JudikaturBVwG

W218 2299936-1 – Bundesverwaltungsgericht Entscheidung

Entscheidung
30. Januar 2025

Spruch

W218 2299936-1/11E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag. Benedikta TAURER über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , StA. Syrien, vertreten durch die BBU Bundesagentur für Betreuungs- und Unterstützungsleistungen GmbH, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl, Regionaldirektion Wien, vom 03.08.2024, Zl. XXXX , wegen § 3 AsylG nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 22.01.2025, zu Recht erkannt:

A)

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang:

1. Der Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger Syriens, reiste illegal in Österreich ein und stellte am 27.12.2022 einen Antrag auf internationalen Schutz.

2. In der Erstbefragung vor Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes gab der Beschwerdeführer am selben Tag an, Staatsangehöriger von Syrien, ledig, Angehöriger der Volksgruppe der Araber, mit muslimischem Glauben, am XXXX geboren und in XXXX , wohnhaft gewesen zu sein.

Er habe Syrien bereits 2013 zu Fuß in Richtung Türkei verlassen, wo er neun Jahre aufhältig gewesen und anschließend schlepperunterstützt bis nach Österreich gelangt sei.

Zu seinen Fluchtgründen befragt gab der Beschwerdeführer an: „Ich war beim syrischen Militär als Soldat tätig. Ich wollte mich nicht am Krieg beteiligen und bin deshalb desertiert. Das sind alle meine Fluchtgründe.“

3. Im Rahmen einer niederschriftlichen Einvernahme vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl am 19.03.2024 gab der Beschwerdeführer unter anderem an, dass er gesund sei. Im Herkunftsstaat leben noch die Eltern sowie Brüder und Schwestern des Beschwerdeführers, lediglich ein Bruder und zwei Schwestern wären in Saudi-Arabien. Der Beschwerdeführer habe in Syrien neun Jahre die Schule besucht und dort als Rezeptionist in einem Hotel gearbeitet.

Zu seinen Fluchtgründen befragt gab der Beschwerdeführer an, er werde vom syrischen Regime gesucht, da er desertiert sei.

Der Beschwerdeführer legte Dokumente vor.

4. Im Rahmen einer weiteren niederschriftlichen Einvernahme vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl am 02.08.2024 gab der Beschwerdeführer an, er sei desertiert, da der Befehl gekommen wäre, dass gegen Demonstranten mit Waffengewalt vorzugehen sei. Er habe einen Antrag auf Urlaub gestellt und sei während der freien Tage geflüchtet. Die Grundausbildung im Ausmaß von sechs Monaten habe er in der XXXX in XXXX absolviert, anschließend sei er in XXXX stationiert gewesen und habe nach ca. einem Jahr desertiert. Der Beschwerdeführer habe von seiner Geburt bis 2005/2006 in XXXX gelebt, sei dann nach XXXX gezogen, wo er in einer Mietwohnung gelebt hätte.

5. Mit dem angefochtenen Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 03.08.2024 wurde der Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz gemäß § 3 Abs. 1 iVm. § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten (Spruchpunkt I.) abgewiesen. Dem Beschwerdeführer wurde gemäß § 8 Absatz 1 AsylG der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt und ihm eine befristete Aufenthaltsberechtigung erteilt.

6. Gegen diesen ordnungsgemäß zugestellten Bescheid erhob der Beschwerdeführer fristgerecht Beschwerde. Darin wurde zusammengefasst ausgeführt, dass der Beschwerdeführer bis 2006 in XXXX gelebt hätte und anschließend zum Arbeiten nach XXXX gezogen wäre. Im Jahr 2010 sei er zum Grundwehrdienst einberufen worden und als Rekrut tätig gewesen. Er habe für den Zeitraum XXXX Urlaub erhalten, den er für die Desertion genutzt hätte. Den Eltern des Beschwerdeführers sei eine Mitteilung übergeben worden, wonach der Beschwerdeführer wegen der Desertion gesucht werde. Im Herkunftsort des Beschwerdeführers XXXX sei die syrische Regierung an der Macht, er könne jedoch auch seinen Geburtsort XXXX ohne Kontakt zum syrischen Regime nicht erreichen. Dem Beschwerdeführer drohe aufgrund der Desertion Verfolgung und sei ihm daher der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen.

7. Die Spruchpunkte II. und III. sind in Rechtskraft erwachsen.

8. Das Bundesverwaltungsgericht hat über die eingebrachte Beschwerde am 22.01.2025 eine öffentliche, mündliche Verhandlung durchgeführt. Im Zuge dieser Verhandlung wurde Beweis erhoben durch Parteienvernehmung des Beschwerdeführers.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

1.1. Zur Person des Beschwerdeführers:

Der Beschwerdeführer ist Staatsangehöriger von Syrien und Angehöriger der Volksgruppe der Araber, mit muslimischem sunnitischem Glauben. Er lebte bis zu seiner Ausreise in XXXX , sein Geburtsort ist in XXXX . Die Identität des Beschwerdeführers steht nicht fest.

Seine Kernfamilie lebt nach wie vor in Syrien.

Der Beschwerdeführer verließ Syrien 2012 und lebte bis 2022 in der Türkei.

Der Beschwerdeführer war in Syrien keiner konkreten individuellen Verfolgung ausgesetzt und wurden von ihm asylrelevante Gründe für das Verlassen des Heimatstaates nicht glaubhaft dargetan. Es ist nicht glaubhaft, dass dem Beschwerdeführer in Syrien aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung Verfolgung droht. Auch nicht aufgrund seiner illegalen Ausreise oder seiner Asylantragstellung in Österreich.

Der Beschwerdeführer hatte keine Probleme mit den Behörden im Heimatland. Der Beschwerdeführer war nie politisch tätig und gehörte nie einer politischen Partei an. Er ist in Syrien weder vorbestraft noch war er dort inhaftiert.

Als Herkunftsgebiet wird XXXX geprüft. Das Herkunftsgebiet des Beschwerdeführers ist aktuell unter der Kontrolle der Kurden (vgl. https://syria.liveuamap.com/), dem Beschwerdeführer droht weder mit hinreichender Wahrscheinlichkeit eine Zwangsrekrutierung durch die kurdischen Streitkräfte oder andere oppositionelle Gruppierungen.

Der Beschwerdeführer hat seinen Wehrdienst von 2010 bis 2012 abgeleistet und bringt vor, desertiert zu sein. Er hat keinerlei Spezialausbildung im Zuge seines Wehrdienstes erhalten und verfügt auch sonst über keine besonderen Qualifikationen. Er hat sich auch nicht freiwillig zum Wehrdienst gemeldet und hat auch an keinen Kampfhandlungen gegen die Rebellen teilgenommen.

Der Beschwerdeführer war eigenen Angaben zufolge nicht politisch tätig, war und ist kein Mitglied einer politischen Bewegung und ist auch sonst nicht in das Blickfeld der HTS oder anderer Konfliktparteien, etwa wegen einer (unterstellten) oppositionellen Haltung, geraten. Es bestehen überdies keinerlei Anhaltspunkte, dass der Beschwerdeführer aufgrund seines muslimisch sunnitischen Glaubens oder seiner Ethnie als Araber mit der HTS in Konflikt stünde. Die Angehörigen der HTS gehören selbst – soweit aus der herangezogenen Berichtslage ersichtlich – der sunnitischen Ausrichtung des Islams an.

Der Beschwerdeführer lebt seit 2012 nicht mehr in Syrien. Der Beschwerdeführer lebte jedenfalls von 2012 bis 2022 in der Türkei.

Der Beschwerdeführer hat die Türkei aus wirtschaftlichen Überlegungen verlassen.

1.2. Zu den Fluchtgründen des Beschwerdeführers:

Vorweg wird festgehalten, dass am 27.11.2024 von Seiten oppositioneller Kräfte unter Führung der Hay’at Tahrir ash-Sham (HTS) nach umfangreicher Vorbereitung eine Operation unter dem Titel „Abschreckung der Aggression“ gestartet wurde, welche rasch bedeutende Kontrollveränderungen auf dem syrischen Staatsgebiet zur Folge hatte. Am 08.12.2024 erlangten die Operationskräfte die Kontrolle über XXXX und beendeten damit die Herrschaft des syrischen Regimes. Der frühere Machthaber Bashar al-Assad hat das Land verlassen und sich auf russisches Territorium begeben. Die nunmehr machtausübenden Akteure haben insgesamt eine Neuordnung des syrischen Staates in Aussicht gestellt, der diesbezügliche Zeitplan beinhaltet die Installation einer neuen Verfassung in drei Jahren, die Abhaltung von Wahlen in vier Jahren sowie die Auflösung sowohl aller Geheimdienste als auch der HTS.

Aufgrund der Machtübernahme der HTS in weiten Teilen Syriens ist der Militärdienst in der syrischen Armee unter dem vormaligen Regime nicht mehr existent und seit der oppositionellen Machtübernahme wurde bislang kein verpflichtender Militärdienst eingerichtet.

Ein Eingehen auf die ursprünglich vorgebrachten Befürchtungen des Beschwerdeführers, wegen seiner angeblichen Desertion vom syrischen Regime gesucht zu werden, kann daher unterbleiben.

Die Herkunftsregion des Beschwerdeführers steht unverändert unter der Kontrolle der Kurden.

Dazu wird festgehalten, dass am 04.09.2021 in der „Demokratischen Selbstverwaltung für Nord- und Ostsyrien“ (kurdische Selbstverwaltungsregion) das Dekret Nr. 3 erlassen wurde, welches die Wehrpflicht auf Männer im Alter zwischen 18 und 24 Jahren (geboren 1998 oder später) beschränkt. Zuvor war das Alterslimit - bis 40 Jahre - höher. Da der Beschwerdeführer XXXX geboren ist, unterliegt er auch keiner Selbstverteidigungspflicht mehr bei den Kurden. Er ist mit seinen 34 Jahren sogar bereist weit entfernt von einer drohenden Einberufung. Eine maßgebliche Wahrscheinlichkeit einer Zwangsrekrutierung des Beschwerdeführers durch kurdische Kräfte besteht nicht. Dem Beschwerdeführer droht selbst bei einer Weigerung, der Selbstverteidigungspflicht nachzukommen bei einer Rückkehr nach Syrien in seine Herkunftsregion nicht mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit eine reale Gefahr der Verfolgung bzw. der Zwangsrekrutierung seitens der kurdischen Milizen.

Der Beschwerdeführer war in Syrien keiner konkreten individuellen Verfolgung ausgesetzt und wurden von ihm asylrelevante Gründe für das Verlassen des Heimatstaates nicht glaubhaft dargetan.

Wenn der Beschwerdeführer pauschal vorbringt, dass alle Männer von den Kurden eingezogen würden, so deckt sich dies weder mit den Länderberichten noch ergibt sich dies aus der aktuellen Berichterstattung aus Syrien. Dass seine Verwandten alle verpflichtet worden wären, bringt er auch erst auf Nachfrage der erkennenden Richterin vor. Zunächst berichtete er nämlich, dass alle seine Verwandten noch in Syrien leben würden, dass sie derzeit Probleme in Syrien hätten, erwähnte er erst auf Nachfrage.

Auffällig ist auch, dass er diese drohende Zwangsrekrutierung durch kurdische Kräfte erstmals in der mündlichen Verhandlung erwähnt. Davor befürchtetet er immer nur Verfolgung wegen seiner Desertion, obwohl sein Herkunftsgebiet bereits seit längerem unter kurdischer Herrschaft steht, hat er niemals Befürchtungen vor den Kurden bzw. vor einer Zwangsrekrutierung durch die Kurden geäußert.

Dem Beschwerdeführer droht wegen seiner illegalen Ausreise und seiner Asylantragstellung keine Gefahr der Anwendung physischer und/oder psychischer Gewalt. Eine Verfolgung aufgrund der Ausreise des Beschwerdeführers bzw. einer ihm hierdurch allfällig unterstellten oppositionellen Haltung ist unwahrscheinlich. Nicht jedem Rückkehrer, der aus Syrien ausgereist ist und der im Ausland einen Asylantrag gestellt hat, wird eine oppositionelle Gesinnung unterstellt.

An dieser Einschätzung hat sich auch aufgrund der Lageänderung in Syrien nichts geändert.

1.3. Zur relevanten Situation in Syrien:

Die Feststellungen zur aktuellen Lage beruhen auf den jüngsten BAMF Briefing Notes seit 09.12.2024, der Kurzinformation der Staatendokumentation vom 10.12.2024 zu Syrien, Sicherheitslage, Politische Lage Dezember 2024: Opposition übernimmt Kontrolle, al-Assad flieht, dem Bericht des ISW – Institute for the Study of War, Iran Update, December 16, 2024, dem jüngsten UNHCR - Regional Flash Update #4 Syria situation crisis vom 16.12.2024 und der UNHCR Position über die Rückkehr in die Syrische Arabische Republik vom Dezember 2024, sowie auf zahlreichen aktuellen Berichten aus öffentlich zugänglichen Medien.

BAMF Briefing Notes Gruppe 62 – Informationszentrum Asyl und Migration, SYRIEN, 16.12.2024

Machtwechsel; Schicksal vieler Assad-Getreuer ungewiss

Am 13.12.24 kamen in Damaskus Zehntausende Menschen am Umayyaden-Platz, einem Kreisverkehr nahe der gleichnamigen Moschee im Zentrum der Stadt, zusammen, um das Freitagsgebet zu begehen und das Ende der Assad-Herrschaft zu feiern. Die Predigt in der Umayyaden-Moschee wurde von Interims-Premierminister al-Bashir gehalten. Der Anführer der Hayat Tahrir al-Sham (HTS), Ahmad al-Sharaa, der inzwischen seinen Kampfnamen Abu Mohammed al-Jolani abgelegt hat, wandte sich in einer Videobotschaft an die Bevölkerung, um ihr zu gratulieren.

Am 11.12.24 hatte al-Sharaa in einer schriftlichen Stellungnahme angekündigt, keine Begnadigungen für Personen auszusprechen, die an der Folter oder dem Mord von Häftlingen unter der Assad-Regierung beteiligt waren. Man werde die im Land verbliebenen Täter ausfindig machen und ausländische Staaten um eine Überstellung bitten. Die in London ansässige Syrische Beobachtungsstelle für Menschenrechte (SOHR) berichtete am selben Tag von Übergriffen bewaffneter Gruppen auf Personen in Wohnvierteln, die als Assad-Hochburgen bekannt waren. Es soll demnach zu Plünderungen und Einschüchterungen gekommen sein. Während prominente Assad-Anhänger wie dessen Bruder Maher oder Generalmajor Al Mamlouk Berichten zufolge nach Russland bzw. Libanon geflohen sein sollen, ist der Verbleib vieler weiterer Führungspersönlichkeiten der gestürzten Regierung ungeklärt.

Am 14.12.24 eröffnete der türkische Außenminister Hakan Fidan die türkische Botschaft in Damaskus, die seit dem Jahr 2012 geschlossen war.

Nordostsyrien: SDF geben Manbij auf; hissen die neue Flagge Syriens

Die kurdisch geführten Demokratischen Kräfte Syriens (SDF) erklärten am 11.12.24, einem durch die USA und Türkei vermittelten (vgl. BN v. 09.12.24) Waffenstillstandsabkommen zugestimmt zu haben, wonach sie ihre Streitkräfte aus Manbij abziehen mussten. Die Ortschaft steht damit unter der Kontrolle der Syrischen Nationalen Armee (SNA), einem aus der Türkei geförderten islamistischen Rebellenverbund. Manbij befand sich seit mehr als acht Jahren unter Kontrolle der SDF, nachdem sie den IS im August 2016 aus der Ortschaft vertrieben hatten. Die Führung der SDF kritisierte die USA dafür, die Angriffe der Türkei und der mit ihr verbündeten Milizen auf die Kurden nicht verhindert haben zu können, schließlich sei Manbij auch mit Hilfe des US-Militärs vom IS befreit worden. Dieser könne eine Schwächung der SDF in der Region möglicherweise auch für sich zu nutzen wissen. US-Angaben zufolge halten die SDF derzeit noch ca. 9.000 IS-Kämpfer in über 20 Haftanstalten verteilt über Nordostsyrien gefangen.

Am 12.12.24 erklärte die Demokratische Autonome Administration von Nord- und Ostsyrien (DAANES), das zivile Pendant zu den SDF, auf allen Gebäuden ihrer Institutionen die neue Flagge Syriens gehisst zu haben. In der Stellungnahme bekannte sie sich zur Einheit Syriens und ihrer nationalen Identität. Bis dato positionierte sich die DAANES seit Jahren als dritte Partei zwischen syrischer Regierung und der bewaffneten Opposition. In dem symbolischen Akt kann eine Bereitschaft zur Zusammenarbeit mit den neuen Herrschern in Damaskus gesehen werden.

Fluchtbewegungen

Aktualisierten Zahlen der UN zufolge sind im Zuge der HTS-Offensive 1,1 Mio. Menschen zu Binnenflüchtlingen geworden, insbesondere Bewohnerinnen und Bewohner der Gouvernements Aleppo, Idlib, Hama und Homs. Fluchtbewegungen können vor allem in die Gouvernements Idlib, Hama, Rif Dimashq, Aleppo und Tartus verzeichnet werden. Demgegenüber hätten ca. 5.000 Menschen ihre Notunterkunft in Binnenvertriebenenlagern verlasen, um in ihre Häuser zurückzukehren. In den meisten Regionen habe sich die Sicherheitslage zuletzt verbessert, nur in Nordostsyrien sprechen die UN von einer volatilen Situation infolge von großen territorialen und politischen Veränderungen.

Die UN berichten außerdem mit Stand 13.12.24, dass seit dem 08.12.24 etwas weniger als 10.000 Menschen aus dem Libanon nach Syrien zurückgekehrt seien. Zehntausende wären zur selben Zeit (vor dem Hintergrund des Waffenstillstandes zwischen Israel und Hisbollah) von Syrien in den Libanon zurückgekehrt. Etwa 1.000 Syrerinnen und Syrer wären demnach in den Irak geflohen, 800 Personen alleine am 11.12.24.

09.12.2024, Sturz der Assad-Regierung

Mit der weitgehend kampflosen Einnahme weiterer Gouvernementhauptstädte (05.12.24 Hama, 07.12.24 Homs) fiel am Morgen des 08.12.24 schließlich auch die Hauptstadt Damaskus unter die Kontrolle von Hayat Tahrir al-Sham (HTS).

Zur Offensive aus dem Nordwesten (vgl. BN v. 02.12.24) kamen spontan regionale bewaffnete Aufstände hinzu, wodurch auch die südlichen Gouvernements Suweida und Dar’a von Umstürzen erfasst wurden. Am 06.12.24 rief außerdem die russische Botschaft in Damaskus ihre Staatsbürgerinnen und Staatsbürger zum Verlassen des Landes auf und das iranische Militär verließ das Land über die Grenzübergänge nach Irak und Libanon oder den Luft- bzw. Seeweg über Latakia.

Die syrische Armee verließ Medienberichten zufolge in großer Zahl ihre Posten und ließ militärisches Gerät und Ausrüstung zurück. Zu Tausenden sollen Soldaten desertiert sein, ihre Militäruniformen durch zivile Kleidung ersetzt und sich unter die Zivilbevölkerung gemischt haben. Die staatlichen Institutionen des Landes würden der HTS-Miliz zufolge zunächst unter der Aufsicht des bisherigen Premierministers stehen, der die Übergangszeit begleite. Nach gegenwärtiger Informationslage ist noch nicht bekannt, ob HTS-Kämpfer bereits in die Gouvernementhauptstädte der syrischen Küste, Latakia und Tartus, vorgedrungen sind, wo sich die große Mehrheit der Alawiten im Land und eine Machtbasis des laut Medienberichten mit russischer Unterstützung nach Moskau geflohenen ehemaligen Präsidenten Assad befindet. Abu Mohammed al-Jolani, Anführer der islamistischen HTS-Miliz, betrat am 08.12.24 medienwirksam die Umayyaden-Moschee in Damaskus, wo er eine Siegesrede über die Assad-Herrschaft und „iranische Bestrebungen“ in Syrien hielt.

Außerdem große Beachtung fand die Einnahme des berüchtigten Sednaya-Gefängniskomplexes, wo zahlreiche Männer, Frauen und Kinder befreit wurden. Die Gefängnisanlage enthält Berichten zufolge mehrere unterirdische und zum Teil verbarrikadierte Etagen, zu denen am Morgen des 09.12.24 Rettungskräfte noch immer nicht vollständig durchgedrungen waren. Eine Untersuchung durch die UN im Jahr 2016 hatte ergeben, dass während der Assad-Herrschaft so viele Menschen in den Gefängnissen zu Tode gefoltert wurden, dass sie in ihrem Bericht den Begriff „Vernichtung“ verwendet hat.

Aus den Protesten gegen die Assad-Herrschaft, die im Jahr 2011 im Zuge des sogenannten Arabischen Frühlings ihren Anfang nahmen, gelang es der Opposition nie, jenseits der Forderung nach dem Sturz der Regierung eine gemeinsame Vorstellung hinsichtlich einer neuen Staatsordnung für die Zeit nach Assad zu formulieren.

Nordsyrien: SNA und türkische Armee greifen SDF an

Mehreren übereinstimmenden Berichten zufolge griff die türkische Armee am 08.12.24 Stellungen der Demokratischen Kräfte Syriens (SDF) in Manbij im Norden des Gouvernements Aleppo mit Drohnen an, nachdem es am Vortag bereits zu Kämpfen zwischen den SDF und der Syrischen Nationalen Armee (SNA) gekommen war. Den SDF zufolge waren dabei mindestens 22 ihrer Kämpfer getötet und 40 weitere verletzt worden.

Den UN zufolge sollen in Nordsyrien bereits zum 05.12.24 etwa zwischen 60.000 und 80.000 Personen vor anhaltenden Kämpfen zwischen SDF und SNA geflohen sein.

Sowohl SDF als auch SNA begrüßten den Fall der Assad-Regierung, stehen sich im Kampf um die Kontrolle der nördlichen (teils mehrheitlich kurdisch bevölkerten) Gebieten jedoch feindlich gegenüber. Die Verteidigungsminister der USA und der Türkei telefonierten nach den Kampfhandlungen miteinander, um eine Deeskalation zu bewirken.

USA bombardieren IS-Stellungen; Israel sichert Golanhöhen

Die USA verkündeten am 08.12.24, Dutzende Stellungen des IS in Zentralsyrien aus der Luft angegriffen zu haben. Insgesamt 75 Ziele sollen demnach getroffen worden sein. Es lägen demnach keine Berichte über zivile Opfer vor. Der Zeitpunkt der Angriffe sei so gewählt worden, damit der IS die volatile politische Lage im Land nicht für sich nutzen könne.

Einem Zeitungsbericht zufolge hat sich das israelische Militär am 08.12.24 erstmals seit dem Oktober- bzw. Jom-Kippur-Krieg im Jahr 1973 auf syrisches Territorium jenseits der annektierten Golanhöhen bewegt. Es sei die Bergregion im syrischen Gouvernement Quneitra um den Gipfel Hermon, der höchste Berg Syriens, gesichert worden, um eine temporäre „Pufferzone“ einzurichten, bis eine Vereinbarung über die Nachbarschaft mit den neuen Herrschern in Damaskus getroffen worden sei.

Außerdem habe die israelische Luftwaffe am 07.12. und 08.12.24 mehrere Militäranlagen Syriens bombardiert. Diese sollten das verbliebene Chemiewaffenarsenal des Landes lagern. Dabei wurden auch Elemente russischer Luftabwehrsysteme und ein Arsenal an ballistischen Boden-Boden-Raketen zerstört.

Kurzinformation der Staatendokumentation SYRIEN, 10.12.2024

Sicherheitslage, Politische Lage Dezember 2024: Opposition übernimmt Kontrolle, al-Assad flieht

1. Zusammenfassung der Ereignisse

Nach monatelanger Vorbereitung und Training (NYT 1.12.2024) starteten islamistische Regierungsgegner unter der Führung der Hay’at Tahrir ash-Sham (HTS) (Standard 1.12.2024) die Operation „Abschreckung der Aggression“ – auf نن Arabisch: ردع العدوا - Rad’a al-‘Adwan (AJ 2.12.2024) und setzten der Regierung von Präsident Bashar al-Assad innerhalb von 11 Tagen ein Ende.

Am 30.11. nahmen die Oppositionskämpfer Aleppo ein und stießen weiter in Richtung der Stadt Hama vor, welche sie am 5.12. einnahmen. Danach setzten sie ihre Offensive in Richtung der Stadt Homs fort (AJ 8.12.2024). Dort übernahmen sie die Kontrolle in der Nacht vom 7.12. auf 8.12. (BBC 8.12.2024).

Am 6.12. zog der Iran sein Militärpersonal aus Syrien ab (NYT 6.12.2024). Russland forderte am 7.12. seine Staatsbürger auf, das Land zu verlassen (FR 7.12.2024). Am 7.12. begannen lokale Milizen und Rebellengruppierungen im Süden Syriens ebenfalls mit einer Offensive und nahmen Daraa ein (TNA 7.12.2024; Vgl. AJ 8.12.2024), nachdem sie sich mit der Syrischen Arabischen Armee auf deren geordneten Abzug geeinigt hatten (AWN 7.12.2024). Aus den südlichen Provinzen Suweida und Quneitra zogen ebenfalls syrische Soldaten, sowie Polizeichefs und Gouverneure ab (AJ 7.12.2024). Erste Oppositionsgruppierungen stießen am 7.12. Richtung Damaskus vor (AJ 8.12.2024). Am frühen Morgen des 8.12. verkündeten Medienkanäle der HTS, dass sie in die Hauptstadt eingedrungen sind und schließlich, dass sie die Hauptstadt vollständig unter ihre Kontrolle gebracht haben (Tagesschau 8.12.2024). Die Einnahme Damaskus’ ist ohne Gegenwehr erfolgt (REU 9.12.2024), die Regierungstruppen hatten Stellungen aufgegeben, darunter den Flughafen (Tagesschau 8.12.2024). Das Armeekommando hatte die Soldaten außer Dienst gestellt (Standard 8.12.2024).

Russland verkündete den Rücktritt und die Flucht von al-Assad (BBC 8.12.2024). Ihm und seiner Familie wurde Asyl aus humanitären Gründen gewährt (REU 9.12.2024).

Kurdisch geführte Kämpfer übernahmen am 6.12.2024 die Kontrolle über Deir ez-Zour im Nordosten Syriens, nachdem vom Iran unterstützte Milizen dort abgezogen waren (AJ 7.12.2024), sowie über einen wichtigen Grenzübergang zum Irak. Sie wurden von den USA bei ihrem Vorgehen unterstützt (AWN 7.12.2024).

Die von der Türkei unterstützten Rebellengruppierungen unter dem Namen Syrian National Army (SNA) im Norden Syriens starteten eine eigene Operation gegen die von den Kurden geführten Syrian Democratic Forces (SDF) im Norden von Aleppo (BBC 8.12.2024). ج فف ج Im Zuge der Operation „Morgenröte der Freiheit“ (auf Arabisch رال ر ح ة يية - Fajr al-Hurriya) nahmen diese Gruppierungen am 9.12.2024 die Stadt Manbij ein (SOHR 9.12.2024). Die Kampfhandlungen zwischen Einheiten der durch die Türkei unterstützten Syrian National Army (SNA) auf der einen Seite und den SDF auf der anderen Seite dauerten danach weiter an. Türkische Drohnen unterstützten dabei die Truppen am Boden durch Luftangriffe (SOHR 9.12.2024b).

Der Syrischen Beobachtungsstelle für Menschenrechte zufolge sind seit Beginn der Offensive 910 Menschen ums Leben gekommen, darunter 138 Zivilisten (AAA 8.12.2024). Beim Vormarsch auf Homs waren tausende Menschen Richtung Küste nach Westen geflohen (AJ 6.12.2024). Bei der Offensive gegen Manbij wurden hingegen einige Zivilisten in Richtung Osten vertrieben (SOHR 9.12.2024).

In Damaskus herrschte weit verbreitetes Chaos nach der Machtübernahme durch die Opposition. So wurde der Sturz von Assad mit schweren Schüssen gefeiert und Zivilisten stürmten einige staatliche Einrichtungen, wie die Zentralbank am Saba-Bahrat-Platz, das Verteidigungsministerium (Zivilschutz) in Mleiha und die Einwanderungs- und Passbehörde in der Nähe von Zabaltani, außerdem wurden in verschiedenen Straßen zerstörte und brennende Fahrzeuge gefunden (AJ 8.12.2024b). Anführer al-Joulani soll die Anweisung an die Oppositionskämpfer erlassen haben, keine öffentlichen Einrichtungen anzugreifen (8.12.2024c) und erklärte, dass die öffentlichen Einrichtungen bis zur offiziellen Übergabe unter der Aufsicht von Ministerpräsident Mohammed al-Jalali aus der Assad-Regierung bleiben (Rudaw 9.12.2024).

Gefangene wurden aus Gefängnissen befreit, wie aus dem berüchtigten Sedanaya Gefängnis im Norden von Damaskus (AJ 8.12.2024c).

2. Die Akteure

Syrische Arabische Armee (SAA): Die Syrische Arabische Armee kämpfte gemeinsam mit den National Defense Forces, einer regierungsnahen, paramilitärischen Gruppierung. Unterstützt wurde die SAA von der Hisbollah, Iran und Russland (AJ 8.12.2024).

Die Einheiten der syrischen Regierungstruppen zogen sich beim Zusammenstoß mit den Oppositionskräften zurück, während diese weiter vorrückten. Viele Soldaten flohen oder desertierten (NZZ 8.12.2024). In Suweida im Süden Syriens sind die Soldaten der Syrischen Arabischen Armee massenweise desertiert (Standard 7.12.2024). Am 7.12. flohen mehrere Tausend syrische Soldaten über die Grenze in den Irak (Arabiya 7.12.2024; vgl. Guardian 8.12.2024). Präsident al-Assad erhöhte am 4.12. die Gehälter seiner Soldaten, nicht aber dasjenige von Personen, die ihren Pflichtwehrdienst ableisteten (TNA 5.12.2024). Dieser Versuch, die Moral zu erhöhen, blieb erfolglos (Guardian 8.12.2024).

Die Opposition forderte die Soldaten indes zur Desertion auf (TNA 5.12.2024). Aktivisten der Syrischen Beobachtungsstelle für Menschenrechte beobachteten, dass Hunderte Soldaten ihre Militäruniformen ausgezogen haben, nachdem sie entlassen wurden (SOHR 8.12.2024). Offiziere und Mitarbeiter des Regimes ließen ihre Militär- und Sicherheitsfahrzeuge in der Nähe des Republikanischen Palastes, des Büros des Premierministers und des Volkspalastes unverschlossen stehen, aus Angst von Rebellen am Steuer erwischt zu werden (AJ 8.12.2024b).

Opposition: Obwohl Hay’at Tahrir ash-Sham (HTS) den plötzlichen Vormarsch auf Aleppo gestartet hat und treibende Kraft der Offensive war haben auch andere Rebellengruppierungen sich gegen die Regierung gewandt und sich am Aufstand beteiligt (BBC 8.12.2024c).

• Hay’at Tahrir ash-Sham (HTS): Die HTS wurde 2011 als Ableger der al-Qaida unter dem Namen Jabhat an-Nusra gegründet (BBC 8.12.2024c). Im Jahr 2017 brach die Gruppierung ihre Verbindung mit der Al-Qaida (CSIS 2018) und formierte sich unter dem Namen Hay’at Tahrir ash-Sham neu, gemeinsam mit anderen Gruppierungen (BBC 8.12.2024c). Sie wird von der UN, den USA, der Europäischen Union (AJ 4.12.2024) und der Türkei als Terrororganisation eingestuft (BBC 8.12.2024c). Der Anführer der HTS, der bisher unter seinem Kampfnamen Abu Mohammed al-Joulani bekannt war, hat begonnen wieder seinen bürgerlichen Namen, Ahmad ash-Shara’a zu verwenden (Nashra 8.12.2024). Er positioniert sich als Anführer im Post-Assad Syrien (BBC 8.12.2024c). Die HTS hat in den letzten Jahren versucht, sich als nationalistische Kraft (BBC 8.12.2024b) und pragmatische Alternative zu al-Assad zu positionieren (BBC 8.12.2024c).

Der Gruppierung werden Menschenrechtsverletzungen vorgeworfen (BBC 8.12.2024c). Einem Terrorismusexperten zufolge gibt es bereits erste Videos von Personen aus dem HTS-Umfeld, die ein Kalifat aufbauen wollen (WiWo 9.12.2024).

• National Liberation Front (NFL): Eine Reihe kleinerer Kampfgruppen, aus denen sich die NFL zusammensetzt, nahmen an der Operation „Abschreckung der Aggression“ teil, darunter die Jaish al-Nasr, das Sham Corps und die Freie Idlib-Armee. Die 2018 in Idlib gegründete NFL umfasst mehrere nordsyrische Fraktionen, von denen einige auch unter das Dach der Freien Syrischen Armee fallen (AJ 2.12.2024b).

• Ahrar al-Sham Movement: Die Ahrar al-Sham-Bewegung ist hauptsächlich in Aleppo und Idlib aktiv und wurde 2011 gegründet. Sie definiert sich selbst als „umfassende reformistische islamische Bewegung, die in die Islamische Front eingebunden und integriert ist“ (AJ 2.12.2024b).

• Jaish al-Izza: Jaish al-Izza: Übersetzt: „Die Armee des Stolzes“ ist Teil der Freien Syrischen Armee und konzentriert sich auf den Norden des Gouvernements Hama und einige Teile von Lattakia. Im Jahr 2019 erhielt die Gruppierung Unterstützung aus dem Westen, darunter auch Hochleistungswaffen (AJ 2.12.2024b).

• Nur Eddin Zinki-Bewegung (Zinki): Diese Gruppierung entstand 2014 in Aleppo, versuchte 2017, sich mit der HTS zusammenzuschließen, was jedoch nicht funktionierte. Die beiden Gruppierungen kämpften 2018 gegeneinander, und „Zinki“ wurde Anfang 2019 von ihren Machtpositionen in der Provinz Aleppo vertrieben. Ein Jahr später verhandelte „Zinki“ mit der HTS, und ihre Kämpfer kehrten an die Front zurück, und seitdem ist die Gruppe unter den oppositionellen Kämpfern präsent (AJ 2.12.2024b).

• Milizen in Südsyrien: Gruppierungen aus südlichen Städten und Ortschaften, die sich in den letzten Jahren zurückhielten, aber nie ganz aufgaben und einst unter dem Banner der Freien Syrien Armeekämpften, beteiligten sich am Aufstand (BBC 8.12.2024c). In Suweida nahmen Milizen der syrischen Minderheit der Drusen Militärstützpunkte ein (Standard 7.12.2024).

• Syrian Democratic Forces (SDF): Die SDF ist eine gemischte Truppe aus arabischen und kurdischen Milizen sowie Stammesgruppen. Die kurdische Volksschutzeinheit YPG ist die stärkste Miliz des Bündnisses und bildet die militärische Führung der SDF (WiWo 9.12.2024). Sie werden von den USA unterstützt (AJ 8.12.2024). Im kurdisch kontrollierten Norden liegen die größten Ölreserven des Landes (WiWo 9.12.2024).

• Syrian National Army (SNA): Diese werden von der Türkei unterstützt (BBC 8.12.2024c) und operieren im Norden Syriens im Grenzgebiet zur Türkei (AJ 8.12.2024). Der SNA werden mögliche Kriegsverbrechen, wie Geiselnahmen, Folter und Vergewaltigung vorgeworfen. Plünderungen und die Aneignung von Privatgrundstücken, insbesondere in den kurdischen Gebieten, sind ebenfalls dokumentiert (WiWo 9.12.2024).

3. Aktuelle Lageentwicklung

Sicherheitslage:

Israel hat Gebäude der Syrischen Sicherheitsbehörden und ein Forschungszentrum in Damaskus aus der Luft angegriffen, sowie militärische Einrichtungen in Südsyrien, und den Militärflughafen in Mezzeh. Israelische Streitkräfte marschierten außerdem in al-Quneitra ein (Almodon 8.12.2024) und besetzten weitere Gebiete abseits der Golan-Höhen, sowie den Berg Hermon (NYT 8.12.2024). Die israelische Militärpräsenz sei laut israelischem Außenminister nur temporär, um die Sicherheit Israels in der Umbruchphase sicherzustellen (AJ 8.12.2024d). Am 9.12.2024 wurden weitere Luftangriffe auf syrische Ziele durchgeführt (SOHR 9.12.2024c). Einer Menschenrechtsorganisation zufolge fliegt Israel seine schwersten Angriffe in Syrien. Sie fokussieren auf Forschungszentren, Waffenlager, Marine-Schiffe, Flughäfen und Luftabwehr (NTV 9.12.2024). Quellen aus Sicherheitskreisen berichten indes, dass Israelisches Militär bis 25km an Damaskus in Südsyrien einmarschiert wäre (AJ 10.12.2024).

Das US-Central Command gab an, dass die US-Streitkräfte Luftangriffe gegen den Islamischen Staat in Zentralsyrien geflogen sind (REU 9.12.2024). Präsident Biden kündigte an, weitere Angriffe gegen den Islamischen Staat vorzunehmen, der das Machtvakuum ausnützen könnte, um seine Fähigkeiten wiederherzustellen (BBC 7.12.2024).

Russland versucht, obwohl es bis zum Schluss al-Assad unterstützte, mit der neuen Führung Syriens in Dialog zu treten. Anstatt wie bisher als Terroristen bezeichnen russische Medien die Opposition mittlerweile als „bewaffnete Opposition“ (BBC 8.12.2024d).

Sozio-Ökonomische Lage:

Die Opposition versprach, den Minderheiten keinen Schaden zuzufügen und sie nicht zu diskriminieren, egal ob es sich um Christen, Drusen, Schiiten oder Alawiten handle. Gerade letztere besetzten unter der Führung Al-Assad’s oft hohe Positionen im Militär und den Geheimdiensten (TNA 5.12.2024).

Für alle Wehrpflichtigen, die in der Syrischen Arabischen Armee gedient haben, wurde von den führenden Oppositionskräften eine Generalamnestie erlassen. Ihnen werde Sicherheit garantiert und jegliche Übergriffe auf sie wurden untersagt (Presse 9.12.2024). Ausgenommen von der Amnestie sind jene Soldaten, die sich freiwillig für den Dienst in der Armee gemeldet haben (Spiegel 9.12.2024).

Die syrischen Banken sollen ihre Arbeit am 10.12.2024 wiederaufnehmen, die Bediensteten wurden aufgefordert, an ihre Arbeitsplätze zurückzukehren (Arabiya 9.12.2024).

Die HTS, die weiterhin auf der Terrorliste der UN steht, ist seit 2016 von Sanktionen des UN-Sicherheitsrates betroffen. Diplomaten zufolge war die Streichung der HTS von der Sanktionenliste kein Thema bei der jüngsten Ratssitzung (REU 10.12.2024).

Bevor der Wiederaufbau zerstörter Städte, Infrastruktur und Öl- und Landwirtschaftssektoren beginnen kann, muss mehr Klarheit über die neue Regierung Syriens geschaffen werden (DW 10.12.2024).

ISW – Institute for the Study of War, Iran Update, December 16, 2024

HTS Anführer Ahmed al Sharaa (aka Abu Mohammad al Jolani) verkündete am 15. Dezember, dass er Wehrdienstpflicht in Syrien abschaffen werde. (https://www.ecoi.net/de/dokument/2119182.html; https://understandingwar.org/backgrounder/iran-update-december-16-2024 : HTS leader Ahmed al Sharaa (aka Abu Mohammad al Jolani) stated on December 15 that he will end mandatory conscription in Syria.)

UNHCR - Regional Flash Update #4 Syria situation crisis 16.12.2024

Syrien

Am 16. Dezember fand die erste Mission des UNHCR Aleppo zur Grenze Bab Al Hawa mit der Türkei von innerhalb Syriens statt. Die Reise verlief reibungslos und es wurden keine Straßenblockaden oder Zwischenfälle gemeldet. Das UNHCR-Team in Aleppo traf sich mit Flüchtlingen aus der Türkei, die sich darüber freuten, wieder in Syrien zu sein. Sie stammten aus verschiedenen Gebieten in Syrien, darunter Hama, Homs, Aleppo und Idlib, und nannten Unterkünfte, Blindgänger und Kriegsreste sowie den Mangel an Dienstleistungen und Existenzgrundlagen als Hauptsorgen bei ihrer Rückkehr.

In enger Abstimmung mit den Teams des UNHCR Syrien und Aleppo hat das grenzüberschreitende UNHCR-Team aus Gaziantep seit dem 12. Dezember 139 Bewertungen mit syrischen Rückkehrern aus der Türkei durchgeführt. Die Daten zeigen, dass 80% der Familien in ihre früheren Häuser in den Gouvernements Aleppo, Idlib, Hama und Damaskus zurückkehren. Es bestehen jedoch weiterhin erhebliche Herausforderungen. Wie bei Bab Al Hawa beobachtet, ist die Hauptbarriere für die Rückkehr nach Hause der fehlende Zugang zu Wohnraum und Unterkünften. Diejenigen, die nicht an ihre früheren Wohnorte zurückkehren, gehen hauptsächlich in das Gouvernement Idlib. Als Hauptgründe für die Rückkehr wurden eine verbesserte Sicherheit innerhalb Syriens und hohe Lebenshaltungskosten in der Türkei genannt. Zu den vorrangigen Bedürfnissen von rückkehrenden Flüchtlingen gehören langfristige Wohnraumlösungen, Bargeldunterstützung zur Deckung der Grundbedürfnisse und Rechtshilfe bei der zivilrechtlichen Dokumentation.

Der Nothilfekoordinator (ERC), Tom Fletcher, kam am 16. Dezember in Syrien an und überquerte die Grenze aus dem Libanon. Auf syrischer Seite trafen sich ein UNHCR-Team und der Syrisch-Arabische Rote Halbmond (SARC) mit der Delegation und informierten den ERC über die Lage an den Grenzen, die Dynamik und die Reaktion des UNHCR auf die Rückkehr und Ausreise von Flüchtlingen.

Libanon

Drei offizielle Grenzübergänge im Libanon sind weiterhin geöffnet: Arida im Norden und Qaa und Masnaa in Bekaa. Am Morgen des 16. Dezember wurde der Grenzübergang Arida aufgrund von Luftangriffen auf syrischer Seite am Vortag vorübergehend eingeschränkt. Syrer sind weiterhin von Arida nach Syrien gereist, aber in relativ geringer Zahl.

Syrer, die versuchen, in den Libanon einzureisen, müssen generell bestimmte Visa-Kriterien erfüllen. An der Grenze zu Masnaa waren in der letzten Woche mehrere Tausend Syrer, die die Einreisebestimmungen nicht erfüllten, im Niemandsland gestrandet. Bis zum 15. Dezember blieben jedoch nur wenige Menschen in der Nähe der Grenze, die nicht einreisen konnten. UNHCR und seine Partner leisteten Soforthilfe für die gestrandeten Menschen und unterhalten eine Reaktionsfähigkeit, falls mehr Menschen ankommen sollten.

Am 14. Dezember besuchte der Minister für soziale Angelegenheiten und humanitäre Organisationen (UNHCR, UNICEF, WFP und OCHA) Hermel-Baalbek in Bekaa. Die Gespräche konzentrierten sich auf den erheblichen Anstieg der Neuankömmlinge aus Syrien seit dem 8. Dezember, darunter Libanesen, die in den Libanon zurückkehren, sowie Syrer, die irregulär einreisen. Laut Regierungsquellen hat die Gesamtzahl der Ankünfte rund 85.000 erreicht, darunter etwa 20.000 Libanesen. Ein umfassender Reaktionsplan für beide Bevölkerungsgruppen (Libanesen und Syrer) wird von humanitären Akteuren erstellt.

Türkei

Am 13. Dezember kündigte der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan an, dass die Syrer allmählich zurückkehren, aber diejenigen, die in der Türkei bleiben möchten, willkommen sind. Der Innenminister legte während der Haushaltsgespräche im Parlament detaillierte Informationen vor und erklärte, dass vor dem 8. Dezember die täglichen Rückführungen zwischen 200 und 300 Personen betrugen, während sich die täglichen Zahlen in den letzten fünf Tagen auf 1.300 bis 1.850 erhöhten und vom 9. bis 13. Dezember insgesamt über 7.600 erreichten.

UNHCR Türkei setzt seine Überwachung der Rückführungsprozesse an allen drei Grenzübergängen von der Türkei nach Syrien in der Provinz Hatay sowie an anderen Orten fort.

Jordanien

In den vorhergehenden Tagen blieb die Aktivität an der Jaber-Landgrenze normal. Berichten zufolge wurden einige Busse beobachtet, die Personen an die Grenze zu Syrien transportierten. Vom 8. bis 13. Dezember sind schätzungsweise 340 syrische Flüchtlinge, die beim UNHCR in Jordanien registriert sind, über die Jaber-Grenze nach Syrien zurückgekehrt. Die Zahl basiert auf Daten, die dem UNHCR derzeit zur Verfügung stehen, und spiegelt nicht unbedingt die gesamte Zahl der Rückführungen wider.

In Bezug auf die Frage der Rückkehr hält das UNHCR regelmäßig Kontakt zu Flüchtlingen über Hotlines und überwacht die digitalen Kanäle genau, um sowohl die häufigsten Bedenken zu verstehen als auch Gerüchte und Fehlinformationen zu identifizieren. Neben Fragen zur Verfügbarkeit von Hilfe und zu den Sicherheitsbedingungen in Syrien haben einige Flüchtlinge Bedenken hinsichtlich der Neuansiedlung und Verlängerung ihrer Asylbewerberbescheinigungen in Jordanien geäußert. Einige Flüchtlinge mit stabilem Einkommen und diejenigen, die mit Jordaniern verheiratet waren, äußerten Präferenzen zu bleiben. Einige gaben an, dass sie darauf warteten, dass der Winter vorbei sei, oder planen eine Rückkehr um die Schulsemester herum. Die Flüchtlinge äußerten auch Fragen bezüglich mangelnder Klarheit bei der Erneuerung und Verlängerung von Pässen und anderen Reisedokumenten für die Rückkehr nach Syrien. UNHCR arbeitet mit der Regierung und Partnern zusammen, um zeitnah Antworten auf diese Fragen und Bedenken zu geben.

Die UNHCR-Vertreterin in Jordanien, Maria Stavropoulou, gab den lokalen Nachrichtenagenturen Jordan Times und Al Rai Interviews. Während sie über die Arbeit des UNHCR in Jordanien sprach, bekräftigte die Vertreterin, dass das UNHCR das Recht der Flüchtlinge auf freiwillige Rückkehr in ihr Heimatland in Sicherheit und Würde achtet, und betonte, wie wichtig es ist, den Flüchtlingen Zeit und Raum zu geben, um Entscheidungen für sich und ihre Familien zu treffen.

Irak

Seit dem 8. Dezember ist der Grenzübergang Al-Qaim offiziell für die Einreise in den Irak und die Ausreise aus dem Irak gesperrt. Nur Ausnahmefälle von Irakern in Syrien, die in den Irak einreisen, und Syrern im Irak, die nach Syrien ausreisen, werden nach Genehmigung durch die Behörden genehmigt.

Seit dem 13. Dezember haben die Bewegungen syrischer Visuminhaber über den Peschkabour-Grenzübergang zwischen Syrien und der Region Kurdistan im Irak (KR-I) mit durchschnittlich 400 Ankünften pro Tag weitgehend wie üblich fortgesetzt. Die meisten Syrer, die in den Irak einreisen, kommen aus den Gouvernements Hassaka und Raqqa und gaben an, dass sie in den Irak kommen, um die Familie in KR-I zu besuchen, und danach nach Syrien zurückkehren werden. Einige Ankünfte, insbesondere diejenigen mit einem zweiten Reisepass, gaben jedoch an, dass sie durch KR-I reisen und den Flughafen Erbil als Ausgangspunkt für die Weiterreise nutzen.

UNHCR POSITION ÜBER DIE RÜCKKEHR IN DIE SYRISCHE ARABISCHE REPUBLIK, Dezember 2024

Freiwillige Rückkehr

Syrien befindet sich an einem Scheideweg – zwischen Frieden und Krieg, Stabilität und Gesetzlosigkeit, Wiederaufbau oder weiterem Ruin. Es gibt jetzt eine bemerkenswerte Gelegenheit für Syrien, sich in Richtung Frieden zu bewegen, und für sein Volk, nach Hause zurückzukehren. Seit vielen Jahren besteht das UNHCR auf der Notwendigkeit, die Anstrengungen zu verdoppeln, um günstige Bedingungen für Flüchtlinge und Vertriebene zu schaffen, damit sie nach Hause zurückkehren können, und die derzeitige Situation eröffnet in dieser Hinsicht neue Möglichkeiten, die von allen genutzt werden müssen. Dazu gehört auch die Beseitigung und/oder das Thematisieren neuer sicherheitspolitischer, rechtlicher und administrativer Hindernisse seitens der syrischen De-facto-Behörden; umfangreiche humanitäre Hilfe und Soforthilfe, die von den Geberstaaten für Rückkehrer, Gemeinschaften, die sie zurückerhalten, und Gebiete mit tatsächlicher und potenzieller Rückkehr im Allgemeinen bereitzustellen ist; und die Ermächtigung des UNHCR und seiner Partner, die Rückführungen an Grenzübergängen und an Orten, an denen sich die Menschen für die Rückkehr entscheiden, zu überwachen.

Jeder hat das Recht, in sein Herkunftsland zurückzukehren. UNHCR ist bereit, syrische Flüchtlinge zu unterstützen, die sich nach umfassender Information über die Lage an ihren Herkunftsorten oder in einem alternativen Gebiet ihrer Wahl freiwillig für eine Rückkehr entscheiden. Angesichts der zahlreichen Herausforderungen, mit denen die syrische Bevölkerung konfrontiert ist, darunter eine groß angelegte humanitäre Krise, ein anhaltend hohes Maß an Binnenvertreibung und die weit verbreitete Zerstörung und Beschädigung von Häusern und kritischer Infrastruktur, fördert das UNHCR jedoch vorerst keine groß angelegte freiwillige Rückführung nach Syrien.

Moratorium für Zwangsrückführungen

Zum gegenwärtigen Zeitpunkt ist Syrien weiterhin von Angriffen und Gewalt in Teilen des Landes betroffen; großflächige interne Verdrängung; Kontamination vieler Teile des Landes mit explosiven Kriegsresten; eine verwüstete Wirtschaft und eine große humanitäre Krise, in der vor den jüngsten Entwicklungen bereits über 16 Millionen Menschen humanitäre Hilfe benötigen. Darüber hinaus hat Syrien, wie bereits erwähnt, massive Zerstörungen und Schäden an Häusern, kritischen Infrastrukturen und landwirtschaftlichen Flächen erlitten. Eigentumsrechte wurden stark beeinträchtigt, wobei in den letzten zehn Jahren weit verbreitete Verstöße gegen Wohn-, Grundstücks- und Eigentumsrechte verzeichnet wurden, was zu komplexen Eigentumsstreitigkeiten führte, deren Beilegung Zeit in Anspruch nehmen wird. Vor diesem Hintergrund fordert das UNHCR die Staaten vorerst weiterhin auf, syrische Staatsangehörige und ehemalige gewöhnliche Bewohner Syriens, einschließlich Palästinenser, die zuvor in Syrien wohnhaft waren, nicht gewaltsam in einen Teil Syriens zurückzuführen.

Aussetzung der Ausstellung negativer Entscheidungen für syrische Antragsteller auf internationalen Schutz

Das UNHCR fordert weiterhin alle Staaten auf, Zivilisten, die aus Syrien fliehen, Zugang zu ihren Hoheitsgebieten zu gewähren, das Recht auf Asyl zu gewährleisten und jederzeit die Achtung des Grundsatzes der Nichtzurückweisung zu gewährleisten.

Während die Risiken im Zusammenhang mit der Verfolgung durch die ehemalige Regierung aufgehört haben, können andere Risiken bestehen bleiben oder sich verstärken. Angesichts der rasch veränderten Dynamik und der sich wandelnden Lage in Syrien ist das UNHCR derzeit nicht in der Lage, den Asylentscheidern detaillierte Leitlinien für den internationalen Schutzbedarf der Syrer zur Verfügung zu stellen. Das UNHCR wird die Lage weiterhin genau beobachten, um detailliertere Leitlinien bereitzustellen, sobald die Umstände dies zulassen. Angesichts der derzeitigen Ungewissheit über die Lage in Syrien fordert das UNHCR die Asylstaaten auf, die Ausstellung negativer Entscheidungen über Anträge auf internationalen Schutz durch syrische Staatsangehörige oder Staatenlose, die ihren früheren gewöhnlichen Aufenthalt in Syrien hatten, auszusetzen. Die Aussetzung des Erlasses negativer Entscheidungen sollte so lange in Kraft bleiben, bis sich die Lage in Syrien stabilisiert hat und zuverlässige Informationen über die Sicherheits- und Menschenrechtslage vorliegen, um eine umfassende Bewertung der Notwendigkeit vorzunehmen, einzelnen Antragstellern den Flüchtlingsstatus zuzuerkennen.

Das UNHCR ist der Auffassung, dass die Voraussetzungen für die Beendigung der Flüchtlingseigenschaft für Personen, denen internationaler Schutz zuerkannt wurde und die aus Syrien stammen, derzeit nicht erfüllt sind.

Diese Ereignisse bzw. Tatsachen sind aufgrund öffentlich zugänglicher, weit verbreiteter medialer Berichterstattung allgemein bekannt („notorisch“; vgl. die bei den Feststellungen exemplarisch angegebenen Quellen). Die Feststellungen stützen sich insbesondere auf die – ins Verfahren als Informationsquellen dezidiert eingebrachten - Websites https://syria.liveuamap.com/ und https://www.cartercenter.org/ news/multimedia/map/exploring-historical-control-in-syria.html, die ohne gesondertes Parteiengehör in tagesaktueller Fassung berücksichtigt werden konnten.

Hinsichtlich der übrigen Bereiche wird die Version 11, Stand: 27.03.2024, der Länderfeststellungen herangezogen.

Nordost-Syrien (Selbstverwaltungsgebiet Nord- und Ostsyrien (Autonomous Administration of North and East Syria - AANES) und das Gebiet der SNA (Syrian National Army)

Letzte Änderung 2024-03-08 15:02

Besonders volatil stellt sich laut Einschätzung des deutschen Auswärtigen Amt die Lage im Nordosten Syriens (v. a. Gebiete unmittelbar um und östlich des Euphrats) dar. Als Reaktion auf einen, von der Türkei der Arbeiterpartei Kurdistans (Partiya Karkerên Kurdistanê, PKK) zugeschriebenen, Terroranschlag mit mehreren Toten in Istanbul startete das türkische Militär am 19.11.2022 eine mit Artillerie unterstützte Luftoperation gegen kurdische Ziele u. a. in Nordsyrien. Bereits zuvor war es immer wieder zu vereinzelten, teils schweren Auseinandersetzungen zwischen türkischen und Türkei-nahen Einheiten und Einheiten der kurdisch dominierten SDF (Syrian Democratic Forces) sowie Truppen des Regimes gekommen, welche in Abstimmung mit den SDF nach Nordsyrien verlegt wurden. Als Folge dieser Auseinandersetzungen, insbesondere auch von seit Sommer 2022 zunehmenden türkischen Drohnenschlägen, wurden immer wieder auch zivile Todesopfer, darunter Kinder, vermeldet (AA 29.3.2023). Auch waren die SDF gezwungen, ihren Truppeneinsatz angesichts türkischer Luftschläge und einer potenziellen Bodenoffensive umzustrukturieren. Durch türkische Angriffe auf die zivile Infrastruktur sind auch Bemühungen um die humanitäre Lage gefährdet (Newlines 7.3.2023). Die Angriffe beschränkten sich bereits im 3. Quartal 2022 nicht mehr nur auf die Frontlinien, wo die überwiegende Mehrheit der Zusammenstöße und Beschussereignisse stattfanden; im Juli und August 2022 trafen türkische Drohnen Ziele in den wichtigsten von den SDF kontrollierten städtischen Zentren und töteten Gegner (und Zivilisten) in Manbij, Kobanê, Tell Abyad, Raqqa, Qamishli, Tell Tamer und Hassakah (CC 3.11.2022). Bereits im Mai 2022 hatte der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan eine vierte türkische Invasion seit 2016 angekündigt (HRW 12.1.2023). Anfang Oktober 2023 begannen die türkischen Streitkräfte wieder mit der Intensivierung ihrer Luftangriffe auf kurdische Ziele in Syrien, nachdem in Ankara ein Bombenanschlag durch zwei Angreifer aus Syrien verübt worden war (REU 4.10.2023). Die Luftangriffe, die in den Provinzen Hasakah, Raqqa und Aleppo durchgeführt wurden, trafen für die Versorgung von Millionen von Menschen wichtige Wasser- und Elektrizitätsinfrastruktur (HRW 26.10.2023; vgl. AA 2.2.2024).

Die Türkei unterstellt sowohl den Streitkräften der Volksverteidigungseinheiten (YPG) als auch der Democratic Union Party (PYD) Nähe zur von der EU als Terrororganisation gelisteten PKK und bezeichnet diese daher ebenfalls als Terroristen und Gefahr für die nationale Sicherheit der Türkei (AA 29.11.2021). […]

Der Rückzug der USA aus den Gebieten östlich des Euphrat im Oktober 2019 ermöglichte es der Türkei, sich in das Gebiet auszudehnen und ihre Grenze tiefer in Syrien zu verlegen, um eine Pufferzone gegen die SDF zu schaffen (CMEC 2.10.2020) [Anm.: Siehe hierzu Unterkapitel türkische Militäroperationen in Nordsyrien im Kapitel Sicherheitslage]. Aufgrund der türkischen Vorstöße sahen sich die SDF dazu gezwungen, mehrere tausend syrische Regierungstruppen aufzufordern, in dem Gebiet Stellung zu beziehen, um die Türkei abzuschrecken, und den Kampf auf eine zwischenstaatliche Ebene zu verlagern (ICG 18.11.2021). Regimekräfte sind seither in allen größeren Städten in Nordostsyrien präsent (AA 29.11.2021). Die Türkei stützte sich bei ihrer Militäroffensive im Oktober 2019 auch auf Rebellengruppen, die in der 'Syrian National Army' (SNA) zusammengefasst sind; seitens dieser Gruppen kam es zu gewaltsamen Übergriffen, insbesondere auf die kurdische Zivilbevölkerung sowie Christen und Jesiden (Ermordungen, Plünderungen und Vertreibungen). Aufgrund des Einmarsches wuchs die Zahl der intern vertriebenen Menschen im Nordosten auf über eine halbe Million an (ÖB Damaskus 1.10.2021).

Entgegen früheren Ankündigungen bleiben die USA weiterhin militärisch präsent (ÖB Damaskus 1.10.2021; vgl. AA 29.11.2021; JsF 9.9.2022). Am 4.9.2022 errichteten die US-Truppen einen neuen Militärstützpunkt im Dorf Naqara im Nordosten Syriens, der zu den drei Standorten der US-geführten internationalen Koalition in der Region Qamishli gehört. Der neue Militärstützpunkt kann dazu beitragen, die verstärkten Aktivitäten Russlands und Irans in der Region zu überwachen; insbesondere überblickt er direkt den von den russischen Streitkräften betriebenen Luftwaffenstützpunkt am Flughafen Qamishli. Er ist nur wenige Kilometer von den iranischen Militärstandorten südlich der Stadt entfernt (JsF 9.9.2022). Hinzukamen wiederholte Luft- bzw. Drohnenangriffe zwischen den in Nordost-Syrien stationierten US-Truppen und Iran-nahen Milizen (AA 2.2.2024).

SDF, YPG und YPJ [Anm.: Frauenverteidigungseinheiten] sind nicht nur mit türkischen Streitkräften und verschiedenen islamistischen Extremistengruppen in der Region zusammengestoßen, sondern gelegentlich auch mit kurdischen bewaffneten Gruppen, den Streitkräften des Assad-Regimes, Rebellen der Freien Syrischen Armee und anderen Gruppierungen (AN 17.10.2021). Die kurdisch kontrollierten Gebiete im Nordosten Syriens umfassen auch den größten Teil des Gebiets, das zuvor unter der Kontrolle des IS in Syrien stand (ICG 11.10.2019; vgl. EUAA 9.2022). Raqqa war de facto die Hauptstadt des IS (PBS 22.2.2022), und die Region gilt als "Hauptschauplatz für den Aufstand des IS" (ICG 11.10.2019; vgl. EUAA 9.2022).

Die kurdischen YPG stellen einen wesentlichen Teil der Kämpfer und v. a. der Führungsebene der SDF, welche in Kooperation mit der internationalen Anti-IS-Koalition militärisch gegen die Terrororganisation IS in Syrien vorgehen (AA 29.11.2021). In Reaktion auf die Reorganisation der Truppen zur Verstärkung der Front gegen die Türkei stellten die SDF vorübergehend ihre Operationen und andere Sicherheitsmaßnahmen gegen den Islamischen Staat ein. Dies weckte Befürchtungen bezüglich einer Stärkung des IS in Nordost-Syrien (Newlines 7.3.2023). Die SDF hatten mit Unterstützung US-amerikanischer Koalitionskräfte allein seit Ende 2021 mehrere Sicherheitsoperationen durchgeführt, in denen nach eigenen Angaben Hunderte mutmaßliche IS-Angehörige verhaftet und einzelne Führungskader getötet wurden (AA 2.2.2024).

Der IS führt weiterhin militärische Operationen in der AANES durch. Die SDF reagieren auf die Angriffe mit routinemäßigen Sicherheitskampagnen, unterstützt durch die Internationale Koalition. Bisher konnten diese die Aktivitäten des IS und seiner affiliierten Zellen nicht einschränken. SOHR dokumentierte von Anfang 2023 bis September 2023 121 Operationen durch den IS, wie bewaffnete Angriffe und Explosionen, in den Gebieten der AANES. Dabei kamen 78 Personen zu Tode, darunter 17 ZivilistInnen und 56 Mitglieder der SDF (SOHR 24.9.2023).

Mit dem Angriff auf die Sina’a-Haftanstalt in Hassakah in Nordostsyrien im Januar 2022 und den daran anschließenden mehrtägigen Kampfhandlungen mit insgesamt ca. 470 Todesopfern (IS-Angehörige, SDF-Kämpfer, Zivilisten) demonstrierte der IS propagandawirksam die Fähigkeit, mit entsprechendem Vorlauf praktisch überall im Land auch komplexe Operationen durchführen zu können (AA 29.3.2023). Bei den meisten Gefangenen handelte es sich um prominente IS-Anführer (AM 26.1.2022). Unter den insgesamt rund 5.000 Insassen des überfüllten Gefängnisses befanden sich nach Angaben von Angehörigen jedoch auch Personen, die aufgrund von fadenscheinigen Gründen festgenommen worden waren, nachdem sie sich der Zwangsrekrutierung durch die SDF widersetzt hatten, was die SDF jedoch bestritten (AJ 26.1.2022). Die Gefechte dauerten zehn Tage, und amerikanische wie britische Kräfte kämpften aufseiten der SDF (HRW 12.1.2023). US-Angaben zufolge war der Kampf die größte Konfrontation zwischen den US-amerikanischen Streitkräften und dem IS, seit die Gruppe 2019 das (vorübergehend) letzte Stück des von ihr kontrollierten Gebiets in Syrien verloren hatte (NYT 25.1.2022). Vielen Häftlingen gelang die Flucht, während sich andere im Gefängnis verbarrikadierten und Geiseln nahmen (ANI 26.1.2022). Nach Angaben der Vereinten Nationen mussten schätzungsweise 45.000 Einwohner von Hassakah aufgrund der Kämpfe aus ihren Häusern fliehen, und die SDF riegelte große Teile der Stadt ab (MEE 25.1.2022; vgl. NYT 25.1.2022, EUAA 9.2022). Während der Kampfhandlungen erfolgten auch andernorts in Nordost-Syrien Angriffe des IS (TWP 24.2.2022). Die geflohenen Bewohner durften danach zurückkehren (MPF 8.2.2022), wobei Unterkünfte von mehr als 140 Familien scheinbar von den SDF während der Militäraktionen zerstört worden waren. Mit Berichtszeitpunkt Jänner 2023 waren Human Rights Watch keine Wiederaufpläne, Ersatzunterkünfte oder Kompensationen für die zerstörten Gebäude bekannt (HRW 12.1.2023).

Während vorhergehende IS-Angriffe von kurdischen Quellen als unkoordiniert eingestuft wurden, erfolgte die Aktion in Hassakah durch drei bestens koordinierte IS-Zellen. Die Tendenz geht demnach Richtung seltenerer, aber größerer und komplexerer Angriffe, während dezentralisierte Zellen häufige, kleinere Attacken durchführen. Der IS nutzt dabei besonders die große Not der in Lagern lebenden Binnenvertriebenen im Nordosten Syriens aus, z. B. durch die Bezahlung kleiner Beträge für Unterstützungsdienste. Der IS ermordete auch einige Personen, welche mit der Lokalverwaltung zusammenarbeiteten (TWP 24.2.2022). Das Ausüben von koordinierten und ausgeklügelten Anschlägen in Syrien und im Irak wird von einem Vertreter einer US-basierten Forschungsorganisation als Indiz dafür gesehen, dass die vermeintlich verstreuten Schläferzellen des IS wieder zu einer ernsthaften Bedrohung werden (NYT 25.1.2022). Trotz der laufenden Bemühungen zur Terrorismusbekämpfung hat der IS im Nordosten Syriens an Stärke gewonnen und seine Aktivitäten im Gebiet der SDF intensiviert. Am 28.9.2022 gaben die SDF bekannt, dass sie eines der größten Waffenverstecke des IS seit Anfang 2019 erobert haben. Sowohl die Größe des Fundes als auch sein Standort sind ein Beleg für die wachsende Bedrohung, die der IS im Nordosten Syriens darstellt (TWI 12.10.2022). Bei einem weiteren koordinierten Angriff des IS auf das Quartier der kurdischen de facto-Polizeikräfte (ISF/Asayish) sowie auf ein nahegelegenes Gefängnis für IS-Insassen in Raqqa Stadt kamen am 26.12.2022 nach kurdischen Angaben sechs Sicherheitskräfte und ein Angreifer ums Leben (AA 29.3.2023). Laut dem Bericht des UN-Sicherheitsrats vom Juli 2022 sind einige der Mitgliedstaaten der Meinung, dass der IS seine Ausbildungsaktivitäten, die zuvor eingeschränkt worden waren, insbesondere in der Wüste Badiya wieder aufgenommen habe (EUAA 9.2022). Im Jahr 2023 haben die Aktivitäten von Schläferzellen des IS vor allem in der östlichen Wüste zugenommen (CFR 13.2.2024).

Die kurdischen Sicherheitskräfte kontrollieren weiterhin knapp 30 Lager mit 11.000 internierten IS-Kämpfern (davon 500 aus Europa) sowie die Lager mit Familienangehörigen; der Großteil davon in al-Hol (ÖB Damaskus 1.10.2021). Nach einigen Rückführungen und Repatriierungen beläuft sich die Gesamtzahl der Menschen in al-Hol nun auf etwa 53.000, von denen etwa 11.000 ausländische Staatsangehörige sind (MSF 7.11.2022b), auch aus Österreich (ÖB Damaskus 1.10.2021). Das Ziel des IS ist es, diese zu befreien, aber auch seinen Anhängern zu zeigen, dass man dazu in der Lage ist, diese Personen herauszuholen (Zenith 11.2.2022). Das Lager war einst dazu gedacht, Zivilisten, die durch den Konflikt in Syrien und im Irak vertrieben wurden, eine sichere, vorübergehende Unterkunft und humanitäre Dienstleistungen zu bieten. Der Zweck von al-Hol hat sich jedoch längst gewandelt, und das Lager ist zunehmend zu einem unsicheren und unhygienischen Freiluftgefängnis geworden, nachdem die Menschen im Dezember 2018 aus den vom IS kontrollierten Gebieten dorthin gebracht wurden (MSF 7.11.2022b). 65 Prozent der Bewohner von al-Hol sind Kinder, 52 Prozent davon im Alter von unter zwölf Jahren (MSF 19.2.2024), die täglicher Gewalt und Kriminalität ausgesetzt sind (STC 5.5.2022; vgl. MSF 7.11.2022a). Das Camp ist zusätzlich zu einem Refugium für den IS geworden, um Mitglieder zu rekrutieren (NBC News 6.10.2022). Am 22.11.2022 schlugen türkische Raketen in der Nähe des Lagers ein. Das Chaos, das zu den schwierigen humanitären Bedingungen im Lager hinzukommt, hat zu einem Klima geführt, das die Indoktrination durch den IS begünstigt. Die SDF sahen sich zudem gezwungen, ihre Kräfte zur Bewachung der IS-Gefangenenlager abzuziehen, um auf die türkische Bedrohung zu reagieren (AO 3.12.2022).

Türkische Angriffe und eine Finanzkrise destabilisieren den Nordosten Syriens (Zenith 11.2.2022). Die Autonome Verwaltung von Nord- und Ostsyrien befindet sich heute in einer zunehmend prekären politischen, wirtschaftlichen und sicherheitspolitischen Lage (TWI 15.3.2022). Wie in anderen Bereichen üben die dominanten Politiker der YPG, der mit ihr verbündeten Organisationen im Sicherheitsbereich sowie einflussreiche Geschäftsleute Einfluss auf die Wirtschaft aus, was verbreiteten Schmuggel zwischen den Kontrollgebieten in Syrien und in den Irak ermöglicht (Brookings 27.1.2023). Angesichts der sich rapide verschlechternden wirtschaftlichen Bedingungen im Nordosten Syriens haben die SDF zunehmend drakonische Maßnahmen ergriffen, um gegen abweichende Meinungen im Land vorzugehen und Proteste zum Schweigen zu bringen, da ihre Autorität von allen Seiten bedroht wird (Etana 30.6.2022). Nach den Präsidentschaftswahlen im Mai 2021 kam es in verschiedenen Teilen des Gebiets zu Protesten, unter anderem gegen den niedrigen Lebensstandard und die Wehrpflicht der SDF (al-Sharq 27.8.2021) sowie gegen steigende Treibstoffpreise (AM 30.5.2021). In arabisch besiedelten Gebieten im Gouvernement Hassakah und Manbij (Gouvernement Aleppo) starben Menschen, nachdem Asayish [Anm: Sicherheitskräfte der kurdischen Autonomieregion] in die Proteste eingriffen (al-Sharq 27.8.2021; vgl. AM 30.5.2021). Die Türkei verschärft die wirtschaftliche Lage in AANES absichtlich, indem sie den Wasserfluss nach Syrien einschränkt (KF 5.2022). Obwohl es keine weitverbreiteten Rufe nach einer Rückkehr des Assad-Regimes gibt, verlieren einige Einwohner das Vertrauen, dass die kurdisch geführte AANES für Sicherheit und Stabilität sorgen kann (TWI 15.3.2022).

Im August 2023 brachen gewaltsame Konflikte zwischen den kurdisch geführten SDF und arabischen Stämmen in Deir ez-Zor aus (AJ 30.8.2023), in dessen Verlauf es den Aufständischen gelungen war, zeitweise die Kontrolle über Ortschaften entlang des Euphrat zu erlangen. UNOCHA dokumentierte 96 Todesfälle und über 100 Verwundete infolge der Kampfhandlungen, schätzungsweise 6.500 Familien seien durch die Gewalt vertrieben worden. Nach Rückerlangung der Gebietskontrolle durch die SDF kam es auch in den folgenden Wochen zu sporadischen Attentaten auf SDF sowie zu vereinzelten Kampfhandlungen mit Stammeskräften (AA 2.2.2024).

Demokratische Selbstverwaltung für Nord- und Ostsyrien

Letzte Änderung 2024-03-27 11:04

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Wehrpflichtgesetz der "Demokratischen Selbstverwaltung für Nord- und Ostsyrien"

Auch aus den nicht vom Regime kontrollierten Gebieten Syriens gibt es Berichte über Zwangsrekrutierungen. Im Nordosten des Landes hat die von der kurdischen Partei PYD [Partiya Yekîtiya Demokrat, Partei der Demokratischen Union] dominierte "Demokratische Selbstverwaltung für Nord- und Ostsyrien" [Autonomous Administration of North and East Syria, AANES] 2014 ein Wehrpflichtgesetz verabschiedet, welches vorsah, dass jede Familie einen "Freiwilligen" im Alter zwischen 18 und 40 Jahren stellen muss, der für den Zeitraum von sechs Monaten bis zu einem Jahr in den YPG [Yekîneyên Parastina Gel, Volksverteidigungseinheiten] dient (AA 2.2.2024). Im Juni 2019 ratifizierte die AANES ein Gesetz zur "Selbstverteidigungspflicht", das den verpflichtenden Militärdienst regelt, den Männer über 18 Jahren im Gebiet der AANES ableisten müssen (EB 15.8.2022; vgl. DIS 6.2022). Am 4.9.2021 wurde das Dekret Nr. 3 erlassen, welches die Selbstverteidigungspflicht auf Männer beschränkt, die 1998 oder später geboren wurden und ihr 18. Lebensjahr erreicht haben. Gleichzeitig wurden die Jahrgänge 1990 bis 1997 von der Selbstverteidigungspflicht befreit (ANHA, 4.9.2021). Der Altersrahmen für den Einzug zum Wehrdienst ist nun in allen betreffenden Gebieten derselbe, während er zuvor je nach Gebiet variierte. So kam es in der Vergangenheit zu Verwirrung, wer wehrpflichtig war (DIS 6.2022). Mit Stand September 2023 war das Dekret noch immer in Kraft (ACCORD 7.9.2023).

Die Wehrpflicht gilt in allen Gebieten unter der Kontrolle der AANES, auch wenn es Gebiete gibt, in denen die Wehrpflicht nach Protesten zeitweise ausgesetzt wurde [Anm.: Siehe weiter unten]. Es ist unklar, ob die Wehrpflicht auch für Personen aus Afrin gilt, das sich nicht mehr unter der Kontrolle der "Selbstverwaltung" befindet. Vom Danish Immigration Service (DIS) befragte Quellen machten hierzu unterschiedliche Angaben. Die Wehrpflicht gilt nicht für Personen, die in anderen Gebieten als den AANES wohnen oder aus diesen stammen. Sollten diese Personen jedoch seit mehr als fünf Jahren in den AANES wohnen, würde das Gesetz auch für sie gelten. Wenn jemand in seinem Ausweis als aus Hasakah stammend eingetragen ist, aber sein ganzes Leben lang z.B. in Damaskus gelebt hat, würde er von der "Selbsverwaltung" als aus den AANES stammend betrachtet werden und er müsste die "Selbstverteidigungspflicht" erfüllen. Alle ethnischen Gruppen und auch staatenlose Kurden (Ajanib und Maktoumin) sind zum Wehrdienst verpflichtet. Araber wurden ursprünglich nicht zur "Selbstverteidigungspflicht" eingezogen, dies hat sich allerdings seit 2020 nach und nach geändert (DIS 6.2022; vgl. NMFA 8.2023).

Ursprünglich betrug die Länge des Wehrdiensts sechs Monate, sie wurde aber im Jänner 2016 auf neun Monate verlängert (DIS 6.2022). Artikel zwei des Gesetzes über die "Selbstverteidigungspflicht" vom Juni 2019 sieht eine Dauer von zwölf Monaten vor (RIC 10.6.2020). Aktuell beträgt die Dauer ein Jahr und im Allgemeinen werden die Männer nach einem Jahr aus dem Dienst entlassen. In Situationen höherer Gewalt kann die Dauer des Wehrdiensts verlängert werden, was je nach Gebiet entschieden wird. Beispielsweise wurde der Wehrdienst 2018 aufgrund der Lage in Baghouz um einen Monat verlängert. In Afrin wurde der Wehrdienst zu drei Gelegenheiten in den Jahren 2016 und 2017 um je zwei Monate ausgeweitet. Die Vertretung der "Selbstverwaltung" gab ebenfalls an, dass der Wehrdienst in manchen Fällen um einige Monate verlängert wurde. Wehrdienstverweigerer können zudem mit der Ableistung eines zusätzlichen Wehrdienstmonats bestraft werden (DIS 6.2022).

Nach dem abgeleisteten Wehrdienst gehören die Absolventen zur Reserve und können im Fall "höherer Gewalt" einberufen werden. Diese Entscheidung trifft der Militärrat des jeweiligen Gebiets. Derartige Einberufungen waren den vom DIS befragten Quellen nicht bekannt (DIS 6.2022).

Einsatzgebiet von Wehrpflichtigen

Die Selbstverteidigungseinheiten [Hêzên Xweparastinê, HXP] sind eine von den SDF separate Streitkraft, die vom Demokratischen Rat Syriens (Syrian Democratic Council, SDC) verwaltet wird und über eigene Militärkommandanten verfügt. Die SDF weisen den HXP allerdings Aufgaben zu und bestimmen, wo diese eingesetzt werden sollen. Die HXP gelten als Hilfseinheit der SDF. In den HXP dienen Wehrpflichtige wie auch Freiwillige, wobei die Wehrpflichtigen ein symbolisches Gehalt erhalten. Die Rekrutierung von Männern und Frauen in die SDF erfolgt dagegen freiwillig (DIS 6.2022).

Die Einsätze der Rekruten im Rahmen der "Selbsverteidigungspflicht" erfolgen normalerweise in Bereichen wie Nachschub oder Objektschutz (z.B. Bewachung von Gefängnissen wie auch jenes in al-Hasakah, wo es im Jänner 2022 zu dem Befreiungsversuch des sogenannten Islamischen Staats (IS) mit Kampfhandlungen kam). Eine Versetzung an die Front erfolgt fallweise auf eigenen Wunsch, ansonsten werden die Rekruten bei Konfliktbedarf an die Front verlegt, wie z. B. bei den Kämpfen gegen den IS 2016 und 2017 in Raqqa (DIS 6.2022).

2. Beweiswürdigung:

2.1. Zu den Feststellungen zur Person des Beschwerdeführers:

Die Feststellungen zur Staatsangehörigkeit und zur Herkunft des Beschwerdeführers, zu seiner Volksgruppenzugehörigkeit sowie zu seiner familiären Situation in Syrien ergeben sich aus dem diesbezüglich glaubhaften Vorbringen des Beschwerdeführers im Rahmen der Einvernahme vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl und in der mündlichen Beschwerdeverhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht.

2.2. Zu den Feststellungen zum Fluchtvorbringen des Beschwerdeführers:

Es obliegt dem Beschwerdeführer, die Umstände der Flucht einigermaßen nachvollziehbar und genau zu schildern. Aus den Angaben des Beschwerdeführers lässt sich jedoch keine lineare Handlung erkennen, die objektiv geeignet wäre, einen asylrelevanten Verfolgungsgrund zu verwirklichen.

Der Beschwerdeführer bringt durchgehend vor, dass er Verfolgung durch das syrische Regime fürchtet, da er desertiert sei.

Aufgrund des Machtwechsels und der Beendigung der Herrschaft des syrischen Regimes kann eine weitere Ausführung zu diesem Vorbringen unterbleiben.

Aufgrund der festgestellten aktuellen Lage in Syrien besteht für den Beschwerdeführer nach dem Sturz des syrischen Assad-Regimes mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit keine Gefahr mehr, von diesem verfolgt oder zum Reservedienst der syrischen Armee eingezogen zu werden. Ausgehend von den aktuellen Länderfeststellungen wurden bereits Hunderte Soldaten entlassen und der HTS Anführer Ahmed al Sharaa (Abu Mohammad al Jolani) verkündete am 15. Dezember zudem, dass er eine Wehrdienstpflicht in Syrien abschaffen werde.

Der Beschwerdeführer bringt in der mündlichen Verhandlung Sachverhalte vor, die er weder in der Einvernahme vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl noch in seiner Beschwerde erwähnte. Abgesehen, davon, dass es sich ganz eindeutig um eine Steigerung seiner Fluchtgeschichte handelt, verstößt er diesbezüglich auch gegen seine Mitwirkungspflicht. So bringt er erstmals in der mündlichen Verhandlung vor, dass er eine Zwangsrekrutierung durch die kurdischen Kräfte fürchtet. Diese Befürchtung hätte er bereits spätestens in der Einvernahme vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl erwähnen können, da sein Herkunftsgebiet zu diesem Zeitpunkt bereits unter dem Einfluss der kurdischen Kräfte stand. Aber offensichtlich erwähnt er dies erstmals in der mündlichen Verhandlung um den Asylstatus zu erlangen, da ihm bewusst sein musste, dass seine Verfolgungsbefürchtung vor dem syrischen Regime nicht mehr zu dem gewünschten Ziel – nämlich Asylerlangung – führen kann.

Die Feststellungen zum verpflichtenden „Wehrdienst“ in der „Demokratischen Selbstverwaltung für Nord und Ostsyrien“ gründen sich auf das aktuelle Länderinformationsblatt. Daraus ergibt sich, dass Männer im Alter zwischen 18 und 24 Jahren (geboren 1998 oder später) zum „Wehrdienst“ verpflichtet sind. Ausgehend davon, unterliegt der XXXX geborene Beschwerdeführer dem vorgesehenen Wehrdienstalter im kurdischen Selbstverwaltungsgebiet schon lange nicht mehr.

Die Feststellung, dass der Beschwerdeführer seinen „Wehrdienst“ in der „Demokratischen Selbstverwaltung für Nord und Ostsyrien“ bislang noch nicht abgeleistet hat, ergibt sich aus seinen diesbezüglich nachvollziehbaren und glaubhaften Angaben im Verfahren.

Der Beschwerdeführer befindet sich demnach aktuell nicht mehr im wehrfähigen Alter und droht dem Beschwerdeführer im Zusammenhang mit der bestehenden „Selbstverteidigungspflicht“ nicht mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit eine asylrelevante Verfolgung von Seiten der kurdischen Autonomiebehörden.

Schließlich ist darauf hinzuweisen, dass laut den Länderberichten eine Verweigerung des Wehrdienstes seitens der kurdischen Autonomiebehörden auch nicht als Ausdruck einer bestimmten politischen Gesinnung angesehen wird. Anhaltspunkte für eine gegenteilige Annahme liegen nicht vor und sind im Besonderen auch nicht aus den UNHCR-Erwägungen vom März 2021 abzuleiten. Demnach könnten Personen, die den Dienst verweigern oder abtrünnig werden, von den SDF/YPG zwar als Gegner oder als Unterstützer von SNA oder ISIS angesehen werden. Den zugrundeliegenden Quellen kann jedoch nicht entnommen werden, dass die kurdischen Autonomiebehörden sämtlichen Wehrdienstverweigerern – ohne Hinzutreten weiterer Umstände – eine oppositionelle politische Gesinnung unterstellen würden; insbesondere würden lediglich Rekruten, die in von „feindlichen Streitkräften“ kontrollierte Gebiete fliehen würden, als Unterstützer feindlicher bzw. oppositioneller Gruppierungen angesehen werden.

Der Vollständigkeit halber ist noch festzuhalten, dass sich aus den zur Verfügung stehenden Länderberichten kein gezieltes Vorgehen der kurdischen Streitkräfte gegen Wehrdienstverweigerer, welche der arabischen Volksgruppe angehören, ergibt. Hierbei wird nicht verkannt, dass – dem von EASO erstellten Leitfaden zu Syrien vom November 2021 zu Folge – arabische Kämpfer, die sich weigerten, den SDF beizutreten, angaben, dass sie Schikanen, willkürlichen Verhaftungen und der Beschlagnahmung von Waffen und Fahrzeugen ausgesetzt waren. Eine unverhältnismäßige Bestrafung von Angehörigen der arabischen Volksgruppe aufgrund einer Wehrdienstverweigerung ist daraus jedoch nicht abzuleiten, wobei auch zu berücksichtigen ist, dass ein derartiges Vorgehen in dem mittlerweile aktualisierten Leitfaden der EUAA (ehemals EASO) zu Syrien vom Februar 2023 nicht mehr dokumentiert ist.

An diesen Einschätzungen ergibt sich auch aufgrund der Lageänderung in Syrien kein Änderungsbedarf.

Zur vorgebrachten Verfolgung durch das syrische Regime aufgrund seines (langen) Auslandsaufenthaltes und seiner Asylantragstellung in Österreich:

Vor dem BFA und in der Beschwerde wird eine asylrechtlich relevante Verfolgung des Beschwerdeführers aufgrund der Tatsache behauptet, dass er illegal aus Syrien ausgereist sei und ihm insofern eine oppositionelle Gesinnung unterstellt werde. Einzig in der Beschwerde wird eine asylrechtlich relevante Verfolgung des Beschwerdeführers aufgrund der Tatsache behauptet, dass er einen Asylantrag in Österreich gestellt habe und ihm insofern eine oppositionelle Gesinnung unterstellt werde.

Eine Asylantragstellung in Österreich reicht für sich alleine für eine Asylzuerkennung nicht aus, weil die Antragstellung den syrischen Behörden nicht bekannt ist, da es den österreichischen Behörden gemäß § 33 BFA-VG untersagt ist, diesbezügliche Daten an die syrischen Behörden weiterzugeben. Es ist auch nicht hervorgekommen, dass dem syrischen Staat die Antragstellung entgegen dem Verbot oder durch sonstige Umstände tatsächlich bekanntgeworden ist.

Dem Beschwerdeführer ist es insgesamt nicht gelungen, eine konkret und gezielt gegen seine Person gerichtete aktuelle Verfolgung maßgeblicher Intensität, welche ihre Ursache in einem der in der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Gründe hätte, glaubhaft zu machen.

Auch vor dem Hintergrund der Feststellungen zur Lage in Syrien kann nicht erkannt werden, dass dem Beschwerdeführer aktuell in Syrien eine asylrelevante Verfolgung aus einem in der GFK genannten Gründen droht.

Im Übrigen wird festgehalten, dass der allgemeinen Bedrohung durch die aktuelle Lage in Syrien mit dem bereits rechtskräftig zuerkannten Status des subsidiär Schutzberechtigten begegnet worden ist.

Insgesamt ist festzuhalten, dass der Beschwerdeführer aus wirtschaftlichen Gründen nach Österreich gekommen ist. Primär begehrt der Beschwerdeführer den Asylstatus, da dieser ihm vermeintlich die Möglichkeit bietet, seine Lebensgefährtin nach Österreich zu holen. Diesen Grund führt er auch konkret an, als er von der erkennenden Richterin auf Grund der Lageänderung in Syrien nach seinen Asylgründen gefragt wird.

2.3. Zu den Feststellungen zur relevanten Sicherheitslage in Syrien:

Die Feststellungen zur allgemeinen Lage in Syrien beruhen auf den angeführten Quellen. Die Feststellungen waren im Lichte der jüngsten Ereignisse in Syrien zu treffen. Diese Ereignisse bzw. Tatsachen sind aufgrund öffentlich zugänglicher, weit verbreiteter medialer Berichterstattung allgemein bekannt („notorisch“; vgl. die bei den Feststellungen exemplarisch angegebenen Quellen).

Der Vollständigkeit halber sei noch darauf hingewiesen, dass die jüngst veröffentlichte Position des UNHCR, der vorliegenden Entscheidung nicht entgegensteht: UNHCR-Position on Returns to the Syrian Arab Republic, Dezember 2024, https://www.refworld.org/policy/countrypos/ unhcr/2024/en/149254.

Die von UNHCR thematisierten Fragen der freiwilligen Rückkehr („Voluntary Returns“) sowie des Moratoriums zwangsweiser Rückführungen („Moratorium on Forced Returns“) sind mit Blick auf den Gegenstand der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts nicht relevant, da der Beschwerdeführer ohnedies bereits den Status des subsidiär Schutzberechtigten innehat.

3. Rechtliche Beurteilung:

Zu A) Zur Beschwerde gegen Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides:

Gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 ist einem Fremden, der in Österreich einen Asylantrag gestellt hat, soweit der Antrag nicht gemäß §§ 4, 4a oder 5 AsylG 2005 zurückzuweisen ist, der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft ist, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung iSd Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK droht (vgl. auch die Verfolgungsdefinition in § 2 Abs. 1 Z 11 AsylG 2005, die auf Art. 9 der Richtlinie 2004/83/EG des Rates vom 29. April 2004 über Mindestnormen für die Anerkennung und den Status von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Flüchtlinge oder als Personen, die anderweitig internationalen Schutz benötigen, und über den Inhalt des zu gewährenden Schutzes, ABl. 2004 Nr. L 304/12 [Statusrichtlinie] verweist). Damit will der Gesetzgeber an die Gesamtheit der aufeinander bezogenen Elemente des Flüchtlingsbegriffs der GFK anknüpfen (VwGH 24.3.2011, 2008/23/1443). Gemäß § 3 Abs. 3 AsylG 2005 ist der Asylantrag bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten abzuweisen, wenn dem Fremden eine innerstaatliche Fluchtalternative (§ 11 AsylG 2005) offen steht oder wenn er einen Asylausschlussgrund (§ 6 AsylG 2005) gesetzt hat.

Flüchtling iSd Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK (idF des Art. 1 Abs. 2 des Protokolls über die Rechtsstellung der Flüchtlinge BGBl. 78/1974) - deren Bestimmungen gemäß § 74 AsylG 2005 unberührt bleiben - ist, wer sich "aus wohlbegründeter Furcht, aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung verfolgt zu werden, außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen; oder wer staatenlos ist, sich außerhalb des Landes seines gewöhnlichen Aufenthaltes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, in dieses Land zurückzukehren." (vgl. VfSlg. 19.086/2010; VfGH 12.6.2010, U 613/10).

Zentraler Aspekt dieses Flüchtlingsbegriffs der GFK ist die wohlbegründete Furcht vor Verfolgung. Wohlbegründet kann eine Furcht nur dann sein, wenn sie im Lichte der speziellen Situation des Asylwerbers und unter Berücksichtigung der Verhältnisse im Verfolgerstaat objektiv nachvollziehbar ist (vgl. zB VwGH 22.12.1999, 99/01/0334; 21.12.2000, 2000/01/0131; 25.1.2001, 2001/20/0011; 17.3.2009, 2007/19/0459; 28.5.2009, 2008/19/1031). Es kommt nicht darauf an, ob sich eine bestimmte Person in einer konkreten Situation tatsächlich fürchtet, sondern ob sich eine mit Vernunft begabte Person in dieser Situation (aus Konventionsgründen) fürchten würde (vgl. VwGH 19.12.2007, 2006/20/0771; 17.3.2009, 2007/19/0459; 28.5.2009, 2008/19/1031; 6.11.2009, 2008/19/0012). Eine Verfolgungsgefahr ist dann anzunehmen, wenn eine Verfolgung mit einer maßgeblichen Wahrscheinlichkeit droht; die entfernte Möglichkeit einer Verfolgung genügt nicht (VwGH 21.12.2000, 2000/01/0131; 25.1.2001, 2001/20/0011; 28.5.2009, 2008/19/1031. Die Verfolgungsgefahr muss ihre Ursache in einem der Gründe haben, welche Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK nennt (VwGH 9.9.1993, 93/01/0284; 15.3.2001, 99/20/0128; 23.11.2006, 2005/20/0551); sie muss Ursache dafür sein, dass sich der Asylwerber außerhalb seines Heimatlandes bzw. des Landes seines vorigen Aufenthaltes befindet.

Im Umstand, dass im Heimatland des Beschwerdeführers Bürgerkrieg herrscht, liegt nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes für sich allein keine Verfolgungsgefahr im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention (siehe VwGH 26.11.1998, 98/20/0309, 0310 und VwGH 19.10.2000, 98/20/0233). Um asylrelevante Verfolgung vor dem Hintergrund einer Bürgerkriegssituation erfolgreich geltend zu machen, bedarf es daher einer zusätzlichen, auf asylrelevante Gründe gestützten Gefährdung des Asylwerbers, die über die gleichermaßen die anderen Staatsbürger des Heimatstaates treffenden Unbilligkeiten eines Bürgerkrieges hinausgeht.

In Bezug auf die vom Beschwerdeführer im Verfahren vorgebrachten Befürchtungen, im Falle einer Rückkehr von Seiten der kurdischen Streitkräfte rekrutiert zu werden, ist festzuhalten, dass der Beschwerdeführer nicht mehr der „Wehrpflicht“ in der „Demokratischen Selbstverwaltung für Nord und Ostsyrien“ unterliegt.

Selbst im Falle einer Einbeziehung drohen dem Beschwerdeführer im Falle einer Weigerung, der „Wehrpflicht“ in der „Demokratischen Selbstverwaltung für Nord und Ostsyrien“ nachzukommen, keine unverhältnismäßigen Sanktionen und wäre der Beschwerdeführer im Falle einer Einziehung zum „Wehrdienst“ auch nicht mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit einer Verlegung an die Front ausgesetzt oder zur Beteiligung an Kampfhandlungen bzw. an der Begehung von Menschenrechtsverletzungen verpflichtet.

Darüber hinaus ist eine Verbindung zwischen der drohenden Rekrutierung zu einem der in Art. 1 Abschnitt A Z 2 genannten Gründe der Genfer Flüchtlingskonvention nicht zu erkennen:

So ergibt sich – wie oben im Rahmen der Beweiswürdigung bereits aufgeführt – aus den Länderfeststellungen, dass eine Verweigerung des „Wehrdienstes“ seitens der kurdischen Autonomiebehörden nicht als Ausdruck einer bestimmten politischen Gesinnung angesehen wird. Aus den zur Verfügung stehenden Länderberichten sind auch keine Hinweise für – auf Konventionsgründen beruhende – unverhältnismäßige Bestrafungen im Zusammenhang mit der Verweigerung des „Wehrdienstes“ in der „Demokratischen Selbstverwaltung für Nord und Ostsyrien“ abzuleiten.

Aus den Feststellungen zum „Wehrdienst“ im Rahmen der kurdischen Selbstverwaltung kann daher eine konkrete und tatsächlich drohende Verfolgungsgefahr wegen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung nicht abgeleitet werden. Daran ändert, wie beweiswürdigend ausgeführt, auch die Volksgruppenzugehörigkeit des Beschwerdeführers nichts, da sich aus den Länderinformationen gleichsam kein gezieltes Vorgehen der kurdischen Streitkräfte gegen Wehrdienstverweigerer, welche der arabischen Volksgruppe angehören, ergibt.

An dieser Gesamteinschätzung der Lage in den kurdischen Regionen hat sich auch nach dem Machtwechsel kein Änderungsbedarf ergeben.

Des Weiteren plädiert UNHCR dafür, dass vorerst keine negativen Entscheidungen über Asylanträge von syrischen Staatsangehörigen oder Staatenlosen, die früher ihren gewöhnlichen Aufenthalt in Syrien hatten, erlassen werden. Zutreffend weist UNHCR zunächst darauf hin, dass das Risiko einer Verfolgung durch die einstige Regierung, also das Assad-Regime, geendet habe. Diese Ausführungen stehen im Einklang mit den – in zahlreichen Medien veröffentlichten – Informationen, auf die sich das Bundesverwaltungsgericht in seiner Entscheidung stützt. Soweit UNHCR allerdings vermeint, dass andere Risiken fortbestehen oder zunehmen könnten, ist zu betonen, dass der Beschwerdeführer eine Verfolgung ausschließlich durch das Assad-Regime behauptet hat. Grundlegende Informationen zu den nunmehrigen Machthabern waren bereits den dem Beschwerdeführer zur Kenntnis gebrachten Länderberichten und sonstigen Entscheidungsgrundlagen zu entnehmen. Der Sturz des Assad-Regimes und der Machtwechsel in Syrien sind – aufgrund der öffentlich zugänglichen und weit verbreiteten Medienberichte – als allgemein bekannt („notorisch“) anzusehen.

Im Übrigen ist beachtlich, dass auch UNHCR keine konkreten neuen Verfolgungsrisiken ins Treffen führt, sondern sich bloß allgemein auf die in Syrien vorherrschende Unsicherheit und Instabilität bezieht. Vor diesem Hintergrund sei abschließend noch einmal daran erinnert, dass der Beschwerdeführer ohnedies bereits den Status des subsidiär Schutzberechtigten innehat.

Auch sonst haben sich im Verfahren keine Anhaltspunkte ergeben, die eine Verfolgung des Beschwerdeführers aus asylrelevanten Gründen im Herkunftsstaat maßgeblich wahrscheinlich erscheinen ließen. Die allgemeine Lage in Syrien ist nicht dergestalt, dass bereits jedem, der sich dort aufhält, der Status eines Asylberechtigten zuerkannt werden müsste.

Aufgrund des durchgeführten Ermittlungsverfahrens und des festgestellten Sachverhaltes erweist sich das Vorbringen des Beschwerdeführers als bereits abstrakt nicht asylrelevant und hinsichtlich der behaupteten Verfolgungshandlungen in Syrien auch als nicht glaubhaft.

Der Beschwerdeführer verweist in seiner Stellungnahme auf die verfassungsgerichtliche Rechtsprechung zur Machtergreifung der Taliban in Afghanistan 2021 und vermeint, dass diese auf seine Situation anwendbar wäre, da sich die Machtsituation täglich ändere und der Sachverhalt aktuell nicht entscheidungsreif sei.

Dazu wird ausgeführt, dass die Situation in Afghanistan grundsätzlich schon nicht mit der Situation in Syrien zu vergleichen ist, da in Syrien Bürgerkrieg herrschte und die Machtergreifung der Taliban in Afghanistan ohne Gegenwehr der Bevölkerung nach Abzug der internationalen Truppen erfolgte. Ferner hat sich der Verfassungsgerichtshof im Rahmen der angeführten Entscheidungen mit der erforderlichen Prüfung einer realen Gefahr der Verletzung der Art. 2 und 3 EMRK im Falle einer Rückkehr der Beschwerdeführer angesichts der sich [damals] nahezu täglich ändernden Situation in Afghanistan befasst (VfGH 19.09.2022, E 3015/2021 ua). Gegenständlich handelt es sich aber nicht um eine Rückkehrentscheidung, da der Beschwerdeführer über den Status eines subsidiär Schutzberechtigten verfügt, sondern um eine Prüfung ob eine Verfolgungsgefahr im Herkunftsstaat im Sinne von Artikel eins Abschnitt A Z 2 der Genfer Flüchtlingskonvention vorliegen könnte.

Für die Asylgewährung kommt es auf die Flüchtlingseigenschaft im Sinn der Genfer Flüchtlingskonvention zum Zeitpunkt der Entscheidung an. Es ist demnach für die Zuerkennung des Asylstatus zum einen nicht zwingend erforderlich, dass bereits in der Vergangenheit Verfolgung stattgefunden hat, zum anderen ist eine solche „Vorverfolgung“ für sich genommen auch nicht hinreichend. Entscheidend ist, ob die betroffene Person im Zeitpunkt der Entscheidung bei Rückkehr in ihren Herkunftsstaat mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit mit Verfolgungshandlungen rechnen müsste (vgl. etwa VwGH 7.3.2023, Ra 2022/18/0284, mwN). Relevant kann also nur eine aktuelle Verfolgungsgefahr sein; sie muss bei Erlassung der Entscheidung vorliegen. Auf diesen Zeitpunkt hat die der „Asylentscheidung“ immanente Prognose abzustellen, ob der Asylwerber mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit Verfolgung aus den in Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK genannten Gründen zu befürchten habe (vgl. VwGH 19.10.2000, 98/20/0233, mwN; sowie jüngst unter Hinweis auf diese Entscheidung VfGH 27.2.2023, E 3307/2022).

Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes stellt die Furcht vor der Ableistung des Militärdienstes bzw. der bei seiner Verweigerung drohenden Bestrafung im Allgemeinen keine asylrechtlich relevante Verfolgung dar, sondern könnte nur bei Vorliegen eines Konventionsgrundes Asyl rechtfertigen (vgl. dazu nochmals VwGH Ra 2023/20/0027, mwN). Wie der Verwaltungsgerichtshof zur möglichen Asylrelevanz von Wehrdienstverweigerung näher ausgeführt hat, kann auch der Gefahr einer allen Wehrdienstverweigerern bzw. Deserteuren im Herkunftsstaat gleichermaßen drohenden Bestrafung asylrechtliche Bedeutung zukommen, wenn das Verhalten des Betroffenen auf politischen oder religiösen Überzeugungen beruht oder dem Betroffenen wegen dieses Verhaltens vom Staat eine oppositionelle Gesinnung unterstellt wird und den Sanktionen - wie etwa der Anwendung von Folter - jede Verhältnismäßigkeit fehlt. Unter dem Gesichtspunkt des Zwanges zu völkerrechtswidrigen Militäraktionen kann auch eine „bloße“ Gefängnisstrafe asylrelevante Verfolgung sein (vgl. auch dazu VwGH Ra 2023/20/0027, mwN).

Wie bereits im Rahmen der Beweiswürdigung dargelegt, konnte nicht festgestellt werden, dass dem Beschwerdeführer mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit eine Einberufung zur kurdischen Selbstverteidigung droht. Weiters konnte nicht festgestellt werden, dass dem Beschwerdeführer eine Verfolgung durch den IS oder die HTS (ehemals Al-Nusra-Front) droht.

In Ermangelung von dem Beschwerdeführer individuell drohenden Verfolgungshandlungen bleibt im Lichte der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu prüfen, ob er im Herkunftsland aufgrund generalisierender Merkmale unabhängig von individuellen Aspekten einer über die allgemeinen Gefahren eines Bürgerkriegs hinausgehenden "Gruppenverfolgung" ausgesetzt wäre. Für das Vorliegen einer Gruppenverfolgung ist zwar nicht entscheidend, dass sich die Verfolgung gezielt gegen Angehörige nur einer bestimmten Gruppe und nicht auch gezielt gegen andere Gruppen richtet (VwGH 17.12.2015, Ra 2015/20/0048, mit Verweis auf VfGH 18.09.2015, E 736/2014).

Es ergibt sich entgegen der Ansicht der Beschwerde auch aus keinen Länderberichten eine Verfolgung aller Rückkehrer, die um Asyl angesucht haben (VwGH 24.11.2022, Ra 2022/18/0222).

Auch sonst haben sich im Verfahren keine Anhaltspunkte ergeben, die eine Verfolgung des Beschwerdeführers aus asylrelevanten Gründen im Herkunftsstaat maßgeblich wahrscheinlich erscheinen ließen. Die allgemeine Lage in Syrien ist nicht dergestalt, dass bereits jedem, der sich dort aufhält, der Status eines Asylberechtigten zuerkannt werden müsste.

Aufgrund des durchgeführten Ermittlungsverfahrens und des festgestellten Sachverhaltes erweist sich das Vorbringen des Beschwerdeführers als bereits abstrakt nicht asylrelevant und hinsichtlich der behaupteten Verfolgungshandlungen in Syrien auch als nicht glaubhaft.

Zu B) Unzulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab (vgl. die oben im Rahmen der rechtlichen Beurteilung zu Spruchteil A angeführten zahlreichen Erkenntnisse des Verwaltungsgerichtshofes), noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen.

Sofern die oben angeführte Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes und der Verfassungsgerichtshofes zu (zum Teil) alten Rechtslagen erging, ist diese nach Ansicht des Bundesverwaltungsgerichtes auf die inhaltlich meist völlig gleichlautenden Bestimmungen der nunmehr geltenden Rechtslage unverändert übertragbar (vgl. dazu insb. Notwendigkeit einer maßgeblichen Verfolgungswahrscheinlichkeit und dem Ungenügen der entfernten Möglichkeit einer Verfolgung VwGH 21.12.2000, 2000/01/0132; 23.09.1998, 98/01/0224; 26.11.1998, 98/20/0309, u.v.a).

Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor. Das Bundesverwaltungsgericht kann sich bei allen erheblichen Rechtsfragen auf eine ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes bzw. auf eine ohnehin klare Rechtslage stützen.

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