafgerichtliche Unbescholtenheit ergibt sich aus der Strafregisterbescheinigung.

Die Feststellungen zu ihrem Aufenthalt in Schweden, der durch ihren früheren Ehemann erlittenen häuslichen Gewalt, dessen Rückkehr nach Ägypten und der Obsorgeregelung für die gemeinsamen Kinder ergeben sich ebenso wie die Feststellungen zu ihrem Bruder aus den diesbezüglich gleichbleibenden und konsistenten Angaben der Beschwerdeführerin in den verschiedenen Befragungen. Die Scheidung ergibt sich aus der im Akt einliegenden beglaubigten Übersetzung des schwedischen Urteils des Amtsgerichts XXXX vom 10.01.2019 (AS 437) und dem Beschluss des BG XXXX vom 24.09.2024, XXXX , mit dem das Scheidungsurteil anerkannt wurde bzw. der Übersetzung der Scheidungsbescheinigung vom 05.03.2019 eines Standesamtes in Kairo.

Die berufliche Tätigkeit an den XXXX Landeskliniken ergibt sich aus einem Auszug aus der Sozialversicherungsdatenbank.

Der Besuch einer christlichen Schule ergibt sich aus dem im Akt einliegenden Maturazeugnis der „ XXXX (AS 677)“; dass der frühere Ehemann und der Bruder der Beschwerdeführerin in Kenntnis ihrer Konversion sind, legte die Beschwerdeführerin in der Verhandlung glaubhaft dar, als sie erklärte, dass die Nachricht über die Kinder an ihren Mann und von diesem an ihren Bruder, mit dem dieser zusammenarbeitet, gelangt sei. Zudem legte sie eine SMS vor, welche sie von ihrem früheren Mann erhalten hatte und in welcher dieser ihr erklärte, dass der Islam die Religion Gottes sei und er Gott bitte, ihr den rechten Weg zu weisen. Zudem machte die Beschwerdeführerin ihre Konfirmation und Hinwendung zum christlichen Glauben auch auf ihrer Facebook-Seite öffentlich, wie eine Nachschau der erkennenden Richterin ergab.

Ihr Austritt aus der islamischen Glaubensgemeinschaft ergibt sich aus einem im Akt einliegenden Schreiben der Bezirkshauptmannschaft XXXX vom 15.05.2023 (AS 663). Ihre Konfirmation ergibt sich aus dem ebenfalls im Akt einliegenden Konfirmationsschein der Evangelischen Pfarrgemeinde A.B. XXXX vom 15.06.2024 (AS 675). Dass die Beschwerdeführerin ihr Kopftuch abgelegt hat, ergibt sich durch ihre Angabe bzw. ihr Erscheinungsbild in der Verhandlung. Aus dem in der Verhandlung gewonnenen persönlichen Eindruck ergibt sich auch kein Zweifel an der inneren Überzeugung, die der Konversion zugrunde liegt.

Soweit die Beschwerdeführerin vorbringt, von den ägyptischen Sicherheitsbehörden verfolgt zu werden, ist es für das Gericht unter Berücksichtigung der Länderfeststellungen (denen zufolge die Lage in Ägypten unter Staatspräsident Al-Sisi durch ein hohes Maß an staatlicher Repression und eine Politik geprägt ist, die – dominiert durch Militär und Sicherheitsbehörden und vermeintlich im übergeordneten Interesse der Stabilität – für oppositionspolitische Betätigungen und die Entfaltung bürgerlicher Freiheiten kaum noch Raum lässt) durchaus plausibel, dass sie in den Fokus der ägyptischen Sicherheitsbehörden geraten ist – allerdings nicht in dem von der Beschwerdeführerin vorgebrachten Umfang:

Die Beschwerdeführerin legte im Verfahren zahlreiche Screenshots ihres Laptops bzw. Mobiltelefons vor, welche ihrer Ansicht nach eine dauerhafte Überwachung ihrer Geräte beweisen. So verwies sie in der Verhandlung auf einen Screenshot, auf dem eine Telefonnummer des Vereinigten Königreichs zu sehen sei, obwohl sie sich auf der Homepage der Medizinischen Universität in Kairo eingewählt habe oder auf einen Screenshot, der als Standort des Geräts eine Polizeistation anzeigt, obwohl sie sich zu diesem Zeitpunkt in ihrer Wohnung in Kairo befunden habe. Dies vermag aus Sicht der erkennenden Richterin ebenso wenig wie die zahlreichen Screenshots mit Fehlermeldungen (zb. „Unable to Install „TikTok“. Please try again later“ oder „Webpage not available“) zu beweisen, dass die Geräte der Beschwerdeführerin professionell überwacht wurden bzw. werden. Die Beschwerdeführerin legte unter anderem auch ein Foto vor, das einen Mann mit einem Mobiltelefon zeigt. Auf Nachfrage der erkennenden Richterin meinte sie dazu in der Verhandlung, dass dieser Mann sie in XXXX fotografiert habe. Sie zeigte in Österreich einen anderen Mann wegen des Diebstahls eines USB-Sticks an, wobei das Verfahren in der Folge eingestellt wurde (StA XXXX , XXXX ), und bringt den Verlust des USB-Sticks ebenfalls mit einer Überwachung durch die ägyptischen Sicherheitsbehörden in Zusammenhang. Auch hatte sie behauptet, in Schweden überwacht worden zu sein, weil die schwedischen Sicherheitsbehörden mit den ägyptischen kooperiert hätten. Für diese intensive und ständige Überwachung gibt es aus Sicht des Bundesverwaltungsgerichtes keine Hinweise, sondern erscheint dies vielmehr Ausfluss einer ausgeprägten Furcht der Beschwerdeführerin vor politischer Verfolgung zu sein, die zu einer teilweise verzerrten Wahrnehmung der Wirklichkeit geführt haben mag. Auch die Behauptung der Beschwerdeführerin, dass die Sicherheitskräfte in Ägypten wiederholt versucht hätten, sie zu überfahren und dadurch zu töten, mag einer realen Angst entspringen, ist aber aus Sicht des Gerichts wenig glaubhaft, zumal das ägyptische Regime andere Mittel und Wege hat, mit Gegnern umzugehen.

Dies ändert aber nichts daran, dass die Furcht der Beschwerdeführerin vor politischer Verfolgung einen realen Bezug aufweist: Auch wenn die Beschwerdeführerin keine exponierte politische Funktion innehatte, so war sie von 2000 bis 2011 der Muslimbruderschaft verbunden und wandte sich in der Folge der liberalen Bewegung zu – beides Bewegungen, die konträr zu Präsident Al Sisi stehen und von diesem als Opposition angesehen werden. Sie gehört als Ärztin einer akademischen Elite an, war zwischen 2016 und 2019 in Schweden und reiste nach wenigen Monaten in Ägypten im Jahr 2020 in die Schweiz. Von dort wurde sie im September 2021 wieder nach Ägypten abgeschoben und bei der Einreise, so ihre Angaben in der Verhandlung, etwa 12 Stunden befragt, unter anderem auch zu ihrer religiösen Haltung. Es ist davon auszugehen, dass sie spätestens zu diesem Zeitpunkt in irgendeiner Form behördlich vermerkt wurde. Zu diesem Zeitpunkt wurde sie aber offenbar noch nicht gezielt durch den ägyptischen Staat verfolgt, wurde ihr doch noch am 28.05.2022 ein Reisepass ausgestellt. Nachdem die Beschwerdeführerin sich aber wiederum ins Ausland begab, um nunmehr in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz zu stellen und auch nicht ausgeschlossen werden kann, dass sie tatsächlich, wie sie in der Verhandlung angab, während ihrer Teilnahme an der Demonstration vor der ägyptischen Botschaft im Jänner 2023 von einem Beamten der Botschaft fotografiert wurde, besteht in einer Zusammenschau aller Umstände nunmehr mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit die Gefahr, dass sie bei einer Rückkehr nach Ägypten tatsächlich als Gegnerin des Regimes wahrgenommen wird und mit entsprechenden Repressionen zu rechnen hat. Schutz oder Unterstützung von ihrer Familie ist aufgrund ihrer Konversion nicht zu erwarten. Die Beschwerdeführerin brachte darüber hinaus im Verfahren glaubhaft zum Ausdruck, sich politisch betätigen zu wollen, auch im Falle einer Rückkehr nach Ägypten. Aufgrund ihrer kritischen Haltung gegenüber dem Regime und dem Islam wäre damit zu rechnen, dass sie schnell in Konfrontation mit Staat und Gesellschaft käme und dadurch auch ihr Leben und ihre körperliche Unversehrtheit gefährdet wären.

Die Beziehung der Beschwerdeführerin ergibt sich aus der Befragung ihres Lebensgefährten in der Verhandlung am 29.01.2025, ihre perfekten Deutschkenntnisse aus den vorgelegten Sprachzeugnissen (Zeugnis zur Integrationsprüfung A2 vom 11.07.2024 (AS 587) und B2 am 29.11.2023 (AS 433), Sprachzertifikat der Österreichischen Ärztekammer vom 22.08.2024 (AS 987)) und dem Umstand, dass es ihr problemlos möglich war, die Verhandlung auf Deutsch zu führen.

2.2. Zur Lage von Personen, die vom Islam zum Christentum konvertiert sind:

Die Feststellungen zur Situation von Konvertierten in Ägypten ergeben sich aus dem aktuellen Länderinformationsblatt der Staatendokumentation, das sich auf unterschiedliche Quellen stützt und im angefochtenen Bescheid wiedergegeben wurde. Relevant im gegenständlichen Fall sind insbesondere die im LIB zitierten Berichte des Auswärtigen Amtes und des US Department of State (AA 26.1.2022; vgl. USDOS 2.6.2022).

Ergänzend wurden ein Bericht von Open Doors zur Lage von Christen in Ägypten (https://www.opendoors.at/index/aegypten/), ein Bericht der Internationalen Gesellschaft für Menschenrechte, Christliche Konvertiten aus dem Islam: Ägypten als Beispiel (https://www.igfm.de/christliche-konvertiten-aus-aegypten/) und eine Anfragebeantwortung des Austrian Centre for Country of Origin and Asylum Research and Documentation (ACCORD) zu Ägypten: Lage von ägyptischen Muslimen, die zum Christentum konvertieren [a-9806], 3 August 2016 (https://www.ecoi.net/en/file/local/1202688/456765_en.html) herangezogen.

2.3. Zur politischen Lage und zur Lage von Frauen in Ägypten:

Die Feststellungen zur politischen Lage, zur Lage von Frauen in Ägypten und zur Rückkehrsituation ergeben sich aus dem aktuellen Länderinformationsblatt der Staatendokumentation, das sich auf unterschiedliche Quellen stützt und im angefochtenen Bescheid wiedergegeben wurde. Relevante Quellen sind:

- AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (28.2.2022): Ägypten: Steckbrief, https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/aegypten-node/steckbrief/203556, Zugriff 26.8.2022

- AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (26.1.2022): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in Ägypten (Stand: Dezember 2021), https://www.ecoi.net/en/file/local/2067246/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%BCber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_%C3%84gypten_%28Stand_Dezember_2021%29%2C_26.01.2022.pdf, Zugriff 1.8.2022

- AI - Amnesty International (29.3.2022): Amnesty International Report 2021/22; Zur weltweiten Lage der Menschenrechte; Ägypten 2021, https://www.ecoi.net/de/dokument/2070273.html, Zugriff 1.8.2022

- FH - Freedom House (28.2.2022): Freedom in the World 2022 - Egypt, https://www.ecoi.net/de/dokument/2068728.html, Zugriff 23.8.2022

- HRW - Human Rights Watch (13.1.2022): World Report 2021 - Egypt, https://www.ecoi.net/de/dokument/2066548.html, Zugriff 23.8.2022

- ÖB - Österreichische Botschaft Kairo [Österreich] (6.2022): Asylländerbericht Ägypten, https://www.ecoi.net/en/file/local/2075269/AEGY_%C3%96B_Bericht_2022_06.pdf, Zugriff 1.8.2022

- USDOS - US Department of State [USA] (12.4.2022): Country Report on Human Rights Practices 2021 - Egypt, https://www.ecoi.net/de/dokument/2071155.html, Zugriff 1.8.2022

3. Rechtliche Beurteilung:

Zu A)

Voraussetzung für die Zuerkennung des Status eines Asylberechtigten ist, dass dem Asylwerber im Herkunftsstaat Verfolgung im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK, also aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung, droht.

Die Beschwerdeführerin hat sich vom Islam abgewandt und ist zum evangelischen Glauben konvertiert. Sie stammt aus einer muslimischen Familie, die - ebenso wie ihr früherer Ehemann, von dem sie sich scheiden ließ - Kenntnis von ihrer Konversion hat. Eine Konversion zum Christentum wird von den ägyptischen Behörden nicht anerkannt und gesellschaftlich geächtet.

Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur Frage einer drohenden Verfolgung von zum christlichen Glauben konvertierten Muslimen ist maßgeblich, ob der Asylwerber bei weiterer Ausführung seines behaupteten inneren Entschlusses, nach dem christlichen Glauben zu leben, mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit damit rechnen müsse, aus diesem Grund mit einer die Intensität von Verfolgung erreichenden Sanktion belegt zu werden (vgl. VwGH 18.5.2017, Ra 2016/20/0022, mwN). Der Verwaltungsgerichtshof hat unter Hinweis auf die Judikatur des EuGH bereits erkannt, dass eine begründete Furcht des Antragstellers vor asylrelevanter Verfolgung vorliegt, sobald nach Auffassung der zuständigen Behörden im Hinblick auf die persönlichen Umstände des Antragstellers vernünftigerweise anzunehmen ist, dass er nach Rückkehr in sein Herkunftsland religiöse Betätigungen vornehmen wird, die ihn der tatsächlichen Gefahr einer Verfolgung aussetzen (vgl. VwGH 20.8.2020, Ra 2020/19/0239, mwN). Bei der Beurteilung eines behaupteten Religionswechsels und der Prüfung einer Scheinkonversion kommt es auf die aktuell bestehende Glaubensüberzeugung des Konvertiten an, die im Rahmen einer Gesamtbetrachtung anhand einer näheren Beurteilung von Zeugenaussagen und einer konkreten Befragung des Asylwerbers zu seinen religiösen Aktivitäten zu ermitteln ist (vgl. VwGH 13.2.2020, Ra 2019/19/0398, mwN).

Die Beschwerdeführerin konnte im gegenständlichen Verfahren ihre innere, tatsächliche Hinwendung zum Christentum glaubhaft machen und ist in ihrem Fall auch davon auszugehen, dass sie bei einer Rückkehr religiöse Betätigungen vornehmen wird, die sie der tatsächlichen Gefahr einer Verfolgung aussetzen. Ihre Abkehr vom islamischen Glauben ist unter anderem daran erkennbar, dass sie im Gegensatz zu früher auch kein Kopftuch mehr trägt und ein Kreuz als Anhänger hat. Dass sie nicht aus einer koptischen Familie stammt, ergibt sich aus ihren Nachnamen und ist leicht erkennbar, so dass ihre Konversion in Ägypten erkennbar wäre.

Hinzu kommt, dass die Beschwerdeführer die Öffentlichkeit sucht und über soziale Medien ihre politischen und religiösen Ansichten teilt. Im Falle einer Rückkehr wird sie daher mit hoher Wahrscheinlichkeit entweder von ihrem Bruder, ihrem früheren Ehemann oder Teilen der ägyptischen Gesellschaft aufgrund ihrer Konversion Verfolgung erfahren. Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes kommt einer von Privatpersonen bzw. privaten Gruppierungen ausgehenden, auf einem Konventionsgrund beruhenden Verfolgung Asylrelevanz zu, wenn der Staat nicht gewillt oder nicht in der Lage ist, diese Verfolgungshandlungen hintan zu halten. (vgl. VwGH 10.04.2020, Ra 2019/19/0415 bis 0416, mwN). Von den Behörden hat die Beschwerdeführerin als zum Christentum Konvertierte keinen Schutz zu erwarten, wie den oben zitierten Länderberichten zu entnehmen ist. Aus diesen Berichten ergibt sich auch, dass die Lage für konvertierte Frauen besonders hart ist. Von einer staatlichen Schutzwilligkeit kann daher im gegenständlichen Fall nicht ausgegangen werden.

Zudem steht die Beschwerdeführerin im Fokus der ägyptischen Sicherheitsbehörden, alleine schon aufgrund ihrer Ausbildung, ihrer Position als geschiedene Frau und ihrer bereits erfolgten Abschiebung aus der Schweiz im Jahr 2021. Ihre Kritik am aktuellen Regime findet sich auf dem unter ihrem Namen geführten Facebook-Account wieder und nahm sie an einer Demonstration vor der ägyptischen Botschaft in Wien teil, die von Botschaftsangehörigen fotografiert wurde.

Die Möglichkeiten, sich als alleinstehende, zum Christentum konvertierte Frau eine Existenz abseits der Familie aufzubauen, scheint laut Länderberichten in Ägypten sehr eingeschränkt zu sein. Das Gericht verkennt nicht, dass es eine koptische Gemeinde gibt und diese in Ägypten in gewissen Bereichen diskriminiert, aber nicht systematisch verfolgt wird. Eine Konversion vom Islam zum Christentum wird von der Gesellschaft und den Behörden aber anders beurteilt und wäre es der Beschwerdeführerin nicht einmal möglich, Identitätsdokumente zu erhalten, da die Behörden sich weigern, ihre Religion einzutragen. Eine zumutbare innerstaatliche Fluchtalternative besteht daher im gegenständlichen Fall nicht.

Es ist somit glaubhaft, dass der Beschwerdeführerin aufgrund ihrer Religion und auch aufgrund ihrer politischen Gesinnung Verfolgung im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK droht.

Der Vollständigkeit halber sei darauf verwiesen, dass die Beschwerdeführerin sich bereits vor ihrer Einreise nach Österreich mit dem Christentum beschäftigt hatte und die Konversion daher Ausdruck und Fortsetzung einer bereits im Herkunftsstaat bestehenden Überzeugung im Sinne des § 3 Abs. 2 AsylG 2005 ist.

Da auch keine Hinweise auf das Vorliegen von in Art. 1 Abschnitt C oder F der GFK genannten Endigungs- oder Ausschlussgründen vorliegen, war der Beschwerde stattzugeben, und der Beschwerdeführerin gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 der Status einer Asylberechtigten zuzuerkennen.

Gemäß § 3 Abs. 5 AsylG 2005 war die Entscheidung über die Zuerkennung des Status der Asylberichtigten mit der Feststellung zu verbinden, dass der Beschwerdeführerin damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.

Der Vollständigkeit halber ist auch noch darauf hinzuweisen, dass der gegenständliche Antrag auf internationalen Schutz nach dem 15.11.2015 gestellt wurde, wodurch insbesondere die §§ 2 Abs. 1 Z 15 und 3 Abs. 4 AsylG 2005 idF des Bundesgesetzes BGBl. I 24/2016 ("Asyl auf Zeit") gemäß § 75 Abs. 24 leg. cit. im konkreten Fall Anwendung finden.

Zu B) (Un)Zulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.

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