JudikaturBVwG

W123 2288060-1 – Bundesverwaltungsgericht Entscheidung

Entscheidung
05. Dezember 2024

Spruch

W123 2288060-1/5E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Dr. Michael ETLINGER über die Beschwerde des XXXX , geb. XXXX , StA. Somalia, vertreten durch die BBU GmbH, gegen Spruchpunkt I. des Bescheids des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 08.02.2024, Zl. 1316510302/222281555, zu Recht:

A)

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang:

1. Der Beschwerdeführer, ein somalischer Staatsangehöriger, stellte am 23.07.2022 einen Antrag auf internationalen Schutz.

2. Im Rahmen der am 24.07.2022 durchgeführten Erstbefragung durch ein Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes gab der Beschwerdeführer zu seinem Fluchtgrund an, dass er Somalia aus Angst um sein Leben verlassen habe. Sein älterer Bruder sei bei einem Volksgruppenkrieg getötet worden. Die Mutter des Beschwerdeführers habe Angst um ihn gehabt und habe das Anbaufeld verkauft, um seine Flucht zu finanzieren. Bei einer Rückkehr in seine Heimat befürchte der Beschwerdeführer an Hunger zu sterben oder durch Kriege getötet zu werden.

3. Am 24.11.2023 fand die Einvernahme des Beschwerdeführers vor Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (im Folgenden: belangte Behörde) statt. Die Niederschrift lautet auszugsweise:

„[…]

LA: Sind Sie jemals selbst in Somalia aufgrund Ihrer Volksgruppenzugehörigkeit oder Religion, politischen Gesinnung, sozialen Stellung etwaigen Bedrohungen/Verfolgungshandlungen ausgesetzt gewesen? (Anmerkung: die Begriffe werden der VP erklärt)

A: Ja, wegen der Minderheitsvolksgruppe meiner Mutter. Die Volksgruppe Abgal haben meine Feund mit mir verwechselt und haben ihn umgebracht. Mein Bruder wurde auch von der gleichen Volksgruppe getötet. Der Mann der meinen Bruder getötet hat, wollte unsere Landwirtschaft wegnehmen. Er war unser Nachbar.

LA: Kannten Sie die Täter, die Ihren Freund getötet haben?

A: Ja, befragt gebe ich an, dass er XXXX heißt. Er ist unser Nachbar, er hat neben unserer Landwirtschaft ein Grundstück, also Landwirtschaft.

LA: Ist Ihr verstorbener Bruder älter oder jünger als Sie?

A: Er war älter.

LA: Sind Sie jemals mit dem Gesetz in Konflikt geraten und wurden strafrechtlich verurteilt?

A: Nein, aber meine Mutter wurde inemal festgenommen. Befragt gebe ich an, weil XXXX meine Mutter angezeigt hat, er hat gesagt, dass unserer Landwirtschaft ihm gehört. Daher hat die Polizei meine Mutter festgenommen.

LA: Wie hat sich das Ganze aufgelöst?

A: Sie wurde nur befragt und entlassen, weil sie ein Teil der Landwirtschaft aufgegeben hat und dem XXXX übergeben hat. Sie hat unterschrieben und wurde entlassen.

[…]

Fluchtgrund

LA: Warum stellen Sie einen Asylantrag? Nennen Sie all Ihre Fluchtgründe! Schildern Sie Ihre Fluchtgründe aus Somalia detailgenau und chronologisch mit Zeitangaben! Schildern Sie Ihre Gründe bitte so, dass sich auch ein Außenstehender ein Bild machen kann.

A: Mein Name ist XXXX , geboren und aufgewachsne in XXXX . Meine Mutter und mein Vater haben sich getrennt wie ich noch nicht auf der Welt war. Ich war noch im Mutterleib. Mein Vater wollte keinen Kontakt mit uns, weil er nun erfahren hat, dass meine Mutter Mindeheitenangehörige ist, er sagt dass ich auch, dass ich nicht zu seiner Familie gehöre. Ich habe nur mit meiner Mutter gelebt und bin zur Schule gegangen. Eines Tages sind ich und mein Bruder auf die Landwirtschaft gegangen, als wir beide unterwegs waren, haben uns Männer erwischt sie haben meinen Burder ermordert und ich bin weggelaufen. Nach dem Tod meines Bruders musste ich mit der Schule aufhören, weil mein Burder mich untersützt hat und mein Schulgeld bezahlt hat. Mein Bruder wurde 2014 getötet, aber das Problem hat sich niemals gendet. Die gleichen Männer haben wieder versucht eine Anzeige bei der Polizei zu machen, das war im nächsten Jahr 2015. Meine Mutter wurde festgenommen und ins Gefängnis gebracht. Die Polizisten machten eine Verhandlung und sie wurde gezwungen ein Teil unserer Landwirstschaft wegzugeben, es gab keine andere Wahl, es war das einzige was sie machen konnte und das hat sie getan. Damals war ich noch jung, ich bin oft zuhause geblieben. Im Jahr 2017 habe ich begonnen, meiner Mutter in der Landwirtschaft zu helfen. Die Freunde die ich in XXXX hatte, haben mich diskriminiert, ich konnte nicht mit ihnen zusammen spielen, deswegen habe ich oft meine Freizeit zuhause verbracht, ich bin zuhause geblieben. Sie sagten, dass ich einem Minderheitsclan Madhiban gehörte. Sie kannten meinen Vater auch nicht und sagten mir, dass ich ein Waisenkind bin. Es gab noch einen Fall, dass ich mit einem Freund auf der Landwirtschaft war. Wir waren müde und sind eingeschlafen, einige Männer sind zu uns gekommen und haben meinen Freund ermordert. Sie dachten, dass sie mich getötet hatten. Sie haben uns verwechselt, das am 20.09.2020. Ich war geschockt und habe Angst bekommen. Ich war sehr traurig und habe mich ein Monat in meinem Zimmer eingesperrt. Am 14. Dezember 2020 bin ich mit meiner Mutter wieder auf die Landwirtschaft gegangen. Der Mann war dort, XXXX . Er war mit seinen Tieren dort. Als er uns gesehen hat, hat er begonnen seine Tiere auf unsere Landwirtschaft zu lassen, damit sie dort fressen können. Er macht das absichtlich, damit wir aufgeben. Meine Mutter hat versucht die Tiere zurückzuhalten, damit die Tiere nichts fressen können aber XXXX und die anderen Männer haben meine Mutter attackiert, sie haben meine Mutter belästigt und sexualmissbraucht, sie haben vor meinen Augen meine Mutter vergewaltigt. Sie haben mir auch die Hände gefesselt, sie wollten mich auch töten aber dort waren andere Männer dabei und sie sind weggelaufen, als sie die anderen Männer gesehen haben. Ich bin weggelaufen, das habe ich dann meinem Stiefvater erzählt. Sie haben meine Mutter dann geholt, wir hatten kein Geld für das Krankenhaus, für eine Behandlung oder Medikamente für meine Mutter. Meine Mutter hat mir dann empfohlen, dass ich von Somalia fliehe. Der ganze Grund dafür ist dass meine Mutter Madhiban angehört. Sie wollen nicht das eine Madihbanangehörige dort ein Grundstück hat. Ich persönlich habe verusch meinen Vater zu kontaktieren und hilfe von ihm zu bitten, aber er hat das abgelehnt und hat nur gesagt, dass ich nicht sein Sohn bin und ich ihn nicht mehr kontaktieren soll. Meine Mutter hat dann entschieden unsere Landwirtschaft zu verkaufen und meine Ausreise zu finanzieren. Ich bin von Somalia weggeflogen. Als ich in der Türkei angekommen bin habe ich meine Mutter kontaktiert, sie hat mir erzählt, dass die Situation schlechter geworden ist. Sie sagt mir dass sie das Miethaus nicht mehr finanzieren können. Sie sagte mir dass sie in eine andere Ortschaft übersiedelt sind, die Ortschaft heißt XXXX . Sie wohnen nun dort, meine Mutter arbeitet dort als Putzkraft und manchmal kontaktiert sie mich durch die Hilfe ihrer Arbeitsgeber.

LA: Haben Sie noch weitere Fluchtgründe?

A: Nein.

LA: Gibt es Schutz/Rückhalt/Hilfe/Unterstützung aufgrund Ihrer Clan-Zugehörigkeit bzw von Ihrem Clan?

A: Untereinander unterstützen sich unsere Clanzugehörigen nicht. Befragt gebe ich an, dass der somalischer Staat auch keine Hilfe anbietet.

LA: Welche Clanzugehörigkeit hat Ihr Stiefvater?

A: Auch Madhiban.

LA: Sie meinten, dass XXXX immer Männer dabei hatte. Wer waren diese?

A: Es waren insgesamt sieben Männer. Davon kenne ich aber nur drei. Sie heißen XXXX , XXXX und XXXX . Befragt gebe ich an, dass sie nicht immer zusammen waren aber bei dem Vorfall wo meine Mutter vergewaltigt wurde, waren sie dabei.

LA: Wie lange war Ihre Mutter in Gefangenschaft bei der Polizei?

A: Fast 2 Monate.

LA: Wer hat in diesen zwei Monaten nach dem Haushalt geschaut? A: Wir haben uns selbst darum gekümmert.

LA: Wer hat Ihnen die Hände entbunden?

A: Meine Mutter hat mir geholfen.

LA: Wieso sind Sie nach diesem Vorfall, wo Ihnen die Hände gefesselt worden sind, zur Polizei gegangen?

A: Niemand hat uns unterstützt. Die Polzei hat meine Mutter schon unfair behandelt. Meine Mutter meinte ich soll gehen, sonst würden sie mich verhaften. Ich habe auch meinen eigenen Vater um Hilfe gebeten, aber er war sehr gemein zu mir. Und hat uns nicht geholfen.

LA: Können Sie mir genau schildern, inwiefern Sie bezüglich Ihrer Volksgruppe diskriminiert werden?

A: Wir können nicht in die gleiche Schule gehen, wie die anderen. Wir können niemanden aus anderen Clans heiraten. Ich konnte nicht mal mit den anderen Kindern Fußball spielen.

LA: Wie sieht ein gewöhnlicher Tag bei Ihnen in Ihrem Heimatland aus? Beschreiben Sie einen gewöhnlichen Tag bei Ihnen zuhause!

A: Manchmal bin ich zuhause geblieben und manchmal habe ich meiner Mutter am Land geholfen.

LA: Wie geht’s Ihrer Familie nun?

A: Sie leben in einer sehr armen Situation. Meine Mutter hat mir erzählt, dass sie manchmal was zu essen haben und manchmal nicht. Meine Mutter hat auch ihr eigenen Probleme, sie wurde vergewaltigt und alle Dorfbewohner wissen das, wenn sie unterwegs ist, dann schimpfen die Leute und diskriminieren sie wegen Ihrer Angehörigkeit.

LA: Während all diesen Vorfällen, was genau ist die Rolle Ihres Stiefvaters? Warum war er nicht bei der Poliezi? A: Meine Mutter hat Angst den Vater Ihrer Kinder zu verlieren. Sie dachte sie werden ihn sofort töten. Darum hat er sich eher ferngehalten.

LA: Was befürchten Sie im Falle Ihrer Rückkehr nach Somalia?

A: Ich habe Angst um mein Leben, genauso zu getötet werden wie mein Bruder und mein Freund. Die Männer sind noch immer da.

[…]“

4. Mit dem angefochtenen Bescheid der belangten Behörde wurde der Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten abgewiesen (Spruchpunkt I.). Dem Beschwerdeführer wurde gemäß § 8 Abs. 1 AsylG 2005 der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt (Spruchpunkt II.) und ihm eine befristete Aufenthaltsberechtigung für 1 Jahr erteilt (Spruchpunkt III.).

5. Gegen den Spruchpunkt I. des obgenannten Bescheides der belangten Behörde richtet sich die fristgerecht eingebrachte Beschwerde vom 05.03.2024, in der zusammenfassend vorgebracht wurde, dass der Beschwerdeführer Angehöriger des unbewaffneten Minderheitenclans Galjecel sei. In Somalia habe der Beschwerdeführer mehrfach Morddrohungen erhalten. Darüber hinaus würden seine Eltern getrennt leben. Ferner bestehe für den Beschwerdeführer mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit auch die Gefahr, von nichtstaatlichen Akteuren zwangsrekrutiert zu werden.

6. Am 20.11.2024 fand eine mündliche Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht statt, in welcher der Beschwerdeführer zu seinen Gründen für die Ausreise aus Somalia befragt wurde. Seine Rechtsvertretung wurde darauf hingewiesen, dass die aktuelle Länderinformation der Staatendokumentation Somalia der Entscheidung zugrunde gelegt wird, wobei diesbezüglich auf den Beschwerdeschriftsatz verwiesen wurde.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

1.1. Zur Person und zu den Fluchtgründen des Beschwerdeführers:

1.1.1. Der Beschwerdeführer ist ein somalischer Staatsangehöriger und sunnitischer Moslem. Er gehört dem Clan der Galjecel an. Er spricht Somali und stammt aus XXXX nahe der Stadt XXXX .

1.1.2. Der Beschwerdeführer konnte nicht glaubhaft machen, dass er bei einer allfälligen Rückkehr nach Somalia mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit einer wie immer gearteten Verfolgung ausgesetzt wäre bzw. ein besonderes Interesse an der Person des Beschwerdeführers besteht bzw. bestehen könnte.

Der Beschwerdeführer konnte insbesondere nicht glaubhaft machen, dass er aufgrund seiner Clanzugehörigkeit von einem Nachbarn bedroht wurde bzw. von diesem im Fall einer Rückkehr nach Somalia einer Gefährdung ausgesetzt wäre.

1.2. Zum Herkunftsstaat:

Auszug Länderinformation der Staatendokumentation vom 08.01.2024 (Version 6)

Sicherheitslage und Situation in den unterschiedlichen Gebieten

Letzte Änderung 2024-01-03 09:48

Zwischen Nord- und Süd-/Zentralsomalia sind gravierende Unterschiede bei den Zahlen zu Gewalttaten zu verzeichnen (ACLED 2023). Auch das Maß an Kontrolle über bzw. Einfluss auf einzelne Gebiete variiert. Während Somaliland die meisten der von ihm beanspruchten Teile kontrolliert, wird die Lage über die Kontrolle geringer Teilgebiete von Puntland von al Shabaab beeinflusst - und in noch geringeren Teilen vom Islamischen Staat in Somalia - während es hauptsächlich an Clandifferenzen liegt, wenn Puntland tatsächlich keinen Zugriff auf gewisse Gebiete hat. In Süd-/Zentralsomalia ist die Situation noch viel komplexer. In Mogadischu und den meisten anderen großen Städten hat al Shabaab keine Kontrolle, jedoch eine Präsenz. Dahingegen übt al Shabaab über weite Teile des ländlichen Raumes Kontrolle aus. Zusätzlich gibt es in Süd-/Zentralsomalia große Gebiete, wo unterschiedliche Parteien Einfluss ausüben; oder die von niemandem kontrolliert werden; oder deren Situation unklar ist (BMLV 1.12.2023).

Laut einer Quelle der FFM Somalia 2023 sind Hargeysa, Berbera, Burco, Garoowe und – in gewissem Maße – Dhusamareb sichere Städte. Alle anderen Städte variieren demnach von einem Grad zum anderen. Auch Kismayo selbst ist sicher, aber hin und wieder gibt es Anschläge. Bossaso ist im Allgemeinen sicher, es kommt dort aber zu gezielten Attentaten. Dies gilt auch für Galkacyo (INGO-F/STDOK/SEM 4.2023). Laut einer weiteren Quelle sind Baidoa, Jowhar und Belet Weyne diesbezüglich innerhalb des Stadtgebietes wie Kismayo zu bewerten (BMLV 1.12.2023). Laut einer anderen Quelle sind alle Hauptstädte der Bundesstaaten relativ sicher (UNOFFX/STDOK/SEM 4.2023).

[…]

Süd-/Zentralsomalia, Puntland

Letzte Änderung 2024-01-03 09:48

[…]

Große Teile des Raumes in Süd-/Zentralsomalia befinden sich unter der Kontrolle oder zumindest unter dem Einfluss von al Shabaab. Die wesentlichen, von al Shabaab verwalteten und kontrollierten Gebiete sind:

1. das Juba-Tal mit den Städten Buale, Saakow und Jilib; de facto die gesamte Region Middle Juba;

2. Jamaame und Badhaade in Lower Juba;

3. größere Gebiete um Ceel Cadde und Qws Qurun in der Region Gedo;

4. Gebiete nördlich und entlang des Shabelle in Lower Shabelle, darunter Sablaale und Kurtunwaarey;

5. der südliche Teil von Bay mit Ausnahme der Stadt Diinsoor;

6. Gebiete rechts und links der Grenze von Bay und Hiiraan, inklusive der Stadt Tayeeglow;

7. die südliche Hälfte von Galgaduud mit der Stadt Ceel Buur (PGN 23.1.2023; vgl. BMLV 1.12.2023); nach neueren Angaben reicht das Gebiet dort nur ein Stück nach Galgaduud hinein (IO-D/STDOK/SEM 4.2023);

8. sowie die Region Bakool abzüglich eines Streifens entlang der äthiopischen Grenze und der Städte Xudur und Waajid (BMLV 1.12.2023).

In Süd-/Zentralsomalia kann kein Gebiet als frei von al Shabaab bezeichnet werden. – Insbesondere durch die Infiltration mit verdeckten Akteuren kann al Shabaab nahezu überall aktiv werden. Ein Vordringen größerer Kampfverbände von al Shabaab in unter Kontrolle der Regierung stehende Städte kommt nur in seltenen Fällen vor. Bisher wurden solche Penetrationen innert Stunden durch ATMIS und somalische Verbündete beendet. Eine Infiltration der Städte durch verdeckte Akteure von al Shabaab kommt in manchen Städten vor. Städte mit konsolidierter Sicherheit – i.d.R. mit Stützpunkten von Armee und ATMIS – können von al Shabaab zwar angegriffen, aber nicht eingenommen werden. Immer wieder gelingt es al Shabaab, kurzfristig kleinere Orte oder Stützpunkte einzunehmen, um sich nach wenigen Stunden oder Tagen wieder zurückzuziehen (BMLV 1.12.2023). Al Shabaab hat sich – in begrenztem Ausmaß – fähig gezeigt, Territorien, die bereits durch die Bundesarmee und ATMIS befreit wurden, wieder zurückzuerobern. In der Vergangenheit war das Scheitern, eroberte Territorien erfolgreich zu halten, mit dem Mangel an Polizeipräsenz in den eroberten Gebieten und der allgemein schlechten Moral in der Bundesarmee verbunden, die auf sehr geringe und oftmals verzögerte Besoldung zurückzuführen war (ÖBN 11.2022).

HirShabelle (Hiiraan, Middle Shabelle)

Letzte Änderung 2024-01-03 09:48

Die Macht der Regierung von HirShabelle reicht in alle Gebiete östlich des Shabelle und jedenfalls die Regionalhauptstädte Jowhar und Belet Weyne. Die Macawiisley haben beeindruckende Erfolge gegen al Shabaab erzielt und die Gruppe weitgehend aus den östlichen Teilen von Hiiraan und Middle Shabelle verdrängt (BMLV 1.12.2023). Quellen der FFM Somalia 2023 geben an, dass Busse zwischen Mogadischu und Belet Weyne und weiter nach Dhusamareb und Galkacyo verkehren. Es gibt nur wenige Checkpoints, an den Eingängen der Städte wird kontrolliert (INGO-F/STDOK/SEM 4.2023); die Straße ist offen (IO-D/STDOK/SEM 4.2023). Eine andere Quelle gibt an, dass die Route immer noch gefährlich ist und Menschen mit dem Flugzeug reisen (Researcher/STDOK/SEM 4.2023). Eine aktuellere Quelle erklärt, dass sich die Lage entlang der Verbindung von Jowhar nach Belet Weyne nach Rückschlägen der Regierungstruppen im September 2023 wieder verschlechtert hat, diese ist aber nicht mit der schlechten Lage vor der Offensive 2022 vergleichbar. Generell hat sich die Lage in Ost-Hiiraan und in Middle Shabelle verbessert. Hier sind in weiten Gebieten auch Bewegungen zwischen den Orten möglich (BMLV 1.12.2023).

[…]

Middle Shabelle: Jowhar, Balcad, Adan Yabaal und Cadale befinden sich unter Kontrolle von Regierungskräften und ATMIS (PGN 23.1.2023; vgl. BMLV 1.12.2023). Die beiden erstgenannten Städte können hinsichtlich einer Anwesenheit von (staatlichem) Sicherheitspersonal und etablierter Verwaltung als konsolidiert erachtet werden (BMLV 1.12.2023). Auch in Adan Yabaal gibt es eine Garnison der Bundesarmee. Ansonsten findet sich die Armee nur in kritischen Gebieten - also entlang der Hauptversorgungsrouten (Sahan/STDOK/SEM 4.2023). Al Shabaab wurde im Dezember 2022 au der Bezirkshauptstadt Adan Yabaal vertrieben. Die Stadt war seit 2016 eine wichtige Bastion der Gruppe (VOA 6.12.2022). In Middle Shabelle befindet sich lediglich noch ein schmaler Streifen im Nordwesten, westliche des Shabelle an der Grenze zu Hiiraan, unter Kontrolle von al Shabaab (PGN 23.1.2023; vgl. BMLV 1.12.2023).

Jowhar gilt als relativ ruhig. Dort befinden sich das Brigadekommando der burundischen ATMIS-Kräfte und ein Bataillon dieser Truppen (BMLV 1.12.2023). Am 17.7.2022 verübte al Shabaab einen schweren Anschlag auf ein Hotel, unter den Toten fanden sich zwei hohe Staatsvertreter (UNSC 1.9.2022b).

Wehrdienst und Rekrutierungen (durch den Staat und Dritte)

Süd-/Zentralsomalia, Puntland

Letzte Änderung 2022-07-26 09:37

Die somalische Armee ist eine Freiwilligenarmee (BMLV 19.7.2022). Es gibt keinen verpflichtenden Militärdienst. Allerdings rekrutieren Clans regelmäßig – und teils unter Androhung von Zwangsmaßnahmen für die Familie – junge Männer zum Dienst in einer Miliz, bei den staatlichen Sicherheitskräften oder bei al Shabaab. Dadurch soll für den eigenen Clan oder Subclan Schutz erlangt werden (AA 28.6.2022, S. 16).

(Zwangs-)Rekrutierungen und Kindersoldaten

Letzte Änderung 2023-03-17 08:09

Kindersoldaten: Allen Konfliktparteien wird vorgeworfen, Kinder zu rekrutieren (BS 2022, S. 19). Im Jahr 2021 gab es immer wieder Berichte über den Einsatz von Kindersoldaten durch die Bundesarmee, alliierte Milizen, die Sufi-Miliz Ahlu Sunna Wal Jama’a (ASWJ) und al Shabaab (USDOS 12.4.2022, S. 16). Im ersten Halbjahr 2021 sind 631 Kinder rekrutiert und eingesetzt worden; weitere 348 wurden entführt - oft mit dem Ziel einer Rekrutierung. Für 77 % der Fälle zeichnet al Shabaab verantwortlich (UNSC 6.10.2021). Dahingegen waren im Vergleichszeitraum 2020 insgesamt 535 Kinder rekrutiert worden, mehr als 400 davon durch al Shabaab. Im Jahr 2019 waren noch 1.169 durch al Shabaab rekrutiert worden, 2018 waren es 2.300 (UNSC 28.9.2020, Abs. 137f). Die Regierung versucht der Rekrutierung von Kindern durch die Armee mit Ausbildungs- und Screening-Programmen entgegenzuwirken. Der Umstand, dass es keine Geburtenregistrierung gibt, macht diese Arbeit schwierig (USDOS 12.4.2022, S. 16f).

Generell wird festgestellt, dass immer dann, wenn aktive Kampfhandlungen zunehmen, in der Vergangenheit ein damit verbundener Anstieg bei der Rekrutierung von Kindern zu verzeichnen war (UNSC 6.10.2021). Gerade in umkämpften Gebieten ist wiederholt eine besonders hohe Zahl an Rekrutierungen zu verzeichnen (AA 28.6.2022, S. 17).

Kindersoldaten - al Shabaab: Al Shabaab ist weniger an die Rekrutierung Erwachsener als an der Rekrutierung von 8-12-jährigen Kindern interessiert. Diese sind leichter zu indoktrinieren und formbarer (Sahan 6.5.2022). Al Shabaab rekrutiert und entführt auch weiterhin Kinder (UNSC 10.10.2022, Abs. 127; vgl. ÖB 11.2022, S. 6; HRW 13.1.2022). Alleine im Zeitraum Jänner bis März 2022 sind 177 derartige Fälle bekannt (UNSC 10.10.2022, Abs. 127). Die Gruppe entführt systematisch Kinder von Minderheitengruppen (BS 2022, S. 19). Al Shabaab führt u. a. Razzien gegen Schulen, Madrassen und Moscheen durch (USDOS 12.4.2022, S. 17). Es gibt Berichte über Gruppenentführungen aus Madrassen heraus. So sind etwa bei zwei Vorfällen in Bay und Hiiraan im ersten Halbjahr 2021 insgesamt 35 Buben entführt und zwangsrekrutiert worden (UNSC 6.10.2021). Außerdem indoktriniert und rekrutiert al Shabaab Kinder gezielt in Schulen (USDOS 12.4.2022, S. 17; vgl. UNSC 6.10.2021; ÖB 11.2022, S. 6). Al Shabaab betreibt eigene Schulen mit eigenem Curriculum. Die besten Schüler werden einer höheren Bildung zugeführt, während der große Rest in Ausbildungslager der Gruppe gebracht wird (VOA 16.11.2022).

Manchmal werden Clanälteste bedroht und erpresst, damit Kinder an die Gruppe abgegeben werden (USDOS 12.4.2022, S. 17). Es wird mitunter auch Gewalt angewendet, um von Gemeinden und Ältesten junge Rekruten zu erpressen (BS 2022, S. 19). In den Gebieten unter ihrer Kontrolle verlangt al Shabaab von Familien, dass sie einen oder zwei ihrer Buben in ihre Ausbildungslager schicken. Familien, die sich weigern, müssen mit Bußgeldern rechnen; manchmal werden sie auch mit Strafverfolgung oder Schlimmerem bedroht. Manche Familien schicken ihre Buben weg, damit sie einer Rekrutierung entgehen (Sahan 6.5.2022). Knapp die Hälfte der Kinder wird mittels Gewalt und Entführung rekrutiert, die andere durch Überzeugung der Eltern, Ältesten oder der Kinder selbst (AA 28.6.2022, S. 17). Die Methoden unterscheiden sich jedenfalls. So wurde beispielsweise ein Fall dokumentiert, wo im Gebiet um Xudur (Bakool) al Shabaab in manchen Dörfern die „freiwillige“ Übergabe von Kindern zwischen 12 und 15 Jahren forderte, während in anderen Dörfern Kinder zwangsweise rekrutiert wurden. Zudem sind Clans unterschiedlich stark betroffen. So berichten etwa die Hadame [Rahanweyn], dass immer wieder Kinder von al Shabaab zwangsrekrutiert worden sind - z.B. im Feber 2021 (UNSC 6.10.2021). Insgesamt bleibt die freiwillige oder Zwangsrekrutierung von Kindern aber unüblich und hauptsächlich auf jene Gebiete beschränkt, wo al Shabaab am stärksten ist (Sahan 6.5.2022). Nach Angaben einer Quelle entführt al Shabaab aber systematisch Kinder von Minderheitengruppen. Auch Mädchen werden für Zwangsehen mit Al-Shabaab-Kämpfern entführt (ÖB 11.2022, S. 6).

Aus Lagern oder anderen Einrichtungen der al Shabaab können Kinder nur mit Schwierigkeit entkommen. Die Kinder sind dort brutalem physischen und psychischen Stress ausgesetzt, die der Folter nahekommen; sie sollen gebrochen werden (Sahan 6.5.2022). In Lagern werden Kinder einer grausamen körperlichen Ausbildung unterzogen. Sie erhalten keine adäquate Verpflegung, dafür aber eine Ausbildung an der Waffe, physische Strafen und religiöse Indoktrination. Kinder werden gezwungen, andere Kinder zu bestrafen oder zu exekutieren. Eingesetzt werden Kinder etwa als Munitions- und Versorgungsträger, zur Spionage, als Wachen; aber auch zur Anbringung von Sprengsätzen, in Kampfhandlungen und als Selbstmordattentäter (USDOS 12.4.2022, S. 17). Mädchen werden auf eine Ehe vorbereitet, manchmal aber auch auf Selbstmordmissionen. Armeeeinheiten - wie Danab - haben immer wieder Operationen unternommen, um Kinder aus solchen Ausbildungslagern zu befreien (6.5.2022 Sahan).

Manchmal werden Kinder aus den Händen der al Shabaab befreit, so etwa durch Sicherheitskräfte im August 2020, als 33 Buben aus einer Madrassa in Kurtunwareey (Lower Shabelle) befreit wurden. Alle Kinder wurden mit ihren Eltern wiedervereint (UNSC 13.11.2020, Abs. 46).

(Zwangs-)Rekrutierung: Hauptrekrutierungsbereich von al Shabaab ist Süd-/Zentralsomalia (ÖB 11.2022, S. 6). Die meisten Rekruten stammen aus ländlichen Gebieten – v. a. in Bay und Bakool. Bei den meisten neuen Rekruten handelt es sich um Kinder, die das Bildungssystem der al Shabaab durchlaufen haben, was wiederum ihre Loyalität zur Gruppe fördert (HI 12.2018, S. 1). Etwa 40 % der Fußsoldaten von al Shabaab stammen aus den Regionen Bay und Bakool (Marchal 2018, S. 107). Die Mirifle (Rahanweyn) konstituieren hierbei eine Hauptquelle an Fußsoldaten (EASO 9.2021c, S. 18). Bei den meisten Fußsoldaten, die aus Middle Shabelle stammen, handelt es sich hingegen um Angehörige von Gruppen mit niedrigem Status, z. B. Bantu (Ingiriis 2020). Ein überproportionaler Teil von al Shabaab setzt sich aus Angehörigen der am meisten marginalisierten Gruppen Somalias zusammen (Sahan 30.9.2022).

Direkter Zwang wird bei einer Rekrutierung in der Praxis nur selten angewendet (Ingiriis 2020), jedenfalls nicht strategisch und nur eingeschränkt oder unter spezifischen Umständen (Marchal 2018, S. 92). Alle Wehrfähigen bzw. militärisch Ausgebildeten innerhalb eines Bereichs auf dem von al Shabaab kontrollierten Gebiet sind als territoriale „Dorfmiliz“ verfügbar und werden als solche auch eingesetzt, z.B. bei militärischen Operationen im Bereich oder zur Aufklärung (BMLV 9.2.2023). Wenn al Shabaab ein Gebiet besetzt, dann verlangt es von lokalen Clanältesten die Zurverfügungstellung von bis zu mehreren Dutzend – oder sogar hundert – jungen Menschen oder Waffen (Marchal 2018, S. 105). Insgesamt handelt es sich bei Rekrutierungsversuchen aber oft um eine Mischung aus Druck oder Drohungen und Anreizen (FIS 7.8.2020, S. 18; vgl. ICG 27.6.2019, S. 2). Knapp ein Drittel der in einer Studie befragten al Shabaab-Deserteure gab an, dass bei ihrer Rekrutierung Drohungen eine Rolle gespielt haben. Dies kann freilich insofern übertrieben sein, als Deserteure dazu neigen, die eigene Verantwortung für begangene muss (ACCORD 31.5.2021, S. 36/40). Generell kommen Zwangsrekrutierungen ausschließlich in Gebieten unter Kontrolle von al Shabaab vor. So gibt es etwa in Mogadischu keine Zwangsrekrutierungen durch al Shabaab (BMLV 9.2.2023; vgl. FIS 7.8.2020, S. 17f). Aus einigen Gegenden flüchten junge Männer sogar nach Mogadischu, um sich einer möglichen (Zwangs-)rekrutierung zu entziehen (BMLV 9.2.2023). Laut dem Experten Marchal rekrutiert al Shabaab zwar in Mogadischu; dort werden aber Menschen angesprochen, die z. B. ihre Unzufriedenheit oder ihre Wut über AMISOM bzw. ATMIS oder die Regierung äußern (EASO 9.2021c, S. 21).

Manche Mitglieder von al Shabaab rekrutieren auch in ihrem eigenen Clan (Ingiriis 2020). Von al Shabaab rekrutiert zu werden bedeutet nicht unbedingt einen Einsatz als Kämpfer. Die Gruppe braucht natürlich z. B. auch Mechaniker, Logistiker, Fahrer, Träger, Reinigungskräfte, Köche, Richter, Verwaltungs- und Gesundheitspersonal sowie Lehrer (EASO 9.2021c, S. 18).

Eine Rekrutierung kann viele unterschiedliche Aspekte umfassen: Geld, Clan, Ideologie, Interessen – und natürlich auch Drohungen und Gewalt (EASO 9.2021c, S. 21). Al Shabaab versucht, junge Männer durch Überzeugungsarbeit, ideologische und religiöse Beeinflussung und finanzielle Versprechen anzulocken. Jene, die arbeitslos, arm und ohne Aussicht sind, können, trotz fehlendem religiösem Verständnis, auch schon durch kleine Summen motiviert werden. Für manche Kandidaten spielen auch Rachegefühle gegen Gegner von al Shabaab eine Rolle (FIS 7.8.2020, S. 17; vgl. Khalil 1.2019, S. 33). Bei manchen spielt auch Abenteuerlust eine Rolle (Khalil 1.2019, S. 33). Etwa zwei Drittel der Angehörigen von al Shabaab sind der Gruppe entweder aus finanziellen Gründen beigetreten, oder aber aufgrund von Kränkungen in Zusammenhang mit Clan-Diskriminierung oder in Zusammenhang mit Misshandlungen und Korruption seitens lokaler Behörden (Felbab 2020, S. 120f). Feldforschung unter ehemaligen Mitgliedern von al Shabaab hat ergeben, dass 52 % der höheren Ränge der Gruppe aus religiösen Gründen beigetreten waren, bei den Fußsoldaten waren dies nur 15 % (Botha 2019). Ökonomische Anreize locken insbesondere Jugendliche, die oft über kein (regelmäßiges) Einkommen verfügen (SIDRA 6.2019a, S. 4). Von Deserteuren wurde der monatliche Sold für verheiratete Angehörige der Polizei und Armee von al Shabaab mit 50 US-Dollar angegeben; Unverheiratete erhielten nur Gutscheine oder wurden in Naturalien bezahlt. Jene Angehörigen von al Shabaab, welche höherbewertete Aufgaben versehen (Kommandanten, Agenten, Sprengfallenhersteller, Logistiker und Journalisten) verdienen 200-300 US-Dollar pro Monat; allerdings erfolgen Auszahlungen nur inkonsequent (Khalil 1.2019, S. 16). Nach neueren Angaben verdienen Fußsoldaten und niedrige Ränge 60-100 US-Dollar, Finanzbedienstete z. B. 250 US-Dollar im Monat (UNSC 10.10.2022, Abs. 52). Gemäß somalischen Regierungsangaben erhalten neue Rekruten 30 US-Dollar im Monat, ein ausgebildeter Fußsoldat oder ein Fahrer 70 US-Dollar; den höchsten Sold erhält demnach mit 25.000 US-Dollar der Emir selbst (FGS 2022, S. 99). Feldforschung unter ehemaligen Mitgliedern von al Shabaab hat ergeben, dass 84 % der Fußsoldaten und 31 % der höheren Ränge überhaupt nicht bezahlt worden sind (Botha 2019).

Im Übrigen ist auch die Loyalität von al Shabaab ein Anreiz. Während die Regierung kriegsversehrten Soldaten keinerlei Unterstützung zukommen lässt, sorgt al Shabaab für die Hinterbliebenen gefallener Kämpfer (FIS 7.8.2020, S. 17). Manche versprechen sich durch ihre Mitgliedschaft bei al Shabaab auch die Möglichkeit einer Rache an Angehörigen anderer Clans (Khalil 1.2019, S. 14f; vgl. EASO 9.2021c, S. 20). Für Angehörige marginalisierter Gruppen bietet der Beitritt zu al Shabaab zudem die Möglichkeit, sich selbst und die eigene Familie gegen Übergriffe anderer abzusichern (FIS 5.10.2018, S. 34). Auch die Aussicht auf eine Ehefrau wird als Rekrutierungswerkzeug verwendet (USDOS 12.4.2022, S. 42f). So z. B. bei somalischen Bantu, wo Mischehen mit somalischen Clans oft Tabu sind. Al Shabaab hat aber eben diese Mitglieder dazu ermutigt, Frauen und Mädchen von starken somalischen Clans – etwa den Hawiye oder Darod – zu heiraten (Ingiriis 2020).

Verweigerung: Üblicherweise richtet al Shabaab ein Rekrutierungsgesuch an einen Clan oder an ganze Gemeinden und nicht an Einzelpersonen. Diese "Vorschreibung" - also wieviele Rekruten ein Dorf, ein Gebiet oder ein Clan stellen muss - erfolgt üblicherweise jährlich, und zwar im Zuge der Vorschreibung anderer jährlicher Abgaben. Die meisten Rekruten werden über Clans rekrutiert. Es wird also mit den Ältesten über neue Rekruten verhandelt. Dabei wird mitunter auch Druck ausgeübt. Kommt es bei diesem Prozess zu Problemen, dann bedeutet das nicht notwendigerweise ein Problem für den einzelnen Verweigerer, denn die Konsequenzen einer Rekrutierungsverweigerung trägt üblicherweise der Clan. Damit al Shabaab die Verweigerung akzeptiert, muss eine Form der Kompensation getätigt werden. Entweder der Clan oder das Individuum zahlt, oder aber die Nicht-Zahlung wird durch Rekruten kompensiert. So gibt es also für Betroffene manchmal die Möglichkeit des Freikaufens (BMLV 9.2.2023). Eltern versuchen, durch Geldzahlungen die Rekrutierung ihrer Kinder zu verhindern (UNSC 10.10.2022, Abs. 127). Diese Wahlmöglichkeit ist freilich nicht immer gegeben. In den Städten liegt der Fokus von al Shabaab eher auf dem Eintreiben von Steuern, in ländlichen Gebieten auf der Aushebung von Rekruten (BMLV 9.2.2023).

Sich einer Rekrutierung zu entziehen ist möglich, aber nicht einfach. Die Flucht aus von al Shabaab kontrolliertem Gebiet gestaltet sich mit Gepäck schwierig, eine Person würde dahingehend befragt werden (NLMBZ 1.12.2021, S. 18). Trotzdem schicken Eltern ihre Kinder mitunter in von der Regierung kontrollierte Gebiete – meist zu Verwandten (UNSC 10.10.2022, Abs. 127).

Es besteht die Möglichkeit, dass einem Verweigerer bei fehlender Kompensationszahlung die Exekution droht. Insgesamt finden sich allerdings keine Beispiele dafür, wo al Shabaab einen Rekrutierungsverweigerer exekutiert hat (BMLV 9.2.2023). Ein Experte erklärt, dass eine einfache Person, die sich erfolgreich der Rekrutierung durch al Shabaab entzogen hat, nicht dauerhaft und über weite Strecken hin verfolgt wird (ACCORD 31.5.2021, S. 40). Stellt allerdings eine ganze Gemeinde den Rekrutierungsambitionen von al Shabaab Widerstand entgegen, kommt es mitunter zu Gewalt (BMLV 9.2.2023; vgl. UNSC 28.9.2020, Annex 7.2).

Frauen: Der Einsatz von Frauen bei al Shabaab erfolgt zumeist in unterstützender Rolle: Als Steuereinheberinnen, Lehrer- oder Predigerinnen in Madrassen, Wächterinnen in Gefängnissen; zum Kochen und Putzen, in der Waffenpflege oder Spionage (UNSC 10.10.2022, Abs. 29). In den Führungsgremien und Kampfkräften von al Shabaab finden sich keine Frauen. Deren Rolle reicht von jener der einfachen Ehefrau bis hin zu Rekrutierung, Missionierung, Spionage, Waffenschmuggel und Spendensammlung (ICG 27.6.2019, S. 7f). Frauen, die mit Soldaten oder AMISOM bzw. ATMIS Kleinhandel treiben, werden als Spione und Informationsbeschafferinnen rekrutiert (ICG 27.6.2019, S. 12). Andererseits werden Frauen und Mädchen der Bantu mitunter nicht nur in eine Ehe gezwungen – und zwar unter Todesdrohungen – die Ehe gestaltet sich noch dazu eher als temporäre sexuelle Versklavung (Benstead 2021).

Minderheiten und Clans

Letzte Änderung 2023-03-17 08:31

Zu Clanschutz siehe auch Kapitel Rechtsschutz / Justizwesen

Der Clan ist die relevanteste soziale, ökonomische und politische Struktur in Somalia. Er bestimmt den Zugang zu Ressourcen sowie zu Möglichkeiten, Einfluss, Schutz und Beziehungen (SPC 9.2.2022). Dementsprechend steht Diskriminierung in Somalia generell oft nicht mit ethnischen Erwägungen in Zusammenhang, sondern vielmehr mit der Zugehörigkeit zu bestimmten Minderheitenclans oder Clans, die in einer bestimmten Region keine ausreichende Machtbasis und Stärke haben (AA 28.6.2022, S. 11). Die meisten Bundesstaaten fußen auf einer fragilen Balance zwischen unterschiedlichen Clans. In diesem Umfeld werden weniger mächtige Clans und Minderheiten oft vernachlässigt (BS 2022, S. 10). Selbst relative starke Clans können von einem lokalen Rivalen ausmanövriert werden, und es kommt zum Verlust der Kontrolle über eine Stadt oder eine regionale Verwaltung. Meist ist es die zweitstärkste Lineage in einem Bezirk oder einer Region, welche über die Verteilung von Macht und Privilegien am unglücklichsten ist (Sahan 30.9.2022).

Clanälteste dienen als Vermittler zwischen Staat und Gesellschaft. Sie werden nicht einfach aufgrund ihres Alters gewählt. Autorität und Führungsposition werden verdient, nicht vererbt. Ein Clanältester repräsentiert seine Gemeinschaft, ist ihr Interessenvertreter gegenüber dem Staat. Innerhalb der Gemeinschaft dienen sie als Friedensstifter, Konfliktvermittler und Wächter des Xeer. Bei Streitigkeiten mit anderen Clans ist der Clanälteste der Verhandler. Al Shabaab installiert oft Älteste, welche die Gruppe repräsentieren. Er wird so zum Bindeglied zwischen der Gemeinschaft und al Shabaab. So werden zuvor legitime Strukturen in Geiselhaft genommen (Sahan 26.10.2022).

In ganz Somalia sehen sich Menschen, die keinem der großen Clans angehören, in der Gesellschaft signifikant benachteiligt. Dies gilt etwa beim Zugang zur Justiz (UNHCR 22.12.2021, S. 56) und für ökonomische sowie politische Partizipation (UNHCR 22.12.2021, S. 56; vgl. BS 2022, S. 23). Minderheiten und berufsständische Kasten werden in mindere Rollen gedrängt - trotz des oft sehr relevanten ökonomischen Beitrags, den genau diese Gruppen leisten (BS 2022, S. 23). Mitunter kommt es auch zu physischer Belästigung (UNHCR 22.12.2021, S. 56). Insgesamt ist allerdings festzustellen, dass es hinsichtlich der Vulnerabilität und Kapazität unterschiedlicher Minderheitengruppen signifikante Unterschiede gibt (UNOCHA 14.3.2022).

Recht: Die Übergangsverfassung und Verfassungen der Bundesstaaten verbieten die Diskriminierung und sehen Minderheitenrechte vor (UNHCR 22.12.2021, S. 56). Weder das traditionelle Recht (Xeer) (SEM 31.5.2017, S. 42) noch Polizei und Justiz benachteiligen Minderheiten systematisch. Faktoren wie Finanzkraft, Bildungsniveau oder zahlenmäßige Größe einer Gruppe können Minderheiten dennoch den Zugang zur Justiz erschweren (SEM 31.5.2017, S. 42; vgl. ÖB 11.2022, S. 4). Allerdings sind Angehörige von Minderheiten in staatlichen Behörden unterrepräsentiert und daher misstrauisch gegenüber diesen Einrichtungen (ÖB 11.2022, S. 4). Von Gerichten Rechtsschutz zu bekommen, ist für Angehörige von Minderheiten noch schwieriger als für andere Bevölkerungsteile (FIS 7.8.2020, S. 21). Auch im Xeer sind Schutz und Verletzlichkeit einer Einzelperson eng verbunden mit der Macht ihres Clans (SEM 31.5.2017, S. 31). Weiterhin ist es für Minderheitsangehörige aber möglich, sich im Rahmen formaler Abkommen einem andern Clan anzuschließen bzw. sich unter Schutz zu stellen. Diese Resilienz-Maßnahme wurde von manchen Gruppen etwa angesichts der Hungersnot 2011 und der Dürre 2016/17 angewendet (DI 6.2019, S. 11). Aufgrund dieser Allianzen werden auch Minderheiten in das Xeer-System eingeschlossen. Wenn ein Angehöriger einer Minderheit, die mit einem großen Clan alliiert ist, einen Unfall verursacht, trägt auch der große Clan zu Mag/Diya (Kompensationszahlung) bei (SEM 31.5.2017, S. 33). Gemäß einer Quelle haben schwächere Clans und Minderheiten trotzdem oft Schwierigkeiten – oder es fehlt überhaupt die Möglichkeit – ihre Rechte im Xeer durchzusetzen (LIFOS 1.7.2019, S. 14).

Angehörige von Minderheiten stehen vor Hindernissen, wenn sie Identitätsdokumente erhalten wollen - auch im Falle von Reisepässen (UNHCR 22.12.2021, S. 58).

Politik: Politische Repräsentation, politische Parteien, lokale Verwaltungen und auch das nationale Parlament sind um die verschiedenen Clans bzw. Subclans organisiert, wobei die vier größten Clans (Darod, Hawiye, Dir-Isaaq und Digil-Mirifle) Verwaltung, Politik, und Gesellschaft dominieren - und zwar entlang der sogenannten 4.5-Formel (ÖB 11.2022, S. 3). Dies bedeutet, dass den vier großen Clans dieselbe Anzahl von Parlamentssitzen zusteht, während kleinere Clans und Minderheitengruppen gemeinsam nur die Hälfte dieser Sitze erhalten (ÖB 11.2022, S. 3; vgl. USDOS 12.4.2022, S. 31f; FH 2022a, B4). Dadurch werden kleinere Gruppen politisch marginalisiert (FH 2022a, B4). Sie werden von relevanten politischen Posten ausgeschlossen und die wenigen Angehörigen von Minderheiten, die solche Posten halten, haben kaum die Möglichkeit, sich für ihre Gemeinschaften einzusetzen (SPC 9.2.2022). So ist also selbst die gegebene, formelle Vertretung nicht mit einer tatsächlichen politischen Mitsprache gleichzusetzen, da unter dem Einfluss und Druck der politisch mächtigen Clans agiert wird. Die 4.5-Formel hat bisher nicht zu einem Fortschritt der ethnischen bzw. Clan-bezogenen Gleichberechtigung beigetragen (ÖB 11.2022, S. 4).

Gesellschaft: Einzelne Minderheiten leben unter besonders schwierigen sozialen Bedingungen in tiefer Armut und leiden an zahlreichen Formen der Diskriminierung und Exklusion (USDOS 12.4.2022, S. 41; vgl. AA 28.6.2022, S. 14; FH 2022a, F4). Sie sehen sich in vielfacher Weise von der übrigen Bevölkerung – nicht aber systematisch von staatlichen Stellen – wirtschaftlich, politisch und sozial ausgegrenzt (AA 28.6.2022, S. 14). Zudem sind die Systeme gegenseitiger Unterstützung bei ihnen weniger gut ausgebaut, und sie verfügen über geringere Ressourcen (Sahan 24.10.2022) und erhalten weniger Remissen (Sahan 24.10.2022; vgl. SPC 9.2.2022). Die mächtigen Gruppen erhalten den Löwenanteil an Jobs, Ressourcen, Verträgen, Remissen und humanitärer Hilfe. Schwache Gruppen erhalten wenig bis gar nichts. Bei der Hungersnot 1991 waren die meisten Hungertoten entweder Digil-Mirifle oder Bantu. Dies gilt auch für die Hungersnot im Jahr 2011. Ein Grund dafür ist, dass humanitäre Hilfe von mächtigeren Clans vereinnahmt wird (Sahan 24.10.2022). Dementsprechend stehen Haushalte, die einer Minderheit angehören, einem höheren Maß an Unsicherheit bei der Nahrungsmittelversorgung gegenüber. Meist sind Minderheitenangehörige von informeller Arbeit abhängig, und die allgemeinen ökonomischen Probleme haben u.a. die Nachfrage nach Tagelöhnern zurückgehen lassen. Dadurch sind auch die Einkommen dramatisch gesunken (UNOCHA 14.3.2022).

Gewalt: Minderheitengruppen, denen es oft an bewaffneten Milizen fehlt, sind überproportional von Gewalt betroffen (Tötungen, Folter, Vergewaltigungen etc.). Täter sind Milizen oder Angehörige dominanter Clans - oft unter Duldung lokaler Behörden (USDOS 12.4.2022, S. 41). In Mogadischu können sich Angehörige aller Clans frei bewegen und auch niederlassen. Allerdings besagt der eigene Clanhintergrund, in welchem Teil der Stadt es für eine Person am sichersten ist (FIS 7.8.2020, S. 39).

Al Shabaab: Es gibt Hinweise, wonach al Shabaab gezielt Kinder von Minderheiten entführt (BS 2022, S. 19; vgl. ÖB 11.2022 S. 6). Gleichzeitig nützt al Shabaab die gesellschaftliche Nivellierung als Rekrutierungsanreiz – etwa durch die Abschaffung der Hindernisse für Mischehen zwischen "noblen" Clans und Minderheiten (ICG 27.6.2019, S. 7f). Dementsprechend wird die Gruppe von Minderheitsangehörigen eher als gerecht oder sogar attraktiv erachtet (DI 6.2019, S. 11; vgl. ÖB 11.2022, S. 4). Al Shabaab hat sich die gesellschaftliche Benachteiligung von Gruppen zunutze gemacht (Sahan 24.10.2022). Ein überproportionaler Teil von al Shabaab setzt sich aus Angehörigen der am meisten marginalisierten Gruppen Somalias zusammen (Sahan 30.9.2022). Fehlender Rechtsschutz auf Regierungsseite ist ein weiterer Grund dafür, dass Angehörige von Minderheiten al Shabaab beitreten (FIS 7.8.2020, S. 21). Missstände treiben ganze Gemeinden in die Arme von al Shabaab. Sie suchen ein taktisches Bündnis – haben dabei aber keine dschihadistische Vision, sondern wollen ihre Rivalen ausstechen. Al Shabaab nimmt derartige Spannungen gerne auf und verwendet sie für eigene Zwecke (Sahan 30.9.2022). Aufgrund der (vormaligen) Unterstützung von al Shabaab durch manche Minderheiten kann es in Regionen, aus welchen al Shabaab gewichen ist, zu Repressalien kommen (ÖB 11.2022, S. 4f).

Bevölkerungsstruktur

Letzte Änderung 2022-07-26 10:05

Somalia ist eines der wenigen Länder in Afrika, wo es eine dominante Mehrheitskultur und -Sprache gibt. Die Mehrheit der Bevölkerung findet sich innerhalb der traditionellen somalischen Clanstrukturen (UNHCR 22.12.2021, S. 56). Somalia ist nach Angabe einer Quelle ethnisch sehr homogen; allerdings sei der Anteil ethnischer Minderheiten an der Gesamtbevölkerung unklar (AA 28.6.2022, S. 11/14). Gemäß einer Quelle teilen mehr als 85 % der Bevölkerung eine ethnische Herkunft (USDOS 12.4.2022, S. 40). Eine andere Quelle besagt, dass die somalische Bevölkerung aufgrund von Migration, ehemaliger Sklavenhaltung und der Präsenz von nicht nomadischen Berufsständen divers ist (GIGA 3.7.2018). Es gibt weder eine Konsistenz noch eine Verständigungsbasis dafür, wie Minderheiten definiert werden (UNOCHA 14.3.2022; vgl. NLMBZ 1.12.2021, S. 44). Insgesamt reichen die Schätzungen hinsichtlich des Anteils an Minderheiten an der Gesamtbevölkerung von 6 % bis hin zu 33 %. Diese Diskrepanz veranschaulicht die Schwierigkeit, Clans und Minderheiten genau zu definieren (NLMBZ 1.12.2021, S. 44; vgl. SEM, 31.5.2017, S. 12). Jedenfalls trifft man in Somalia auf Zersplitterung in zahlreiche Clans, Subclans und Sub-Subclans, deren Mitgliedschaft sich nach Verwandtschaftsbeziehungen bzw. nach traditionellem Zugehörigkeitsempfinden bestimmt (AA 18.4.2021, S. 12). Diese Unterteilung setzt sich fort bis hinunter zur Kernfamilie (SEM 31.5.2017, S. 5).

Insgesamt ist das westliche Verständnis einer Gesellschaft im somalischen Kontext irreführend. Dort gibt es kaum eine Unterscheidung zwischen öffentlicher und privater Sphäre. Zudem herrscht eine starke Tradition der sozialen Organisation abseits des Staates. Diese beruht vor allem auf sozialem Vertrauen innerhalb von Abstammungsgruppen. Seit dem Zusammenbruch des Staates hat sich diese soziale Netzwerkstruktur reorganisiert und verstärkt, um das Überleben der einzelnen Mitglieder zu sichern (BS 2022, S. 34). Die Zugehörigkeit zu einem Clan ist der wichtigste identitätsstiftende Faktor für Somalis. Sie bestimmt, wo jemand lebt, arbeitet und geschützt wird. Darum kennen Somalis üblicherweise ihre exakte Position im Clansystem (SEM 31.5.2017, S. 8).

Die sogenannten "noblen" Clanfamilien können (nach eigenen Angaben) ihre Abstammung auf mythische gemeinsame Vorfahren und den Propheten Mohammed zurückverfolgen. Die meisten Minderheiten sind dazu nicht in der Lage (SEM 31.5.2017, S. 5). Somali sehen sich als Nation arabischer Abstammung, "noble" Clanfamilien sind meist Nomaden:

Darod gliedern sich in die drei Hauptgruppen: Ogaden, Marehan und Harti sowie einige kleinere Clans. Die Harti sind eine Föderation von drei Clans: Die Majerteen sind der wichtigste Clan Puntlands, während Dulbahante und Warsangeli in den zwischen Somaliland und Puntland umstrittenen Grenzregionen leben. Die Ogaden sind der wichtigste somalische Clan in Äthiopien, haben aber auch großen Einfluss in den südsomalischen Juba-Regionen sowie im Nordosten Kenias. Die Marehan sind in Süd-/Zentralsomalia präsent.

Hawiye leben v.a. in Süd-/Zentralsomalia. Die wichtigsten Hawiye-Clans sind Habr Gedir und Abgaal, beide haben in und um Mogadischu großen Einfluss.

Dir leben im Westen Somalilands sowie in den angrenzenden Gebieten in Äthiopien und Dschibuti, außerdem in kleineren Gebieten Süd-/Zentralsomalias. Die wichtigsten Dir-Clans sind Issa, Gadabursi (beide im Norden) und Biyomaal (Süd-/Zentralsomalia).

Isaaq sind die wichtigste Clanfamilie in Somaliland, wo sie kompakt leben. Teils werden sie zu den Dir gerechnet.

Rahanweyn bzw. Digil-Mirifle sind eine weitere Clanfamilie (SEM 31.5.2017, S. 10). Vor dem Bürgerkrieg der 1990er war noch auf sie herabgesehen worden. Allerdings konnten sie sich bald militärisch organisieren (BS 2020, S. 9).

Alle Mehrheitsclans sowie ein Teil der ethnischen Minderheiten – nicht aber die berufsständischen Gruppen – haben ihr eigenes Territorium. Dessen Ausdehnung kann sich u. a. aufgrund von Konflikten verändern (SEM 31.5.2017, S. 25). In Mogadischu verfügen die Hawiye-Clans Abgaal, Habr Gedir und teilweise auch Murusade über eine herausragende Machtposition. Allerdings leben in der Stadt Angehörige aller somalischen Clans, auch die einzelnen Bezirke sind diesbezüglich meist heterogen (FIS 7.8.2020, S. 38ff).

Als Minderheiten werden jene Gruppen bezeichnet, die aufgrund ihrer geringeren Anzahl schwächer als die "noblen" Mehrheitsclans sind. Dazu gehören Gruppen anderer ethnischer Abstammung; Gruppen, die traditionell als unrein angesehene Berufe ausüben; sowie die Angehörigen "nobler" Clans, die nicht auf dem Territorium ihres Clans leben oder zahlenmäßig klein sind (SEM 31.5.2017, S. 5). Insgesamt gibt es keine physischen Charakteristika, welche die Zugehörigkeit zu einem bestimmten Clan erkennen ließen (LI 4.4.2016, S. 9). Zudem gewinnt die Mitgliedschaft in einer islamischen Organisation immer mehr an Bedeutung. Dadurch kann eine "falsche" Clanzugehörigkeit in eingeschränktem Ausmaß kompensiert werden (BS 2022, S. 25).

Süd-/Zentralsomalia, Puntland

Ethnische Minderheiten, aktuelle Situation

Letzte Änderung: 17.03.2023

Ethnische Minderheiten haben eine andere Abstammung und in manchen Fällen auch eine andere Sprache als die restlichen Einwohner des somalischen Sprachraums (SEM 31.5.2017, S. 11). Die soziale Stellung der einzelnen ethnischen Minderheiten ist unterschiedlich (SEM 31.5.2017, S. 14). Sie werden aber als minderwertig (NLMBZ 1.12.2021, S. 44) und mitunter als Fremde erachtet (SPC 9.2.2022). So können Angehörige ethnischer Minderheiten auf Probleme stoßen - bis hin zu Staatenlosigkeit - wenn sie z. B. in einem Flüchtlingslager außerhalb Somalias geboren wurden (UNHCR 22.12.2021, S. 58).

Generell sind Angehörige von Minderheiten keiner systematischen Verfolgung mehr ausgesetzt, wie dies Anfang der 1990er der Fall war (NLMBZ 1.12.2021, S. 44). Dies gilt auch für Mogadischu. Allerdings sind dort all jene Personen, welche nicht einem dominanten Clan der Stadt angehören, potenziell gegenüber Kriminalität vulnerabler (LI 21.5.2019b, S. 3). In den Städten ist die Bevölkerung aber allgemein gemischt, Kinder gehen unabhängig von ihrer ethnischen Zugehörigkeit in die Schule und Menschen ins Spital (UNFPA/DIS 25.6.2020).

Nach anderen Angaben drohen ethnischen Minderheiten Stigmatisierung, soziale Absonderung, Verweigerung von Rechten und ein niedriger sozialer, ökonomischer und politischer Status (NLMBZ 1.12.2021, S. 44), Arbeitslosigkeit und ein Mangel an Ressourcen. Sie werden am Arbeitsmarkt diskriminiert und vom Rest der Gesellschaft ausgeschlossen. Die meisten Angehörigen marginalisierter Gruppen haben keine Aussicht auf Rechtsschutz, nur selten werden solche Personen in die Sicherheitskräfte aufgenommen. Auch im Xeer werden sie marginalisiert. In Mogadischu mangelt es den Minderheiten auch an politischem Einfluss. Andererseits ändert sich die Situation langsam zum Besseren, die Einstellung v. a. der jüngeren Generation ändert sich; die Clanzugehörigkeit ist für diese nicht mehr so wichtig wie für die Älteren (FIS 7.8.2020, S. 42ff).

Die Bantu sind die größte Minderheit in Somalia (SEM 31.5.2017, S. 12f; vgl. FIS 7.8.2020, S. 41). Es gibt zahlreiche Bantu-Gruppen bzw. -Clans, wie z. B. Gosha, Makane, Kabole, Shiidle, Reer Shabelle, Mushunguli, Oji oder Gobaweyne; pejorativ werden sie auch Adoon (Sklaven) oder Jareer (Kraushaar) genannt. Traditionell leben sie als sesshafte Bauern in den fruchtbaren Tälern der Flüsse Juba und Shabelle (SEM 31.5.2017, S. 12f; vgl. UNHCR 22.12.2021, S. 57). Von den ca. 900.000 IDPs, die sich im Großraum Mogadischu aufhalten (Stand 2020), sind rund 700.000 Bantu (FIS 7.8.2020, S. 42ff).

Die Bantu werden überall in Somalia rassistisch stigmatisiert (ACCORD 31.5.2021, S. 25) und diskriminiert (ACCORD 31.5.2021, S. 25; vgl. BS 2022, S. 9; USDOS 12.4.2022, S. 41; GIGA 3.7.2018). Die meisten Somali schauen auf die sesshaften Bantu, die zum Teil einst als Sklaven ins Land gekommen waren, herab (SEM 31.5.2017, S. 14; vgl. UNHCR 22.12.2021, S. 57). Sie sind das dramatischste Beispiel für die Schlechterbehandlung durch dominierende Gruppen (Sahan 30.9.2022) und werden als Bürger zweiter Klasse erachtet (BS 2022, S. 9) und befinden sich am untersten Ende der Gesellschaft (LIFOS 19.6.2019, S. 9f). Auch in IDP-Lagern werden sie diskriminiert, Bantu-Frauen mangelt es dort an Schutz durch die traditionelle Clanstruktur (USDOS 12.4.2022, S. 41; vgl. LIFOS 19.6.2019, S. 8). 80 % der Opfer geschlechtsspezifischer Gewalt finden sich unter ihnen (FIS 7.8.2020, S. 42ff). Überhaupt befinden sich Bantu in einer vulnerablen Situation, da zuvor bestehende Patronageverhältnisse (welche Schutz gewährleisteten) im Bürgerkrieg erodiert sind. Dadurch haben Bantu heute kaum Zugang zum Xeer (LIFOS 19.6.2019, S. 9f). Bantu sind besonders schutzlos (ÖB 11.2022, S. 4; vgl. FIS 7.8.2020, S. 42). Andererseits sind einige Bantu-Gruppen mit lokal mächtigen Clans Allianzen eingegangen, um sich dadurch zu schützen (FIS 7.8.2020, S. 44).

Mischehen werden stigmatisiert (LIFOS 19.6.2019, S. 7). Im September 2018 wurde ein Bantu in Mogadischu in Zusammenhang mit einer Mischehe getötet. Allerdings war dies ein sehr außergewöhnlicher Vorfall, über welchen viele Somali ihre Entrüstung äußerten (NLMBZ 3.2019, S. 43). Al Shabaab hingegen hat zahlreiche Kinder der Bantu entführt oder zwangsrekrutiert. Trotzdem genießt die Gruppe bei dieser Minderheit größere Unterstützung (LIFOS 19.6.2019, S. 7ff). Die meisten Fußsoldaten von al Shabaab, die aus Middle Shabelle stammen, gehören zu Gruppen mit niedrigem Status – etwa zu den Bantu. Al Shabaab hat diese Mitglieder dazu ermutigt, Frauen und Mädchen von "noblen" Clans (z. B. Hawiye, Darod) zu heiraten (Ingiriis 2020).

Einem Bericht zufolge sind aus den USA deportierte somalische Bantu - manchmal schon am Flughafen in Mogadischu - von Bewaffneten entführt worden, um Lösegeld zu erpressen (UNHCR 22.12.2021, S. 58).

Benadiri ist ein Dachbegriff für verschiedene voneinander unabhängige urbane Minderheiten, die in den Küstenstädten des Südens leben (z. B. Mogadischu, Merka, Baraawe) und sich traditionell im Handel betätigen. Sie haben eine gemischte Abstammung aus Somalia, Arabien, Persien, Indien und Portugal (SEM 31.5.2017, S. 13f; vgl. UNHCR 22.12.2021, S. 57). Vor 1991 hatten sie einen privilegierten Status. Ohne bewaffnete Miliz waren sie im Bürgerkrieg aber schutzlos. Heute werden Benadiri gemeinhin als Händler respektiert (SEM 31.5.2017, S. 13f). In Mogadischu stellen die Benadiri die zweitgrößte Minderheitengruppe. Einige von ihnen haben es geschafft, reich zu werden (FIS 7.8.2020, S. 41ff). Im Gegensatz zu den Bantu kommt ihnen kein geringerer Status zu, Mischehen sind kein Problem (LI 14.6.2018, S. 17). Auch von Sicherheitsproblemen wird (in Mogadischu) nicht berichtet (NLMBZ 1.12.2021, S. 45). Vielen Reer Xamar (Teil der Benadiri) ist es gelungen, ihre vormaligen Immobilien im Bezirk Xamar Weyne (Mogadischu) durch Zahlungen zurückzuerhalten. Dort stellen sie auch die Bevölkerungsmehrheit (LI 21.5.2019b, S. 2f).

Die Bajuni sind ein kleines Fischervolk, das auf den Bajuni-Inseln im Süden Somalias sowie in Kismayo (SEM 31.5.2017, S. 14; vgl. UNHCR 22.12.2021, S. 57) aber auch entlang der kenianischen Küste bis Lamu lebt. Der UNHCR zählt die Bajuni zu den Benadiri (UNHCR 22.12.2021, S. 57).

Kinder von Mischehen der al-Shabaab: Einige somalische Mädchen und Frauen haben ausländische Kämpfer (z.B. aus Europa, USA, Asien) der al Shabaab geheiratet. Die aus solchen Ehen hervorgegangenen Kinder sind teils leicht zu identifizieren (ICG 27.6.2019, S. 9).

Berufsständische Minderheiten, aktuelle Situation

Letzte Änderung: 17.03.2023

Berufsständische Gruppen unterscheiden sich weder durch Abstammung noch durch Sprache und Kultur von der Mehrheitsbevölkerung (SEM 31.5.2017, S. 14ff). Sie sind somalischen Ursprungs, wurden aber von den traditionellen Clan-Lineages ausgeschlossen (UNHCR 22.12.2021, S. 57). Im Gegensatz zu den „noblen“ Clans wird ihnen nachgesagt, ihre Abstammungslinie nicht auf Prophet Mohammed zurückverfolgen zu können (SEM 31.5.2017, S. 14ff). Ihre traditionellen Berufe werden als unrein oder unehrenhaft erachtet (UNHCR 22.12.2021, S. 57; vgl. NLMBZ 1.12.2021, S. 45; SEM 31.5.2017, S. 14ff) - etwa Jäger, Lederverarbeiter, Schuster, Friseure, Töpferinnen, traditionelle Heiler oder Hebammen (NLMBZ 1.12.2021, S. 45). Diese Gruppen stehen damit auf der untersten Stufe der sozialen Hierarchie in der Gesellschaft. Sie leben verstreut in allen Teilen des somalischen Kulturraums, mehrheitlich aber in Städten. Ein v. a. im Norden bekannter Sammelbegriff für einige berufsständische Gruppen ist Gabooye, dieser umfasst etwa die Tumal, Madhiban, Muse Dheriyo und Yibir (SEM 31.5.2017, S. 14ff). Ein anderer Sammelbegriff ist Midgan (UNHCR 22.12.2021, S. 57).

Diskriminierung: Für die Gabooye hat sich die Situation im Vergleich zur Jahrtausendwende, als sie nicht einmal normal die Schule besuchen konnten, gebessert. Insbesondere unter jungen Somali ist die Einstellung zu ihnen positiver geworden; mittlerweile ist es für viele Angehörige der Mehrheitsclans üblich, auch mit Angehörigen berufsständischer Gruppen zu sprechen, zu essen, zu arbeiten und Freundschaften zu unterhalten. Es gibt keine gezielten Angriffe gegen oder Misshandlungen von Gabooye (SEM 31.5.2017, S. 43f). In Mogadischu sind Angehörige von Minderheiten keiner systematischen Gewalt ausgesetzt. Allerdings sind all jene Personen, welche nicht einem dominanten Clan der Stadt angehören, potenziell gegenüber Kriminalität vulnerabler (LI 21.5.2019b, S. 3).

Die berufsständischen Kasten werden zudem diskriminiert und als Bürger zweiter Klasse erachtet (BS 2022, S. 9). Zu ihrer Diskriminierung trägt bei, dass sie sich weniger strikt organisieren und sie viel ärmer sind. Daher sind sie nur in geringerem Maß in der Lage, Kompensation zu zahlen oder Blutrache anzudrohen (GIGA 3.7.2018; vgl. SEM 31.5.2017, S. 44ff). Insgesamt ist die soziale Stufe und die damit verbundene Armut für viele das Hauptproblem. Hinzu kommt, dass diese Minderheiten in der Regel eine tendenziell schlechtere Kenntnis des Rechtssystems haben. Der Zugang berufsständischer Gruppen zur Bildung ist erschwert, weil an ihren Wohnorten z. B. Schulen fehlen. Außerdem verlassen viele Kinder die Schule früher, um zu arbeiten. Viele Familien sind auf derartige Einkommen angewiesen. Die meist schlechtere Bildung wiederum führt zur Benachteiligung bei der Arbeitssuche, bei der die Clanzugehörigkeit ohnehin oft zu Diskriminierung führen kann. Da berufsständische Gruppen nur über eine kleine Diaspora verfügen, profitieren sie zudem in geringerem Ausmaß von Remissen als Mehrheitsclans (SEM 31.5.2017, S. 44ff).

Dennoch sind vereinzelt auch Angehörige berufsständischer Gruppen wirtschaftlich erfolgreich. Auch wenn sie weiterhin die ärmste Bevölkerungsschicht stellen, finden sich einzelne Angehörige in den Regierungen, im Parlament und in der Wirtschaft (SEM 31.5.2017, S. 49).

2. Beweiswürdigung:

Zur Feststellung des für die Entscheidung maßgebenden Sachverhaltes wurde im Rahmen des Ermittlungsverfahrens Beweis erhoben mittels Durchführung einer öffentlich mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht, durch Einsichtnahme in den Akt der belangten Behörde unter zentraler Berücksichtigung der niederschriftlichen Angaben des Beschwerdeführers vor dieser und dem Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes, mittels des bekämpften Bescheides und des Beschwerdeschriftsatzes.

2.1. Zur Person des Beschwerdeführers:

Die Feststellungen zu Herkunft, Staatsangehörigkeit, Religion, der Clanzugehörigkeit und Sprachkenntnissen des Beschwerdeführers gründen sich im Wesentlichen auf die nicht bestrittenen Feststellungen im angefochtenen Bescheid sowie seine diesbezüglich gleichbleibenden und daher glaubhaften Angaben vor dem Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes, der belangten Behörde und in dem Beschwerdeschriftsatz. Es ist im Verfahren nichts hervorgekommen, das Zweifel an der Richtigkeit dieser Feststellungen zur Person des Beschwerdeführers aufkommen lässt.

2.2. Zum Fluchtgrund des Beschwerdeführers:

2.2.1. Wie schon die belangte Behörde zutreffend erkannte, war der Beschwerdeführer nicht in der Lage, glaubhafte Fluchtgründe vorzubringen. Das Bundesverwaltungsgericht verweist daher zunächst auf die nachfolgende (schlüssige) Beweiswürdigung der belangten Behörde im angefochtenen Bescheid, der es sich inhaltlich anschließt:

„Betreffend die Feststellungen zu den Gründen für das Verlassen Ihres Herkunftsstaats:

[…]

Im Rahmen Ihrer Behauptungen rund um Ihre Fluchtgründe haben Sie keinen einzigen Aspekt Ihrer Fluchtgründe detailliert und somit auch nicht nachvollziehbar umschrieben. Sie gaben an, dass Sie und Ihre Mutter Probleme aufgrund der Landwirtschaft hatten. Nie definierten Sie, wieso eine derartige Streitigkeit entstanden ist – Sie gaben lediglich an, dass sogar die somalische Polizei Sie zur Übergabe des Grundstücks aufforderte. Des Weiteren ist es nicht nachvollziehbar, weshalb genau Sie von diesen Streitigkeiten betroffen waren, wenn die Landwirtschaft schlussendlich von Ihrer Mutter geführt wurde und Sie nur Beisteher waren. Ihr Bruder wurde im Jahr 2014 aufgrund dieser Landwirtschaft getötet, jedoch führte Ihre Mutter weiterhin die Landwirtschaft. Auf die Frage, weshalb Ihr Stiefvater nie in die Streitigkeiten eingegriffen hatte, gaben Sie an, dass Ihre Mutter Angst hatte, dass der Vater ihrer Kinder getötet wird, weshalb Ihr Stiefvater sich auch von der Sache fernhielt. Ihre Mutter hat Ihnen die Flucht aus Somalia empfohlen und dafür die Landwirtschaft verkauft, die diese Probleme ausgelöst hat. Nicht nachvollziehbar ist, weshalb Sie nach dem Verkauf der Landwirtschaft dennoch ausreisten und inwiefern XXXX noch immer eine Gefahr für Sie ist. Schlussendlich war das Ziel von XXXX , dass Sie und Ihre Mutter nicht mehr diese Landwirtschaft führen – was mit dem Verkauf erreicht wurde. Im Falle einer Rückkehr befürchten Sie den Tod, da die Männer noch immer vor Ort sind, gaben Sie an. Widersprüchlich gaben Sie an, dass Ihre Mutter in eine andere Ortschaft übersiedelt ist, daher ist es unklar, wie Ihre Mutter davon wissen sollte.“

2.2.2. Für das Bundesverwaltungsgericht ist das Fluchtvorbringen des Beschwerdeführers bereits deshalb in Zweifel zu ziehen, da dieser noch im Rahmen der Erstbefragung die (offenkundig) fluchtauslösenden Vorfälle im September bzw. Dezember 2020 mit keinem Wort erwähnte. Der Beschwerdeführer bestätigte dies zunächst auch, indem er eingestand, dies bei der Erstbefragung nicht gesagt zu haben (vgl. S 6 in OZ 3). In diesem Zusammenhang wird keinesfalls übersehen, dass die Erstbefragung gemäß § 19 Abs. 1 AsylG 2005 insbesondere der Ermittlung der Identität und der Reiseroute des Fremden dient und sich - abgesehen von einem Folgeantrag - nicht auf die näheren Fluchtgründe zu beziehen hat. Der Verwaltungsgerichtshof hat zwar wiederholt Bedenken gegen die unreflektierte Verwertung von Beweisergebnissen der Erstbefragung erhoben (vgl. etwa VwGH 14.6.2017, Ra 2017/18/0001, mwN). Gleichwohl ist es aber nicht generell unzulässig, sich auf eine Steigerung des Fluchtvorbringens zwischen der Erstbefragung durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes und der weiteren Einvernahme eines Asylwerbers zu stützen (vgl. VwGH 25.06.2019, Ra 2018/19/0546). Für das Bundesverwaltungsgericht erschließt sich jedoch nicht, warum der Beschwerdeführer wesentliche Elemente seines späteren Vorbringens unerwähnt ließ.

Auf den diesbezüglichen Vorhalt führte der Beschwerdeführer aus, dass er – vor der Einvernahme bei der LPD Burgenland – zwei Tage unterwegs gewesen sei, nichts gegessen habe und nur die Fragen beantwortet habe, die ihm gestellt worden seien (vgl. S 6 in OZ 3). Hierzu ist zunächst auszuführen, dass dem Beschwerdeführer auch im Rahmen der Erstbefragung die Möglichkeit gegeben wurde, seinen Fluchtgrund „mit eigenen Worten abschließend zu beantworten“ (vgl. AS 14). Demzufolge hätte der Beschwerdeführer aber jedenfalls die Gelegenheit gehabt, sämtliche entscheidungsrelevante Vorfälle (zumindest ansatzweise) vorzubringen. Ferner gab es keine Anzeichen dafür gegeben, dass der Beschwerdeführer im Zeitpunkt der Erstbefragung nicht einvernahmefähig gewesen wäre. Aus der Niederschrift ist vielmehr ersichtlich, dass der Beschwerdeführer der Einvernahme ohne Probleme habe folgen können und keine Beschwerden oder Krankheiten vorgelegen seien (vgl. AS 12).

2.2.3. Der Beschwerdeführer macht im Wesentlichen eine Diskriminierung aufgrund der Clanzugehörigkeit seiner Mutter geltend, da diese einem Minderheitenclan, konkret der Madhiban, angehöre. Da er aber in der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht selbst bestätigte, dem Mehrheitsclan seines Vaters, nämlich der Galjecel, anzugehören (vgl. S 5 in OZ 3), erschließt sich für das Bundesverwaltungsgericht nicht, warum er in Somalia einer Diskriminierung aufgrund seiner Clanzugehörigkeit zu befürchten hätte. Allein der Umstand, dass sein Vater seine Mutter verlassen habe, als der Beschwerdeführer noch im Mutterleib gewesen sei, und der Vater des Beschwerdeführers nunmehr ihn nicht mehr als sein Kind akzeptieren würde, reicht nach Ansicht des Bundesverwaltungsgerichts noch nicht für eine konkrete Gefährdung des Beschwerdeführers bei einer Rückkehr nach Somalia aus.

Abgesehen davon vermochte der Beschwerdeführer vor allem aufgrund der aufgetretenen gravierenden Divergenzen sowie der fehlenden Plausibilität seiner Angaben die von ihm vorgetragenen Fluchtgründe nicht glaubhaft machen:

2.2.4. Bereits der Vorfall, wonach der Bruder des Beschwerdeführers im Jahr 2014 angeblich vom Nachbarn des Beschwerdeführers getötet worden wäre, weißt Unstimmigkeiten auf:

Zunächst gab der Beschwerdeführer – befragt nach dem Grund der Ermordung seines Bruders – zunächst an, dass der Nachbar, konkret ein gewisser XXXX , die Landwirtschaft der Familie des Beschwerdeführers wegnehmen hätte wollen (vgl. S 7 in OZ 3). Auf Nachfrage, wieso dieser Nachbar unbedingt die Landwirtschaft gewollt habe, behauptete der Beschwerdeführer dann plötzlich das es in Wahrheit gar nicht um die Landwirtschaft gegangen sei, sondern vielmehr um die Clanzugehörigkeit, da dieser Nachbar einen Angehörigen des Madhiban-Clans als Nachbarn, offenbar konkret den Bruder des Beschwerdeführers, nicht gewollt hätte (vgl. S 7f in OZ 3, arg. „R: Wieso wollte XXXX unbedingt Ihre Landwirtschaft? BF: Er wollte nicht, dass er einen Angehörigen der Madhiban als Nachbar hat. R: Das heißt, es ging gar nicht um die Landwirtschaft, sondern um die Clanzugehörigkeit? BF: Ja. R: Nur wegen der Clanzugehörigkeit wurde Ihr Bruder von XXXX ermordet? BF: Ja.“).

Abgesehen davon, dass sein leiblicher Bruder – wie der Beschwerdeführer selbst – demselben Mehrheitsclan seines Vaters angehört, erscheint selbst im Falle des Zutreffens der Behauptung des Beschwerdeführers dem Bundesverwaltungsgericht nicht nachvollziehbar, wie es in weiterer Folge dem Beschwerdeführer möglich gewesen wäre, so viele Jahre (offenbar unbehelligt) im selben Dorf – weiterhin als Nachbar von XXXX – zu leben, obwohl er doch – aufgrund seiner Clanzugehörigkeit – derselben Gefahr wie sein Bruder ausgesetzt gewesen wäre. Die Antwort des Beschwerdeführers auf den diesbezüglichen Vorhalt, wonach er „damals noch sehr klein“ gewesen sei (vgl. S 8 in OZ 3) und offenbar (ausschließlich aus diesem Grund) von XXXX verschont worden sei, vermag schon deshalb nicht zu überzeugen, da der Stiefvater des Beschwerdeführers mit dessen Familie auch nach dem Tod des Bruders des Beschwerdeführers offenbar ebenfalls weiterhin als Nachbar von XXXX ungehindert in derselben Ortschaft leben konnten, obwohl sein Stiefvater demselben Minderheitsclan wie der Mutter des Beschwerdeführers, Madhiban, angehören soll.

Falls es aber tatsächlich ausschließlich um die Landwirtschaft (oder einen Teil von dieser) gegangen sein sollte, ist wiederum nicht nachvollziehbar, warum der Nachbar den Bruder des Beschwerdeführers – ohne ersichtlichen Anlass bzw. ohne jegliche Vorwarnung – erschießen hätten sollen. Der Beschwerdeführer konnte auf die diesbezügliche Frage jedenfalls keine Antwort liefern (vgl. S 11 in OZ 3, arg. „R: Und damals, bei Ihrem Bruder 2014: Wurde Ihr Bruder von XXXX vorgewarnt oder wurde Ihr Bruder auch einfach ohne Vorwarnung erschossen? BF: Das weiß ich nicht.“). Der Beschwerdeführer behauptete zwar, dass sein Bruder deshalb umgebracht worden sei, weil der Nachbar geglaubt habe, dass, wenn sein Bruder groß werde, dieser versuchen würde, die Landwirtschaft wieder zurück zu erobern. Dieses Vorbringen ist aber schon deshalb unschlüssig, da der Bruder des Beschwerdeführers bereits zu einem Zeitpunkt ermordet wurde, als der Nachbar das Grundstück noch gar nicht in Besitz genommen hätte, wie der Beschwerdeführer selbst zugestand (vgl. S 9 in OZ 3).

2.2.5. Widersprüchlich waren auch die Aussagen des Beschwerdeführers nach dem Tod seines Bruders. Während er noch vor der belangten Behörde angab, dass die gleichen Männer, die seinen Bruder ermordet hätten, eine Anzeige bei der Polizei – offensichtlich wegen der Landwirtschaft der Familie des Beschwerdeführers – gemacht bzw. versucht hätten (vgl. S 11 der Einvernahme v 24.11.2023), behauptete der Beschwerdeführer vor dem Bundesverwaltungsgericht, dass seine Mutter Anzeige erstattet habe (vgl. S 8 in OZ 3).

2.2.6. Völlig unplausibel erscheint aber vor allem die Behauptung des Beschwerdeführers, wonach im September 2020 er von den Leuten des Nachbarn getötet werden hätte sollen, diese jedoch versehentlich seinen Freund (anstatt den Beschwerdeführer) erschossen hätten.

Abgesehen davon, dass dem Bundesverwaltungsgericht kein Grund ersichtlich ist, warum ausgerechnet zu diesem Zeitpunkt der Beschwerdeführer ermordet werden hätte sollen, nachdem er jahrelang unbehelligt in seinem Heimatort leben konnte und vor dem Vorfall nicht ein einziges Mal eine Todesdrohung erhalten habe (vgl. S 10 in OZ 3, arg. „R: Vor diesem Vorfall: Wurden Sie da zu irgendeinem Zeitpunkt von XXXX oder den Männern bedroht oder gewarnt, dass Sie, wenn Sie nicht etwas Bestimmtes machen, getötet werden? BF: Vor diesem Vorfall hat er mich meistens angeschrien, aber ich habe nicht gedacht, dass er so weit gehen würde. R: Das heißt, vor diesem Vorfall hat XXXX Sie nicht mit dem Tod bedroht? BF: Er hat mich angeschrien, aber ich habe nicht geglaubt, dass er diese Tat begehen wird.“), ist aber auch äußerst unwahrscheinlich, dass die Männer des Nachbarn tatsächlich den Freund des Beschwerdeführers mit diesem verwechselt hätten. Auch der Hinweis des Beschwerdeführers, wonach sich beide optisch geähnelt hätten, vermag daran nichts zu ändern. Wären die Männer des Nachbarn nämlich tatsächlich an der Person des Beschwerdeführers interessiert gewesen, dann hätten sie eine derart dilettantische Vorgehensweise (höchstwahrscheinlich) nicht an den Tag gelegt bzw. den Plan, den Beschwerdeführer umzubringen, auch tatsächlich umgesetzt.

2.2.7. Widersprüchlich bzw. unschlüssig war ferner das Vorbringen des Beschwerdeführers nach dem Vorfall im September 2020:

Während der Beschwerdeführer zunächst noch angab, dass er nach der Tötung seines Freundes zu Hause geblieben wäre, da er Angst gehabt habe (vgl. S 11 der Einvernahme v 24.11.2023, arg. „Sie dachten, dass sie mich getötet hatten. Sie haben uns verwechselt, das am 20.09.2020. Ich war geschockt und habe Angst bekommen. Ich war sehr traurig und habe mich ein Monat in meinem Zimmer eingesperrt.“ bzw. S 6ff in OZ 3, arg. „Diese Person wollte mich töten, aber er hat mich mit jemanden verwechselt. Und dann habe ich mich endgültig entschieden das Land zu verlassen. Diese Ermordung war im September 2020. Einen Monat lang war ich Zuhause, weil ich Angst hatte. […] Nachdem ich diese Ermordung gesehen habe, war ich schockiert und bin in unserem Haus geblieben. Ich traute mich nicht mehr nach draußen zu gehen.“), behauptete er an späterer Stelle, dass er ein paar Tage später einkaufen gewesen wäre, dabei den Nachbarn gesehen hätte und dieser ihn mit dem Tode bedroht habe (vgl. S 9ff in OZ 3, arg. „R: Welche Männer sind damals gekommen und wer genau hat Ihren Freund umgebracht? BF: An diesem Abend wusste ich nicht, wer meinen Freund umgebracht hat, aber ein paar Tage später hat XXXX mich gesehen und gefragt: „Lebst du noch? Wir werden dich töten. […] R: Wieso konnte XXXX Sie ein paar Tage nach diesem Vorfall sehen und bedrohen, wenn Sie doch gesagt haben, dass Sie sich nach diesem Vorfall versteckt haben? BF: Nach diesem Vorfall war ich nicht mehr auf der Landwirtschaft und habe nicht geglaubt, dass er mich sieht. Eines Tages ging ich um Obst und Gemüse zu kaufen und auf dem Weg hat er mich gesehen.“). Folgte man diesem Vorbringen, dann hielt sich der Beschwerdeführer aber keineswegs die ganze Zeit versteckt in seinem Zimmer, sondern verließ – zumindest an diesem Tag – sein Haus.

Noch viel weniger nachvollziehbar ist aber der Umstand, dass es dem Beschwerdeführer – nach der persönlichen Begegnung mit XXXX – in weiterer Folge noch mehrere Monate möglich war, in seinem Heimatort (bzw. später in Mogadischu) zu leben, obwohl der Nachbar ihm – nur ein paar Tage nach der Tötung seines Freundes – offenbar unmissverständlich zu verstehen gegeben habe, dass der Beschwerdeführer getötet werden soll. Ebenso wenig verständlich wie der Umstand, warum der Beschwerdeführer nicht bereits zu einem viel früheren Zeitpunkt – spätestens nach der Ermordung seines Freundes bzw. nach der Todesdrohung – alles unternommen hätte, um – zumindest aus seinem Heimatort – zu fliehen. Auch diesen Vorhalt konnte der Beschwerdeführer nicht plausibel aufklären (vgl. S 12 in OZ 3, arg. „R: Was ich überhaupt nicht verstehe: Wenn Sie schon längst getötet hätten werden sollen, da ja Ihr Freund mit Ihnen verwechselt wurde und danach sogar XXXX Ihnen persönlich gesagt hat, dass er Sie töten wird, warum sind Sie dann nicht schon längst aus Somalia geflohen und haben bis Ende Jänner 2021 gewartet? BF: Ich wusste nicht, wo ich hingehen kann und wie man Somalia verlassen kann. Außerdem hatte ich finanzielle Probleme. Aber nachdem ich gehört habe, dass es einen Weg in die Türkei gab, habe ich beschlossen, wegzugehen. R: Das heißt, im September 2020 konnten Sie es sich nicht leisten, Somalia zu verlassen und Ende Jänner 2021 dann schon, oder was meinen Sie? BF: Ja. Meine Mutter wusste nicht, wo man hingehen kann und wie man die Ausreisedokumente ausstellen lassen kann, aber nachdem sie von diesem Weg gehört hat, hat sie die Landwirtschaft verkauft, um meine Ausreise finanzieren zu können.“).

2.2.8. Grob widersprüchlich waren schließlich auch die Aussagen des Beschwerdeführers in Bezug auf seinen Aufenthalt in Mogadischu: Vor der belangten Behörde brachte der Beschwerdeführer noch vor, dass er „fast ein Monat in Mogadischu aufhältig“ gewesen sei (vgl. S 5 der Einvernahme v 24.11.2023). Zu Beginn der Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht bestritt der Beschwerdeführer dann plötzlich, jemals diese Aussage getätigt zu haben und führte demgegenüber aus, dass er sich in Somalia nur in XXXX aufgehalten hätte (vgl. S 4 in OZ 3). Auf Vorhalt, dass er vor der belangten Behörde noch ausgesagt habe, dass er fast einen Monat in Mogadischu aufhältig gewesen sei, behauptete der Beschwerdeführer dann, dass er lediglich für „kurze Zeit“ in Mogadischu – vor seiner Ausreise aus Somalia – gewesen sei (vgl. S 5 in OZ 3), um gegen Ende der Verhandlung vorzubringen, dass seine Mutter nach dem Vorfall am 14.12.2020 einen Schlepper in Mogadischu kontaktiert hätte, zu dem der Beschwerdeführer gegangen sei und bei diesem gewesen sei, bis er das Land verlassen habe (vgl. S 12 in OZ 3). Da aber der Beschwerdeführer seine endgültige Ausreise aus Somalia (diesbezüglich übereinstimmend) mit 30.01.2021 angab (vgl. S 6 der Einvernahme v 24.11.2023 bzw. S 5 in OZ 3), hätte er demzufolge mindestens einen Monat in Mogadischu gelebt.

2.2.9. Losgelöst von den aufgezeigten Widersprüchlichkeiten und Unstimmigkeiten bleibt festzuhalten, dass der Beschwerdeführer nach dem behaupteten Vorfall am 14.12.2020 zu keinem Zeitpunkt mehr von XXXX oder sonst irgendjemanden in Mogadischu bedroht worden sei (vgl. S 13 in OZ 3), sodass auch aus diesem Grunde nicht davon auszugehen ist, dass XXXX ein sonderliches Interesse am Beschwerdeführer gehabt hätte.

2.2.10. Soweit im Beschwerdeschriftsatz behauptet wird, dass für den Beschwerdeführer mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit auch die Gefahr, von nichtstaatlichen Akteuren zwangsrekrutiert zu werden, bestehe, ist zum einen festzuhalten, dass der Beschwerdeführer zu keinem Zeitpunkt des Asyl- bzw. Beschwerdeverfahrens auf eine solch (abstrakte) Gefahr hinwies und somit eine Bedrohung seitens der Al Shabaab nicht einmal behauptete.

Abgesehen davon wäre der Beschwerdeführer aber bei einer (hypothetischen) Rückkehr nach Somalia auch deshalb keiner akuten Gefährdungssituation seitens der Al Shabaab mehr ausgesetzt, da aus den Länderinformationen und dem Kapitel „(Zwangs-)Rekrutierungen und Kindersoldaten“ ersichtlich ist, dass Al Shabaab weniger an der Rekrutierung Erwachsener als an der Rekrutierung von 8-12-jährigen Kindern interessiert ist, zumal diese leichter zu indoktrinieren und formbarer sind. Der Beschwerdeführer als nunmehr bereits 19-Jähriger Mann fällt somit nicht mehr in diese Risikogruppe.

Aus den Länderinformationen geht auch hervor, dass sich eine Rekrutierung meist an ganze Gemeinden und nicht an Einzelpersonen richtet und bei einer Verweigerung nicht notwendigerweise Konsequenzen für das Individuum entstehen. Zwar kann eine Exekution bei fehlender Kompensationszahlung durchgeführt werden, es gibt jedoch keine Beispiele dafür, nach welchen Al Shabaab Rekrutierungsverweigerer exekutierte. Außerdem werden einfache Personen, die sich erfolgreich der Rekrutierung durch Al Shabaab entzogen haben, nicht dauerhaft und über weite Strecken hinweg verfolgt.

Den Länderberichten zufolge gilt zudem die Heimatstadt des Beschwerdeführers ( XXXX ) als „relativ ruhig“ und befinden sich dort das Brigadekommando der burundischen ATMIS-Kräfte und ein Bataillon dieser Truppen. Ferner heißt es wortwörtlich: „Die Macht der Regierung von HirShabelle reicht in alle Gebiete östlich des Shabelle und jedenfalls die Regionalhauptstädte XXXX und Belet Weyne.“ Auch unter diesem Gesichtspunkt erscheint eine maßgebliche Gefahr für den Beschwerdeführer, insbesondere von seitens der Al Shabaab, als sehr unwahrscheinlich.

2.2.11. Insgesamt gelang es dem Beschwerdeführer daher im Ergebnis nicht, eine Gefährdung im Fall seiner Rückkehr nach Somalia glaubhaft zu machen.

2.2.12. Abschließend bleibt lediglich der Vollständigkeit halber darauf hinzuweisen, dass allfälligen dem Beschwerdeführer drohenden, nicht asylrelevanten Gefährdungen durch die bereits von der belangten Behörde erfolgte Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten ausreichend Rechnung getragen wurde.

2.3. Zum Herkunftsstaat:

Es wurde vor allem Einsicht genommen in folgende Erkenntnisquelle des Herkunftsstaates des Beschwerdeführers:

Länderinformation der Staatendokumentation vom Jänner 2024 (Version 6)

Angesichts der Seriosität und Plausibilität der angeführten Erkenntnisquellen sowie dem Umstand, dass diese Berichte auf einer Vielzahl verschiedener, voneinander unabhängiger Quellen beruhen und dennoch ein in den Kernaussagen übereinstimmendes Gesamtbild ohne wesentliche Widersprüche darbieten, besteht kein Grund, an der Richtigkeit der Ausführungen zu zweifeln.

Dem Beschwerdeführer wurde ermöglicht, zu den herangezogenen Länderberichten eine Stellungnahme abzugeben, wobei er den zugrunde gelegten Länderinformationen nicht substantiiert entgegentrat.

3. Rechtliche Beurteilung:

Zu A)

Zu Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides:

3.1. Gemäß § 3 Abs. 1 Bundesgesetz über die Gewährung von Asyl (Asylgesetz 2005 - AsylG 2005), BGBl. I Nr. 100/2005, ist einem Fremden, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, soweit dieser Antrag nicht bereits gemäß §§ 4, 4a oder 5 leg.cit. zurückzuweisen ist, der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft ist, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 der Konvention über die Rechtsstellung der Flüchtlinge BGBl 55/1955 (Genfer Flüchtlingskonvention, in der Folge: GFK) droht (vgl. auch die Verfolgungsdefinition in § 2 Abs. 1 Z 11 AsylG 2005, die auf Art. 9 der RL 2004/83/EG des Rates verweist).

Im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK ist als Flüchtling anzusehen, wer sich aus wohlbegründeter Furcht, aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung verfolgt zu werden, außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen; oder wer staatenlos ist, sich infolge obiger Umstände außerhalb des Landes seines gewöhnlichen Aufenthaltes befindet und nicht in der Lage oder in Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, in dieses Land zurückzukehren.

Zentraler Aspekt dieses Flüchtlingsbegriffs der GFK ist die wohlbegründete Furcht vor Verfolgung. Wohlbegründet kann eine Furcht nur dann sein, wenn sie im Lichte der speziellen Situation des Asylwerbers und unter Berücksichtigung der Verhältnisse im Verfolgerstaat objektiv nachvollziehbar ist (vgl. VwGH 22.12.1999, 99/01/0334; 21.12.2000, 2000/01/0131; 25.01.2001, 2001/20/0011). Es kommt nicht darauf an, ob sich eine bestimmte Person in einer konkreten Situation tatsächlich fürchtet, sondern ob sich eine mit Vernunft begabte Person in dieser Situation (aus Konventionsgründen) fürchten würde (vgl. VwGH 19.12.2007, 2006/20/0771). Unter Verfolgung ist ein ungerechtfertigter Eingriff von erheblicher Intensität in die zu schützende persönliche Sphäre des Einzelnen zu verstehen. Erhebliche Intensität liegt vor, wenn der Eingriff geeignet ist, die Unzumutbarkeit der Inanspruchnahme des Schutzes des Heimatstaates bzw. der Rückkehr in das Land des vorigen Aufenthaltes zu begründen. Eine Verfolgungsgefahr ist dann anzunehmen, wenn eine Verfolgung mit einer maßgeblichen Wahrscheinlichkeit droht; die entfernte Möglichkeit einer Verfolgung genügt nicht (vgl. VwGH 21.12.2000, 2000/01/0131; 25.01.2001, 2001/20/0011). Die Verfolgungsgefahr muss ihre Ursache in einem der Gründe haben, welche Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK nennt (vgl. VwGH 09.09.1993, 93/01/0284; 15.03.2001, 99/20/0128; 23.11.2006, 2005/20/0551); sie muss Ursache dafür sein, dass sich der Asylwerber außerhalb seines Heimatlandes bzw. des Landes seines vorigen Aufenthaltes befindet.

Auch wenn in einem Staat allgemein schlechte Verhältnisse bzw. sogar bürgerkriegsähnliche Zustände herrschen sollten, so liegt in diesem Umstand für sich alleine noch keine Verfolgungsgefahr im Sinne der GFK. Um asylrelevante Verfolgung erfolgreich geltend zu machen, bedarf es daher einer zusätzlichen, auf asylrelevante Gründe gestützten Gefährdung des Asylwerbers, die über die gleichermaßen die anderen Staatsbürger des Heimatstaates treffenden Unbilligkeiten hinausgeht (vgl. VwGH 19.10.2000, 98/20/0233).

Zur Beurteilung, ob die Verfolgungsgründe als glaubhaft gemacht anzusehen sind, ist auf die persönliche Glaubwürdigkeit des Beschwerdeführers und das Vorbringen zu den Fluchtgründen abzustellen. Die "Glaubhaftmachung" wohlbegründeter Furcht vor Verfolgung setzt positiv getroffene Feststellungen der Behörde und somit die Glaubwürdigkeit des diesen Feststellungen zugrundeliegenden Vorbringens des Asylwerbers voraus (vgl. VwGH 11.06.1997, 95/01/0627).

„Glaubhaftmachung" im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Ziffer 2 der GFK ist die Beurteilung des Vorgetragenen daraufhin, inwieweit einer vernunftbegabten Person nach objektiven Kriterien unter den geschilderten Umständen wohlbegründete Furcht vor Verfolgung zuzugestehen ist oder nicht. Erachtet die Behörde im Rahmen der Beweiswürdigung die Angaben des Asylwerbers grundsätzlich als unwahr, können die von ihm behaupteten Fluchtgründe gar nicht als Feststellung der rechtlichen Beurteilung zugrunde gelegt werden. Zudem ist auch deren Eignung zur Glaubhaftmachung wohlbegründeter Furcht vor Verfolgung gar nicht näher zu beurteilen (vgl. VwGH 09.05.1996, 95/20/0380). Eine Falschangabe zu einem für die Entscheidung nicht unmittelbar relevanten Thema (vgl. VwGH 30.09.2004, 2001/20/0006, betreffend Abstreiten eines früheren Einreiseversuchs) bzw. Widersprüche in nicht maßgeblichen Detailaspekten (vgl. VwGH 28.05.2009, 2007/19/1248; 23.01.1997, 95/20/0303) reichen für sich alleine nicht aus, um daraus nach Art einer Beweisregel über die Beurteilung der persönlichen Glaubwürdigkeit des Asylwerbers die Tatsachenwidrigkeit aller Angaben über die aktuellen Fluchtgründe abzuleiten (vgl. VwGH 26.11.2003, 2001/20/0457).

3.2. Wie bereits im Rahmen der Beweiswürdigung dargestellt (vgl. oben, II., 2.2.), kommt dem Beschwerdeführer hinsichtlich seines Vorbringens zur Verfolgungsgefahr keine Glaubwürdigkeit zu. Zudem konnte nicht festgestellt werden, dass dieser nach einer allfälligen Rückkehr nach Somalia Verfolgungshandlungen bzw. Bedrohungssituationen ausgesetzt wäre.

3.3. Daher ist die gegen Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides erhobene Beschwerde abzuweisen.

Da sich die vorliegende Beschwerde ausdrücklich nur gegen Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides richtet, sind die Spruchpunkte II. und III. bereits in Rechtskraft erwachsen.

Zu B)

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen (siehe dazu insbesondere die unter A) zitierte Judikatur). Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.

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