JudikaturBVwG

W173 2272007-1 – Bundesverwaltungsgericht Entscheidung

Entscheidung
23. Januar 2025

Spruch

W173 2272007-1/2E

IM NAMEN DER REPUBLIk!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Dr. Margit MÖSLINGER-GEHMAYR über die Beschwerde von XXXX , vertreten durch Dr. XXXX und Dr. XXXX , Rechtsanwälte OG, Prinz Eugen-Straße 34, 1040 Wien, gegen den Bescheid der Versicherungsanstalt öffentlich Bediensteter, Eisenbahnen und Bergbau, Pensionsservice, vom 11.04.2023, Zl. XXXX , zur Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu Recht erkannt:

A)

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang:

1. Frau XXXX , geboren am XXXX , (in der Folge: BF), stellte am 20.09.2022, elektronisch eingelangt am 22.09.2022 bei der Versicherungsanstalt öffentlich Bediensteter, Eisenbahnen und Bergbau Pensionsservice (in der Folge: BVAEB, belangte Behörde), einen Antrag auf Gewährung eines Versorgungsgenusses gemäß § 19 Pensionsgesetz 1965 (PG 1965) nach ihrem am XXXX verstorbenen, in einem öffentlich-rechtlichen Dienstverhältnis zum Bund im Ruhestand stehenden, früheren Ehegatten XXXX .

2. Mit Bescheid der belangten Behörde vom 13.12.2022, XXXX , wurde festgestellt, dass der BF gemäß § 19 Abs. 1, 2 und 4 Z 1 iVm § 14 Pensionsgesetzes 1965 (in der Folge: PG 1965) nach dem am 10.09.2023 verstorbenen früheren Ehemann, XXXX , ein Versorgungsbezug von monatlich € 712,19 brutto ab 01.10.2022 gebühre. Begründend wurde ausgeführt, gemäß § 19 Abs. 1 PG 1965 sei der Unterhaltsanspruch der BF nach ihrem verstorbenen früheren Ehemann an dessen Sterbetag in der festgestellten Höhe auf den vor dem Bezirksgericht XXXX am XXXX geschlossenen Vergleich, XXXX , gestützt. In der Rechtsmittelbelehrung wurde ausdrücklich darauf hingewiesen, dass eine schriftliche Beschwerde gegen den Bescheid innerhalb von vier Wochen ab dem Tag der Bescheidzustellung bei der belangten Behörde einzubringen sei.

2.1. Die Hinterlegung dieses Bescheides vom 13.12.2022, XXXX , erfolgte - nach dem erfolglosen Zustellversuch an Zustelladresse der BF - beim ihrem zuständigen Postamt am 21.12.2022. Die BF wurde darüber informiert, der gegenständliche Bescheid liege in der Zeit vom 22.12.2022 bis 09.01.2023 zur Abholung bereit. Bereits am 22.12.2022 holte die BF diesen Bescheid, XXXX , persönlich ab.

3. Mit Schriftsatz vom 31.01.2023, bei der belangten Behörde eingelangt am 31.01.2023, beantragte die durch die Rechtsanwälte OG Dr. XXXX und Dr. XXXX , rechtsfreundliche vertretene BF eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumnis der Beschwerdefrist gegen den Bescheid der belangten Behörde vom 13.12.2022, XXXX , unter gleichzeitiger Beschwerdeerhebung gegen den genannten Bescheid. Zum Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wurde vorgebracht, die BF sei am 30.11.2022 an die sie vertretende Rechtsanwaltskanzlei im Hinblick auf ihren Antrag auf Gewährung eines Witwenversorgungsgenusses herangetreten und habe diese am 13.12.2022 über den bevorstehenden bescheidmäßigen Abspruch über diesen Antrag in Kenntnis gesetzt. Zugleich habe sie die Erteilung der Vertretungsvollmacht an ihren Sohn, XXXX , in dieser Angelegenheit angekündigt. Diese schriftliche Vollmachtserteilung habe sie am 14.12.2022 dann übermittelt. Nach erfolgter Zustellung des gegenständlichen Bescheides vom 13.12.2022 habe ihr Sohn auch am 23.12.2022 diesen Bescheid an ihre rechtsfreundliche Vertretung mit der Bitte um Information über die weitere Vorgehensweise im Anhang zur E-Mail-Mitteilung übermittelt. Sie habe sich am 23.01.2023 telefonisch bei ihrer rechtsfreundlichen Vertretung nach dem Stand ihrer Rechtsangelegenheit erkundigt. Dabei sei in der Folge festgestellt worden, dass die Beschwerdefrist bereits mit 20.01.2023 abgelaufen sei. Die Anfechtungsfrist zur Einbringung einer Beschwerde gegen den Bescheid vom 13.12.2022 sei in der Kanzlei weder kalendiert, noch der Rechtsanwältin selbst vorgelegt worden. Es sei nämlich der bereits 8 Jahre für die Kanzlei tätigen, bewährten, äußerst genauen und zuverlässigen Kanzleiangestellten, Frau XXXX , im vorweihnachtlichen Betrieb ein Fehler unterlaufen. Die Kanzleimitarbeiterin habe das E-Mail samt gegenständigen Bescheid nicht – wie vorgesehen – gekennzeichnet in die von den Kanzleipartnern mehrmals täglich kontrollierten Postmappe, sondern in das Ablagefach im Sekretariat bei ihrem Platz und sodann in den Bezug habenden Handakt gelegt. Sie habe auch nicht die BF oder ihren Sohn zum Zustellvorgang kontaktiert. Sie habe nicht die übliche Kanzleipraxis verfolgt. Dabei seien noch nicht erledigte E-Mails elektronisch als erledigt zu kennzeichnen und die ausgedruckten E-Mails sodann in die Postmappe zu legen. Bei mit Fristen verbundenen E-Mails hätten die Mandanten im Hinblick auf die Zustellung kontaktiert werden müssen, wobei dazu ein Vermerk im Akt zu erfolgen habe. Die Frist sei im Kanzleikalender einzutragen und außerdem mit rotem Stift unter Bezeichnung der Frist (Beschwerde) zusätzlich auf dem jeweiligen E-Mail handschriftlich zu vermerken. Die Postmappe sei den Kanzleipartnern mehrmals täglich vorzulegen, die die ausgedruckten E-Mails im Hinblick auf die Fristen kontrollierten und den juristischen Mitarbeitern zuteilen oder selbst bearbeiten würden. Es habe kein Anlass bestanden, diese bewährte Kanzleikraft zu kontrollieren bzw. intensiv zu überwachen. Eine Nachlässigkeit bezüglich einer Überwachung bzw. Kontrolle der Sekretärin durch die Rechtsvertreterin liege nicht vor. Vielmehr sei die Struktur in der Kanzlei dergestalt organsiert, dass Fristvermerke durch Vorlage der Postmappe an die zwei Kanzleipartner mehrfach kontrolliert werden würden. Bei der falschen Einordnung des Bescheides durch die bewährte Kanzleisekretärin handle es sich unter Berücksichtigung ihrer vorweihnachtlichen Arbeitsbelastung und ihrer bisherigen außergewöhnlichen guten Arbeitsverrichtung um einen Grund, der die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gemäß § 71 AVG wegen Versäumnis der Frist zur Erhebung einer Beschwerde gegen den Bescheid vom 13.12.2022, XXXX , rechtfertige.

4. Mit Bescheid der belangten Behörde vom 11.04.2023, XXXX , wurde der Antrag vom 31.01.2023 auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand abgewiesen. Begründend wurde ausgeführt, eine dem Rechtsvertreter unterlaufene Versäumnis der Beschwerdefrist sei lediglich dann als Wiedereinsetzungsgrund zu werten, wenn diese für den Vertreter selbst unvorhergesehen oder unabwendbar gewesen sei und es sich hierbei höchstens um einen minderen Grad des Versehens handle. Ein diesbezüglich unterlaufenes Verschulden von Kanzleikräften könne nur dann als unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis im Sinne des § 71 AVG qualifiziert werden, wenn der Vertreter der ihm zumutbaren und gebotenen Überwachungspflicht gegenüber seinen Kanzleikräften nachgekommen sei. Rein technische Vorgänge beim Abfertigen von Schriftstücken könne ein Rechtsanwalt ohne nähere Beaufsichtigung einer ansonsten verlässlichen Kanzleikraft überlassen. Die Zuordnung eines Schriftstückes in eine bestimmtes Fach in Form einer Einordung in die Postmappe oder in das Ablagefache - gehöre jedoch nicht zu den rein manipulativen Tätigkeiten, sondern stelle vielmehr eine Entscheidung dar, wie mit den Schriftstücken in der Folge zu verfahren sei. Die Existenz bzw. Konkretisierung eines wirksamen Kontrollsystems in Hinblick auf die richtige Zuordnung der Schriftstücke in die Postmappe bzw. in das Ablagefach sei im vorliegenden Fall nicht dargelegt worden. Vielmehr wäre die Zuordnung eines bestimmten Schriftstückes im Ermessen der Sekretariatsmitarbeiter gelegen. Mangels entsprechender Kontrolle durch die Rechtsvertreterin der BF sei in diesem Falls dieser Fehler einer ihr obliegenden Sorgfaltspflichtverletzung anzulasten, sodass eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nicht zulässig sei.

5. Die BF brachte mit Schriftsatz vom 10.05.2023 eine Beschwerde gegen den abweisenden Bescheid der belangten Behörde vom 11.04.2023 zur Gewährung einer Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gemäß § 71 AVG, XXXX , im Hinblick auf die verspätete Beschwerdeeinbringung zur Bekämpfung des Bescheids vom 13.12.2022, XXXX , ein. Angeschlossen war zugleich die nachgeholte diesbezügliche Beschwerde gegen den zuletzt genannten Bescheid. Das Beschwerdevorbringen zur Abweisung des Antrags auf Wiedereinsetzung deckt sich weitgehend mit dem im Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand. Die ansonsten so verlässliche Mitarbeiterin des Sekretariats, Frau XXXX , habe sich entgegen den üblichen Kanzleivorgaben weisungswidrig verhalten. Tatsächlich wären alle Mitarbeiter des Sekretariats nämlich dazu anzuhalten, jede elektronisch einlangende, noch nicht erledigte E-Mail samt Anhang auszudrucken, elektronisch als erledigt zu kennzeichnen und die Ausdrucke in die Postmappe zu legen. Dieser Vorgang sei als eine rein manipulative Tätigkeit zu qualifizieren. Eine weitergehende Zuordnung zu einem bestimmten Fach oder Entscheidung darüber, ob ein einlangendes Schriftstück vorzulegen sei oder nicht, obliege ihnen nicht. Es sei ihnen nicht erlaubt, das ausgedruckte Schriftstück schlichtweg abzulegen. Die angesprochene Postmappe werde sodann den Partnern der Kanzlei mehrmals täglich vorgelegt und von ihnen die Richtigkeit der Fristvermerke überprüft. Im vorliegenden Fall sei die Rechtsvertreterin an einer Kontrolle mangels Vorlage des Schriftstückes (des an die BF adressierten Bescheides der belangten Behörde vom 13.12.2022, XXXX ), gehindert gewesen. Zu bedenken sei, dass es sich beim gegenständlichen zuletzt genannten Bescheid vom 13.12.2022 nicht um ein Schriftstück gehandelt habe, das die Kanzlei im Wege des elektronischen Rechtsverkehrs oder einer regulären Zustellung erreicht habe, sondern lediglich als Beilage einem von vielen in der Vorweihnachtszeit eingegangen Mails angeschlossen gewesen sei. Das weisungswidrige Verhalten der ansonsten verlässlichen Mitarbeiterin stelle jedenfalls ein unvorhergesehenes und unabwendbares Ereignis dar. Dadurch sei die fristgerechte Erhebung einer Beschwerde gegen den Bescheid vom 13.12.2022, XXXX , versäumt worden. Der Rechtsvertreterin sei diesbezüglich kein – den minderen Grad des Versehens übersteigendes – Organisationsverschulden anzulasten. Auf Grund der dargelegten Umstände habe eine Stattgabe zum eingebrachten Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gemäß § 71 AVG zu erfolgen.

6. Am 16.05.2023 wurde der Verwaltungsakt samt Beschwerden von der belangten Behörde dem Bundesverwaltungsgericht zur Entscheidung vorgelegt.

7. Im Zuge der nachgeholten Beschwerde gegen den Bescheid vom 13.12.2022, XXXX , wurde zusammengefasst auf das Vorliegen der Voraussetzungen des § 19 Abs. 4a Z 1 PG 1965 iVm § 61 Abs. 3 EheG verwiesen. Die belangte Behörde habe nicht berücksichtigt, dass die von der BF begehrte Scheidung auf Grund des Verschuldens ihres nunmehr verstorbenen früheren Ehemannes im Hinblick auf den Verzicht auf den Anspruch zurückgezogen worden sei. Die Klagsrücknahme habe zur Folge, dass die Klage als nicht eingebrachte gelte.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

1.1. Mit Urteil des BG XXXX , XXXX , vom XXXX , wurde die BF von ihrem Ehemann, XXXX , der in einem öffentlich-rechtlichen Dienstverhältnis zum Bund stand, gemäß § 55 Ehegesetz (in der Folge EheG) auf Grund Verschuldens ihres Ehemannes geschieden. Es wurde auch ein Scheidungsvergleich abgeschlossen. Die BF wurde in diesem Scheidungsverfahren durch die Rechtsanwältin, Dr. XXXX , Partnerin der RA OG Dr. XXXX und Dr. XXXX , vertreten.

1.2. Die BF stellte nach dem Tod ihres am XXXX verstorbenen, früheren Ehemanns, XXXX , am 20.09.2022 einen Antrag auf Versorgungsgenuss bei der belangten Behörde. Dieser Antrag langte bei der belangten Behörde am 22.09.2022 ein. Sie kontaktierte dazu auch ihre vormalige Rechtsvertreterin Frau Dr. XXXX , die sie bereits im Zuge ihrer Scheidung vom früheren Ehemann vertreten hatte, telefonisch am 30.11.2022 und ersuchte sie um Unterstützung. Im Rahmen eines Telefongesprächs der Rechtsvertreterin mit der BF am selben Tag, teilte diese ihr mit, einen Anspruch auf Versorgungsgenuss auf Grund der Scheidung ihrer Ehe gemäß § 55 EheG im Hinblick auf das Verschuldens ihres früheren Ehemanns zu haben. Es wurde ihr geraten, nochmals die belangte Behörde zu kontaktieren, ansonsten einen Termin mit ihrer Rechtsvertretung zu vereinbaren. Dazu wurde von der Rechtsanwaltskanzlei am 30.11.2022 ein Aktenvermerk erstellt.

1.3. Am 13.12.2022 trat die BF mit Frau Dr. XXXX neuerlich telefonisch in Kontakt, um ihr mitzuteilen, dass ein bescheidmäßiger Abspruch über ihren Versorgungsgenussantrag bevorsteht und der diesbezügliche Bescheid bei Vorliegen an die Kanzlei übermittelt werden wird. Sie gab zugleich im Hinblick auf die weitere Kommunikation bekannt, ihrem Sohn, Herrn XXXX , die Vertretungsvollmacht zu erteilen. Der von ihr Bevollmächtigte wird den erwarteten Bescheid an die Rechtsanwaltskanzlei weiterleiten. Die schriftliche Vertretungsvollmacht für ihren Sohn wurde am 14.12.2022 der Rechtsanwaltskanzlei per E-Mail-Mitteilung übermittelt.

1.4. Mit Bescheid vom 13.12.2022, XXXX , wurde von der belangten Behörde festgestellt, dass der BF aufgrund ihres am 22.09.2022 eingebrachten Antrages ein Versorgungsbezug nach dem Tod ihres früheren Ehemannes von monatlich € 712,19 brutto ab 01.10.2022 gebührt. Die Hinterlegung dieses Bescheides vom 13.12.2022 erfolgte nach dem erfolglosen Zustellversuch an Zustelladresse der BF bei ihrem zuständigen Postamt am 21.12.2022. In der Hinterlegungsanzeige wurde die BF darüber informiert, der gegenständliche Bescheid wird in der Zeit vom 22.12.2022 bis 09.01.2023 zur Abholung bereitgehalten. Noch am 22.12.2022 holte die BF den Bescheid vom 13.12.2022 vom Postamt ab. Dieser Bescheid wurde am nächsten Tag, dem 23.12.2022, im Anhang per E-Mail-Mitteilung vom von ihr bevollmächtigen Sohn an ihre anwaltliche Vertretung mit dem Ersuchen um Information über die weitere Vorgangsweise weitergeleitet.

1.5. Nach der geübten Praxis der Rechtsanwälte OG Dr. XXXX und Dr. XXXX zufolge hatte - um eine Versäumung von Fristen auszuschließen – das Kanzleisekretariat dabei wie folgt vorzugehen:

Die Kanzleimitarbeiter mussten die noch nicht erledigten E-Mails ausdrucken, elektronisch als erledigt kennzeichnen und die ausgedruckten E-Mails samt Anhang sodann in die Postmappe legen. Bei fristgebundenen Schriftstücken musste der das E-Mail bearbeitende Kanzleimitarbeiter den Mandanten immer telefonisch im Hinblick auf sein E-Mail kontaktieren und nach dem Datum und der Modalität der Zustellung fragen. Anschließend musste dies im Akt vermerkt, die Frist im Kanzleikalender eingetragen und darüber hinaus mit rotem Stift die Bezeichnung der Frist zusätzlich auf dem jeweiligen E-Mail handschriftlich vermerkt werden. Das E-Mail musste in Postmappe gelegt und die Postmappe den zwei Partnern der Kanzlei mehrmals täglich vorgelegt werden. Danach gingen die Partner die ausgedruckten E-Mails durch, kontrollieren die vermerkten Fristen und teilen die E-Mails den juristischen Mitarbeitern zur Bearbeitung zu oder bearbeiten diese selbst.

1.6. Frau XXXX , die seit 8 Jahren in der Kanzlei der anwaltlichen Vertretung der BF als Sekretärin tätig ist, hat aber am 23.12.2022 – damit in der sehr stressbelasteten Vorweihnachtszeit - die genannte, elektronisch noch nicht als erledigt gekennzeichnete E-Mail-Mitteilung vom 23.12.2022 samt Anhang, der den Bescheid vom 13.12.2022 enthielt, ausgedruckt und in das Ablagefach im Sekretariat bei ihrem Arbeitsplatz abgelegt. In der Folge hat sie dieses im Bezug habenden physischen Handakt zur Causa der BF eingelegt. Dies geschah ohne Rücksicht darauf, dass es sich hierbei um einen einer elektronisch noch nicht erledigten E-Mail-Mitteilung angeschlossenen, anfechtbaren, mit 13.12.2022 datierten Bescheid gehandelt hat. Dieser war der BF am 22.12.2022 zugestellt worden. Der oben geschilderten, üblichen Praxis der Rechtsanwaltskanzlei zufolge war in diesem Fall die elektronisch noch nicht erledigte E-Mail als elektronisch erledigt zu kennzeichnen und die Beschwerdefrist für die Bekämpfung des dem E-Mail angeschlossenen Bescheides vom 13.12. 2022 in den Kalender einzutragen oder auf dem E-Mail zu vermerken. Bei fristgebundenen Akten hatte der Mitarbeiter den jeweiligen Mandanten zum Zustellvorgang telefonisch zu befragen und dies im Akten zu vermerken. Die ausgedruckte E-Mail-Mitteilung samt Anhang war in die Postmappe einzulegen, die den Kanzleipartnern mehrmals täglich vorzulegen war.

1.7. Die bearbeitende Rechtsanwältin, Dr. XXXX , pflegt nicht selbst in den elektronischen E-Mail-Eingang Einsicht zu nehmen, da sie mit dem Computer nicht vertraut ist. Dies ist ihrer Ansicht nach auch nicht notwendig, da es bisher bei ihrer über eine achtjährige Berufspraxis in ihrer Kanzlei verfügenden, bewährten, äußerst genauen und zuverlässigen Kanzleisekretärin, Frau XXXX , angesichts der Organisation der Kanzlei noch nicht vorgekommen ist, ein E-Mail unberücksichtigt zu lassen oder nicht vorzulegen, womit sich auch eine Kontrolle und Überwachung der genannten Kanzleisekretärin erübrigt.

1.8. Um sich über den weiteren Verlauf ihrer Rechtssache zu erkundigen, rief die BF am 23.01.2023 in der mit ihrer Vertretung beauftragten Rechtsanwaltskanzlei an. Erst anlässlich dieses Telefonats der BF mit der Kanzlei wurde festgestellt, dass die Frist zur Erhebung einer Beschwerde gegen den bereits übermittelten Bescheid vom 13.12.2022, XXXX , mit dem auf Grund ihres Antrags vom 22.09.2022 ihr Versorgungsbezugs nach dem Tod ihres geschiedenen früheren Ehemannes festgestellt wurde, bereits mit 20.01.2023 abgelaufen ist.

1.9. Die rechtsfreundliche Vertreten der BF brachte in der Folge am 31.01.2023 einen Wiedereinsetzungsantrag gemäß § 71 AVG im Hinblick auf Versäumung der Frist zur Beschwerdeerhebung gegen den Bescheid vom 13.12.2022 zur Feststellung des Versorgungsbezugs der BF auf Grund ihres Antrags vom 22.09.2022 auf Gewährung eines Versorgungsbezuges, XXXX , ein. Die dazu nachgeholte Beschwerde wurde angeschlossen.

1.10. Die belangte Behörde wies den Antrag der BF auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gemäß § 71 Abs. 1 Z 1 AVG mit Bescheid vom 11.04.2023, XXXX , ab.

1.11. Die BF erhob Beschwerde gegen den abweisenden, mit 11.04.2023 datierten Bescheid der belangten Behörde zur Wiedereinsetzung in den vorigen Stand, XXXX . Sie wurde beim Bundesverwaltungsgericht unter der Aktenzahl, W173 2272007-1, protokolliert. Über sie wird mit gegenständlichen Erkenntnis entschieden. Die gegen den Bescheid vom 13.12.2022, XXXX , zur Feststellung des Versorgungsbezuges der BF nach dem am XXXX verstorbenen XXXX , nachgeholte Beschwerde vom 31.01.2023 wurde beim Bundesverwaltungsgericht unter der Aktenzahl, W173 2272007-2, protokolliert. Über sie wird mit nachfolgendem Beschluss zu W173 2272007-2 entscheiden werden.

2. Beweiswürdigung:

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch Einsichtnahme in den vorliegenden Verwaltungsakt Beweis erhoben. Der der Entscheidung zugrundeliegende Sachverhalt ergibt sich aus dem Verwaltungsakt und ist in den entscheidungsrelevanten Bereichen unstrittig.

3. Rechtliche Beurteilung:

Gemäß § 6 Bundesverwaltungsgerichtsgesetz (BVwGG), BGBl. I Nr. 10/2013 in der geltenden Fassung, entscheidet das BVwG durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist. Im gegenständlichen Fall liegt somit Einzelrichterzuständigkeit vor.

Das Verfahren der Verwaltungsgerichte mit Ausnahme des Bundesfinanzgerichts ist durch das Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz (VwGVG), BGBl. I Nr. 33/2013 in der geltenden Fassung, geregelt (§ 1 leg. cit.).

Gemäß § 17 VwGVG sind, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 B-VG die Bestimmungen des Allgemeinen Verwaltungsverfahrensgesetzes – AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles, die Bestimmungen der Bundesabgabenordnung – BAO, BGBl. Nr. 194/1961, des Agrarverfahrensgesetzes – AgrVG, BGBl. Nr. 173/1950, und des Dienstrechtsverfahrensgesetzes 1984 – DVG, BGBl. Nr. 29/1984, und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.

3.1. Zu Spruchpunkt A (Abweisung der Beschwerde):

3.1.1. Rechtsgrundlagen des AVG:

„Wiedereinsetzung in den vorigen Stand“

§ 71. (1) Gegen die Versäumung einer Frist oder einer mündlichen Verhandlung ist auf Antrag der Partei, die durch die Versäumung einen Rechtsnachteil erleidet, die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu bewilligen, wenn:

1. die Partei glaubhaft macht, daß sie durch ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis verhindert war, die Frist einzuhalten oder an der ganzen Verhandlung teilzunehmen und sie kein Verschulden oder nur ein minderer Grad des Versehens trifft, oder

2. die Partei die Rechtsmittelfrist versäumt hat, weil der Bescheid keine Rechtsmittelbelehrung, keine Rechtsmittelfrist oder fälschlich die Angabe enthält, daß kein Rechtsmittel zulässig sei.

(2) Der Antrag auf Wiedereinsetzung muß binnen zwei Wochen nach dem Wegfall des Hindernisses oder nach dem Zeitpunkt, in dem die Partei von der Zulässigkeit des Rechtsmittels Kenntnis erlangt hat, gestellt werden.

(3) Im Fall der Versäumung einer Frist hat die Partei die versäumte Handlung gleichzeitig mit dem Wiedereinsetzungsantrag nachzuholen.

(4) Zur Entscheidung über den Antrag auf Wiedereinsetzung ist die Behörde berufen, bei der die versäumte Handlung vorzunehmen war oder die die versäumte Verhandlung angeordnet oder die unrichtige Rechtsmittelbelehrung erteilt hat.

(5) Gegen die Versäumung der Frist zur Stellung des Wiedereinsetzungsantrages findet keine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand statt.

(6) Die Behörde kann dem Antrag auf Wiedereinsetzung aufschiebende Wirkung zuerkennen.

(7) Der Wiedereinsetzungsantrag kann nicht auf Umstände gestützt werden, die die Behörde schon früher für unzureichend befunden hat, um die Verlängerung der versäumten Frist oder die Verlegung der versäumten Verhandlung zu bewilligen.

3.1.2. Interpretation der Bestimmung zur Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gemäß AVG mit der dazu ergangenen Judikatur:

Der Begriff des minderen Grades des Versehens ist als leichte Fahrlässigkeit im Sinn des § 1332 ABGB zu verstehen. Der Wiedereinsetzungswerber darf also nicht auffallend sorglos gehandelt, d.h. die im Verkehr mit Behörden und für die Einhaltung von Terminen und Fristen erforderliche und ihm nach seinen persönlichen Fähigkeiten zumutbare Sorgfalt außer Acht gelassen haben, wobei an berufliche rechtskundige Parteienvertreter ein strengerer Maßstab anzulegen ist als an rechtsunkundige Personen. Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist das Verschulden des Vertreters einer Partei an der Fristversäumung dem Verschulden der Partei selbst gleichzuhalten (VwGH 09.11.2016, Ra 2016/10/0071, mwN).

Ein Versehen einer Angestellten eines Rechtsanwaltes ist dem Rechtsanwalt als Verschulden zuzurechnen, wenn der Anwalt die gebotene und ihm zumutbare Kontrolle gegenüber den Angestellten unterlassen hat. Der bevollmächtigte Anwalt muss den Aufgaben, die ihm aus dem Bevollmächtigungsvertrag erwachsen, auch insoweit nachkommen, als er sich zu ihrer Wahrnehmung seiner Kanzlei als seines Hilfsapparates bedient. Irrtümer und Fehler der Kanzleiangestellten von berufsmäßigen Parteienvertretern ermöglichen dann eine Wiedereinsetzung, wenn sie trotz Einhaltung der beruflichen Sorgfaltspflichten des Anwaltes bei der Kontrolle seines Kanzleiapparates und trotz bisheriger objektiver Eignung und Bewährung der Kanzleiangestellten unterlaufen und dem Anwalt kein den minderen Grad des Versehens übersteigendes Verschulden vorzuwerfen ist (VwGH 23.01.2013, 2013/10/0002, mwN).

Ein berufsmäßiger Parteienvertreter hat die Organisation seines Kanzleibetriebes so einzurichten, dass auch die richtige Vormerkung von Terminen und damit die fristgerechte Setzung von - mit Präklusion sanktionierten - Prozesshandlungen gesichert erscheint. Dabei ist durch entsprechende Kontrollen u.a. dafür vorzusorgen, dass Unzulänglichkeiten durch menschliches Versagen aller Voraussicht nach auszuschließen sind. Das, was der Wiedereinsetzungswerber in Erfüllung seiner nach der Sachlage gebotenen Überwachungspflicht vorgenommen hat, hat er im Wiedereinsetzungsantrag substantiiert zu behaupten. Rein technische Vorgänge beim Abfertigen von Schriftstücken kann ein Rechtsanwalt ohne nähere Beaufsichtigung einer ansonsten verlässlichen Kanzleikraft überlassen. Solche Vorgänge sind etwa die Kuvertierung, die Beschriftung eines Kuverts oder die Postaufgabe, also manipulative Tätigkeiten. Eine regelmäßige Kontrolle, ob eine erfahrene oder zuverlässige Kanzleikraft rein manipulative Tätigkeiten auch tatsächlich ausführt, ist dem Parteienvertreter nicht zuzumuten, will man seine Sorgfaltspflicht nicht überspannen.

Wird in keiner Weise dargelegt, ob jemals eine Kontrolle der manipulativen Vorgänge im Kanzleibetrieb oder der Kanzleiangestellten erfolgte bzw. wie das diesbezügliche Kontrollsystem eingerichtet ist, kann von einer Organisation des Kanzleibetriebes, die eine fristgerechte Setzung von Vertretungshandlungen mit größtmöglicher Zuverlässigkeit sicherstellt, und von einer wirksamen Überwachung keine Rede sein. Fehlt es an einem diesbezüglichen Vorbringen, liegt jedenfalls kein bloß minderer Grad des Versehens vor (VwGH 23.06.2016, Ra 2016/02/0100, mwN).

3.1.3. Für den gegenständlichen Fall bedeutet das Folgendes:

Die BF brachte durch ihre ausgewiesene Rechtsvertreterin erst nach Ablauf der vierwöchigen Beschwerdefrist einen Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand, verbunden mit einer Beschwerde gegen den Bescheid der belangten Behörde vom 13.12.2022 ein.

Das Fristerfordernis gemäß § 71 Abs. 2 AVG zur Einbringung eines Antrags auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wurde im gegenständlichen Fall erfüllt. Die Rechtsvertreterin erlangte erst am 23.01.2023 im Zuge eines Telefonats mit der BF Kenntnis vom Bescheid der belangten Behörde vom 13.12.2022. Sie hat in der Folge bereits am 31.01.2023 einen Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen Versäumung der Frist zur Erhebung einer Beschwerde gegen den Bescheid der belangten Behörde vom 13.12.2022 samt Nachholung der Beschwerde gegen den zuletzt genannten Bescheid bei der belangten Behörde eingebracht.

Die von der rechtsfreundlichen Vertreterin geschilderte praktizierte Vorgangsweise im Fall von elektronischen E-Mail-Eingängen in der Rechtsanwaltskanzlei in ihrem Antrag auf Wiedereinsetzung bzw. in ihrer Beschwerde gestaltete sich in der Form, dass ihre Kanzleimitarbeiter elektronisch noch nicht erledigte gekennzeichnete E-Mails samt Anhang auszudrucken und elektronisch als erledigt zu kennzeichnen haben. Die Ausdrucke sind in die Postmappe zu legen. Es ist nicht erlaubt, ausgedruckte Schriftstücke schlichtweg abzulegen. Bei mit einer Frist verbundenen E-Mails wird mit dem betroffenen Mandanten telefonisch Kontakt aufgenommen, um die Zustellungsumstände in Erfahrung zu bringen. Deren Aussagen werden im Akt vermerkt. Die Rechtsmittelfrist (Beschwerdefrist) wird im Kanzleikalender eingetragen und zusätzlich auf dem jeweiligen E-Mail mit rotem Stift mit der Fristbezeichnung auf dem ausgedruckten E-Mail vermerkt. Die Postmappe wird den Partnern der Kanzlei mehrmals täglich vorgelegt, die den Inhalt und die Fristvermerke auf ihre Richtigkeit überprüfen und in der Folge selbst bearbeiten oder den juristischen Mitarbeitern zur Bearbeitung zuteilen.

Bereits aus dieser geschilderten Kanzleipraxis zur Vorgangsweise der Kanzleimitarbeiter bei elektronisch noch nicht erledigten E-Mail-Eingängen ergibt sich, dass die Kanzleipartner nur jene in die Postmappe gelegten E-Mails samt Anhang einsehen und damit zusammenhängende Fristen kontrollieren können. Auf Grund des geschilderten Umgangs mit E-Mail-Eingängen ist es den Kanzleipartner auch nur möglich, auf jene Schriftstücke zuzugreifen, die in der Postmappe liegen. Ob damit alle elektronisch eingegangen E-Mail-Mitteilungen samt Anhang in der Postmappe aufscheinen, entzieht sich ihrer Kenntnis, wie sich auch anlässlich des Telefonats der BF mit der Rechtsanwältin Dr. XXXX am 23.01.2023 herausstellte. Dies gilt insbesondere für die Rechtsvertreterin der BF, Frau Dr. XXXX , die den elektronischen E-Mail-Eingang gar nicht kontrollieren kann, da ihr überhaupt die Computerkenntnisse dazu fehlen. Bezeichnend dafür ist auch, dass im Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand und in der Beschwerde vom 10.05.2023 vorgebracht wurde, dass es sich beim Bescheid vom 13.12.2022 auch nur um einen Anhang an eine elektronische E-Mail-Mitteilung gehandelt hat. In der Regel werden Schriftstücke – wie beispielsweise Bescheide, die einer fristgebundenen Anfechtung zugänglich sind - bei einer elektronischen Übermittlung im Anhang mit einer E-Mail-Mitteilung übermittelt werden.

In der gegenständlichen Fallkonstellation konnten auch nicht die vorsorglichen telefonischen Anrufe der BF am 30.11.2022 sowie am 13.12.2022 mit der Ankündigung, eines bevorstehenden Abspruchs über ihren Antrag auf Versorgungsgenuss nach ihrem verstorbenen früheren Ehemann keine Abhilfe schaffen. Dies gilt auch für ihren Sohn, XXXX , dem die BF eine schriftliche Vertretungsvollmacht an die Rechtsanwaltskanzlei erteilte, der in der Folge mit E-Mail vom 23.12.2022 mit dem ausdrücklichen Ersuchen um Information zur weiteren Vorgangsweise den Bescheid der belangten Behörde vom 13.12.2022 im Anhang übermittelt hat.

Die BF war zudem in der Rechtsanwaltskanzlei keine unbekannte Mandantin. Sie wurde von Frau Dr. XXXX bereits in ihrem Scheidungsverfahren vertreten. Die BF war es auch, die sich zur Abhandlung ihres Versorgungsbezugsantrages am 30.11.2022 von ihr Rat holte und bereits am 22.12.2023 auf den bevorstehenden Bescheidabspruch zu ihrem Antrag auf Versorgungsbezug aufmerksam machte. Mit Ausnahme des am 30.11.2022 geführten Gespräches der BF mit der Kanzlei erfolgten darüber hinaus gehend über weitere Vorgänge im Handakt zur Causa der BF offensichtlich keine Aktenvermerke mehr. Ein solcher ergibt sich auch nicht aus der sonst detaillierten Schilderung des Sachverhaltes im Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand und der Beschwerde gegen den abweisenden Bescheid vom 11.04.2023 bzw. den sonst vorgelegten Unterlagen.

Im Hinblick auf das Vorbringen im Wiedereinsetzungsantrag bzw. in der Beschwerde ist auch auf Grund der obigen Ausführungen davon auszugehen, dass es an einem Kontrollmechanismus zur Überprüfung dafür fehlt, ob tatsächlich alle im elektronischen Verkehr- per E-Mail - in die Kanzlei eingegangen, noch nicht bearbeiteten Eingangsstücke samt Anhang, die mit einzuhaltenden Fristen verbunden sind, den Partnern der Kanzlei von den Kanzleiangestellten in der täglich mehrmals vorzulegenden Postmappe enthalten sind. Dies gilt im Übrigen auch für elektronisch als erledigt gekennzeichnete Eingangsstücke. Die Rechtsvertreterin der BF, Dr. XXXX , hat im Übrigen überhaupt keinen Zugang zum elektronischen E-Mail-Verkehr der Kanzlei und damit auch zum elektronischen E-Mail-Eingang, da sie nicht mit einem Computer vertraut ist.

Es ist nach der Judikatur zwar zutreffend, dass es einer rechtsfreundlichen Vertreterin als Rechtsanwältin nicht zumutbar wäre, regelmäßig zu kontrollieren, ob rein manipulative, technische bzw. mechanische Tätigkeiten wie das Kuvertieren oder die Postaufgabe von einem erfahrenen und verlässlichen Mitarbeiter auch tatsächlich und richtig durchgeführt wurden (vgl. VwGH 20.03.2014, 2013/07/0287).

Die BF verkennt aber in der gegenständlichen Fallkonstellation, dass die den minderen Grad des Versehens übersteigende Sorgfaltspflichtverletzung der Rechtsvertreterin bereits schon zu einem viel früheren Zeitpunkt eintrat. Grundsätzlich liegt nämlich nach der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes ein Mangel in der Kanzleiorganisation, der auch nicht mehr als minderer Grad des Versehens eingestuft werden kann, insbesondere dann vor, wenn keine hinreichenden organisatorischen Vorkehrungen dahingehend getroffen sind, dass bei der Bearbeitung von Einlaufstücken die Möglichkeit der Verlegung in anderen Akten (VwGH 22.03.1991, 91/10/0018; 23.02.1993, 91/08/0170) oder des Verrutschens zu einer nicht (kaum) wahrnehmbaren Stelle (VwGH 30.05.1997, 96/02/0608; 31.03.2006, 2006/02/0003) ausgeschlossen ist.

Wird nach der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes in keiner Weise dargelegt, ob jemals eine Kontrolle der manipulativen Vorgänge im Kanzleibetrieb oder der Kanzleiangestellten erfolgte bzw. wie das diesbezügliche Kontrollsystem eingerichtet ist, kann von einer Organisation des Kanzleibetriebes, die eine fristgerechte Setzung von Vertretungshandlungen mit größtmöglicher Zuverlässigkeit sicherstellt, und von einer wirksamen Überwachung keine Rede sein. Fehlt es an einem diesbezüglichen Vorbringen, liegt jedenfalls kein bloß minderer Grad des Versehens vor (VwGH 23.06.2016, Ra 2016/02/0100, mwN).

Im Hinblick auf das Verlegen des Schriftstückes in die Ablage und in der Folge in den Handakt statt in die Postmappe durch die sehr bewährte und äußerst sorgfältige Kanzleimitarbeiterin ist in der gegenständlichen Fallkonstellation von einem über den minderen Grad des Versehens hinausgehendes Verschulden der rechtskundigen Vertreterin der BF auszugehen. Der Mangel ist auf die Kanzleiorganisation, der nicht mehr als minderer Grad des Versehens eingestuft werden kann, zurückzuführen. Dies ist der Fall, wenn nach der Judikatur keine hinreichenden organisatorischen Vorkehrungen dahingehend getroffen worden sind, dass bei der Bearbeitung von Einlaufstücken die Möglichkeit der Verlegung in anderen Akten (VwGH 22.03.1991, 91/10/0018; 23.02.1993, 91/08/0170) oder des Verrutschens zu einer nicht (kaum) wahrnehmbaren Stelle (VwGH 30.05.1997, 96/02/0608; 31.03.2006, 2006/02/0003) ausgeschlossen ist.

Liegt beispielsweise der Grund für den Wiedereinsetzungsantrag im Umstand, dass das Straferkenntnis in einen fremden Akt "hineingerutscht" und dort übersehen worden ist, ist dies im Wesentlichen auf ein "Versehen" seiner Sekretärin zurückzuführen. Selbst wenn die Fristvormerkung bei ihr bisher tadellos funktioniert hat, sehr gewissenhaft vorgenommen worden sind und die stichprobenartig vorgenommenen die Überprüfungen der Fristvormerke immer die ausgesprochene Richtigkeit bestätigt hat, so kann dieses Vorbringen nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht als ausreichend angesehen werden. Es fehlen in diesem Fall jegliche Angaben darüber, inwieweit der Vertreter des Antragstellers die Vorlage der Eingangsstücke überwacht, das heißt mit welchen organisatorischen Maßnahmen er dem etwaigen Verschwinden von Eingangsstücken zu begegnen versucht. Selbst ein allgemein gehaltenes Vorbringen, er kontrolliere die Sekretärin "stichprobenartig", ist in diesem Zusammenhang nach der Judikatur nicht ausreichend (VwGH 23.02.1993, 91/08/0170 mwN).

Auch in dem der Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofes vom 22.03.1991, 91/10/0018 zugrundeliegenden Fall hatte die langjährig geübte Sekretärin grundsätzlich gemäß Auftrag die gesamte Post dem ausgewiesenen Rechtsvertreter zur Fristenkontrolle und Überprüfung der Posteingangsstücke vorzulegen. Tatsächlich ist jedoch eine Verfügung weder in dem gegenständlichen Akt noch in den Parallelakt abgelegt worden und hat auch in den anderen zahlreichen Akten der ausgewiesenen Rechtsanwaltskanzlei nicht aufgefunden werden können. Der Verwaltungsgerichtshof wies in diesem Fall darauf hin, dass es der Rechtsvertreter offenbar unterlassen hat, seinen Kanzleibetrieb dergestalt einzurichten, dass ihm auch tatsächlich sämtliche Poststücke zukommen. Das bedeutet im konkreten Zusammenhang, dass bei der Organisation der Kanzlei derart Vorkehrungen zu treffen sind, dass Einlaufstücke nicht so bearbeitet werden, dass die Möglichkeit ihrer Verlegung in anderen Akten besteht, bevor sie der Rechtsanwalt überhaupt zu Gesicht bekommen hat. Dass den Vertreter der Antragsteller eine entsprechende Überwachungspflicht trifft, liege auf der Hand. Dabei reicht nicht einmal eine stichprobenartige Kontrolle.

Im vorliegenden Fall wäre es daher erforderlich gewesen, durch geeignete Kontrollmaßnahmen - beispielsweise durch einen regelmäßigen Abgleich des E-Mail-Eingangs mit der Postmappe - eine Überprüfung durchzuführen. Auf diese Weise kann überwacht werden, ob tatsächlich alle fristgebundenen Eingangsstücke mit Anhang an eine elektronische E-Mail-Mitteilung in der Postmappe - und nicht etwa in die Ablagestelle der Kanzleimitarbeiterin und in der Folge im Handakt – landen. Nur so kann auch sichergestellt werden, dass den beiden Rechtsanwälten der Kanzlei auch sämtliche im elektronischen Weg zugegangene E-Mails samt Anhang tatsächlich mit der Postmappe vorgelegt werden.

Das Vorbringen im Wiedereinsetzungsantrag bzw. in der Beschwerde, wonach die Rechtsvertretung der BF selbst den elektronischen E-Mail-Eingang nicht kontrollierte, da sie nicht mit dem Computer vertraut ist und Derartiges bis dato mangels entsprechender Vorfälle wie dem vorliegenden auch gar nicht notwendig gewesen ist, kann jedenfalls nicht überzeugen und zu keinem anderen Ergebnis führen. Die Rechtsvertreterin der BF kann sich keinesfalls aus der Verantwortung ziehen, indem sie sich auf ihre fehlenden bzw. mangelnden EDV-Kenntnisse beruft. Grundlegende EDV-Kenntnisse, wie das Abberufen von E-Mail-Mitteilungen, sind im heutigen digitalen Zeitalter unumgänglich. Die in diesem Bereich mangelnden EDV-Kenntnissen können sich auch einfach angeeignet werden. Es ist ein (beispielsweise vor Ende des Arbeitstages oder sodann am nächsten Morgen durchgeführter) Abgleich der Anzahl eingelangter E-Mails am Computer mit den Ausdrucken in der Postmappe auch nicht computerversierten Personen – allenfalls mit Hilfe anwesender Kanzleimitarbeiter – möglich und jedenfalls zumutbar. Dabei ist auch Anhängen, die im elektronischen Wege einer E-Mail-Mitteilung übermittelt werden, Beachtung zu schenken, da beispielsweise bei angeschlossene Bescheiden die Frist zu deren Anfechtung zu beachten sind. Dadurch wird eine leicht durchführbare und effiziente Kontrolle geschaffen, die keinen Raum für Fehler bei der Berücksichtigung sämtlicher E-Mail-Mitteilungen samt angeschlossener übermittelter Anhänge wie (fristgebundener) Schriftstücke lässt.

Auf Grund der obigen Ausführungen war daher die Beschwerde der BF, protokolliert beim Bundesverwaltungsgericht unter der Aktenzahl W173 227007-1, zum abweisenden Bescheid der belangten Behörde 11.04.2023, XXXX , zur beantragten Wiedereinsetzung in den vorigen Stand als unbegründet abzuweisen.

3.1.4. Entfall der mündlichen Verhandlung

Gemäß § 24 Abs. 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht auf Antrag oder, wenn es dies für erforderlich hält, von Amts wegen eine öffentliche mündliche Verhandlung durchzuführen. Gemäß § 24 Abs. 3 1. Satz VwGVG hat der BF die Durchführung einer Verhandlung in der Beschwerde oder im Vorlageantrag zu beantragen.

Die Durchführung einer Verhandlung wurde gegenständlich zwar beantragt. Der entscheidungswesentliche Sachverhalt ist aber unbestritten. In der vorliegenden Beschwerde wurden keine Rechts- oder Tatsachenfragen von einer solchen Art aufgeworfen, dass deren Lösung eine mündliche Verhandlung erfordert hätte. Somit steht auch Art. 6 EMRK dem Absehen von einer mündlichen Verhandlung nicht entgegen.

3.2. Zu Spruchpunkt B (Unzulässigkeit der Revision):

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.

Der Gesetzeswortlaut ist klar und eindeutig. Dazu wird auf die Ausführungen in der rechtlichen Würdigung verwiesen. Insoweit die in der rechtlichen Beurteilung angeführte Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes zu früheren Rechtslagen ergangen ist, ist diese nach Ansicht des Bundesverwaltungsgerichts auf die inhaltlich meist völlig gleichlautenden Bestimmungen der nunmehr geltenden Rechtslage unverändert übertragbar.

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