Spruch
W286 2294500-1/12E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin Mag.a DEUTSCH-PERNSTEINER über die Beschwerde von XXXX , geboren am XXXX , Staatsangehörigkeit Afghanistan, vertreten durch die BBU GmbH, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 29.04.2024, Zahl 1340930010-230174585, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 23.08.2024 zu Recht:
A)
I. Der Beschwerde wird stattgegeben und XXXX gemäß § 3 Abs. 1 Asylgesetz 2005 der Status des Asylberechtigten zuerkannt.
II. Gemäß § 3 Abs. 5 Asylgesetz 2005 wird festgestellt, dass XXXX damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.
B)
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
Entscheidungsgründe:
1. Verfahrensgang:
1. Der Beschwerdeführer, ein afghanischer Staatsangehöriger, stellte am 23.01.2023 in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz.
2. Die Erstbefragung des Beschwerdeführers durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes fand am 24.01.2023 statt.
3. Der Beschwerdeführer wurde am 22.02.2024 vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (in der Folge: belangte Behörde) einvernommen.
4. Nach Durchführung des Ermittlungsverfahrens wies das die belangte Behörde mit Bescheid vom 29.04.2024 den Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status der Asylberechtigten sowie des Status der subsidiär Schutzberechtigten ab (Spruchpunkte I. und II.). Dem Beschwerdeführer wurde keine Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz erteilt (Spruchpunkt III.). Gegen ihn wurde eine Rückkehrentscheidung erlassen sowie festgestellt, dass seine Abschiebung nach Afghanistan zulässig ist (Spruchpunkte IV. und V.). Ferner wurde festgestellt, dass die Frist für die freiwillige Ausreise 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung betrage (Spruchpunkt VI.).
5. Gegen diesen Bescheid brachte der Beschwerdeführer fristgerecht eine Beschwerde ein.
6. Die belangte Behörde legte die Beschwerde und den bezughabenden Verwaltungsakt am 28.06.2024 dem Bundesverwaltungsgericht vor.
7. Das Bundesverwaltungsgericht führte am 23.08.2024 eine öffentliche mündliche Verhandlung durch, die belangte Behörde nahm nicht teil.
8. Mit Eingabe vom 04.09.2024 legte der Beschwerdeführer innerhalb der gewährten Nachfrist Beweismittel zur Tätigkeit des Bruders als Soldat, und eine schriftliche Stellungnahme zu den Länderinformationen vor.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen:
1.1. Zur Person des Beschwerdeführers:
1.1.1. Der Beschwerdeführer ist ein Staatsangehöriger Afghanistans, der am 23.01.2023 einen Antrag auf internationalen Schutz in Österreich stellte. Er führt den Namen XXXX und das Geburtsdatum XXXX . Er stammt aus dem Dorf XXXX im Distrikt XXXX in der Provinz Baghlan (AS 31, Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 23.08.2024 = Protokoll der mV S. 6). Der Beschwerdeführer verließ Afghanistan im Oktober 2022 (AS 31, Protokoll der mV S. 10).
1.1.2. Der Beschwerdeführer gehört der Volksgruppe der Paschtunen an und ist der sunnitisch-muslimischen Religion zugehörig (AS 31, Protokoll der mV S. 5).
1.1.3. Der Beschwerdeführer spricht Paschtu als Muttersprache (AS 1). Er hat im Herkunftsstaat eine siebenjährige Schulausbildung absolviert und später bei einem Bäcker gearbeitet (Protokoll der mV S. 6 und 7). Der Beschwerdeführer betätigte sich zudem als Boxer und nahm an Box-Wettkämpfen in Afghanistan teil (Protokoll der mV S. 12, Beilagen ./3 und ./4).
1.1.4. Der Beschwerdeführer ist verheiratet und hat keine Kinder (Protokoll der mV S. 6).
1.1.5. Da das Elternhaus des Beschwerdeführers von einem Hochwasser überschwemmt wurde, leben seine Eltern und seine beiden Schwestern mittlerweile in der Stadt XXXX ein weiterer Bruder lebt getrennt von der Familie. Der Vater des Beschwerdeführers bewirtschaftet noch die landwirtschaftlichen Grundstücke in XXXX . (Protokoll der mV S. 7).
1.1.6. Der Beschwerdeführer leidet an keinen lebensbedrohlichen Erkrankungen oder körperlichen Beeinträchtigungen und ist in Österreich strafgerichtlich unbescholten (OZ 2).
1.2. Relevante Feststellungen zur maßgeblichen Situation in Afghanistan:
1.2.1. Auszüge aus dem Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Afghanistan vom 10.04.2024, Version 11:
Politische Lage
Letzte Änderung 2024-04-05 15:33
Die politischen Rahmenbedingungen in Afghanistan haben sich mit der Machtübernahme durch die Taliban im August 2021 grundlegend verändert (AA 26.6.2023). Die Taliban sind zu der ausgrenzenden, auf die Paschtunen ausgerichteten, autokratischen Politik der Taliban-Regierung der späten 1990er-Jahre zurückgekehrt (UNSC 1.6.2023a). Sie bezeichnen ihre Regierung als das "Islamische Emirat Afghanistan" (USIP 17.8.2022; vgl. VOA 1.10.2021), den Titel des ersten Regimes, das sie in den 1990er-Jahren errichteten, und den sie während ihres zwei Jahrzehnte andauernden Aufstands auch für sich selbst verwendeten. Das Emirat ist um einen obersten Führer, den Emir, herum organisiert, von dem man glaubt, dass er von Gott mit der Autorität ausgestattet ist, alle Angelegenheiten des Staates und der Gesellschaft zu beaufsichtigen. Seit ihrer Machtübernahme hat die Gruppe jedoch nur vage erklärt, dass sie im Einklang mit dem "islamischen Recht und den afghanischen Werten" regieren wird, und hat nur selten die rechtlichen oder politischen Grundsätze dargelegt, die ihre Regeln und Verhaltensweise bestimmen (USIP 17.8.2022). Die Verfassung von 2004 ist de facto ausgehebelt. Ankündigungen über die Erarbeitung einer neuen Verfassung sind bislang ohne sichtbare Folgen geblieben. Die Taliban haben begonnen, staatliche und institutionelle Strukturen an ihre religiösen und politischen Vorstellungen anzupassen. Im September 2022 betonte der Justizminister der Taliban, dass eine Verfassung für Afghanistan nicht notwendig sei (AA 26.6.2023).
Nach ihrer Machtübernahme in Afghanistan übernahmen die Taliban auch schnell staatliche Institutionen (USIP 17.8.2022) und erklärten Haibatullah Akhundzada zu ihrem obersten Führer (Afghan Bios 7.7.2022a; vgl. REU 7.9.2021a, VOA 19.8.2021). Er kündigte an, dass alle Regierungsangelegenheiten und das Leben in Afghanistan den Gesetzen der Scharia unterworfen werden (ORF 8.9.2021; vgl. DIP 4.1.2023). Haibatullah hat sich dem Druck von außen, seine Politik zu mäßigen, widersetzt (UNSC 1.6.2023a) und baut seinen Einfluss auf Regierungsentscheidungen auf nationaler und subnationaler Ebene auch im Jahr 2023 weiter aus (UNGA 20.6.2023). Es gibt keine Anzeichen dafür, dass andere in Kabul ansässige Taliban-Führer die Politik wesentlich beeinflussen können. Kurz- bis mittelfristig bestehen kaum Aussichten auf eine Änderung (UNSC 1.6.2023a). Innerhalb weniger Wochen nach der Machtübernahme kündigten die Taliban "Interims"-Besetzungen für alle Ministerien bis auf ein einziges an, wobei die Organisationsstruktur der vorherigen Regierung beibehalten wurde (USIP 17.8.2022) - das Ministerium für Frauenangelegenheiten blieb unbesetzt und wurde später aufgelöst (USIP 17.8.2022; vgl. HRW 4.10.2021). Alle amtierenden Minister waren hochrangige Taliban-Führer; es wurden keine externen politischen Persönlichkeiten ernannt, die überwältigende Mehrheit war paschtunisch, und alle waren Männer. Seitdem haben die Taliban die interne Struktur verschiedener Ministerien mehrfach geändert und das Ministerium für die Verbreitung der Tugend und die Verhütung des Lasters wiederbelebt, das in den 1990er-Jahren als strenge "Sittenpolizei" berüchtigt war, die strenge Vorschriften für das soziale Verhalten durchsetzte (USIP 17.8.2022). Bezüglich der Verwaltung haben die Taliban Mitte August 2021 nach und nach die Behörden und Ministerien übernommen. Sie riefen die bisherigen Beamten und Regierungsmitarbeiter dazu auf, wieder in den Dienst zurückzukehren, ein Aufruf, dem manche von ihnen auch folgten (ICG 24.8.2021; vgl. USDOS 12.4.2022a), wobei weibliche Angestellte aufgefordert wurden, zu Hause zu bleiben (BBC 19.9.2021; vgl. Guardian 20.9.2021). Die für die Wahlen zuständigen Institutionen, sowie die Unabhängige Menschenrechtskommission, der Nationale Sicherheitsrat und die Sekretariate der Parlamentskammern wurden abgeschafft (AA 26.6.2023).
Der Ernennung einer aus 33 Mitgliedern bestehenden geschäftsführenden Übergangsregierung im September 2021 folgten zahlreiche Neuernennungen und Umbesetzungen auf nationaler, Provinz- und Distriktebene in den folgenden Monaten, wobei Frauen weiterhin gar nicht und nicht-paschtunische Bevölkerungsgruppen nur in geringem Umfang berücksichtigt wurden (AA 26.6.2023).
Die Regierung der Taliban wird von Mohammad Hassan Akhund geführt. Er ist Vorsitzender der Minister, eine Art Premierminister. Akhund ist ein wenig bekanntes Mitglied des höchsten Führungszirkels der Taliban, der sogenannten Rahbari-Schura, besser bekannt als Quetta-Schura (NZZ 8.9.2021; vgl. REU 7.9.2021b, Afghan Bios 18.7.2023).
Stellvertretende vorläufige Premierminister sind Abdul Ghani Baradar (AJ 7.9.2021; vgl. REU 7.9.2021b, Afghan Bios 16.2.2022), der die Taliban bei den Verhandlungen mit den Vereinigten Staaten in Doha vertrat und das Abkommen mit ihnen am 29.2.2021 unterzeichnete (AJ 7.9.2021; vgl. VOA 29.2.2020), und Abdul Salam Hanafi (REU 7.9.2021b; vgl. Afghan Bios 7.7.2022b), der unter dem ersten Taliban-Regime Bildungsminister war (Afghan Bios 7.7.2022b; vgl. UNSC o.D.a). Im Oktober 2021 wurde Maulvi Abdul Kabir zum dritten stellvertretenden Premierminister ernannt (Afghan Bios 27.11.2023; vgl. 8am 5.10.2021, UNGA 28.1.2022).
Weitere Mitglieder der vorläufigen Taliban-Regierung sind unter anderem Sirajuddin Haqqani, der Leiter des Haqqani-Netzwerkes (Afghan Bios 4.3.2023; vgl. JF 5.11.2021) als Innenminister (REU 7.9.2021b; vgl. Afghan Bios 4.3.2023) und Amir Khan Mattaqi als Außenminister (REU 7.9.2021b; vgl. Afghan Bios 14.12.2023), welcher die Taliban bei den Verhandlungen mit den Vereinten Nationen vertrat und im ersten Taliban-Regime unter anderem den Posten des Kulturministers innehatte (Afghan Bios 14.12.2023; vgl. UNSC o.D.b). Der Verteidigungsminister der vorläufigen Taliban-Regierung ist Mohammed Yaqoob (REU 7.9.2021b; vgl. Afghan Bios 6.9.2023), dem 2020 der Posten des militärischen Leiters der Taliban verliehen wurde (Afghan Bios 6.9.2023; vgl. RFE/RL 29.8.2020).
Sah es in den ersten sechs Monaten ihrer Herrschaft so aus, als ob das Kabinett unter dem Vorsitz des Premierministers die Regierungspolitik bestimmen würde, wurden die Minister in großen und kleinen Fragen zunehmend vom Emir, Haibatullah Akhundzada, überstimmt (USIP 17.8.2022). Diese Dynamik wurde am 23.3.2022 öffentlich sichtbar, als der Emir in letzter Minute die lange versprochene Rückkehr der Mädchen in die Oberschule kippte (USIP 17.8.2022; vgl. RFE/RL 24.3.2022, UNGA 15.6.2022). Seitdem ist die Bildung von Mädchen und Frauen und andere umstrittene Themen ins Stocken geraten, da pragmatische Taliban-Führer dem Emir nachgeben, der sich von ultrakonservativen Taliban-Klerikern beraten lässt. Ausländische Diplomaten haben begonnen, von "duellierenden Machtzentren" zwischen den in Kabul und Kandahar ansässigen Taliban zu sprechen (USIP 17.8.2022) und es gibt auch Kritik innerhalb der Taliban, beispielsweise als im Mai 2022 ein hochrangiger Taliban-Beamter als erster die Taliban-Führung offen für ihre repressive Politik in Afghanistan kritisierte (RFE/RL 3.6.2022a). Doch der Emir und sein Kreis von Beratern und Vertrauten in Kandahar kontrollieren nicht jeden Aspekt der Regierungsführung. Mehrere Ad-hoc-Ausschüsse wurden ernannt, um die Politik zu untersuchen und einen Konsens zu finden, während andere Ausschüsse Prozesse wie die Versöhnung und die Rückkehr politischer Persönlichkeiten nach Afghanistan umsetzen. Viele politische Maßnahmen unterscheiden sich immer noch stark von einer Provinz zur anderen des Landes. Die Taliban-Beamten haben sich, wie schon während ihres Aufstands, als flexibel erwiesen, je nach den Erwartungen der lokalen Gemeinschaften. Darüber hinaus werden viele Probleme nach wie vor über persönliche Beziehungen zu einflussreichen Taliban-Figuren gelöst, unabhängig davon, ob deren offizielle Position in der Regierung für das Problem verantwortlich ist (USIP 17.8.2022).
In seiner traditionellen jährlichen Botschaft zum muslimischen Feiertag Eid al-Fitr im Jahr 2023 sagte Haibatullah Akhundzada, sein Land wünsche sich positive Beziehungen zu seinen Nachbarn, den islamischen Ländern und der Welt, doch dürfe sich kein Land in deren innere Angelegenheiten einmischen. Er vermied es, direkt auf das Bildungsverbot von Mädchen und die Beschäftigungseinschränkungen von Frauen einzugehen, sagte jedoch, dass die Taliban-Regierung bedeutende Reformen in den Bereichen Kultur, Bildung, Wirtschaft, Medien und anderen Bereichen eingeleitet hat, und "die schlechten intellektuellen und moralischen Auswirkungen der 20-jährigen Besatzung" dabei seien, zu Ende zu gehen (AnA 18.4.2023; vgl. BAMF 30.6.2023).
Anfang Juni 2023 wurde berichtet, dass es Anzeichen dafür gibt, dass die Taliban die Stadt Kandahar zu ihrem Stützpunkt machen würden. Dies wir als ein Zeichen für den schwindenden Einfluss der gemäßigteren Taliban-Mitglieder in der Hauptstadt Kabul gesehen, während das Regime seine repressive Politik weiter verschärft. In den letzten Monaten haben Vertreter des Regimes Delegationen aus Japan und Katar nach Kandahar eingeladen, anstatt sich mit anderen Beamten in Kabul zu treffen. Der oberste Sprecher der Taliban, Zabihullah Mujahid, und ein zweiter Informationsbeauftragter aus Nordafghanistan, Inamullah Samangani, wurden von ihren Büros in Kabul nach Kandahar verlegt (WP 5.6.2023; vgl. BAMF 30.6.2023).
Im Mai 2023 traf sich der Außenminister der Taliban mit seinen Amtskollegen aus Pakistan und China in Islamabad. Im Mittelpunkt des Treffens stand die Einbeziehung Afghanistans in den chinesisch-pakistanischen Wirtschaftskorridor (CPEC) sowie die Situation von Frauen in Afghanistan (AnA 5.5.2023; vgl. VOA 6.5.2023).
Am 22.11.2023 verkündeten die Taliban den Abschluss einer zweitägigen Kabinettssitzung in der Provinz Kandahar unter der Leitung von Hebatullah Akhundzada. Auffallend war, dass Themen wie das Recht der Frauen auf Arbeit und Zugang zu Bildung sowie ihre Teilhabe an der Gesellschaft nicht Gegenstand der Beratungen waren. Es wurden Gespräche über Themen wie die Rückführung von Migranten, die Entwicklung diplomatischer Beziehungen zur Bewältigung bestehender Probleme, Import-Export- und Transitfragen sowie die Beibehaltung der Geldpolitik der Taliban geführt (AT 22.11.2023; vgl. AMU 22.11.2023).
Internationale Anerkennung der Taliban
Mit Anfang 2024 hat noch kein Land die Regierung der Taliban anerkannt (TN 9.1.2024; vgl. VOA 10.12.2023) dennoch sind Vertreter aus Indien, China, Usbekistan, der Europäischen Union, Russland und den Vereinigten Arabischen Emiraten in Kabul präsent (TN 30.10.2022). Im März 2023 gab der Taliban-Sprecher Zabihullah Mujahid bekannt, dass Diplomaten in mehr als 14 Länder entsandt wurden, um die diplomatischen Vertretungen im Ausland zu übernehmen (PBS 25.3.2023; vgl. OI 25.3.2023). Im November 2023 sagte der stellvertretende Taliban-Außenminister, dass derzeit 20 Botschaften in Nachbarländern aktiv wären (TN 29.11.2023), einschließlich der afghanischen Botschaft in Teheran (TN 27.2.2023) und des strategisch wichtigen Generalkonsulats in Istanbul (Afintl 27.2.2023; vgl. KP 23.2.2023a). Berichten zufolge nahm auch die Türkei im Oktober 2023 einen neuen von den Taliban ernannten Diplomaten in der afghanischen Botschaft in Ankara auf (Afintl 14.2.2024). Eine Reihe von Ländern verfügt auch weiterhin über offizielle Botschafter in Afghanistan. Dazu gehören China und andere Nachbarländer wie Pakistan, Iran und die meisten zentralasiatischen Republiken, aber auch Russland, Saudi-Arabien, Katar, die Vereinigten Arabischen Emirate und Japan (AAN/Ruttig 7.12.2023). Aber auch westliche Länder (mit Ausnahme Australiens) haben weder ihre Botschaften in Kabul offiziell geschlossen noch die diplomatischen Beziehungen offiziell abgebrochen. Vielmehr unterhalten sie kein diplomatisches Personal im Land. Einige Länder haben immer noch amtierende Botschafter oder nachrangige Diplomaten, die nicht in Kabul ansässig sind, und es gibt auch eine (schrumpfende) Anzahl von Sonderbeauftragten für Afghanistan (im Rang eines Botschafters). Die meisten westlichen Kontakte mit Taliban-Beamten finden in Katars Hauptstadt Doha statt, wo Diplomaten unterhalb der Botschafterebene ihre Länder bei den Treffen vertreten (AAN/Ruttig 7.12.2023).
Am 24.11.2023 entsandten die Taliban ihren ersten Botschafter in die Volksrepublik China (KP 26.11.2023; vgl. AMU 25.11.2023). Dieser Schritt folgt auf die Ernennung eines Botschafters Chinas in Afghanistan zwei Monate zuvor, womit China das erste Land ist, das einen Botschafter nach Kabul unter der Taliban-Regierung entsandt hat (AMU 25.11.2023; vgl. VOA 10.12.2023). Nach Ansicht einiger Analysten sowie ehemaliger Diplomatinnen und Diplomaten bedeutet dieser Schritt die erste offizielle Anerkennung der Taliban-Übergangsregierung durch eine große Nation (VOA 31.1.2024; vgl. REU 13.9.2023). Nach Angaben des US-Außenministeriums prüfen die USA die Möglichkeit von konsularischem Zugang in Afghanistan. Dies solle keine Anerkennung der Taliban-Regierung bedeuten, sondern dem Aufbau funktionaler Beziehungen dienen, um eigene Ziele besser verfolgen zu können (USDOS 31.10.2023). Ebenso am 24.11.2023 wurde die afghanische Botschaft in Neu-Delhi, die von loyalen Diplomaten der Vor-Taliban-Regierung geleitet wurde, endgültig geschlossen. Einige Tage später erklärten Taliban-Vertreter, dass die Botschaft bald wieder eröffnet und von ihren Diplomaten geleitet werden wird (Wilson 12.12.2023; vgl. VOA 29.11.2023).
Drogenbekämpfung
Im April 2022 verfügte der oberste Taliban-Führer Haibatullah Akhundzada, dass der Anbau von Mohn, aus dem Opium, die wichtigste Zutat für die Droge Heroin, gewonnen werden kann, streng verboten ist (BBC 6.6.2023).
Die vom Büro der Vereinten Nationen für Drogen- und Verbrechensbekämpfung (UNODC) im Jahr 2023 durchgeführte Opiumerhebung in Afghanistan ergab, dass der Schlafmohnanbau nach einem von den Taliban-Behörden im April 2022 verhängten Drogenverbot um schätzungsweise 95 % zurückgegangen ist (UNODC 11.2023; vgl. UNGA 1.12.2023), wobei ein anderer Experte den Rückgang des Mohnanbaus zwischen 2022 und 2023 auf 80 % schätzt (BBC 6.6.2023). Der Opiumanbau ging in allen Teilen des Landes von 233.000 Hektar auf 10.800 Hektar im Jahr 2023 zurück, was zu einem Rückgang des Opiumangebots von 6.200 Tonnen im Jahr 2022 auf 333 Tonnen im Jahr 2023 führte. Der drastische Rückgang hatte unmittelbare humanitäre Folgen für viele gefährdete Gemeinschaften, die auf das Einkommen aus dem Opiumanbau angewiesen sind. Das Einkommen der Bauern aus dem Verkauf der Opiumernte 2023 an Händler sank um mehr als 92 % von geschätzten 1,36 Milliarden Dollar für die Ernte 2022 auf 110 Millionen Dollar im Jahr 2023 (UNODC 11.2023; vgl. UNGA 1.12.2023). Der weniger rentable Weizenanbau hat den Mohn auf den Feldern verdrängt - und viele Landwirte berichten, dass sie finanziell darunter leiden (BBC 6.6.2023).
Am 30.9.2023 veröffentlichte der Oberste Gerichtshof der Taliban eine Reihe von Drogenstrafverfahren, die Strafen für den Anbau, den Verkauf, den Transport, die Herstellung und den Konsum von Mohn, Marihuana und anderen Rauschmitteln vorsehen. Die vorgeschriebenen Freiheitsstrafen reichen von einem Monat bis zu sieben Jahren ohne die Möglichkeit, eine Geldstrafe zu zahlen (UNGA 1.12.2023).
Anfang 2024 verkündete der amtierende Verteidigungsminister der Taliban, dass im Zuge der Bekämpfung der Drogenproduktion im Jahr 2023 4.472 Tonnen Rauschgift vernichtet, 8.282 an der Produktion und am Schmuggel beteiligte Personen verhaftet und 13.904 Hektar Mohnanbaufläche gerodet wurden. Experten gehen jedoch davon aus, dass die Armut in den ländlichen und landwirtschaftlichen Gemeinden wieder zum Mohnanbau führen könnte (VOA 3.1.2024). So gab ein Farmer, dessen Feld von den Taliban wegen Mohnanbaus zerstört wurde an, dass er durch Weizenanbau nur einen Bruchteil dessen verdienen würde, was er mit Mohn verdienen könnte (BBC 6.6.2023).
Quellen
8am - Hasht-e Sobh (5.10.2021): Taliban Held Their First Cabinet Meeting, https://8am.media/eng/taliban-held-their-first-cabinet-meeting, Zugriff 4.1.2023
AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (26.6.2023): Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in Afghanistan - Lagefortschreibung - (Stand: Juni 2023), https://www.ecoi.net/en/document/2094871.html, Zugriff 9.8.2023 [Login erforderlich]
AAN/Ruttig - Ruttig, Thomas (Autor), Afghanistan Analysts Network (Herausgeber) (7.12.2023): Whose Seat Is It Anyway: The UN’s (non)decision on who represents Afghanistan, https://www.afghanistan-analysts.org/en/reports/international-engagement/whose-seat-is-it-anyway-the-uns-nondecision-on-who-represents-afghanistan, Zugriff 14.2.2024
Afghan Bios - Afghan Biographies - Who is who in Afghanistan (14.12.2023): Muttaqi, Amir Khan Mawlawi, https://www.afghan-bios.info/index.php?option=com_afghanbios id=1158 task=view total=22 start=7 Itemid=2, Zugriff 7.2.2024
Afghan Bios - Afghan Biographies - Who is who in Afghanistan (27.11.2023): Kabir, Abdul Mawlawi, https://www.afghan-bios.info/index.php?option=com_afghanbios id=5043 task=view total=12 start=3 Itemid=2, Zugriff 7.2.2024
Afghan Bios - Afghan Biographies - Who is who in Afghanistan (6.9.2023): Omar, Mohammad Yaqoob Mullah, https://www.afghan-bios.info/index.php?option=com_afghanbios id=3524 task=view total=16 start=12 Itemid=2, Zugriff 7.2.2024
Afghan Bios - Afghan Biographies - Who is who in Afghanistan (18.7.2023): Akhund, Mohammad Hassan Mullah, https://www.afghan-bios.info/index.php?option=com_afghanbios id=4968 task=view total=5 start=0 Itemid=2, Zugriff 7.2.2024
Afghan Bios - Afghan Biographies - Who is who in Afghanistan (4.3.2023): Haqqani, Sirajuddin, https://www.afghan-bios.info/index.php?option=com_afghanbios id=2274 task=view total=22 start=9 Itemid=2, Zugriff 7.2.2024
Afghan Bios - Afghan Biographies - Who is who in Afghanistan (7.7.2022a): Akhundzadah, Hibatullah Mullah, http://www.afghan-bios.info/index.php?option=com_afghanbios id=3523 task=view total=725 start=56 Itemid=2, Zugriff 7.2.2024
Afghan Bios - Afghan Biographies - Who is who in Afghanistan (7.7.2022b): Hanafi, Abdul Salam Mawlawi, http://www.afghan-bios.info/index.php?option=com_afghanbios id=5205 task=view total=28 start=5 Itemid=2, Zugriff 7.2.2024
Afghan Bios - Afghan Biographies - Who is who in Afghanistan (16.2.2022): Baradar, Abdul Ghani Akhund Barader Mullah, http://www.afghan-bios.info/index.php?option=com_afghanbios id=323 task=view total=21 start=2 Itemid=2, Zugriff 7.2.2024
Afintl - Afghanistan International (14.2.2024): Turkiye Accepts New Taliban Diplomat For Afghanistan’s Embassy in Ankara, https://www.afintl.com/en/202310025091, Zugriff 14.2.2024
Afintl - Afghanistan International (27.2.2023): Taliban Announces Taking Over of Afghan Consulate General in Istanbul, https://www.afintl.com/en/202302275594, Zugriff 14.2.2024
AJ - Al Jazeera (7.9.2021): Profile: Mullah Baradar, new deputy leader in Afghan gov’t, https://www.aljazeera.com/news/2021/9/7/profile-mullah-baradar-afghanistans-new-leader, Zugriff 4.1.2023
AMU - Amu Tv (25.11.2023): Taliban names Bilal Karimi as its ambassador to China: Source, https://amu.tv/74324, Zugriff 7.2.2024
AMU - Amu Tv (22.11.2023): Taliban wraps up two-day 'cabinet meeting' in Kandahar, https://amu.tv/73911, Zugriff 7.2.2024
AnA - Anadolu Agency (5.5.2023): Islamabad to host China-Pakistan-Afghanistan foreign ministers’ dialogue, https://www.aa.com.tr/en/asia-pacific/islamabad-to-host-china-pakistan-afghanistan-foreign-ministers-dialogue/2888689, Zugriff 23.8.2023
AnA - Anadolu Agency (18.4.2020): Taliban chief says ’no’ to ’interference’ in Afghanistan’s internal affairs, https://www.aa.com.tr/en/asia-pacific/taliban-chief-says-no-to-interference-in-afghanistans-internal-affairs/2875255, Zugriff 23.8.2023
AT - Afghanistan Times (22.11.2023): Taliban Concludes Two-Day ‘Cabinet Meeting’ in Kandahar, https://www.afghanistantimes.af/taliban-concludes-two-day-cabinet-meeting-in-kandahar, Zugriff 7.2.2024
BAMF - Bundesamt für Migration und Flüchtlinge [Deutschland] (30.6.2023): Briefing Notes Zusammenfassung: Afghanistan - Januar bis Juni 2023, https://milo.bamf.de/OTCS/cs.exe/fetchcsui/-28862213/Deutschland._Bundesamt_für_Migration_und_Flüchtlinge,__Briefing_Notes_Zusammenfassung_–_Afghanistan,_Januar_bis_Juni_2023,_30.06.2023.pdf?nodeid=28862430 vernum=-2, Zugriff 4.8.2023
BBC - British Broadcasting Corporation (6.6.2023): Inside the Taliban’s war on drugs - opium poppy crops slashed, https://www.bbc.com/news/world-asia-65787391, Zugriff 21.2.2024
BBC - British Broadcasting Corporation (19.9.2021): Afghanistan: Stay home, female Kabul government workers told, https://www.bbc.com/news/world-asia-58614113, Zugriff 4.1.2023
BBC - British Broadcasting Corporation (7.9.2021): Afghanistan: Who’s who in the Taliban leadership, https://www.bbc.com/news/world-asia-58235639, Zugriff 4.1.2023
DIP - Diplomat, The (4.1.2023): What Role Will the Taliban’s ‘Supreme Leader’ Play in the New Government?, https://thediplomat.com/2021/09/what-role-will-the-talibans-supreme-leader-play-in-the-new-government, Zugriff 4.1.2023
Guardian - The Guardian (20.9.2021): Kabul government’s female workers told to stay at home by Taliban, https://www.theguardian.com/world/2021/sep/19/kabul-governments-female-workers-told-to-stay-at-home-by-taliban, Zugriff 4.1.2023
HRW - Human Rights Watch (4.10.2021): For Afghan Women, the Frightening Return of ‘Vice and Virtue’, https://www.hrw.org/news/2021/09/29/afghan-women-frightening-return-vice-and-virtue, Zugriff 3.1.2023
ICG - International Crisis Group (24.8.2021): Taliban Rule Begins in Afghanistan, https://www.crisisgroup.org/asia/south-asia/afghanistan/taliban-rule-begins-afghanistan, Zugriff 22.12.2022
JF - Jamestown Foundation, The (5.11.2021): The Haqqani Network’s Martyr: Inside Afghan Taliban Interior Minister Sirajuddin Haqqani’s Reception Honoring Suicide Bombers, https://www.ecoi.net/de/dokument/2064287.html, Zugriff 4.1.2023
KP - Khaama Press (26.11.2023): Kabul appoints Bilal Karimi as Ambassador to China: Report, https://www.khaama.com/kabul-appoints-bilal-karimi-as-ambassador-to-china-report, Zugriff 7.2.2024
KP - Khaama Press (23.2.2023a): Turkiye to Handover Afghan Consulate in Istanbul to IEA Authorities: Sources, https://www.khaama.com/turkiye-to-handover-afghan-consulate-in-istanbul-to-iea-authorities-sources, Zugriff 14.2.2024
NZZ - Neue Zürcher Zeitung (8.9.2021): Afghanistan: die neue Regierung der Taliban, https://www.nzz.ch/international/die-taliban-bilden-eine-regierung-und-darin-sitzen-weder-andere-politische-kraefte-noch-frauen-ld.1644387?kid=nl165_2021-9-7 ga=1 mktcid=nled trco mktcval=165_2021-09-08, Zugriff 4.1.2023
OI - Outlook India (25.3.2023): Afghanistan: Taliban Takes Over 14 Diplomatic Missions, Wants To Control More Missions, https://www.outlookindia.com/international/afghanistan-taliban-takes-over-14-diplomatic-missions-wants-to-control-more-missions-news-273297, Zugriff 23.8.2023
ORF - Österreichischer Rundfunk (8.9.2021): Taliban-Übergangsregierung: Gesuchter Terrorist wird Innenminister, https://orf.at/stories/3227772, Zugriff 4.1.2023
PBS - Public Broadcasting Service (25.3.2023): Taliban push for control of more Afghan diplomatic missions, https://www.pbs.org/newshour/world/taliban-push-for-control-of-more-afghan-diplomatic-missions, Zugriff 23.8.2023
REU - Reuters (13.9.2023): China becomes first to name new Afghan ambassador under Taliban, https://www.reuters.com/world/asia-pacific/taliban-say-chinese-envoy-appointed-kabul-first-ambassadorial-appointment-since-2023-09-13, Zugriff 7.2.2024
REU - Reuters (7.9.2021a): Haibatullah Akhundzada: Shadowy Taliban supreme leader whose son was suicide bomber, https://www.reuters.com/world/haibatullah-akhundzada-shadowy-taliban-supreme-leader-whose-son-was-suicide-2021-09-07, Zugriff 4.1.2023
REU - Reuters (7.9.2021b): Factbox: Taliban announces makeup of new Afghan government, https://www.reuters.com/world/asia-pacific/taliban-announces-makeup-new-afghan-government-2021-09-07, Zugriff 4.1.2023
RFE/RL - Radio Free Europe/Radio Liberty (3.6.2022a): ‘Unprecedented Differences’: Rifts Within The Taliban Come Out In The Open, https://www.rferl.org/a/taliban-rifts-exposed-afghanistan/31880018.html, Zugriff 5.1.2023
RFE/RL - Radio Free Europe/Radio Liberty (24.3.2022): Taliban’s Dramatic U-Turn On Reopening Girls’ Schools Reflects ‘Internal Divisions’, https://www.rferl.org/a/afghan-girls-school-closure-taliban-divisions/31769012.html, Zugriff 5.1.2023
RFE/RL - Radio Free Europe/Radio Liberty (29.8.2020): The Rise Of Mullah Yaqoob, The Taliban’s New Military Chief, https://www.rferl.org/a/the-rise-of-mullah-yaqoob-the-taliban-new-military-chief/30805362.html, Zugriff 4.1.2023
TN - Tolonews (9.1.2024): Islamic Emirate Wants Positive Relations with World: Muttaqi, https://tolonews.com/index.php/afghanistan-186884, Zugriff 14.2.2024
TN - Tolonews (29.11.2023): Stanikzai: Afghan Embassy in India to Reopen in Coming Days, https://tolonews.com/afghanistan-186263, Zugriff 14.2.2024
TN - Tolonews (27.2.2023): Afghan Diplomatic Missions in Tehran, Istanbul Handed Over to Kabul, https://tolonews.com/afghanistan-182261, Zugriff 14.2.2024
TN - Tolonews (30.10.2022): 15 Months After Takeover, Islamic Emirate Not Recognized by World, https://tolonews.com/afghanistan-180523, Zugriff 4.1.2023
UNGA - United Nations General Assembly (1.12.2023): The situation in Afghanistan and its implications for international peace and security, https://www.ecoi.net/en/file/local/2102425/N2336960.pdf, Zugriff 14.2.2024
UNGA - United Nations General Assembly (20.6.2023): The situation in Afghanistan and its implications for international peace and security, https://www.ecoi.net/en/file/local/2095410/N2317030.pdf, Zugriff 11.8.2023
UNGA - United Nations General Assembly (15.6.2022): The situation in Afghanistan and its implications for international peace and security, https://www.ecoi.net/en/file/local/2074514/N2237309.pdf, Zugriff 4.1.2023
UNGA - United Nations General Assembly (28.1.2022): The situation in Afghanistan and its implications for international peace and security, https://www.ecoi.net/en/file/local/2067517/A_76_667--S_2022_64-EN.pdf, Zugriff 19.12.2022
UNODC - United Nations Office on Drugs and Crime (11.2023): Afghanistan opium survey 2023, https://www.ecoi.net/en/file/local/2100824/Afghanistan_opium_survey_2023.pdf, Zugriff 19.2.2024
UNSC - United Nations Security Council (o.D.a): ABDUL SALAM HANAFI ALI MARDAN QUL, https://www.un.org/securitycouncil/sanctions/1988/materials/summaries/individual/abdul-salam-hanafi-ali-mardan-qul, Zugriff 4.1.2023
UNSC - United Nations Security Council (o.D.b): AMIR KHAN MOTAQI, https://www.un.org/securitycouncil/sanctions/1988/materials/summaries/individual/amir-khan-motaqi, Zugriff 4.1.2023
UNSC - United Nations Security Council (1.6.2023a): Letter dated 23 May 2023 from the Chair of the Security Council Committee established pursuant to resolution 1988 (2011) addressed to the President of the Security Council, https://www.ecoi.net/en/file/local/2093255/N2312536.pdf, Zugriff 18.8.2023
USDOS - United States Department of State [USA] (31.10.2023): Integrated Country Strategy, https://www.state.gov/wp-content/uploads/2023/12/ICS_SCA_Afghanistan_31OCT2023_PUBLIC.pdf, Zugriff 7.2.2024
USDOS - United States Department of State [USA] (12.4.2022a): 2021 Country Report on Human Rights Practices: Afghanistan, https://www.ecoi.net/en/document/2071122.html, Zugriff 15.12.2022
USIP - United States Institute of Peace [USA] (17.8.2022): One Year Later: Taliban Reprise Repressive Rule, but Struggle to Build a State, https://www.usip.org/publications/2022/08/one-year-later-taliban-reprise-repressive-rule-struggle-build-state, Zugriff 3.1.2023
VOA - Voice of America (31.1.2024): China’s President Accepts Credentials From Afghan Representative, https://www.voanews.com/a/china-s-president-receives-afghan-ambassador-taliban-seek-recognition-from-russia-iran-/7463837.html, Zugriff 7.2.2024
VOA - Voice of America (3.1.2024): Taliban Maintain Poppy Crackdown, US Fears Farmers’ Return to Cultivation, https://www.voanews.com/a/taliban-maintain-poppy-crackdown-us-fears-farmers-return-to-cultivation/7425417.html, Zugriff 21.2.2024
VOA - Voice of America (10.12.2023): What Will It Take for Taliban to Gain Recognition From China, Others?, https://www.voanews.com/a/what-will-it-take-for-taliban-to-gain-recognition-from-china-others-/7390814.html, Zugriff 7.2.2024
VOA - Voice of America (29.11.2023): Taliban Say Afghan Embassy in India Set to Resume Operations Soon, https://www.voanews.com/a/taliban-say-afghan-embassy-in-india-set-to-resume-operations-soon/7377115.html, Zugriff 29.2.2024
VOA - Voice of America (6.5.2023): China Asks Afghanistan’s Taliban to Address Terrorism Worries, https://www.voanews.com/a/china-asks-afghanistan-s-taliban-to-address-neighbors-terrorism-worries/7081901.html, Zugriff 23.8.2023
VOA - Voice of America (1.10.2021): Taliban Order Afghan Media to Use Group’s Official Name, https://www.voanews.com/a/taliban-order-afghan-media-to-use-group-s-official-name/6254019.html, Zugriff 4.1.2023
VOA - Voice of America (19.8.2021): Who Leads the Taliban?, https://www.voanews.com/a/south-central-asia_who-leads-taliban/6209750.html, Zugriff 4.1.2023
VOA - Voice of America (29.2.2020): US, Taliban Sign Historic Afghan Peace Deal, https://www.voanews.com/a/south-central-asia_us-taliban-sign-historic-afghan-peace-deal/6185026.html, Zugriff 4.1.2023
Wilson - Wilson Center (12.12.2023): BJP-Taliban Ties and Their Implications, https://www.wilsoncenter.org/blog-post/bjp-taliban-ties-and-their-implications, Zugriff 29.2.2024
WP - Washington Post, The (5.6.2023): Taliban moving senior officials to Kandahar. Will it mean a harder line?, https://www.washingtonpost.com/world/2023/06/04/kandahar-taliban-akhundzada-afghanistan/, Zugriff 22.8.2023 [kostenpflichtig, Login erforderlich]
Sicherheitslage
Letzte Änderung 2024-04-05 15:33
Seit der Machtübernahme der Taliban in Kabul am 15.8.2021 ist das allgemeine Ausmaß des Konfliktes zurückgegangen (UNGA 28.1.2022, vgl. UNAMA 27.6.2023). Nach Angaben der Vereinten Nationen gab es beispielsweise weniger konfliktbedingte Sicherheitsvorfälle wie bewaffnete Zusammenstöße, Luftangriffe und improvisierte Sprengsätze (IEDs) (UNGA 28.1.2022) sowie eine geringere Zahl von Opfern unter der Zivilbevölkerung (UNAMA 27.6.2023; vgl. UNAMA 7.2022). Die Hilfsmission der Vereinten Nationen in Afghanistan (UNAMA) hat jedoch weiterhin ein erhebliches Ausmaß an zivilen Opfern durch vorsätzliche Angriffe mit improvisierten Sprengsätzen (IEDs) dokumentiert (UNAMA 27.6.2023).
UNAMA registrierte im Zeitraum 15.08.2021 - 30.05.2023 mindestens 3.774 zivile Opfer, davon 1.095 Tote (UNAMA 27.6.2023; vgl. AA 26.6.2023) und vom 20.5.2023 bis 22.10.2023 mindestens 344 zivile Opfer, davon 96 Tote (UNGA 18.9.2023; vgl. UNGA 1.12.2023). Im Vergleich waren es in den ersten sechs Monaten nach der Machtübernahme der Taliban 1.153 zivile Opfer, davon 397 Tote, während es in der ersten Jahreshälfte 2021 (also vor der Machtübernahme der Taliban) 5.183 zivile Opfer, davon 1.659 Tote gab. In der Mehrzahl handelte es sich um Anschläge durch Selbstmordattentäter und IEDs. Bei Anschlägen auf religiöse Stätten wurden 1.218 Opfer, inkl. Frauen und Kinder, verletzt oder getötet. 345 Opfer wurden unter den mehrheitlich schiitischen Hazara gefordert. Bei Angriffen auf die Taliban wurden 426 zivile Opfer registriert (AA 26.6.2023).
Im Jahr 2023 war ein Rückgang der von ACLED (Armed Conflict Location Event Data Project) und UCDP (Uppsala Conflict Data Program) erfassten sicherheitsrelevanten Vorfälle zu verzeichnen. Die Zahl der von ACLED bis September 2023 erfassten Ereignisse ging im Vergleich zum selben Zeitraum im Jahr 2022 um 34,8 % zurück (1.979 gegenüber 689 Ereignissen), während die UCDP-Daten für denselben Zeitraum einen Rückgang um 48,2 % anzeigten (720 gegenüber 347 Ereignissen) (EUAA 12.2023; vgl. ACLED 17.10.2023).
Nach Angaben der Vereinten Nationen entwickelten sich die sicherheitsrelevanten Vorfälle seit der Machtübernahme der Taliban folgend:
19.8.2021 - 31.12.2021: 985 sicherheitsrelevante Vorfälle (Rückgang von 91 % gegenüber dem Vorjahr) (UNGA 28.1.2022)
1.1.2022 - 21.5.2022: 2.105 sicherheitsrelevante Vorfälle (Rückgang von 467 % gegenüber dem Vorjahr) (UNGA 15.6.2022)
22.5.2022 - 16.8.2022: 1.642 sicherheitsrelevante Vorfälle (Rückgang von 77,5 % gegenüber dem Vorjahr) (UNGA 14.9.2022)
17.8.2022 - 13.11.2022: 1.587 sicherheitsrelevante Vorfälle (Anstieg von 23 % gegenüber dem Vorjahr) (UNGA 7.12.2022)
14.11.2022 - 31.1.2023: 1.088 sicherheitsrelevante Vorfälle (Anstieg von 10 % gegenüber dem Vorjahr) (UNGA 27.2.2023)
1.2.2023 - 20.5.2023: 1.650 sicherheitsrelevante Vorfälle (Rückgang von 1 % gegenüber dem Vorjahr) (UNGA 20.6.2023)
25.5.2023 - 31.7.2023: 1.259 sicherheitsrelevante Vorfälle (Anstieg von 1 % gegenüber dem Vorjahr) (UNGA 18.9.2023)
1.8.2023 - 21.10.2023: 1.414 sicherheitsrelevante Vorfälle (Rückgang von 2 % gegenüber dem Vorjahr) (UNGA 1.12.2023)
Ende 2022 und während des Jahres 2023 nehmen die Zusammenstöße zwischen bewaffneten Gruppierungen und den Taliban weiter ab (UNGA 27.2.2023; vgl. UNGA 20.6.2023, UNGA 18.9.2023, UNGA 20.6.2023), wobei diese nach Einschätzung der Vereinten Nationen den Taliban die Kontrolle über ihr Gebiet nicht streitig machen können (UNGA 1.12.2023). Die dem Taliban-Verteidigungsministerium unterstehenden Sicherheitskräfte führten weiterhin Operationen gegen Oppositionskämpfer durch, darunter am 11.4.2023 eine Operation gegen die Afghanische Freiheitsfront (AFF) im Distrikt Salang in der Provinz Parwan, bei der Berichten zufolge acht Oppositionskämpfer getötet wurden (UNGA 20.6.2023).
Ca. 50 % der sicherheitsrelevanten Vorfälle des Jahres 2023 entfielen auf die Regionen im Norden, Osten und Westen wobei die Provinzen Nangarhar, Kunduz, Herat (UNGA 20.6.2023), Takhar (UNGA 18.9.2023) und Kabul am stärksten betroffen waren (UNGA 1.12.2023).
Die Vereinten Nationen berichten, dass Afghanistan nach wie vor ein Ort von globaler Bedeutung für den Terrorismus ist, da etwa 20 terroristische Gruppen in dem Land operieren. Es wird vermutet, dass das Ziel dieser Terrorgruppen darin besteht, ihren jeweiligen Einfluss in der Region zu verbreiten und theokratische Quasi-Staatsgebilde zu errichten (UNSC 25.7.2023). Die Grenzen zwischen Mitgliedern von Al-Qaida und mit ihr verbundenen Gruppen, einschließlich TTP (Tehreek-e Taliban Pakistan), und der Gruppierung Islamischer Staat Khorasan Provinz (ISKP) sind zuweilen fließend, wobei sich Einzelpersonen manchmal mit mehr als einer Gruppe identifizieren und die Tendenz besteht, sich der dominierenden oder aufsteigenden Macht zuzuwenden (UNSC 25.7.2023).
Hatten sich die Aktivitäten des ISKP nach der Machtübernahme der Taliban zunächst verstärkt (UNGA 28.1.2022; vgl. UNGA 15.6.2022, UNGA 14.9.2022, UNGA 7.12.2022), so nahmen auch diese im Lauf der Jahre 2022 (UNGA 7.12.2022; vgl. UNGA 27.2.2023) und in 2023 wieder ab (UNGA 20.6.2023; vgl. UNGA 18.9.2023, UNGA 1.12.2023). Die Gruppe verübte weiterhin Anschläge auf die Zivilbevölkerung, insbesondere auf die schiitischen Hazara (HRW 12.1.2023; vgl. UNAMA 22.1.2024). Die Taliban-Sicherheitskräfte führten Operationen zur Bekämpfung des ISKP durch, unter anderem in den Provinzen Kabul, Herat, Balkh, Faryab, Jawzjan, Nimroz, Parwan, Kunduz und Takhar (UNGA 20.6.2023).
Mit Verweis auf das United Nations Department of Safety and Security (UNDSS) berichtet IOM (International Organization for Migration), dass organisierte Verbrechergruppen in ganz Afghanistan an Entführungen zur Erlangung von Lösegeld beteiligt sind. 2023 wurden 21 Entführungen dokumentiert, 2024 waren es, mit Stand Februar 2024, zwei. Anscheinend werden nicht alle Entführungen gemeldet, und oft zahlen die Familien das Lösegeld. Die meisten Entführungen (soweit Informationen verfügbar waren) fanden in oder in der Nähe von Wohnhäusern statt und nicht auf der Straße. Von den 21 im Jahr 2023 gemeldeten Entführungen ereigneten sich vier in Kabul. Zwei der Vorfälle in Kabul betrafen die Entführung ausländischer Staatsangehöriger, wobei nur wenige Einzelheiten über die Umstände der Entführungen bekannt wurden. Die Taliban-Sicherheitskräfte reagierten aktiv auf Entführungsfälle. Im Juni 2023 leiteten die Taliban beispielsweise in Kabul eine erfolgreiche Rettungsaktion eines entführten ausländischen Staatsangehörigen. In der Provinz Balkh führte eine Reaktion der Taliban gegen die Entführer im Februar 2023 zum Tod eines Entführers und zur Festnahme von zwei weiteren Personen (IOM 22.2.2024).
Im Zuge einer im Auftrag der Staatendokumentation von ATR Consulting im November 2021 in Kabul-Stadt, Herat-Stadt und Mazar-e Sharif durchgeführten Studie gaben 68,3 % der Befragten an, sich in ihrer Nachbarschaft sicher zu fühlen. Es wird jedoch darauf hingewiesen, dass diese Ergebnisse nicht auf die gesamte Region oder das ganze Land hochgerechnet werden können. Die Befragten wurden gefragt, wie sicher sie sich in ihrer Nachbarschaft fühlen, was sich davon unterscheidet, ob sie sich unter dem Taliban-Regime sicher fühlen oder ob sie die Taliban als Sicherheitsgaranten betrachten, oder ob sie sich in anderen Teilen ihrer Stadt oder anderswo im Land sicher fühlen würden. Das Sicherheitsgefühl ist auch davon abhängig, in welchem Ausmaß die Befragten ihre Nachbarn kennen und wie vertraut sie mit ihrer Nachbarschaft sind und nicht darauf, wie sehr sie sich in Sachen Sicherheit auf externe Akteure verlassen. Nicht erfasst wurde in der Studie, inwieweit bei den Befragten Sicherheitsängste oder Bedenken in Hinblick auf die Taliban oder Gruppen wie den ISKP vorliegen. In Bezug auf Straßenkriminalität und Gewalt gaben 70,7 % bzw. 79,7 % der Befragen an, zwischen September und Oktober 2021 keiner Gewalt ausgesetzt gewesen zu sein. An dieser Stelle ist zu beachten, dass die Ergebnisse nicht erfassen, welche Maßnahmen der Risikominderung von den Befragten durchgeführt werden, wie z. B.: die Verringerung der Zeit, die sie außerhalb ihres Hauses verbringen, die Änderung ihres Verhaltens, einschließlich ihres Kaufverhaltens, um weniger Aufmerksamkeit auf sich zu lenken, sowie die Einschränkung der Bewegung von Frauen und Mädchen im Freien (ATR/STDOK 18.1.2022).
Im Dezember 2022 wurde von ATR Consulting erneut eine Studie im Auftrag der Staatendokumentation durchgeführt. Diesmal ausschließlich in Kabul-Stadt. Hier variiert das Sicherheitsempfinden der Befragten, was laut den Autoren der Studie daran liegt, dass sich Ansichten der weiblichen und männlichen Befragten deutlich unterscheiden. Insgesamt gaben die meisten Befragten an, sich in ihrer Nachbarschaft sicher zu fühlen, wobei die relativ positive Wahrnehmung der Sicherheit und die Antworten der Befragten, nach Meinung der Autoren, daran liegt, dass es vielen Befragten aus Angst vor den Taliban unangenehm war, über Sicherheitsfragen zu sprechen. Sie weisen auch darauf hin, dass die Sicherheit in der Nachbarschaft ein schlechtes Maß für das Sicherheitsempfinden der Menschen und ihre Gedanken über das Leben unter dem Taliban-Regime ist (ATR/STDOK 3.2.2023).
Quellen
AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (26.6.2023): Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in Afghanistan - Lagefortschreibung - (Stand: Juni 2023), https://www.ecoi.net/en/document/2094871.html, Zugriff 9.8.2023 [Login erforderlich]
ACLED - Armed Conflict Location and Event Data (17.10.2023): Curated Data - Afghanistan (17.10.2023), https://acleddata.com/curated-data-files, Zugriff 22.2.2024
ATR/STDOK - ATR Consulting (Autor), Staatendokumentation des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl [Österreich] (Herausgeber) (3.2.2023): Kabul - Social Economic Survey 2022, https://www.ecoi.net/en/file/local/2087688/Kabul_Socio-Economic Survey 2022.pdf, Zugriff 6.2.2023 [Login erforderlich]
ATR/STDOK - ATR Consulting (Autor), Staatendokumentation des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl [Österreich] (Herausgeber) (18.1.2022): Survey report on the socio-economic situation (demography; security; economy; health care; housing), https://www.ecoi.net/en/file/local/2066706/AFGHANISTAN - Socio-Economic Survey 2021.pdf, Zugriff 19.1.2023
EUAA - European Union Agency for Asylum (12.2023): Afghanistan Country Focus, https://www.ecoi.net/en/file/local/2101835/2023_12_EUAA_COI_Report_Afghanistan_Country_Focus.pdf, Zugriff 7.2.2024
HRW - Human Rights Watch (12.1.2023): World Report 2023 - Afghanistan, https://www.ecoi.net/en/document/2085369.html, Zugriff 18.1.2023
IOM - International Organization for Migration (22.2.2024): Information on the socio-economic situation in Afghanistan, https://www.ecoi.net/en/file/local/2104781/Socioeconomic Information Update Afghanistan.pdf, Zugriff 23.2.2024 [Login erforderlich]
UNAMA - United Nations Assistance Mission in Afghanistan (22.1.2024): Human rights situation in Afghanistan: October - December 2023 Update, https://unama.unmissions.org/sites/default/files/english_hr_update_22jan_2024.pdf, Zugriff 20.2.2024
UNAMA - United Nations Assistance Mission in Afghanistan (27.6.2023): Impact of Improvised Explosive Devices on Civilians in Afghanistan; 15 August 2021 – 30 May 2023, https://www.ecoi.net/en/file/local/2094034/report_on_civilian_harm_caused_by_ied_-_eng_27062023.pdf, Zugriff 16.8.2023
UNAMA - United Nations Assistance Mission in Afghanistan (7.2022): Human Rights in Afghanistan 15 August 2021 - 15 June 2022, https://www.ecoi.net/en/file/local/2075723/unama_human_rights_in_afghanistan_report_-_june_2022_english.pdf, Zugriff 3.1.2023
UNGA - United Nations General Assembly (1.12.2023): The situation in Afghanistan and its implications for international peace and security, https://www.ecoi.net/en/file/local/2102425/N2336960.pdf, Zugriff 14.2.2024
UNGA - United Nations General Assembly (18.9.2023): The situation in Afghanistan and its implications for international peace and security, https://www.ecoi.net/en/file/local/2097813/N2325802.pdf, Zugriff 15.2.2024
UNGA - United Nations General Assembly (20.6.2023): The situation in Afghanistan and its implications for international peace and security, https://www.ecoi.net/en/file/local/2095410/N2317030.pdf, Zugriff 11.8.2023
UNGA - United Nations General Assembly (27.2.2023): The situation in Afghanistan and its implications for international peace and security, https://www.ecoi.net/en/file/local/2088888/N2305123.pdf, Zugriff 11.8.2023
UNGA - United Nations General Assembly (7.12.2022): The situation in Afghanistan and its implications for international peace and security, https://www.ecoi.net/en/file/local/2084394/N2273222.pdf, Zugriff 12.1.2023
UNGA - United Nations General Assembly (14.9.2022): The situation in Afghanistan and its implications for international peace and security, https://www.ecoi.net/en/file/local/2079419/N2259109.pdf, Zugriff 12.1.2023
UNGA - United Nations General Assembly (15.6.2022): The situation in Afghanistan and its implications for international peace and security, https://www.ecoi.net/en/file/local/2074514/N2237309.pdf, Zugriff 4.1.2023
UNGA - United Nations General Assembly (28.1.2022): The situation in Afghanistan and its implications for international peace and security, https://www.ecoi.net/en/file/local/2067517/A_76_667--S_2022_64-EN.pdf, Zugriff 19.12.2022
UNSC - United Nations Security Council (25.7.2023): Thirty-second report of the Analytical Support and Sanctions Monitoring Team submitted pursuant to resolution 2610 (2021) concerning ISIL (Da’esh), Al-Qaida and associated individuals and entities, https://www.ecoi.net/en/file/local/2095654/N2318974.pdf, Zugriff 18.8.2023
Verfolgungungspraxis der Taliban, neue technische Möglichkeiten
Letzte Änderung 2024-04-03 14:28
Trotz mehrfacher Versicherungen der Taliban, von Vergeltungsmaßnahmen gegenüber Angehörigen der ehemaligen Regierung und Sicherheitsbehörden abzusehen (AA 26.6.2023; vgl. USDOS 20.3.2023), wurde nach der Machtübernahme der Taliban berichtet, dass diese auf der Suche nach ehemaligen Mitarbeitern der internationalen Streitkräfte oder der afghanischen Regierung von Tür zu Tür gingen und deren Angehörige bedrohten. Ein Mitglied einer Rechercheorganisation, welche einen (nicht öffentlich zugänglichen) Bericht zu diesem Thema für die Vereinten Nationen verfasste, sprach von einer "schwarzen Liste" der Taliban und großer Gefahr für jeden, der sich auf dieser Liste befände (BBC 20.8.2021a; vgl. DW 20.8.2021). Im Zuge der Machtübernahme im August 2021 hatten die Taliban Zugriff auf Mitarbeiterlisten der Behörden (HRW 1.11.2021; vgl. NYT 29.8.2021), unter anderem auf eine biometrische Datenbank mit Angaben zu aktuellen und ehemaligen Angehörigen der Armee und Polizei bzw. zu Afghanen, die den internationalen Truppen geholfen haben (Intercept 17.8.2021). Auch Human Rights Watch (HRW) zufolge kontrollieren die Taliban Systeme mit sensiblen biometrischen Daten, die westliche Geberregierungen im August 2021 in Afghanistan zurückgelassen haben. Diese digitalen Identitäts- und Gehaltsabrechnungssysteme enthalten persönliche und biometrische Daten von Afghanen, darunter Irisscans, Fingerabdrücke, Fotos, Beruf, Wohnadressen und Namen von Verwandten. Die Taliban könnten diese Daten nutzen, um vermeintliche Gegner ins Visier zu nehmen, und Untersuchungen von Human Rights Watch deuten darauf hin, dass sie die Daten in einigen Fällen bereits genutzt haben könnten (HRW 30.3.2022). So wurde beispielsweise berichtet, dass ein ehemaliger Militäroffizier nach seiner Abschiebung von Iran nach Afghanistan durch ein biometrisches Gerät identifiziert wurde und danach von den Taliban gewaltsam zum Verschwinden gebracht wurde. Ein weiterer Rückkehrer aus Iran berichtet, dass im Zuge der Abschiebung aus Iran Daten der Rückkehrer vom iranischen Geheimdienst an die Taliban weitergegeben werden (KaN 18.10.2023).
Die Taliban sind in den sozialen Medien aktiv, unter anderem zu Propagandazwecken. Die Gruppierung nutzt soziale Medien und Internettechnik jedoch nicht nur für Propagandazwecke und ihre eigene Kommunikation, sondern auch, um Gegner des Taliban-Regimes aufzuspüren (Golem 20.8.2021; vgl. BBC 20.8.2021a, 8am 14.11.2022), was dazu führt, dass Afghanen seit der Machtübernahme der Taliban in den sozialen Medien Selbstzensur verüben, aus Angst und Unsicherheit (Internews 12.2023). So wurde beispielsweise ein afghanischer Professor verhaftet, nachdem er die Taliban via Social Media kritisierte (FR24 9.1.2022), während ein junger Mann in der Provinz Ghor Berichten zufolge nach einer Onlinekritik an den Taliban verhaftet wurde (8am 14.11.2022). Einem afghanischen Journalisten zufolge verwenden die Taliban soziale Netzwerke wie Facebook und LinkedIn, um jene Afghanen zu identifizieren, die mit westlichen Gruppen und der US-amerikanischen Hilfsagentur USAID zusammengearbeitet haben (ROW 20.8.2021). Ein hochrangiges Mitglied der ehemaligen Streitkräfte berichtet, dass ihm vor seiner Rückkehr verschiedene Versprechen gemacht wurden, er bei Ankunft auf dem Flughafen in Kabul jedoch wie ein Feind behandelt wurde. Er wurde sofort erkannt, da die Taliban sein Bild und weitere Informationen zu seiner Person über die sozialen Medien verbreiteten. Mit Stand Oktober 2023 lebt er in Kabul, sein Haus wurde mehrfach durch die Taliban durchsucht und sein Bankkonto gesperrt. Ein anderes Mitglied der ehemaligen Streitkräfte gab an, dass seine Informationen vor seiner Rückkehr auf Twitter [Anm.: jetzt X] verbreitet wurden und ein weiterer Rückkehrer berichtete, dass er eine biometrische Registrierung durchlaufen musste (KaN 18.10.2023).
Im Sommer 2023 wurde berichtet, dass die Taliban ein groß angelegtes Kameraüberwachungsnetz für afghanische Städte aufbauen (AI 5.9.2023; vgl. VOA 25.9.2023), das die Wiederverwendung eines Plans beinhalten könnte, der von den Amerikanern vor ihrem Abzug 2021 ausgearbeitet wurde, so ein Sprecher des Taliban-Innenministeriums. Die Taliban-Regierung hat sich auch mit dem chinesischen Telekommunikationsausrüster Huawei über eine mögliche Zusammenarbeit beraten, sagte der Sprecher (VOA 25.9.2023; vgl. RFE/RL 1.9.2023), wobei Huawei bestritt, beteiligt zu sein (RFE/RL 1.9.2023). Beobachter befürchten jedoch, dass die Taliban ihr Netz von Überwachungskameras auch dazu nutzen werden, abweichende Meinungen zu unterdrücken und ihre repressive Politik durchzusetzen (RFE/RL 1.9.2023), einschließlich der Einschränkung des Erscheinungsbildes der Afghanen, der Bewegungsfreiheit, des Rechts zu arbeiten oder zu studieren und des Zugangs zu Unterhaltung und unzensierten Informationen (RFE/RL 1.9.2023).
Quellen
8am - Hasht-e Sobh (14.11.2022): Taliban Arrests Young Man for Criticizing the Group on Social Media - Hasht-e Subh Daily, https://8am.media/eng/taliban-arrests-young-man-for-criticizing-the-group-on-social-media, Zugriff 31.1.2023
AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (26.6.2023): Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in Afghanistan - Lagefortschreibung - (Stand: Juni 2023), https://www.ecoi.net/en/document/2094871.html, Zugriff 9.8.2023 [Login erforderlich]
AI - Amnesty International (5.9.2023): Afghanistan: Installing thousands of cameras risks creating total surveillance state, https://www.amnesty.org/en/latest/news/2023/08/afghanistan-installing-thousands-of-cameras-risks-creating-total-surveillance-state, Zugriff 31.1.2024
BBC - British Broadcasting Corporation (20.8.2021a): Afghanistan: Taliban carrying out door-to-door manhunt, report says, https://www.bbc.com/news/world-asia-58271797, Zugriff 31.1.2023
DW - Deutsche Welle (20.8.2021): Taliban hunting down Afghans on blacklist — report, https://www.dw.com/en/taliban-hunting-down-afghans-on-blacklist-report/a-58914571, Zugriff 31.1.2023
FR24 - France 24 (9.1.2022): Taliban arrest Afghan professor after social media criticism, https://www.france24.com/en/live-news/20220109-taliban-arrest-afghan-professor-after-social-media-criticism, Zugriff 31.1.2023
Golem - Golem Media GmbH (20.8.2021): Afghanistan: Taliban jagen ihre Gegner auch via Netz - Golem.de, https://www.golem.de/news/afghanistan-taliban-jagen-ihre-gegner-auch-via-netz-2108-158996.html, Zugriff 31.1.2023
HRW - Human Rights Watch (30.3.2022): New Evidence that Biometric Data Systems Imperil Afghans, https://www.hrw.org/news/2022/03/30/new-evidence-biometric-data-systems-imperil-afghans, Zugriff 15.12.2022
HRW - Human Rights Watch (1.11.2021): “No Forgiveness for People Like You”, https://www.hrw.org/sites/default/files/media_2021/11/afghanistan1121_web.pdf, Zugriff 31.1.2023
Intercept - Intercept, The (17.8.2021): The Taliban Have Seized U.S. Military Biometrics Devices, https://theintercept.com/2021/08/17/afghanistan-taliban-military-biometrics, Zugriff 31.1.2023
Internews - Internews (12.2023): The Information Ecosystem in Afghanistan and Implications for Humanitarian Action - Afghanistan, https://reliefweb.int/attachments/28cd3554-e7f5-4994-a9e9-47e26f90ef99/Internews AFG-RiT-IEA-Dec2023.pdf, Zugriff 23.2.2024
KaN - Kabul Now (18.10.2023): Talibans False Amnesty: The Fate of Former Military Officers Who Return to Afghanistan, https://kabulnow.com/2023/07/talibans-false-amnesty-the-fate-of-former-military-officers-who-return-to-afghanistan, Zugriff 15.2.2024
NYT - New York Times, The (29.8.2021): As the Taliban Tighten Their Grip, Fears of Retribution Grow, https://www.nytimes.com/2021/08/29/world/asia/afghanistan-taliban-revenge.html, Zugriff 31.1.2023
RFE/RL - Radio Free Europe/Radio Liberty (1.9.2023): The Azadi Briefing: Is The Taliban Creating A Surveillance State In Afghanistan?, https://www.rferl.org/a/azadi-briefing-taliban-surveillance-state-afghanistan/32574507.html, Zugriff 31.1.2024
ROW - Rest of World - Reporting Global Tech Stories (20.8.2021): Afghans are forced to choose between staying safe and staying online, https://restofworld.org/2021/afghans-social-media-taliban, Zugriff 9.2.2023
USDOS - United States Department of State [USA] (20.3.2023): 2022 Country Report on Human Rights Practices: Afghanistan, https://www.ecoi.net/en/document/2089060.html, Zugriff 15.5.2023
VOA - Voice of America (25.9.2023): Taliban Weighs Using US Mass Surveillance Plan, Met with China’s Huawei, https://www.voanews.com/a/taliban-weighs-using-us-mass-surveillance-plan-met-with-china-s-huawei-/7282626.html, Zugriff 31.1.2024
Zentrale Akteure
Taliban
Letzte Änderung 2024-04-05 15:33
Die Taliban sind eine überwiegend paschtunische, islamisch-fundamentalistische Gruppe (CFR 17.8.2022), die 2021 nach einem zwanzigjährigen Aufstand wieder an die Macht in Afghanistan kam (CFR 17.8.2022; vgl. USDOS 20.3.2023). Die Taliban bezeichnen ihre Regierung als das "Islamische Emirat Afghanistan" (USDOS 20.3.2023; vgl. VOA 1.10.2021), den Titel des ersten Regimes, das sie in den 1990er-Jahren errichteten, und den sie während ihres zwei Jahrzehnte andauernden Aufstands auch für sich selbst verwendeten. Das Emirat ist um einen obersten Führer, den Emir, herum organisiert, von dem man glaubt, dass er von Gott mit der Autorität ausgestattet ist, alle Angelegenheiten des Staates und der Gesellschaft zu beaufsichtigen (USIP 17.8.2022).
Die Taliban-Regierung weist eine starre hierarchische Struktur auf, deren oberstes Gremium die Quetta-Shura ist (EER 10.2022), benannt nach der Stadt in Pakistan, in der Mullah Mohammed Omar, der erste Anführer der Taliban, und seine wichtigsten Helfer nach der US-Invasion Zuflucht gesucht haben sollen. Sie wird von Mawlawi Hibatullah Akhundzada geleitet (CFR 17.8.2022; vgl. Rehman A./PJIA 6.2022), dem obersten Führer der Taliban (Afghan Bios 7.7.2022a; vgl. CFR 17.8.2022, Rehman A./PJIA 6.2022). Er gilt als die ultimative Autorität in allen religiösen, politischen und militärischen Angelegenheiten (EUAA 8.2022; vgl. Afghan Bios 7.7.2022a, REU 7.9.2021a).
Nach der Machtübernahme versuchten die Taliban sich von "einem dezentralisierten, flexiblen Aufstand zu einer staatlichen Autorität" zu entwickeln (EUAA 8.2022; vgl. NI 24.11.2021). Im Zuge dessen herrschten Berichten zufolge zunächst Unklarheiten unter den Taliban über die militärischen Strukturen der Bewegung (EUAA 8.2022; vgl. DW 11.10.2021) und es gab in vielen Fällen keine erkennbare Befehlskette (EUAA 8.2022; vgl. REU 10.9.2021). Dies zeigte sich beispielsweise in Kabul, wo mehrere Taliban-Kommandeure behaupteten, für dasselbe Gebiet oder dieselbe Angelegenheit zuständig zu sein. Während die frühere Taliban-Kommission für militärische Angelegenheiten das Kommando über alle Taliban-Kämpfer hatte, herrschte Berichten zufolge nach der Übernahme der Kontrolle über das Land unter den Kämpfern vor Ort Unsicherheit darüber, ob sie dem Verteidigungsministerium oder dem Innenministerium unterstellt sind (EUAA 8.2022; vgl. DW 11.10.2021).
Haqqani-Netzwerk
Das Haqqani-Netzwerk hat seine Wurzeln im Afghanistan-Konflikt der späten 1970er-Jahre. Mitte der 1980er-Jahre knüpfte Jalaluddin Haqqani, der Gründer des Haqqani-Netzwerks (GSSR 12.11.2023), eine Beziehung zum Führer von al-Qaida, Osama bin Laden (UNSC o.D.c; vgl. FR24 21.8.2021). Jalaluddin schloss sich 1995 der Taliban-Bewegung an (UNSC o.D.c; vgl. ASP 1.9.2020), behielt aber seine eigene Machtbasis an der Grenze zwischen Afghanistan und Pakistan (UNSC o.D.c). Der Kern der Ideologie der Gruppe ist eine antiwestliche, regierungsfeindliche und "sunnitisch-islamische Deobandi"-Haltung, die an die Einhaltung orthodoxer islamischer Prinzipien glaubt, die durch die Scharia geregelt werden, und die den Einsatz des Dschihad zur Erreichung der Ziele der Gruppe befürwortet. Die Haqqanis lehnen äußere Einflüsse innerhalb des Islams strikt ab und fordern, dass die Scharia das Gesetz des Landes ist (GSSR 12.11.2023).
Nach dem Sturz der Taliban im Jahr 2001 übernahm Jalaluddins Sohn, Sirajuddin Haqqani, die Kontrolle über das Netzwerk (UNSC o.D.c, vgl. VOA 4.8.2022). Er ist seit 2015 auch einer der Stellvertreter des Taliban-Anführers Haibatullah Akhundzada (FR24 21.8.2021; vgl. UNSC o.D.c). Das Haqqani-Netzwerk gilt dank seiner finanziellen und militärischen Stärke - und seines Rufs als skrupelloses Netzwerk - als halbautonom (FR24 21.8.2021), auch wenn es den Taliban angehört (UNSC 21.11.2023; vgl. FR24 21.8.2021).
Das Netzwerk unterhält Verbindungen zu al-Qaida und, zumindest zeitweise bis zur Machtübernahme der Taliban, der Gruppierung Islamischer Staat Khorasan Provinz (ISKP) (VOA 30.8.2022; vgl. UNSC 26.5.2022). Es wird angemerkt, dass nach der Machtübernahme und der Eskalation der ISKP-Angriffe kein Raum mehr für Unklarheiten in der strategischen Konfrontation der Taliban mit ISKP bestand und es daher nicht im Interesse der Haqqanis lag, solche Verbindungen zu pflegen (UNSC 26.5.2022). Zudem wird vermutet, dass auch enge Verbindungen zum pakistanischen Geheimdienst (VOA 30.8.2022; vgl. DT 7.5.2022) und den Tehreek-e-Taliban (TTP), den pakistanischen Taliban, bestehen (UNSC 26.5.2022).
Quellen
Afghan Bios - Afghan Biographies - Who is who in Afghanistan (7.7.2022a): Akhundzadah, Hibatullah Mullah, http://www.afghan-bios.info/index.php?option=com_afghanbios id=3523 task=view total=725 start=56 Itemid=2, Zugriff 7.2.2024
ASP - American Security Project (1.9.2020): The Haqqani Network: The Shadow Group Supporting the Taliban’s Operations, https://www.jstor.org/stable/resrep26605?seq=3#metadata_info_tab_contents, Zugriff 22.12.2022
CFR - Council on Foreign Relations (17.8.2022): The Taliban in Afghanistan, https://www.cfr.org/backgrounder/taliban-afghanistan, Zugriff 19.12.2022
DT - Daily Times (7.5.2022): Taliban Heading Towards an Inhouse Fight - Daily Times, https://dailytimes.com.pk/930439/taliban-heading-towards-an-inhouse-fight, Zugriff 10.1.2023
DW - Deutsche Welle (11.10.2021): What will the Taliban do without an enemy to fight?, https://www.dw.com/en/afghanistan-what-will-the-taliban-do-without-an-enemy-to-fight/a-59467732, Zugriff 9.1.2023
EER - European Eye on Radicalization (10.2022): Taliban: Structure, Strategy, Agenda, and the International Terrorism Threat, https://eeradicalization.com/wp-content/uploads/2022/10/Taliban-Report-by-Ajmal-Souhail-final.pdf, Zugriff 9.1.2023
EUAA - European Union Agency for Asylum (8.2022): Afghanistan Security Situation, https://coi.euaa.europa.eu/administration/easo/PLib/2022_08_EUAA_COI_Report_Afghanistan_Security_situation.pdf, Zugriff 9.1.2023
FR24 - France 24 (21.8.2021): The Haqqani network: Afghanistan's most feared militants, https://www.france24.com/en/live-news/20210821-the-haqqani-network-afghanistan-s-most-feared-militants, Zugriff 22.12.2022
GSSR - Georgetown Security Studies Review (12.11.2023): A Network of Possibilities: How the Haqqani Network Changed the Face of Global Terrorism Forever, https://georgetownsecuritystudiesreview.org/2023/11/13/a-network-of-possibilities-how-the-haqqani-network-changed-the-face-of-global-terrorism-forever, Zugriff 29.2.2024
NI - Newline Institute (24.11.2021): Security and Governance in the Taliban’s Emirate - New Lines Institute, https://newlinesinstitute.org/afghanistan/security-and-governance-in-the-talibans-emirate, Zugriff 9.1.2023
Rehman/PJIA - Abdul Rehman (Autor), Pakistan Journal of International Affairs (Herausgeber) (6.2022): Quetta Shura: Revival of Taliban in Afghanistan…, https://pjia.com.pk/index.php/pjia/article/view/474, Zugriff 9.1.2023
REU - Reuters (10.9.2021): Taliban have their work cut out to win hearts and minds in Kabul, https://www.reuters.com/world/asia-pacific/taliban-have-their-work-cut-out-win-hearts-minds-kabul-2021-09-10, Zugriff 9.1.2023
REU - Reuters (7.9.2021a): Haibatullah Akhundzada: Shadowy Taliban supreme leader whose son was suicide bomber, https://www.reuters.com/world/haibatullah-akhundzada-shadowy-taliban-supreme-leader-whose-son-was-suicide-2021-09-07, Zugriff 4.1.2023
UNSC - United Nations Security Council (o.D.c): Haqqani Network, https://www.un.org/securitycouncil/sanctions/1988/materials/summaries/entity/haqqani-network, Zugriff 10.1.2023
UNSC - United Nations Security Council (21.11.2023): Children and armed conflict in Afghanistan; Report of the Secretary-General [S/2023/893], https://www.ecoi.net/en/file/local/2102858/N2336625.pdf, Zugriff 26.2.2024
UNSC - United Nations Security Council (26.5.2022): Letter dated 25 May 2022 from the Chair of the Security Council Committee established pursuant to resolution 1988 (2011) addressed to the President of the Security Counci, https://documents-dds-ny.un.org/doc/UNDOC/GEN/N22/333/77/PDF/N2233377.pdf?OpenElement, Zugriff 9.1.2023
USDOS - United States Department of State [USA] (20.3.2023): 2022 Country Report on Human Rights Practices: Afghanistan, https://www.ecoi.net/en/document/2089060.html, Zugriff 15.5.2023
USIP - United States Institute of Peace [USA] (17.8.2022): One Year Later: Taliban Reprise Repressive Rule, but Struggle to Build a State, https://www.usip.org/publications/2022/08/one-year-later-taliban-reprise-repressive-rule-struggle-build-state, Zugriff 3.1.2023
VOA - Voice of America (30.8.2022): Fears, Uncertainty Torment West With Taliban in Charge of Afghan Security, https://www.voanews.com/a/fears-uncertainty-torment-west-with-taliban-in-charge-of-afghan-security-/6707180.html, Zugriff 10.1.2023
VOA - Voice of America (4.8.2022): Will US Hit Most-Wanted Haqqanis in Afghanistan?, https://www.voanews.com/a/will-us-hit-more-most-wanted-haqqanis-in-afghanistan-/6687402.html, Zugriff 10.1.2023
VOA - Voice of America (1.10.2021): Taliban Order Afghan Media to Use Group’s Official Name, https://www.voanews.com/a/taliban-order-afghan-media-to-use-group-s-official-name/6254019.html, Zugriff 4.1.2023
Rechtsschutz / Justizwesen
Letzte Änderung 2024-04-10 20:17
Unter der vorherigen Regierung beruhte die afghanische Rechtsprechung auf drei parallelen und sich überschneidenden Rechtssystemen oder Rechtsquellen: dem formellen Gesetzesrecht, dem Stammesgewohnheitsrecht und der Scharia (Hakimi A./Sadat M. 2020). Informelle Rechtssysteme zur Schlichtung von Streitigkeiten waren weit verbreitet, insbesondere in ländlichen Gebieten. Dies ist nach wie vor der Fall, auch wenn die Taliban seit ihrer Machtübernahme versucht haben, einige lokale Streitbeilegungspraktiken zu kontrollieren (FH 24.2.2022a; vgl. STDOK/VQ AFGH 4.2024).
Nach 23 Jahren Krieg (1978-2001) und dem Sturz der Taliban im Jahr 2001 konnte Afghanistan 2004 eine neue Verfassung verkünden, die sowohl islamische als auch modern-progressive Werte enthält. Die juristischen und politikwissenschaftlichen Fakultäten sowie die Scharia waren zwei Institutionen, die zur Ausbildung des Justizpersonals beitrugen, indem sie Hunderte von jungen Männern und Frauen ausbildeten, die später als Richter, Staatsanwälte und Rechtsanwälte tätig waren. In den vergangenen zwei Jahrzehnten hat die internationale Gemeinschaft zahlreiche Entwicklungsprogramme durchgeführt, die auf den Wiederaufbau des afghanischen Rechtssystems und den Ausbau der Kapazitäten des Personals der Justizbehörden abzielen. Darüber hinaus hat die [Anm.: frühere] afghanische Regierung ein Justizverwaltungssystem eingeführt, das alle Justizeinrichtungen dazu verpflichtet, ihre Fälle und Verfahren aufzuzeichnen und zu dokumentieren (STDOK/Nassery 4.2024).
Nach ihrem Sturz im Jahr 2001 gelang es den Taliban, in den von ihnen kontrollierten, meisten ländlichen, Gebieten Gerichte einzurichten und den Menschen den Zugang zur Rechtsprechung auf lokaler Ebene zu erleichtern. Dies geschah zu einer Zeit, als die staatlichen Justizorgane aufgrund der weitverbreiteten Korruption ihre Glaubwürdigkeit bei der Bevölkerung weitgehend verloren hatten. Daher zogen die Menschen es vor, sich an die Gerichte der Taliban zu wenden, anstatt an die Gerichte der Regierung (STDOK/Nassery 4.2024; vgl. AA 22.10.2021). In den vergangenen zwanzig Jahren gelang es dem Justizsystem der Taliban, mit seinen praktischen Maßnahmen das Vertrauen der Menschen zu gewinnen. Die Taliban-Richter fungierten sowohl als Richter im juristischen Bereich als auch als Gelehrte (ulama) im religiösen Bereich. Die Taliban-Richter absolvierten ihre Ausbildung an Deobandi-Schulen in Pakistan und Afghanistan, die sich hauptsächlich auf die hanafitische Rechtsprechung stützten (STDOK/Nassery 4.2024).
Nach der Machtübernahme der Taliban im August 2021 übernahmen sie die vollständige Kontrolle über das Justizsystem des Landes (Rawadari 4.6.2023; vgl. AA 26.6.2023) und setzten die Verfassung von 2004 außer Kraft (UNGA 28.1.2022). Bisher haben sich die Taliban noch nicht zu den Gesetzen geäußert, insbesondere nicht zu den Strafgesetzen, zur nationalen Sicherheit und zu den Gerichten (STDOK/Nassery 4.2024). Ein Experte für islamisches Recht schließt aus den Äußerungen der Taliban, dass sie diese Gesetze und Rechtsvorschriften in den meisten Bereichen, insbesondere Strafrecht, Familienrecht, Jugend- und Frauenrechte, ignorieren und erwartet, auch als Folge der Auflösung unabhängiger Institutionen wie der Association of Defense Lawyers und der Afghanistan Independent Human Rights Commission (AIHRC), weitere schwerwiegende Probleme für die Rechtsprechung in Afghanistan (STDOK/Nassery 4.2024).
Den Taliban zufolge bildet die hanafitische Rechtsprechung die Grundlage für das Rechtssystem (USDOS 15.5.2023; vgl. STDOK/Nassery 4.2024), und derzeit verfügt das Land nicht über einen klaren und kohärenten Rechtsrahmen, ein Justizsystem oder Durchsetzungsmechanismen. Den Taliban zufolge bleiben Gesetze, die unter der Regierung vor August 2021 erlassen wurden, in Kraft, sofern sie nicht gegen die Scharia verstoßen (USDOS 15.5.2023; vgl. AA 26.6.2023). Die Taliban-Führer zwingen den Bürgern ihre Politik weitgehend durch Leitlinien oder Empfehlungen auf, in denen sie akzeptable Verhaltensweisen festlegen (USDOS 15.5.2023; vgl. Rawadari 4.6.2023), die sie aufgrund ihrer Auslegung der Scharia und der vorherrschenden kulturellen Normen, die die Taliban für akzeptabel halten, rechtfertigen (USDOS 15.5.2023).
Einem Experten für islamisches Recht zufolge betrafen die Änderungen im afghanischen Justizsystem seit der Machtübernahme der Taliban vor allem formale und administrative Bereiche, aber keine konkreten Änderungen in der Rechtsprechung der Gerichte (STDOK/Nassery 4.2024). So wurden beispielsweise Richter und Verwaltungsangestellte der Gerichte durch Angehörige der Taliban ersetzt, von denen die meisten nicht über ausreichend juristische Kenntnisse und Erfahrungen mit der Arbeit an den Gerichten verfügten (STDOK/Nassery 4.2024; vgl. AA 26.6.2023). Nach Angaben der Menschenrechtsorganisation Rawadari sind die meisten Richter und "Muftis" an Taliban-Gerichten Studenten oder Absolventen religiöser Koranschulen, vor allem in Pakistan. Einige der derzeitigen Richter waren während des Krieges als Richter in den von den Taliban kontrollierten Gebieten tätig. Nur wenige Richter, beispielsweise in den Provinzen Herat und Panjsher, verfügen über eine formale Hochschulausbildung und haben an juristischen oder Scharia-Fakultäten von Universitäten studiert (Rawadari 4.6.2023).
Des weiteren kam es zur Absetzung von Richterinnen und Anwältinnen und es werden keine Lizenzen mehr an Strafverteidigerinnen vergeben (STDOK/Nassery 4.2024).
Die Taliban haben zwar nicht ausdrücklich behauptet, bestimmte Gesetze außer Kraft zu setzen, aber sie haben immer wieder betont, dass sie im Einklang mit der Scharia regieren und jedes Gesetz ablehnen, das ihr zuwiderläuft (USDOS 15.5.2023; vgl. AA 26.6.2023). Taliban-Mitglieder haben erklärt, dass sie nur die Teile der Verfassungen von 2004 und 1964 befolgen, die nicht im Widerspruch zur Scharia stehen. Einige Beobachter weisen auch darauf hin, dass keine der beiden Verfassungen in vollem Umfang in Kraft ist, sodass sie nur begrenzte Bedeutung für den geltenden Rechtsrahmen haben. Diesen Beobachtern zufolge wäre jede Abweichung von der Verfassung von 2004 insofern von Bedeutung, als diese besagt, dass Anhänger anderer Religionen als des Islams "ihren Glauben frei ausüben und ihre religiösen Riten innerhalb der Grenzen der gesetzlichen Bestimmungen vollziehen können", eine Bestimmung, die die Taliban ablehnen (USDOS 15.5.2023).
Die Taliban haben Anfang Juli 2023 ein Tonband veröffentlicht, das dem Emir Hibatullah Akhundzada zugeschrieben wird, der offenbar eine Predigt nach dem Eid al-Adha-Gebet am Mittwoch in Kandahar gehalten hat. Darin verkündet dieser, dass ein neues Rechtssystem auf der Grundlage der Scharia und Hanafi-Rechtsprechung von den entsprechenden Ministerien und der Talibanführung ausgearbeitet wird. Damit werden die unter der ehemaligen Verfassung geltenden Gesetze, u. a. auch gesonderte schiitische Rechtsprechung, ersetzt. Er erklärte, in Afghanistan gebe es jetzt ein vollständiges islamisches System, die Sicherheit sei gewährleistet, und in keinem Teil des Landes herrsche Unordnung oder Ungehorsam. Die meisten Angelegenheiten des Landes werden nun auf der Grundlage von Richtlinien und Dekreten geregelt, die dem Emir zugeschrieben werden. Er sagte, „unter der Herrschaft des Islamischen Emirats wurden konkrete Maßnahmen ergriffen, um Frauen von vielen traditionellen Unterdrückungen zu befreien“. In der Paschto- und Dari-Fassung der Botschaft begrüßt der oberste Taliban-Führer auch die Einführung von Scharia-Gerichten und -Praktiken, einschließlich Qisas (z. B. Auspeitschungen oder Hinrichtungen), die die Öffentlichkeit mit eigenen Augen sieht (BAMF 31.12.2023).
Im November 2022 ordnete Taliban-Staatsoberhaupt Emir Hibatullah Akhundzada die Umsetzung der Scharia inklusive Körperstrafen wieder an (AA 26.6.2023). Seitdem wurden zahlreiche öffentliche Auspeitschungen vorgenommen (AP 20.6.2023; vgl. AI 23.2.2024, AA 26.6.2023). Diese Strafe wurde u. a. für Drogen- und Alkoholkonsum (AA 26.6.2023) oder für "moralische" Verbrechen verhängt (AMU 12.7.2023; vgl. BAMF 31.12.2023). Am 7.12.2022 kam es zur ersten öffentlichen Hinrichtung durch die Taliban seit ihrer Machtübernahme in Afghanistan (AI 7.12.2022) und im Juni 2023 (AP 20.6.2023; vgl. AJ 20.6.2023) sowie im Februar 2024 kam es zu weiteren Hinrichtungen (AI 23.2.2024; vgl. ABC News 26.2.2024).
Anmerkung.: Für weitere Informationen zum Rechtssystem unter den Taliban sei auf den Themenbericht der Staatendokumentation "Afghanistan: Afghan legal system under the Taliban" verwiesen (STDOK/Nassery 4.2024). Dieser ist auch über die Plattform COI-CMS verfügbar.
Quellen
AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (26.6.2023): Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in Afghanistan - Lagefortschreibung - (Stand: Juni 2023), https://www.ecoi.net/en/document/2094871.html, Zugriff 9.8.2023 [Login erforderlich]
AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (22.10.2021): Auswaärtiges Amt, Bericht uüber die Lage in Afghanistan (Stand: 21.10.2021), https://www.ecoi.net/en/file/local/2062872/Auswärtiges_Amt,_Bericht_über_die_Lage_in_Afghanistan_(Stand_21.10.2021),_22.10.2021.pdf, Zugriff 19.3.2024 [Login erforderlich]
ABC News - Australian Broadcasting Corporation News (26.2.2024): Story taliban carry double public execution stadium southeastern afghanistan, https://abcnews.go.com/International/wireStory/taliban-carry-double-public-execution-stadium-southeastern-afghanistan-107439878, Zugriff 26.2.2024
AI - Amnesty International (23.2.2024): Afghanistan: Taliban must halt all executions and abolish death penalty, https://www.amnesty.org/en/latest/news/2024/02/afghanistan-taliban-must-halt-all-executions-and-abolish-death-penalty, Zugriff 26.2.2024
AI - Amnesty International (7.12.2022): Afghanistan: Amnesty International condemns public execution by the Taliban, https://www.ecoi.net/en/document/2083619.html, Zugriff 15.12.2022
AJ - Al Jazeera (20.6.2023): Afghanistan’s Taliban publicly executes man convicted of murder, https://www.aljazeera.com/news/2023/6/20/afghanistans-taliban-publicly-executes-man-convicted-of-murder, Zugriff 26.2.2024
AMU - Amu Tv (12.7.2023): Four people flogged in public in Kabul's Paghman district, https://amu.tv/56222, Zugriff 30.1.2024
AP - Associated Press (20.6.2023): Taliban carry out 2nd known public execution since seizing power in Afghanistan, https://apnews.com/article/afghanistan-taliban-public-execution-f224fd940a8ce347bc89eb08f7d77325, Zugriff 26.2.2024
BAMF - Bundesamt für Migration und Flüchtlinge [Deutschland] (31.12.2023): Briefing Notes Zusammenfassung: Afghanistan - Juli bis Dezember 2023, https://milo.bamf.de/OTCS/cs.exe/app/nodes/29188455, Zugriff 22.1.2024 [Login erforderlich]
FH - Freedom House (24.2.2022a): Afghanistan: Freedom in the World 2022 Country Report, https://freedomhouse.org/country/afghanistan/freedom-world/2022, Zugriff 15.12.2022
Hakimi/Sadat - Aziz Hakimi, Masooma Sadat (2020): Legal reform or erasure of history? The politics of moral crimes in Afghanistan, Central Asian Survey, https://www.tandfonline.com/doi/full/10.1080/02634937.2019.1707510, Zugriff 26.1.2023
Rawadari - Rawadari (4.6.2023): Justice Denied: An Examination of the Legal and Judicial System in Taliban-Controlled Afghanistan, https://rawadari.org/wp-content/uploads/2023/06/RW_Rule-of-Law-Report-English.pdf, Zugriff 22.3.2024
STDOK/Nassery - Nassery, Idris (Autor), Staatendokumentation des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl [Österreich] (Herausgeber) (4.2024): Themenbericht der Staatendokumentation: Afghan legal system under the Taliban, https://www.ecoi.net/en/document/2106982.html, Zugriff 10.4.2024
STDOK/VQ AFGH - Staatendokumentation des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl [Österreich], Vertrauliche Quelle 1: Journalist aus Afghanistan (4.2024): Themenbericht der Staatendokumentation: Pashtuns and the Pashtunwali, https://www.ecoi.net/en/document/2106990.html, Zugriff 10.4.2024
UNGA - United Nations General Assembly (28.1.2022): The situation in Afghanistan and its implications for international peace and security, https://www.ecoi.net/en/file/local/2067517/A_76_667--S_2022_64-EN.pdf, Zugriff 19.12.2022
USDOS - United States Department of State [USA] (15.5.2023): 2022 Report on International Religious Freedom: Afghanistan, https://www.ecoi.net/en/document/2091855.html, Zugriff 16.5.2023
Familienrecht
Letzte Änderung 2024-04-04 10:38
Die Regelungen zum afghanischen Familienrecht für die sunnitische Mehrheit sind im afghanischen Zivilgesetzbuch von 1977 festgeschrieben (Musawa 2.2020; vgl. ZGB 2014). Für die schiitische Minderheit in Afghanistan gilt seit 2009 das schiitische Personenstandsrecht (Musawa 2.2020; vgl. SPSR 4.2009).
Einem in Afghanistan tätigen Rechtsanwalt zufolge gab es nie eine offizielle Ankündigung über die Aussetzung des afghanischen Zivilschutzbuches und des schiitischen Personenrechts, aber auch keine offizielle Anerkennung (RA KBL 11.3.2024), wobei eine andere Quelle berichtet, dass dieses Gesetz durch die Taliban außer Kraft gesetzt wurde und dass alle Fälle, die Schiiten betreffen, nach der Hanafi-Rechtsprechung behandelt werden (Rawadari 4.6.2023). Der in Afghanistan tätige Rechtsanwalt führt dazu aus, dass die Gerichte bei zivilrechtlichen Angelegenheiten nicht klar unterscheiden, auf welche rechtliche Grundlage (Bücher der Hanafi-Schule, afghanisches Zivilgesetz, schiitisches Personenstandsrecht) sie sich stützen. Der Anwalt selbst gibt an, sich weiterhin auf das Zivilgesetz und das schiitische Personenstandsrecht zu beziehen, solange es nicht im Widerspruch zur Hanafi-Rechtsprechung steht [Anm.: Die Staatendokumenation kann hierbei keine Aussagen zur Repräsentativität dieser Vorgehensweise treffen bzw. inwieweit dies eine gängige Praxis unter Anwälten in Afghanistan ist] (RA KBL 11.3.2024). Im Zusammenhang mit dem Mangel an juristischem Wissen der von den Taliban ernannten Richter (Rawadari 4.6.2023) kommt es in der Praxis zu unterschiedlichen Vorgehensweisen der Gerichte, Behörden und Richter (RA KBL 11.3.2024; vgl. Rawadari 4.6.2023).
Quellen
Musawa - Musawa: For equality in the Family (2.2020): Thematic Report on Article 16, Muslim Family Law and Muslim Women's Rights in Afghanistan, https://www.musawah.org/wp-content/uploads/2020/02/Afghanistan-Thematic-Report-2020-CEDAW75.pdf, Zugriff 25.1.2023
RA KBL - Lokaler Rechtsanwalt in Kabul (11.3.2024): Informationen zu rechtlichen Fragen und Dokumenten in Afghanistan - Zusatzinformationen, Informationen via E-Mail, liegt im Archiv der Staatendokumentation auf
Rawadari - Rawadari (4.6.2023): Justice Denied: An Examination of the Legal and Judicial System in Taliban-Controlled Afghanistan, https://rawadari.org/wp-content/uploads/2023/06/RW_Rule-of-Law-Report-English.pdf, Zugriff 22.3.2024
SPSR AFGH - Schiitisches Personenstandsrecht [Afghanistan] (4.2009): Shiite Personal Status Law 2009 (Übersetzung durch USAID - United States Agency for International Developmen), https://www.refworld.org/pdfid/4a24ed5b2.pdf, Zugriff 25.1.2023
ZGB AFGH - Zivilgesetzbuch [Afghanistan] (2014): Afghan Civil Law of the Republic of Afghanistan 5.1.1997 (Übersetzung durch Afghanistan Legal Education Project, Stanford Law School), https://www.refworld.org/cgi-bin/texis/vtx/rwmain?page=search docid=5a6f2bce4 skip=0 query=civil law coi=AFG, Zugriff 25.1.2023
Sicherheitsbehörden
Letzte Änderung 2024-04-04 11:36
Mit der Machtübernahme der Taliban im August 2021 brach die 350.000 Mann starke Armee des früheren Regimes zusammen (TN 15.8.2022) und die Taliban haben faktisch die Verantwortung für die Sicherheit im Land übernommen. Sie haben begonnen, ihre bisherigen Milizen-Strukturen in geordnete Sicherheitskräfte zu übertragen. Dieser Prozess ist noch nicht abgeschlossen. Im Bereich der Streitkräfte kündigte der Taliban-Armeechef Qari Fasihuddin im November 2021 den Aufbau einer 150.000 Mann starken Armee inkl. Freiwilliger an; andere Mitglieder der Taliban-Regierung haben sich für eine kleinere Berufsarmee ausgesprochen (AA 26.6.2023; vgl. CPJ 1.3.2022). Dem Taliban-Stabschef der Streitkräfte zufolge bestünde die Armee mit Stand März 2023 aus 150.000 Taliban-Kämpfern und solle kommendes Jahr auf 170.000 vergrößert werden. Angestrebt sei eine 200.000 Mann starke Armee (AA 26.6.2023). Der Geheimdienst (General Directorate for [Anm.: auch "of"] Intelligence, GDI), ein Nachrichtendienst, der früher als "National Directorate of Security" (NDS) bekannt war (CPJ 1.3.2022; vgl. AA 26.6.2023), wurde dem Taliban-Staatsoberhaupt Emir Hibatullah Akhundzada direkt unterstellt. Das Innenministerium der Taliban-Regierung hat wiederholt angekündigt, Polizisten, u. a. im Bereich der Verkehrspolizei, zu übernehmen. Dies ist nach Angaben von UNAMA zumindest in Kabul teilweise erfolgt. Es zeichnet sich ab, dass die Taliban mit Ausnahme der Luftwaffe (hier sollen laut afghanischen Presseangaben fast die Hälfte der ehemaligen Soldaten zurückgekehrt sein) von den bisherigen Kräften nur vereinzelt Fachpersonal übernehmen. Eine breit angelegte Integration der bisherigen Angehörigen der Sicherheitskräfte hat bisher nicht stattgefunden (AA 26.6.2023) und auch ein internationaler Analyst führte an, dass die Zahl der rekrutierten ehemaligen Sicherheitskräfte begrenzt sei und es sich im Allgemeinen um Spezialisten handele (EUAA 12.2023). Experten zufolge sind die Taliban jedoch noch weit davon entfernt, eine funktionierende Luftwaffe zu verwirklichen, die den Luftraum im Falle ausländischer Übergriffe oder inländischer Aufstände sichern könnte. Der Bestand an Hubschraubern und Fluggeräten gilt als veraltet und es gibt zumindest fünf bestätigte Unfälle in der Militärluftfahrt seit der Machtübernahme, wobei Pilotenfehler als wahrscheinlichste Ursache gelten. Nach Ansicht eines Afghanistan-Experten, müssten die Taliban in erheblichem Umfang Piloten ausbilden und Strategien für die Kommunikation und Koordination mit den Bodentruppen entwickeln, um eine funktionsfähige Luftwaffe aufzubauen. Zwar versuchen die Taliban, Piloten auszubilden, veröffentlichen jedoch keine Zahlen über die Anzahl ihrer Piloten und Techniker und auf Grundlage von Fotos und Videos wird mit Stand Mai 2023 von etwa 50 einsatzfähigen Flugzeugen und Hubschraubern ausgegangen (RFE/RL 25.5.2023).
Quellen
AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (26.6.2023): Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in Afghanistan - Lagefortschreibung - (Stand: Juni 2023), https://www.ecoi.net/en/document/2094871.html, Zugriff 9.8.2023 [Login erforderlich]
CPJ - Committee to Protect Journalists (1.3.2022): Afghanistan’s intelligence agency emerges as new threat to independent media - Committee to Protect Journalists, https://cpj.org/2022/03/afghanistans-intelligence-agency-emerges-as-new-threat-to-independent-media, Zugriff 27.1.2023
EUAA - European Union Agency for Asylum (12.2023): Afghanistan Country Focus, https://www.ecoi.net/en/file/local/2101835/2023_12_EUAA_COI_Report_Afghanistan_Country_Focus.pdf, Zugriff 7.2.2024
RFE/RL - Radio Free Europe/Radio Liberty (25.5.2023): Taliban Effort To Resurrect Afghan Air Force Runs Into Turbulence, https://www.rferl.org/a/afghanistan-taliban-air-force-aircraft-helicopters-training/32427528.html, Zugriff 29.2.2024
TN - Tolonews (15.8.2022): Review of Afghan Military Developments Over Past Year, https://tolonews.com/afghanistan-179407, Zugriff 8.2.2024
Folter und unmenschliche Behandlung
Letzte Änderung 2024-04-05 15:38
Es gibt Berichte über Folter und Misshandlungen durch die Taliban (AA 26.6.2023, vgl. HRW 11.1.2024). Die Vereinten Nationen berichten über Folter und Misshandlungen von ehemaligen Sicherheitskräften bzw. ehemaligen Regierungsbeamten (UNAMA 22.8.2023; vgl. HRW 11.1.2024). Auch über Gewalt gegen Journalisten und Medienschaffende (HRW 11.1.2024; vgl. AA 26.6.2023) sowie gegen Frauenrechtsaktivisten (AA 26.6.2023 vgl. HRW 11.1.2024, AI 7.12.2023) auch in Gefängnissen wird berichtet (AA 26.6.2023; vgl. HRW 11.1.2024). Amnesty International berichtet beispielsweise über kollektive Strafen gegen Bewohner der Provinz Panjsher, darunter Folter und andere Misshandlungen (AI 8.6.2023).
Es gibt Berichte über öffentliche Auspeitschungen durch die Taliban in mehreren Provinzen, darunter Zabul (UNGA 1.12.2023), Maidan Wardak (8am 10.7.2023; vgl. BAMF 31.12.2023), Kabul (ANI 12.7.2023; vgl. AMU 12.7.2023), Kandahar (KaN 17.1.2023; vgl. KP 17.1.2023) und Helmand (KP 2.2.2023; vgl. KaN 2.2.2023). Der oberste Taliban-Führer, Emir Hibatullah Akhundzada, begrüßte die Einführung von Scharia-Gerichten und -Praktiken, einschließlich Qisas (z. B. Auspeitschungen oder Hinrichtungen), die die Öffentlichkeit mit eigenen Augen sieht (BAMF 31.12.2023).
Quellen
8am - Hasht-e Sobh (10.7.2023): Taliban’s Brutal Public Whippings: Two Men and One Woman Face Horrific Punishment in Maidan Wardak Province, https://8am.media/eng/talibans-brutal-public-whippings-two-men-and-one-woman-face-horrific-punishment-in-maidan-wardak-province, Zugriff 30.1.2024
AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (26.6.2023): Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in Afghanistan - Lagefortschreibung - (Stand: Juni 2023), https://www.ecoi.net/en/document/2094871.html, Zugriff 9.8.2023 [Login erforderlich]
AI - Amnesty International (7.12.2023): Afghanistan: Stop punishing women protesters, https://www.amnesty.org/en/wp-content/uploads/2023/12/ASA1175092023ENGLISH.pdf, Zugriff 31.1.2024
AI - Amnesty International (8.6.2023): Afghanistan: “Your sons are in the mountains”: The collective punishment of civilians in Panjshir by the Taliban - Amnesty International, https://www.amnesty.org/en/documents/asa11/6816/2023/en, Zugriff 29.2.2024
AMU - Amu Tv (12.7.2023): Four people flogged in public in Kabul's Paghman district, https://amu.tv/56222, Zugriff 30.1.2024
ANI - Asian News International (12.7.2023): Afghanistan: Four people publicly flogged by Taliban, https://theprint.in/world/afghanistan-four-people-publicly-flogged-by-taliban/1666393, Zugriff 30.1.2024
BAMF - Bundesamt für Migration und Flüchtlinge [Deutschland] (31.12.2023): Briefing Notes Zusammenfassung: Afghanistan - Juli bis Dezember 2023, https://milo.bamf.de/OTCS/cs.exe/app/nodes/29188455, Zugriff 22.1.2024 [Login erforderlich]
HRW - Human Rights Watch (11.1.2024): World Report 2024 - Afghanistan, https://www.ecoi.net/en/document/2103130.html, Zugriff 17.1.2024
KaN - Kabul Now (2.2.2023): Taliban publicly flog 16 people in Helmand, https://kabulnow.com/2023/02/taliban-flog-16-in-helmand, Zugriff 26.2.2024
KaN - Kabul Now (17.1.2023): Taliban flog 9 men in front a packed crowd at a football stadium in Kandahar, https://kabulnow.com/2023/01/taliban-flog-9-men-in-front-a-packed-crowd-at-a-football-stadium-in-kandahar, Zugriff 26.2.2024
KP - Khaama Press (2.2.2023): Taliban Authorities Flog 16 People for Alleged Crimes in Helmand, https://www.khaama.com/taliban-authorities-flog-16-people-for-alleged-crimes-in-helmand, Zugriff 26.2.2024
KP - Khaama Press (17.1.2023): Taliban (IEA) Authorities Flog Nine People in Kandahar, https://www.khaama.com/taliban-iea-authorities-flog-nine-people-in-kandahar, Zugriff 26.2.2024
UNAMA - United Nations Assistance Mission in Afghanistan (22.8.2023): Afghanistan’s Taliban responsible for revenge killings, torture of former officials, https://unama.unmissions.org/barrier-securing-peace-hr-violations-against-former-government-officials-former-armed-force-members, Zugriff 15.2.2024
UNGA - United Nations General Assembly (1.12.2023): The situation in Afghanistan and its implications for international peace and security, https://www.ecoi.net/en/file/local/2102425/N2336960.pdf, Zugriff 14.2.2024
Korruption
Letzte Änderung 2024-04-04 12:17
Mit einer Bewertung von 20 Punkten (von 100 möglichen Punkten - 0 = highly corrupt und 100 = very clean), belegt Afghanistan auf dem Korruptionswahrnehmungsindex für 2023 von Transparency International von 180 untersuchten Ländern den 162. Platz (TI o.D.a), was eine Verschlechterung um zwölf Ränge im Vergleich zum Jahr davor darstellt (TI o.D.b).
Die Taliban kündigten nach ihrer Übernahme von Kabul im August 2021 Maßnahmen zur Korruptionsbekämpfung an, darunter die Einrichtung von Kommissionen zur Ermittlung korrupter oder krimineller Taliban. Außerdem haben die Taliban über ihr Verteidigungsministerium eine Kommission eingesetzt, die Mitglieder ermitteln soll, die sich nicht an die Richtlinien der Bewegung halten. Ein Sprecher der Gruppe erklärte, dass im Jänner 2022 2.840 Taliban-Mitglieder wegen Korruption und Drogenkonsums entlassen worden seien. Der grenzüberschreitende Handel ist Berichten zufolge unter der Führung der Taliban viel einfacher geworden, da die "Geschenke", die normalerweise für Zollbeamte erforderlich sind, abgeschafft wurden (USDOS 20.3.2023). Anfang 2024 erklärte ein Sprecher der Taliban Afghanistan zu einem korruptionsfreien Land (BNA 1.2.2024). Ein Experte warnt auch davor, dass die Versprechen der Taliban, gegen Korruption vorzugehen, nicht von Dauer sein könnten (BBC 18.7.2023).
Es gab dennoch zahlreiche Berichte über Korruption durch die Taliban (USDOS 20.3.2023; vgl. DIP 17.1.2024), beispielsweise in den Passämtern der Taliban, wobei Antragsteller nach Angaben lokaler Quellen zwischen 1.000 und 3.500 Dollar für einen Pass zahlen mussten (USDOS 20.3.2023). Einem Bericht zufolge haben die Taliban seit der Wiedererlangung der Macht die staatliche Bürokratie genutzt, um Arbeitsplätze an Taliban-Mitglieder und ihre Familien zu vergeben und von der afghanischen Bevölkerung und dem Privatsektor Steuern, Bestechungsgelder und wertvolle Dienstleistungen zu erpressen (DIP 17.1.2024).
Internationale Mitarbeiter von Hilfsorganisationen, die unter der Bedingung der Anonymität sprachen, weil sie nicht befugt waren, mit den Medien zu sprechen, sagten im Februar 2022, die Taliban hätten die Korruption in den letzten sechs Monaten reduziert. Das hat zu höheren Einnahmen in einigen Sektoren geführt, auch wenn die Geschäfte rückläufig sind. So seien beispielsweise die Zolleinnahmen gestiegen, obwohl die neue Taliban-Regierung weniger Geschäfte mache (AP 15.2.2022). Auch ein britischer Abgeordneter, dessen Beobachtungen auf Unterhaltungen mit Afghanen vor Ort beruhen, berichtet von einer Reduktion der Korruption in Afghanistan. Während Transparency International eine leichte Verbesserung gegenüber 2021 sieht, weisen Experten darauf hin, dass die leichte Verbesserung darauf zurückzuführen ist, dass der massive Zustrom von Militärhilfe und ausländischen Hilfsgeldern gestoppt wurde, die nach Ansicht mancher die Korruption vor Ort angeheizt haben (BBC 18.7.2023).
Im Juli 2022 kündigten die Taliban an, dass sie ehemalige afghanische Beamte nicht für die massive Korruption zur Rechenschaft ziehen werden, die in Zusammenhang mit Entwicklungshilfeprojekten stehen. Ehemalige Beamte, die der Korruption verdächtigt werden, müssen sich nur dann vor Gericht verantworten, wenn sie in den vergangenen zwei Jahrzehnten Privateigentum oder öffentliches Vermögen an sich gerissen haben (VOA 6.7.2022).
Quellen
AP - Associated Press (15.2.2022): Six months of Taliban: Afghans safer, poorer, less hopeful, https://apnews.com/article/afghanistan-business-economy-kabul-taliban-b6b53ad7340d4b372be1dce6c15cd0fa, Zugriff 16.12.2022
BBC - British Broadcasting Corporation (18.7.2023): Taliban: MP claims Afghanistan a ’country transformed’, https://www.bbc.com/news/uk-politics-66237387, Zugriff 1.3.2024
BNA - Bakhtar News Agency (1.2.2024): Mujahid Declares Afghanistan Free From Corruption, https://www.bakhtarnews.af/en/mujahid-declares-afghanistan-free-from-corruption, Zugriff 8.2.2024
DIP - Diplomat, The (17.1.2024): It’s Time to Confront the Taliban’s Corruption, https://thediplomat.com/2024/01/its-time-to-confront-the-talibans-corruption, Zugriff 7.2.2024
TI - Transparency International (o.D.a): 2023 Corruption Perceptions Index: Explore the results, https://www.transparency.org/en/cpi/2023, Zugriff 7.2.2024
TI - Transparency International (o.D.b): 2022 Corruption Perceptions Index: Explore the results, https://www.transparency.org/en/cpi/2022, Zugriff 7.2.2024
USDOS - United States Department of State [USA] (20.3.2023): 2022 Country Report on Human Rights Practices: Afghanistan, https://www.ecoi.net/en/document/2089060.html, Zugriff 15.5.2023
VOA - Voice of America (6.7.2022): Taliban Offer Free Pass to Former Corrupt Officials, https://www.voanews.com/a/taliban-offer-free-pass-to-former-corrupt-officials/6648003.html, Zugriff 19.1.2023
Allgemeine Menschenrechtslage
Letzte Änderung 2024-04-04 12:42
Die in der Vergangenheit von Afghanistan unterzeichneten oder ratifizierten Menschenrechtsabkommen werden von der Taliban-Regierung, wenn überhaupt, nur sehr eingeschränkt anerkannt; es wird ein Islamvorbehalt geltend gemacht, wonach islamisches Recht im Falle einer Normenkollision Vorrang hat (AA 26.6.2023).
Seit dem Sturz der gewählten Regierung haben die Taliban die Menschenrechte und Grundfreiheiten der afghanischen Bevölkerung zunehmend und in unverhältnismäßiger Weise eingeschränkt. Insbesondere Frauen und Mädchen wurden in ihren Rechten massiv eingeschränkt und aus den meisten Aspekten des täglichen und öffentlichen Lebens verdrängt (UNICEF 9.8.2022; vgl. AA 26.6.2023, AfW 15.8.2023).
Die Taliban-Führung hat ihre Anhänger verschiedentlich dazu aufgerufen, die Bevölkerung respektvoll zu behandeln (AA 26.6.2023). Es gibt jedoch Berichte über grobe Menschenrechtsverletzungen durch die Taliban nach ihrer Machtübernahme im August 2021 (HRW 11.1.2024; vgl. AA 26.6.2023, USDOS 20.3.2023, UNGA 1.12.2023), darunter Hausdurchsuchungen (AA 26.6.2023), Willkürakte und Hinrichtungen (AA 26.6.2023, AfW 15.8.2023). Es kommt zu Gewalt und Diskriminierung gegenüber Journalisten (AA 26.6.2023; vgl. HRW 12.1.2023, AfW 15.8.2023) und Menschenrechtsaktivisten (FH 1.2023; vgl. FIDH 12.8.2022, AA 26.6.2023, AfW 15.8.2023). Auch von gezielten Tötungen wird berichtet (HRW 11.1.2024; vgl. AA 26.6.2023). Menschenrechtsorganisationen berichten auch über Entführungen und Ermordungen ehemaliger Angehöriger des Staatsapparats und der Sicherheitskräfte (AA 26.6.2023; vgl. HRW 11.1.2024, AfW 15.8.2023). Weiterhin berichten Menschenrechtsorganisationen von Rache- und Willkürakten im familiären Kontext - also gegenüber Familienmitgliedern oder zwischen Stämmen/Ethnien, bei denen die Täter den Taliban nahestehen oder Taliban sind. Darauf angesprochen, weisen Taliban-Vertreter den Vorwurf systematischer Gewalt zurück und verweisen wiederholt auf Auseinandersetzungen im familiären Umfeld. Eine nachprüfbare Strafverfolgung findet in der Regel nicht statt (AA 26.6.2023). Die NGO Afghan Witness berichtet im Zeitraum vom 15.1.2022 bis Mitte 2023 von 3.329 Menschenrechtsverletzungen, die sich auf Verletzungen des Rechts auf Leben, des Rechts auf Freiheit von Folter, der Pressefreiheit, der Versammlungsfreiheit, der Rechte der Frauen und mehr beziehen. Für denselben Zeitraum gibt es auch immer wieder Berichte über die Tötung und Inhaftierung ehemaliger ANDSF-Mitglieder. Hier wurden durch Afghan Witness 112 Fälle von Tötungen und 130 Inhaftierungen registriert, wobei darauf hingewiesen wurde, das angesichts der hohen Zahl von Fällen, in denen Opfer und Täter nicht identifiziert wurden, die tatsächliche Zahl wahrscheinlich höher ist (AfW 15.8.2023).
Die Taliban ließen wiederholt friedliche Proteste gewaltsam auflösen. Es kam zum Einsatz von scharfer Munition (AA 26.6.2023; vgl. HRW 12.10.2022, Guardian 2.10.2022) und es gibt auch Berichte über Todesopfer bei Protesten (FH 24.2.2022a, AI 15.8.2022).
Afghan Witness konnte zwischen dem ersten und zweiten Jahr der Taliban-Herrschaft einige Unterschiede erkennen. So gingen die Taliban im ersten Jahr nach der Machtübernahme im August 2021 hart gegen Andersdenkende vor und verhafteten Berichten zufolge Frauenrechtsaktivisten, Journalisten und Demonstranten. Im zweiten Jahr wurde hingegen beobachtet, dass sich die Medien und die Opposition im Land aufgrund der Restriktionen der Taliban und der Selbstzensur weitgehend zerstreut haben, obwohl weiterhin über Verhaftungen von Frauenrechtsaktivisten, Bildungsaktivisten und Journalisten berichtet wird. Frauen haben weiterhin gegen die Restriktionen und Erlasse der Taliban protestiert, aber die Proteste fanden größtenteils in geschlossenen Räumen statt - offenbar ein Versuch der Demonstranten, ihre Identität zu verbergen und das Risiko einer Verhaftung oder Gewalt zu verringern. Trotz dieser Drohungen sind Frauen weiterhin auf die Straße gegangen, um gegen wichtige Erlasse zu protestieren (AfW 15.8.2023).
Quellen
AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (26.6.2023): Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in Afghanistan - Lagefortschreibung - (Stand: Juni 2023), https://www.ecoi.net/en/document/2094871.html, Zugriff 9.8.2023 [Login erforderlich]
AfW - Afghan Witness (15.8.2023): Two years of Taliban rule: documenting human rights abuses using open source, https://www.afghanwitness.org/reports/two-years-of-taliban-rule:-documenting-human-rights-abuses-using-open-source, Zugriff 31.1.2024
AI - Amnesty International (15.8.2022): The Rule of Taliban: A year of violence, impunity and false promises, https://www.ecoi.net/en/document/2077274.html, Zugriff 3.1.2023
FH - Freedom House (1.2023): Report on the protection needs of human rights defenders, https://www.ecoi.net/en/document/2085886.html, Zugriff 6.2.2023
FH - Freedom House (24.2.2022a): Afghanistan: Freedom in the World 2022 Country Report, https://freedomhouse.org/country/afghanistan/freedom-world/2022, Zugriff 15.12.2022
FIDH - International Federation for Human Rights (12.8.2022): One year after Taliban takeover, human rights defenders at greater risk than ever, https://www.fidh.org/en/region/asia/afghanistan/afghanistan-one-year-taliban-human-rights-defenders, Zugriff 6.2.2023
Guardian - The Guardian (2.10.2022): Taliban beat women protesting against school bombing, say witnesses, https://www.theguardian.com/global-development/2022/oct/02/taliban-beat-women-protesting-school-bombing-afghanistan, Zugriff 2.1.2023
HRW - Human Rights Watch (11.1.2024): World Report 2024 - Afghanistan, https://www.ecoi.net/en/document/2103130.html, Zugriff 17.1.2024
HRW - Human Rights Watch (12.1.2023): World Report 2023 - Afghanistan, https://www.ecoi.net/en/document/2085369.html, Zugriff 18.1.2023
HRW - Human Rights Watch (12.10.2022): In Afghanistan, Resistance Means Women, https://www.hrw.org/news/2022/10/12/afghanistan-resistance-means-women, Zugriff 2.1.2023
UNGA - United Nations General Assembly (1.12.2023): The situation in Afghanistan and its implications for international peace and security, https://www.ecoi.net/en/file/local/2102425/N2336960.pdf, Zugriff 14.2.2024
UNICEF - United Nations International Children’s Emergency Fund (9.8.2022): Wie ist es, jetzt in Afghanistan ein Kind zu sein?, https://www.unicef.de/informieren/aktuelles/blog/-/kinder-in-afghanistan-7-fakten/275350, Zugriff 15.12.2022
USDOS - United States Department of State [USA] (20.3.2023): 2022 Country Report on Human Rights Practices: Afghanistan, https://www.ecoi.net/en/document/2089060.html, Zugriff 15.5.2023
Meinungs- und Pressefreiheit
Letzte Änderung 2024-04-04 12:48
Die Taliban haben zwar wiederholt Presse- und Meinungsfreiheit in allgemeiner Form zugesichert (AA 26.6.2023), jedoch hat sich die Situation der Medienlandschaft seit dem 15.8.2021 drastisch verschlechtert (AA 26.6.2023; vgl. HRW 11.1.2024). Berichten zufolge hatten schon bis Dezember 2021 insgesamt 43 % der afghanischen Medienunternehmen ihren Betrieb eingestellt (AA 26.6.2023; vgl. ANI 1.5.2022), auch aufgrund wirtschaftlicher Schwierigkeiten. 6.400 Medienschaffende hatten ihre Anstellung verloren (AA 26.6.2023; vgl. RSF 2.12.2022), was vor allem Frauen betraf (AA 26.6.2023; vgl. HRW 11.1.2024, RSF 2.12.2022). Etablierte Journalisten sind zu einem großen Teil ins Ausland gegangen (HRW 11.1.2024; vgl. AA 26.6.2023) und berichten aus dem Exil (HRW 11.1.2024) oder halten sich versteckt (AA 26.6.2023). Ankündigungen der Taliban-Regierung, das bisherige Mediengesetz umzusetzen und eine Beschwerdekommission einzurichten, ist das Informations- und Kulturministerium nicht nachgekommen. Fernsehsender wurden nach eigenen Angaben wiederholt durch den Taliban-Geheimdienst unter Druck gesetzt, Unterhaltungsprogramme den moralisch-religiösen Vorgaben der Taliban anzupassen (AA 26.6.2023). Auch für ausländische Korrespondenten gelten strenge Visabeschränkungen, wenn sie nach Afghanistan reisen, um zu berichten (HRW 11.1.2024).
Die Taliban-Behörden setzten eine umfassende Zensur durch und gingen mit unrechtmäßiger Gewalt gegen afghanische Medien und Journalisten in Kabul und den Provinzen vor (HRW 11.1.2024). Im November 2022 berichtete ein Medienunternehmen, dass es eine von dem Taliban-Informationsministerium vorformulierte Erklärung unterzeichnen musste, in der es sich u. a. zu einer Scharia-konformen Berichterstattung verpflichtete. Kritik an der Taliban-Regierung wurde untersagt. Im Falle der Nichtbeachtung wurden Konsequenzen für das Medienunternehmen sowie die dort Beschäftigten angedroht (AA 26.6.2023). Elf am 19.9.2021 vorgestellte Handlungsempfehlungen der Taliban-Regierung für Printmedien, TV und Radio fordern u. a. dazu auf, keine Inhalte zu veröffentlichen, die der Scharia widersprechen (AA 26.6.2023; vgl. RSF 24.9.2021) und ermöglichen laut Reportern ohne Grenzen (RSF) Nachrichtenkontrolle oder gar Vorzensur (RSF 24.9.2021). Diese Empfehlungen werden landesweit unterschiedlich umgesetzt. Menschenrechtsorganisationen beobachten insbesondere in den Provinzen eine deutlich stärkere Einschränkung der Pressefreiheit. Medienschaffende berichten über ein aktives Monitoring und werden aufgefordert, ihre Arbeit vorab mit den lokal zuständigen Behörden zu teilen. Mancherorts müssen Medienschaffende vor Beginn ihrer Recherchen eine Erlaubnis bei den lokalen Behörden einholen. In mindestens 14 von 34 Provinzen gibt es keine weiblichen Medienschaffenden mehr, in einigen Provinzen wurde es Journalistinnen verboten, bei ihrer Arbeit in Erscheinung zu treten. Gegenüber Menschenrechtsorganisationen berichten Journalistinnen und Journalisten über einen stark eingeschränkten Zugang zu Informationen (AA 26.6.2023).
Berichten zufolge kommt es zu willkürlichen Verhaftungen von Medienschaffenden durch die Taliban (AfW 15.8.2023; vgl. HRW 11.1.2024), die Human Rights Watch zufolge im Jahr 2023 zugenommen haben (HRW 11.1.2024). Am 13.8.2023 verhafteten die Taliban beispielsweise Ataullah Omar, einen Journalisten, der für Tolo News berichtet, und beschuldigten ihn, mit Medienunternehmen zusammenzuarbeiten, die vom Exil aus operieren. Am 10.8.2023 wurden Faqir Mohammad Faqirzai, der Leiter von Kilid Radio, und Jan Agha Saleh, ein Reporter, von den Taliban festgenommen. Am selben Tag wurde Hasib Hassas, ein Reporter von Salam Watandar, in Kunduz verhaftet (HRW 11.1.2024; vgl. RSF 15.8.2023). Alle drei Journalisten wurden einige Tage später wieder freigelassen. Die Taliban-Behörden geben selten Auskunft über die Gründe für solche Verhaftungen oder darüber, ob die Festgenommenen vor Gericht gestellt werden. Die Festgenommenen haben keinen Zugang zu Anwälten, und in den meisten Fällen dürfen Familienangehörige sie nicht besuchen (HRW 11.1.2024). Am 5.1.2023 wurde der französische afghanische Journalist Mortaza Behboudi verhaftet; er wurde am 18. Oktober wieder freigelassen, ohne dass eine Anklage gegen ihn erhoben wurde (HRW 11.1.2024; vgl. RSF 18.10.2023).
Reporter ohne Grenzen (RSF) meldete, dass Razzien bei unabhängigen Medien in mindestens fünf Fällen mit Unterstützung der Generaldirektion des Nachrichtendienstes (GDI) durchgeführt wurden, ohne dass die Kommission für Medienbeschwerden und Rechtsverletzungen (MCRVC) eingeschaltet wurde. Die 2022 nach einjähriger Unterbrechung wieder eingerichtete MCRVC soll verhindern, dass sich andere Stellen in Medienangelegenheiten einmischen, und sicherstellen, dass eine "neutrale" Gruppe jeden gemeldeten Verstoß untersucht, so der Sprecher des Taliban-Regimes und ehemalige stellvertretende Informationsminister Zabihullah Mujahid (RSF 15.8.2023).
Internet und Mobiltelefonie
Die Zahl der Internetnutzer in Afghanistan ist in den letzten Jahren zusammen mit der jugendlichen Bevölkerung rapide angestiegen und liegt mit April 2022 bei etwa neun Millionen Nutzern (BBC 22.4.2022). Im Jahre 2021 wurde die Anzahl der Mobiltelefonnutzer auf ca. 23 Millionen geschätzt (GBL 26.11.2021).
Es gibt keine Ausfälle in Gebieten, die vor der Übernahme durch die Taliban per Telefon oder Internet erreichbar gewesen wären. Laut Informationen von IOM haben sich die Telekommunikations- und Internetdienste seit dem Sturz der vorherigen Regierung verbessert, was auf einen Rückgang der Konflikte im ganzen Land und die Leichtigkeit zurückzuführen ist, mit der Telekommunikationsunternehmen ihr Dienstleistungsangebot erweitern können. In Afghanistan ist die Verfügbarkeit von Internet- und Telekommunikationsdiensten weit verbreitet und deckt den größten Teil des Landes ab, mit Ausnahme einiger isolierter und dünn besiedelter Siedlungen außerhalb der großen Städte. Derzeit sind fünf Telekommunikationsunternehmen in Afghanistan tätig, darunter der staatliche Festnetzbetreiber Afghan Telecom und vier Mobilfunkbetreiber: Afghan Wireless Communication Company (AWCC), Roshan, MTN Afghanistan und Etisalat Afghanistan (IOM 22.2.2024).
Seit der Machtübernahme durch die Taliban gab es keine Berichte über größere Einschränkungen beim Zugang zu Telekommunikationsdiensten (IOM 12.1.2023; vgl. IOM 22.2.2024). In den Provinzen, die Widerstand gegen das Taliban-Regime leisteten (z. B.: Provinz Panjsher), kam es jedoch in der Vergangenheit zu Abschaltungen von Telekommunikations- und Internetdiensten (IOM 12.1.2023).
Quellen
AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (26.6.2023): Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in Afghanistan - Lagefortschreibung - (Stand: Juni 2023), https://www.ecoi.net/en/document/2094871.html, Zugriff 9.8.2023 [Login erforderlich]
AfW - Afghan Witness (15.8.2023): Two years of Taliban rule: documenting human rights abuses using open source, https://www.afghanwitness.org/reports/two-years-of-taliban-rule:-documenting-human-rights-abuses-using-open-source, Zugriff 31.1.2024
ANI - Asian News International (1.5.2022): 43% of Afghan media outlets closed down within 3 months of IEA takeover: UN, https://www.ariananews.af/43-of-afghan-media-outlets-closed-down-within-3-months-of-iea-takeover-un, Zugriff 24.1.2023
BBC - British Broadcasting Corporation (22.4.2022): Afghanistan: Taliban orders TikTok, PUBG ban for ’misleading’ youths, https://www.bbc.com/news/world-asia-61185931, Zugriff 31.1.2023
GBL - Global Business Line (26.11.2021): Can Afghanistan’s underground “sneakernet” survive the Taliban?, https://www.businessline.global/can-afghanistans-underground-sneakernet-survive-the-taliban/info-tech, Zugriff 31.1.2023
HRW - Human Rights Watch (11.1.2024): World Report 2024 - Afghanistan, https://www.ecoi.net/en/document/2103130.html, Zugriff 17.1.2024
IOM - International Organization for Migration (22.2.2024): Information on the socio-economic situation in Afghanistan, https://www.ecoi.net/en/file/local/2104781/Socioeconomic Information Update Afghanistan.pdf, Zugriff 23.2.2024 [Login erforderlich]
IOM - International Organization for Migration (12.1.2023): Information on the socio-economic situation in Afghanistan, https://www.ecoi.net/en/document/2085350.html, Zugriff 18.1.2023 [Login erforderlich]
RSF - Reporter ohne Grenzen (18.10.2023): RSF announces the release of journalist Mortaza Behboudi after 284 days in detention in Afghanistan: "the end of a painful ordeal", https://rsf.org/en/rsf-announces-release-journalist-mortaza-behboudi-after-284-days-detention-afghanistan-end-painful, Zugriff 17.1.2024
RSF - Reporter ohne Grenzen (15.8.2023): Nine arrested in Taliban offensive against Afghan journalists, https://rsf.org/en/nine-arrested-taliban-offensive-against-afghan-journalists, Zugriff 17.1.2024
RSF - Reporter ohne Grenzen (2.12.2022): Afghanistan, https://rsf.org/en/country/afghanistan, Zugriff 24.1.2023
RSF - Reporter ohne Grenzen (24.9.2021): Taliban-Medienregeln bedrohen Journalisten, https://www.reporter-ohne-grenzen.de/pressemitteilungen/meldung/taliban-medienregeln-bedrohen-journalisten, Zugriff 1.3.2024
Versammlungsfreiheit und Vereinigungsfreiheit
Letzte Änderung 2024-04-05 06:01
Die Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit wurde seit der Machtübernahme der Taliban entgegen allgemeiner Zusicherungen deutlich eingeschränkt (AA 26.6.2023; vgl. FH 24.2.2022a). Die Taliban ließen wiederholt friedliche Proteste gewaltsam auflösen (AA 26.6.2023; vgl. HRW 11.1.2024, EUAA 12.2023) und es kam zum Einsatz von scharfer Munition und Wasserwerfern (AA 26.6.2023). Ab Mitte Jänner 2022 wurden sukzessive Vertreterinnen der vor allem in Kabul aktiven Protestbewegung durch die Sicherheitskräfte der Taliban festgenommen und es gibt Berichte zu Misshandlungen und sexuellen Übergriffen, auch wenn diese schwer zu verifizieren sind (AA 26.6.2023). In diesem Jahr gab es nur wenige öffentliche Proteste im Vergleich zu 2021, als es zahlreiche kleinere Proteste von Frauen gab, die gleiche Rechte, die Beteiligung an Entscheidungsprozessen und den Zugang zu Bildung und Beschäftigung forderten (USDOS 20.3.2023). Diese gewalttätigen Zwischenfälle und die Androhung von Verhaftungen (und das Verschwinden in einem undurchsichtigen Gefängnissystem ohne ordnungsgemäße Verfahren) haben zunächst dazu geführt, dass die großen Anti-Taliban-Proteste eingedämmt wurden, obwohl es weiterhin kleinere Versammlungen gab (AI 15.8.2022). Gegen Ende des Jahres 2022 kam es wieder vermehrt zu Protesten, nachdem die Taliban Frauen vom Universitätsbesuch ausgeschlossen hatten (RFE/RL 29.12.2022; vgl. BBC 22.12.2022; vgl. RFE/RL 22.12.2022) und NGO-Mitarbeiterinnen verboten, ihrer Arbeit nachzugehen (FR24 2.1.2023). Den Protesten schlossen sich auch Hunderte männliche Professoren, Studierende und Väter an (RFE/RL 29.12.2022; vgl. ABC 30.12.2022).
Berichte über Verhaftungen von Menschenrechtsaktivisten (HRW 11.1.2024; vgl. AMU 23.1.2024, Afintl 19.9.2023) und Journalisten setzten sich über das Jahr 2023 hindurch fort (HRW 11.1.2024; vgl. RSF 15.8.2023, RSF 18.10.2023).
Quellen
AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (26.6.2023): Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in Afghanistan - Lagefortschreibung - (Stand: Juni 2023), https://www.ecoi.net/en/document/2094871.html, Zugriff 9.8.2023 [Login erforderlich]
ABC - American Broadcast Network (30.12.2022): Male students, professors walk out of Afghan universities to protest ban on female students, https://www.abc.net.au/news/2022-12-30/male-students-professors-walk-out-of-afghan-universities-/101816314, Zugriff 3.1.2023
Afintl - Afghanistan International (19.9.2023): Taliban Arrests Afghan Female Protester Neda Parwani In Kabul, https://www.afintl.com/en/202309191134, Zugriff 31.1.2024
AI - Amnesty International (15.8.2022): The Rule of Taliban: A year of violence, impunity and false promises, https://www.ecoi.net/en/document/2077274.html, Zugriff 3.1.2023
AMU - Amu Tv (23.1.2024): Amnesty International urges immediate release of female activist in Taliban custody, https://amu.tv/80706, Zugriff 31.1.2024
BBC - British Broadcasting Corporation (22.12.2022): Afghanistan: Taliban arrest women protesting against university ban, https://www.bbc.com/news/world-asia-64065206?at_medium=RSS at_campaign=KARANGA, Zugriff 29.12.2022
EUAA - European Union Agency for Asylum (12.2023): Afghanistan Country Focus, https://www.ecoi.net/en/file/local/2101835/2023_12_EUAA_COI_Report_Afghanistan_Country_Focus.pdf, Zugriff 7.2.2024
FH - Freedom House (24.2.2022a): Afghanistan: Freedom in the World 2022 Country Report, https://freedomhouse.org/country/afghanistan/freedom-world/2022, Zugriff 15.12.2022
FR24 - France 24 (2.1.2023): Afghanistan’s NGO ban for women exposes rifts in Taliban ranks, https://www.france24.com/en/asia-pacific/20230102-afghanistan-s-ngo-ban-for-women-exposes-rifts-in-taliban-ranks, Zugriff 3.1.2023
HRW - Human Rights Watch (11.1.2024): World Report 2024 - Afghanistan, https://www.ecoi.net/en/document/2103130.html, Zugriff 17.1.2024
RFE/RL - Radio Free Europe/Radio Liberty (29.12.2022): ’Teach Everyone Or No One’: Afghan Men Join In Protests Against Taliban’s Ban On Women’s Education, https://www.ecoi.net/en/document/2084823.html, Zugriff 3.1.2023
RFE/RL - Radio Free Europe/Radio Liberty (22.12.2022): Taliban Violently Disperses Women’s Protest Against University Ban, https://www.ecoi.net/en/document/2084556.html, Zugriff 29.12.2022
RSF - Reporter ohne Grenzen (18.10.2023): RSF announces the release of journalist Mortaza Behboudi after 284 days in detention in Afghanistan: "the end of a painful ordeal", https://rsf.org/en/rsf-announces-release-journalist-mortaza-behboudi-after-284-days-detention-afghanistan-end-painful, Zugriff 17.1.2024
RSF - Reporter ohne Grenzen (15.8.2023): Nine arrested in Taliban offensive against Afghan journalists, https://rsf.org/en/nine-arrested-taliban-offensive-against-afghan-journalists, Zugriff 17.1.2024
USDOS - United States Department of State [USA] (20.3.2023): 2022 Country Report on Human Rights Practices: Afghanistan, https://www.ecoi.net/en/document/2089060.html, Zugriff 15.5.2023
Haftbedingungen
Letzte Änderung 2024-03-28 11:44
Vor der Machtübernahme durch die Taliban im August 2021 wurden Gefängnisse, Jugendrehabilitationszentren und andere Haftanstalten von unterschiedlichen Organisationen verwaltet: Das General Directorate of Prisons and Detention Centers (GDPDC), ein Teil des Innenministeriums (MoI), war verantwortlich für alle zivil geführten Gefängnisse, sowohl für weibliche als auch männliche Häftlinge, inklusive des nationalen Gefängniskomplexes in Pul-e Charkhi. Das MoI und das Juvenile Rehabilitation Directorate (JRD) waren verantwortlich für alle Jugendrehabilitationszentren und Zivilhaftanstalten. Das National Directorate of Security (NDS) war verantwortlich für Kurzzeit-Haftanstalten auf Provinz- und Distriktebene, die in der Regel mit den jeweiligen Hauptquartieren zusammenarbeiten. Das Verteidigungsministerium betrieb die Nationalen Haftanstalten Afghanistans in Parwan (USDOS 12.4.2022a). Die Überbelegung der Gefängnisse war auch unter der ehemaligen Regierung ein ernstes und weitverbreitetes Problem. Nach der Übernahme Kabuls durch die Taliban haben sich viele Gefängnisse geleert, da fast alle Gefangenen entkamen oder freigelassen wurden (USDOS 12.4.2022a; vgl. UNHRC 8.3.2022).
Am 4.1.2022 setzte das Taliban-Kabinett eine hochrangige Kommission unter der Leitung des Obersten Gerichtshofs ein, um "die Gefängnisse und Haftanstalten zu inspizieren und eine dringende Entscheidung über die Freilassung unschuldiger Gefangener zu treffen" (UNHRC 8.3.2022; vgl. ATN 4.1.2022). Der dabei verabschiedete Verhaltenskodex und ähnliche Anweisungen an die Taliban-Sicherheitskräfte in der Folgezeit deuten darauf hin, dass die Taliban-Behörden in Afghanistan gegen Folter und Misshandlung von Gefangenen vorgehen wollen. UNAMA sprach im Hinblick auf die Zusammenarbeit mit den Taliban zu diesem Thema von einem "unterschiedlichen Maß an Offenheit". Im Laufe des Jahres 2022 führte UNAMA eine Reihe von Sensibilisierungsveranstaltungen zu internationalen Standards für Leiter und Wärter von Haftanstalten durch und berichtet weiter, dass diese Veranstaltungen von den jeweiligen Polizeichefs und dem Talibanbüro für Strafvollzugsverwaltung begrüßt wurden (UNAMA 1.9.2023).
Trotz anhaltender Bemühungen, die Zahl der Inhaftierten zu reduzieren, meldete die Gefängnisverwaltung der Taliban Mitte Oktober 2023 einen Bestand von knapp 17.000 Gefangenen. Finanzielle Engpässe und die Einstellung der Finanzierung durch Geber wirkten sich weiterhin auf die Fähigkeit der Gefängnisverwaltung aus, internationale Standards zu erfüllen, einschließlich der systematischen Bereitstellung angemessener Nahrungsmittel und Hygieneartikel, der beruflichen Aus- und Weiterbildung und der medizinischen Versorgung (UNGA 1.12.2023). Die Haftbedingungen werden als hart und lebensbedrohlich beschrieben und es wurde berichtet, dass neben der unzureichenden Versorgung mit Nahrungsmitteln und Hygieneartikeln, Erwachsene und Jugendliche körperlich misshandelt wurden (USDOS 20.3.2023). So existieren Berichte über Folter in Gefängnissen, beispielsweise von Journalisten, Frauenrechtsaktivistinnen und ihren Verwandten, Demonstrierenden sowie ehemaligen Sicherheitskräften. Die ehemalige Hochkommissarin für Menschenrechte der Vereinten Nationen zeigte sich besorgt über Folter von Personen, denen vorgeworfen wird, den ehemaligen Sicherheitskräften oder der ehemaligen Regierung anzugehören oder ISKP-Anhänger zu sein (AA 26.6.2023). Auch erhoben Bewohner der Provinz Kandahar im August 2023 Vorwürfe, wonach bestimmte örtliche Taliban-Führer in der Provinz private Gefängnisse betreiben würden, in denen ehemalige Beamte und Militärangehörige der Republik festgehalten werden (BAMF 31.12.2023; vgl. 8am 25.11.2023).
Die Situation in den Gefängnissen kann aufgrund von nur punktuellem Zugang für die Vereinten Nationen und Menschenrechtsorganisationen nicht abschließend beurteilt werden (AA 26.6.2023). UNAMA geht davon aus, dass die Lebensbedingungen in den Gefängnissen angesichts der insgesamt schlechten Versorgungslage sehr schlecht sind (AA 26.6.2023), und berichtet von Fällen, in denen Personen zum Zeitpunkt der Festnahme nicht über die Gründe für ihre Festnahme informiert wurden. Des Weiteren werden laut UNAMA Inhaftierte auch weder über ihre Rechte noch darüber informiert, wie sie während der Haft Beschwerden vorbringen können. Es wurden auch Fälle dokumentiert, in denen Inhaftierte nicht über ihr Recht auf einen Anwalt informiert wurden oder ihnen die Kontaktaufnahme mit ihrer Familie verwehrt wurde (UNAMA 1.9.2023).
Der Verhaltenskodex der Taliban zur Reform des Gefängnissystems sieht keine unverzügliche medizinische Untersuchung bei der Einweisung in eine Haftanstalt vor. Er sieht vor, dass in den Gefängnissen Erste-Hilfe-Einrichtungen und -Vorräte zur Verfügung stehen müssen und dass für die notwendige Behandlung von Schwerkranken rechtzeitig die erforderlichen Maßnahmen zu treffen sind. Mehrere Taliban-Polizeibehörden bestätigten gegenüber UNAMA, dass die Personen vor ihrer Einlieferung in die Polizeieinrichtungen von einem Arzt untersucht und bei Bedarf in ein Krankenhaus gebracht werden. Allerdings dokumentierte UNAMA keinen Fall, bei dem eine Person bei der Inhaftierung oder vor einer Befragung medizinisch untersucht wurde, wobei eingeräumt wird, dass insbesondere in abgelegenen Gebieten, nicht immer Ärzte zur Verfügung stehen (UNAMA 1.9.2023).
Entlassene Aktivistinnen und Aktivisten sowie ihre Familien werden unter Strafandrohung schriftlich verpflichtet, nicht über die Haftbedingungen zu sprechen. Die Einhaltung der Auflagen wird durch die Taliban-Sicherheitskräfte engmaschig überwacht (AA 26.6.2023).
Zwischen 1.1.2022 und 31.7.2023 dokumentierte UNAMA über 1.600 Menschenrechtsverletzungen (11 % betrafen Frauen) durch die Taliban-Behörden im Zusammenhang mit der Festnahme und anschließenden Inhaftierung von Personen. Knapp 50 % dieser Verstöße betrafen Folter und andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung. Diese Vorfälle ereigneten sich in 29 der 34 Provinzen Afghanistans (UNAMA 1.9.2023). Berichten zufolge wurden Gefangene, die mit der Regierung vor dem 15.8.2021 in Verbindung standen, körperlich misshandelt und unterhalten die Taliban im ganzen Land separate Haftanstalten für politische Gefangene, wobei glaubwürdige Quellen von Schlägen in diesen Behelfsgefängnissen berichteten (USDOS 20.3.2023).
Quellen
8am - Hasht-e Sobh (25.11.2023): Behind Closed Doors: Shocking Claims of Taliban’s Secret Prisons and Unlawful Detentions Emerge in Kandahar, https://8am.media/eng/behind-closed-doors-shocking-claims-of-talibans-secret-prisons-and-unlawful-detentions-emerge-in-kandahar, Zugriff 26.2.2024
AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (26.6.2023): Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in Afghanistan - Lagefortschreibung - (Stand: Juni 2023), https://www.ecoi.net/en/document/2094871.html, Zugriff 9.8.2023 [Login erforderlich]
ATN - Ariana Television Network (4.1.2022): IEA’s cabinet says innocent prisoners to be released as soon as possible, https://www.ariananews.af/ieas-cabinet-says-innocent-prisoners-to-be-released-as-soon-as-possible, Zugriff 6.2.2023
BAMF - Bundesamt für Migration und Flüchtlinge [Deutschland] (31.12.2023): Briefing Notes Zusammenfassung: Afghanistan - Juli bis Dezember 2023, https://milo.bamf.de/OTCS/cs.exe/app/nodes/29188455, Zugriff 22.1.2024 [Login erforderlich]
UNAMA - United Nations Assistance Mission in Afghanistan (1.9.2023): The treatment of detainees in Afghanistan; Respecting human rights: a factor for trust, https://www.ecoi.net/en/file/local/2097527/unama_report_-_treatment_of_detainees_200923_english.pdf, Zugriff 16.2.2024
UNGA - United Nations General Assembly (1.12.2023): The situation in Afghanistan and its implications for international peace and security, https://www.ecoi.net/en/file/local/2102425/N2336960.pdf, Zugriff 14.2.2024
UNHRC - United Nations Human Rights Council (8.3.2022): Situation of human rights in Afghanistan - Report of the United Nations High Commissioner for Human Rights (A/HRC/49/24) (Advance Unedited Version) - Afghanistan, https://reliefweb.int/report/afghanistan/situation-human-rights-afghanistan-report-united-nations-high-commissioner-human, Zugriff 6.2.2023
USDOS - United States Department of State [USA] (20.3.2023): 2022 Country Report on Human Rights Practices: Afghanistan, https://www.ecoi.net/en/document/2089060.html, Zugriff 15.5.2023
USDOS - United States Department of State [USA] (12.4.2022a): 2021 Country Report on Human Rights Practices: Afghanistan, https://www.ecoi.net/en/document/2071122.html, Zugriff 15.12.2022
Todesstrafe
Letzte Änderung 2024-04-09 12:24
Die Gesetze aus der Zeit vor der Machtergreifung der Taliban im August 2021 sehen die Verhängung der Todesstrafe in bestimmten Fällen vor (AA 26.6.2023; vgl. UNAMA 8.5.2023). Zwischen 2001 und dem 15.8.2021 hat die Regierung der Islamischen Republik Afghanistan Berichten zufolge mindestens 72 Personen hingerichtet (UNAMA 8.5.2023).
Seit ihrer Machtübernahme in Afghanistan am 15.8.2021 haben die Taliban de facto die Körperstrafen und die Todesstrafe eingeführt (UNAMA 8.5.2023). Die Taliban haben hierzu bisher keine gesetzlichen Regelungen erlassen. Die sowohl während des ersten Taliban-Regimes, als auch vor dem Zusammenbruch der Republik in von den Taliban kontrollierten Gebieten angewandte Rechtspraxis auf Grundlage ihrer Auslegung der Scharia, sieht die Todesstrafe vor (AA 26.6.2023). Ende November 2022 ordnete der oberste Führer der Taliban, Haibatullah Akhundzada, allerdings Richtern an, Strafen zu verhängen, die öffentliche Hinrichtungen, öffentliche Amputationen und Steinigungen umfassen können (BBC 14.11.2022; vgl. Guardian 14.11.2022, UNAMA 8.5.2023).
Am 7.12.2022 fand die erste öffentliche Hinrichtung der Taliban in Afghanistan seit der Machtübernahme im August 2021 statt (AA 26.6.2023; vgl. BBC 7.12.2022, REU 7.12.2022). Der Hingerichtete soll gestanden haben, vor fünf Jahren bei einem Raubüberfall einen Mann mit einem Messer getötet und dessen Motorrad und Telefon gestohlen zu haben (RFE/RL 7.12.2022; vgl. BBC 7.12.2022, REU 7.12.2022). Im Juni 2023 wurde in Laghman ein Mann durch die Taliban hingerichtet, der für schuldig befunden wurde, im vergangenen Jahr fünf Menschen ermordet zu haben (AP 20.6.2023; vgl. AJ 20.6.2023). Im Februar 2024 vollstreckten die Taliban eine Doppelhinrichtung in Ghazni, bei der Angehörige der Opfer von Messerstechereien vor Tausenden von Zuschauern mit Gewehren auf zwei verurteilte Männer schossen (AI 23.2.2024; vgl. ABC News 26.2.2024).
Quellen
AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (26.6.2023): Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in Afghanistan - Lagefortschreibung - (Stand: Juni 2023), https://www.ecoi.net/en/document/2094871.html, Zugriff 9.8.2023 [Login erforderlich]
ABC News - Australian Broadcasting Corporation News (26.2.2024): Story taliban carry double public execution stadium southeastern afghanistan, https://abcnews.go.com/International/wireStory/taliban-carry-double-public-execution-stadium-southeastern-afghanistan-107439878, Zugriff 26.2.2024
AI - Amnesty International (23.2.2024): Afghanistan: Taliban must halt all executions and abolish death penalty, https://www.amnesty.org/en/latest/news/2024/02/afghanistan-taliban-must-halt-all-executions-and-abolish-death-penalty, Zugriff 26.2.2024
AJ - Al Jazeera (20.6.2023): Afghanistan’s Taliban publicly executes man convicted of murder, https://www.aljazeera.com/news/2023/6/20/afghanistans-taliban-publicly-executes-man-convicted-of-murder, Zugriff 26.2.2024
AP - Associated Press (20.6.2023): Taliban carry out 2nd known public execution since seizing power in Afghanistan, https://apnews.com/article/afghanistan-taliban-public-execution-f224fd940a8ce347bc89eb08f7d77325, Zugriff 26.2.2024
BBC - British Broadcasting Corporation (7.12.2022): Murderer publicly executed by his victim’s father, Taliban say, https://www.bbc.com/news/world-asia-63884696, Zugriff 16.12.2022
BBC - British Broadcasting Corporation (14.11.2022): Afghanistan: Taliban leader orders Sharia law punishments, https://www.bbc.com/news/world-asia-63624400, Zugriff 16.12.2022
Guardian - The Guardian (14.11.2022): Afghan supreme leader orders full implementation of sharia law, https://www.theguardian.com/world/2022/nov/14/afghanistan-supreme-leader-orders-full-implementation-of-sharia-law-taliban, Zugriff 16.12.2022
REU - Reuters (7.12.2022): Taliban publicly execute man accused of murder, in a first since takeover, https://www.reuters.com/world/middle-east/taliban-publicly-execute-man-accused-murder-senior-officials-attend-2022-12-07, Zugriff 16.12.2022
RFE/RL - Radio Free Europe/Radio Liberty (7.12.2022): Taliban Holds First Public Execution In Afghanistan Since Retaking Power, https://www.rferl.org/a/taliban-holds-first-public-execution-afghanistan/32165979.html, Zugriff 16.12.2022
UNAMA - United Nations Assistance Mission in Afghanistan (8.5.2023): Corporal Punishment and the Death Penalty in Afghanistan, https://reliefweb.int/attachments/f937287a-5d85-4549-b171-ebfca2999b90/hr_brief_on_cpdp_03052023-_english.pdf, Zugriff 16.1.2024
Religionsfreiheit
Letzte Änderung 2024-04-05 14:09
Etwa 99 % der afghanischen Bevölkerung sind Muslime. Die Sunniten werden auf 80 bis 89,7 % und die Schiiten auf 7 bis 15 % der Gesamtbevölkerung geschätzt (CIA 1.2.2024; vgl. AA 26.6.2023). Andere Glaubensgemeinschaften machen weniger als 0,3 % der Bevölkerung aus (CIA 1.2.2024; vgl. USDOS 15.5.2023). Die Zahl der Ahmadiyya-Muslime im Land geht in die Hunderte. Zuverlässige Schätzungen über die Gemeinschaften der Baha'i und der Christen sind nicht verfügbar. Es gibt eine geringe Anzahl von Anhängern anderer Religionen. Es gibt keine bekannten Juden im Land (USDOS 15.5.2023).
Anhänger des Baha'i-Glaubens leben vor allem in Kabul und in einer kleinen Gemeinde in Kandahar. Im Mai 2007 befand der Oberste Gerichtshof, dass der Glaube der Baha'i eine Abweichung vom Islam und eine Form der Blasphemie sei. Auch wurden alle Muslime, die den Baha'i-Glauben annehmen, zu Abtrünnigen erklärt. Internationalen Quellen zufolge leben Baha'is weiterhin in ständiger Angst vor Entdeckung und zögerten, ihre religiöse Identität preiszugeben (USDOS 15.5.2023).
Sikhs sehen sich seit Langem Diskriminierungen im mehrheitlich muslimischen Afghanistan ausgesetzt (EUAA 23.3.2022; vgl. DW 8.9.2021). Als die Taliban im August 2021 nach dem Abzug der US-Truppen die Macht in der Hauptstadt wiedererlangt hatten, floh eine weitere Welle von Sikhs aus Afghanistan (EUAA 23.3.2022; vgl. TrI 12.11.2021). Nach der Machtübernahme gaben die Taliban öffentliche Erklärungen ab, wonach deren Rechte geschützt werden würden (EUAA 23.3.2022; vgl. USCIRF 3.2023, USDOS 15.5.2023). Trotz dieser Zusicherungen äußerten sich Sikh-Führer in Medienerklärungen im Namen ihrer Gemeinschaft jedoch besorgt über deren Sicherheit (EUAA 23.3.2022; vgl. USDOS 15.5.2023). Berichten zufolge lebten mit Ende 2022 nur noch neun Sikhs und Hindu in Afghanistan (USDOS 15.5.2023).
Die Möglichkeiten der konkreten Religionsausübung für Nicht-Muslime waren und sind durch gesellschaftliche Stigmatisierung, Sicherheitsbedenken und die spärliche Existenz von Gebetsstätten extrem eingeschränkt (USCIRF 3.2023; vgl. AA 26.6.2023). Mit der rigorosen Durchsetzung ihrer strengen Auslegung der Scharia gegenüber allen Afghanen verletzen die Taliban die Religions- und Glaubensfreiheit von religiösen Minderheiten (USCIRF 3.2023). Nominal haben die Taliban religiösen Minderheiten die Zusicherung gegeben, ihre Religion auch weiterhin ausüben zu können (USCIRF 3.2023; vgl. AA 26.6.2023); insbesondere der größten Minderheit, den überwiegend der schiitischen Konfession angehörigen Hazara. In der Praxis ist der Druck auf Nicht-Sunniten jedoch hoch und die Diskriminierung von Schiiten im Alltag verwurzelt (AA 26.6.2023).
Trotz ständiger Versprechen, alle in Afghanistan lebenden ethnischen und religiösen Gemeinschaften zu schützen, ist die Taliban-Regierung nicht in der Lage oder nicht willens, religiöse und ethnische Minderheiten vor radikaler islamistischer Gewalt zu schützen, insbesondere in Form von Angriffen der Gruppierung Islamischer Staat Khorasan Provinz (ISKP) und Fraktionen der Taliban selbst (USCIRF 3.2023).
In einigen Gebieten Afghanistans (unter anderem Kabul) haben die Taliban alle Männer zur Teilnahme an den Gebetsversammlungen in den Moscheen verpflichtet und/oder Geldstrafen gegen Einwohner verhängt, die nicht zu den Gebeten erschienen sind (RFE/RL 19.1.2022) bzw. gedroht, dass Männer, die nicht zum Gebet in die Moschee gehen, strafrechtlich verfolgt werden könnten (BAMF 10.1.2022; vgl. RFE/RL 19.1.2022).
Quellen
AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (26.6.2023): Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in Afghanistan - Lagefortschreibung - (Stand: Juni 2023), https://www.ecoi.net/en/document/2094871.html, Zugriff 9.8.2023 [Login erforderlich]
BAMF - Bundesamt für Migration und Flüchtlinge [Deutschland] (10.1.2022): Briefing Notes, https://www.bamf.de/SharedDocs/Anlagen/EN/Behoerde/Informationszentrum/BriefingNotes/2022/briefingnotes-kw02-2022.pdf?__blob=publicationFile v=4, Zugriff 16.12.2022
CIA - Central Intelligence Agency [USA] (1.2.2024): Afghanistan - The World Factbook, https://www.cia.gov/the-world-factbook/countries/afghanistan/#people-and-society, Zugriff 7.2.2024
DW - Deutsche Welle (8.9.2021): What Taliban rule means for Sikhs and Hindus, https://www.dw.com/en/afghanistan-what-does-taliban-rule-mean-for-sikhs-and-hindus/a-59122249, Zugriff 15.12.2022
EUAA - European Union Agency for Asylum (23.3.2022): Afghanistan - Situation of Sikhs, https://www.ecoi.net/en/file/local/2070022/2022_03_23_EUAA_COI_Query_Response_AFGHANISTAN_SIKH.pdf, Zugriff 15.12.2022
RFE/RL - Radio Free Europe/Radio Liberty (19.1.2022): Afghans Fear For Their Rights As Taliban Resurrects Religious Policing, https://www.rferl.org/a/afghanistan-taliban-religious-policing/31642688.html, Zugriff 16.12.2022
TrI - Tribune India, The (12.11.2021): Afghan Sikhs, Hindus among 104 airlifted, scriptures brought back, https://www.tribuneindia.com/news/nation/afghan-sikhs-hindus-among-104-airlifted-scriptures-brought-back-348846, Zugriff 16.12.2022
USCIRF - United States Commission on International Religious Freedom [USA] (3.2023): Annual Report 2023, https://www.uscirf.gov/sites/default/files/2024-01/AR 2023.pdf, Zugriff 5.3.2024
USDOS - United States Department of State [USA] (15.5.2023): 2022 Report on International Religious Freedom: Afghanistan, https://www.ecoi.net/en/document/2091855.html, Zugriff 16.5.2023
Ethnische Gruppen
Letzte Änderung 2024-03-28 12:04
In Afghanistan leben laut Schätzungen zwischen 34,3 (NSIA 4.2022) und 38,3 Millionen Menschen (8am 30.3.2022; vgl. CIA 1.2.2024). Zuverlässige statistische Angaben zu den Ethnien Afghanistans und zu den verschiedenen Sprachen existieren nicht (STDOK 7.2016; vgl. CIA 1.2.2024), da die Behörden des Landes nie eine nationale Volkszählung durchgeführt haben. Es ist jedoch allgemein anerkannt, dass keine der ethnischen Gruppen des Landes eine Mehrheit bildet, und die genauen prozentualen Anteile der einzelnen Gruppen an der Gesamtbevölkerung Schätzungen sind und oft stark politisiert werden (MRG 5.1.2022).
Die größten Bevölkerungsgruppen sind Paschtunen (32-42 %), Tadschiken (ca. 27 %), Hazara (ca. 9-20 %) und Usbeken (ca. 9 %), gefolgt von Turkmenen und Belutschen (jeweils ca. 2 %) (AA 26.6.2023).
Ethnische Spannungen zwischen unterschiedlichen Gruppen resultierten weiterhin in Konflikten und Tötungen (USDOS 20.3.2023).
Die Taliban gehören mehrheitlich der Gruppe der Paschtunen an. Seit der Machtübernahme der Taliban werden nicht-paschtunische Ethnien in staatlichen Stellen zunehmend marginalisiert. So gibt es in der Taliban-Regierung z. B. nur wenige Vertreter der usbekischen und tadschikischen Minderheit sowie lediglich einen Vertreter der Hazara (AA 26.6.2023).
Die Taliban haben wiederholt erklärt, alle Teile der afghanischen Gesellschaft zu akzeptieren und ihre Interessen berücksichtigen zu wollen. Aber selbst auf lokaler Ebene werden Minderheiten, mit Ausnahmen in ethnisch von Nicht-Paschtunen dominierten Gebieten vor allem im Norden, kaum für Positionen im Regierungsapparat berücksichtigt, da diese v. a. paschtunischen Taliban-Mitgliedern vorbehalten sind. Darüber hinaus lässt sich keine klare, systematische Diskriminierung von Minderheiten durch die Taliban-Regierung feststellen, solange diese den Machtanspruch der Taliban akzeptieren (AA 26.6.2023).
Quellen
8am - Hasht-e Sobh (30.3.2022): NSIA Estimates Afghanistan’s Population 34.3 Million, https://8am.media/eng/nsia-estimates-afghanistans-population-34-3-million, Zugriff 19.12.2022
AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (26.6.2023): Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in Afghanistan - Lagefortschreibung - (Stand: Juni 2023), https://www.ecoi.net/en/document/2094871.html, Zugriff 9.8.2023 [Login erforderlich]
CIA - Central Intelligence Agency [USA] (1.2.2024): Afghanistan - The World Factbook, https://www.cia.gov/the-world-factbook/countries/afghanistan/#people-and-society, Zugriff 7.2.2024
MRG - Minority Rights Group (5.1.2022): Hazaras, https://minorityrights.org/minorities/hazaras, Zugriff 19.12.2022
NSIA - National Statistic and Information Authority [Afghanistan] (4.2022): Estimated Population of Afghanistan 2022-2023, liegt im Archiv der Staatendokumentation auf, https://cloud.staatendokumentation.at/index.php/apps/files/?dir=coi-cms-archive/9b/86 fileid=04439056o
STDOK - Staatendokumentation des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl [Österreich] (7.2016): Grundlagen der Stammes- Clanstruktur, https://www.ecoi.net/en/file/local/1236701/90_1470057716_afgh-stammes-und-clanstruktur-onlineversion-2016-07.pdf, Zugriff 19.12.2022
USDOS - United States Department of State [USA] (20.3.2023): 2022 Country Report on Human Rights Practices: Afghanistan, https://www.ecoi.net/en/document/2089060.html, Zugriff 15.5.2023
Personen denen vorgeworfen wird, von westlichen Werten beeinflusst zu sein
Letzte Änderung 2024-04-09 06:30
Berichten zufolge haben die Taliban das Ziel, die afghanische Gesellschaft zu "reinigen" (JS 20.4.2023; vgl. WP 18.2.2023) und "ausländischen" Einfluss aus Afghanistan zu vertreiben (CTC Sentinel 9.8.2022). Die afghanische Gesellschaft soll von allem "gesäubert" werden, was die Taliban als "westliche" Werte ansehen, einschließlich Bildung für Mädchen, Beschäftigung und Bewegungsfreiheit für Frauen sowie Meinungs- und Versammlungsfreiheit (JS 20.4.2023).
Während einer vom Dänischen Flüchtlingsrat (DRC) am 28.11.2022 organisierten Konferenz gab Dr. Liza Schuster, Dozentin für Soziologie an der University of London, an, dass diejenigen, die nach 2021 ausgereist sind, von den Taliban oft als "Verräter" angesehen werden. Einzelne Taliban-Mitglieder erklären in weitverbreiteten Videoaufnahmen, dass es eine Sünde sei, Afghanistan zu verlassen, und diejenigen, die gehen, werden als Sünder bezeichnen. Darüber hinaus erklärte Dr. Schuster, dass die Taliban Profile in den sozialen Medien kontrollieren und Personen deshalb der moralischen Korruption bezichtigt wurden. Familienangehörige von Ausgereisten wurden laut Dr. Schuster auch von Taliban-Beamten und Nachbarn schikaniert, unter anderem durch Vertreibungen und aggressive Verhöre (DRC 28.11.2022; vgl. EUAA 12.2023).
So haben sie in einigen Gegenden Anweisungen gegen das Kürzen von Bärten erlassen und Männern geraten, keine westliche Kleidung zu tragen (RFE/RL 17.6.2022). Obwohl keine allgemeine Kleiderordnung für Männer erlassen wurde (India Today 28.7.2023; vgl. EUAA 12.2023), finden sich auf Social Media Angaben von jungen afghanischen Männern, die von Taliban-Kämpfern geschlagen wurden, weil sie "westliche" Kleidung wie Jeans trugen (WION 27.7.2023). Auch wurde Regierungsangestellten angeordnet, sich einen Bart wachsen zu lassen und eine Kopfbedeckung zu tragen. Es wurde berichtet, dass in bestimmten Fällen gegen jene vorgegangen wurde, die sich nicht an diese Anordnungen gehalten haben (Afintl 1.3.2024; vgl. REU 28.3.2022). Ein Taliban-Beamter rief dazu auf, die Krawatte nicht mehr zu tragen, da sie ein Symbol für das christliche Kreuz sei (BAMF 31.12.2023; vgl. AT 26.7.2023), wobei die Taliban bereits im Jahr 2022 Studenten und Lehrende dazu aufriefen, keine Krawatten zu tragen (TN 15.4.2022).
Im Februar 2024 hielt ein hochrangiger Taliban Medienschaffende in Afghanistan dazu an, auf das Rasieren von Bärten und das Fotografieren zu verzichten. Er sagte weiter, dass der Bartwuchs im Islam obligatorisch sei und dass es eine große Sünde sei, ihn zu rasieren (KaN 21.2.2024; vgl. KP 21.2.2024). Zuvor hatte der Gouverneur der Taliban in Kandahar kürzlich eine schriftliche Anweisung an alle Institutionen und Behörden der Taliban in dieser Provinz herausgegeben, die das Fotografieren von formellen und informellen Treffen und Zeremonien verbietet (KP 21.2.2024; vgl. WION 19.2.2024). Im März 2024 gab ein Sprecher des Ministeriums für die Verbreitung von Tugend und die Verhinderung von Lastern an, dass "dünne Kleidung" im Widerspruch zur Scharia und der afghanischen Kultur stehen würde, und forderte Händler auf, auf die Einfuhr solcher Kleidung zu verzichten (Afintl 1.3.2024).
Es gibt jedoch auch Berichte über Menschen, die in Kabul in bestimmten Teilen der Stadt T-Shirts und westliche Kleidung mit US-Motiven trugen (NYT 29.6.2023; vgl. SIGA 25.7.2023). Es wird auch darauf hingewiesen, dass man sich in Afghanistan praktisch alles kaufen kann, wenn man das Geld dazu hat (SIGA 25.7.2023). Außerdem berichtete die New York Times über Fast-Food-Restaurants und Bodybuilding-Fitnessstudios, die es in Kabul-Stadt gibt. Die Autoren erklären sich diese Dissonanz damit, dass in Kabul gemäßigtere Beamte tätig sind, als in der Kernzone der Taliban in Kandahar (NYT 29.6.2023).
Während einigen Quellen zufolge Musik in Afghanistan verboten ist (KP 6.2.2024; vgl. UNGA 9.9.2022), berichten andere, dass das Spielen von Musik in der Öffentlichkeit verboten sei (BBC 31.7.2023) und dass Taliban Veranstaltungen, bei denen Musik gespielt wird, unterbrechen und Menschen wegen des Spielens von Musik verhaften (Rukhshana 22.7.2022; vgl. KP 6.2.2024), während in einigen Lokalen in Kabul weiterhin Musik gespielt wird (SIGA 25.7.2023; vgl. NYT 29.6.2023). In Kandahar wurde durch das Ministerium für die Verbreitung von Tugend und die Verhinderung von Lastern das Spielen und Hören von Musik in der ganzen Stadt verboten (8am 27.6.2023) und in Kabul forderten die Taliban Besitzer von Hochzeitssälen auf, keine Musik zu spielen (RFE/RL 12.6.2023). Berichten zufolge konfiszieren Taliban Musikinstrumente und verbrennen sie öffentlich (DW 31.7.2023; vgl. RFE/RL 18.8.2023) und gehen auch gegen Personen vor, die Musik in Privatfahrzeugen oder auf Telefonen abspielen (Afintl 31.7.2023).
Quellen
8am - Hasht-e Sobh (27.6.2023): Dozens Arrested and Tortured by Taliban in Kandahar for Shaving Beards, https://8am.media/eng/dozens-arrested-and-tortured-by-taliban-in-kandahar-for-shaving-beards, Zugriff 20.3.2024
Afintl - Afghanistan International (1.3.2024): Taliban Introduces New Restriction On Attire For Athletes, https://www.afintl.com/en/202401037969, Zugriff 20.3.2024
Afintl - Afghanistan International (31.7.2023): Taliban Confiscates Memory Chips From Passenger Vehicles To Stop Music In Badakhshan, https://www.afintl.com/en/202307314694?nxtPslug=202307314694, Zugriff 20.3.2024
AT - Afghanistan Times (26.7.2023): Taliban say neckties a sign of cross and must be eliminated, https://www.afghanistantimes.af/taliban-say-neckties-a-sign-of-cross-and-must-be-eliminated, Zugriff 20.3.2024
BAMF - Bundesamt für Migration und Flüchtlinge [Deutschland] (31.12.2023): Briefing Notes Zusammenfassung: Afghanistan - Juli bis Dezember 2023, https://milo.bamf.de/OTCS/cs.exe/app/nodes/29188455, Zugriff 22.1.2024 [Login erforderlich]
BBC - British Broadcasting Corporation (31.7.2023): Afghanistan: Taliban burn ‘immoral’ musical instruments, https://www.bbc.com/news/world-asia-66357611, Zugriff 30.1.2024
CTC Sentinel - Combating Terrorism Center at Westpoint (9.8.2022): One Year After the Taliban Takeover, https://ctc.westpoint.edu/wp-content/uploads/2022/08/CTC-SENTINEL-082022.pdf, Zugriff 13.12.2023
DRC - Danish Refugee Council (28.11.2022): Afghanistan conference: The Human Rights Situation after August 2021, https://asyl.drc.ngo/media/13vhsflb/drc-afghanistan-conference-report-28nov2022.pdf, Zugriff 3.4.2024
DW - Deutsche Welle (31.7.2023): Afghanistan: Taliban burn musical instruments, https://www.dw.com/en/afghanistan-taliban-burn-musical-instruments-as-crackdown-widens/a-66390574, Zugriff 30.1.2024
EUAA - European Union Agency for Asylum (12.2023): Afghanistan Country Focus, https://www.ecoi.net/en/file/local/2101835/2023_12_EUAA_COI_Report_Afghanistan_Country_Focus.pdf, Zugriff 7.2.2024
India Today - India Today (28.7.2023): Taliban now wage a war against necktie, call it ’sign of Christian cross, https://www.indiatoday.in/world/story/afghanistan-neckties-ban-tie-sign-of-cross-afghanistan-men-dress-code-2412949-2023-07-28, Zugriff 20.3.2024
JS - Just Security (20.4.2023): Time for the United States to Rethink its Strategy for Afghanistan, https://www.justsecurity.org/86054/time-for-the-united-states-to-rethink-its-strategy-for-afghanistan, Zugriff 13.12.2023
KaN - Kabul Now (21.2.2024): KabulNow, https://kabulnow.com/2024/02/as-media-space-tightens-taliban-instructs-journalists-to-grow-beards-and-not-photograph, Zugriff 20.3.2024
KP - Khaama Press (21.2.2024): Media employees sin by shaving beards and taking photos: Taliban Officials, https://www.khaama.com/media-employees-sin-by-shaving-beards-and-taking-photos-taliban-officials, Zugriff 20.3.2024
KP - Khaama Press (6.2.2024): Dance and Music banned: At least 10 detained in Northeastern Afghanistan, https://www.khaama.com/dance-and-music-banned-at-least-10-detained-in-northeastern-afghanistan, Zugriff 20.3.2024
NYT - New York Times, The (29.6.2023): Afghanistan Has Ousted Americans, but Cultural Influences Remain, https://www.nytimes.com/2023/06/29/world/asia/kabul-afghanistan-western-influence.html, Zugriff 20.3.2024 [kostenpflichtig, Login erforderlich]
REU - Reuters (28.3.2022): Taliban bars government employees without beards from work, https://www.reuters.com/world/asia-pacific/taliban-bars-government-employees-without-beards-work-sources-2022-03-28, Zugriff 20.3.2024
RFE/RL - Radio Free Europe/Radio Liberty (18.8.2023): ’I Feel Suffocated’: Taliban Intensifies Clampdown On Music In Afghanistan, https://www.rferl.org/a/taliban-intensifies-crackdown-music-afghanistan/32551971.html, Zugriff 20.3.2024
RFE/RL - Radio Free Europe/Radio Liberty (12.6.2023): Taliban Calls For Strict Ban On Music At Kabul Wedding Halls, https://www.rferl.org/a/taliban-bans-music-kabul-wedding-halls/32455849.html, Zugriff 20.3.2024
RFE/RL - Radio Free Europe/Radio Liberty (17.6.2022): Afghan Bodybuilders Fear Taliban Restrictions Could Kill Their Popular Sport, https://www.rferl.org/a/afghanistan-taliban-bodybuilding-restrictions/31902873.html, Zugriff 20.3.2024
Rukhshana - Rukhshana Media (22.7.2022): ‘The best night of my life turned into the worst one’: Taliban disrupt wedding parties, insult and detain people for playing music, https://rukhshana.com/en/the-best-night-of-my-life-turned-into-the-worst-one-taliban-disrupt-wedding-parties-insult-and-detain-people-for-playing-music, Zugriff 20.3.2024
SIGA - Swiss Institute for Global Affairs (25.7.2023): Life under the Taliban, https://www.globalaffairs.ch/2023/07/25/life-under-the-taliban/, Zugriff 23.2.2024
TN - Tolonews (15.4.2022): Male Students, Teachers Should Not Wear Ties, https://tolonews.com/afghanistan-177593, Zugriff 20.3.2024
UNGA - United Nations General Assembly (9.9.2022): Situation of human rights in Afghanistan, https://www.ecoi.net/en/file/local/2078445/G2248343.pdf, Zugriff 20.3.2024
WION - World Is One News (19.2.2024): Afghanistan: Kandahar officials ordered by Taliban not to photograph 'living things', https://www.wionews.com/south-asia/afghanistan-kandahar-officials-ordered-not-to-photograph-living-things-691518, Zugriff 20.3.2024
WION - World Is One News (27.7.2023): Taliban’s latest jihad on western dress, say neckties ‘resemble’ Christian cross, https://www.wionews.com/south-asia/talibans-latest-jihad-on-western-dress-say-neckties-resembles-christian-cross-619990, Zugriff 21.3.2024
WP - Washington Post, The (18.2.2023): Taliban forging religious emirate in Afghanistan with draconian Islamic law, https://www.washingtonpost.com/world/interactive/2023/afghanistan-taliban-islamic-law-rights, Zugriff 13.12.2023
Bewegungsfreiheit
Letzte Änderung 2024-03-29 09:44
Afghanistan befindet sich aktuell weitgehend unter der Kontrolle der Taliban; Widerstandsgruppen gelingt es bislang nicht oder nur vorübergehend, effektive territoriale Kontrolle über Gebiete innerhalb Afghanistans auszuüben. Dauerhafte Möglichkeiten, dem Zugriff der Taliban auszuweichen, bestehen daher gegenwärtig nicht. Berichte über Verfolgungen machen deutlich, dass die Taliban aktiv versuchen "Ausweichmöglichkeiten" im Land zu unterbinden (AA 26.6.2023).
Nach der Machtübernahme durch die Taliban im August 2021 war der Reiseverkehr zwischen den Städten im Allgemeinen ungehindert möglich (USDOS 20.3.2023). Die Taliban setzen jedoch Kontrollpunkte ein, um den Verkehr innerhalb des Landes zu regeln, und es wird berichtet, dass sie Reisende durchsuchen und nach bekannten oder vermeintlichen Regimegegnern fahnden. Außerdem werden Mobiltelefone und Social-Media-Aktivitäten der Reisenden überprüft (FH 9.3.2023). So wurde im Jahr 2022 berichtet, dass zwischen dem Flughafen von Kabul und der Stadt Kabul bewaffnete Taliban Kontrollpunkte besetzen und die Straßen patrouillierten (VOA 12.5.2022; vgl. NPR 9.6.2022). Einem ehemaligen afghanischen Militärkommandanten zufolge überprüfen Taliban-Kräfte die Namen und Gesichter von Personen an Kontrollpunkten anhand von "Listen mit Namen und Fotos ehemaliger Armee- und Polizeiangehöriger" (HRW 30.3.2022). Meistens handelt es sich um Routinekontrollen (IOM 22.2.2024), bei denen nur wenig kontrolliert wird (SIGA 25.7.2023). Wenn jedoch ein Kontrollpunkt aus einem bestimmten Grund eingerichtet wird, kann diese Durchsuchung darauf abzielen, bestimmte Gegenstände wie Drogen, Waffen oder Sprengstoff aufzuspüren. Kontrollpunkte, die von den Taliban besetzt sind, sind über ganz Afghanistan verteilt und befinden sich in der Regel entlang der Hauptversorgungsrouten und in der Nähe der Zugänge zu größeren Städten. Die Haltung und der Umfang der Durchsuchungen an diesen Kontrollpunkten variieren je nach Sicherheitslage. Darüber hinaus werden je nach Bedarf Kontrollpunkte und Straßensperren für Suchaktionen, Sicherheitsvorfälle oder VIP-Bewegungen eingerichtet (IOM 22.2.2024).
Seit Dezember 2021 ist es afghanischen Frauen untersagt, ohne einen Mahram Fernreisen zu unternehmen. Innerhalb besiedelter Gebiete konnten sich Frauen freier bewegen, obwohl es immer häufiger Berichte über Frauen ohne Mahram gab, die angehalten und befragt wurden (USDOS 20.3.2023). Das Taliban-Ministerium für die Verbreitung von Tugend und die Verhinderung von Lastern hat es Fahrern verboten, allein reisende Frauen mitzunehmen (RFE/RL 19.1.2022; vgl. DW 26.12.2021). Zu darüber hinausgehenden Bewegungseinschränkungen liegen IOM-Afghanistan keine offiziellen Berichte vor. Es gab jedoch Fälle, in denen Bürger misshandelt wurden, weil sie sich nicht an die von den Taliban auferlegten üblichen Regeln hielten. IOM berichtet auch über eine steigende Anzahl von Vorfällen, bei denen UNSMS-Personal (United Nations Security Management System) vorübergehend angehalten wurde, wobei hier die Vorgehensweise der Taliban je nach Ort unterschiedlich ist (IOM 22.2.2024).
Anm.: Mahram kommt von dem Wort "Haram" und bedeutet "etwas, das heilig oder verboten ist". Im islamischen Recht ist ein Mahram eine Person, die man nicht heiraten darf, und es ist erlaubt, sie ohne Kopftuch zu sehen, ihre Hände zu schütteln und sie zu umarmen, wenn man möchte. Nicht-Mahram bedeutet also, dass es nicht Haram ist, sie zu heiraten, von einigen Ausnahmen abgesehen. Das bedeutet auch, dass vor einem Nicht-Mahram ein Hijab getragen werden muss (Al-Islam TV 30.10.2021; vgl. GIWPS 8.2022).
Quellen
AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (26.6.2023): Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in Afghanistan - Lagefortschreibung - (Stand: Juni 2023), https://www.ecoi.net/en/document/2094871.html, Zugriff 9.8.2023 [Login erforderlich]
Al-Islam TV - Al-Islam TV (30.10.2021): Who Is Your Mahram and Non Mahram?, https://www.al-islam.org/media/who-your-mahram-and-non-mahram, Zugriff 2.1.2023
DW - Deutsche Welle (26.12.2021): Taliban clamp down on women’s taxi use, https://www.dw.com/en/afghanistan-taliban-clamp-down-on-womens-taxi-use/a-60259611, Zugriff 3.2.2023
FH - Freedom House (9.3.2023): Freedom in the World 2023 - Afghanistan, https://www.ecoi.net/en/document/2092936.html, Zugriff 8.9.2023
GIWPS - Georgetown Institute for Women, Peace and Security (8.2022): Women’s Mobility in Islam Mahram: Women’s Mobility in Islam
HRW - Human Rights Watch (30.3.2022): New Evidence that Biometric Data Systems Imperil Afghans, https://www.hrw.org/news/2022/03/30/new-evidence-biometric-data-systems-imperil-afghans, Zugriff 15.12.2022
IOM - International Organization for Migration (22.2.2024): Information on the socio-economic situation in Afghanistan, https://www.ecoi.net/en/file/local/2104781/Socioeconomic Information Update Afghanistan.pdf, Zugriff 23.2.2024 [Login erforderlich]
NPR - National Public Radio (9.6.2022): NPR travels to Afghanistan for the 1st time since the Taliban took over, https://www.npr.org/2022/06/09/1104000154/npr-travels-to-afghanistan-for-the-1st-time-since-the-taliban-took-over, Zugriff 20.12.2022
RFE/RL - Radio Free Europe/Radio Liberty (19.1.2022): Afghans Fear For Their Rights As Taliban Resurrects Religious Policing, https://www.rferl.org/a/afghanistan-taliban-religious-policing/31642688.html, Zugriff 16.12.2022
SIGA - Swiss Institute for Global Affairs (25.7.2023): Life under the Taliban, https://www.globalaffairs.ch/2023/07/25/life-under-the-taliban/, Zugriff 23.2.2024
USDOS - United States Department of State [USA] (20.3.2023): 2022 Country Report on Human Rights Practices: Afghanistan, https://www.ecoi.net/en/document/2089060.html, Zugriff 15.5.2023
VOA - Voice of America (12.5.2022): Afghan Interpreter Eludes 12 Taliban Checkpoints to Escape Into Pakistan, Travel On to US, https://www.voanews.com/a/afghan-interpreter-eludes-12-taliban-checkpoints-to-escape-into-pakistan-travel-on-to-us/6568399.html, Zugriff 20.12.2022
Rückkehr
Letzte Änderung 2024-04-05 06:35
Nach Angaben von UNHCR sind zwischen Jänner und August 2023 8.029 afghanische Flüchtlinge nach Afghanistan zurückgekehrt (95 % aus Pakistan, 4% aus Iran und 1 % aus anderen Ländern). Die Zahl der Rückkehrer in den ersten sieben Monaten des Jahres 2023 war fünfmal so hoch wie die Zahl der Rückkehrer im gleichen Zeitraum des Jahres 2022 (UNHCR 1.8.2023). Als Hauptgründe für die Rückkehr aus Iran und Pakistan nannten die Rückkehrer die Lebenshaltungskosten und den Mangel an Beschäftigungsmöglichkeiten in den Aufnahmeländern, die verbesserte Sicherheitslage in Afghanistan und die Wiedervereinigung mit der Familie. Im Jahr 2023 kehrten 57 % der Flüchtlinge in fünf Provinzen zurück: Kabul (21 %), Kunduz (13 %), Kandahar (10 %), Nangarhar (7 %) und Jawzjan (6 %). Außerdem hielten sich 72 % der Rückkehrer seit mehr als zehn Jahren im Asylland auf und 25 % wurden im Asylland geboren (UNHCR 24.7.2023). Am 3.10.2023 billigte der nationale Apex-Ausschuss Pakistans einen Plan zur Rückführung von über einer Million Ausländern ohne gültige Papiere, überwiegend Afghanen, die das Land bis zum 1.11.2024 verlassen sollten. Seit dem 15.9.2023 sind mit Stand März 2024 über eine halbe Million Afghanen aus Pakistan nach Afghanistan zurückgekehrt. Der größte Teil dieser Bewegungen fand im November 2023 statt, danach ging die Zahl deutlich zurück, wobei der Januar und die erste Februarhälfte 2024 die niedrigsten Zahlen verzeichneten. In den letzten beiden Wochen des Februars ist wieder ein Anstieg der Rückkehrer zu verzeichnen (UNHCR 8.3.2024).
Anm.: Für weitere Informationen zu diesem Thema sei auf das Unterkapitel "Pakistan" im Kapitel "Afghanische Flüchtlinge in Iran und Pakistan" verwiesen.
Auch wenn es nur wenig Informationen zu Rückkehrern aus Europa nach Afghanistan gibt, berichtet das österreichische BMI (Bundesministerium für Inneres) (BMI 27.3.2024) und andere Quellen (MEE 1.6.2022; vgl. AAN 20.1.2024, DRC 28.11.2022), dass es auch nach der Machtübernahme der Taliban zur freiwilligen Rückkehr afghanischer Staatsbürger kommt (MEE 1.6.2022; vgl. AAN 20.1.2024). Dem Afghanistan Analysts Network (AAN) zufolge kehren auch einige Mitarbeiter der ehemaligen Regierung und internationaler NGOs nach Afghanistan zurück, darunter ein Mitarbeiter einer NGO, der mit seiner Familie nach zwei Jahren Aufenthalt in Dänemark nach Afghanistan zurückkehrte (AAN 20.1.2024). Auch die Nachrichtenagentur Middle East Eye berichtet von der freiwilligen Rückkehr von Afghanen, darunter Mitarbeiter von internationalen NGOs (MEE 1.6.2022) und nach Angaben von EUAA gibt es auch freiwillige Rückkehrer aus den USA (EUAA 12.2023). Die Taliban haben am 16.3.2022 eine Kommission unter Leitung des Taliban-Ministers für Bergbau und Petroleum ins Leben gerufen, die Mitglieder der ehemaligen wirtschaftlichen und politischen Elite überzeugen soll, nach Afghanistan zurückzukehren. Im Rahmen dieser Bemühungen sollen inzwischen 200 mehr oder weniger prominente Persönlichkeiten nach Afghanistan zurückgekehrt sein, darunter auch ehemalige Minister und Parlamentarier. Die Taliban-Regierung trifft widersprüchliche Aussagen darüber, ob es den Rückkehrern gestattet sein wird, sich politisch zu engagieren (AA 26.6.2023).
IOM hat aufgrund der aktuellen Lage vor Ort die Option der Unterstützung der freiwilligen Rückkehr und Reintegration seit 16.8.2021 für Afghanistan bis auf Weiteres weltweit ausgesetzt. Es können somit derzeit keine freiwilligen Rückkehrer aus Österreich nach Afghanistan im Rahmen des Projektes RESTART III unterstützt werden. IOM Afghanistan hält jedoch die Kommunikation mit ehemaligen Rückkehrern aufrecht, um humanitäre Hilfe anzubieten, die Stabilisierung der Gemeinschaft zu unterstützen und die interne Migration in Zusammenarbeit mit den Taliban-Behörden, humanitären Partnern und lokalen Gemeinschaften zu steuern. IOM Afghanistan wendet verschiedene Methoden an, um mit ehemaligen unterstützten Rückkehrern in Afghanistan in Kontakt zu bleiben. Dazu gehören das Engagement in den Gemeinden, eine zentralisierte Datenbank (Displacement Tracking Matrix [DTM]) und die direkte Kommunikation als Folgemaßnahme, insbesondere mit den Begünstigten, die von IOM direkt mit ihren Diensten durch Überwachungs- und Folgebesuche unterstützt wurden (IOM 22.2.2024).
Nach dem deutschen Auswärtigen Amt dürften Rückkehrende nur in Einzelfällen über die notwendigen sozialen und familiären Netzwerke verfügen, um die desolaten wirtschaftlichen Umstände abzufedern (AA 26.6.2023). Auch Dr. Liza Schuster, Dozentin für Soziologie an der University of London, spricht über die schwierige wirtschaftliche Lage der Rückkehrende aus Europa und hebt, mit Verweis auf den Afghanistanexperten Thomas Ruttig, die hohe Bedeutung der sozialen Netzwerke im Falle einer Rückkehr hervor (DRC 28.11.2022). Weiterhin sehen sich viele Rückkehrer, dem Stigma versagt zu haben, ausgesetzt (DRC 28.11.2022; vgl. AAN 20.1.2024).
Nach Einschätzung von UNAMA besteht die Möglichkeit, dass im Ausland straffällig gewordene Rückkehrende, wenn die Tat einen Bezug zu Afghanistan aufweist, in Afghanistan zum Opfer von Racheakten z. B. von Familienmitgliedern der Betroffenen werden können; auch eine erneute Verurteilung durch das von den Taliban kontrollierte Justizsystem ist nicht ausgeschlossen, wenn der Fall den Behörden bekannt würde (AA 26.6.2023).
Quellen
AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (26.6.2023): Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in Afghanistan - Lagefortschreibung - (Stand: Juni 2023), https://www.ecoi.net/en/document/2094871.html, Zugriff 9.8.2023 [Login erforderlich]
AAN - Afghanistan Analysts Network (20.1.2024): The Daily Hustle: My life as a refugee – and choosing to return home, https://www.ecoi.net/en/document/2104198.html, Zugriff 2.4.2024
BMI - Bundesministerium für Inneres [Österreich] (27.3.2024): Informationen zur afghanischen Botschaft in Wien via E-Mail
DRC - Danish Refugee Council (28.11.2022): Afghanistan conference: The Human Rights Situation after August 2021, https://asyl.drc.ngo/media/13vhsflb/drc-afghanistan-conference-report-28nov2022.pdf, Zugriff 3.4.2024
EUAA - European Union Agency for Asylum (12.2023): Afghanistan Country Focus, https://www.ecoi.net/en/file/local/2101835/2023_12_EUAA_COI_Report_Afghanistan_Country_Focus.pdf, Zugriff 7.2.2024
IOM - International Organization for Migration (22.2.2024): Information on the socio-economic situation in Afghanistan, https://www.ecoi.net/en/file/local/2104781/Socioeconomic Information Update Afghanistan.pdf, Zugriff 23.2.2024 [Login erforderlich]
MEE - Middle East Eye (1.6.2022): On an Istanbul-Kabul flight, refugees and emigres prepare to see a new Afghanistan, https://www.middleeasteye.net/news/afghanistan-istanbul-kabul-flight-refugees-emigres-prepare, Zugriff 3.4.2024
UNHCR - United Nations High Commissioner for Refugees (8.3.2024): Pakistan-Afghanistan; Returns Emergency Response as of 7 March 2024, https://www.ecoi.net/en/file/local/2105353/Pakistan-Afghanistan Returns Emergency Response 11 - 8 March 2024.pdf, Zugriff 21.3.2024
UNHCR - United Nations High Commissioner for Refugees (1.8.2023): Afghanistan Situation Update - 1 August 2023, https://data2.unhcr.org/en/documents/details/103085?_kx=geZMpaDDK-jQ3Afth9Qg7BrXHxj4q-CZODhu-eKHycMuJSDGU-7NYOWPD95FZZPh.QSR88A, Zugriff 11.9.2023
UNHCR - United Nations High Commissioner for Refugees (24.7.2023): UNHCR RBAP; Afghanistan Situation; Voluntary Repatriation of Afghan Refugees; Quarterly Update; April – June 2023, https://www.ecoi.net/en/file/local/2095135/SWA Voluntary Repatriation 2023 Q2.pdf, Zugriff 11.8.2023
1.2.2. Auszug aus den Leitlinien zum internationalen Schutzbedarf von Personen, die aus Afghanistan fliehen (Update I – Stand Februar 2023, Schreibfehler teilweise korrigiert):
Einleitung
1. Diese Leitlinien ersetzen die Leitlinien zum internationalen Schutzbedarf von Personen, die aus Afghanistan fliehen, Februar 2022.
2. Die afghanische Zivilbevölkerung ist weiterhin schwerwiegend von der Sicherheits-, Menschenrechts- und humanitären Krise im Land betroffen. Bis zum Ende des Jahres 2022 wurde über eine Intensivierung der Aktivitäten von bewaffneten Oppositionsgruppen berichtet, wobei die UN Assistance Mission in Afghanistan (UNAMA) 22 bewaffnete Gruppierungen verzeichnete, die nach eigenen Angaben in 11 der insgesamt 34 afghanischen Provinzen agierten. Zwischen dem 17. August und dem 13. November 2022 verzeichneten die Vereinten Nationen 1.587 sicherheitsrelevante Vorfälle, ein Anstieg um 23% gegenüber dem gleichen Zeitraum im Jahr 2021. Die Provinzen mit der höchsten Anzahl an sicherheitsrelevanten Vorfällen waren Kabul, Herat und Kandahar. Insgesamt wurden 530 zivile Opfer verzeichnet (124 getötete und 406 verwundete Zivilpersonen).
3. Die De-facto-Behörden der Taliban haben Berichten zufolge schwerwiegende Menschenrechtsverletzungen begangen, darunter extralegale Tötungen, willkürliche Verhaftungen und Inhaftierungen, Folter und andere Formen von Misshandlungen. Zusätzlich haben die De-facto-Behörden der afghanischen Bevölkerung Einschränkungen ihrer Rechte auf Meinungs-, Meinungsäußerungs- und Versammlungsfreiheit auferlegt, welche die internationalen menschenrechtlichen Verpflichtungen Afghanistans verletzen. Die zunehmende Beschneidung der Menschenrechte von afghanischen Frauen und Mädchen durch die De-facto-Behörden wurde weitreichend verurteilt.
4. Afghanistan begegnet signifikanten ökonomischen Herausforderungen und einer schwerwiegenden humanitären Krise. Nach Schätzungen der Weltbank ist die afghanische Wirtschaft in den Jahren 2021 bis 2022 um insgesamt 30-35% geschrumpft. Während die Weltbank für den Zeitraum 2023-2024 ein Wachstum des Bruttoinlandsproduktes um 2-2,4% prognostiziert, warnt sie zugleich, dass dies angesichts des hohen Bevölkerungswachstums nicht zu einer Verbesserung des Pro-Kopf-Einkommens führen wird. Über 90% der afghanischen Bevölkerung leiden Schätzungen zufolge unter Nahrungsunsicherheit, wobei 19,9 Mio. Afghaninnen und Afghanen unter akuter Nahrungsunsicherheit leiden. Im Oktober 2022 berichtete UNDP, dass nun fast die gesamte afghanische Bevölkerung unterhalb der Armutsgrenze lebt.
5. Mit Stand 30. Juni 2022 waren konfliktbedingt ungefähr 3,4 Mio. Afghaninnen und Afghanen innerhalb des Landes vertrieben, während es schätzungsweise im Jahr 2022 32.424 neue Binnenvertriebene gab. Ebenfalls mit Stand 30. Juni 2022 betrug die Zahl der afghanischen Flüchtlinge weltweit ca. 2,84 Mio. Eine geschätzte Zahl von 232.306 Binnenvertriebenen kehrte im Jahr 2022 in ihre Heimatorte zurück, während 6.424 afghanische Flüchtlinge im Jahr 2022 freiwillig nach Afghanistan zurückkehrten. Internationaler Schutzbedarf
6. UNHCR ruft weiterhin alle Staaten dazu auf, der aus Afghanistan fliehenden Zivilbevölkerung Zugang zu ihrem Staatsgebiet zu gewähren, das Recht, Asyl zu suchen, zu garantieren und die Einhaltung des Non-Refoulement-Grundsatzes durchgehend sicherzustellen. UNHCR ruft die Staaten dazu auf, Ankommende, die internationalen Schutz suchen, zu registrieren und allen Betroffenen Nachweise über ihre Registrierung auszustellen.
7. Alle Anträge auf internationalen Schutz von afghanischen Staatsangehörigen und Personen mit vormaligem gewöhnlichen Aufenthalt in Afghanistan sollten in fairen und effizienten Verfahren im Einklang mit internationalem und regionalem Flüchtlingsrecht sowie anderen relevanten rechtlichen Standards behandelt werden.
8. Die noch nie dagewesene humanitäre Krise in Afghanistan darf nicht über die Situation weitverbreiteter Bedrohungen von Menschenrechten hinwegtäuschen. Personen, die aus Afghanistan fliehen, werden möglichweise zunächst ihre dringendsten Überlebensbedürfnisse als Fluchtgrund benennen. Dies sollte einer gründlichen Prüfung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Asylsuchender jedoch nicht entgegenstehen. Unter Verweis auf die geteilte Beweislast ruft UNHCR Entscheidungsträgerinnen und -träger dazu auf, sicherzustellen, dass Asylsuchende die Möglichkeit erhalten, ihre Fluchtgründe vollständig und vollumfänglich vorzutragen, einschließlich einer möglichen Furcht vor Verfolgung im Falle der Rückkehr. Internationaler Schutzbedarf von Frauen und Mädchen
9. Im Lichte des breiten Spektrums an zunehmend restriktiven Maßnahmen, welche die De-facto- Behörden afghanischen Frauen und Mädchen unter Verletzung ihrer Menschenrechte auferlegt haben, ist UNHCR der Ansicht, dass afghanische Frauen und Mädchen wahrscheinlich internationalen Flüchtlingsschutz gemäß der Genfer Flüchtlingskonvention benötigen. Im Dezember 2022 bemerkte der Generalsekretär der Vereinten Nationen, dass Frauenrechte in Afghanistan weiterhin schwerwiegend beschnitten würden. Im September 2022 äußerte der Sonderberichterstatter der Vereinten Nationen zur Menschenrechtslage in Afghanistan große Besorgnis über die erschütternden Rückschritte beim Genuss bürgerlicher, politischer, wirtschaftlicher, sozialer und kultureller Rechte durch Frauen und Mädchen seit der Machtübernahme durch die Taliban. In keinem anderen Land seien Frauen und Mädchen so schnell aus allen Bereichen des öffentlichen Lebens verschwunden, noch seien sie in allen Lebensbereichen so benachteiligt.
10. Beschränkungen der Rechte von Frauen und Mädchen in Afghanistan beinhalten Beschränkungen ihres Rechtes auf Bewegungsfreiheit, insbesondere durch das Erfordernis der Begleitung durch einen Mahram bei Reisen über 78 km und die Verpflichtung zum Tragen eines Hijabs außerhalb des eigenen Hauses. Beschränkungen des Rechtes von Frauen auf Bewegungsfreiheit haben direkte Auswirkungen auf andere Menschenrechte, einschließlich des Zugangs zu Gesundheitsversorgung. Es wird berichtet, dass sich Frauen selbst für eine Notfallversorgung nicht in Kliniken begeben können, wenn sie keine Begleitung durch einen Mahram arrangieren können, oder dass sie ohne eine solche Begleitung von Gesundheitszentren abgewiesen oder ihnen eine Behandlung verwehrt wird. Das Recht von Frauen auf Zugang zu einer Gesundheitsversorgung wird weiter dadurch beeinträchtigt, dass nur Ärztinnen die Erlaubnis haben, Patientinnen zu behandeln.
11. Trotz einer Ankündigung der De-facto-Behörden, dass Sekundarschulen für Mädchen am 23. März 2022 öffnen würden, wurde eine Schließung der Schulen nur wenige Stunden nach deren Öffnung landesweit angeordnet. Es gibt Berichte über wenige private Sekundarschulen in einigen Provinzen, die für Mädchen geöffnet seien; öffentliche Schulen waren jedoch mit Stand Dezember 2022 weiterhin geschlossen, und die überwältigende Mehrheit der Mädchen ist nicht in der Lage, eine Sekundarschule zu besuchen. Im Dezember 2022 gaben die De-facto-Behörden zudem bekannt, dass es Frauen nicht länger erlaubt sei, Universitäten zu besuchen.
12. UNAMA äußerte im Juli 2022, dass die bisherigen Schritte der De-facto-Behörden die Teilnahme von Frauen am Arbeitsleben schwerwiegend beschränkt hätten. UN News berichtete im August 2022, dass Frauen weitestgehend daran gehindert wurden, außerhalb des Hauses zu arbeiten. Am 24. Dezember 2022 gaben die De-facto-Behörden bekannt, dass Frauen nicht länger für Nichtregierungsorganisationen arbeiten könnten.
13. Die De-facto-Behörden haben die Meinungsfreiheit von Frauen Beschränkungen unterworfen, wobei die De-facto-Behörden Frauen, die an friedlichen Demonstrationen teilnahmen, belästigt und körperlich angegriffen haben. Zudem merkte der Sonderberichterstatter zur Menschenrechtslage in Afghanistan im September 2022 an, dass die Auswirkungen der durch die De-facto-Behörden auferlegten Beschränkungen der Medien für Frauen weitaus schwerwiegender seien. Nach Angaben von Reportern ohne Grenzen haben 84% der Journalistinnen seit der Machtübernahme der Taliban am 15. August 2021 ihre Arbeitsplätze verloren. Es wird berichtet, dass Menschenrechtsverteidigerinnen einem besonderen Risiko von Gewaltanwendung und Einschüchterung ausgesetzt sind.
14. Frauen und Mädchen in Afghanistan sind zudem Beschneidungen ihres Rechtes auf Zugang zur Justiz ausgesetzt, einschließlich in Bezug auf geschlechtsspezifische Gewalt. Im Oktober 2021 schätzte der Global Protection Cluster, dass ca. 90% aller Frauen in Afghanistan geschlechtsspezifische Gewalt erlebt hätten, mehrheitlich in der Form von Gewalt durch Intimpartner.
15. Obwohl die De-facto-Behörden im Dezember 2021 ein Dekret zum Verbot von Zwangsverheiratungen erlassen haben, ist die Zahl an Zwangs- und Kinderehen in Afghanistan stark gestiegen, bedingt durch Armut und eine sich verschlimmernde humanitäre und wirtschaftliche Lage, gepaart mit dem Fehlen anderweitiger Chancen für Mädchen aufgrund der Beschneidungen von Frauenrechten. Weitere Profile mit einem seit dem 15. August 2021 erhöhten Schutzbedarf
16. Basierend auf verfügbaren Berichten über weitverbreitete Menschenrechtsverletzungen in Afghanistan, darunter Berichte, die UNHCR im Rahmen seines breiten Monitoring-Programms von auf der Flucht und bereits im Ausland befindlichen Afghaninnen und Afghanen erhalten hat, werden viele Afghaninnen und Afghanen einen internationalen Schutzbedarf haben. Wie in den untenstehenden Absätzen 20-25 beschrieben, unterliegt die Informationsbeschaffung in Afghanistan ernsthaften Einschränkungen, die es schwierig machen, ein umfassendes Verständnis für die Behandlung von Afghaninnen und Afghanen mit verschiedenen Profilen in ganz Afghanistan zu erlangen. UNHCR ist jedoch besorgt über einen Anstieg des Bedarfes an internationalem Flüchtlingsschutz für aus Afghanistan fliehende Personen seit der Machtübernahme durch die Taliban.
Neben der oben beschriebenen Situation von Frauen und Mädchen zählen zu den Profilen mit einem seit dem 15. August 2021 erhöhten Bedarf an internationalem Flüchtlingsschutz:
(i) Afghaninnen und Afghanen, die mit der ehemaligen Regierung oder der internationalen Gemeinschaft in Afghanistan verbunden sind, einschließlich frühere Mitarbeitende von Botschaften und Angestellte internationaler Organisationen;
(ii) ehemalige Angehörige der afghanischen Sicherheitskräfte und Afghaninnen und Afghanen, die mit den ehemaligen internationalen Streitkräften in Afghanistan verbunden sind;
(iii) Journalistinnen und Journalisten und in der Medienbranche tätige Personen; Menschenrechtsverteidigerinnen und -verteidiger und Aktivistinnen und Aktivisten, sowie sie unterstützende Verteidigerinnen und Verteidiger;
(iv) Angehörige religiöser und ethnischer Minderheiten, einschließlich Hazaras;
(v) Afghaninnen und Afghanen mit unterschiedlichen sexuellen Orientierungen, geschlechtlichen Identitäten und/oder Ausdrucksweisen.
Diese Liste erhebt nicht den Anspruch, eine vollständige Aufzählung aller Afghaninnen und Afghanen zu enthalten, die möglicherweise eine begründete Furcht vor Verfolgung haben. Jeder Antrag auf internationalen Schutz sollte unter Berücksichtigung der von den Antragstellenden vorgebrachten Beweismittel sowie der verfügbaren und relevanten Herkunftslandinformationen inhaltlich geprüft werden. UNHCR merkt an, dass Familienangehörige und andere Personen, die mit von Verfolgung Bedrohten eng verbunden sind, häufig einem eigenen Risiko ausgesetzt sind.
Verfügbarkeit von Schutz
17. Im Lichte der verfügbaren Informationen über weitverbreitete Menschenrechtsverletzungen, die von den De-facto-Behörden begangen werden, geht UNHCR nicht davon aus, dass die De-facto-Behörden willens oder in der Lage sind, von Verfolgung bedrohten Afghaninnen und Afghanen Schutz zu gewährleisten, einschließlich in Fällen gesellschaftlicher Formen der Verfolgung durch Familienmitglieder und andere Mitglieder der Gemeinschaft.
Interne Flucht- oder Neuansiedlungsalternative
18. Angesichts der Unbeständigkeit der Situation in ganz Afghanistan sowie der ernsten wirtschaftlichen und humanitären Situation im Land hält UNHCR es nicht für angemessen, afghanischen Staatsangehörigen und Personen mit vormaligem gewöhnlichen Aufenthalt in Afghanistan internationalen Schutz unter Verweis auf eine interne Flucht- oder Neuansiedlungsalternative zu verwehren.
Ausschlussgründe
19. Unter afghanischen Schutzsuchenden können sich auch Personen befinden, die mit Handlungen in Verbindung stehen, die sie in den Anwendungsbereich der Ausschlussklausel des Artikel 1 F der Genfer Flüchtlingskonvention fallen lassen. In solchen Fällen wird es notwendig sein, sorgfältig zu prüfen, ob eine persönliche Verantwortung für Verbrechen besteht, die zum Ausschluss von der Flüchtlingseigenschaft führen können. Um den zivilen Charakter von Asyl zu bewahren, sollten Staaten zudem die Situation der Ankommenden genau prüfen, um jene zu identifizieren, die in militärische Handlungen involviert waren, und diese von der geflüchteten Zivilbevölkerung zu trennen.
Einschränkungen bei der Feststellung des Internationalen Schutzbedarfs
20. Seit der Machtübernahme des Landes herrschen die De-facto-Behörden mit Dekreten und verdrängen so den parlamentarischen Prozess. Bis heute ist diese Regierungsführung von Ungewissheit, Willkür und einer Missachtung von Rechtsstaatlichkeit geprägt. Die De-facto-Behörden sind dabei, den Rechtsrahmen und das Justizsystem Afghanistans auf die Scharia umzustellen. Im Dezember 2022 berichtete der UN-Generalsekretär, dass die De-facto-Behörden bisher nicht auf anhaltende Unklarheiten in Bezug auf die Rahmenbedingungen des politischen und rechtlichen Systems eingegangen seien und dass keine Schritte unternommen worden seien, die Rollenverteilung bei Entscheidungsprozessen innerhalb der De-facto-Behörden formal zu definieren, die nach der eigenen Aussage der Taliban auch weiterhin nur übergangsweise agieren. Der UN-Generalsekretär äußerte seine Besorgnis über die vorherrschende Unklarheit in Bezug auf anwendbare Gesetze. Im Oktober 2022 erklärte der Sprecher der Taliban, Zabihullah Mujahid, dass die Bemühungen um die Ausarbeitung einer neuen Verfassung im Gange seien. Im November 2022 machte der Oberste Führer der Taliban die Bestrafung nach dem Scharia-Recht, einschließlich öffentlicher Hinrichtungen und körperlicher Strafen, obligatorisch.
21. Die gegenwärtige Situation in Afghanistan stellt das Sammeln umfassender Informationen über die Menschenrechtslage in verschiedenen Landesteilen vor eine Reihe von Hindernissen. Zu diesen Hindernissen gehören die Einschränkungen der Medien in Afghanistan sowie der Zivilgesellschaft und von Menschenrechtsverteidigerinnen und -verteidigern. Der UN-Sonderberichterstatter zur Menschenrechtslage in Afghanistan erklärte im September 2022, dass seit dem 15. August 2021 der Zugang zu Informationen immer schwieriger geworden und die journalistische Unabhängigkeit und Meinungsfreiheit erheblich eingeschränkt worden sei. Der Sonderberichterstatter erklärte, dass fehlende Einkünfte und die Einstellung ausländischer Finanzierung, eingeschränkter Zugang zu Informationen, Selbstzensur, sowie ständiger Druck und Warnungen der De-facto-Behörden zur Schließung von Medienunternehmen oder Reduzierung der Medienaktivitäten beigetragen hätten. Einige Journalistinnen und Journalisten hätten außerdem ihre Arbeit eingestellt oder seien untergetaucht, nachdem sie von der Generaldirektion für Geheimdienste ernsthaft mit dem Leben bedroht worden. Besonders betroffen seien Journalistinnen und Journalisten sowie Medienunternehmen außerhalb der städtischen Ballungszentren. In mindestens vier Provinzen gebe es keine lokalen Medien und in 15 Provinzen hätten zwischen 40% und 80% der Medienunternehmen geschlossen.
22. Im Mai 2022 lösten die De-facto-Behörden die Unabhängige Afghanische Menschenrechtskommission (Afghanistan Independent Human Rights Commission, AIHRC), die Unabhängige Kommission zur Überwachung der Umsetzung der Verfassung und die Afghanische Unabhängige Anwaltskammer auf. Die AIHRC veröffentlichte im August 2022 dennoch einen Bericht über die Menschenrechtssituation in Afghanistan seit der Machtübernahme der Taliban, betonte jedoch, dass der Bericht keinen Anspruch auf Vollständigkeit oder Allgemeingültigkeit erhebe, da dutzende fortbestehender Menschenrechtsverletzungen aufgrund fehlender Möglichkeiten zur Menschenrechtsbeobachtung nicht erwähnt worden seien. Ebenso kommentierte UNAMA in seinem Bericht vom Juli 2022, dass der eigene UNAMA-Menschenrechtsdienst nicht den Anspruch erhebe, dass die in diesem Bericht präsentierten Daten – weder zu Menschenrechtsverletzungen noch zu zivilen Opfern – vollständig seien. UNAMA erkenne an, dass diese Art von Fällen auf Grund der momentanen Lage möglicherweise nicht konsequent gemeldet würden.
23. Der Protection Cluster in Afghanistan hat weitreichende Herausforderungen bei der Überwachung von Menschenrechten im Land identifiziert. Im November 2022 erklärte der Cluster, dass das Sammeln und Speichern von Daten zu Menschenrechtsverletzungen von besonderer Besorgnis sei und sowohl Betroffene als auch Dienstleistende in Gefahr bringen könne. Der Cluster berichtete, dass die Beobachtung der Menschenrechtssituation von Frauen und Mädchen in Afghanistan, auch in Bezug auf geschlechtsspezifische Gewalt, aufgrund der Einschränkungen, welche die De-facto-Behörden weiblichem Personal auferlegt haben, besonders schwierig geworden ist.
24. Angesichts der Hindernisse bei der Informationsbeschaffung und Berichterstattung über Afghanistan fordert UNHCR die Entscheidungsträgerinnen und -träger über Asylanträge afghanischer Staatsangehöriger auf, keine nachteiligen Schlussfolgerungen aus dem Fehlen verifizierter Herkunftslandinformationen zu schließen, die der Unterstützung und Untermauerung der vorgelegten Beweise durch die Antragstellenden dienen. In der aktuellen Lage in Afghanistan wird es regelmäßig der Fall sein, dass Menschenrechtsverletzungen und -verstöße häufig nicht berichtet und dokumentiert werden. Das Fehlen von Herkunftslandinformationen, die bestimmte Vorfälle oder Muster von Menschenrechtsverletzungen und Missbrauch beschreiben, sollte daher an sich kein Grund sein, an der Glaubhaftigkeit der Antragstellenden zu zweifeln, wenn deren Aussagen ansonsten kohärent und schlüssig sind.
25. Darüber hinaus appelliert UNHCR an die Entscheidungsträgerinnen und -träger, der Ungewissheit und Unvorhersehbarkeit, die den von den De-facto-Behörden angenommenen Modalitäten für den Erlass von Dekreten innewohnt, sowie den anhaltenden Ungewissheiten hinsichtlich der Anwendbarkeit des früheren afghanischen Rechtsrahmens das nötige Gewicht beizumessen. UNHCR vertritt die Ansicht, dass diese Umstände die Beurteilung eines künftigen Verfolgungsrisikos auf der Grundlage der derzeit verfügbaren Informationen zur Menschenrechtslage in Afghanistan besonders erschweren, insbesondere wenn es darum geht, mit der notwendigen Sicherheit abzuschätzen, ob afghanische Asylsuchende im Falle einer Rückkehr einer Verfolgungsgefahr ausgesetzt wären. Veränderte Umstände als Grund für neue Anträge oder Folgeanträge oder als Basis für Sur Place Ansprüche
26. UNHCR ruft die Aufnahmeländer auch dazu auf, sicherzustellen, dass afghanische Schutzsuchende, die ihre Anträge vor dem 15. August 2021 gestellt, aber bis dahin noch keine Entscheidung erhalten haben, zusätzliche Informationen vorbringen können, um ihre Anträge im Lichte der veränderten Umstände in Afghanistan und einem möglicherweise daraus resultierenden neuen oder erhöhten Risiko zu unterstützen. Gleichermaßen ruft UNHCR die Staaten dazu auf, sicherzustellen, dass Afghaninnen und Afghanen, die sich bereits vor dem 15. August 2021 außerhalb Afghanistans befunden haben, aber bis dahin keinen Asylantrag stellen mussten, einen sur place Asylantrag basierend auf den neuen Risiken, denen sie aufgrund der veränderten Umstände in Afghanistan ausgesetzt sein könnten, stellen können.
27. UNHCR ruft die Aufnahmeländer zudem dazu auf, sicherzustellen, dass Afghaninnen und Afghanen, deren Anträge auf internationalen Schutz vor dem 15. August 2021 abgelehnt wurden, einen neuen Antrag oder einen Folgeantrag auf der Grundlage stellen können, dass die gegenwärtige Situation in Afghanistan eine Veränderung der Umstände darstellt, die einen internationalen Schutzbedarf als Flüchtling oder in anderer Weise begründen könnte.
28. Angesichts der Vorrangigkeit der Genfer Flüchtlingskonvention ruft UNHCR die Aufnahmeländer dazu auf, Afghaninnen und Afghanen, die vor dem 15. August 2021 komplementäre Schutzformen erhalten haben - darunter auch der subsidiäre Schutz nach Unionsrecht –, welche im Hinblick auf den rechtlichen Status und den Zugang zu Rechten nicht gleichwertig mit dem Flüchtlingsschutz sind, eine neue Antragstellung auf Gewährung des Flüchtlingsstatus im Lichte der veränderten Umstände in Afghanistan zu erlauben. Vorübergehender Schutz
29. In Ländern ohne ein funktionierendes Asylsystem, oder in denen Staaten vor der Herausforderung stehen, ihr bestehendes Asylsystem an die Notwendigkeit anzupassen, eine potenziell große Anzahl an Schutzgesuchen afghanischer Staatsangehöriger zu prüfen, ruft UNHCR die Staaten weiterhin dazu auf, den Schutz aller Afghaninnen und Afghanen vor Refoulement im Einklang mit ihren Verpflichtungen nach internationalem und regionalem Recht sicherzustellen. UNHCR ermutigt die Staaten, eine Rechtsgrundlage für den Aufenthalt von Afghaninnen und Afghanen zu schaffen, wie beispielsweise Formen des vorübergehenden Schutzes oder andere Vereinbarungen mit angemessenen Sicherheitsgarantien, bis auf der Grundlage einer objektiven Beurteilung festgestellt werden kann, dass sich die Sicherheits- und Menschenrechtslage in Afghanistan dauerhaft verbessert hat und beim Fehlen eines internationalen Schutzbedarfs eine freiwillige Rückkehr zumutbar ist und in einer sicheren und würdevollen Weise durchgeführt werden kann. Familienzusammenführung
30. UNHCR ruft die Staaten weiterhin eindringlich dazu auf, die Verfahren für eine Familienzusammenführung für Afghaninnen und Afghanen, deren Familie in Afghanistan zurückgeblieben ist oder innerhalb der Region vertrieben wurde, zu erleichtern und zu beschleunigen. Der Grundsatz der Familieneinheit genießt Schutz nach internationalem Recht, einschließlich in verbindlichen regionalen Abkommen. Eine Familienzusammenführung ist häufig der einzige Weg um sicherzustellen, dass das Recht von Flüchtlingen auf Familienleben und Familieneinheit respektiert wird. Angesichts der gegenwärtigen Situation in Afghanistan ist UNHCR besorgt, dass viele Afghaninnen und Afghanen bei der Verwirklichung dieses Rechts vor erhebliche administrative Hürden gestellt werden können. Da viele Botschaften und Konsulate in Afghanistan derzeit geschlossen sind, ruft UNHCR die Länder eindringlich dazu auf, die Hürden zu berücksichtigen, mit denen Flüchtlinge bei der Erfüllung von anspruchsvollen administrativen Anforderungen und Nachweispflichten für eine Zusammenführung konfrontiert sein können. UNHCR schlägt vor, eine pragmatischere und flexiblere Herangehensweise zu wählen, wie etwa die Nutzung innovativer Bearbeitungsmethoden und Video-Interviews. UNHCR ermutigt Staaten, bei der Identifizierung berechtigter Familienmitglieder im Rahmen von Familienzusammenführungsprogrammen liberale und humane Kriterien anzuwenden und dabei vielfältige Familienzusammensetzungen und -strukturen zu berücksichtigen. Empfehlung eines Abschiebestopps
31. Aufgrund der volatilen Situation in Afghanistan, die noch für einige Zeit unsicher bleiben kann, sowie der weitreichenden humanitären Notlage im Land fordert UNHCR die Staaten weiterhin dazu auf, zwangsweise Rückführungen von afghanischen Staatsangehörigen und Personen mit vormaligem gewöhnlichen Aufenthalt in Afghanistan auszusetzen - auch für jene, deren Asylanträge abgelehnt wurden. Die Aussetzung von zwangsweisen Rückführungen stellt eine Mindestanforderung dar, die bestehen bleiben muss, bis sich die Sicherheit, Rechtsstaatlichkeit und Menschenrechtslage in Afghanistan signifikant verbessert haben, sodass eine Rückkehr in Sicherheit und Würde von Personen, bei denen kein internationaler Schutzbedarf festgestellt wurde, gewährleistet werden kann.
32. In Übereinstimmung mit den Zusagen der Mitgliedsstaaten der Vereinten Nationen im Rahmen des Globalen Flüchtlingsforums, die Verantwortung für den internationalen Flüchtlingsschutz gerecht aufzuteilen, hält UNHCR es nicht für angemessen, afghanische Staatsangehörige und Personen mit vormaligem gewöhnlichen Aufenthalt in Afghanistan zwangsweise in Länder in der Region zurückzuführen, da Länder wie der Iran und Pakistan derzeit beträchtliche Zahlen an Afghaninnen und Afghanen beherbergen und jahrzehntelang großzügig die überwiegende Mehrheit der Gesamtzahl afghanischer Flüchtlinge weltweit aufgenommen haben.
33. UNHCR erkennt das individuelle Menschenrecht an, in das eigene Herkunftsland zurückzukehren. Jede von UNHCR erbrachte Hilfeleistung von Flüchtlingen bei der Rückkehr nach Afghanistan hat das Ziel, Personen zu unterstützen, die bei vollumfänglicher Information über die Situation in ihren Herkunftsorten oder anderen Orten ihrer Wahl die Entscheidung für eine freiwillige Rückkehr getroffen haben. Alle Aktivitäten von UNHCR bei der Unterstützung freiwilliger Rückkehr nach Afghanistan, einschließlich Bemühungen für eine nachhaltige Reintegration von Rückkehrenden und Binnenvertriebenen in Afghanistan, sollten im Hinblick auf solche Personen, die in den Aufnahmeländern internationalen Schutz beantragt haben, nicht als eine Einschätzung von UNHCR bezüglich der Sicherheitslage und sonstigen Situation in Afghanistan betrachtet werden. Bei freiwilliger Rückkehr und zwangsweisen Rückführungen handelt es sich um Verfahren von grundsätzlich unterschiedlichem Charakter, die unterschiedliche Verantwortlichkeiten verschiedener Akteure nach sich ziehen.
34. UNHCR wird die Situation in Afghanistan weiterhin beobachten, um den internationalen Schutzbedarf, der sich aus der aktuellen Situation ergibt, zu prüfen.
Anmerkungen von UNHCR zu den Leitlinien zum Internationalen Schutzbedarf von Personen, die aus Afghanistan fliehen – Update I, Februar 2023 (Schreibfehler teilweise korrigiert):
„UNHCR ruft weiterhin alle Staaten dazu auf, der aus Afghanistan fliehenden Zivilbevölkerung Zugang zu ihrem Staatsgebiet zu gewähren, das Recht, Asyl zu suchen, zu garantieren und die Einhaltung des Non-Refoulement-Grundsatzes durchgehend sicherzustellen.
1. Basierend auf verfügbaren Berichten über weitverbreitete Menschenrechtsverletzungen in Afghanistan, darunter Berichte, die UNHCR im Rahmen seines Monitoring-Programms von auf der Flucht und bereits im Ausland befindlichen Afghan*innen erhalten hat, werden viele unter ihnen einen internationalen Schutzbedarf aufweisen.
2. Im Lichte der Menge anzunehmend einschränkenden Maßnahmen, die Frauen und Mädchen in Afghanistan in Verletzung ihrer Menschenrechte durch die De-facto-Behörden auferlegt wurden, ist UNHCR der Auffassung, dass afghanische Frauen und Mädchen wahrscheinlich internationalen Schutz gemäß der Genfer Flüchtlingskonvention benötigen.
3. Andere Profile mit erhöhtem internationalen Schutzbedarf verglichen zur Situation vor den Geschehnissen vom 15. August 2021 sind:
i. Afghan*innen, die mit der ehemaligen Regierung oder der internationalen Gemeinschaft in Afghanistan in Verbindung stehen, einschließlich frühere Mitarbeitende von Botschaften und Angestellte internationaler Organisationen;
ii. Ehemalige Angehörige der afghanischen Sicherheitskräfte und Afghan*innen, die mit den ehemaligen internationalen Streitkräften in Afghanistan in Verbindung stehen;
iii. Journalist*innen und in der Medienbranche tätige Personen; Menschenrechtsverteidiger*innen und -aktivist*innen und Rechtsanwält*innen, die diese unterstützen;
iv. Mitglieder ethnischer und religiöser Minderheiten, inklusive Hazara;
v. Menschen mit verschiedenen Formen sexueller Orientierung, geschlechtlicher Identitäten und/oder Geschlechtsausdrücken.
Diese Liste erhebt nicht den Anspruch einer abschließenden Aufzählung aller Profile von Afghan*innen, die eine wohlbegründete Furcht vor Verfolgung haben könnten. Jeder Antrag auf internationalen Schutz sollte unter Berücksichtigung der von den Antragsteller*innen vorgelegten Beweise sowie aller relevanten Informationen über das Herkunftsland, soweit verfügbar, geprüft werden. UNHCR weist darauf hin, dass Familienangehörige und andere Personen, die eng mit von Verfolgung bedrohten Personen verbunden sind, häufig selbst gefährdet sind.
4. In Anbetracht der Hindernisse bei der Informationsbeschaffung und Berichterstattung in Afghanistan ruft UNHCR die Entscheidungsträger*innen über Asylanträgen afghanischer Staatsangehöriger dazu auf, keine nachteiligen Schlüsse aus dem Fehlen verifizierter Informationen über das Herkunftsland zu ziehen, um alle Aspekte der von Asylsuchenden vorgelegten Beweise zu untermauern und zu bekräftigen.
5. Aufgrund der volatilen Situation in Afghanistan, die noch für einige Zeit unsicher bleiben kann, sowie der weitreichenden humanitären Notlage im Land fordert UNHCR die Staaten weiterhin dazu auf, zwangsweise Rückführungen von afghanischen Staatsangehörigen und Personen mit vormaligem gewöhnlichen Aufenthalt in Afghanistan auszusetzen – auch für jene, deren Asylanträge abgelehnt wurden.“
1.3. Feststellungen zum relevanten Vorbringen des Beschwerdeführers iZm einer Zuerkennung des Status eines Asylberechtigten:
1.3.1. Der Beschwerdeführer hat glaubhaft gemacht, dass ihm aufgrund der Tätigkeit seines Bruders als Soldat der afghanischen Nationalarmee Verfolgung durch die Taliban droht. Der Bruder des Beschwerdeführers war viereinhalb Jahre Soldat bei der afghanischen Nationalarmee und hatte seinen Militärdienst acht Monate vor dem Sturz der Regierung beendet, wollte aber wieder zur Kommandantur gehen und hatte bereits einen Vertrag unterschrieben. Der Bruder des Beschwerdeführers wurde im August 2022 von Taliban aus dem Elternhaus verschleppt ist seither nicht mehr aufgetaucht. Die Taliban wollten zu einem späteren Zeitpunkt auch den Beschwerdeführer selbst mitnehmen. (Protokoll der mV S. 9, 12ff, OZ 9)
Aus den genannten Gründen hätte der Beschwerdeführer bei einer Rückkehr nach Afghanistan mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit eine individuell gegen ihn gerichtete Verfolgung durch die Taliban zu erwarten. Es ist davon auszugehen, dass die vom Beschwerdeführer vorgebrachte Bedrohung seit der Machtübernahme der Taliban in ganz Afghanistan zusätzlich an Aktualität und Intensität zugenommen hat und auch weiterhin besteht.
Aus den in das Verfahren eingebrachten Erkenntnisquellen zum Herkunftsstaat des Beschwerdeführers geht hervor, dass zielgerichtete und groß angelegte Vergeltungsmaßnahmen gegen ehemalige Angehörige der Regierung oder Sicherheitskräfte bislang nicht nachgewiesen werden konnten. Auch hätten die Taliban eine „Generalamnestie“ für Angehörige der ehemaligen Regierung und Sicherheitskräfte angekündigt.
Menschenrechtsorganisationen berichten allerdings über Entführungen und Ermordungen ehemaliger Angehöriger des Staatsapparats und der Sicherheitskräfte. Diese Fälle ließen sich zumindest teilweise eindeutig den Taliban-Sicherheitskräften zuordnen. Jedenfalls toleriere die Taliban-Regierung trotz gegenteiliger Aussagen Berichte über Verstöße gegen die Amnestie und verfolge diese nicht juristisch.
Zudem verbreiten die Taliban außerhalb offizieller Kommunikation (u. a. in sozialen Medien) das Narrativ, dass ehemalige Mitglieder bzw. Angestellte der Regierung und Personen, die mit ausländischen Regierungen gearbeitet haben, Verräter am Islam und an Afghanistan seien. Die Kampagnen der Taliban richten sich Berichten zufolge auch gegen Familienmitglieder ehemaliger Militär- und Polizeikräfte.
Eine innerstaatliche Fluchtalternative liegt somit im gegenständlichen Fall nicht vor.
1.3.2. Es liegen keine Gründe vor, nach denen der Beschwerdeführer von der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten auszuschließen wäre.
2. Beweiswürdigung:
2.1. Zur Person des Beschwerdeführers:
2.1.1. Die Feststellungen zur Identität des Beschwerdeführers ergeben sich aus seinen Angaben in der Einvernahme vor der belangten Behörde und in der Beschwerdeverhandlung. Da der Beschwerdeführer keine Identitätsdokumente im Original vorlegen konnte (bei AS 37 handelt es sich nur um eine Kopie), steht seine Identität nicht fest, sondern handelt es sich um eine Verfahrensidentität. Das Vorbringen des Beschwerdeführers in der Beschwerdeverhandlung, dass er XXXX geboren sei, konnte, da die Tazikra nur als Kopie zur Verfügung steht und daraus auch kein eindeutiges Geburtsdatum ersichtlich war (Protokoll der mV S. 6: XXXX Jahre alt im Jahr XXXX ), nicht verifiziert werden, sodass für die Verfahrensidentität von den bisher angenommenen Daten ausgegangen wird.
Die Feststellungen zu seiner Herkunft beruhen auf seinen gleichbleibenden und damit glaubhaften Angaben (AS 31, Protokoll der mV S. 6), ebenso wie die Feststellung zum Ausreisezeitpunkt (AS 31, Protokoll der mV S. 10).
2.1.2. Die Volksgruppen- und Religionszugehörigkeit des Beschwerdeführers ergeben sich aus seinen glaubhaften Angaben im Verfahren (AS 31, Protokoll der mV S. 5).
2.1.3. Die Feststellung zu seinen Sprachkenntnissen ergibt sich aus seinen Angaben in der Erstbefragung (AS 1) sowie aus dem Umstand, dass die Erstbefragung, die Einvernahme vor der belangten Behörde und die Beschwerdeverhandlung jeweils unter Zuhilfenahme eines Dolmetschers für die Sprache Paschtu durchgeführt werden konnten.
Die Feststellungen zur Schulbildung, zur Arbeit als Bäcker und zur Ausübung des Boxsports, ergeben sich aus einer Zusammenschau seiner Angaben im Verfahren und den beigebrachten Bescheinigungsmitteln hinsichtlich der Teilnahme an Box-Wettbewerben (Protokoll der mV S. 6 und 7; Protokoll der mV S. 12, Beilagen ./3 und ./4).
2.1.4. Die Feststellungen zum Familienstand ergeben sich aus den glaubhaften Angaben des Beschwerdeführers (Protokoll der mV S. 6).
2.1.5. Die Feststellungen zur Überschwemmung des Elternhauses beruhen auf den glaubhaften, weil mit notorischen Gegebenheiten übereinstimmenden Angaben des Beschwerdeführers in der Beschwerdeverhandlung (Protokoll der mV S. 7 und 8), vor deren Hintergrund auch seine Angaben zum neuen Aufenthaltsort der Familie glaubwürdig waren.
2.1.6. Der Gesundheitszustand des Beschwerdeführers war entsprechend festzustellen, weil der Beschwerdeführer keine Erkrankungen oder sonstige Gebrechen geltend machte. Seine strafgerichtliche Unbescholtenheit in Österreich konnten aufgrund des Auszugs aus dem Strafregister (OZ 1) festgestellt werden.
2.2. Relevante Feststellungen zur maßgeblichen Situation in Afghanistan:
2.2.1. Die Länderfeststellungen zu 1.2.1. beruhen auf dem Länderinformationsblatt der Staatendokumentation vom 10.04.2024, und den oben genannten Detailquellen.
2.2.2 Die ergänzende Information unter 1.2.2. beruht auf den oben genannten Detailquellen.
Da diese Länderberichte auf einer Vielzahl verschiedener, voneinander unabhängiger Quellen von regierungsoffiziellen und nicht-regierungsoffiziellen Stellen beruhen und dennoch ein in den Kernaussagen übereinstimmendes Gesamtbild ohne wesentliche Widersprüche darbieten, besteht im vorliegenden Fall für das Bundesverwaltungsgericht kein Anlass, an der Richtigkeit der getroffenen Länderfeststellungen zu zweifeln. An der Aktualität, Relevanz und Richtigkeit der Informationen hat die erkennende Richterin keinen Zweifel. Die seitens des Bundesverwaltungsgerichtes in das Verfahren eingeführten Länderberichte blieben schlussendlich unbestritten.
2.3. Zu den Feststellungen zum relevanten Vorbringen des Beschwerdeführers iZm einer Zuerkennung des Status eines Asylberechtigten:
2.3.1. Die Feststellungen zu den Gründen des Beschwerdeführers für das Verlassen seines Herkunftsstaates stützen sich auf die vor der belangten Behörde und im Beschwerdeverfahren sowie in der Beschwerdeverhandlung getroffenen Aussagen sowie die Beweismittel betreffend den Bruder des Beschwerdeführers (Fotos und Urkunde), die der Beschwerdeführer im Beschwerdeverfahren vorlegte. Die Angaben sind über das gesamte Verfahren hinweg stringent und in den wesentlichen Punkten gleichlautend. Wesentlich ist, dass der Beschwerdeführer bereits vor der belangten Behörde äußerte (AS 31), dass sein Bruder von den Taliban festgenommen worden sei und einfach verschwunden sei, und nicht bekannt sei ob dieser noch lebe oder nicht mehr. Auch an anderer Stelle der Einvernahme erwähnte der Beschwerdeführer in einem anderen Kontext, dass sein Bruder festgenommen und verschwunden sei (Protokoll der mV S. 33; diesmal als Äußerung seines Vaters gegenüber Taliban). Die Verknüpfung und Wiedergabe dieses Sachverhalts in verschiedenen Kontexten lässt darauf schließen, dass es sich dabei um tatsächlich Geschehenes handelt. Der Beschwerdeführer bekräftigte in dieser Einvernahme auch ein weiteres Mal, dass sein Bruder von Taliban mitgenommen worden sei und er seither verschwunden sei (AS 33). Zwar äußerte der Beschwerdeführer sich vor der belangten Behörde nicht zu den Gründen für dieses Vorgehen der Taliban – diese wurden erst im Beschwerdeverfahren dargestellt und substantiiert (insb.: Reflexverfolgung aufgrund der Tätigkeit des Bruders, AS 137) – dennoch ist, weil er sich bereits vor der belangten Behörde so geäußert hatte, eben nicht davon auszugehen, dass der Beschwerdeführer sein Vorbringen erst im Beschwerdeverfahren unglaubwürdig steigerte. In der Beschwerdeverhandlung machte der Beschwerdeführer nachvollziehbare und stringente Angaben zur Tätigkeit seines Bruders bei der afghanischen Nationalarmee, sodass er dessen Tätigkeit dort glaubhaft machte. Er konnte seine Angaben durch die vorgelegten Beweismittel unterstützen – die Fotos und die Urkunde (OZ9) können zwar nicht näher überprüft werden, allerdings machte der Beschwerdeführer in der Beschwerdeverhandlung einen persönlich glaubwürdigen Eindruck und war auch imstande, die angebotenen Beweismittel (Protokoll der mV S. 15) tatsächlich beizubringen, sodass an deren Authentizität kein Zweifel besteht. Wesentlich für die persönliche Glaubwürdigkeit – und damit auch für die Glaubhaftigkeit seines Fluchtvorbringens – war das Aussageverhalten des Beschwerdeführers in der Beschwerdeverhandlung, insbesondere war er imstande, den Vorfall, bei dem sein Bruder, der Soldat gewesen war, von den Taliban verschleppt wurde, lebensnah und detailliert darzulegen (Protokoll der mV S. 13). Der Beschwerdeführer hat sein Vorbringen damit ausreichend detailliert dargelegt und mit Bescheinigungsmitteln belegt. Ihm ist es insbesondere aufgrund des in der mündlichen Beschwerdeverhandlung hinterlassenen glaubwürdigen Eindrucks gelungen, die Tätigkeit seines Bruders als Soldat bei der afghanischen Nationalarmee und dessen Verschleppung durch die Taliban und die damit einhergehende Bedrohungslage glaubhaft erscheinen zu lassen. Dass konkret dem Beschwerdeführer nun eine Verfolgung durch Taliban droht, ergibt sich daraus, dass der Beschwerdeführer ebenso glaubwürdig darstellte, dass die Taliban auch ihn mitnehmen hätten wollen und nach ihm gesucht hätten, vorgeblich für eine Zusammenarbeit mit den Taliban (vgl. bereits AS 33), was er in der Beschwerdeverhandlung wiederum detailliert und schlüssig darzustellen vermochte (Protokoll der mV S. 11), sodass sich auch dieses Vorbringen als glaubhaft erwies. In diesem Kontext ist festzuhalten, dass die Taliban bereits vor der Ausreise des Beschwerdeführers den Focus auf die Mitnahme des Beschwerdeführers gelegt haben, sodass es der Glaubhaftmachung seiner Fluchtgründe nicht schadet, dass andere Familienmitglieder weiter (unbeschadet) in Afghanistan leben können. Vor diesem Hintergrund und im Kontext mit der Verschleppung des Bruders aufgrund dessen Tätigkeit als Soldat bei der afghanischen Nationalarmee sind Verfolgungshandlungen, aus Gründen einer (unterstellten) politisch oppositionellen Gesinnung und der Zugehörigkeit zur sozialen Gruppe der Familie, die sich auch auf den Beschwerdeführer erstrecken, mit hinreichender Wahrscheinlichkeit anzunehmen.
Das Vorbringen des Beschwerdeführers steht ebenfalls im Einklang mit den aktuellen Erkenntnisquellen zum Herkunftsstaat:
Trotz mehrfacher Versicherungen, von Vergeltungsmaßnahmen gegenüber Angehörigen der ehemaligen Regierung und Sicherheitskräften abzusehen, wurde nach der Machtübernahme der Taliban berichtet, dass diese auf der Suche nach ehemaligen Mitarbeitern der internationalen Streitkräfte oder der afghanischen Regierung von Tür zu Tür gingen und deren Angehörige bedrohten.
Ein Mitglied einer Rechercheorganisation, welche einen (nicht öffentlich zugänglichen) Bericht zu diesem Thema für die Vereinten Nationen verfasste, sprach von einer „schwarzen Liste“ der Taliban und großer Gefahr für jeden, der sich auf dieser Liste befände. Im Zuge der Machtübernahme im August 2021 hatten die Taliban Zugriff auf Mitarbeiterlisten der Behörden, unter anderem auf eine biometrische Datenbank mit Angaben zu aktuellen und ehemaligen Angehörigen der Armee und Polizei bzw. zu Afghanen, die den internationalen Truppen geholfen haben. Auch Human Rights Watch zufolge kontrollieren die Taliban Systeme mit sensiblen biometrischen Daten, die westliche Geberregierungen im August 2021 in Afghanistan zurückgelassen haben. Diese digitalen Identitäts- und Gehaltsabrechnungssysteme enthalten persönliche und biometrische Daten von Afghanen, darunter Iris-Scans, Fingerabdrücke, Fotos, Beruf, Wohnadressen und Namen von Verwandten. Die Taliban könnten diese Daten nutzen, um vermeintliche Gegner ins Visier zu nehmen, und Untersuchungen von Human Rights Watch deuten darauf hin, dass sie die Daten in einigen Fällen bereits genutzt haben könnten.
Aus den festgestellten UNHCR-Leitlinien zum internationalen Schutzbedarf von Personen, die aus Afghanistan fliehen, geht zudem hervor, dass Personen, die mit der ehemaligen Regierung oder den internationalen Streitkräften in Afghanistan in Verbindung stehen, einen erhöhten Bedarf an internationalem Flüchtlingsschutz haben. Familienangehörige und andere Personen, die mit von Verfolgung Bedrohten eng verbunden sind, sind häufig einem eigenen Risiko ausgesetzt.
Auch die EUAA Country Guidance vom Mai 2024, denen nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes - wie jenen des UNHCR - besondere Beachtung zu schenken ist („Indizwirkung“ - vgl. etwa VwGH 7.6.2022, Ra 2020/18/0439, mwN) und die gemäß Art. 11 Abs. 3 der Verordnung (EU) 2021/2303 bei der Prüfung von Anträgen auf internationalen Schutz von den Mitgliedstaaten zu berücksichtigen sind, treffen eine ähnliche Einschätzung.
Denen gemäß waren Mitarbeiter ausländischer Truppen in den Jahren des Konflikts ein vorrangiges Ziel der Taliban. In Artikel 11 des Taliban-Verhaltenskodex (Layeha) wird die Hinrichtung von Personen angeordnet, die für Kofaar (ausländische Ungläubige) arbeiten. Angehörige von Streitkräften, die mit ausländischen Truppen, Auftragnehmern und „Spionen“ zusammenarbeiten, wurden von den Taliban als Verantwortliche für die Tötung afghanischer Zivilisten angesehen. Sie wurden öffentlich als Kriminelle bezeichnet und ins Visier genommen (vgl. S. 33 des Berichts). Handlungen, die gegen Personen im Rahmen dieses Profils gemeldet werden, sind so schwerwiegend, dass sie einer Verfolgung gleichkommen (z. B. Tötung; S. 34 des Berichts 3.3. Persons affiliated with foreign forces).
Weiters ist den Country Guidance zu entnehmen, dass bei Personen, die mit ausländischen Streitkräften in Verbindung stehen, die begründete Furcht vor Verfolgung im Allgemeinen begründet wäre. Auch Familienangehörige solcher Personen können eine begründete Furcht vor Verfolgung haben (S. 34 des Berichts).
Die glaubhaften Angaben des Beschwerdeführers zu seiner Furcht, aufgrund der Tätigkeit seines Bruders als Soldat der afghanischen Nationalarmee Verfolgung durch die Taliban ausgesetzt zu sein, sind mit diesen dargelegten Berichten in Einklang zu bringen und zeigen ein schlüssiges Bild.
Laut den festgestellten Länderinformationen der Staatendokumentation gibt es glaubwürdige Berichte über schwerwiegende Menschenrechtsverletzungen durch die Taliban. Es gibt weiters Berichte über Entführungen und Ermordungen ehemaliger Angehöriger des Staatsapparats und afghanischer Sicherheitskräfte. Auch diese Menschenrechtsverletzungen lassen sich zum Teil den Taliban-Sicherheitskräften zuordnen, jedenfalls aber werden sie durch die Taliban-Regierung toleriert und nicht juristisch verfolgt. Auch ist den zugrunde gelegten Länderinformationen zu entnehmen, dass die Taliban bestens vernetzt sind und über neue technische Möglichkeiten verfügen, um politische Gegner ausfindig zu machen.
In einer Gesamtschau der Angaben des Beschwerdeführers im gesamten Verlauf des Verfahrens zur möglichen Furcht vor Verfolgung im Falle der Rückkehr nach Afghanistan war das Vorbringen des Beschwerdeführers substantiiert, in sich schlüssig und im Hinblick auf die vorgelegten Bescheinigungsmittel sowie besonderen Umstände des Beschwerdeführers, die allgemeine Situation in Afghanistan und die diesem Erkenntnis zugrunde gelegten Länderberichte plausibel, sodass unter Würdigung der Ergebnisse des Ermittlungsverfahrens das Vorbringen Beschwerdeführers BF zu seiner Furcht vor Verfolgung in Afghanistan insgesamt als glaubhaft erscheint.
Es ist daher davon auszugehen, dass dem Beschwerdeführer im Falle seiner Rückkehr nach Afghanistan mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit Verfolgung aus asylrelevanten Gründen drohen würde und die „staatlichen“ Einrichtungen Afghanistans nicht in der Lage oder gewillt wären, dem Beschwerdeführer vor dieser Verfolgung im ausreichenden Maß Schutz zu bieten.
In Hinblick auf die Machtübernahme durch die Taliban ist davon auszugehen, dass sich die Lage von Rückkehrern bzw. jenen, die wegen einer unterstellten oppositionellen politischen Gesinnung geflüchtet sind, noch erheblich verschlechtert hat.
Dem Beschwerdeführer droht daher im Fall seiner Niederlassung in Afghanistan mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit asylrelevante Verfolgung aufgrund seiner Eigenschaft als Angehöriger der sozialen Gruppe der Familie seines Bruders sowie aus politischen Gründen im gesamten Staatsgebiet.
Aufgrund dieses Ergebnisses war auf das übrige Vorbringen des Beschwerdeführers zu einer individuellen Furcht vor Verfolgung aufgrund der Ausübung des Boxsportes nicht mehr einzugehen.
3. Rechtliche Beurteilung:
Zu Spruchteil A):
3.1. Zu § 3 AsylG (Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides, Asyl):
Gemäß § 3 AsylG ist einem Fremden, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, soweit dieser Antrag nicht wegen Drittstaatssicherheit oder Zuständigkeit eines anderen Staates zurückzuweisen ist und glaubhaft ist, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 der Konvention über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, BGBl. Nr. 55/1955, in der Fassung des Protokolls über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, BGBl. Nr. 78/1974 (in der Folge GFK) droht (vgl. auch die Verfolgungsdefinition in § 2 Abs. 1 Z 11 AsylG, die auf Art. 9 der Statusrichtlinie (Richtlinie 2011/95/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13.12.2011 über Normen für die Anerkennung von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Personen mit Anspruch auf internationalen Schutz, für einen einheitlichen Status für Flüchtlinge oder für Personen mit Anrecht auf subsidiären Schutz und für den Inhalt des zu gewährenden Schutzes; Neufassung) verweist.
Gemäß § 3 Abs. 3 AsylG ist der Asylantrag bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten abzuweisen, wenn dem Fremden eine innerstaatliche Fluchtalternative (§ 11 AsylG) offensteht oder wenn er einen Asylausschlussgrund (§ 6 AsylG) gesetzt hat.
Flüchtling im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 der GFK ist, wer sich „aus wohlbegründeter Furcht, aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung verfolgt zu werden, außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen; oder wer staatenlos ist, sich außerhalb des Landes seines gewöhnlichen Aufenthaltes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, in dieses Land zurückzukehren.“
Zentraler Aspekt dieses Flüchtlingsbegriffs der GFK ist die wohlbegründete Furcht vor Verfolgung. Wohlbegründet kann eine Furcht nur dann sein, wenn sie im Lichte der speziellen Situation des Asylwerbers und unter Berücksichtigung der Verhältnisse im Verfolgerstaat objektiv nachvollziehbar ist (vgl. VwGH 22.12.1999, 99/01/0334; VwGH 21.12.2000, 2000/01/0131; VwGH 25.01.2001, 2001/20/0011; VwGH 28.05.2009, 2008/19/1031). Es kommt nicht darauf an, ob sich eine bestimmte Person in einer konkreten Situation tatsächlich fürchtet, sondern ob sich eine mit Vernunft begabte Person in dieser Situation fürchten würde.
Unter Verfolgung ist ein ungerechtfertigter Eingriff von erheblicher Intensität in die zu schützende persönliche Sphäre des Einzelnen zu verstehen. Erhebliche Intensität liegt vor, wenn der Eingriff geeignet ist, die Unzumutbarkeit der Inanspruchnahme des Schutzes des Heimatstaates bzw. der Rückkehr in das Land des vorigen Aufenthaltes zu begründen. Eine Verfolgungsgefahr ist dann anzunehmen, wenn eine Verfolgung mit einer maßgeblichen Wahrscheinlichkeit droht; die entfernte Möglichkeit einer Verfolgung genügt nicht (VwGH 21.12.2000, 2000/01/0131; VwGH 25.01.2001, 2001/20/011; VwGH 28.05.2009, 2008/19/1031). Für eine „wohlbegründete Furcht vor Verfolgung“ ist es nicht erforderlich, dass bereits Verfolgungshandlungen gesetzt worden sind; sie ist vielmehr bereits dann anzunehmen, wenn solche Handlungen zu befürchten sind (VwGH 26.02.1997, 95/01/0454; VwGH 09.04.1997, 95/01/0555), denn die Verfolgungsgefahr – Bezugspunkt der Furcht vor Verfolgung – bezieht sich nicht auf vergangene Ereignisse (vgl. VwGH 18.04.1996, 95/20/0239; vgl. auch VwGH 16.02.2000, 99/01/097), sondern erfordert eine Prognose.
Verfolgungshandlungen, die in der Vergangenheit gesetzt worden sind, können im Rahmen dieser Prognose ein wesentliches Indiz für eine Verfolgungsgefahr sein (vgl. dazu VwGH 09.03.1999, 98/01/0318). Die Verfolgungsgefahr muss ihre Ursache in einem der Gründe haben, welche Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK nennt (VwGH 09.09.1993, 93/01/0284; VwGH 15.03.2001, 99720/0128); sie muss Ursache dafür sein, dass sich der Asylwerber außerhalb seines Heimatlandes bzw. des Landes seines vorherigen Aufenthaltes befindet. Die Verfolgungsgefahr muss dem Heimatstaat bzw. dem Staat des letzten gewöhnlichen Aufenthaltes zurechenbar sein (VwGH 16.06.1994, 94/19/0183; VwGH 18.02.1999, 98/20/0468). Relevant kann aber nur eine aktuelle Verfolgungsgefahr sein; sie muss vorliegen, wenn der Asylbescheid erlassen wird; auf diesen Zeitpunkt hat die Prognose abzustellen, ob der Asylwerber mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit Verfolgung aus den genannten Gründen zu befürchten habe (vgl. VwGH 09.03.1999, 98/01/0318; VwGH 19.10.2000, 98/20/0233).
Von einer mangelnden Schutzfähigkeit des Staates kann nicht bereits dann gesprochen werden, wenn der Staat nicht in der Lage ist, seine Bürger gegen jede Übergriffe seitens Dritter präventiv zu schützen. Es ist erforderlich, dass der Schutz generell infolge Fehlens einer funktionierenden Staatsgewalt nicht gewährleistet wird (vgl. VwGH 01.06.1994, 94/18/0263; VwGH 01.02.1995, 94/18/0731). Die mangelnde Schutzfähigkeit hat jedoch nicht zur Voraussetzung, dass überhaupt keine Staatsgewalt besteht – diesfalls wäre fraglich, ob von der Existenz eines Staates gesprochen werden kann –, die ihren Bürgern Schutz bietet. Es kommt vielmehr darauf an, ob in dem relevanten Bereich des Schutzes der Staatsangehörigen vor Übergriffen durch Dritte aus den in der GFK genannten Gründen eine ausreichende Machtausübung durch den Staat möglich ist. Mithin kann eine von dritter Seite ausgehende Verfolgung nur dann zur Asylgewährung führen, wenn sie von staatlichen Stellen infolge nicht ausreichenden Funktionierens der Staatsgewalt nicht abgewendet werden kann (VwGH 22.03.2000, 99/01/0256).
Verfolgungsgefahr kann nicht ausschließlich aus individuell gegenüber dem Einzelnen gesetzten Einzelverfolgungsmaßnahmen abgeleitet werden, vielmehr kann sie auch darin begründet sein, dass regelmäßig Maßnahmen zielgerichtet gegen Dritte gesetzt werden, und zwar wegen einer Eigenschaft, die der Betreffende mit diesen Personen teilt, sodass die begründete Annahme besteht, (auch) er könnte unabhängig von individuellen Momenten solchen Maßnahmen ausgesetzt sein (VwGH 09.03.1999, 98/01/0370; VwGH 22.10.2002, 2000/01/0322).
Grundlegende politische Veränderungen in dem Staat, aus dem der Asylwerber aus wohlbegründeter Furcht vor asylrelevanter Verfolgung geflüchtet zu sein behauptet, können die Annahme begründen, dass der Anlass für die Furcht vor Verfolgung nicht (mehr) länger bestehe. Allerdings reicht eine bloße – möglicherweise vorübergehende – Veränderung der Umstände, die für die Furcht des betreffenden Flüchtlings vor Verfolgung mitbestimmend waren, jedoch keine wesentliche Veränderung der Umstände im Sinne des Art. 1 Abschnitt C Z 5 GFK mit sich brachten, nicht aus, um diese zum Tragen zu bringen (VwGH 21.01.1999, 98/20/0399; VwGH 03.05.2000, 99/01/0359).
Innerstaatliche Flucht- bzw. Schutzalternative:
Wenn Asylsuchende in bestimmten Landesteilen vor Verfolgung sicher sind und ihnen insoweit auch zumutbar ist, den Schutz ihres Herkunftsstaates in Anspruch zu nehmen, bedürfen sie nicht des Schutzes durch Asyl (vgl. z. B. VwGH 24.03.1999, 98/01/0352 mwN; VwGH 15.03.2001, 99/20/0036; VwGH 15.03.2001, 99/20/0134). Damit ist nicht das Erfordernis einer landesweiten Verfolgung gemeint, sondern vielmehr, dass sich die asylrelevante Verfolgungsgefahr für den Betroffenen – mangels zumutbarer Ausweichmöglichkeit innerhalb des Herkunftsstaates – im gesamten Herkunftsstaat auswirken muss (VwGH 09.11.2004, 2003/01/0534). Das Zumutbarkeitskalkül, das dem Konzept einer „inländischen Flucht- oder Schutzalternative“ (VwGH 09.11.2004, 2003/01/0534) innewohnt, setzt daher voraus, dass der Asylwerber dort nicht in eine ausweglose Lage gerät, zumal da auch wirtschaftliche Benachteiligungen dann asylrelevant sein können, wenn sie jede Existenzgrundlage entziehen (VwGH 08.09.1999, 98/01/0614, VwGH 29.03.2001, 2000/20/0539).
Eine allgemeine desolate wirtschaftliche und soziale Situation stellt nach ständiger Judikatur des VwGH keinen hinreichenden Grund für eine Asylgewährung dar (vgl. etwa VwGH 14.03.1995, 94/20/0789; 17.06.1993, 92/01/1081). Wirtschaftliche Benachteiligungen können nur dann asylrelevant sein, wenn sie jegliche Existenzgrundlage entziehen (vgl. etwa VwGH 09.05.1996, 95/20/0161; 30.04.1997, 95/01/0529 u. a.). Aber selbst für den Fall des Entzugs der Existenzgrundlage ist eine Asylrelevanz nur dann anzunehmen, wenn dieser Entzug mit einem in der GFK genannten Anknüpfungspunkt – nämlich der Rasse, der Religion, der Nationalität, der Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gewinnung – zusammenhängt.
Bei der „Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe“ gemäß Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK handelt es sich um einen Auffangtatbestand, der sich in weiten Bereichen mit den Gründen Rasse, Religion und Nationalität überschneidet, jedoch weiter gefasst ist als diese (VwGH 20.10.1999, 99/01/0197).
Gemäß Art. 10 Abs. 1 lit. d der Statusrichtlinie 2004/83/EG (in der Neufassung 2011/95/EU diesbezüglich unverändert) gilt eine Gruppe insbesondere als eine bestimmte soziale Gruppe, wenn
die Mitglieder dieser Gruppe angeborene Merkmale oder einen Hintergrund, der nicht verändert werden kann, gemein haben, oder Merkmale oder eine Glaubensüberzeugung teilen, die so bedeutsam für die Identität oder das Gewissen sind, dass der Betreffende nicht gezwungen werden sollte, auf sie zu verzichten, und
die Gruppe in dem betreffenden Land eine deutlich abgegrenzte Identität hat, da sie von der sie umgebenden Gesellschaft als andersartig betrachtet wird.
Zur Frage der Verfolgung wegen Zugehörigkeit zu einer sozialen Gruppe hat der VwGH ausgesprochen:
„Bei der [...] Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe handelt es sich um einen Auffangtatbestand, der sich in weiten Bereichen mit den Gründen ‚Rasse, Religion und Nationalität‘ überschneidet, jedoch weiter gefasst ist als diese (Grahl-Madsen, The Status of Refugees in International LawI, 1966, Seite 219; Rohrböck, Das Bundesgesetz über die Gewährung von Asyl (1999) RZ 406). Kälin (Grundriss des Asylverfahrens, 1990, Seite 96f) versteht unter Verfolgung wegen Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe eine – nicht sachlich gerechtfertigte – Repression, die nur Personen trifft, die sich durch ein gemeinsames soziales Merkmal auszeichnen, die also nicht verfolgt würden, wenn sie dieses Merkmal nicht hätten.“ (VwGH 20.10.1999, 99/01/0197).
3.2. Gewährung von Asyl aufgrund der Zugehörigkeit zur sozialen Gruppe der Familie seines Bruders sowie der (zumindest unterstellten) oppositionellen Gesinnung gegenüber den Taliban:
Auf Grund des durchgeführten Ermittlungsverfahrens und des festgestellten Sachverhaltes ergibt sich, dass die behauptete Furcht des Beschwerdeführers, in seinem Herkunftsstaat mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit aus den in der GFK genannten Gründen verfolgt zu werden, wohl begründet ist:
Ein in seiner Intensität asylrelevanter Eingriff in die vom Staat zu schützende Sphäre des Einzelnen führt dann zur Flüchtlingseigenschaft, wenn er an einem in Art. 1 Abschnitt A Z 2 der GFK festgelegten Grund, nämlich die Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder politische Gesinnung anknüpft.
Der Beschwerdeführer hat seinen behaupteten Fluchtgrund, aufgrund der Tätigkeit seines Bruders für die afghanische Nationalarmee wegen der Zugehörigkeit zur sozialen Gruppe der Familie seines Bruders sowie wegen einer ihm (zumindest unterstellten) oppositionellen politischen Gesinnung von den Taliban verfolgt zu werden, glaubhaft machen können.
Die Familie des Beschwerdeführers ist eine in der Gesellschaft sozial wahrnehmbare Gruppe. Das gemeinsame Merkmal bzw. Hintergrund der Familienangehörigkeit ist ein solches, das nicht verändert werden kann.
Die Verfolgungsgefahr steht auch im Zusammenhang mit den in der GFK taxativ aufgezählten Verfolgungsgründen, nämlich der zumindest unterstellten (talibanfeindlichen) oppositionellen politischen Gesinnung, und, wie schon dargestellt, der sozialen Gruppe Familie. Die Verfolgungsgefahr hat durch die Machtübernahme durch die Taliban an Aktualität und Intensität zugenommen, wobei auch in den Länderfeststellungen die umfassenden Möglichkeiten der Taliban, potenzielle Gegner auszuforschen, ausführlich dargestellt wurden.
Im Hinblick auf die Lage in Afghanistan steht dem Beschwerdeführer somit derzeit auch keine innerstaatliche Fluchtalternative zur Verfügung.
Zusammenfassend ist daher festzuhalten, dass dem Beschwerdeführer bei einer Rückkehr nach Afghanistan Eingriffe von höchster Intensität (bis zum Tod) in seine zu schützende persönliche Sphäre drohen.
Der Beschwerdeführer konnte somit glaubhaft machen, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK droht.
Da weder eine innerstaatliche Fluchtalternative besteht, noch ein in Art 1 Abschnitt C oder F der GFK genannter Endigungs- und Asylausschlussgrund hervorgekommen ist, war der Beschwerde des Beschwerdeführers stattzugeben und ihm gemäß § 3 Abs. 1 AsylG der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen. Gemäß § 3 Abs. 5 AsylG war die Entscheidung über die Asylgewährung mit der Feststellung zu verbinden, dass dem Fremden damit Kraft Gesetz die Flüchtlingseigenschaft zukommt.
Vollständigkeitshalber wird noch auf die Regelung des § 3 Abs. 4 AsylG hingewiesen: Einem Fremden, dem der Status des Asylberechtigten zuerkannt wird, kommt eine befristete Aufenthaltsberechtigung als Asylberechtigter zu. Die Aufenthaltsberechtigung gilt drei Jahre und verlängert sich um eine unbefristete Gültigkeitsdauer, sofern die Voraussetzungen für eine Einleitung eines Verfahrens zur Aberkennung des Status des Asylberechtigten nicht vorliegen oder das Aberkennungsverfahren eingestellt wird. Bis zur rechtskräftigen Aberkennung des Status des Asylberechtigten gilt die Aufenthaltsberechtigung weiter. Mit Rechtskraft der Aberkennung des Status des Asylberechtigten erlischt die Aufenthaltsberechtigung.
Zu Spruchteil B):
Gemäß § 25a Abs. 1 des Verwaltungsgerichtshofgesetzes 1985 (VwGG), BGBl. Nr. 10/1985 in der geltenden Fassung, hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.
Die Revision gegen die gegenständliche Entscheidung ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt.
Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des VwGH ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des VwGH bezüglich der Glaubhaftmachung asylrelevanter Verfolgungsgründe auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen.
Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.
Konkrete Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung sind somit weder in der gegenständlichen Beschwerde vorgebracht worden, noch im Verfahren vor dem BVwG hervorgekommen, zumal im vorliegenden Fall vornehmlich die Klärung von Sachverhaltsfragen maßgeblich für die zu treffende Entscheidung war
Die oben in der rechtlichen Beurteilung angeführte Judikatur des VwGH ist zwar zum Teil zu früheren Rechtslagen ergangen, sie ist jedoch nach Ansicht des erkennenden Gerichts auf die inhaltlich weitestgehend gleichlautenden Bestimmungen der nunmehr geltenden Rechtslage unverändert übertragbar.