Spruch
L518 2210006-4/26E
L518 2268763-1/39E
L518 2210008-4/28E
L518 2268761-1/37E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Mag. Dr. Markus STEININGER als Einzelrichter über die Beschwerde des (1.) XXXX geb. XXXX , der (2.) XXXX , geb. XXXX , des (3.) XXXX , geb. XXXX und des mj. (4.) XXXX , geb. XXXX – gesetzlich vertreten von der Mutter, alle Staatsangehörigkeit Aserbaidschan, alle vertreten durch die RA Mag. SINGER, gegen die Bescheide des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 27.05.2022 (1.) Zl. 1171989110-220106455 und (3.) Zl. 1171989306-220106493 und vom 20.02.2023 (2.) 1318441901-222434888 und (4.) 1318442005-222434918 wegen §§ 3, 8, 10, 57 Asylgesetz (AsylG 2005) und §§ 46, 52, und 55 Fremdenpolizeigesetz 2005 (FPG), nach Durchführung einer öffentlichen mündlichen Verhandlung am 14.08.2024 zu Recht:
A)
Die Beschwerden werden als unbegründet abgewiesen.
B)
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
Entscheidungsgründe:
I. Verfahrensgang:
I.1. Der Erstbeschwerdeführer (BF1) ist der Gatte der Zweitbeschwerdeführerin (BF2). Beide sind die Eltern des Drittbeschwerdeführers (BF3) und des minderjährigen Viertbeschwerdeführers (4). Alle BF sind Staatsangehörige von Aserbaidschan und bekennen sich zum Islam.
I.2. Der BF1 stellte für sich und als gesetzlicher Vertreter für den BF3 erstmals am 31.07.2018 vor einem Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes Anträge auf internationalen Schutz. Dabei brachte er zusammengefasst vor, dass er aufgrund seiner Mitgliedschaft bei der Oppositionspartei „VIP“ von unbekannten Männern, welche ihn als Vertreter der Regierungspartei zuordneten, an einem unbekannten Ort festgehalten, physisch angegriffen und bedroht wurde. Sollte er nicht mit seinen politischen Aktivitäten aufhören, werde er auf Grund von Drogenbesitz, welche ihm untergeschoben werden, verurteilt.
I.3. Die Anträge auf internationalen Schutz wurde folglich Bescheiden des BFA gemäß § 3 Abs 1 AsylG 2005 abgewiesen und der Status eines Asylberechtigten nicht zuerkannt. Gem. § 8 Abs 1 Z 1 AsylG wurde der Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Aserbaidschan nicht zugesprochen. Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß §§ 57 und 55 AsylG wurde nicht erteilt. Gemäß § 10 Abs. 1 Z 2 AsylG iVm § 9 BFA-VG wurden gegen die BF Rückkehrentscheidungen gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen und gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass eine Abschiebung nach Aserbaidschen gemäß § 46 FPG zulässig sei. Gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG betrage die Frist für die freiwillige Ausreise 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung.
Nach erhobener Beschwerde wurden die Bescheide in weiterer Folge gem. § 28 Abs. 3 VwGVG behoben und die Angelegenheit zur neuerlichen Erlassung der Bescheide an das BFA zurückverwiesen.
I.4. Am 02.05.2019 wurde eine Anfrage an die Staatendokumentation hinsichtlich der oppositionelen Tätigkeiten des BF1 gesendet. Die Antwort langte am 29.05.2019 ein.
I.5. Am 12.09.2019 wurde der BF1 neuerlich vor dem BFA niederschriftlich einvernommen. Dabei wurde er mit der Anfragebeantwortung der Staatendokumentatin und dem LIB von Aserbaidschan konfrontiert.
I.6. Die Anträge auf internationalen Schutz wurde abermals mit Bescheiden des BFA gemäß § 3 Abs 1 AsylG 2005 abgewiesen und der Status eines Asylberechtigten nicht zuerkannt. Gem. § 8 Abs 1 Z 1 AsylG wurde der Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Aserbaidschan nicht zugesprochen. Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß §§ 57 und 55 AsylG wurde nicht erteilt. Gemäß § 10 Abs. 1 Z 2 AsylG iVm § 9 BFA-VG wurden gegen die bP Rückkehrentscheidungen gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen und gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass eine Abschiebung nach Aserbaidschen gemäß § 46 FPG zulässig sei. Gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG betrage die Frist für die freiwillige Ausreise 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung.
Begründend wurde ausgeführt, dass die Existenz einer aktuellen Gefahr einer Verfolgung als nicht glaubhaft betrachtet wird. Das BFA hielt fest, dass der BF1 lediglich ein für ihn in Aserbaidschan vorliegendes Verfolgungsszenario konstruierte, ohne tatsächlich von den vorgebrachten Erzählungen persönlich betroffen gewesen zu sein.
Gegen die genannten Bescheide wurde mit im Akt ersichtlichen Schriftsatz innerhalb offener Frist Beschwerde erhoben.
I.7. In weiterer Folge wurde eine Anfrage an die österreichische Botschaft in Baku betreffend Echtheit der bei der belangten Behörde in Vorlage gebrachten Bestätigung über Mitgliedschaft und Funktion des BF1 gerichtet. Mit Schreiben der ÖB vom 21.12.2020 wurde bestätigt, dass es die aserbaidschanische VIP Partei grundsätzlich gibt, diese aber keinerlei Rolle im politischen Alltag spiele. Die Adresse von der Parteizentrale auf dem Schreiben sei korrekt. Bei guten Kontakten zur Partei sei ein solches Schreiben sehr einfach zu bekommen. Die Partei selbst konnte keine Angaben über die offenen Fragen geben.
I.8. Am 15.04.2021 wurde vor dem Bundesverwaltungsgericht eine öffentliche mündliche Verhandlung im Beisein der BF, samt ihrer rechtsfreundlichen Vertretung und einer Dolmetscherin für die türkische Sprache durchgeführt.
I.9. Mit Erkenntnissen des BVwG vom 02.08.2021, Zl: L515 2210006-3/21E und L515 2210008-3/13E, wurden die Beschwerden als unbegründet abgewiesen, weshalb die Rückkehrentscheidungen somit mit 04.08.2021 rechtskräftig wurden.
Gegen diese Erkenntnisse wurde eine Beschwerde an den VfGH erhoben und Eventualanträge auf Abtretung an den VwGH und Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung gestellt.
Mit Beschluss des VfGH vom 29.09.2021, Zl. XXXX , wurde die Behandlung der Beschwerde abgelehnt und die Beschwerden dem VwGH zur Entscheidung abgetreten. Begründend wurde ausgeführt, dass das Bundesverwaltungsgericht sich mit der Frage der Gefährdung der beschwerdeführenden Partei in ihren Rechten ausreichend auseinandergesetzt hat. Ihm kann unter verfassungsrechtlichen Gesichtspunkten nicht entgegengetreten werden, wenn es auf Grund der Umstände des vorliegenden Falles davon ausgeht, dass das öffentliche Interesse an der Beendigung des Aufenthalts von Fremden ohne Aufenthaltstitel das Interesse am Verbleib im Bundesgebiet aus Gründen des Art. 8 EMRK überwiegt (vgl. VfSlg. 19.086/2010).
I.10. Mit Beschluss des BVwG vom 09.11.2021, Zl. L515 2210006-3/21E und L515 2210008-3/13E, wurden den Revisionen gemäß § 30 Abs. 2 iVm § 30a Abs. 3 VwGG die aufschiebende Wirkung nicht zuerkannt.
I.11. Die von der rechtlichen Vertretung eingebrachten Revisionen wurden mit Erkenntnis des VwGH vom 29.11.2021, XXXX , als unbegründend zurückgewiesen.
Begründend wurde ausgeführt, dass wenn Verfahrensmängel als Zulassungsgründe ins Treffen geführt werden, so muss auch schon in der abgesonderten Zulässigkeitsbegründung die Relevanz dieser Verfahrensmängel, weshalb also bei Vermeidung des Verfahrensmangels in der Sache ein anderes, für den Revisionswerber günstigeres Ergebnis hätte erzielt werden können, dargetan werden. Dies setzt voraus, dass - auf das Wesentliche zusammengefasst - jene Tatsachen dargestellt werden, die sich bei Vermeidung des behaupteten Verfahrensfehlers als erwiesen ergeben hätten (vgl. VwGH 20.10.2021, Ra 2021/20/0290, mwN). Dem wird mit dem völlig unsubstantiierten Vorbringen der revisionswerbenden Parteien jedoch nicht nachgekommen. Der Vollständigkeit halber sei auch erwähnt, dass in den Revisionsgründen auf jene Verfahrensfehler, die in der Zulässigkeitsbegründung schlagwortartig angesprochen werden, nicht zurückgekommen wird.
I.12. Am 18.01.2022 stellten die beiden BF einen neuerlichen Antrag auf internationalen Schutz. Dabei führte der BF1 in der Erstbefragung aus, „ich halte meine alten Fluchtgründe aufrecht. Mein Sohn hat einen Antrag auf Bleiberecht beim BFA gestellt. Er hat auch ein Interview in der NÖN gehabt. Es kam auch ein Artikel heraus. Er besucht die HTL für Informatik in XXXX . Der Zeitungsartikel wurde auch in einer aserbaidschanischen Zeitung veröffentlicht, wo auch der Redakteur noch dazu schrieb, dass ich ein Politiker sei. In Österreich wurde für meinen Sohn eine Petition gestartet, da sie der Meinung sind, dass er die Schule erfolgreich abschließen wird. Außerdem wurde in Aserbaidschan mein ehemaliger Chef in der Partei verhaftet. Ich fürchte daher auch, dass ich verhaftet werde.“
Der BF3 führte in der Erstbefragung aus, „ich halte meine alten Fluchtgründe aufrecht. Ich habe einen Antrag auf Bleiberecht beim BFA gestellt. Ich besuche mit gutem Erfolg die HTL für Informatik in XXXX Nachdem in meinem Asylverfahren am 29.11.2021 entschieden wurde, dass ich nicht bleiben darf, habe ich mit einem Mitschüler die NÖN kontaktiert und ein Interview gegeben. Dieses wurde Ende Dezember in der NÖN XXXX abgedruckt. Bereits vor einer Woche wurde, ohne dass ich es wusste, eine Petition für mich gestartet, welche 30 Personen unterschrieben haben. Gestern hat meine Lehrerin eine Petition für mich gestartet, welche bereits von 600 Personen unterschrieben wurde. Der Zweck der Petition ist, dass ich als erfolgreicher, integrierter Schüler hier meine Ausbildung abschließen soll. Wenn ich jetzt nach Aserbaidschan zurückkehren muss, habe ich keinen Schulabschluss. Ich werde es dort in der Schule sehr schwer haben und ein Studium wird mir nicht möglich sein. Das wäre aber Voraussetzung, um eine ordentliche Arbeit zu bekommen. Ich hoffe, dass die Petition noch viele Personen unterschreiben werden.“
I.13. Nach Zulassung des Verfahrens wurden die BF1 und BF3 am 14.02.2022 vor dem BFA, RD Burgenland, niederschriflich einvernommen. Dabei führte der BF1 abermals aus, dass er wegen seiner Mitgliedschaft zur VIP Partei in Aserbaidschan verfolgt werden könnte. Der BF3 führte zu seinen Gründen aus, dass seine Lehrer denken, dass er sich in Österreich integriert habe und die Schule bis zur Matura fertigmachen solle. Zudem sei das Schulsystem in Aserbaidschan anders, er könne dort nicht mehr in die 7. Hauptschule zurück und würde keinen Job bekommen. Das sei alles.
I.14. Am 15.02.2022 wurde eine Anfrage an die Staatendokumentation hinsichtlich der Festnahme des Ali ALIEV, dem Umgang mit Mitgliedern der VIP Partei, Gefährdungen bei einer Rückkehr, evenuellen Problemen betreffend den Zeitungsartikel des BF2, übermittelt. Die Beantwortung langte am 12.05.2022 ein.
I.15. Mit den im Spruch genannten Bescheiden wurden die Anträge der BF1 und BF3 auf internationalen Schutz Behörde gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 abgewiesen und der Status eines Asylberechtigten nicht zuerkannt (SP I.). Gem. § 8 Abs. 1 AsylG wurde der Status subsidiär Schutzberechtigter in Bezug auf den Herkunftsstaat Aserbaidschan nicht zugesprochen (SP II.). Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG wurde nicht erteilt (SP III.), gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG wurde eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen (SP IV.) und gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass eine Abschiebung der BF nach Aserbaidschan gemäß § 46 FPG zulässig sei (SP V.). Gemäß § 55 Absatz 1 bis 3 FPG wurde eine Frist von 14 Tagen für die freiwillige Ausreise gewährt (SP VI.).
Inhaltlich wurde ausgeführt, dass sich der BF1 auf die gleichen Gründe bezog, welche er bereits im ersten Verfahren, dass rechtskräftig negativ entschieden wurde. Auch die nunmehr geäußerten Gründe und Befürchtungen (ein Zeitungsartikel über den BF2, welcher die HTL XXXX besucht und die Festnahme des Ali ALIEV in Aserbaidschan) begründen keine Bedrohung oder Verfolgung aus den in der GFK genannten Gründen.
Rechtlich führte die belangte Behörde aus, dass weder ein unter Art. 1 Abschnitt A Ziffer 2 der GFK, noch unter § 8 Abs. 1 AsylG zu subsumierender Sachverhalt hervorkam. Es hätten sich weiter keine Hinweise für einen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG ergeben und stelle die Rückkehrentscheidung auch keinen ungerechtfertigten Eingriff in Art. 8 EMRK (§§ 55, 10 Abs. 2 AsylG 2005) dar.
Gegen die Bescheide wurde innerhalb offener Frist Beschwerde erhoben. Im Wesentlichen wurde neben Wiederholungen und allgemeinen Angaben vorgebracht, dass die BF1 und BF3 in Aserbaidschan aus politischen Gründen verfolgt werden. So sei der BF1 Oppositionspolitiker bei der VIP Partei und war enger Mitarbeiter des Ali ALIEV. Dieser ALIEV ist Anfang 2022 verhaftet worden und sei der BF1 deswegen gefährdet, auch inhaftiert zu werden. Zudem erschien in Österreich ein Zeitungsartikel über den BF3, der befürchte bei einer Rückkehr keine Schule mehr besuchen zu können. Auch sei der BF3 darin als politischer Flüchtling bezeichnet worden. Der Artikel gelangte in übersetzter Form bis nach Aserbaidschan. Beide BF würden jedenfalls zurecht befürchten bei einer Rückkehr Verfolgung und Bedrohung ausgesetzt zu sein. Zudem sei die Justiz korrupt und der Exekutive untergeordnet, beispielhaft dazu wurde eine BVwG Entscheidung angeführt. Die Erstbehörde hätte jedenfalls die Ermittlungspflicht nicht ausreichend erüllt. Beide BF leiden mittlerweile an den Folgen der Verfolgung durch die aserbaidschanischen Behörden.
I.16. Am 27.07.2022 reisten die BF2 und der BF4 rechtswidrig in das Bundesgebiet und stellten am 04.08.2022 Anträge auf internationalen Schutz. Diese begründeten sie damit, dass sie nach Österreich reisten, um mit dem Gatten bzw. Vater und Sohn bzw. Bruder gemeinsam leben zu können
I.17. Am 10.08.2022 wurde vor dem Bundesverwaltungsgericht eine öffentliche mündliche Verhandlung im Beisein der BF, samt ihrer rechtsfreundlichen Vertretung und einer Dolmetscherin für die türkische Sprache durchgeführt.
I.18. Nach Zulassung des Verfahrens wurden die BF2 und der BF4 am 09.01.2023 vor dem BFA, RD Burgenland, niederschriftlich einvernommen. Dabei gab die BF2 zum Ausreisegrund befragt bekannt, dass es ohne Gatten und Sohn sehr schwer und schlecht gegangen sei in Aserbaidschan. Um die Familie wieder zusammenzuführen, wären sie aus Aserbaidschan ausgereist. Auch wären sie von Unbekannten bedroht worden, diese hätten den Aufenthaltsort ihres Gatten und ihres Sohnes in Erfahrung bringen wollen. Der BF4 gab bekannt, dass er wieder mit seinem Vater und seinem Bruder zusammen sein möchte.
Mit Bescheid des BFA vom 20.02.2023 wurden die Anträge der BF2 und BF4 auf internationalen Schutz Behörde gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 abgewiesen und der Status eines Asylberechtigten nicht zuerkannt (SP I.). Gem. § 8 Abs. 1 AsylG wurde der Status subsidiär Schutzberechtigter in Bezug auf den Herkunftsstaat Aserbaidschan nicht zugesprochen (SP II.). Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG wurde nicht erteilt (SP III.), gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG wurde eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen (SP IV.) und gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass eine Abschiebung der BF nach Aserbaidschan gemäß § 46 FPG zulässig sei (SP V.). Gemäß § 55 Absatz 1 bis 3 FPG wurde eine Frist von 14 Tagen für die freiwillige Ausreise gewährt (SP VI.).
Begründend wurde ausgeführt, dass das Vorbringen der BF2 nicht glaubhaft sei und offensichtlich dazu diene, die Asylgründe ihres Mannes zu untermauern, um somit die Rückkehr der gesamten Familie nach Aserbaidschan zu erschweren. Das BFA hielt fest, dass die BF2 ihre Ausreisegründe bzw. Rückkehrbefürchtungen mit dem Vorbringen ihres Ehemannes in Verbindung brachte, wobei diese behauptete politische Verfolgung bereits 2-mal als unglaubwürdig befunden wurde und dessen Verfahren bereits rechtskräftig abgeschlossen sind.
Dagegen wurde von der rechtsfreundlichen Vertretung fristgerecht Beschwerde erhoben.
I.19. Mit Erkenntnis des BVwG vom 06.12.2022 wurden die Beschwerden des BF1 und des BF3 als unbegründet abgewiesen. Begründend wurde unter anderem ausgeführt, dass es den BF dessen ungeachtet auch im Folgeverfahren nicht gelungen ist, glaubhaft zu machen, dass ihnen in Aserbaidschan Verfolgung iSd GFK droht. Die vom BF1 vorgebrachte Festnahme und Inhaftierung des Ali ALIEV und der Zeitungsartikel begründen jedenfalls keine asylrelevante Verfolgung, wie bereits – unter Heranziehung der Anfragebeantwortung – erörtert wurde. Auch die vom BF2 vorgebrachten – befürchteteten – Schwierigkeiten hinsichtlich des Schulbesuches und der Chance auf einen adäquaten Arbeitsplatz, ändern daran nichts. Die Berufung auf die bereits im Erstverfahren vorgebrachten Gründe wurden ohnehin bereits rechtskräftig als nicht glaubwürdig beurteilt.
Vom VfGH wurde mit Erkenntnis vom 13.06.2023, XXXX die Behandlung einer dagegen erhobenen Beschwerde hinsichtlich der Spruchpunkte I. bis III. abgelehnt. Hinischtlich der weiteren Spruchpunkte wurde das Erkenntnis aufgehoben. Begründend wurde ausgeführt: Indem das Bundesverwaltungsgericht zwar festgestellt hat, wie sich die Familiensituation der Beschwerdeführer in Österreich insgesamt darstellt, insbesondere zwischen den Beschwerdeführern selbst, diese Umstände bei seiner gemäß Art. 8 EMRK gebotenen Interessenabwägung jedoch nicht berücksichtigt hat, hat es das angefochtene Erkenntnis mit einem in die Verfassungssphäre reichenden Mangel belastet. Das Bundesverwaltungsgericht setzt sich weder mit der Trennung der Beschwerdeführer von den beiden weiteren — im Bundesgebiet aufhältigen — Familienangehörigen noch mit der Trennung der Beschwerdeführer selbst auseinander.
I.23. Mit am 04.04.2023 mündlich verkündeten und mit 28.04.2023 schriftlich ausgefertigten Erkenntnissen des BVwG wurden die Beschwerden der BF2 und des BF4 als unbegründet abgewiesen. Begründend wurde unter anderem ausgeführt, dass für das BVwG auch zweifelsfrei feststeht, dass die Familienzusammenführung in Österreich der Hauptgrund für die Ausreise der BF und für deren anschließende Antragstellung im Bundesgebiet war.
I.24. Eine dagegen erhobene außerordentliche Revision wurde vom VwGH mit Erkenntnis vom 12.03.2024, Ra 2023/14/0483 bis 0484-9, hinsichtlich der Spruchpunkte I. bis III. zurückgewiesen. Hinischtlich der weiteren Spruchpunkte wurde das Erkenntnis aufgehoben. Begründend wurde ausgeführt Eine ausdrückliche Beurteilung der Auswirkungen der angefochtenen Entscheidungen auf das Familienleben der revisionswerbenden Parteien in Bezug auf die im gemeinsamen Haushalt lebenden beiden anderen Mitgliedern der Kernfamilie ist jedoch unterblieben. Es hätte dazu einer näheren Auseinandersetzung mit den Folgen einer Trennung der revisionswerbenden Parteien von den im Bundesgebiet aufhältigen weiteren Familienmitgliedern bedurft, um die Frage der Zulässigkeit des mit den aufenthaltsbeendenden Maßnahmen verbundenen gravierenden Eingriffs in das Privat- und Familienleben der revisionswerbenden Parteien und ihrer Angehörigen abschließend beurteilen zu können.
I.25. Am 07.07.2023 wurde von der StA Eisenstadt, XXXX , gegen den BF3 Anklage wegen Einbruchsdiebstahl nach den §§ 127, 129 (1) StGB, erhoben.
Mit Beschluss des LG Eisenstadt wurde das Strafverfahren gegen den BF3 am 18.08.2023 unter Bestimmung einer Probezeit von einem Jahr vorläufig eingestellt.
I.26. Mit Eingabe vom 08.08.2024 übermittelte die rechtsfreundliche Vertretung Kurzbefunde des Psychosozialen Dienstes, Empfehlungsschreiben, Schulbesuchsbestätigungen und Kursbestätigungen.
I.27. Am 14.08.2024 wurde vor dem Bundesverwaltungsgericht eine öffentliche mündliche Verhandlung im Beisein der BF, samt ihrer rechtsfreundlichen Vertretung und eines Dolmetschers für die türkische Sprache durchgeführt.
I.28. Das Strafverfahren gegen den BF3 wurde mit Beschluss des LG Eisenstadt, XXXX , gemäß § 199 iVm 203 Abs. 1 StPO iVm § 7 JGG endgültig eingestellt.
I.29. Hinsichtlich des Verfahrensganges im Detail wird auf den Akteninhalt verwiesen.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
II.1. Feststellungen:
II.1.1. Zur Person der Beschwerdeführer:
Der BF1 führt den im Spruch genannten Namen, er ist Staatsangehöriger von Aserbaidschan, der aserbaidschanischen Volksgruppe zugehörig und Angehöriger der islamischen Religionsgemeinschaft. Der BF1 wurde am XXXX in XXXX geboren. Der BF1 besuchte die Hauptschule und das Gymnasium und absolvierte danach die Berufschule für Technik und Wirtschaft. Beschäftigt war er in einem Textilgeschäft und als selbständiger Süßwarenhersteller. Die Identität des BF1 steht fest.
Der BF1 ist der Gatte der BF2. Beide sind die Eltern des BF3 und des minderjährigen BF4.
Der BF1 leidet an keinen schweren, lebensbedrohenden Krankheiten. Er nimmt Medikamente gegen Bluthochdruck und Schlafprobleme.
In XXXX wohnen noch eine Schwester und mehrere Tanten und Onkel. Insgesamt halten sich noch ca. 40 Familienmitglieder in Baku auf. Die Schwester arbeitet als Reinigungskraft. Der BF1 besitzt in Baku ein Haus, dieses wird von der älteren Schwester während der Abwenheit der BF in Gang gehalten. Zudem besitzt der BF1 noch einen Garten, 30 km außerhalb von Baku. Die Schwester ist als Reinigungskraft tätig. Der BF1 hat regelmäßigen Kontakt zu seinen Verwandten.
Die BF2 führt den im Spruch genannten Namen, sie ist Staatsangehörige von Aserbaidschan, der aserbaidschanischen Volksgruppe zugehörig und Angehörige der islamischen Religionsgemeinschaft. Die BF1 wurde am XXXX in XXXX geboren. Die BF2 besuchte zehn Jahre lang die Schule und absolvierte danach eine dreijährige medizinische Ausbildung zur Krankenschwester. Sie arbeitete bis 2004 als Krankenschwester und war zuletzt Hausfrau. Die Identität der BF2 steht fest.
Die BF2 ist grundsätzlich gesund. Sie nimmt gegen depressive Störungen und Bluthochdruck Tabletten Gegen Wirbelsäulenbeschwerden nimmt sie fallweise Schmerztabletten. Sie erhielt bereits in Baku Tabletten gegen die depressiven Störungen.
In XXXX wohnen noch ein Onkel, eine Schwägerin sowie mehrere Cousins. Alle verfügen über Wohnmöglichkeiten.
Der BF3 führt den im Spruch genannten Namen, er ist Staatsangehöriger von Aserbaidschan, der aserbaidschanischen Volksgruppe zugehörig und Angehöriger der islamischen Religionsgemeinschaft. Der BF3 wurde am XXXX in XXXX geboren und lebte vor der Ausreise mit seinen Eltern und seinem Bruder in einem Haus in Baku. Er besuchte in Baku sieben Jahre lang die Schule. Die Identität des BF3 steht fest.
Die BF3 ist gesund und benötigt keine Medikamente.
Der BF4 wurde am XXXX in XXXX geboren und lebte vor der Ausreise mit seinen Eltern und seinem Bruder in einem Haus in Baku. Er besuchte in Baku neun Jahre lang die Schule. Die Identität des BF4 steht fest.
Die BF4 ist gesund und benötigt keine Medikamente.
Die BF sind in Österreich strafrechtlich unbescholten. Ihr Aufenthalt ist nicht zur Gewährleistung der Strafverfolgung von gerichtlich strafbaren Handlungen oder zur Geltendmachung und Durchsetzung von zivilrechtlichen Ansprüchen im Zusammenhang mit solchen strafbaren Handlungen notwendig. Sie wurden nicht Opfer von Gewalt im Sinn der §§ 382b oder 382e EO.
Die BF hatten in ihrem Herkunftsstaat vor der Ausreise keine Schwierigkeiten mit staatlichen Organen, Sicherheitskräften oder Justizbehörden zu gewärtigen. Es konnte nicht festgestellt werden, dass der BF1 aufgrund seiner politischen Einstellung Schwierigkeiten mit staatlichen Organen, Sicherheitskräften oder Justizbehörden hatte.
Es kann nicht festgestellt werden, dass die BF vor der Ausreise Schwierigkeiten aufgrund ihrer Religion bzw. ethnischen Zugehörigkeit zu gewärtigen hatten.
Es kann nicht festgestellt werden, dass die Republik Aserbaidschan nicht schutzfähig und –willig ist
Den BF droht im Falle einer Rückkehr in ihren Herkunftsstaat nicht die Todesstrafe. Ebenso kann keine anderweitige individuelle Gefährdung der BF festgestellt werden, insbesondere im Hinblick auf eine in Aserbaidschan drohende unmenschliche Behandlung, Folter oder Strafe sowie im Hinblick auf kriegerische Ereignisse, extremistische Anschläge, stammesbezogene Gewalt oder organisierte kriminelle Handlungen sowie willkürliche Gewaltausübung.
Die BF verfügen über eine – wenn auch auf niedrigerem Niveau als in Österreich – gesicherte Existenzgrundlage in ihrem Herkunftsstaat sowie über familiäre Anknüpfungspunkte und eine hinreichende Versorgung mit Nahrung und Unterkunft.
Die BF1 und BF3 halten sich seit 31.07.2018, die BF2 und BF4 seit 27.07.2022 in Österreich auf. Die BF haben im Bundesgebiet keine Verwandten. Die BF1 und BF2 sind außer für ihren minderjährigen BF4 für niemanden sorgepflichtig. Der BF1 bezieht Grundversorgung, hat Deutschkurse besucht, Zertifakte wurden nicht vorgelegt. Von der Pizzeria XXXX in XXXX wurde in Aussicht gestellt, den BF1 im Falle eines Bleiberechts anzustellen. Ein Antrag auf eine Beschäftigungsbewilligung (als Küchengehilfe) wurde vom AMS Oberpullendorf mit Bescheid vom 14.04.2022 abgewiesen. Der BF1 ist in keinem Verein oder Organisation Mitglied und leistet keine ehrenamtlichen Tätigkeiten. Zu Freunden befragt gibt er einen männlichen Vornahmen und einen Spitznamen bekannt.
Die BF2 bezieht Grundversorgung. Sie besuchte einen Deutschkurs, eine Prüfung wurde nicht absolviert. Sie ist in keinem Verein oder einer Organisation tätig. Ehrenamtlich betätigt sie sich bei der Pannonischen Tafel. Bezüglich österreichischer Freunde konnte sie drei weibliche und einen männlichen Vornamen nennen.
Der BF3 besuchte Deutschkurse und besuchte die HTL XXXX . Aktuell absolviert er bei der Fa. XXXX in Wöllersdorf eine Lehre zum Informatiker. Der BF2 spielte Fußball im Verein XXXX . Aktuell ist er in einem Kickboxverein und besucht ein Fitness-Studio. Er absolviert keine ehrenamtlichen Tätigkeiten.
Der BF4 wohnt bei und von den Eltern. Er besuchte das Polytechnikum in XXXX und nahm an Deutschkursen teil, Zertifikate wurden nicht vorgelegt. Vom Frisörgeschäft XXXX in Wien wurde ihm in Aussicht gestellt, dass er im Falle eines Bleiberechts dort arbeiten kann. Er geht mit seinem Bruder Kickboxen und in ein Fitness-Studio. Ehrenamtliche Tätigkeiten werden nicht ausgeführt.
Für die BF wurde ein Konvolut an Unterstützungsschreiben vorgelegt. Eine Haftungserklärung wurde nicht eingebracht.
Im gegenständlichen Fall ergab sich weder eine maßgebliche Änderung bzw. Verschlechterung in Bezug auf die den BF betreffende abschiebungsrelevante Lage im Herkunftsstaat, noch in sonstigen in der Person der BF gelegenen Umständen. Eine relevante Änderung der Rechtslage konnte ebenfalls nicht festgestellt werden.
Es konnte nicht festgestellt werden, dass die BF eine aktuelle sowie unmittelbare persönliche und konkrete Gefährdung oder Verfolgung in ihrem Heimatland droht. Ebenso konnte unter Berücksichtigung sämtlicher Umstände nicht festgestellt werden, dass die BF im Falle einer Rückkehr in ihren Herkunftsstaat der Gefahr einer Verfolgung aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder politischen Gesinnung iSd GFK ausgesetzt wären.
Weiter konnte unter Berücksichtigung aller bekannten Umstände nicht festgestellt werden, dass eine Zurückweisung, Zurück- oder Abschiebung nach Aserbaidschan eine reale Gefahr einer Verletzung von Art. 2 EMRK, Art. 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder 13 zur Konvention bedeuten würde oder für die BF als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde.
Es konnte nicht festgestellt werden, dass eine Abschiebung in den Herkunftsstaat gemäß § 46 FPG unzulässig wäre. Weitere Rückkehrhindernisse kamen bei Berücksichtigung sämtlicher bekannter Tatsachen nicht hervor.
II.1.2. Zum bisherigen Verfahren:
Der BF1 stellte für sich und als gesetzlicher Vertreter für den BF3 erstmals am 31.07.2018 Anträge auf internationalen Schutz. Diese Anträge wurde folglich Bescheiden des BFA abgewiesen. Nach Erhebung einer Beschwerde wurden die Bescheide gem. § 28 Abs. 3 VwGVG behoben und die Angelegenheit zur neuerlichen Erlassung der Bescheide an das BFA zurückverwiesen.
Die Anträge wurden mit Bescheiden des BFA neuerlich vollinhaltlich abgewiesen, Rückkehrentscheidungen erlassen und die Abschiebung nach Aserbaidschan für zulässig erklärt. Begründend wurde ausgeführt, dass die Existenz einer aktuellen Gefahr einer Verfolgung des BF1 als nicht glaubhaft betrachtet wird. Das BFA hielt fest, dass der BF1 lediglich ein für ihn in Aserbaidschan vorliegendes Verfolgungsszenario konstruierte, ohne tatsächlich von den vorgebrachten Erzählungen persönlich betroffen gewesen zu sein.
Dagegen erhobene Beschwerden wurden mit Erkenntnissen des BVwG vom 02.08.2021, Zl: L515 2210006-3/21E und L515 2210008-3/13E, als unbegründet abgewiesen, weshalb die Rückkehrentscheidungen somit mit 04.08.2021 rechtskräftig wurden.
Gegen diese Erkenntnisse wurde eine Beschwerde an den VfGH erhoben und Eventualanträge auf Abtretung an den VwGH und Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung gestellt.
Mit Beschluss des VfGH vom 29.09.2021, Zl. XXXX , wurde die Behandlung der Beschwerde abgelehnt und die Beschwerden dem VwGH zur Entscheidung abgetreten. Begründend wurde ausgeführt, dass das Bundesverwaltungsgericht sich mit der Frage der Gefährdung der beschwerdeführenden Partei in ihren Rechten ausreichend auseinandergesetzt hat. Ihm kann unter verfassungsrechtlichen Gesichtspunkten nicht entgegengetreten werden, wenn es auf Grund der Umstände des vorliegenden Falles davon ausgeht, dass das öffentliche Interesse an der Beendigung des Aufenthalts von Fremden ohne Aufenthaltstitel das Interesse am Verbleib im Bundesgebiet aus Gründen des Art. 8 EMRK überwiegt (vgl. VfSlg. 19.086/2010).
Die von der rechtlichen Vertretung eingebrachten Revisionen wurden mit Erkenntnis des VwGH vom 29.11.2021, XXXX , als unbegründend zurückgewiesen.
Am 18.01.2022 stellten die der BF1 und der BF3 Folgeanträge, wobei sie ihre alten Ausreisegründe aufrechterhielten. Diese Anträge wurden mit Bescheiden des BFA vom 27.05.2022 hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch hinsichtlich des Status des subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen, Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen nicht erteilt, gegen die Beschwerdeführer Rückkehrentscheidungen erlassen und festgestellt, dass die Abschiebung der Beschwerdeführer nach Aserbaidschan zulässig sei. Als Frist für die freiwillige Ausreise wurden 14 Tage ab Rechtskraft der Entscheidung festgesetzt.
Am 27.07.2022 reisten die BF2 und der BF4 rechtswidrig in das Bundesgebiet und stellten am 04.08.2022 Anträge auf internationalen Schutz. Diese begründeten sie damit, dass sie nach Österreich reisten, um mit dem Gatten bzw. Vater und Sohn bzw. Bruder gemeinsam leben zu können
Mit Bescheid des BFA vom 20.02.2023 wurden die Anträge der BF2 und BF4 hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch hinsichtlich des Status des subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen, Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen nicht erteilt, gegen die Beschwerdeführer Rückkehrentscheidungen erlassen und festgestellt, dass die Abschiebung der Beschwerdeführer nach Aserbaidschan zulässig sei. Als Frist für die freiwillige Ausreise wurden 14 Tage ab Rechtskraft der Entscheidung festgesetzt.
Mit Erkenntnis des BVwG vom 06.12.2022 wurden die Beschwerden des BF1 und des BF3 als unbegründet abgewiesen. Begründend wurde unter anderem ausgeführt, dass es den BF dessen ungeachtet auch im Folgeverfahren nicht gelungen ist, glaubhaft zu machen, dass ihnen in Aserbaidschan Verfolgung iSd GFK droht. Die vom BF1 vorgebrachte Festnahme und Inhaftierung des Ali ALIEV und der Zeitungsartikel begründen jedenfalls keine asylrelevante Verfolgung, wie bereits – unter Heranziehung der Anfragebeantwortung – erörtert wurde. Auch die vom BF2 vorgebrachten – befürchteteten – Schwierigkeiten hinsichtlich des Schulbesuches und der Chance auf einen adäquaten Arbeitsplatz, ändern daran nichts. Die Berufung auf die bereits im Erstverfahren vorgebrachten Gründe wurden ohnehin bereits rechtskräftig als nicht glaubwürdig beurteilt.
Vom VfGH wurde mit Erkenntnis vom 13.06.2023 XXXX , die Behandlung einer dagegen erhobenen Beschwerde hinsichtlich der Spruchpunkte I. bis III. abgelehnt. Hinischtlich der weiteren Spruchpunkte wurde das Erkenntnis aufgehoben. Begründend wurde ausgeführt Indem das Bundesverwaltungsgericht zwar festgestellt hat, wie sich die Familiensituation der Beschwerdeführer in Österreich insgesamt darstellt, insbesondere zwischen den Beschwerdeführern selbst, diese Umstände bei seiner gemäß Art. 8 EMRK gebotenen Interessenabwägung jedoch nicht berücksichtigt hat, hat es das angefochtene Erkenntnis mit einem in die Verfassungssphäre reichenden Mangel belastet. Das Bundesverwaltungsgericht setzt sich weder mit der Trennung der Beschwerdeführer von den beiden weiteren — im Bundesgebiet aufhältigen — Familienangehörigen noch mit der Trennung der Beschwerdeführer selbst auseinander.
Mit am 04.04.2023 mündlich verkündeten und mit 28.04.2023 schriftlich ausgefertigten Erkenntnissen des BVwG wurden die Beschwerden der BF2 und des BF4 als unbegründet abgewiesen. Begründend wurde unter anderem ausgeführt, dass für das BVwG auch zweifelsfrei feststeht, dass die Familienzusammenführung in Österreich der Hauptgrund für die Ausreise der BF und für deren anschließende Antragstellung im Bundesgebiet war.
Eine dagegen erhobene außerordentliche Revision wurde vom VwGH mit Erkenntnis vom 12.03.2024, XXXX , hinsichtlich der Spruchpunkte I. bis III. zurückgewiesen. Hinischtlich der weiteren Spruchpunkte wurde das Erkenntnis aufgehoben. Begründend wurde ausgeführt Eine ausdrückliche Beurteilung der Auswirkungen der angefochtenen Entscheidungen auf das Familienleben der revisionswerbenden Parteien in Bezug auf die im gemeinsamen Haushalt lebenden beiden anderen Mitgliedern der Kernfamilie ist jedoch unterblieben. Es hätte dazu einer näheren Auseinandersetzung mit den Folgen einer Trennung der revisionswerbenden Parteien von den im Bundesgebiet aufhältigen weiteren Familienmitgliedern bedurft, um die Frage der Zulässigkeit des mit den aufenthaltsbeendenden Maßnahmen verbundenen gravierenden Eingriffs in das Privat- und Familienleben der revisionswerbenden Parteien und ihrer Angehörigen abschließend beurteilen zu können.
II.1.3. Zur Lage im Herkunftsstaat:
Hinsichtlich der asyl- und abschiebungsrelevanten Lage in Aserbaidschan legt das erkennende Gericht seiner Entscheidung die aktuelle Version der Länderfeststellungen der Staatendokumentation zu Aserbaidschan zu Grunde. Auszugsweise werden aus den herangezogenen Länderfeststellungen insbesondere folgende Feststellungen explizit angeführt:
„Politische Lage“
Die aserbaidschanische Verfassung sieht eine Republik mit einer präsidialen Regierungsform vor (USDOS 12.4.2022). Die Verfassung enthält den Grundsatz der Gewaltenteilung (Art. 7 Abs. 3), wonach die Nationalversammlung („Milli Mejlis“) die gesetzgebende, der Staatspräsident die vollziehende und die Gerichte die rechtsprechende Gewalt ausüben. In den ländlichen Gebietsverwaltungskörperschaften (sog. „Rayons“) üben die vom Präsidenten eingesetzten lokalen Gouverneure die politische Macht aus (AA 25.3.2022).
In der Praxis dominiert der Staatspräsident das politische Leben. Er wird direkt für eine Amtsperiode von sieben Jahren gewählt und kann seit einer Verfassungsänderung unbegrenzt oft wiedergewählt werden. Er ernennt und entlässt mit Zustimmung der Nationalversammlung den Ministerpräsidenten; ohne Beteiligung der Nationalversammlung ernennt und entlässt er die Minister sowie die Gouverneure und Vize-Gouverneure der regionalen Verwaltungsbezirke (Rayons). Das Einkammerparlament besteht aus 125 nach absolutem Mehrheitswahlrecht gewählten Abgeordneten. Das legislative Vorschlagsrecht haben der Präsident, das Oberste Gericht, das Parlament der Autonomen Republik Nachitschewan und der Generalstaatsanwalt. In der Praxis gehen die von der Nationalversammlung verabschiedeten Gesetze oft auf Initiativen des Präsidialamtes zurück. Diskussionen zu streitigen Themen finden selten statt (AA 25.3.2022).
Bei den Präsidentschaftswahlen vom 11. April 2018 wurde Präsident Aliyev erwartungsgemäß im Amt bestätigt (86,0 %) (AA 25.3.2022).
2019 löste der Präsident die Nationalversammlung nach einem entsprechenden Aufruf der Nationalversammlung auf und kündigte für Februar 2020 vorgezogene Wahlen für das Gremium an. Einige Oppositionsparteien boykottierten die Wahlen unter Hinweis auf das restriktive Umfeld, während andere Oppositionsparteien und -gruppen an den Wahlen teilnahmen. Nach Angaben der Wahlbeobachtungsmission des Büros für demokratische Institutionen und Menschenrechte (BDIMR) der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE), verhinderten die restriktive Gesetzgebung und das politische Umfeld einen echten Wettbewerb bei den Wahlen im Februar 2020 (USDOS 12.4.2022). Lediglich ein Vertreter der (echten) Opposition, in diesem Fall der REAL-Partei, wurde ins Parlament gewählt (AA 25.3.2022).
Obwohl die Verfassung den Bürgern die Möglichkeit einräumt, ihre Regierung durch freie und faire Wahlen in geheimer Abstimmung und auf der Grundlage des allgemeinen und gleichen Wahlrechts zu wählen, schränkte die Regierung diese Möglichkeit weiterhin ein, indem sie den Wahlprozess behinderte (USDOS 12.4.2022). Die regierende Neue Aserbaidschanische Partei dominierte weiterhin das politische System. Einheimische Beobachter berichteten, dass Mitglieder der Regierungspartei Vorteile erhielten, z. B. Vorrang bei der Vergabe öffentlicher Ämter. Im Laufe des Jahres setzte ein Beamter der Präsidialverwaltung die direkte Kommunikation mit einigen der 58 registrierten politischen Parteien und Gruppen des Landes fort. Der Beamte hielt das ganze Jahr über Treffen mit politischen Persönlichkeiten ab, darunter auch mit Vertretern ausgewählter Oppositionsparteien. Trotz des Dialogs gab es jedoch weiterhin Beschränkungen für die politische Beteiligung (USDOS 12.4.2022).
[…]
Sicherheitslage
Vor Reisen in die Region Bergkarabach (einschließlich der von Aserbaidschan kontrollierten Teile), die übrigen ehemaligen besetzten Gebiete und das gesamte Grenzgebiet zu Armenien wird gewarnt. Der bewaffnete Konflikt um die Region Bergkarabach sowie die im Südwesten und Westen Aserbaidschans gelegenen, bisher von armenischen Streitkräften besetzten Bezirke Agdam, Füsuli, Dschabrayil, Sangilan, Kubadli, Ladschin und Kalbadschar, ist durch den Waffenstillstand aufgrund der dreiseitigen Erklärung zwischen Aserbaidschan, Armenien und Russland vom 9. November 2020 zunächst zwar beendet, ein Befahren und Betreten dieser Bezirke ist ohne Genehmigung der aserbaidschanischen Behörden aus Sicherheitsgründen weiterhin untersagt (AA 27.5.2022; vgl. EDA 27.5.2022). (BMEIA 27.5.2022). Minen- und Sprengstoffgefahr gilt in gleichem Maße für die aserbaidschanisch-armenische Landesgrenze, einschließlich der Grenze zwischen der aserbaidschanischen Autonomen Republik Nachitschewan und Armenien (AA 27.5.2022).
Demonstrationen und Proteste der Opposition finden in den übrigen Landesteilen gelegentlich statt und haben meist ein starkes Aufgebot von Sicherheitskräften zur Folge. Vereinzelte gewaltsame Auseinandersetzungen können insbesondere bei nicht genehmigten Protestaktionen nicht ausgeschlossen werden (AA 27.5.2022). Die Kriminalitätsrate ist niedrig (AA 27.5.2022).
[…]
Rechtsschutz, Justizwesen
Die Rechtsprechung wird durch den Verfassungsgerichtshof, den Obersten Gerichtshof, Berufungsgerichte, erstinstanzliche Bezirksgerichte und Gerichte mit Sonderzuständigkeiten ausgeübt. Das 1998 errichtete Verfassungsgericht besteht aus neun Richter, die von der Nationalversammlung auf Vorschlag des Staatspräsidenten ernannt werden. Es kann von verschiedenen Verfassungsorganen sowie von allen Personen angerufen werden, die sich von einem Akt hoheitlicher Gewalt in ihren Grundfreiheiten verletzt fühlen (AA 25.3.2022).
Ungeachtet zahlreicher Gesetze, die sich an westlichen Standards orientieren, bleibt die Rechtsanwendung hinter den Standards des Europarats zurück. Die Rechtsprechung ist zwar formell unabhängig, steht aber faktisch unter dem Einfluss der Regierungsgewalt. Insbesondere in den Verfahren, die von politischer Bedeutung sind (wie z.B. Strafverfahren gegen kritische Journalisten und oppositionelle Menschenrechtsaktivisten), scheinen die Urteile politischen Vorgaben zu folgen. Bei Urteilen zulasten der Regierung sind Umsetzung bzw. Vollstreckung problematisch (AA 25.3.2022).
In politisch relevanten Fällen wird der Grundsatz der Unschuldsvermutung, den die Verfassung in Art. 63 garantiert, regelmäßig nicht beachtet; Erklärungen der Staatsanwaltschaft und des Innenministeriums enthalten oft Vorverurteilungen (AA 25.3.2022).
Eine Strafverfolgungs- oder Strafzumessungspraxis, die nach Merkmalen wie Ethnie, Religion, Nationalität oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe diskriminiert, lässt sich grundsätzlich nicht feststellen. Personen, die des Umsturzversuches oder des Terrorismus bezichtigt werden, müssen aber in besonderem Maße mit langjährigen Haftstrafen rechnen. Es gibt Anhaltspunkte für politisch motivierte Strafverfahren (AA 25.3.2022).
Obwohl das Gesetz grundsätzlich rechtsstaatliche Bestimmungen und Verfahren (Zugang zu Rechtsbeistand und Rechtsmittel, Kontakt mit Angehörigen, Anhörung vor einem Richter, Unschuldsvermutung, begrenzte Untersuchungshaft etc.) garantiert, hielt sich die Regierung im Allgemeinen nicht immer an diese Vorgaben, insbesondere in allen Fällen, die als politisch motiviert galten (USDOS 12.4.2022).
Die Untersuchungshaft ist auf drei Monate begrenzt, kann aber von einem Richter auf bis zu 18 Monate verlängert werden, je nach dem mutmaßlichen Verbrechen und den Erfordernissen der Ermittlungen (USDOS 12.4.2022).
Es gab zwar ein formelles Kautionssystem, aber die Richter machten im Laufe des Jahres keinen Gebrauch davon (USDOS 12.4.2022).
Das Gesetz sieht vor, dass Personen, die aus strafrechtlichen oder anderen Gründen festgenommen oder inhaftiert wurden, das Recht haben, die Rechtsgrundlage, die Dauer oder den willkürlichen Charakter ihrer Inhaftierung vor Gericht anzufechten und eine unverzügliche Freilassung und Entschädigung zu erwirken, wenn sich herausstellt, dass sie unrechtmäßig festgehalten wurden. Die Justiz entschied in solchen Fällen jedoch nicht unabhängig (USDOS 12.4.2022).
Obwohl die Verfassung eine unabhängige Justiz vorsieht, waren die Richter funktionell nicht von der Exekutive unabhängig. Die Justiz war nach wie vor weitgehend korrupt und ineffizient. Glaubwürdigen Berichten zufolge nahmen Richter und Staatsanwälte insbesondere in politisch heiklen Fällen Anweisungen von der Präsidialverwaltung und dem Justizministerium entgegen. (USDOS 12.4.2022).
Obwohl die Verfassung die Verwendung unrechtmäßig erlangter Beweise verbietet, gaben einige Angeklagte an, dass die Polizei und andere Behörden Zeugenaussagen durch Folter oder Missbrauch erlangt hätten. Menschenrechtsbeobachter berichteten außerdem, dass die Gerichte den Missbrauchsvorwürfen nicht nachgingen und es keinen unabhängigen gerichtsmedizinischen Sachverständigen gab, der die Behauptungen über den Missbrauch hätte bestätigen können. Die Ermittlungen konzentrierten sich häufig darauf, Geständnisse zu erlangen, anstatt physische Beweise gegen Verdächtige zu sammeln (USDOS 12.4.2022).
Die Bürger haben das Recht, wegen Menschenrechtsverletzungen Schadenersatz oder die Beendigung von Menschenrechtsverletzungen einzuklagen. Alle Bürger haben das Recht, innerhalb von sechs Monaten nach Ausschöpfung aller innerstaatlichen Rechtsmittel, einschließlich einer Berufung beim Obersten Gerichtshof und dessen Entscheidung, den EGMR anzurufen (USDOS 12.4.2022).
Das Justizministerium berichtete, dass die Behörden im Laufe des Jahres mehr als 2.500 Bürgern die Verwendung von GPS-fähigen elektronischen Überwachungsarmbändern erlaubt haben, wodurch sie der Inhaftierung entgehen konnten (USDOS 12.4.2022).
[…]
Sicherheitsbehörden
Das Innenministerium und der Staatssicherheitsdienst sind für die Sicherheit im Lande zuständig und unterstehen direkt dem Präsidenten (USDOS 12.4.2022; vgl. AA 25.3.2022). Das Innenministerium beaufsichtigt die lokalen Polizeikräfte und unterhält die internen Zivilschutztruppen. Der Staatssicherheitsdienst ist für inländische Angelegenheiten zuständig, und der Auslandsnachrichtendienst konzentriert sich auf Angelegenheiten des Auslandsnachrichtendienstes und der Spionageabwehr. Der Staatliche Migrationsdienst und der Staatliche Grenzdienst sind für die Migration und die Durchsetzung der Grenzkontrollen zuständig (USDOS 12.4.2022).
Die zivilen Behörden behielten eine wirksame Kontrolle über die Sicherheitskräfte (USDOS 12.4.2022).
Es gab weiterhin Berichte über willkürliche oder unrechtmäßige Tötungen in Polizeigewahrsam. Die Generalstaatsanwaltschaft ist befugt, zu untersuchen, ob die von den Sicherheitskräften begangenen Tötungen gerechtfertigt waren, und die Strafverfolgung zu betreiben (USDOS 12.4.2022).
Das Land verfügt über ein Militärgerichtssystem mit zivilen Richtern. Das Militärgericht behält die ursprüngliche Zuständigkeit für alle Fälle im Zusammenhang mit Krieg oder Militärdienst (USDOS 12.4.2022).
[…]
Folter und unmenschliche Behandlung
Obwohl die Verfassung und das Strafgesetzbuch derartige Praktiken verbieten und eine Verurteilung mit bis zu 10 Jahren Haft bestrafen, gab es weiterhin glaubwürdige Vorwürfe über Folter und andere Misshandlungen (USDOS 12.4.2022: vgl. AI 29.3.2022). Die meisten Misshandlungen fanden während des Polizeigewahrsams statt, wo die Behörden Berichten zufolge missbräuchliche Methoden anwandten, um Geständnisse zu erzwingen (USDOS 12.4.2022; vgl. AA 25.3.2022, HRW 13.1.2022).
Es gibt Hinweise darauf, dass religiös-politische Häftlinge in Gefängnissen einem höheren Risiko von Misshandlungen und Folter im Vergleich zu den „weltlichen“ politischen Gefangenen ausgesetzt sind (AA 25.3.2022).
Beweise für extralegale Tötungen oder Fälle von „Verschwindenlassen“ liegen dem Auswärtigen Amt nicht vor. Unmenschliche oder erniedrigende Strafen werden nach Kenntnis des Auswärtigen Amts nicht praktiziert (AA 25.3.2022).
[…]
Korruption
Das Gesetz sieht strafrechtliche Sanktionen für Korruption durch Beamte vor, aber die Regierung setzte das Gesetz nicht wirksam um, so dass Beamte häufig ungestraft korrupte Praktiken ausübten. Die Regierung erzielte zwar einige Fortschritte bei der Bekämpfung der Korruption auf niedriger Ebene bei der Erbringung staatlicher Dienstleistungen, doch gab es immer wieder Berichte über Korruption durch Regierungsbeamte, auch auf höchster Ebene (USDOS 12.4.2022).
Laut Corruption Perceptions Index von Transparency International belegte Aserbaidschan 2021 den 128. Platz von 180 gelisteten Staaten (TI 1.2022). Ähnlich wie in den Vorjahren bestraften die Behörden weiterhin Personen, die Korruption in der Regierung aufdeckten (USDOS 12.4.2022).
[…]
NGOs, Menschenrechtsaktivisten/Ombudsperson
Die Regierung schränkte die Tätigkeit inländischer und internationaler Menschenrechtsgruppen weiterhin stark ein. Die Anwendung restriktiver Gesetze zur Einschränkung der Aktivitäten von NRO und anderer Druckmittel blieb auf demselben hohen Niveau wie in den letzten Jahren. Aktivisten berichteten auch, dass die Behörden sich weigerten, ihre Organisationen zu registrieren oder Zuschüsse zu gewähren, und dass sie die Aktivitäten ihrer Organisationen weiterhin untersuchten. Einige Menschenrechtsverteidiger konnten aufgrund verschiedener staatlicher Hindernisse, wie den eingefrorenen Bankkonten, ihre beruflichen Aufgaben nicht wahrnehmen (USDOS 12.4.2022).
Die Arbeit von Menschenrechtsverteidigern und Nichtregierungsorganisationen wird nach wie vor durch übermäßige gesetzliche und praktische Beschränkungen behindert. Im November empfahl der UN-Ausschuss für wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte Aserbaidschan, "alle Rechtsvorschriften aufzuheben, die die Tätigkeit von Nichtregierungsorganisationen unangemessen einschränken" (AI 29.3.2022).
Während die Regierung mit einigen internationalen Menschenrechts-NRO kommunizierte und auf deren Anfragen reagierte, kritisierte sie bei zahlreichen Gelegenheiten andere Menschenrechts-NRO und Aktivisten und schüchterte sie ein. Das Justizministerium verweigerte weiterhin die Registrierung oder erlegte Menschenrechts-NROs aus willkürlichen Gründen schwerwiegende administrative Beschränkungen auf (USDOS 12.4.2022).
Führende Menschenrechtsorganisationen sahen sich einem feindlichen Umfeld gegenüber, wenn sie Menschenrechtsfälle untersuchten und ihre Erkenntnisse darüber veröffentlichten (USDOS 12.4.2022).
Bürger können sich bei Verstößen des Staates oder von Einzelpersonen an die Ombudsperson für Menschenrechte für Aserbaidschan oder die Ombudsperson für Menschenrechte der Autonomen Republik Nachitschewan wenden. Die Ombudsperson kann die Annahme von Missbrauchsfällen verweigern, die mehr als ein Jahr alt oder anonym sind oder bereits von der Justiz bearbeitet werden. Menschenrechtsorganisationen kritisierten, dass es der Ombudsstelle in Fällen, die als politisch motiviert angesehen werden, an Unabhängigkeit und Wirksamkeit mangelt (USDOS 12.4.2022).
Auch die Menschenrechtsbüros in der Nationalversammlung und im Justizministerium nahmen Beschwerden entgegen, führten Untersuchungen durch und gaben Empfehlungen an die zuständigen Regierungsstellen ab, wurden aber ebenfalls beschuldigt, Verstöße in politisch heiklen Fällen zu ignorieren (USDOS 12.4.2022).
[…]
Allgemeine Menschenrechtslage
Die Verfassung enthält in den Art. 24 bis 71 einen umfassenden Menschenrechtskatalog (AA 25.3.2022).
Die Verfassung garantiert die Gleichheit der Rechte und Freiheiten für alle, ungeachtet der Rasse, der ethnischen Zugehörigkeit, der Religion, der Sprache, des Geschlechts, der Herkunft, des Vermögens, des Berufs, der Überzeugungen oder der Zugehörigkeit zu politischen Parteien, Gewerkschaften oder anderen öffentlichen Vereinigungen. Einschränkungen von Rechten und Freiheiten aus Gründen der Rasse, der ethnischen Zugehörigkeit, der Religion, der Sprache, des Geschlechts, der Herkunft, der Weltanschauung oder der politischen oder sozialen Zugehörigkeit sind verboten (USDOS 12.4.2022).
Allerdings gab es laut USDOS-Bericht glaubwürdige Berichte über unterschiedliche Menschenrechtsprobleme wie: rechtswidrige oder willkürliche Tötung; Folter harte und mitunter lebensbedrohliche Haftbedingungen; willkürliche Inhaftierung; politische Gefangene; weit verbreitete Probleme mit der Unabhängigkeit der Justiz; willkürliche Eingriffe in die Privatsphäre; schwerwiegende Misshandlungen in Konflikten, einschließlich des Verschwindenlassens von Personen, Folter und anderer körperlicher Misshandlungen; schwerwiegende Einschränkungen der freien Meinungsäußerung und der Medien und des Internets, ein faktisches Verbot des Rechts, sich friedlich zu versammeln, und erhebliche Eingriffe in die Vereinigungsfreiheit; Einschränkungen der Bewegungsfreiheit; schwerwiegende Einschränkungen der politischen Partizipation; systemische Korruption in der Regierung; polizeiliche Brutalität gegen Personen aufgrund ihrer sexuellen Orientierung; erhebliche Einschränkungen der Vereinigungsfreiheit von Arbeitnehmern; und schlimmste Formen der Kinderarbeit (USDOS 12.4.2022).
Nach Ansicht unabhängiger Beobachter und Menschenrechtsverteidiger, hat sich die Menschenrechtslage speziell im Bereich der politischen Rechte (Meinungs- und Versammlungsfreiheit) nach deutlicher Verschlechterung 2013 bis 2015 nicht wieder grundsätzlich verbessert. In den Bereichen wie Frauenrechte und Inklusion von Menschen mit Behinderung zeigt Aserbaidschan allerdings Interesse (AA 25.3.2022).
Jeder Staatsangehörige, der sich durch einen Akt staatlicher Gewalt in diesen Grundrechten verletzt sieht, kann im Wege einer Individualbeschwerde den Rechtsweg zum Verfassungsgericht beschreiten (AA 25.3.2022).
Die Schätzungen zu der Anzahl politischer Gefangener in aserbaidschanischen Gefängnissen variieren in der Größenordnung zwischen 20 (laut Europarat) und über 100 (NRO-Listen) (AA 25.3.2022).
Die Regierung hat die meisten Beamten, die Menschenrechtsverletzungen und Korruptionshandlungen begangen haben, nicht strafrechtlich verfolgt oder bestraft; Straffreiheit ist nach wie vor ein Problem (USDOS 12.4.2022).
[…]
Meinungs- und Pressefreiheit
Obwohl das Gesetz das Recht auf freie Meinungsäußerung, auch für Mitglieder der Presse und anderer Medien, vorsieht und die Pressezensur ausdrücklich verbietet, hat die Regierung diese Rechte regelmäßig verletzt (USDOS 12.4.2022; vgl AA 25.3.2022).
In der Rangliste der Pressefreiheit 2022 liegt Aserbaidschan auf Platz 154 von 180 Plätzen (RSF ohne Datum).
Die Medien – insbesondere staatlich kontrollierte Druckpresse und Fernsehen – werden gelegentlich für Hetzkampagnen gegen regierungskritische Organisationen oder Individuen missbraucht (AA 25.3.2022).
Journalisten, Redakteure und unabhängige Blogger waren Einschüchterungsversuchen ausgesetzt und wurden bisweilen verprügelt und inhaftiert. Darüber hinaus kam es zu verdächtigen Gewalttaten außerhalb des Landes. Im Laufe des Jahres übten die Behörden weiterhin Druck auf Medien, Journalisten, Blogger und Aktivisten im Land und im Exil sowie auf deren Angehörige aus, damit sie keine Kritik an der Regierung übten (USDOS 12.4.2022).
Nicht nur die offiziellen, sondern auch die meisten privaten Medien berichten tendenziell positiv über die Regierung und den Präsidenten und üben sich in Selbstzensur (AA 25.3.2022; vgl. USDOS 12.4.2022). Lokale Beobachter berichteten, dass Journalisten unabhängiger Medien Schikanen und Cyberangriffen ausgesetzt waren. Die Schikanen richteten sich vor allem gegen Journalisten von Radio Liberty, Azadliq und anderen oppositionellen und halb unabhängigen Zeitungen sowie von Meydan TV, Obyektiv Television und Mikroskop Media (USDOS 12.4.2022).
Eine unmittelbare Zensur findet nicht statt. Journalisten und Herausgeber setzen sich jedoch im Falle kritischer Berichterstattung der Gefahr aus, aufgrund ihrer Tätigkeit Nachteile bis zu Gefängnishaft zu erleiden (AA 25.3.2022).
Dem Fernsehen kommt als bevorzugter Informationsquelle nach wie vor eine besondere Bedeutung zu. Dieses wird durch staatliche oder staatsnah berichtende aserbaidschanische Sender und russische sowie türkische Sender dominiert (AA 25.3.2022). Ausländischen Radiosendern wurde die direkte Ausstrahlung generell untersagt (USDOS 12.4.2022).
Obwohl die Verfassung das Recht auf freie Meinungsäußerung vorsieht, unterdrückte die Regierung weiterhin Personen, die sie als politische Gegner oder Kritiker ansah, oder versuchte, sie einzuschüchtern (USDOS 12.4.2022).
Die Nutzung des Internets hat in Aserbaidschan stark zugenommen. Der Zugang zu Internetseiten ist im Wesentlichen frei und auch zu kritischen oder armenischen Websites problemlos möglich (AA 25.3.2022). Es gibt eine aktive Blogger- und Facebook-Aktivistenszene. Verfasser von Beiträgen in Blogs und bei Facebook müssen allerdings mit staatlicher Überwachung rechnen (AA 25.3.2022; vgl. USDOS 12.4.2022).
Internationale Nachrichten-Websites und solche, die mit Oppositionsgruppen in Verbindung stehen, wurden im Laufe des Jahres für unterschiedlich lange Zeit blockiert (USDOS 12.4.2022).
Im Juli deckte eine gemeinsame Untersuchung mit Journalisten, Medienorganisationen und anderen auf, dass die aserbaidschanischen Behörden Hunderte von lokalen Aktivisten und Journalisten mit Hilfe der Spionagesoftware Pegasus ausspionierten (AI 29.3.2022).
Die Verfassung verbietet Hassreden, definiert als "Propaganda, die rassische, nationale, religiöse und soziale Zwietracht und Feindseligkeit hervorruft" sowie "Feindseligkeit und andere Kriterien". Propaganda, Verleumdung und Hassreden wurden jedoch ungestraft gegen Oppositionsführer, Blogger, unabhängige Journalisten und Dissidenten eingesetzt (USDOS 12.4.2022).
Das Gesetz sieht für Personen, die wegen Verleumdung oder übler Nachrede verurteilt werden, hohe Geldstrafen und bis zu drei Jahre Haft vor. Die Verurteilung wegen Beleidigung des Präsidenten wird mit bis zu zwei Jahren Strafarbeit oder bis zu drei Jahren Haft bestraft
Beleidigungs- und Verleumdungsgesetze wurden routinemäßig angewandt, um Regierungskritiker zum Schweigen zu bringen (USDOS 12.4.2022).
[…]
Todesstrafe
Die Todesstrafe wurde mit Gesetz vom 28.Oktober 1998 abgeschafft. Die bis zu diesem Zeitpunkt verhängten Todesurteile sind in lebenslange Haft umgewandelt worden (AA 25.3.2022).
[…]
Religiöse Gruppen
Die aserbaidschanische Bevölkerung ist mehrheitlich (zu 95 %) muslimischen Glaubens (das Schia-Sunni-Verhältnis wird dabei auf 65 zu 35 geschätzt). Weiter sind die russisch-orthodoxe Kirche, verschiedene Strömungen des Judentums, eine sehr kleine katholische Gemeinde, Baha’i, Krischnaiten, die evangelisch-lutherische Gemeinde sowie freikirchliche Bewegungen und Zeugen Jehovas vertreten (AA 25.3.2022; vgl. USCIRF 4.2022).
Die jüdische Gemeinde des Landes wurde auf 20.000 bis 30.000 Personen geschätzt (USDOS 12.4.2022).
[…]
Minderheiten
In Aserbaidschan leben neben der Titularnation der Aserbaidschaner weitere ethnische Gruppen (schätzungsweise 1,3 % Russen, 2,0 % Lesginer, 1,3 % Armenier, 1,3 % Talyschen sowie Kurden, Georgier, Awaren usw.) (AA 25.3.2022; vgl. CIA 17.5.2022). Die Lebensbedingungen dieser Minderheiten unterscheiden sich grundsätzlich nicht von denen der Aserbaidschaner. Die Sprachen Lesginisch, Georgisch, Awarisch und Talysch werden in den Schulen im traditionellen Siedlungsgebiet dieser Volksgruppen unterrichtet. Die russische Sprache gilt gerade in Baku weiterhin als die Sprache der Bildungs- und Verwaltungselite (AA 25.3.2022).
Die Verfassung garantiert die Gleichheit der Rechte und Freiheiten für alle, ungeachtet der Rasse, der ethnischen Zugehörigkeit, der Religion, der Sprache, des Geschlechts, der Herkunft, des Vermögens, des Berufs, der Überzeugungen oder der Zugehörigkeit zu politischen Parteien, Gewerkschaften oder anderen öffentlichen Vereinigungen. Einschränkungen von Rechten und Freiheiten aus Gründen der Rasse, der ethnischen Zugehörigkeit, der Religion, der Sprache, des Geschlechts, der Herkunft, der Weltanschauung oder der politischen oder sozialen Zugehörigkeit sind verboten (USDOS 12.4.2022).
Einige Gruppen, darunter die Talysh im Süden und die Lezgins im Norden, berichteten, dass die Regierung keine offiziellen Schulbücher in ihren lokalen Muttersprachen zur Verfügung stellt (USDOS 12.4.2022; vgl. AA 25.3.2022).
Die religiöse oder ethnische Herkunft scheint kein Faktor zu sein, der die Beschäftigung behindert, aber der regionale Hintergrund spielt in Aserbaidschan immer noch eine wichtige Rolle: Aserbaidschaner aus Armenien und der Exklave Nachitschewan haben im Allgemeinen einen privilegierten Zugang zu öffentlichen Ämtern und Beschäftigung (BTI 2022).
[…]
Relevante Bevölkerungsgruppen
Das Gesetz verbietet die Diskriminierung von Menschen mit körperlichen, sensorischen, geistigen oder psychischen Behinderungen, aber die Regierung hat diese Bestimmungen nicht wirksam durchgesetzt. Das Gesetz fordert einen verbesserten Zugang zu Bildung, Beschäftigung, Sozialschutz und Justiz sowie das Recht auf Teilnahme am politischen Leben (USDOS 12.4.2022).
Frauen
Trotz verfassungsmäßig garantierter Gleichberechtigung, ist die gesellschaftliche und beschäftigungsbezogene Diskriminierung (nach Angaben des Staatlichen Komitees für Statistik lag das durchschnittliche Monatsgehalt von Frauen im Jahr 2020 bei 63 Prozent des durchschnittlichen Monatsgehalts von Männern sowie höhere Arbeitslosenquoten) weiterhin ein Problem, wobei es diesbezüglich ein großes Stadt-Landgefälle gibt (AA 25.3.2022; vgl. BTI 2022, USDOS 12.4.2022).
Die Repräsentanz von Frauen in Regierung und Parlament stagniert (22 von 125 Parlamentariern sind weiblich); sie sind im Bildungs- und Gesundheitssektor jedoch stark vertreten (AA 25.3.2022; vgl. BTI 2022).
Das Gesetz schließt Frauen von 678 Berufen in 38 Branchen aus, die als von Natur aus gefährliche Arbeitsplätze eingestuft werden. Viele dieser Stellen waren höherrangig und besser bezahlt als Stellen, die Frauen in denselben Branchen besetzen durften. Auch durften Frauen nicht in gleicher Weise wie Männer nachts arbeiten (USDOS 12.4.2022).
Frauenrechtsaktivistinnen, Journalistinnen und Frauen, die mit der politischen Opposition in Verbindung stehen, wurden erpresst und waren erniedrigenden geschlechtsspezifischen Verleumdungskampagnen ausgesetzt, nachdem ihre Konten in den sozialen Medien gehackt und private Informationen einschließlich Fotos und Videos online veröffentlicht worden waren (AI 29.3.2022).
Das Gesetz legt einen Rahmen für die Untersuchung von Beschwerden über häusliche Gewalt fest, definiert ein Verfahren für den Erlass von einstweiligen Verfügungen und fordert die Einrichtung eines Schutz- und Rehabilitationszentrums für Überlebende. Einige Kritiker des Gesetzes über häusliche Gewalt behaupteten, dass das Fehlen klarer Durchführungsrichtlinien die Wirksamkeit des Gesetzes beeinträchtigt. Aktivisten berichteten, dass die Polizei häusliche Gewalt nach wie vor als Familienangelegenheit betrachte und nicht wirksam zum Schutz der Überlebenden eingreife, auch nicht in Fällen, in denen Ehemänner ihre Frauen misshandelten oder töteten (USDOS 12.4.2022; vgl. AA 25.3.2022). Es mangelt an Hilfsangeboten und Trainingsmöglichkeiten für den Umgang mit häuslicher Gewalt etwa unter den Polizeikräften (AA 25.3.2022).
Geschlechtsspezifische Gewalt ist nach wie vor weit verbreitet, wird aber zu selten gemeldet (HRW 13.1.2022; vgl. AI 29.3.2022). Der SCFWCA (State Committee for Family, Women, and Children Affairs) ging das Problem der häuslichen Gewalt an, indem er Kampagnen zur Sensibilisierung der Öffentlichkeit durchführte und sich für die Verbesserung der sozioökonomischen Situation der Überlebenden häuslicher Gewalt einsetzte. Im November 2020 genehmigte der Präsident den nationalen Aktionsplan zur Bekämpfung häuslicher Gewalt für 2020- 23. Die Regierung und eine unabhängige NRO betreiben jeweils eine Unterkunft, die Überlebenden von Menschenhandel und häuslicher Gewalt Hilfe und Beratung bietet. Im Dezember 2020 richtete der SCFWCA zusammen mit dem UN-Bevölkerungsfonds eine Notfall-Hotline für geschlechtsspezifische Gewalt ein. Über die Hotline konnten Anrufer kostenlosen Rechtsbeistand, Beratung und Informationen über geschlechtsspezifische und häusliche Gewalt in Anspruch nehmen. Die Regierung verwies Opfer sexueller Gewalt an eine kostenlose medizinische Versorgung, einschließlich sexueller und reproduktiver Dienste. Notfallverhütungsmittel waren im Rahmen der klinischen Behandlung von Vergewaltigungen nicht verfügbar (USDOS 12.4.2022).
Vergewaltigung ist illegal und wird mit einer Höchststrafe von 15 Jahren Gefängnis geahndet. Die Vergewaltigung in der Ehe ist ebenfalls illegal, aber Beobachter stellten fest, dass die Polizei solchen Vorwürfen nicht wirksam nachgeht (USDOS 12.4.2022; vgl. AA 25.3.2022).
Die Regierung hat das Verbot der sexuellen Belästigung nur selten durchgesetzt oder rechtliche Schritte gegen Personen eingeleitet, die der sexuellen Belästigung beschuldigt wurden (USDOS 12.4.2022).
Das Auswärtige Amt hat keine Kenntnis über in Aserbaidschan vorkommende weibliche Genitalverstümmlung (AA 25.3.2022).
[…]
Kinder
Kinder erhalten die Staatsbürgerschaft durch Geburt im Land oder von ihren Eltern (USDOS 12.4.2022).
Obwohl die Schulbildung bis zum Alter von 17 Jahren obligatorisch, kostenlos und universell ist, legten große Familien in verarmten ländlichen Gebieten manchmal mehr Wert auf die Ausbildung der Jungen und ließen die Mädchen zu Hause arbeiten (USDOS 12.4.2022).
Laut dem UNICEF-Bericht über den Zustand der Kinder in der Welt 2021 wurden 11 % der Mädchen im Land verheiratet, bevor sie 18 Jahre alt waren. Das Problem der Frühverheiratung setzte sich im Laufe des Jahres fort. Das Gesetz sieht vor, dass Buben und Mädchen mit 18 Jahren bzw. Mädchen mit 17 Jahren mit Genehmigung der örtlichen Behörden heiraten können (USDOS 12.4.2022).
Das Gesetz sieht hohe Geldstrafen oder Freiheitsstrafen von bis zu vier Jahren für die Verurteilung wegen Zwangsheirat mit einem minderjährigen Kind vor. Mädchen, die im Rahmen religiöser Eheverträge heirateten, bereiteten besondere Besorgnis, da diese Verträge nicht der staatlichen Aufsicht unterlagen und die Frau im Falle einer Scheidung keinen Anspruch auf Anerkennung ihres Status hatte (USDOS 12.4.2022).
In ländlichen Gebieten können illegale Zwangsverheiratungen von jungen Mädchen (13–15 Jahre) nicht ausgeschlossen werden (AA 25.3.2022).
Sexuelle Gewalt gegen Kinder ist strafbar. Das Gesetz sieht auch Strafen für Kinderarbeit und andere Misshandlungen von Kindern vor. Die Anwerbung von Minderjährigen zum Zwecke der kommerziellen sexuellen Ausbeutung (Beteiligung eines Minderjährigen an unsittlichen Handlungen) wird mit bis zu acht Jahren Gefängnis bestraft. Das Gesetz verbietet Pornografie, ihre Herstellung, ihren Vertrieb oder ihre Werbung, und eine Verurteilung wird mit drei Jahren Haft bestraft. Das Mindestalter für einvernehmlichen Sex liegt bei 16 Jahren. Die Verurteilung wegen Unzucht mit Minderjährigen wird mit bis zu drei Jahren Haft bestraft (USDOS 12.4.2022).
In den meisten Fällen erlaubt das Gesetz, dass Kinder ab 15 Jahren mit einem schriftlichen Arbeitsvertrag arbeiten. Kinder, die 14 Jahre alt sind, dürfen in Familienbetrieben oder, mit Zustimmung der Eltern, tagsüber nach der Schule arbeiten, wenn dies keine Gefahr für ihre Gesundheit darstellt. Kinder, die jünger als 16 Jahre sind, dürfen nicht mehr als 24 Stunden pro Woche arbeiten; Kinder, die 16 oder 17 Jahre alt sind, dürfen nicht mehr als 36 Stunden pro Woche arbeiten. Das Gesetz verbietet die Beschäftigung von Kindern unter 18 Jahren unter schwierigen und gefährlichen Bedingungen und nennt bestimmte Arbeiten und Branchen, in denen Kinder verboten sind, darunter die Arbeit mit giftigen Stoffen und unter Tage, bei Nacht, in Bergwerken und in Nachtclubs, Bars, Kasinos oder anderen Betrieben, in denen Alkohol ausgeschenkt wird (USDOS 12.4.2022).
Im Juli 2020 genehmigte der Präsident den Nationalen Aktionsplan 2020-2024 zur Bekämpfung des Menschenhandels. Der Plan beauftragte die zuständigen Regierungsstellen, ihre Bemühungen fortzusetzen, um: Opfer von Menschenhandel und Zwangsarbeit, einschließlich Kinder, zu identifizieren; spezielle Arbeit mit bettelnden Kindern durchzuführen; allgemeine Standards für die Kommunikation mit Opfern von Kinderhandel zu entwickeln; Schulungen zur Identifizierung und zum Schutz von Opfern von Kinderhandel durchzuführen; und Sensibilisierungsarbeit bei Unternehmern und Arbeitgebern zu leisten, um die Ausbeutung von Kinderarbeit zu verhindern (USDOS 12.4.2022).
Das Auswärtige Amt hat keine Kenntnis über spezifische Menschenrechtsverletzungen an Kindern in Aserbaidschan. Hinweise auf systematisch begangenen Kinderhandel oder sexuelle Ausbeutung von Kindern bzw. Kinderarbeit liegen nicht vor (AA 25.3.2022).
Es gibt keine Kindersoldaten (AA 25.3.2022).
Auf Jugendliche über 16 Jahre wird Erwachsenenstrafrecht angewendet (Art. 20 Abs. 1 des aserbaidschanischen StGB). Jugendliche zwischen 14 und 16 Jahren sind nur bei bestimmten Verbrechen, wie z. B. Mord, Vergewaltigung und schwerer Sachbeschädigung, strafmündig (Art. 20 Abs. 2). Kinder unter 14 sind strafunmündig. Für Jugendliche zwischen 14 und 18 Jahren existieren für den Fall einer Freiheitsstrafe Erziehungsanstalten, in die sie eingewiesen werden können. Das „Übereinkommen des Europarats zum Schutz von Kindern vor sexueller Ausbeutung und sexuellen Missbrauchs“ wurde Ende 2019 von Aserbaidschan ratifiziert (AA 25.3.2022).
Beträchtliche Investitionen der Regierung in Binnenvertriebenengemeinden haben das Problem zahlreicher vertriebener Kinder, die unter prekären Bedingungen leben und keine Schule besuchen können, weitgehend gelindert (USDOS 12.4.2022).
Es herrschte nach wie vor die Meinung, dass Kinder mit Behinderungen krank seien und von anderen Kindern getrennt und in Heimen untergebracht werden müssten. Das Bildungsministerium und das Ministerium für Arbeit und Sozialschutz setzten ihre Bemühungen fort, um die Eingliederung von Kindern mit Behinderungen in Regelklassen, insbesondere im Primarbereich, zu verbessern (USDOS 12.4.2022).
[…]
Bewegungsfreiheit
Nach zuverlässigen Angaben von NROs sind staatliche Repressionen in den Regionen außerhalb der Hauptstadt tendenziell eher stärker ausgeprägt als im Großraum Baku. Als besonders streng gilt in dieser Hinsicht die autonome Exklave Nachitschewan (AA 25.3.2022).
Das Gesetz sieht Freizügigkeit von Reisen im Inland, Auslandsreisen, Auswanderung und Repatriierung vor. Die Regierung respektierte im Allgemeinen viele dieser Rechte, schränkte jedoch weiterhin die Bewegungsfreiheit einiger prominenter Oppositioneller, Aktivisten und Journalisten ein. Familienangehörige und Verwandte von politischen Gefangenen berichteten über Reiseverbote aufgrund der politischen Aktivitäten ihrer Familienmitglieder (USDOS 12.4.2022).
[…]
Meldewesen
Es existiert zwar ein Melderegister, in dem alle in Aserbaidschan lebenden Personen erfasst sind, die registrierten Adressen entsprechen jedoch häufig nicht den tatsächlichen Adressen und werden auch bei längerfristiger Ausreise aus Aserbaidschan nicht zwangsläufig geändert. Bei der Adresse wird üblicherweise der Stadtbezirk (Rayon) mitangegeben (AA 25.3.2022).
Ein zentrales Personenstandsregister und auch ein Passregister sind vorhanden. Beide sind jedoch öffentlich nicht zugänglich. Ein zentrales Fahndungsregister existiert nicht. Es gibt ein öffentlich zugängliches Register über Gerichtsentscheidungen sowie eine Datenbank über Ausreisesperren (AA 25.3.2022).
[…]
IDPs und Flüchtlinge
Die Regierung arbeitete mit dem UNHCR und anderen humanitären Organisationen zusammen, um Binnenvertriebenen, Flüchtlingen, zurückkehrenden Flüchtlingen, Asylbewerbern, Staatenlosen und anderen betroffenen Personen Schutz und Hilfe zu bieten (USDOS 12.4.2022).
Das Amt des Hohen Flüchtlingskommissars der Vereinten Nationen (UNHCR) meldete zur Jahresmitte 653.921 registrierte Binnenflüchtlinge im Lande. Die große Mehrheit von ihnen floh zwischen 1988 und 1994 infolge des Bergkarabach-Konflikts aus ihrer Heimat (USDOS 12.4.2022; vgl. AA 25.3.2022). Die Binnenvertriebenen hatten Zugang zu Bildung und Gesundheitsversorgung, ihre Arbeitslosenquote lag jedoch über dem Landesdurchschnitt. Einige internationale Beobachter stellten weiterhin fest, dass die Regierung die Integration der Binnenvertriebenen in die Gesellschaft nicht angemessen förderte (USDOS 12.4.2022).
Im Rahmen staatlicher Programme wurden laut offiziellen Angaben seit 2004 58.000 neuerrichtete Wohneinheiten den Binnenvertriebenenfamilien (rd. 272.000 Personen) übergeben. Das Staatsbudget sieht zudem große Anteile für den Wiederaufbau der zurück erhaltenen Gebiete vor (AA 25.3.2022).
Das Gesetz sieht die Gewährung des Asyl- oder Flüchtlingsstatus vor, und die Regierung hat ein System zur Gewährung von Schutz für einige Flüchtlinge durch die Abteilung zur Bestimmung des Flüchtlingsstatus beim Staatlichen Migrationsdienst eingerichtet, die für Flüchtlingsangelegenheiten zuständig ist. Obwohl das UNHCR einige Verbesserungen der Bedingungen für Flüchtlinge feststellte, einschließlich des Zugangs zu öffentlicher Bildung und des Rechts auf Arbeit, entsprach das System zur Bestimmung des Flüchtlingsstatus nicht den internationalen Standards (USDOS 12.4.2022).
Seit 2019 haben alle Asylbewerber Zugang zu Asylverfahren. Darüber hinaus haben seit 2020 alle Flüchtlinge, die unter dem Mandat des UNHCR stehen, legalen Zugang zum Arbeitsmarkt und werden wie aserbaidschanische Staatsangehörige von den nationalen Gesundheitsdiensten (einschließlich kostenloser Covid-Impfung) abgedeckt. Alle diese betroffenen Personen haben jedoch noch immer keinen formalen Rechtsstatus (USDOS 12.4.2022).
Obwohl das Gesetz das Recht vorsieht, den Status eines Staatenlosen zu beantragen, konnten einige Personen die für den Antrag erforderlichen Unterlagen nicht beschaffen und blieben daher formell nicht anerkannt. Staatenlose genossen im Allgemeinen Freizügigkeit im Land. Staatenlose erhielten jedoch keine Reisedokumente und wurden nicht wieder zugelassen, wenn sie das Land verließen (USDOS 12.4.2022). Nach der nationalen Gesetzgebung haben Staatenlose Zugang zu allen Rechten und Dienstleistungen, die Bürgern und Ausländern im Land zur Verfügung stehen, mit Ausnahme bestimmter Rechte, die nur Bürgern vorbehalten sind. Nach Angaben des UNHCR hatten jedoch nur diejenigen Zugang zu diesen Rechten und Dienstleistungen, die mit einem Staatenlosenausweis der aserbaidschanischen Regierung oder einem UNHCR-Schutzdokument ausgestattet waren. Diejenigen, die keine Ausweisdokumente besaßen, hatten auch keinen Zugang zu grundlegenden Rechten, insbesondere wegen der Ausweitung des elektronischen Verwaltungssystems des Landes (USDOS 12.4.2022).
[…]
Grundversorgung und Wirtschaft
Die Wirtschaft Aserbaidschans ist abhängig von der Entwicklung des Ölpreises. Um die hohe Abhängigkeit von der Ölindustrie zu verringern, investiert der Staat seit ein paar Jahren in die Entwicklung des Nicht-Energiesektors und in den Ausbau der Infrastruktur, um eine Diversifizierung der Wirtschaft zu erreichen. In den letzten Jahren setzt man einen verstärkten Fokus unter anderem auf die Entwicklung der Landwirtschaft, Tourismus, Logistik und Umwelttechnik (WKO 4.2022).
Die Grundversorgung der Bevölkerung mit Nahrungsmitteln ist gewährleistet (AA 25.3.2022).
Die Armut ist in den letzten Jahren durch die stark angestiegenen Einkommen der Bevölkerung erheblich zurückgegangen (AA 25.3.2022). Als Armutsgrenze gilt ein Einkommen unterhalb von 160 Aserbaidschan Manat [ca 88 €] (IOM 2021).
Die Arbeitslosenquote im Jahr 2021 lag bei rund 5,95 % (WKO 4.2022; vgl. statista 4.2022). Die Inflation für das Jahr 2021 wurde mit 6,7 % errechnet (WKO 4.2022; vgl. laenderdaten.info ohne Datum).
Das offizielle Existenzminimum liegt nach offiziellen Berechnungen derzeit bei 196 AZN (Aserbaidschan Manat) pro Kopf und Monat. Für Angestellte ist das monatliche Durchschnittseinkommen 2020 auf 890 AZN gestiegen. Nach Erkenntnissen des Auswärtigen Amts gibt es unter den Arbeitgebern die verbreitete Praxis, neben einem offiziellen, versteuerten Gehalt einen monatlichen Barbetrag auszuzahlen (AA 25.3.2022).
Das Gesetz sieht eine 40-Stunden-Woche vor. Beschäftigte in gefährlichen Berufen dürfen nicht mehr als 36 Stunden pro Woche arbeiten, jedoch hat die Regierung die Gesetze über annehmbare Arbeitsbedingungen nicht wirksam durchgesetzt (USDOS 12.4.2022).
[…]
Sozialbeihilfen
Die Sozialleistungen werden in Form von monatlichen oder einmaligen Zahlungen bestimmt und ausgezahlt, um bestimmten Personengruppen soziale Unterstützung zu gewähren. Staatenlose und Ausländer mit ständigem Wohnsitz in Aserbaidschan haben, sofern internationale Verträge, bei denen Aserbaidschan Vertragspartei ist, nichts anderes vorsehen, das Recht, monatliche und einmalige Leistungen zu den Bedingungen zu erhalten, die im Gesetz vorgeschrieben sind (IOM 2021).
Die gezielte Sozialhilfe (TSA) ist ein monatlicher Zuschuss, der vom Staat an Familien mit geringem Einkommen gezahlt wird. Die Sozialhilfe wird aus dem Staatshaushalt finanziert. Die TSA wird für 2 Jahre gewährt, beginnend mit dem Monat, in dem der Antrag eingegangen ist. Familien mit geringem Einkommen haben das Recht, mehrmals eine Sozialhilfe zu beantragen. Familien, die mit ihrem Pro-Kopf- Einkommen unter der Armutsgrenze (derzeit 160 AserbaidschanManat) liegen, haben einen Anspruch auf die TSA (IOM 2021).
Staatliche Unterstützungsleistungen erhalten die über 600.000 (Binnen-)Vertriebenen, die im Zuge des Bergkarabach-Konflikts aus ihren bisherigen Wohnorten in den ehemals besetzten Gebieten vertrieben wurden oder geflohen sind (AA 25.3.2022).
[…]
Medizinische Versorgung
Die Gesundheitsversorgung in Aserbaidschan wird von öffentlichen und privaten Gesundheitseinrichtungen erbracht und durch das Ministerium für Gesundheitswesen geregelt (BTI 2022). Die öffentlichen Krankenhäuser in Aserbaidschan werden staatlich geführt und bieten eine kostenlose medizinische Versorgung für aserbaidschanische Bürger an. Zu den öffentlichen Einrichtungen gehören Polikliniken, die ambulante Leistungen anbieten sowie Krankenhäuser, Ambulanzen und Spezialkliniken, die sowohl ambulante als auch stationäre Leistungen anbieten (IOM 2021).
Die medizinische Versorgung entspricht nicht überall westeuropäischem Standard und ist außerhalb der Stadt Baku oft unzureichend (AA 27.5.2022; vgl. BMEIA 27.5.2022, EDA 27.5.2022).
In den letzten Jahren hat die Regierung erhebliche Investitionen im Gesundheitswesen vorgenommen. Nach wie vor befinden sich die größten staatlichen Krankenhäuser und Spezialkliniken wie Kinderkrankenhäuser, Herzkliniken und psychiatrische Einrichtungen in Baku. Doch wurden in den letzten Jahren auch zentrale Krankenhäuser in den Regionen gebaut. Problematisch ist nach wie vor der relativ niedrige Ausbildungsstand der lokalen Ärzte (AA 25.3.2022).
Am 1. April 2021 wurde die wegen der Covid-19-Pandemie verschobene allgemeine Krankenversicherung eingeführt (AA 25.3.2022; vgl. IOM 2021). Alle ärztlichen Behandlungen und die Versorgung mit Medikamenten sollen damit abgedeckt werden. Behandlungsbedürftige Personen sollen sich an die Polyklinik an Ihrem Wohnort wenden und erhalten dort die notwendigen Medikamente und (fach-)ärztliche Versorgung (AA 25.3.2022).
Dringende medizinische Hilfe wird in Notfällen gewährt (was den Krankentransport und die Aufnahme in ein staatliches Krankenhaus einschließt); mittellose Patienten wurden in der Vergangenheit minimal versorgt, dann aber nach einigen Tagen „auf eigenen Wunsch“ entlassen, wenn sie die Behandlungskosten und „Zuzahlungen“ an die Ärzte und das Pflegepersonal nicht aufbringen können. In diesem Fall erfolgt dann die weitere Behandlung ambulant oder nach Kostenübernahme durch Dritte (AA 25.3.2022).
Neben der staatlichen Gesundheitsversorgung bildete sich in den vergangenen Jahren ein florierender privater medizinischer Sektor heraus (AA 25.3.2022; vgl. IOM 2021), der gegen Barzahlung medizinische Leistungen auf annähernd europäischem Standard bietet und mit privaten Krankenversicherungen kooperiert (AA 25.3.2022).
Die einschlägigen auf dem europäischen Markt registrierten Medikamente sind i. d. R. erhältlich sowie die Behandlung von regelmäßigen Krankheitsbildern wie z. B. Bluthochdruck, Diabetes, Depressionen usw. in Aserbaidschan möglich. Seit der Einführung der administrativen Preisobergrenzen nach der ersten Währungsabwertung im Zuge der Wirtschaftskrise im Februar 2015 wird regelmäßig von Engpässen bei einigen Medikamenten berichtet. Kostengünstigere Ersatzmedikation wird aus Russland, der Türkei oder Pakistan eingeführt, soll aber teilweise von minderwertiger Qualität sein (AA 25.3.2022). Die Kosten für staatlich registrierte Medikamente sind durch den so genannten Tarif-Rat der Republik Aserbaidschan vorgegeben (IOM 2021).
[…]
Rückkehr
Rückgeführte und freiwillig zurückreisende aserbaidschanische Staatsangehörige müssen wegen ihrer Asylanträge im Ausland bei ihrer Rückkehr in der Regel nicht mit staatlichen Zwangsmaßnahmen rechnen. Es gibt jedoch immer wieder Berichte, wonach Rückkehrende zu den Gründen für ihren Asylantrag befragt wurden (AA 25.3.2022).
Es gibt keine staatlichen oder sonstigen Aufnahmeeinrichtungen für Rückkehrer. Abgeschobene Personen erhalten bei Ankunft am Flughafen lediglich eine Beratung zu Ansprechpartnern u. ä., die Erstaufnahme nach Rückkehr erfolgt üblicherweise im Familienverband (AA 25.3.2022).
[…]
II.2. Beweiswürdigung:
II.2.1. Das erkennende Gericht hat durch den vorliegenden Verwaltungsakt Beweis erhoben und ein ergänzendes Ermittlungsverfahren durchgeführt. Der festgestellte Sachverhalt in Bezug auf den bisherigen Verfahrenshergang steht aufgrund der außer Zweifel stehenden Aktenlage fest und ist das ho. Gericht in der Lage, sich vom entscheidungsrelevanten Sachverhalt ein ausreichendes und abgerundetes Bild zu machen.
Die personenbezogenen Feststellungen hinsichtlich des BF ergeben sich aus den Angaben der BF und den bisherigen Verfahren.
Die Feststellungen zu den Lebensumständen der BF in Österreich ergeben sich ebenfalls aus deren diesbezüglich glaubhaften Angaben, welche in Einklang mit den vorgelegten Unterlagen betreffend ihre Integration stehen.
Die Feststellung zur Unbescholtenheit der BF in Österreich entspricht dem Amtswissen des Bundesverwaltungsgerichtes (Einsichtnahme in das Strafregister am 24.09.2024). Ergänzend wurden aktuelle Auskünfte aus dem Zentralen Melderegister und dem zentralen Fremdenregister eingeholt. Ein gegen den BF3 wegen Einbruchsdiebstahls erhobene Anklage wurde nach Ablauf einer Probezeit von einem Jahr mit Beschluss des LG Eisenstadt, XXXX , gemäß § 199 iVm 203 Abs. 1 StPO iVm § 7 JGG entgültig eingestellt.
Den Daten des Informationsverbundsystems Zentrales Fremdenregister kann schließlich entnommen werden, dass der Aufenthalt des BF im Bundesgebiet nie nach § 46a Abs. 1 Z. 1 oder Z. 3 FPG 2005 geduldet war. Hinweise darauf, dass sein weiterer Aufenthalt zur Gewährleistung der Strafverfolgung von gerichtlich strafbaren Handlungen oder zur Geltendmachung und Durchsetzung von zivilrechtlichen Ansprüchen im Zusammenhang mit solchen strafbaren Handlungen notwendig wäre oder der Beschwerdeführer im Bundesgebiet Opfer von Gewalt im Sinn der §§ 382b oder 382e EO wurde, kamen im Verfahren nicht hervor und es wurde auch kein dahingehendes Vorbringen erstattet, sodass keine dahingehenden positiven Feststellungen getroffen werden können.
II.2.2. Zu der getroffenen Auswahl der Quellen, welche zur Feststellung der asyl- und abschiebungsrelevanten Lage im Herkunftsstaat herangezogen wurden, ist anzuführen, dass es sich hierbei aus der Sicht des erkennenden Gerichts um eine ausgewogene Auswahl verschiedener Quellen -sowohl staatlichen, als auch nichtstaatlichen Ursprunges- handelt, welche es ermöglichen, sich ein möglichst umfassendes Bild von der Lage im Herkunftsstaat zu machen. Die getroffenen Feststellungen ergeben sich daher im Rahmen einer ausgewogenen Gesamtschau unter Berücksichtigung der Aktualität und der Autoren der einzelnen Quellen. Auch kommt den Quellen im Rahmen einer Gesamtschau Aktualität zu.
Der BF traten auch den Quellen und deren Kernaussagen nicht konkret und substantiiert entgegen.
II.2.3. Wie bereits ausgeführt, sind die Spruchpunkte I. bis III. der gegenständlichen Bescheide nicht mehr Gegenstand des Verfahrens. Diesbezüglich wurde die Beschwerde des BF1 und des BF3 mit Erkenntniss des VfGH vom 13.06.2023, E 200-201/2023-11 abgelehnt und die außerordendliche Revision der BF2 und des BF4 mit Erkenntnis des VwGH vom 12.03.2024, Ra 2023/14/0483 bis 0484-9, zurückgewiesen.
Auch wenn es nicht mehr relvant ist, kann dessen ungeachtet in aller Deutlichkeit festgehalten werden, dass die BF in Aserbaidschan folgerichtig keine Verfolgung oder Bedrohung aus in der GFK genannten Gründe zu befürchten hatten bzw. haben.
II.2.4. Zur von der rechtsfreundlichen Vertretung vorgebrachten Integration und dem schützenwerten Privatleben der BF sind folgende Überlegungen maßgeblich: die BF1 und BF3 halten sich seit 31.07.2018, die BF2 und BF4 seit 27.07.2022 in Österreich auf. Die BF haben im Bundesgebiet keine Verwandten. Der BF1 bezieht Grundversorgung, hat Deutschkurse besucht, Zertifakte wurden nicht vorgelegt. Von der Pizzeria XXXX in XXXX wurde in Aussicht gestellt, den BF1 im Falle eines Bleiberechts anzustellen. Ein Antrag auf eine Beschäftigungsbewilligung (als Küchengehilfe) wurde vom AMS Oberpullendorf mit Bescheid vom 14.04.2022 abgewiesen. Der BF1 ist in keinem Verein oder Organisation Mitglied und leistet keine ehrenamtlichen Tätigkeiten. Zu Freunden befragt gibt er einen männlichen Vornahmen und einen Spitznamen bekannt.
Die BF2 bezieht Grundversorgung. Sie besuchte einen Deutschkurs, eine Prüfung wurde nicht absolviert. Sie ist in keinem Verein oder einer Organisation tätig. Ehrenamtlich betätigt sie sich bei der Pannonischen Tafel. Bezüglich österreichischer Freunde konnte sie drei weibliche und einen männlichen Vornamen nennen.
Der BF3 besuchte Deutschkurse und besuchte die HTL XXXX . Aktuell absolviert er bei der Fa. XXXX in Wöllersdorf eine Lehre zum Informatiker. Der BF2 spielte Fußball im Verein XXXX . Aktuell ist er in einem Kickboxverein und besucht ein Fitness-Studio. Er absolviert keine ehrenamtlichen Tätigkeiten.
Der BF4 wohnt bei und von den Eltern. Er besuchte das Polytechnikum in XXXX und nahm an Deutschkursen teil, Zertifikate wurden nicht vorgelegt. Vom Frisörgeschäft XXXX in Wien wurde ihm in Aussicht gestellt, dass er im Falle eines Bleiberechts dort arbeiten kann. Er geht mit seinem Bruder kickboxen und in ein Fitness-Studio. Ehrenamtliche Tätigkeiten werden nicht ausgeführt.
Von einer außergewöhnlichen Integration kann dementsprechend nicht ausgegangen werden. Einzig dem BF3 ist zuzurechnen, dass er eine Lehre zum Informatiker aufgenommen hat und sich zumindest um integrative Schritte bemühte. Dessen ungeachtet haben der BF1 und die BF2 zwar Deutschkurse besucht, eine Prüfung wurde bis dato jedoch nicht abgelegt, obwohl sich der BF1 beispielsweise schon über sechs Jahre im Bundesgebiet aufhält. Auch wurde sein Antrag auf eine Beschäftigungsbewilligung vom AMS Oberpullendorf mit Bescheid vom 14.04.2022 abgewiesen. Die BF2 ist ebenfalls nicht selbsterhaltungsfähig und bezieht Grundversorgung, wie der minderjährige 16-Jährige BF4. Die BF2 gibt zudem bekannt, dass sie in Aserbaidschan als Krankenschwester beschäftigt gewesen sei. Dessen ungeachtet hat sie sich bis dato offenbar nicht um eine Nostrifizierung ihrer Ausbildung zur Krankenschwester gekümmert. Den substanzlosen Schriftstücken, dass der BF1 in einer Pizzeria und der BF4 in einem Frisörgeschäft eventuell beschäftigt werden könnten, ist weder die Art der Anstellung, noch der damit einhergehende Verdienst zu entnehmen. Der BF1 und die BF2 können lediglich vereinzelte Vornamen österreichischer Freunde bekannt geben. Dass der BF3 und der BF4 österreichische Freund haben und auch gut Deutsch sprechen ist nicht einer außergewöhnlichen Integration, sondern viel mehr dem Schulbesuch bzw. der Lehre des BF3 geschuldet.
II.2.5. Im vorliegenden Beschwerdefall ist zudem noch zu beachten, dass es sich bei dem BF4 um ein mündig minderjähriges Kind und damit um eine besonders vulnerable und besonders schutzbedürftige Person handelt. Diese besondere Vulnerabilität ist bei der Beurteilung, ob den beschwerdeführenden Parteien bei einer Rückkehr in die Heimat eine Verletzung ihrer durch Art. 2 und 3 EMRK geschützten Rechte droht, gemäß der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes besonders zu berücksichtigen. Dies erfordert insbesondere eine konkrete Auseinandersetzung damit, welche Rückkehrsituation die BF tatsächlich vorfinden (siehe dazu statt aller VwGH 13.12.2018, Ra 2018/18/0336 mwN; VfGH 11.12.2018, E 2025/2018).
Im gegenständlichen Fall ist festzuhalten, dass der bald 17-jährige BF4 keiner besonders gefährdeten Gruppe angehört und ist auch von einer Rückkehr gemeinsam mit seinen Eltern und seinem Bruder auszugehen, sodass die Betreuung, Erziehung und Beaufsichtigung des Minderjährigen sichergestellt ist.
Das Bundesverwaltungsgericht kann in Ansehung des minderjährigen BF4 nicht die reale Gefahr erkennen, im Rückkehrfall von häuslicher Gewalt betroffen zu sein. Die Eltern des BF4 vermittelten den Eindruck, am Wohlergehen ihres Kindes sehr interessiert zu sein. Hinweise auf gewalttätige Übergriffe auf den Minderjähriger im Bundesgebiet liegen nicht vor. Ausgehend davon ist auch nicht zu besorgen, dass der minderjährige BF im Rückkehrfall einem davon abgeleiteten Risiko ausgesetzt würde oder er sonst von häuslicher Gewalt betroffen wäre.
Aufgrund der oben dargelegten Erwägungen zur sozioökonomischen Lage kann schließlich nicht die reale Gefahr erkannt werden, dass die BF im Rückkehrfall von einer unzureichenden Versorgung mit lebensnotwendigen Gütern oder von Unterernährung betroffen wären. Hinweise auf Versorgungsengpässe bzw. Engpässe bei der Versorgung mit Gütern, die Kinder für ihre Bedürfnisse benötigen, liegen ausweislich der Feststellungen nicht vor. Vielmehr war es den Beschwerdeführern möglich im Heimatland bis zu deren Ausreise ihren Lebensunterhalt zu meistern. Selbst nach der selbstbestimmten Trennung der Familieneinheit – durch die ca. 4 Jahre früher erfolgte Ausreise der BF1 und BF3, waren die BF2 und der BF4 in der Lage ihr Leben weiterhin im Heimatland zu führen.
Ausgehend von den persönlichen Profilen der BF und den Erwägungen zur Lebensgrundlage im Herkunftsstaat geht das Bundesverwaltungsgericht davon aus, dass der minderjährige BF im Wege der Versorgung durch seine Eltern und der durch das nach wie vor großflächige, verwandtschaftliche Netzwerk erlangbaren Hilfe nicht nur eine hinreichende Absicherung im Hinblick auf die Güter des täglichen Bedarfs, sondern insbesondere auch im Hinblick auf seine altersgerechten Bedürfnisse erfahren wird.
Die BF sind aus Sicht des Bundesverwaltungsgerichtes in der Lage, ihr Auskommen im Herkunftsstaat zu bestreiten, so wie sie das bereits vor der Ausreise taten. Dass die Wirtschaftslage in Aserbaidschan derzeit unzureichend sein mag, stellt aus Sicht des Bundesverwaltungsgerichtes in Anbetracht des persönlichen Profils der BF keine drohende Verletzung von Art. 3 EMRK dar. Eine schwierige Lebenssituation, insbesondere bei der Arbeitsplatz- und Wohnraumsuche sowie in wirtschaftlicher Hinsicht, die ein Fremder im Fall der Rückkehr in sein Heimatland vorfinden würde, reicht nach der ständigen Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes für sich betrachtet auch nicht aus, um die Verletzung des nach Art. 3 EMRK geschützten Rechts mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit annehmen zu können (VwGH 17.09.2019, Ra 2019/14/0160).
II.2.6. Hinsichtlich der gesundheitlichen Leiden des BF1 (Bluthochdruck und Schlafprobleme) und der BF2 (depressive Störungen, Bluthochdruck und Wirbelsäulenbeschwerden) bleibt festzuhalten, dass es sich dabei um um keine schweren oder gar lebensbedrohlichen Krankheiten handelt. Die BF2 gab zudem selbst bekannt, dass sie schon vor der Ausreise in Aserbaidschan Tabletten gegen ihre depressiven Störungen erhielt. Auch bleibt hinsichtlich der medizinischen Versorgung in Aserbaidschan festzuhalten, dass diese grundsätzlich für alle Staatsangehörigen durch eine staatlich finanzierte Grundversorgung kostenlos gewährleistet ist.
Zudem hat nach der ständigen Rechtsprechung der Höchstgerichte im Allgemeinen kein Fremder ein Recht hat, in einem fremden Aufenthaltsstaat zu verbleiben, bloß um dort medizinisch behandelt zu werden, und zwar selbst dann nicht, wenn er an einer schweren Krankheit leidet.
II.2.7. Die wirtschaftliche Lage stellt sich für die BF bei einer Rückkehr nach Aserbaidschan ausreichend gesichert dar. Die Feststellungen zu den Verwandten und deren Aufenthalt ergeben sich aus den Angaben des BF1 und der BF2 vor dem BFA, bzw. in der mündlichen Verhandlung. Wie diesen entkommen werden kann, wohnt in XXXX noch eine Schwester und mehrere Tanten und Onkel. Insgesamt halten sich noch ca. 40 Familienmitglieder in XXXX auf. Die Schwester arbeitet als Reinigungskraft. Der BF1 besitzt in XXXX zudem noch ein Haus, dieses wird von der älteren Schwester während der Abwenheit der BF in Gang gehalten. Zudem besitzt der BF1 noch einen Garten, 30 km außerhalb von XXXX . Die Schwester ist als Reinigungskraft tätig. In XXXX wohnen zudem noch ein Onkel, eine Schwägerin sowie mehrere Cousins der BF2. Alle verfügen über Wohnmöglichkeiten. Für den Fall einer Rückkehr ist demnach nicht davon auszugehen, dass den BF Ihre Lebensgrundlage entzogen wäre. Vielmehr haben Sie in Aserbaidschan familiären Anschluss und steht Ihnen die Rückkehr in Ihren Familienverband unverändert offen.
Aufgrund des weiträumigen verwandtschaftlichen Netzwerkes kann daher nicht erkannt werden, dass die BF nicht wiederum nach der Rückkehr Unterkunft und Unterstützung vorfinden. Ferner spricht nichts dagegen, dass die volljährigen BF nach der Rückkehr berufliche Tätigkeiten aufnehmen, um für ein geregeltes Einkommen zu sorgen. Zumindest die Annahme einer Teilzeitbeschäftigung ist jedenfalls vorstellbar.
In diesem Zusammenhang darf nicht unberücksichtigt bleiben, dass der rechtsfreundlich vertretene BF im Rahmen der ihnen bekannten Obliegenheit zur Bescheinigung ihres Vorbringens keinen einzigen Beleg über das Nichtvorhandensein von Wohnmöglichkeiten vorlegte.
Auch können die BF das TSSA-Programm (Targeted State Social Assistance) des Staates in Anspruch nehmen. Die gezielte staatliche Sozialhilfe ist eine staatliche monatliche Zulage für Familien mit niedrigem Einkommen. Eine Familie mit niedrigem Einkommen ist eine Familie, deren durchschnittliches monatliches Einkommen unter dem Gesamtbedarf jedes Familienmitglieds liegt. Voraussetzung dafür ist, dass für jedes Jahr eine gesetzliche Grenze zur Bestimmung der TSSA vorgesehen ist. Die Sozialhilfe wird aus dem Staatshaushalt finanziert. Die Sozialhilfe wird für zwei Jahre ab dem ersten Monat der Antragstellung festgelegt. Bei Ablehnung hat eine Familie hat das Recht, erneut Sozialhilfe zu beantragen. Familien mit dem Recht auf TSSA: Familien mit niedrigem Einkommen und niedriger monatlichen Zuwendung (ohne TSSA-Bezug) - der Mindestbedarf wird 2021 mit 170 Manat angenommen).
Auch leistet die International Organization for Migration (IOM) Aserbaidschan weiterhin Unterstützung bei der Wiedereingliederung von Rückkehrern - den Bürgern Aserbaidschans, die im Rahmen des Projekts zur assistierten freiwilligen Rückkehr und Wiedereingliederung (AVRR) freiwillig in das Herkunftsland zurückgekehrt sind. Von Anfang bis Ende Juli 2020 leistet IOM-Aserbaidschan im Rahmen des AVRR-Projekts 185 Sachleistungen für Rückkehrer. Davon erhielten 24 Rückkehrer eine vorübergehende Unterbringung (Miete), 30 Rückkehrer wurden beim Aufbau von Kleinunternehmen unterstützt, 120 Rückkehrer erhielten materielle Unterstützung (Ausrüstung und notwendige Möbel), 10 Rückkehrer erhielten medizinische Hilfe und 1 Rückkehrer wurde bei der Ausbildung unterstützt. Derzeit bietet IOM-Aserbaidschan diese Hilfsmaßnahmen für Migranten an, die aus der Schweiz, Deutschland, Ungarn, Belgien, den Niederlanden, der Türkei und Lettland zurückgekehrt sind. Einer der Hauptteile der Wiedereingliederungshilfe neben Bildungsaktivitäten, vorübergehender Unterbringung, ist die Beschäftigung oder der Aufbau einkommensschaffender Aktivitäten, z. B. Kleinunternehmen für freiwillig zurückgekehrte Migranten.
II.3. Rechtliche Beurteilung:
II.3.1.1. Zuständigkeit, Entscheidung durch den Einzelrichter, Anzuwendendes Verfahrensrecht,
Gemäß § 7 Abs. 1 Z 1 des Bundesgesetzes, mit dem die allgemeinen Bestimmungen über das Verfahren vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zur Gewährung von internationalem Schutz, Erteilung von Aufenthaltstiteln aus berücksichtigungswürdigen Gründen, Abschiebung, Duldung und zur Erlassung von aufenthaltsbeendenden Maßnahmen sowie zur Ausstellung von österreichischen Dokumenten für Fremde geregelt werden (BFA-Verfahrensgesetz – BFA-VG), BGBl I 87/2012 idgF entscheidet das Bundesverwaltungsgericht über Beschwerden gegen Bescheide des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl.
Gemäß § 6 des Bundesgesetzes über die Organisation des Bundesverwaltungsgerichtes (Bundesverwaltungsgerichtsgesetz – BVwGG), BGBl I 10/2013 entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist.
Gegenständlich liegt somit mangels anderslautender gesetzlicher Anordnung in den anzuwendenden Gesetzen Einzelrichterzuständigkeit vor.
Dass Verfahren der Verwaltungsgerichte mit Ausnahme des Bundesfinanzgerichts ist durch das Bundesgesetz über das Verfahren der Verwaltungsgerichte (Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz – VwGVG), BGBl. I 33/2013 idgF geregelt (§ 1 leg.cit.). Gemäß § 58 Abs 2 VwGVG bleiben entgegenstehende Bestimmungen, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Bundesgesetzes bereits kundgemacht wurden, in Kraft.
Gemäß § 17 VwGVG sind, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 B-VG die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles, die Bestimmungen der Bundesabgabenordnung – BAO, BGBl. Nr. 194/1961, des Agrarverfahrensgesetzes – AgrVG, BGBl. Nr. 173/1950, und des Dienstrechtsverfahrensgesetzes 1984 – DVG, BGBl. Nr. 29/1984, und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.
§ 1 BFA-VG (Bundesgesetz, mit dem die allgemeinen Bestimmungen über das Verfahren vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zur Gewährung von internationalem Schutz, Erteilung von Aufenthaltstiteln aus berücksichtigungswürdigen Gründen, Abschiebung, Duldung und zur Erlassung von aufenthaltsbeendenden Maßnahmen sowie zur Ausstellung von österreichischen Dokumenten für Fremde geregelt werden, BFA-Verfahrensgesetz, BFA-VG), BGBl I 87/2012 idF BGBl I 144/2013 bestimmt, dass dieses Bundesgesetz allgemeine Verfahrensbestimmungen beinhaltet, die für alle Fremden in einem Verfahren vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, vor Vertretungsbehörden oder in einem entsprechenden Beschwerdeverfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht gelten. Weitere Verfahrensbestimmungen im AsylG und FPG bleiben unberührt.
Gem. §§ 16 Abs. 6, 18 Abs. 7 BFA-VG sind für Beschwerdevorverfahren und Beschwerdeverfahren, die §§ 13 Abs. 2 bis 5 und 22 VwGVG nicht anzuwenden.
Gemäß § 27 VwGVG hat das Verwaltungsgericht, soweit es nicht Rechtswidrigkeit wegen Unzuständigkeit der Behörde gegeben findet, es den angefochtenen Bescheid, die angefochtene Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt und die angefochtene Weisung auf Grund der Beschwerde (§ 9 Abs. 1 Z 3 und 4) oder auf Grund der Erklärung über den Umfang der Anfechtung (§ 9 Abs. 3) zu überprüfen.
II.3.1.2. Familienverfahren gemäß § 34 AsylG:
Stellt ein Familienangehöriger von einem Fremden, dem der Status des Asylberechtigten zuerkannt worden ist (Z 1); einem Fremden, dem der Status des subsidiär Schutzberechtigten (§ 8) zuerkannt worden ist (Z 2) oder einem Asylwerber (Z 3) einen Antrag auf internationalen Schutz, gilt gemäß § 34 Abs. 1 AsylG dieser als Antrag auf Gewährung desselben Schutzes.
Gemäß § 34 Abs. 4 AsylG hat die Behörde Anträge von Familienangehörigen eines Asylwerbers gesondert zu prüfen; die Verfahren sind unter einem zu führen; unter den Voraussetzungen der Abs. 2 und 3 erhalten alle Familienangehörigen den gleichen Schutzumfang. Entweder ist der Status des Asylberechtigten oder des subsidiär Schutzberechtigten zuzuerkennen, wobei die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten vorgeht, es sei denn, alle Anträge wären als unzulässig zurückzuweisen oder abzuweisen. Jeder Asylwerber erhält einen gesonderten Bescheid. Gemäß § 34 Abs. 5 AsylG gelten die Bestimmungen der Abs. 1 bis 4 sinngemäß für das Verfahren beim Bundesverwaltungsgericht.
Gemäß § 2 Abs. 1 Z 22 AsylG ist Familienangehöriger, wer Elternteil eines minderjährigen Kindes, Ehegatte oder zum Zeitpunkt der Antragstellung minderjähriges lediges Kind eines Asylwerbers oder eines Fremden ist, dem der Status des subsidiär Schutzberechtigten oder des Asylberechtigten zuerkannt wurde, sofern die Ehe bei Ehegatten bereits vor der Einreise des subsidiär Schutzberechtigten oder des Asylberechtigten bestanden hat.
Der BF1 ist der Gatte der BF2 und Vater des mündig minderjährigen BF4. Hinsichtlich dieser BF liegt daher ein Familienverfahren gemäß § 34 AsylG vor.
Zu A)
II.3.2.Nichtzuerkennung des Status eines Asylberechtigten
Die Behandlung der Beschwerde gegen den Spruchpunkt I. der angefochtenen Bescheide des BF1 und des BF3 wurde mit Erkenntniss des VfGH vom 13.06.2023, E 200-201/2023-11 abgelehnt, weswegen dieser nicht mehr Gegenstand des Verfahrens ist.
Hinsichtlich der BF2 und des mj. BF4 wurde die Revision gegen den Spruchpunkt I. der angeführten Bescheide mit Erkenntnis des VwGH vom 12.03.2024, Ra 2023/14/0483 bis 0484-9, zurückgewiesen, weswegen auch diese nicht mehr Gegenstand des Verfahrens sind.
II.3.3. Nichtzuerkennung des Status eines subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat
Die Behandlung der Beschwerde gegen den Spruchpunkt II. der angefochtenen Bescheide des BF1 und des BF3 wurde mit Erkenntniss des VfGH vom 13.06.2023, E 200-201/2023-11 abgelehnt, weswegen dieser nicht mehr Gegenstand des Verfahrens ist.
Hinsichtlich der BF2 und des mj. BF4 wurde die Revision gegen den Spruchpunkt II. der angeführten Bescheide mit Erkenntnis des VwGH vom 12.03.2024, Ra 2023/14/0483 bis 0484-9, zurückgewiesen, weswegen auch diese nicht mehr Gegenstand des Verfahrens sind.
II.3.4 Frage der Erteilung eines Aufenthaltstitels und Erlassung einer Rückkehrentscheidung
II.3.4.1. Gesetzliche Grundlagen:
§ 10 AsylG 2005, Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme:
§ 10. (1) Eine Entscheidung nach diesem Bundesgesetz ist mit einer Rückkehrentscheidung oder einer Anordnung zur Außerlandesbringung gemäß dem 8. Hauptstück des FPG zu verbinden, wenn
1. der Antrag auf internationalen Schutz gemäß §§ 4 oder 4a zurückgewiesen wird,
2. der Antrag auf internationalen Schutz gemäß § 5 zurückgewiesen wird,
3. der Antrag auf internationalen Schutz sowohl bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen wird,
4. einem Fremden der Status des Asylberechtigten aberkannt wird, ohne dass es zur Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten kommt oder
5. einem Fremden der Status des subsidiär Schutzberechtigten aberkannt wird
und in den Fällen der Z 1 und 3 bis 5 von Amts wegen ein Aufenthaltstitel gemäß § 57 nicht erteilt wird.
(2) Wird einem Fremden, der sich nicht rechtmäßig im Bundesgebiet aufhält und nicht in den Anwendungsbereich des 6. Hauptstückes des FPG fällt, von Amts wegen ein Aufenthaltstitel gemäß § 57 nicht erteilt, ist diese Entscheidung mit einer Rückkehrentscheidung gemäß dem 8. Hauptstück des FPG zu verbinden.
(3) Wird der Antrag eines Drittstaatsangehörigen auf Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß §§ 55, 56 oder 57 abgewiesen, so ist diese Entscheidung mit einer Rückkehrentscheidung gemäß dem 8. Hauptstück des FPG zu verbinden. Wird ein solcher Antrag zurückgewiesen, gilt dies nur insoweit, als dass kein Fall des § 58 Abs. 9 Z 1 bis 3 vorliegt.“
§ 57 AsylG 2005, Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz:
§ 57. (1) Im Bundesgebiet aufhältigen Drittstaatsangehörigen ist von Amts wegen oder auf begründeten Antrag eine „Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz“ zu erteilen:
1. wenn der Aufenthalt des Drittstaatsangehörigen im Bundesgebiet gemäß § 46a Abs. 1 Z 1 oder Abs. 1a FPG seit mindestens einem Jahr geduldet ist und die Voraussetzungen dafür weiterhin vorliegen, es sei denn, der Drittstaatsangehörige stellt eine Gefahr für die Allgemeinheit oder Sicherheit der Republik Österreich dar oder wurde von einem inländischen Gericht wegen eines Verbrechens (§ 17 StGB) rechtskräftig verurteilt. Einer Verurteilung durch ein inländisches Gericht ist eine Verurteilung durch ein ausländisches Gericht gleichzuhalten, die den Voraussetzungen des § 73 StGB entspricht,
2. zur Gewährleistung der Strafverfolgung von gerichtlich strafbaren Handlungen oder zur Geltendmachung und Durchsetzung von zivilrechtlichen Ansprüchen im Zusammenhang mit solchen strafbaren Handlungen, insbesondere an Zeugen oder Opfer von Menschenhandel oder grenzüberschreitendem Prostitutionshandel oder
3. wenn der Drittstaatsangehörige, der im Bundesgebiet nicht rechtmäßig aufhältig oder nicht niedergelassen ist, Opfer von Gewalt wurde, eine einstweilige Verfügung nach §§ 382b oder 382e EO, RGBl. Nr. 79/1896, erlassen wurde oder erlassen hätte werden können und der Drittstaatsangehörige glaubhaft macht, dass die Erteilung der „Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz“ zum Schutz vor weiterer Gewalt erforderlich ist.
(2) Hinsichtlich des Vorliegens der Voraussetzungen nach Abs. 1 Z 2 und 3 hat das Bundesamt vor der Erteilung der „Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz“ eine begründete Stellungnahme der zuständigen Landespolizeidirektion einzuholen. Bis zum Einlangen dieser Stellungnahme bei der Behörde ist der Ablauf der Fristen gemäß Abs. 3 und § 73 AVG gehemmt.
(3) Ein Antrag gemäß Abs. 1 Z 2 ist als unzulässig zurückzuweisen, wenn ein Strafverfahren nicht begonnen wurde oder zivilrechtliche Ansprüche nicht geltend gemacht wurden. Die Behörde hat binnen sechs Wochen über den Antrag zu entscheiden.
(4) Ein Antrag gemäß Abs. 1 Z 3 ist als unzulässig zurückzuweisen, wenn eine einstweilige Verfügung nach §§ 382b oder 382e EO nicht vorliegt oder nicht erlassen hätte werden können.“
Die Behandlung der Beschwerde gegen den Spruchpunkt III. der angefochtenen Bescheide des BF1 und des BF3 wurde mit Erkenntniss des VfGH vom 13.06.2023, E 200-201/2023-11 abgelehnt, weswegen dieser nicht mehr Gegenstand des Verfahrens ist.
Hinsichtlich der BF2 und des mj. BF4 wurde die Revision gegen den Spruchpunkt III. der angeführten Bescheide mit Erkenntnis des VwGH vom 12.03.2024, Ra 2023/14/0483 bis 0484-9, zurückgewiesen, weswegen auch diese nicht mehr Gegenstand des Verfahrens sind.
§ 9 BFA-VG, Schutz des Privat- und Familienlebens:
„§ 9. (1) Wird durch eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG, eine Anordnung zur Außerlandesbringung gemäß § 61 FPG, eine Ausweisung gemäß § 66 FPG oder ein Aufenthaltsverbot gemäß § 67 FPG in das Privat- oder Familienleben des Fremden eingegriffen, so ist die Erlassung der Entscheidung zulässig, wenn dies zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten ist.
(2) Bei der Beurteilung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK sind insbesondere zu berücksichtigen:
1. die Art und Dauer des bisherigen Aufenthaltes und die Frage, ob der bisherige Aufenthalt des Fremden rechtswidrig war,
2. das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens,
3. die Schutzwürdigkeit des Privatlebens,
4. der Grad der Integration,
5. die Bindungen zum Heimatstaat des Fremden,
6. die strafgerichtliche Unbescholtenheit,
7. Verstöße gegen die öffentliche Ordnung, insbesondere im Bereich des Asyl-, Fremdenpolizei- und Einwanderungsrechts,
8. die Frage, ob das Privat- und Familienleben des Fremden in einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren,
9. die Frage, ob die Dauer des bisherigen Aufenthaltes des Fremden in den Behörden zurechenbaren überlangen Verzögerungen begründet ist.
(3) Über die Zulässigkeit der Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG ist jedenfalls begründet, insbesondere im Hinblick darauf, ob diese gemäß Abs. 1 auf Dauer unzulässig ist, abzusprechen. Die Unzulässigkeit einer Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG ist nur dann auf Dauer, wenn die ansonsten drohende Verletzung des Privat- und Familienlebens auf Umständen beruht, die ihrem Wesen nach nicht bloß vorübergehend sind. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn die Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG schon allein auf Grund des Privat- und Familienlebens im Hinblick auf österreichische Staatsbürger oder Personen, die über ein unionsrechtliches Aufenthaltsrecht oder ein unbefristetes Niederlassungsrecht (§§ 45 und 48 oder §§ 51 ff Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG), BGBl. I Nr. 100/2005) verfügen, unzulässig wäre.
(4) Gegen einen Drittstaatsangehörigen, der sich auf Grund eines Aufenthaltstitels rechtmäßig im Bundesgebiet aufhält, darf eine Rückkehrentscheidung gemäß §§ 52 Abs. 4 iVm 53 Abs. 1a FPG nicht erlassen werden, wenn
1. ihm vor Verwirklichung des maßgeblichen Sachverhaltes die Staatsbürgerschaft gemäß § 10 Abs. 1 des Staatsbürgerschaftsgesetzes 1985 (StbG), BGBl. Nr. 311, verliehen hätte werden können, oder
2. er von klein auf im Inland aufgewachsen und hier langjährig rechtmäßig niedergelassen ist.
(5) Gegen einen Drittstaatsangehörigen, der vor Verwirklichung des maßgeblichen Sachverhaltes bereits fünf Jahre, aber noch nicht acht Jahre ununterbrochen und rechtmäßig im Bundesgebiet niedergelassen war, darf mangels eigener Mittel zu seinem Unterhalt, mangels ausreichenden Krankenversicherungsschutzes, mangels eigener Unterkunft oder wegen der Möglichkeit der finanziellen Belastung einer Gebietskörperschaft eine Rückkehrentscheidung gemäß §§ 52 Abs. 4 iVm 53 FPG nicht erlassen werden. Dies gilt allerdings nur, wenn der Drittstaatsangehörige glaubhaft macht, die Mittel zu seinem Unterhalt und seinen Krankenversicherungsschutz durch Einsatz eigener Kräfte zu sichern oder eine andere eigene Unterkunft beizubringen, und dies nicht aussichtslos scheint.
(6) Gegen einen Drittstaatsangehörigen, der vor Verwirklichung des maßgeblichen Sachverhaltes bereits acht Jahre ununterbrochen und rechtmäßig im Bundesgebiet niedergelassen war, darf eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 4 FPG nur mehr erlassen werden, wenn die Voraussetzungen gemäß § 53 Abs. 3 FPG vorliegen. § 73 Strafgesetzbuch (StGB), BGBl. Nr. 60/1974 gilt.“
§ 58 AsylG 2005, Verfahren zur Erteilung von Aufenthaltstiteln:
§ 58. (1) Das Bundesamt hat die Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 57 von Amts wegen zu prüfen, wenn
1. der Antrag auf internationalen Schutz gemäß §§ 4 oder 4a zurückgewiesen wird,
2. der Antrag auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen wird,
3. einem Fremden der Status des Asylberechtigten aberkannt wird, ohne dass es zur Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten kommt,
4. einem Fremden der Status des subsidiär Schutzberechtigten aberkannt wird oder
5. ein Fremder sich nicht rechtmäßig im Bundesgebiet aufhält und nicht in den Anwendungsbereich des 6. Hauptstückes des FPG fällt.
(2) Das Bundesamt hat einen Aufenthaltstitel gemäß § 55 von Amts wegen zu erteilen, wenn eine Rückkehrentscheidung auf Grund des § 9 Abs. 1 bis 3 BFA-VG rechtskräftig auf Dauer für unzulässig erklärt wurde. § 73 AVG gilt.
(3) Das Bundesamt hat über das Ergebnis der von Amts wegen erfolgten Prüfung der Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß §§ 55 und 57 im verfahrensabschließenden Bescheid abzusprechen.
(4) Das Bundesamt hat den von Amts wegen erteilten Aufenthaltstitel gemäß §§ 55 oder 57 auszufolgen, wenn der Spruchpunkt (Abs. 3) im verfahrensabschließenden Bescheid in Rechtskraft erwachsen ist. Abs. 11 gilt.
(5) Anträge auf Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß §§ 55 bis 57 sowie auf Verlängerung eines Aufenthaltstitels gemäß § 57 sind persönlich beim Bundesamt zu stellen. Soweit der Antragsteller nicht selbst handlungsfähig ist, hat den Antrag sein gesetzlicher Vertreter einzubringen.
(6) Im Antrag ist der angestrebte Aufenthaltstitel gemäß §§ 55 bis 57 genau zu bezeichnen. Ergibt sich auf Grund des Antrages oder im Ermittlungsverfahren, dass der Drittstaatsangehörige für seinen beabsichtigten Aufenthaltszweck einen anderen Aufenthaltstitel benötigt, so ist er über diesen Umstand zu belehren; § 13 Abs. 3 AVG gilt.
(7) Wird einem Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß §§ 55, 56 oder 57 stattgegeben, so ist dem Fremden der Aufenthaltstitel auszufolgen. Abs. 11 gilt.
(8) Wird ein Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß §§ 55, 56 oder 57 zurück- oder abgewiesen, so hat das Bundesamt darüber im verfahrensabschließenden Bescheid abzusprechen.
(9) Ein Antrag auf einen Aufenthaltstitel nach diesem Hauptstück ist als unzulässig zurückzuweisen, wenn der Drittstaatsangehörige
1. sich in einem Verfahren nach dem NAG befindet,
2. bereits über ein Aufenthaltsrecht nach diesem Bundesgesetz oder dem NAG verfügt oder
3. gemäß § 95 FPG über einen Lichtbildausweis für Träger von Privilegien und Immunitäten verfügt oder gemäß § 24 FPG zur Ausübung einer bloß vorübergehenden Erwerbstätigkeit berechtigt ist
soweit dieses Bundesgesetz nicht anderes bestimmt. Dies gilt auch im Falle des gleichzeitigen Stellens mehrerer Anträge.
(10) Anträge gemäß § 55 sind als unzulässig zurückzuweisen, wenn gegen den Antragsteller eine Rückkehrentscheidung rechtskräftig erlassen wurde und aus dem begründeten Antragsvorbringen im Hinblick auf die Berücksichtigung des Privat- und Familienlebens gemäß § 9 Abs. 2 BFA-VG ein geänderter Sachverhalt, der eine ergänzende oder neue Abwägung gemäß Art. 8 EMRK erforderlich macht, nicht hervorgeht. Anträge gemäß §§ 56 und 57, die einem bereits rechtskräftig erledigten Antrag (Folgeantrag) oder einer rechtskräftigen Entscheidung nachfolgen, sind als unzulässig zurückzuweisen, wenn aus dem begründeten Antragsvorbringen ein maßgeblich geänderter Sachverhalt nicht hervorkommt.
(11) Kommt der Drittstaatsangehörige seiner allgemeinen Mitwirkungspflicht im erforderlichen Ausmaß, insbesondere im Hinblick auf die Ermittlung und Überprüfung erkennungsdienstlicher Daten, nicht nach, ist
1. das Verfahren zur Ausfolgung des von Amts wegen zu erteilenden Aufenthaltstitels (Abs. 4) ohne weiteres einzustellen oder
2. der Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels zurückzuweisen.
Über diesen Umstand ist der Drittstaatsangehörige zu belehren.
(12) Aufenthaltstitel dürfen Drittstaatsangehörigen, die das 14. Lebensjahr vollendet haben, nur persönlich ausgefolgt werden. Aufenthaltstitel für unmündige Minderjährige dürfen nur an deren gesetzlichen Vertreter ausgefolgt werden. Anlässlich der Ausfolgung ist der Drittstaatsangehörige nachweislich über die befristete Gültigkeitsdauer, die Unzulässigkeit eines Zweckwechsels, die Nichtverlängerbarkeit der Aufenthaltstitel gemäß §§ 55 und 56 und die anschließende Möglichkeit einen Aufenthaltstitel nach dem NAG zu erlangen, zu belehren.
(13) Anträge auf Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß §§ 55 bis 57 begründen kein Aufenthalts- oder Bleiberecht. Anträge auf Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß §§ 55 und 57 stehen der Erlassung und Durchführung aufenthaltsbeendender Maßnahmen nicht entgegen. Sie können daher in Verfahren nach dem 7. und 8. Hauptstück des FPG keine aufschiebende Wirkung entfalten. Bei Anträgen auf Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 56 hat das Bundesamt bis zur rechtskräftigen Entscheidung über diesen Antrag jedoch mit der Durchführung der einer Rückkehrentscheidung umsetzenden Abschiebung zuzuwarten, wenn
1. ein Verfahren zur Erlassung einer Rückkehrentscheidung erst nach einer Antragstellung gemäß § 56 eingeleitet wurde und
2. die Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 56 wahrscheinlich ist, wofür die Voraussetzungen des § 56 Abs. 1 Z 1, 2 und 3 jedenfalls vorzuliegen haben.“
(14) Der Bundesminister für Inneres ist ermächtigt, durch Verordnung festzulegen, welche Urkunden und Nachweise allgemein und für den jeweiligen Aufenthaltstitel dem Antrag jedenfalls anzuschließen sind. Diese Verordnung kann auch Form und Art einer Antragstellung, einschließlich bestimmter, ausschließlich zu verwendender Antragsformulare, enthalten.
§ 52 FPG, Rückkehrentscheidung:
„§ 52. (1) Gegen einen Drittstaatsangehörigen hat das Bundesamt mit Bescheid eine Rückkehrentscheidung zu erlassen, wenn er sich
1. nicht rechtmäßig im Bundesgebiet aufhält oder
2. nicht rechtmäßig im Bundesgebiet aufgehalten hat und das Rückkehrentscheidungsverfahren binnen sechs Wochen ab Ausreise eingeleitet wurde.
(2) Gegen einen Drittstaatsangehörigen hat das Bundesamt unter einem (§ 10 AsylG 2005) mit Bescheid eine Rückkehrentscheidung zu erlassen, wenn
1. dessen Antrag auf internationalen Schutz wegen Drittstaatsicherheit zurückgewiesen wird,
2. dessen Antrag auf internationalen Schutz sowohl bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen wird,
3. ihm der Status des Asylberechtigten aberkannt wird, ohne dass es zur Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten kommt oder
4. ihm der Status des subsidiär Schutzberechtigten aberkannt wird
und ihm kein Aufenthaltsrecht nach anderen Bundesgesetzen zukommt. Dies gilt nicht für begünstigte Drittstaatsangehörige.
(3) Gegen einen Drittstaatsangehörigen hat das Bundesamt unter einem mit Bescheid eine Rückkehrentscheidung zu erlassen, wenn dessen Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß §§ 55, 56 oder 57 AsylG 2005 zurück- oder abgewiesen wird.
(4) Gegen einen Drittstaatsangehörigen, der sich rechtmäßig im Bundesgebiet aufhält, hat das Bundesamt mit Bescheid eine Rückkehrentscheidung zu erlassen, wenn
1. nachträglich ein Versagungsgrund gemäß § 60 AsylG 2005 oder § 11 Abs. 1 und 2 NAG eintritt oder bekannt wird, der der Erteilung des zuletzt erteilten Aufenthaltstitels, Einreisetitels oder der erlaubten visumfreien Einreise entgegengestanden wäre,
2. ihm ein Aufenthaltstitel gemäß § 8 Abs. 1 Z 1, 2 oder 4 NAG erteilt wurde, er der Arbeitsvermittlung zur Verfügung steht und im ersten Jahr seiner Niederlassung mehr als vier Monate keiner erlaubten unselbständigen Erwerbstätigkeit nachgegangen ist,
3. ihm ein Aufenthaltstitel gemäß § 8 Abs. 1 Z 1, 2 oder 4 NAG erteilt wurde, er länger als ein Jahr aber kürzer als fünf Jahre im Bundesgebiet niedergelassen ist und während der Dauer eines Jahres nahezu ununterbrochen keiner erlaubten Erwerbstätigkeit nachgegangen ist,
4. der Erteilung eines weiteren Aufenthaltstitels ein Versagungsgrund (§ 11 Abs. 1 und 2 NAG) entgegensteht oder
5. das Modul 1 der Integrationsvereinbarung gemäß § 9 Integrationsgesetz (IntG), BGBl. I. Nr. 68/2017 aus Gründen, die ausschließlich vom Drittstaatsangehörigen zu vertreten sind, nicht rechtzeitig erfüllt wurde.
Werden der Behörde nach dem NAG Tatsachen bekannt, die eine Rückkehrentscheidung rechtfertigen, so ist diese verpflichtet dem Bundesamt diese unter Anschluss der relevanten Unterlagen mitzuteilen. Im Fall des Verlängerungsverfahrens gemäß § 24 NAG hat das Bundesamt nur all jene Umstände zu würdigen, die der Drittstaatsangehörige im Rahmen eines solchen Verfahrens bei der Behörde nach dem NAG bereits hätte nachweisen können und müssen.
(5) Gegen einen Drittstaatsangehörigen, der vor Verwirklichung des maßgeblichen Sachverhaltes auf Dauer rechtmäßig niedergelassen war und über einen Aufenthaltstitel “Daueraufenthalt – EU” verfügt, hat das Bundesamt eine Rückkehrentscheidung zu erlassen, wenn die Voraussetzungen gemäß § 53 Abs. 3 die Annahme rechtfertigen, dass dessen weiterer Aufenthalt eine gegenwärtige, hinreichend schwere Gefahr für die öffentliche Ordnung oder Sicherheit darstellen würde.
(6) Ist ein nicht rechtmäßig im Bundesgebiet aufhältiger Drittstaatsangehöriger im Besitz eines Aufenthaltstitels oder einer sonstigen Aufenthaltsberechtigung eines anderen Mitgliedstaates, hat er sich unverzüglich in das Hoheitsgebiet dieses Staates zu begeben. Dies hat der Drittstaatsangehörige nachzuweisen. Kommt er seiner Ausreiseverpflichtung nicht nach oder ist seine sofortige Ausreise aus dem Bundesgebiet aus Gründen der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit erforderlich, ist eine Rückkehrentscheidung gemäß Abs. 1 zu erlassen.
(7) Von der Erlassung einer Rückkehrentscheidung gemäß Abs. 1 ist abzusehen, wenn ein Fall des § 45 Abs. 1 vorliegt und ein Rückübernahmeabkommen mit jenem Mitgliedstaat besteht, in den der Drittstaatsangehörige zurückgeschoben werden soll.
(8) Die Rückkehrentscheidung wird im Fall des § 16 Abs. 4 BFA-VG oder mit Eintritt der Rechtskraft durchsetzbar und verpflichtet den Drittstaatsangehörigen zur unverzüglichen Ausreise in dessen Herkunftsstaat, ein Transitland gemäß unionsrechtlichen oder bilateralen Rückübernahmeabkommen oder anderen Vereinbarungen oder einen anderen Drittstaat, sofern ihm eine Frist für die freiwillige Ausreise nicht eingeräumt wurde. Im Falle einer Beschwerde gegen eine Rückkehrentscheidung ist § 28 Abs. 2 Bundesgesetz über das Verfahren der Verwaltungsgerichte (Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz – VwGVG), BGBl. I Nr. 33/2013 auch dann anzuwenden, wenn er sich zum Zeitpunkt der Beschwerdeentscheidung nicht mehr im Bundesgebiet aufhält.
(9) Mit der Rückkehrentscheidung ist gleichzeitig festzustellen, ob die Abschiebung des Drittstaatsangehörigen gemäß § 46 in einen oder mehrere bestimmte Staaten zulässig ist. Dies gilt nicht, wenn die Feststellung des Drittstaates, in den der Drittstaatsangehörige abgeschoben werden soll, aus vom Drittstaatsangehörigen zu vertretenden Gründen nicht möglich ist.
(10) Die Abschiebung eines Drittstaatsangehörigen gemäß § 46 kann auch über andere als in Abs. 9 festgestellte Staaten erfolgen.
(11) Der Umstand, dass in einem Verfahren zur Erlassung einer Rückkehrentscheidung deren Unzulässigkeit gemäß § 9 Abs. 3 BFA-VG festgestellt wurde, hindert nicht daran, im Rahmen eines weiteren Verfahrens zur Erlassung einer solchen Entscheidung neuerlich eine Abwägung gemäß § 9 Abs. 1 BFA-VG vorzunehmen, wenn der Fremde in der Zwischenzeit wieder ein Verhalten gesetzt hat, das die Erlassung einer Rückkehrentscheidung rechtfertigen würde.“
§ 55 FPG, Frist für die freiwillige Ausreise
§ 55. (1) Mit einer Rückkehrentscheidung gemäß § 52 wird zugleich eine Frist für die freiwillige Ausreise festgelegt.
(1a) Eine Frist für die freiwillige Ausreise besteht nicht für die Fälle einer zurückweisenden Entscheidung gemäß § 68 AVG sowie wenn eine Entscheidung auf Grund eines Verfahrens gemäß § 18 BFA-VG durchführbar wird.
(2) Die Frist für die freiwillige Ausreise beträgt 14 Tage ab Rechtskraft des Bescheides, sofern nicht im Rahmen einer vom Bundesamt vorzunehmenden Abwägung festgestellt wurde, dass besondere Umstände, die der Drittstaatsangehörige bei der Regelung seiner persönlichen Verhältnisse zu berücksichtigen hat, die Gründe, die zur Erlassung der Rückkehrentscheidung geführt haben, überwiegen.
(3) Bei Überwiegen besonderer Umstände kann die Frist für die freiwillige Ausreise einmalig mit einem längeren Zeitraum als die vorgesehenen 14 Tage festgesetzt werden. Die besonderen Umstände sind vom Drittstaatsangehörigen nachzuweisen und hat er zugleich einen Termin für seine Ausreise bekanntzugeben. § 37 AVG gilt.
(4) Das Bundesamt hat von der Festlegung einer Frist für die freiwillige Ausreise abzusehen, wenn die aufschiebende Wirkung der Beschwerde gemäß § 18 Abs. 2 BFA-VG aberkannt wurde.
(5) Die Einräumung einer Frist gemäß Abs. 1 ist mit Mandatsbescheid (§ 57 AVG) zu widerrufen, wenn bestimmte Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass der Aufenthalt des Drittstaatsangehörigen die öffentliche Ordnung oder Sicherheit gefährdet oder Fluchtgefahr besteht.
Art. 8 EMRK, Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens
(1) Jedermann hat Anspruch auf Achtung seines Privat- und Familienlebens, seiner Wohnung und seines Briefverkehrs.
(2) Der Eingriff einer öffentlichen Behörde in die Ausübung dieses Rechts ist nur statthaft, insoweit dieser Eingriff gesetzlich vorgesehen ist und eine Maßnahme darstellt, die in einer demokratischen Gesellschaft für die nationale Sicherheit, die öffentliche Ruhe und Ordnung, das wirtschaftliche Wohl des Landes, die Verteidigung der Ordnung und zur Verhinderung von strafbaren Handlungen, zum Schutz der Gesundheit und der Moral oder zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer notwendig ist.“
II.3.4.2. Die Behandlung der Beschwerde gegen den Spruchpunkt III. der angefochtenen Bescheide des BF1 und des BF3 wurde mit Erkenntniss des VfGH vom 13.06.2023, E 200-201/2023-11 abgelehnt, weswegen dieser nicht mehr Gegenstand des Verfahrens ist.
Hinsichtlich der BF2 und des mj. BF4 wurde die Revision gegen den Spruchpunkt III. der angeführten Bescheide mit Erkenntnis des VwGH vom 12.03.2024, Ra 2023/14/0483 bis 0484-9, zurückgewiesen, weswegen auch diese nicht mehr Gegenstand des Verfahrens sind.
Die gegenständlichen in Österreich gestellten Anträge auf internationalen Schutz (Folgeanträge) wurden abgewiesen. Es liegt daher kein rechtmäßiger Aufenthalt (ein sonstiger Aufenthaltstitel der drittstaatsangehörigen Fremden ist nicht ersichtlich und wurde auch nicht behauptet) im Bundesgebiet mehr vor und fallen die BF nicht in den Anwendungsbereich des 6. Hauptstückes des FPG.
Gemäß § 10 Abs. 2 AsylG 2005 ist diese Entscheidung daher mit einer Rückkehrentscheidung gemäß dem 8. Hauptstück des FPG zu verbinden.
II.3.4.3. Bei der Setzung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme kann ein ungerechtfertigter Eingriff in das Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens des Fremden iSd. Art. 8 Abs. 1 EMRK vorliegen. Daher muss überprüft werden, ob sie einen Eingriff und in weiterer Folge eine Verletzung des Privat- und/oder Familienlebens des Fremden darstellt.
II.3.4.4. Die BF1 und BF3 halten sich seit 31.07.2018, die BF2 und BF4 seit 27.07.2022 in Österreich auf. Die BF haben im Bundesgebiet keine Verwandten und sind der BF1 und die BF2 außer für den bald 17-jährigen BF4 für niemanden sorgepflichtig. Der BF1 bezieht Grundversorgung, hat Deutschkurse besucht, Zertifakte wurden nicht vorgelegt. Von der Pizzeria Santa Maria in Deutschkreuz wurde ihm im Falle eines Aufenthaltsrecht in Aussicht gestellt, dass er dort eine Beschäftigung erhält. Ein Antrag auf eine Beschäftigungsbewilligung (als Küchengehilfe) wurde vom AMS Oberpullendorf mit Bescheid vom 14.04.2022 abgewiesen. Der BF1 ist in keinem Verein oder Organisation Mitglied und leistet keine ehrenamtlichen Tätigkeiten. Zu Freunden befragt gibt er einen männlichen Vornahmen und einen Spitznamen bekannt. Die BF2 bezieht Grundversorgung. Sie besuchte einen Deutschkurs, eine Prüfung wurde nicht absolviert. Sie ist in keinem Verein oder einer Organisation tätig. Ehrenamtlich betätigt sie sich bei der Pannonischen Tafel. Bezüglich österreichischer Freunde konnte sie drei weibliche und einen männlichen Vornamen nennen. Der BF3 besuchte Deutschkurse und die HTL XXXX . Aktuell absolviert er bei der Fa. XXXX in Wöllersdorf eine Lehre zum Informatiker. Der BF3 spielte Fußball im Verein XXXX . Aktuell ist er in einem Kickboxverein und besucht ein Fitness-Studio. Er absolviert keine ehrenamtlichen Tätigkeiten. Der BF4 wohnt bei und von den Eltern. Er besuchte das Polytechnikum in XXXX und nahm an Deutschkursen teil, Zertifikate wurden nicht vorgelegt. Vom Frisörgeschäft XXXX in Wien wurde ihm in Aussicht gestellt, dass er im Falle eines Bleiberechts dort arbeiten kann. Er geht mit seinem Bruder kickboxen und in ein Fitness-Studio. Ehrenamtliche Tätigkeiten werden nicht ausgeführt. Die BF sind im Bundesgebiet strafrechtlich bislang unbescholten.
Die Rückkehrentscheidung stellt zweifellos einen Eingriff in das Recht auf Familienleben dar.
II.3.4.5. Gem. Art. 8 Abs. 2 EMRK ist der Eingriff einer öffentlichen Behörde in die Ausübung des Rechts auf das Privat- und Familienleben nur statthaft, insoweit dieser Eingriff gesetzlich vorgesehen ist und eine Maßnahme darstellt, welche in einer demokratischen Gesellschaft für die nationale Sicherheit, die öffentliche Ruhe und Ordnung, das wirtschaftliche Wohl des Landes, der Verteidigung der Ordnung und zur Verhinderung von strafbaren Handlungen, zum Schutz der Gesundheit und der Moral oder zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer notwendig ist.
Zweifellos handelt es sich sowohl beim BFA als auch beim ho. Gericht um öffentliche Behörden im Sinne des Art. 8 Abs. 2 EMRK und ist der Eingriff in § 10 AsylG gesetzlich vorgesehen.
Es ist in weiterer Folge zu prüfen, ob ein Eingriff in das Recht auf Achtung des Familien- und Privatlebens der BF im gegenständlichen Fall durch den Eingriffsvorbehalt des Art. 8 EMRK gedeckt ist und ein in einer demokratischen Gesellschaft legitimes Ziel, nämlich die Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung iSv. Art. 8 (2) EMRK, in verhältnismäßiger Weise verfolgt.
Im Einzelnen ergibt sich aus einer Zusammenschau der oben genannten Determinanten im Lichte der geltenden Judikatur Folgendes:
- Art und Dauer des bisherigen Aufenthaltes und die Frage, ob der bisherige Aufenthalt rechtswidrig war:
Die BF1 und BF3 halten sich seit 31.07.2018, die BF2 und BF4 seit 27.07.2022 in Österreich auf. Sie konnten ihren Aufenthalt lediglich durch die Stellung unbegründeter Asylanträge (die BF1 und BF3 mehrerer Asylanträge) vorübergehend legalisieren.
Hätten sie diese unbegründeten Asylanträge nicht gestellt, wären sie rechtswidrig im Bundesgebiet aufhältig bzw. wäre davon auszugehen, dass der rechtswidrige Aufenthalt bereits durch entsprechende aufenthaltsbeendende Maßnahmen in der Vergangenheit beendet worden wäre und sie sich nicht mehr im Bundesgebiet aufhalten würden.
- das tatsächliche Bestehen eines Privatlebens:
Die BF verfügen über die genannten familiären und privaten Anknüpfungspunkte.
- die Schutzwürdigkeit des Privatlebens
Die BF begründeten ihr Privatleben zu einem Zeitpunkt, als der Aufenthalt lediglich durch die Stellung eines unbegründeten Asylantrages (bei den BF1 und BF3 auch eines unbegründeten Folgeantrages) vorübergehend legalisiert war. Auch war der Aufenthalt der BF zum Zeitpunkt der Begründung der Anknüpfungspunkte im Rahmen des Privatlebens ungewiss und nicht dauerhaft, sondern auf die Dauer des Asylverfahrens beschränkt.
So wurden bereits die ersten Anträge der BF1 und BF3 vollinhaltich abgewiesen. Auch ihre Folgeanträge wurden mit Bescheiden des BFA vom 27.05.2022 hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch hinsichtlich des Status des subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen, Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen nicht erteilt, gegen die Beschwerdeführer Rückkehrentscheidungen erlassen und festgestellt, dass die Abschiebung der Beschwerdeführer nach Aserbaidschan zulässig sei. Als Frist für die freiwillige Ausreise wurden 14 Tage ab Rechtskraft der Entscheidung festgesetzt.
Obwohl sowohl die Anträge auf internationalen Schutz, als auch die Folgeanträge der BF1 und BF3 abgewiesen wurden, reisten die BF2 und der BF4 am 27.07.2022 rechtswidrig in das Bundesgebiet ein und stellten am 04.08.2022 Anträge auf internationalen Schutz um dass in Aserbaidschan schon jahrelange Familienleben in Österreich aufrecht erhalten zu können. Das im konkreten Fall bestehende Familienleben kann sohin neurlich in Aserbaidschan fortgeführt werden, weil alle vier BF von den aufenthaltsbeendenden Maßnahmen betroffen sind.
Letztlich ist auch festzuhalten, dass die BF nicht gezwungen sind, nach einer Ausreise allenfalls bestehende Bindungen zu Freunden und Bekannten zur Gänze abzubrechen. So stünde es ihr frei, diese durch briefliche, telefonische, elektronische Kontakte oder durch gegenseitige Besuche aufrecht zu erhalten (vgl. Peter Chvosta: „Die Ausweisung von Asylwerbern und Art. 8 MRK“, ÖJZ 2007/74 mwN).
Auch muss – vor allem – hinsichtlich der BF2 und BF4 in aller Deutlichkeit festgehalten werden, dass der VwGH in ständiger Rechtsprechung ferner betont, dass bei der Beurteilung des Privatlebens einem Aufenthalt eines Fremden im Bundesgebiet von unter fünf Jahren für sich betrachtet keine maßgebende Bedeutung im Rahmen der Abwägung nach Art 8 EMRK beizumessen sei. Dies vor allem, wenn der Aufenthalt bloß auf einer vorläufigen Berechtigung beruhe und der Fremde somit nicht davon ausgehen dürfe, er könne dauerhaft im Bundesgebiet bleiben (vgl. VwGH 23.6.2015, Ra 2015/22/0026).
Der EGMR berücksichtigt auch, inwieweit noch ein Bezug des Ausländers zu dem Staat seiner Staatsangehörigkeit besteht (vgl. EGMR vom 26.3.1992 im Fall Beldjondi). Im konkreten Fall lag bis vor Kurzem der Lebensmittelpunkt der BF in Georgien, wo Sie hauptsozialisiert worden sind.
Keinesfalls entspricht es der fremden- und aufenthaltsrechtlichen Systematik, dass das Knüpfen von privaten bzw. familiären Anknüpfungspunkten nach rechtswidriger Einreise oder während eines auf einen unbegründeten Antrag fußenden Asylverfahrens im Rahmen eines Automatismus zur Erteilung eines Aufenthaltstitels führen. Dies kann nur ausnahmsweise in Einzelfällten, beim Vorliegen eines besonders qualifizierten Sachverhalts der Fall sein, welcher hier bei weitem nicht vorliegt (vgl. hier etwa Erk. d. VfGH U 485/2012 15 vom 12.06.2013)
- Grad der Integration
Die BF haben im Bundesgebiet keine Verwandten. Der BF1 bezieht Grundversorgung, hat Deutschkurse besucht, Zertifakte wurden nicht vorgelegt. Von der Pizzeria XXXX in XXXX wurde in Aussicht gestellt, den BF1 im Falle eines Bleiberechts anzustellen. Ein Antrag auf eine Beschäftigungsbewilligung (als Küchengehilfe) wurde vom AMS XXXX mit Bescheid vom 14.04.2022 abgewiesen. Der BF1 ist in keinem Verein oder Organisation Mitglied und leistet keine ehrenamtlichen Tätigkeiten. Zu Freunden befragt gibt er einen männlichen Vornahmen und einen Spitznamen bekannt.
Die BF2 bezieht Grundversorgung. Sie besuchte einen Deutschkurs, eine Prüfung wurde nicht absolviert. Sie ist in keinem Verein oder einer Organisation tätig. Ehrenamtlich betätigt sie sich bei der Pannonischen Tafel. Bezüglich österreichischer Freunde konnte sie drei weibliche und einen männlichen Vornamen nennen.
Der BF3 besuchte Deutschkurse und besuchte die HTL XXXX . Aktuell absolviert er bei der Fa. XXXX in Wöllersdorf eine Lehre zum Informatiker. Der BF2 spielte Fußball im Verein XXXX . Aktuell ist er in einem Kickboxverein und besucht ein Fitness-Studio. Er absolviert keine ehrenamtlichen Tätigkeiten.
Der BF4 wohnt bei und von den Eltern. Er besuchte das Polytechnikum in XXXX und nahm an Deutschkursen teil, Zertifikate wurden nicht vorgelegt. Vom Frisörgeschäft XXXX in Wien wurde ihm in Aussicht gestellt, dass er im Falle eines Bleiberechts dort arbeiten kann. Er geht mit seinem Brude kickboxen und in ein Fitness-Studio. Ehrenamtliche Tätigkeiten werden nicht ausgeführt.
In diesem Zusammenhang sei auch auf die höchstgerichtliche Judikatur verwiesen, wonach selbst die –hier bei weitem nicht vorhandenen- Umstände, dass selbst ein Fremder, der perfekt Deutsch spricht sowie sozial vielfältig vernetzt und integriert ist, über keine über das übliche Maß hinausgehenden Integrationsmerkmale verfügt und diesen daher nur untergeordnete Bedeutung zukommt (Erk. d. VwGH vom 6.11.2009, 2008/18/0720; 25.02.2010, 2010/18/0029).
- Bindungen zum Herkunftsstaat
Die BF verbrachten annähernd ihr gesamtes Leben in Aserbaidschan, wurden dort sozialisiert und sprechen die dortige Mehrheitssprache auf muttersprachlichem Niveau. In XXXX wohnen noch eine Schwester und mehrere Tanten und Onkel des BF1. Insgesamt halten sich noch ca. 40 Familienmitglieder in XXXX auf. Die Schwester arbeitet als Reinigungskraft. Der BF1 besitzt in XXXX zudem noch ein Haus, dieses wird von der älteren Schwester während der Abwenheit der BF in Gang gehalten. Zudem besitzt der BF1 noch einen Garten, 30 km außerhalb von XXXX . Die Schwester ist als Reinigungskraft tätig. In XXXX wohnen zudem noch ein Onkel, eine Schwägerin sowie mehrere Cousins der BF2. Alle verfügen über Wohnmöglichkeiten. Für den Fall einer Rückkehr ist demnach nicht davon auszugehen, dass den BF Ihre Lebensgrundlage entzogen wäre. Vielmehr haben Sie in Aserbaidschan familiären Anschluss und steht Ihnen die Rückkehr in Ihren Familienverband unverändert offen. Es deutet daher nichts darauf hin, dass es den BF im Falle einer Rückkehr in den Herkunftsstaat nicht möglich wäre, sich in die dortige Gesellschaft erneut zu integrieren.
- strafrechtliche Unbescholtenheit
Die BF sind bislang strafrechtlich unbescholten.
Festgehalten werden muss jedoch, dass gegen den BF3 am 07.07.2023 von der StA Eisenstadt, XXXX Anklage wegen Einbruchsdiebstahl nach den §§ 127, 129 (1) StGB, erhoben wurde Das Strafverfahren wurde nach der Absolvierung einer einjährigen Probezeit jedoch vom LG XXXX am 26.08.2024, XXXX , gemäß § 199 iVm 203 Abs. 1 StPO iVm § 7 JGG entgültig eingestellt.
Diese Feststellung stellt laut Judikatur weder eine Stärkung der persönlichen Interessen noch eine Schwächung der öffentlichen Interessen dar (VwGH 21.1.1999, Zahl 98/18/0420). Der VwGH geht wohl davon aus, dass es von einem Fremden, welcher sich im Bundesgebiet aufhält als selbstverständlich anzunehmen ist, dass er die geltenden Rechtsvorschriften einhält.
- die Frage, ob das Privatleben zu einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren
Den BF musste bei der Antragstellung klar sein, dass der Aufenthalt in Österreich im Falle der Abweisung des Asylantrages nur ein vorübergehender ist.
- mögliches Organisationsverschulden durch die handelnden Behörden in Bezug auf die Verfahrensdauer
Ein derartiges Verschulden kann der Aktenlage nicht entnommen werden.
-Kindeswohl
Allfällige ungünstigere Entwicklungsbedingungen im Ausland begründen für sich allein noch keine Gefährdung des Kindeswohls, vor allem dann, wenn die Familie von dort stammt (OGH 08.07.2003, Zl. 4Ob146/03d unter Verweis auf Coester in Staudinger, BGB13 § 1666 Rz 82 mwN). Zudem gehören die Eltern und deren sozioökonomischen Verhältnisse grundsätzlich zum Schicksal und Lebensrisiko eines Kindes (ebd.).
Bei der Beurteilung, ob im Fall der Rückkehr in den Herkunftsstaat eine Verletzung von durch Art. 2 und 3 EMRK geschützten Rechten droht, ist nach der Judikatur des VwGH eine eventuelle besondere Vulnerabilität der Betroffenen im Speziellen zu berücksichtigen, wobei der VwGH auch auf die Definition schutzbedürftiger Personen in Art. 21. Der Richtlinie 2013/33/EU (Aufnahmerichtlinie) verweist (vgl. zuletzt VwGH vom 13.12.2018, Zl. Ra 2018/18/0336 sowie vom 30.08.2017, Zl. Ra 2017/18/0089 zum Irak sowie VwGH vom 06.09.2018, Ra 2018/18/0315 und diverse andere zu Afghanistan). Art. 21 der Aufnahmerichtlinie zählt als besonders schutzbedürftige Personen unter anderem Minderjährige auf.
Der Verfassungsgerichtshof hat - aufgrund der vom BVwG selbst herangezogenen UNHCR-Richtlinien- in seiner Entscheidung vom 12.12.2018, Zl E 667/2018 hinsichtlich einer Familie aus Kabul festgehalten, dass Familien mit besonderem Schutzbedarf - nach Ansicht des UNHCR - nur dann eine innerstaatliche Fluchtalternative in Kabul offensteht, wenn sie Zugang zu einem traditionellen Unterstützungsnetzwerk durch Mitglieder ihrer (erweiterten) Familie haben und davon ausgegangen werden kann, dass diese willens und in der Lage sind, die Zurückkehrenden tatsächlich zu unterstützen. Die zugrundeliegende Entscheidung des BVwG wurde behoben, da vom BVwG nicht näher begründet wurde, warum es davon ausging, dass der Bruder der Erstbeschwerdeführerin eine sechsköpfige Familie ausreichend unterstützen könne bzw wolle. Es sei verabsäumt worden, die Erstbeschwerdeführerin zur konkreten Lebenssituation ihres Bruders und ihrer Schwester zu befragen.
Demnach wird von der Judikatur eine konkrete Auseinandersetzung damit gefordert, welche Rückkehrsituation eine Familie mit minderjährigen Kindern im Herkunftsstaat tatsächlich vorfindet, insbesondere unter Berücksichtigung der dort herrschenden Sicherheitslage und Bewegungsfreiheit (VwGH 21.03.2018, Ra 2017/18/0474 bis 0479) sowie der Unterkunftsmöglichkeit (VwGH 06.09.2018, Ra 2018/18/0315).
Im vorliegenden Fall ist daher insbesondere zu berücksichtigen, dass unter den BF ein mündig Minderjähriger – somit ein Angehöriger einer besonders vulnerablen und besonders schutzbedürftigen Personengruppe - ist. Daher ist eine konkrete Auseinandersetzung mit der Rückkehrsituation, die der minderjährige BF bzw. die Eltern mit dem minderjährigen Kind im Heimatstaat tatsächlich vorfinden würden, erforderlich.
Im gegenständlichen Fall sind alle BF aserbaidschanische Staatsbürger und sind alle im selben Umfang von aufenthaltsbeendenden Maßnahmen betroffen. Somit teilt der minderjährige BF4 das sozioökonomische Schicksal seiner Eltern und seines Bruders. Den BF stehen nach der Rückkehr sowohl private, karitative als auch bei Bedarf staatliche Unterstützungsmöglichkeiten zur Verfügung. Es kann davon ausgegangen werden, dass sie Unterkunft finden werden und wird auf die Beweiswürdigung oben verwiesen. Eine Verletzung des Kindeswohles ist daher nicht ersichtlich.
Das Bundesverwaltungsgericht kann deswegen keinen Widerspruch zur Bestimmung des Art 1 BVG Kinderrechte erkennen. Wie dieser Bestimmung entnommen werden kann, muss das Wohl des Kindes eine vorrangige Erwägung sein. Wie bereits ausführlich erörtert, kehrt der BF4 gemeinsam mit seinen Eltern und seinem Bruder in seinen Herkunftsstaat zurück.
- Zurechenbarkeit des Verhaltens der Eltern
Das ho. Gericht verkennt zwar nicht, dass sich die Kinder das Verhalten der Eltern im Rahmen der Interessensabwägung gemäß Art. 8 EMRK nicht im vollen Umfang subjektiv verwerfen lassen müssen, doch ist dieses Verhalten dennoch nicht unbeachtlich.
Der Verfassungsgerichtshof hielt in seiner Entscheidung vom 10.03.2011, Zl. B1565/10 (betreffend einem im Alter von 8 Jahren mit seinen Eltern eingereisten, im Entscheidungszeitpunkt 17jährigen, welcher beinahe die gesamte Schullaufbahn in Österreich absolvierte und herausragende sportliche Leistungen für einen österreichischen Sportklub erbrachte) fest, dass es in der Verantwortung des Staates gelegen ist, Voraussetzungen zu schaffen, um Verfahren so effizient führen zu können, dass nicht bis zur ersten rechtskräftigen Entscheidung - ohne Vorliegen außergewöhnlich komplexer Rechtsfragen und ohne, dass dem 17jährigen die lange Dauer des Asylverfahrens anzulasten wäre, - neun Jahre verstreichen. Es sei die Aufenthaltsverfestigung des 17jährigen zwar überwiegend auf vorläufiger Basis erfolgt, keine über den Status eines Asylwerbers hinausgehende Aufenthaltsberechtigung sei vorgelegen; jedoch sei ihm als Minderjährigem, der seine Eltern nach Österreich begleitete, dies nicht in jenem Maße zuzurechnen wie seinen Obsorgeberechtigten. In diesem Fall wurde festgehalten, dass keine Anpassungsfähigkeit des 17jährigen mehr vorliege, der wesentliche Teile seiner Kindheit und Jugend in Österreich verbrachte (im Gegensatz zu Kindern, die sich im Zeitpunkt ihrer Ausweisung noch in anpassungsfähigem Alter befinden; vgl EMRK 26.01.99, Fall Sarumi, Appl 43279/98) und wurden grundsätzliche Ausführungen zur herabgesetzten Verantwortlichkeit von Minderjährigen getroffen.
Auch in der Entscheidung des VfGH vom 07.10.2010, Zl. B 950-954/10-08 wurde unter Bezugnahme auf das mangelnde Verschulden der Beschwerdeführer an der 7jährigen Verfahrensdauer festgehalten, dass die belangte Behörde bei ihrer Interessenabwägung zusätzlich stärker gewichten hätte müssen, dass die minderjährigen Beschwerdeführer den Großteil ihres Lebens ins Österreich verbracht haben, sich mitten in ihrer Schulausbildung befanden und sich hier sowohl schulisch als auch gesellschaftlich sehr gut integriert haben.
Insbesondere hätte die belangte Behörde nicht berücksichtigt, dass - anders als in Fällen, in denen die Integration auf einem nur durch Folgeanträge begründeten unsicheren Aufenthaltsstatus basierte (vgl. zB VfGH 12.6.2010, U614/10) – in diesem Fall die Integration der Beschwerdeführer während ihrer einzigen Asylverfahren, welche für die Bf. 1, 2, 3 und 4 sieben Jahre (in denen keine einzige rechtskräftige Entscheidung ergangen ist) dauerten, erfolgte. Dass dies auf eine schuldhafte Verzögerung durch die Beschwerdeführer zurückzuführen wäre, wurde von der belangten Behörde weder dargestellt, noch war es aus den dem Verfassungsgerichtshof vorliegenden Akten ersichtlich.
Obwohl der Verfassungsgerichtshof in diesen beiden Entscheidungen die den Beschwerdeführern nicht zurechenbarer Dauer der Asylverfahren als wesentliches Argument für eine Interessensabwägung zu Gunsten der Beschwerdeführer herangezogen hat, ist dennoch aus dem Beschluss des VfGH vom 12.6.2010, U614/10 ableitbar, dass in gewissen Fällen trotz fehlender subjektiver Vorwerfbarkeit des Verhaltens der Minderjährigen im Hinblick auf die Verfahrensdauer dennoch das Verhalten der Eltern im Rahmen der Interessensabwägung in Bezug auf die minderjährigen Kinder eine Rolle spielt.
Es wird in diesem Zusammenhang auf die Erkenntnisse des VfGH vom 12.6.2010, erstens Zl. U 614/10 (Beschwerdeführerin wurde 1992 geboren, war zum Zeitpunkt der Einreise nach Österreich minderjährig, hatte zumindest am Anfang ihres Aufenthaltes in Österreich keinen Einfluss auf das bzw. die Asylverfahren, entzog sich aufenthaltsbeendenden Maßnahmen im Alter der mündigen Minderjährigkeit und prolongierte ihren Aufenthalt durch die Stellung verschiedener Anträge), zweitens Zl. U613/10 (Beschwerdeführerin wurde 1962 geboren, war während des gesamten Verfahrens handlungsfähig und prolongierte ihren Aufenthalt durch die Stellung verschiedener Anträge) und den Beschluss desselben Tages Zl. U615/10 ua (minderjährige Asylwerber während des gesamten Asylverfahrens, welche auf den Verlauf des Verfahrens bzw. der Verfahren keinen Einfluss hatten) hingewiesen. In diesen Verfahren stellte der VfGH in Bezug auf die 1962 geborene Beschwerdeführerin im vollen Umfang und in Bezug auf die 1992 geborene Beschwerdeführerin (Tochter der 1962 geborenen Beschwerdeführerin) in einem gewissen eingeschränkten Umfang fest, dass sich diese das Verhalten, welches zum langen Aufenthalt in Österreich führte, zurechnen lassen müssen und es daher nicht zu ihren Gunsten im Rahmen der Interessensabwägung im Sinne des Art. 8 EMRK geltend machen können. Obwohl die minderjährigen Beschwerdeführer auf das Verhalten ihrer 1962 geborenen Mutter und 1992 geborenen Schwester keinerlei Einfluss hatten und ihnen deren Verhalten, insbesondere jenes der Mutter, nicht subjektiv vorgeworfen werden konnte, wurde die Behandlung derer Beschwerden dennoch mit Beschluss U615/10 ua. abgewiesen.
II.3.4.6. Abschließende Erwägungen
Der Verwaltungsgerichtshof geht in seiner ständigen Rechtsprechung davon aus, dass dem Art. 8 EMRK innewohnenden Recht auf das Privat- und Familienleben auch ein Recht auf körperliche Unversehrtheit abzuleiten ist (vgl. etwa Erk. d. VwGH vom 28.6.2016, Ra 2015/21/0199-8). Vor diesem Hintergrund ist die Zulässigkeit von aufenthaltsbeendenden Maßnahmen im Lichte des Art. 8 EMRK auch vor dem Hintergrund der Lage im Herkunftsstaat, welche die bP im Falle einer Rückkehr vorfinden, zu prüfen, wobei bereits an dieser Stelle Art. 8 EMRK –anders als Art. 3 leg. cit.- einen Eingriffsvorbehalt kennt.
Der EGMR wiederholt in stRsp, dass es den Vertragsstaaten zukommt, die öffentliche Ordnung aufrechtzuerhalten, insb. in Ausübung ihres Rechts nach anerkanntem internationalem Recht und vorbehaltlich ihrer vertraglichen Verpflichtungen, die Einreise und den Aufenthalt von Fremden zu regeln. Die Entscheidungen in diesem Bereich müssen insoweit, als sie in ein durch Art. 8 (1) EMRK geschütztes Recht eingreifen, in einer demokratischen Gesellschaft notwendig sein, dh. durch ein dringendes soziales Bedürfnis gerechtfertigt und va. dem verfolgten legitimen Ziel gegenüber verhältnismäßig sein.
Nach ständiger Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes kommt den Normen, die die Einreise und den Aufenthalt von Fremden regeln, aus der Sicht des Schutzes und der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung (Artikel 8 Abs. 2 EMRK) ein hoher Stellenwert zu (VwGH 16.01.2001, Zl. 2000/18/0251, uva).
Der VwGH hat festgestellt, dass beharrliches illegales Verbleiben eines Fremden nach rechtskräftigem Abschluss des Asylverfahrens bzw. ein länger dauernder illegaler Aufenthalt eine gewichtige Gefährdung der öffentlichen Ordnung im Hinblick auf ein geordnetes Fremdenwesen darstellen würde, was eine (damals) Ausweisung als dringend geboten erscheinen lässt (VwGH 31.10.2002, Zl. 2002/18/0190).
Ebenso wird durch die wirtschaftlichen Interessen an einer geordneten Zuwanderung und das nur für die Dauer des Asylverfahrens erteilte Aufenthaltsrecht, das fremdenpolizeiliche Maßnahmen nach (negativer) Beendigung des Asylverfahrens vorhersehbar erscheinen lässt, die Interessensabwägung anders als in jenen Fällen, in welchen der Fremde aufgrund eines nach den Bestimmungen des NAG erteilten Aufenthaltstitels aufenthaltsberechtigt war, zu Lasten des (abgelehnten) Asylsuchenden beeinflusst (vgl. Feßl/Holzschuster, AsylG 2005, Seite 348).
Es ist nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes für die Notwendigkeit einer [damals] Ausweisung von Relevanz, ob der Fremde seinen Aufenthalt vom Inland her legalisieren kann. Ist das nicht der Fall, könnte sich der Fremde bei der Abstandnahme von der [damals] Ausweisung unter Umgehung der aufenthaltsrechtlichen Bestimmungen den tatsächlichen (illegalen) Aufenthalt im Bundesgebiet auf Dauer verschaffen, was dem öffentlichen Interesse an der Aufrechterhaltung eines geordneten Fremdenrechts zuwiderlaufen würde.
Gem. Art 8 Abs. 2 EMRK ist ein Eingriff in das Grundrecht auf Privat- und/oder Familienleben zulässig, wenn dies zur Erreichung der in Abs. 2 leg. cit. genannten Ziele notwendig ist. Die zitierte Vorschrift nennt als solches Ziel u.a. die Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung, worunter nach der Judikatur des VwGH auch die geschriebene Rechtsordnung zu subsumieren ist. Die für den Aufenthalt von Fremden maßgeblichen Vorschriften finden sich –abgesehen von den spezifischen Regelungen des AsylG- seit 1.1.2006 nunmehr im NAG bzw. FPG.
Die geordnete Zuwanderung von Fremden ist für die Gesellschaft von wesentlicher Bedeutung und diese Wertung des Gesetzgebers geht auch aus dem Fremdenrechtspaket 2005 klar hervor. Demnach ist es gemäß den nun geltenden fremdenrechtlichen Bestimmungen für einen BF grundsätzlich nicht mehr möglich, den Aufenthalt vom Inland her auf Antrag zu legalisieren, da eine Erstantragsstellung für solche Fremde nur vom Ausland aus möglich ist. Wie aus dem 2. Hauptstück des NAG ersichtlich ist, sind auch Fremde, die Familienangehörige von in Österreich dauernd wohnhaften österreichischen Staatsbürgern sind, davon nicht ausgenommen. Im gegenständlichen Fall ist bei Berücksichtigung sämtlicher bekannter Tatsachen kein Sachverhalt ersichtlich, welcher die Annahme rechtfertigen würde, dass der BF gem. § 21 (2) und (3) NAG die Legalisierung ihres Aufenthaltes vom Inland aus offensteht, sodass sie mit rechtskräftigen Abschluss des Asylverfahrens eine unbedingte Ausreiseverpflichtung trifft, zu deren Durchsetzung es einer Rückkehrentscheidung bedarf.
Bei rechtskräftigem Abschluss des Asylverfahrens sind die BF somit nicht rechtmäßig im Bundesgebiet aufhältig.
Zur Gewichtung der öffentlichen Interessen sei ergänzend das Erkenntnis des VfGH 17. 3. 2005, G 78/04 ua erwähnt, in dem dieser erkennt, dass auch das Gewicht der öffentlichen Interessen im Verhältnis zu den Interessen des Fremden bei der (damals) Ausweisung von Fremden, die sich etwa jahrelang legal in Österreich aufgehalten haben, und Asylwerbern, die an sich über keinen Aufenthaltstitel verfügen und denen bloß während des Verfahrens Abschiebeschutz zukommt, unterschiedlich zu beurteilen sind.
Der Rechtsprechung des EGMR folgend (vgl. aktuell SISOJEVA u.a. gg. Lettland, 16.06.2005, Bsw. Nr. 60.654/00) garantiert die Konvention Ausländern kein Recht auf Einreise und Aufenthalt in einem bestimmten Staat. Unter gewissen Umständen können von den Staaten getroffene Entscheidungen auf dem Gebiet des Aufenthaltsrechts (z. B. eine Ausweisung- bzw. Rückkehrentscheidung) aber auch in das nach Artikel 8 EMRK geschützte Privatleben eines Fremden eingreifen. Dies beispielsweise dann, wenn ein Fremder den größten Teil seines Lebens in einem Gastland zugebracht (wie im Fall SISOJEVA u.a. gg. Lettland) oder besonders ausgeprägte soziale oder wirtschaftliche Bindungen im Aufenthaltsstaat vorliegen, die sogar jene zum eigentlichen Herkunftsstaat an Intensität deutlich übersteigen (vgl. dazu BAGHLI gg. Frankreich, 30.11.1999, Bsw. Nr. 34374/97; ebenso die Rsp. des Verfassungsgerichtshofes; vgl. dazu VfSlg 10.737/1985; VfSlg 13.660/1993).
Im Lichte der Rechtsprechung des EGMR zur Praxis hinsichtlich Rückkehrentscheidungen der Vertragsstaaten dürfte es für den Schutzbereich des Anspruches auf Achtung des Privatlebens nach Artikel 8 EMRK hingegen nicht ausschlaggebend sein, ob der Aufenthalt des Ausländers - im Sinne einer Art „Handreichung des Staates“ - zumindest vorübergehend rechtmäßig war (vgl. Ghiban gg. Deutschland, 16.09.2004, 11103/03; Dragan gg. Deutschland, 07.10.2004, Bsw. Nr. 33743/03; SISOJEVA (aaO.)) bzw. inwieweit die Behörden durch ihr Verhalten dazu beigetragen haben, dass der Aufenthalt des Betreffenden bislang nicht beendet wurde. Der EGMR hat diese Frage zwar noch nicht abschließend entschieden, jedoch in Fallkonstellationen das Recht auf Privatleben erörtert, in denen ein legaler Aufenthalt der Beschwerdeführer nicht vorlag. Hat er in der Rechtssache GHIBAN (aaO.) zu einem rumänischen Staatsangehörigen, der wegen Staatenlosigkeit nicht abgeschoben werden konnte, die Frage letztlich noch offen gelassen ("Selbst wenn man davon ausgeht, dass der Aufenthalt des Bf. unter diesen Umständen eine ausreichende Grundlage für die Annahme eines Privatlebens war..."), so nahm er in der bereits mehrfach zitierten Rechtssache Sisojeva (aaO.) einen Eingriff in das Privatleben an, obwohl die Beschwerdeführer in Lettland keinen rechtmäßigen Aufenthalt hatten.
Wenn man – wie die Judikaturentwicklung des EGMR auch erkennen lässt – dem Aufenthaltsstatus des Fremden für die Beurteilung des Vorliegens eines Eingriffes in das durch Artikel 8 EMRK geschützte Privatleben keine Relevanz beimisst, so wird die Frage der Rechtmäßigkeit des Aufenthalts jedenfalls im Rahmen der Schrankenprüfung nach Artikel 8 Absatz 2 EMRK Berücksichtigung zu finden haben.
Weiter wird hier auf das Urteil des EGMR Urteil vom 8. April 2008, NNYANZI gegen das Vereinigte Königreich, Nr. 21878/06 verwiesen, wo dieser folgende Kernaussagen traf:
Im gegenständlichen Fall erachtete es der EGMR nicht erforderlich, sich mit der von der Beschwerdeführerin vorgetragenen Frage auseinanderzusetzen, ob durch das Studium der Beschwerdeführerin im UK, ihr Engagement in der Kirche sowie ihre Beziehung unbekannter Dauer zu einem Mann während ihres fast 10-jährigen Aufenthalts ein Privatleben iS von Art. 8 EMRK entstanden ist.
Dies wird damit begründet, dass im vorliegenden Fall auch das Bestehen eines Privatlebens ohne Bedeutung für die Zulässigkeit der Abschiebung wäre, da einerseits die beabsichtigte Abschiebung im Einklang mit dem Gesetz steht und das legitime Ziel der Aufrechterhaltung und Durchsetzung einer kontrollierten Zuwanderung verfolgt; und andererseits jegliches zwischenzeitlich etabliertes Privatleben im Rahmen einer Interessenabwägung gegen das legitime öffentliche Interesse an einer effektiven Einwanderungskontrolle nicht dazu führen könnte, dass ihre Abschiebung als unverhältnismäßiger Eingriff zu werten wäre.
Die zuständige Kammer merkt dazu an, dass es sich hier im Gegensatz zum Fall ÜNER gg. Niederlande (EGMR Urteil vom 05.07.2005, Nr. 46410/99) bei der Beschwerdeführerin um keinen niedergelassenen Zuwanderer handelt, sondern ihr niemals ein Aufenthaltsrecht erteilt wurde und ihr Aufenthalt im UK daher während der gesamten Dauer ihres Asylverfahrens und ihrer humanitären Anträge unsicher war.
II.3.4.7. Letztlich ist festzustellen, dass eine Gegenüberstellung der von den BF in ihrem Herkunftsstaat vorzufindenden Verhältnissen mit jenen in Österreich im Rahmen einer Interessensabwägung zu keinem Überwiegen der privaten Interessen der BF am Verbleib in Österreich gegenüber den öffentlichen Interessen an einem Verlassen des Bundesgebietes führen würde.
Zum selbstverständlich zwischen den vier BF bestehendem und schützenswertem Familienleben iSd Art. 8 EMRK bleibt festzuhalten, dass sich der Eingriff in dieses Familienleben jedoch als zulässig erweist, weil alle vier BF von den aufenthaltsbeendenden Maßnahmen im gleichen Ausmaß betroffen sind. Auch entstand das Familienleben nicht erst im Bundesgebiet, sonder schon seit der Geburt des BF3 im Jahr 2005 in Aserbaidschan. Das Familienleben besteht folgerichtig in Relation gesehen, erst einen kurzen Zeitraum im Bundesgebiet. Dieses bereits im Herkunftsland entstandene und gelebte Familienleben kann sohin in Aserbaidschan, wo die Familie zudem noch über ein Haus in XXXX und einen Garten, ca. 30 km außerhalb von XXXX verfügt, weitergeführt werden. So ist auch der Rechtsprechung des EGMR zu entnehmen, dass der Art. 8 EMRK nicht das Recht gewährt, den Ort zu wählen, der nach Ansicht der Betroffenen am besten geeignet ist, ein Familienleben aufzubauen (EMGR v. 28.11.1996, 21702/93, Ahmut gg. die Niederlande). Auch steht es den BF selbstverständlich frei, um einen Aufenthaltstitel nach dem NAG anzusuchen.
So erkannte der Verwaltungsgerichtshof etwa selbst im Fall eines seit rund vier Jahren im Bundesgebiet aufhältigen, strafrechtlich unbescholtenen afghanischen Staatsangehörigen, der in Österreich mehrere Sprachkurse besucht und eine Prüfung über Kenntnisse der deutschen Sprache auf dem Niveau B1 bestanden hat, einen Pflichtschulabschluss erworben hat, sich in einem aufrechten Lehrverhältnis als Tischler befand, seinen Lebensunterhalt durch die Lehrlingsentschädigung bestritt und Mitglied in einem Fußballverein war sowie freundschaftliche Kontakte zu österreichischen Staatsangehörigen unterhielt (VwGH 23.10.2019, Ra 2019/19/0289), dass noch keine derartige Verdichtung der persönlichen Interessen des Mitbeteiligten bestehe, dass bereits von „außergewöhnlichen Umständen“ gesprochen werden könne und ihm schon deshalb unter dem Gesichtspunkt des Art. 8 EMRK ein dauernder Verbleib in Österreich ermöglicht werden müsse.
Würde sich ein Fremder nunmehr generell in einer solchen Situation wie die BF erfolgreich auf das Privat- und Familienleben berufen können, so würde dies dem Ziel eines geordneten Fremdenwesens und dem geordneten Zuzug von Fremden zuwiderlaufen.
Könnte sich ein Fremder nunmehr in einer solchen Situation erfolgreich auf sein Privat- und Familienleben berufen, würde dies darüber hinaus dazu führen, dass Fremde, welche die unbegründete bzw. rechtsmissbräuchliche Stellung eines Antrages auf internationalen Schutz allenfalls in Verbindung mit einer illegalen Einreise in das österreichische Bundesgebiet in Kenntnis der Unbegründetheit bzw. Rechtsmissbräuchlichkeit des Antrag unterlassen, letztlich schlechter gestellt wären, als Fremde, welche genau zu diesen Mitteln greifen um sich ohne jeden sonstigen Rechtsgrund den Aufenthalt in Österreich legalisieren, was in letzter Konsequenz zu einer verfassungswidrigen unsachlichen Differenzierung der Fremden untereinander führen würde (vgl. hierzu auch das Estoppel-Prinzip [„no one can profit from his own wrongdoing“], auch den allgemein anerkannten Rechtsgrundsatz, wonach aus einer unter Missachtung der Rechtsordnung geschaffenen Situation keine Vorteile gezogen werden dürfen [VwGH 11.12.2003, 2003/07/0007]).
Insbesondere war auch zu berücksichtigen, dass alle Familienmitglieder gleichermaßen von der Entscheidungsfindung betroffen sind und sohin die Wahrung der Familieneinheit gewährleistet ist.
Hinweise auf eine zum Entscheidungszeitpunkt vorliegende außergewöhnliche Integration der BF in sprachlicher, beruflicher und gesellschaftlicher Sicht sind nicht erkennbar. Daran kann auch das alleinige Bemühen des BF3 nichts ändern. Die BF halten sich im Vergleich zu ihrem Lebensalter erst einen sehr kurzen Zeitraum in Österreich auf. Eine über das normale Maß hinausgehende gesellschaftliche Integration ist nicht erkennbar. Die BF haben nahezu ihr gesamtes Leben in Aserbaidschan verbracht und wurden dort sozialisiert. Es ist daher davon auszugehen, dass auf Grund dieser engen Beziehungen zum Herkunftsstaat im Vergleich mit dem bisherigen Leben in Österreich die Beziehungen zu Aserbaidschan eine – wenn überhaupt vorhandene – Integration in Österreich bei weitem überwiegen.
Nach Maßgabe einer Interessensabwägung im Sinne des § 9 BFA-VG ist davon auszugehen, dass das öffentliche Interesse an der Beendigung des unrechtmäßigen Aufenthalts der BF im Bundesgebiet das persönliche Interesse der BF am Verbleib im Bundesgebiet überwiegt und daher durch die angeordnete Rückkehrentscheidung eine Verletzung des Art. 8 EMRK nicht vorliegt. Auch sonst sind keine Anhaltspunkte hervorgekommen (und auch in der Beschwerde nicht vorgebracht worden), dass im gegenständlichen Fall eine Rückkehrentscheidung auf Dauer unzulässig wäre.
Die Erlassung einer Rückkehrentscheidung kann daher nicht im Sinne von § 9 Abs 2 BFA-VG als unzulässig angesehen werden, weshalb auch die Erteilung eines Aufenthaltstitels nach § 55 AsylG nicht in Betracht kommt.
II.3.5. Abschiebung
II.3.5.1. Gemäß § 52 Abs. 9 FPG hat das BFA mit einer Rückkehrentscheidung gleichzeitig festzustellen, dass eine Abschiebung eines Drittstaatsangehörigen gemäß § 46 in einen oder mehrere bestimmte Staaten zulässig ist, es sei denn, dass dies aus vom Drittstaatsangehörigen zu vertretenden Gründen nicht möglich sei. Für die gemäß § 52 Abs. 9 FPG gleichzeitig mit der Erlassung einer Rückkehrentscheidung vorzunehmende Feststellung der Zulässigkeit einer Abschiebung gilt der Maßstab des § 50 FPG (VwGH 15.09.2016, Ra 2016/21/0234).
Nach § 50 Abs. 1 FPG ist die Abschiebung Fremder in einen Staat unzulässig, wenn dadurch Art. 2 oder 3 der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK), BGBl. Nr. 210/1958, oder das Protokoll Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten über die Abschaffung der Todesstrafe verletzt würde oder für sie als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konflikts verbunden wäre. Dies entspricht dem Tatbestand des § 8 Abs. 1 AsylG 2005. Das Vorliegen eines dementsprechenden Sachverhaltes wurde mit der vorliegenden Entscheidung verneint.
Gemäß § 50 Abs. 2 FPG ist die Abschiebung in einen Staat unzulässig, wenn stichhaltige Gründe für die Annahme bestehen, dass dort ihr Leben oder ihre Freiheit aus Gründen ihrer Rasse, ihrer Religion, ihrer Nationalität, ihrer Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder ihrer politischen Ansichten bedroht wäre (Art. 33 Z 1 der Konvention über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, BGBl. Nr. 55/1955, in der Fassung des Protokolls über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, BGBl. Nr. 78/1974), es sei denn, es bestehe eine innerstaatliche Fluchtalternative (§ 11 AsylG 2005). Dies entspricht dem Tatbestand des § 3 AsylG 2005. Das Vorliegen eines dementsprechenden Sachverhaltes wurde mit der vorliegenden Entscheidung verneint.
Nach § 50 Abs. 3 FPG ist die Abschiebung in einen Staat unzulässig, solange der Abschiebung die Empfehlung einer vorläufigen Maßnahme durch den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte entgegensteht. Eine derartige Empfehlung besteht für Afghanistan nicht.
Die Zulässigkeit der Abschiebung des Beschwerdeführers in den Herkunftsstaat ist gegeben. Da somit alle gesetzlichen Voraussetzungen für die Erlassung einer Rückkehrentscheidung vorliegen, ist die Beschwerde gegen den angefochtenen Bescheid auch in diesen Spruchpunkten als unbegründet abzuweisen.
Gemäß § 55 Abs. 1 FPG wird mit einer Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG zugleich eine Frist für die freiwillige Ausreise festgelegt. Die Frist für die freiwillige Ausreise beträgt nach § 55 Abs. 2 FPG 14 Tage ab Rechtskraft des Bescheides, sofern nicht im Rahmen einer vom Bundesamt vorzunehmenden Abwägung festgestellt wurde, dass besondere Umstände, die der Drittstaatsangehörige bei der Regelung seiner persönlichen Verhältnisse zu berücksichtigen hat, die Gründe, die zur Erlassung der Rückkehrentscheidung geführt haben, überwiegen.
Da derartige Gründe im Verfahren nicht vorgebracht wurden, ist die Frist zu Recht mit 14 Tagen festgelegt worden.
Lediglich der Vollständigkeit halber sei darauf hingewiesen, dass hinsichtlich der Lehre des BF3 § 55a FPG nicht mehr einschlägig ist, weil zum einen das Lehrverhältnis nicht schon vor dem 28.12.2019 bestand (vgl. VwGH 08.03.2021, Ra 2020/14/0291) und zum anderen die Bestimmung des § 55a FPG mit 27.12.2023 weggefallen ist.
Die Beschwerden gegen die Spruchpunkte IV. bis VI. der gegenständlichen Bescheide waren deswegen als unbegründet abzuweisen.
B) Unzulässigkeit der Revision:
Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiter ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.
Aus den dem gegenständlichen Erkenntnis entnehmbaren Ausführungen geht hervor, dass das ho. Gericht in seiner Rechtsprechung im gegenständlichen Fall nicht von der bereits zitierten einheitlichen Rechtsprechung des VwGH, insbesondere zum Erfordernis der Glaubhaftmachung der vorgebrachten Gründe, zum Flüchtlingsbegriff, der hier vertretenen Zurechnungstheorie und den Anforderungen an einen Staat und dessen Behörden, um von dessen Willen und Fähigkeit, den auf seinem Territorium aufhältigen Menschen Schutz vor Übergriffen zu gewähren ausgehen zu können, dem Refoulementschutz bzw. zum durch Art. 8 EMRK geschützten Recht auf ein Privat- und Familienleben abgeht. Entsprechende einschlägige Judikatur wurde bereits zitiert.